Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweite Handlung.

Rosenumblühter Platz vor Argelens Hütte.

Turturell. Gawin.

Gawin.

Du fliehst mich, Turturell? – Du meidest mich?
Du zeigst dich abhold liebendem Verlangen
Und meinen Armen willst du dich entziehn?
Ist's nicht genug, daß bald die Stunde mich
Aus deiner trauten Nähe mahnt zu scheiden.
Willst du des Glückes kurzgemessne Frist,
Die, wie der Tanz der Welle, schnell verfließt,
Durch deines Willens Machtgebot verkürzen?
Du könntest härter seyn als mein Geschick,
Und dieses Augenblickes kurze Freuden
Mit liebeloser Strenge rasch zerschneiden?

Turturell.

O, theurer Ritter, dringe nicht in mich
Mit ungerechten Waffen deiner Klagen!
Denn schuldlos muß ich ihren Pfeil ertragen.
Wohl flieh' ich dich, doch wünsch' ich nicht zu scheiden,
Und willenlos zu dir zieht es mich hin;
Ob ich auch weiß, wohl besser sey's, dich meiden.
Geändert ist, seit ich dich seh', mein Sinn;
Bald fühl' ich Muth, bald möcht' ich scheu verzagen,
Bald ist mir wohl, sehr wohl – bald wieder nicht.
Umsonst such' ich ein Wort, das mir gebricht,
Des neu entglommnen Lebens Bild zu malen:
Ich nennt' es Lust, wär's nicht gesellt zu Qualen;
Ich nennt' es Qual, wär' sel'ge Lust es nicht!
Du sagst, ich flieh'? – und doch willst du mich lassen!
Ich seh' dich ausgerüstet, fort zu ziehn,
Nachdem du argen Raub an mir begangen;
Denn meinen Frieden hast du mir genommen,
Und meine Thränen werden dich geleiten.

Gawin

In deinem Aug' erglänzt der Wehmuth Thau?
O, neidenswerthes Glück, wenn diese Thräne
Für mich, den unbekannten Freund, entfließt! –
Ist dieser Perle unschätzbares Kleinod
Geweiht der Trennung, die von dir mich reißt,
Dann schenkest du ein Pfand mir deiner Huld,
Das mich mit eh'rnen Fesseln dir verbindet!
Und trüg' es mich von hier mit Sturmesschnelle,
Bis an der Welt entferntes Ende fort,
Geheiligt hat dein Herz mir diesen Ort,
Die Seele bleibt gebannt an diese Stelle!
O, laß von deinen süßen Lippen mich
Der Liebe schüchternes Geständniß hören;
Laß mich den holden, anmuthsvollen Laut
Mit meinem Ohr verschlingen! Dieses Wort,
Nur dieses eine Wort laß mich vernehmen,
Und einen Himmel seh' ich leuchtend offen,
Voll sel'ger Wonne ohne Maß und Ziel,
Wie ihn das Herz, von seinen schönsten Träumen
Berauscht und trunken, nie gewagt zu hoffen!

Turturell.

Mein theurer Freund!

Gawin.

O, rede, bist du mein?

Turturell

(sinkt an seine Brust).
Glückselig Loos! könnt' ich es ewig seyn.

Gawin.

Den Glücklichsten auf dieser weiten Erde
Darf ich mich heute laut und rühmend preisen,
Denn aller Wonnen Krone ist ja mein! –
O süßer Stern der Liebe, leuchte froh
An meinem Himmel und verlösche nie!
Blüh' rings um mich, du Blumenkranz des Lebens,
O, blüh' und dufte, und verwelke nie!
Rausch' ungetrübt, du Silberstrom der Freuden,
Laß deine frische Welle froh mich schöpfen,
Und laß mich trinken und versiege nie!

Turturell.

O, Wonne, laß mich los, und du, Entzücken,
Daß mir das Herz so groß und mächtig schwellet,
O, dehne diese Brust, sie hat nicht Raum
Für so viel Lust, kann so viel Seligkeit
In ihren engen Schranken nicht verschließen!

Gawin

Laß Lipp' an Lippe ruhn und Brust an Brust!
Daß sich begegnen unsers Herzens Schläge,
Vereint wir fühlen gleichen Strom der Lust,
In deinem Busen wie in meinem rege. –
Doch wie! Du weinest, Turturell? – Du bebst?

Turturell.

Weil du mich lassen willst und weiter ziehn!
O, nimm mich mit, daß nicht, getrennt von dir,
In namenloser Angst ich hier vergehe!

Gawin.

Nichts fürchte mehr! Hält dich nicht, Turturell,
Mein starker Arm mit Liebeskraft umschlungen?

Turturell.

Ich kann nicht leben, wenn du mich verlässest,
Nicht trag' ich Trennung von so holdem Glück;
Sie dünkt mir fürchterlich, ein endlos Leiden!

Gawin.

Nicht enden, steigern soll sie unsre Freuden.
Entzieht dich mir das unwillkommne Licht,
Soll dich das Dunkel wieder mir vereinen.
Wenn milde Stille auf den Fluren ruht,
Im Nebelduft das Taggewölk verrinnet,
Die Sonn' erlöschend schmilzt in Rosengluth,
Und allgemach die kühle Nacht beginnet:
Dann hat die süße Stunde uns geschlagen,
Die goldnen Sterne leuchten freundlich mir
Auf meinem Liebesweg mit holdem Schein,
Und Arm in Arm gefügt, und Brust an Brust
Lischt Gluth in Gluth, um neu sich zu entzünden
Im Flammenmeere nie erschöpfter Lust!

(Sie halten sich umarmt.)

 

Vorige. Argele. Pendragon.

Pendragon.

Wenn ich dich störe in so lieblicher
Beschäftigung, verzeih'! Doch sieh, wie hoch
Die Sonne steht.

Gawin.

Zum Aufbruch mahnt sie uns;
Sie soll nicht träg' in unsrer Pflicht uns finden;
Doch ist ihr streng genügt, dann sucht das Herz
Der Arbeit Lohn in deinen holden Armen.
O, traure nicht und sey getrost, wie ich!
Bald, hoff' ich, soll die frohe Stunde schlagen,
Wo keine Trennung droht, kein hartes Leiden;
Wo nicht die Liebe mehr in flücht'ger Eile
Dem Augenblick entringt die kurzen Freuden.
Die Hülle werf' ich ab der Heimlichkeit,
Die mir verhaßt ist; herrlich führ' ich dich
An meiner Hand vor die erstaunte Welt;
Denn Königin der Erd' ist holder Frauen
Allmächt'ge Schönheit, und ihr weites Reich,
Wo sie erscheint, wo sie die Augen schauen.
Des Mannes mühevoll durchstürmtes Leben,
Sein muthig Ringen, Kämpfen, Wagen, Streben,
In ihrer Huld ist ihm der Lohn beschieden;
Gibt ihre Gunst sich nicht zum Preise hin,
Um keinen andern mag er sich bemühn.
O, süße Turturell, nur du allein
Kannst mir den Preis, um den ich werb', ertheilen;
Ihn bald zu finden, darf ich nicht verweilen;
Nur dem Verdienste ist er aufgespart;
Weil er den Lohn erfüllter Pflicht bewahrt,
Muß ich die Pflicht erst zu erfüllen eilen.

Turturell.

O, ziehe nicht von hier, Geliebter, bleibe!
Laß dich die Arme deiner Turturell
Gefangen halten, laß mit Liebesbanden
An meine Brust dich fesseln, meine Küsse
Ein süßer Zauber seyn, an diese Stelle
Dich fest zu bannen, daß du Wurzeln schlagest,
So wie der Baum, im Boden eingewachsen.

Argele.

Was hat dein Wesen denn so schnell verändert,
Daß ich mein eigen Kind kaum mehr erkenne?
Nicht diese Heftigkeit war sonst dir eigen,
Nicht diese Gluth hat sonst aus deinen Augen
Geleuchtet. – Ist es doch, als ob erst heut'
Des Geistes helles Licht dir aufgegangen,
Erst heut' dein eignes Herz sich dir enthüllt?

Turturell.

So ist es, gute Mutter, wie du sagst.

Gawin.

Im dunkeln Erdschacht ruht der Edelstein,
Und dunkel ist er selbst und ohne Schimmer,
So lang' der Grüfte öde Nacht ihn deckt;
Doch wenn des Tages Sonne ihn beschienen,
Wenn ihre Strahlen glühend ihn durchdrangen,
Gewinnt er Farb', und einen hellern Glanz
Strahlt er zurück, als er vom Licht empfangen.
So ruht die Liebe in der stillen Brust,
Die kaum den Schatz geahnt, den sie umschließet,
Das edle Gut nicht kennt, das sie bewahrt.
Doch, wenn verwandte Stimmen sie gerufen,
Wenn ein befreund'tes Wesen sie geweckt,
Dann stürmt die mächt'ge Flamme des Gefühls
Mit Ungestüm hervor, des Herzens Schläge sprengen
Gewaltig bald die Fesseln, die es engen;
Von einem Blick im Innersten entzunden,
Stets unaufhaltsam weiter wogt die Gluth,
Von keiner Macht gebändigt und gebunden.

Vorige. Der Harfner erscheint und betrachtet die sich umschlingenden Liebenden mit tiefer Rührung; dann spricht er zur Zither.

Harfner.

Schmerz aller Schmerzen, muß Liebes sich meiden,
Trennen und lösen, was eng sich umschloß,
Müssen verbundene Seelen sich scheiden,
Reißen verwachsene Herzen sich los!

Gawin

(entwindet sich Turturells Armen und geht mit Pendragon ab).

Turturell

(sinkt an die Brust des Harfners, der näher getreten ist).

Harfner.

Thränen des Scheidens, wie glüht ihr und brennet,
Hätt' euch doch niemals mein Auge geweint! –
Sicher nur ist, die vom Glücke uns trennet,
Doch nicht die Stunde, die uns ihm vereint.

(Alle gehen ab.)

 

Halle in König Singalds Burg. Königin Gylfe. Margard.

Gylfe.

Noch alles still! – Noch hallt die Luft nicht wieder
Vom lauten Freudenruf, der tausendstimmig
Hier den Erwarteten begrüßen soll!
O, wie die Zeit so langsam schleicht und kriecht,
Wie meine Ungeduld zur Ewigkeit sich dehnt,
Zur unerträglichen! Könnt' ich der trägen
Die Schwingen leihen meiner heißen Wünsche,
Mit Sturmesschnelle brächte sie die Stunde,
Nach der mein glühend ungestümes Herz
Begehrt, wie nach der Quelle kühlem Wasser
Der Wanderer, den Mittagsgluth versengt.

Margard.

Dein Auge glänzt von freudigem Gefühle,
Vom Scheine froherfüllter Hoffnung wieder.

Gylfe.

O, Seele, wärst du ein Spiegel doch,
Der wiederstrahlte die empfangnen Bilder,
Dann könnt' ich aller Red' enthoben seyn.
Dann spräch' ich: »Margard, sage, was du siehst!«
Und mir verkündete dein staunend Schweigen
Und dein verklärtes Auge Antwort. Stumm
Dein Mund, wär' Sprach' in deinen Blicken doch,
Die laut mir riefe: »Welch ein Zauberbild!«

Margard.

Noch sass' ich nicht, o Königin, dein Wort
Und deiner sonderbaren Rede Deutung.

Gylfe.

So wisse denn – ich berg' es länger nicht –
Umsonst hat mir mit siebenfachem Erz
Das harte Panzerkleid die Brust bedeckt! –
So wie der schnelle Blitz vom Himmel fährt
Und leuchtet, schlagt und zündet, hat sein Blick
Den Weg zum Herzen durch des Stahles Wehr
Gefunden. Höre Alles – ja, ich liebe
Mit allen Kräften spät erwachter Triebe,
Mit allen Gluthen erster Leidenschaft.
Der König Gawin, den im Speergewühle,
Im heißen Sturme der erzürnten Schlacht
Mit meines Schwertes Kling' ich mir gesucht,
Nach dessen Blut ich mordbegierig lechzte –
Er hat die Kraft gebrochen und gelähmt,
Die feindlich gegen ihn im Kampf gerungen.
Als seines Auges Blicke mich durchdrungen,
Hat er den Haß in meiner Brust gezähmt,
Hat er ein nie besiegtes Herz bezwungen.

Margard.

Verwundert höre ich, Frau Königin,
Wie dich der Leidenschaft entfesselt Toben,
Der du doch eher Meisterin geworden,
Mit ungewohnter Herrschaft hat ergriffen!

Gylfe.

Ich habe nie geliebt. – Ich darf mich rühmen,
Es hab' ein männlich heldenmüth'ger Geist
In meiner Brust geglühet und gewohnt.
In seltsam launenhaftem Eigensinne
Hat die Natur in meinem Frauenbusen
Des Mannes hohe Seele angesiedelt.
Ich habe nie geliebt, und frei geblieben
War von so heft'gem Triebe mir die Brust.
Nie hab' ich noch gefühlt bis diese Stunde
Des süßen Wehes wundersame Macht;
Der Sehnsucht Stachel hab' ich nie gekannt,
Der Herzen regt, an Herzen sich zu schließen,
Und Seelen zwingt, in Thränen hinzufließen.
Der Liebe Kosen schien mir eitel Tand,
Und ihre Küsse nichtiges Berühren.

Margard.

Doch meint' ich, daß die Lieb', o hohe Frau,
Die Leiter dir zum Thronessitz erbaut,
Und dir die Krone auf das Haupt gesetzt?

Gylfe.

Geboren ward ich unter niederm Dach,
War eine arme nur und dürft'ge Magd,
Doch hoher Seele, und viel edlen Stolz
In tiefer Brust bewahrend immerdar.
Erkieset hatte mich zur Dienerin
Singalds verstorbnes Weib, und unfreiwillig,
Dem harten Zwang gehorchend, dient' ich ihr.
Doch laut im Busen klang ein wahres Wort,
Das mir verkündend zurief solchen Spruch:
Nicht ist es dir bestimmt bei der Geburt,
Daß du den Nacken immer beugen magst
Zu schlechtem Dienste einem andern Weibe.
Nicht' auf dein Haupt und blick' getrost empor
Aus deines Staubes trüber Niedrigkeit.
Nicht nur, daß goldner Locken Fülle sie
Umwalle, ragt die Stirne edel hoch.
Der goldne Reif der Herrschaft soll sie schmücken;
Nicht eines Webschiffs farbiges Gespinnst
Lichtspielend hin und wieder stets zu schnellen,
Den Faden von der Spindel stets zu drehn,
Ein mühsam Tagwerk, üben deine Hände!
Laß Spuhl' und Webschiff fallen und die Spindel,
Und fass' das königliche Scepter an! –
So trieb weissagend mich der inn're Geist
Zu einem weit entfernten Ziele hin;
Doch wackrer Muth war nicht von mir gewichen,
Und in der blüh'nden Jungfrau Busen stand
Nach solchen Gutes dauerndem Besitz,
Nicht nach vergänglich flücht'ger Liebeslust,
Der Sinn gerichtet; eines Thrones Höh',
Und nicht ein bräutlich Lager zu besteigen,
Trieb mich das jugendliche Feuer an.
Mit nicht gemeiner Schönheit ausgeschmückt
War meines Leibes Knospe, kaum entfaltet,
Emporgeblüht zu einer seltnen Blume,
Und nicht verächtliche, ruhmwürd'ge Werber
Erschienen, still genährter Hoffnung voll,
Der ersten jugendlichen Neigung Preis
Vielleicht, begünstiget, davon zu tragen.
Doch ohn' Erfolg; denn nicht geringer, traun,
Als einen Thron dacht' ich ihn loszuschlagen.

Margard.

So hast du glücklich, Herrin, ja errungen,
Wonach die Hände kühn du ausgestreckt.
Wie hoch du auch im Werthe dich gestellt,
Der Glückliche, der reich war, ihn zu zahlen.
Hat dennoch ein beneidet Gut gekauft.

Gylfe.

Bald hatte in der Dienerinnen Kreise
Am Frauenhof der Königin mich schnell
Das lüsterne, neugier'ge Aug' erspäht
Des Königs Singald;
Und eine schnelle Neigung wuchs in ihm
In kurzer Frist zur wilden Leidenschaft,
Die, wie ein flücht'ger Bergstrom, jeden Damm
Des Widerstandes ungestüm durchbrach.
Wachsamer Späher immer rege Blicke,
Der Sitte hergebrachte Macht verachtend,
Warb unverdrossen seine Lieb' um mich.
An langem Siechthum lag die Königin
Auf hoffnungslosem Krankenbett darnieder,
Vor sich ein unausweichlich offnes Grab,
Auf das ich meiner Zukunft Saat gesäet.
Da ward es klar in meinem tiefsten Leben,
Daß mir ein wicht'ger Augenblick gekommen,
Daß meines Busens lang verwahrter Wunsch,
Den ich genährt mit jeder Kraft der Seele,
Nun zeitig sey und reif zu der Geburt.
Auf schwanker Leiter Ungewissen Sieges
Ließ ich den König nach dem Ziele klimmen,
Und hingehalten bald durch Hoffnungsschein,
Bald durch ein wohlberechnetes Verweigern,
Stets gieriger, je länger er geharrt,
Ward Singald in des nie befriedigten
Verlangens starken Banden festgekettet.
Und als die Königin dem strengen Tode
Die längst verfall'ne Lebensschuld bezahlt,
Nahm ich mit seiner Hand, die er mir bot,
Den freigewordnen Platz auf seinem Throne,
Und auf mein niedres, kaum gekanntes Haupt
Setzt' ich beherzt die königliche Krone.
So ward ein großes Werk durch große Arbeit
Vollendet, und erreicht nach langem Streben;
Doch Liebe – nicht gesucht und nicht gegeben.

Margard.

Und dennoch hat die scharfgeschliffne Waffe,
Mit der du keck gespielt, dich nun verletzt?

Gylfe.

So ist es, wie du sagst! Ach, diese Liebe,
Die ich bis jetzt als Mittel stets betrachtet,
Ist nun der Zweck geworden meines Lebens;
Die ich beherrschte, sie beherrscht jetzt mich;
Doch kann ich ihre Macht nicht mehr besiegen,
Will ich ein Bündniß schließen nun mit ihr!
Dort kommt der Arzt vom Krankenlager her
Des Sohnes meines Herrn, der ohne Rettung fast
Ein tödtlich Nebel träget, wie man sagt,
Das ihn vor wenig Stunden erst befallen.
Das ist der Mann, nach dem ich senden wollte;
Er kommt erwünscht! Laß hören, was er bringt.

Vorige. Der Arzt.

Gylfe.

Wie steht es mit des Knaben Krankheit, Meister?
Wie hast du ihn verlassen? Rede wahr,
Und nicht verberge aus unzeit'ger Schonung
Das Unvermeidliche; ich bin gefaßt,
Es zu vernehmen.

Arzt.

Ehrenwerthe Frau,
So möge nicht dein königlicher Zorn
Mich, den Verkünder, treffen dieses Leids!
Ich weiß, obgleich dein Schooß es nicht getragen,
Du hast das Söhnlein deines Herren nicht
Stiefmütterlich behandelt, weil es lebte;
Ein wohlgeneigtes Herz und Muttersorge
Hast du dem früh Verlassenen bewiesen.
Du hast es; denn fürwahr, nicht länger wohl
Ist er der zarten Pflege mehr bedürftig.
Sein End' ist näher als des Tages Sinten!
Umsonst versuchet er im letzten Kampfe
Minuten noch dem Tode abzuringen.
Die kleine Kerze, ach! ist ausgebrannt;
Ein Hauch – und sie verlischt.

Gylfe.

Du hast, o Meister,
Mit tiefer Trauer meine Brust erfüllt,
In der der Hoffnungsschein noch nicht erstorben.
Ist keiner Wurzel Kraft, kein Heiltrank mehr,
Das flieh'nde Leben aufzuhalten?

Arzt.

Keiner.

Gylfe

(mit sichtbarer Freude, dann sich bemeisternd).
Wie? Keiner? – Keiner? Frommt die Kunst ihm nichts.

Arzt.

Nicht gegen Gottes Fügung kann die Kunst
Den ausgemessnen Lebensfaden dehnen.
Was sie vermochte, hab' ich treu versucht.
Ich gehe, ob zu trösten mir gelingt,
Wo ich nicht helfen kann.

(Geht ab.)

 

Vorige, ohne Arzt.

Gylfe.

Du nicht, Gesell',
Noch sonst ein Andrer, den ein Weib gebar!
Ins Herz des Lebens schlug der gift'ge Keim
Die tiefe Wurzel, seine Frucht ist Tod!
Doch wie die Blumen oft aus Gräbern sprießen,
Soll mir das Leben blühn aus diesem Tode.

Margard.

Ein seltsam Wunder stehst du vor mir da;
Es scheint dich, freudestrahlend, zu verklären,
Doch seh' ich Schauer ringen mit der Lust.

Gylfe.

Es ist die Zeit nun kommen seltner Wunder.
Dies Haus und sein verhängnisvoll Geschlecht
Ist todeskrank, und Tod nur kann es heilen.

Margard.

Erkläre dich!

Gylfe.

Verruchte Thaten sind
Geschehen seit der grauen Väter Zeit,
Und Mord auf Mord erschreckte dieses Dach,
Wo Kön'ge wohnten und wo unverletzt
Dem heil'gen Frieden und der Sicherheit
Ein ewig Obdach sich erheben sollte.
Vom Ahn zum Enkel erbte blutig fort
Gräu'l und Gewalttat in beständ'ger Kette,
Bis diese Stunde, und im steten Krieg
Ist dieses Volkes Blüthe hingewelkt.
Doch anders werden soll es mir fortan!
Der fluchbeladne Ast ist ausgedorrt,
Drum trenne ihn die Art vom frischen Baume.
Der Knabe Singalds, sichern Todes Beute,
Läßt diese Kron' erledigt, ohne Erben;
Soll sie ein Raub des blinden Zufalls werden?
Nein, nimmermehr!
Die alte Fehde soll nicht wiederkehren
Im Volke; nicht der kühnste Räuber soll
Der glücklichste auch heißen, nicht den Fuß
Auf seiner Brüder Nacken setzen, und
Das eh'rne Scepter schwingen über sie!
Die Saat des Friedens, die ich ausgesät,
Soll grünen; nicht die wilde Flamme soll
In meiner Pflanzung wüthen, – Einen König
Empfangen soll das Volk von meiner Wahl,
Das goldne Alter soll er wiederbringen,
Das in den Liedern lebt verschwundner Zeiten;
Er soll das Füllhorn reichen Ueberflusses
Auf dieses Landes schöne Fluren senken,
Das er regieret: Honigbäche sollen
Die Haine tränken, die sein Fuß betritt;
Den Himmel soll er bringen auf die Welt
Voll Seligkeit! – Ein edles Heldenhaupt
Soll sie regieren, wie die Sonn' es nie
Auf ihren weiten Reisen je erschaut;
Ein Gott der Erde, mächtig, tapfer, klug,
Geschmückt mit jeder Tugend, jedem Reiz,
Mit Liebesschönheit und mit Geisteskraft
Reich ausgestattet, soll ihr König seyn!
Und ich – ich ihre Königin!

Margard.

Wie soll
Ich dich verstehen?

Gylfe.

Froh, an meiner Hand,
Mein Herr und mein Gemahl, soll er den Thron,
Den ich zur Morgengab' ihm bringen will,
Besteigen. Dann, wenn über dieses Landes
Gepries'nen Boden erst ein König herrscht,
Ein solcher, der es ist, nicht, der es heißt,
Dann soll in meines Hauses engem Kreise
Mein Leben schwinden; Weib, nicht Königin,
Nur Gattin will ich dann und Mutter seyn!
Ja, Mutter will ich werden eines Helden! –
Du staunst mich an? – Ja, Margard, Gawin soll,
Der Herrliche, soll König dieses Landes
Und Gatte werden deiner Königin!

Margard.

Betroffen steh' ich da, Gebieterin!
Schwebt dir die Seele über Raum und Zeit?
Es lebet Singald ja! Und lange Jahre
Noch kann er leben. Nicht der Gegenwart
Hellglüh'nde Farben leihe deinen Wünschen;
Warum das Herz dir schmeichelnd denn bethören,
Warum den Sinn an eitlem Spiel entzünden,
Das nie zur holden Wirklichkeit sich dir
Gestalten kann, so lang' dein Gatte lebt,
Und sich der Sonn' erfreut und ihres Lichtes.

Gylfe.

In seinem Knaben ist auch er gestorben! –
Was soll sein schwacher Geist auf dieser Höhe,
Vor der ihm schwindelt? Lass' ihn niedersteigen!
Die Last, der seine Kräfte nicht gewachsen sind,
Von sich soll er sie legen, soll in Frieden
Die letzte Neige seines müden Lebens
In stiller Eingezogenheit beschließen.

Margard.

Hab' ich die kühne Rede wohl verstanden?

Gylfe.

Du hast es! – Abgethan von seiner Würde
Mag er hinfort auf einer fernen Burg
Sich eitlen Sorgen dieser Welt entziehn.
Nicht ungewöhnlich ist's in diesem Hause,
Daß, ehe sie der blasse Tod ereilt,
Die Könige von ihren Sitzen steigen.
Er mag sich Kunde holen solcher That
In der Geschichte seiner eignen Ahnen.
Er selbst vertrieb den König Branor einst
Mit seinem Kinde, nun vertreib' ich ihn.

Margard.

Du hast ein schweres Riesenwerk begonnen,
Magst du zur guten Stunde es vollführen;
Denn nicht in jeglicher reift für die That
Der glückliche Erfolg! Deßhalb, o hohe Frau,
Eh' wolle nach dem Sternendeuter senden,
Der, hoch auf des Gebirges Gipfel wohnend,
Dem Lichte näher als der dunklen Erde,
Sein greises Haupt im Himmeläther badet,
Im reinen, lebenskräft'gen, den noch nicht
Der Erde schweres Dunstgewölk' erreicht.
Dort späht er unverdrossen Tag und Nacht,
Wie sich die Himmelszeichen wechselnd stellen;
Der Zukunft große Werke anzudeuten.
Nach diesem send' ich, daß er Wahrheit künde.

(Geht ab.)

Gylfe (allein).

Die Sterne stell' ich selbst, wie ich sie brauche! –
Weil ich die Stunden prüfend erst erwäge,
Weiß ich, daß ich die günstigen erwählt.
Der braucht den Himmel spähend nicht zu fragen,
Der auf die Erde fest den Blick gewandt;
Weil ich dem eignen Auge stets vertraut,
Ist mir die Hoffnung selten fehlgeschlagen.
Der fällt zuerst, der in die Wolken schaut.

Gylfe. Ein Diener

Diener.

O, Königin! gefaßten Muthes wolle
Unsel'ge Mähr' vernehmen, die ich bringe:
Das königliche Knäblein –

Gylfe.

Es ist –?

Dienet.

Todt!

Gylfe

(nach einer Pause, während welcher eine heftige Gemütsbewegung in ihren Zügen sichtbar wird).

Todt! – Todt! –

Diener.

Herr Singald stehet bleich und starr,
Wie ein vernichtet, lebenloses Bild,
An seines Söhnleins Lager, rauft sein Haar,
Und will nicht lassen von dem todten Kinde.
Ihn wolle trösten, Herrin!

Gylfe.

Geh', ich komme!

(Der Diener geht ab.)

Gylfe (allein.)

Warum erzittr' ich und ein Schauer dringt
Erkältend mir zum Herzen? Ha, du meine Brust,
Du feste Burg, Wohnsitz entschlossnen Muthes,
Sey nicht der Feigheit Herberg' und bestecke
Mit kranker Blässe mir die Wange nicht!
Das Antlitz ist ein offnes Aushängschild
Von unsers Busens fest verschlossnem Hause;
Drum lass' der Ruhe Farb' ihn tragen, daß
Er nicht des Innern schmählicher Verräther werde.
Muth! Muth! – Warum so kalt den Rücken auf
Und nieder rieselt mir die Furcht? – Weh! –
Was zu beschließen ich beherzt gewagt
Und auszuführen, nun zu tragen scheu' ich's –
Nur Muth! Wie, meine Seele,
Die dem gespannten Bogen glich, und kühn
Der Thaten Pfeile von der Sehne sandte,
Ist sie nun, ähnlich der gebrochnen Waffe,
Nicht mehr zu spannen? – Muth!

(Man hört von ferne Hörner und Volkslärm von der Straße.)

Ha! hör' ich recht?
Den Klang der Hörner von den Thürmen schallen,
Das frohe Jauchzen der entzückten Menge?
Er ist's! er ist's! – Es zieht mein Liebster ein
In diese Burg, Gawin, mein Heil, mein Hort!
Gewonnen hab' ich wieder meine Kraft!
Fahr' hin, schwachherz'ge Wallung, scheue Angst!
Das Glück zu fesseln wagt' ich, meinem Dienst
Mit Zwang es bindend, weil vor mir es floh:
Was ist das mehr? – Ist's Sünde? – Nun, fürwahr,
So ist der Preis, um den ich sie begangen,
So groß und herrlich, daß zur Tugend selbst
Er das Verbrechen adelt! – Lenz des Lebens,
Wie bald verrinnst du, einer Sommernacht
An kurzer Dauer gleich. Vorüber sind
Die ersten Stunden gählings mir entflohn
Und unbenützt zur Lust, gleich hohlen Schäumen
Der trüben Welle, die der Wind bewegt;
Darum, du zweite Hälfte meines Schlafes,
Erfass' ich dich, dich froher zu durchträumen!

Man hört Schmettern der Trompeten und den Jubel des Volkes immer näher dringen.)

O, Ton des Jubels und der Lust! – Auf, ihm entgegen!

(Sie eilt schnell nach der rechten Seite; nahe an der Thür bleibt sie stehen.)

Bin ich bei Sinnen? – Zu dem Todten muß ich!
Zu Boden senkt euch, Augen, Thränen fließet,
Die Lust zu bergen, die die Brust verschließet;
Die Stirn umwölke Schmerz, und das Gesicht
Verkünde Gram – fühlt auch das Herz ihn nicht!

(Sie geht gelassen nach der entgegengesetzten Seite ab.)

Der Vorhang fällt.


 << zurück weiter >>