Paul Zech
Der schwarze Baal
Paul Zech

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Gruft von Valero

(1911)

I

Unter den Zwanzig, die den Förderkorb betraten, als er schon murrend in den Gelenken knackte, waren zwei bemerkenswert. Piet, der Vollhauer und Jonsen, sein Gehilfe. Sie waren Wühler auf derselben Sohle. Piet begrüßte den Jonsen zuerst. Ein kurzes heftiges Anziehen durch die Nase ging seinem Gruß voraus. Und der Fall seiner Worte gluckste wie das Gerinsel einer Regentraufe.

»Wir werden heute den neuen Flöz anpacken. Du weißt ja, den am Wetterschacht. Saure Arbeit wird's geben!«

Dabei stieß er seine Fäuste klumpig empor wie fluchend. Und sein Gesicht schrumpfte aus dem Ungewissen des Lichtes tierisch ins Besessene.

Jonsen nickte. Nickte nur und sagte rein nichts. Vielleicht war es ein Vorgefühl tiefsten Schreckes. Zudem krankte er an der Formulierung eines Prinzipes zu höherem Lebenszweck. Man sagte unten im Dorf, daß er nur Studien halber sich ins Joch gespannt hatte.

Polternd schüttete der Korb die Hauer auf den Gang. Sie rannen auseinander wie gewordene Brut aus Schalen. Immer in Trupps zu zwein und drein.

Piet und Jonsen hatten von dem Steinriff, wo die Knappen in gesonderten Höhlen Hacken und Schaufeln rührten, noch eine viertelstündige Wanderung zu machen. Das gewohnte dumpfe Surren der Kippwagen, das Kreischen der Sauerstoffgebläse und alle Geräusche von Schlägel und Bohreisen hinderten nicht, daß den Wallern die Minuten durch den stockdunklen Gang lautlos erschienen, wie von einer bis zur letzten Endung gespannten Feder gehalten.

Jonsen hob die Lampe. Ein winziger blauer Kranz umschwirrte zitternd den roten Lichtkegel.

Piet schnüffelte lange und verdrehte die Augen wie unter der Nähe von etwas bitter Süßem. 42

»Hier stimmt es nicht mit der Luft. Die Berieselung klappt ja. Aber die Enge – – die Enge. Spürst du das denn nicht?«

Jonsen verneinte. Aber mit offenen Augen horchte er herum. Endlich, leise . . . aus Tiefen – rauschten Dinge. Aber er war nicht aufgeklärt, sie zu deuten. Sein Instinkt war hier einfach abgeschraubt.

Da ging Piet voran. Der gekrümmte Rücken, dessen Muskulatur bei jedem Schritt aufschwoll, sowie die eckigen Knullen der Oberarme scharrten an der Verzimmerung. Feuchtigkeit triefte dünn von den Bohlen herab. Der schwarze Schlamm lag zäh wie ein pilziger Brotteig auf dem Boden und sog das Schuhzeug an: schöner Teppich für Besoffene. Ins Gesicht Getropftes schmeckte sauer und ließ den Speichel auf der Zunge gerinnen. Es ließ sich auch nicht vernichten. Klebte sich an die Kleider und wurde gewohnt.

Piet und Jonsen standen am Ende der Sohle. Der Fels, das reine, schwarzglänzende Fleisch der Erde, hob sich aus dem überschwemmten Bett der Seugen.

An einen Pfosten, dem lange Schmarotzer der Fäule wie Strähnen eines verwilderten Bartes herabhingen, klemmten sie die Lampen. Piet tat noch den grünen Kittel hinzu.

Eine torartige Verzimmerung schloß den Gang ab. Dahinter lag der Schlagwetterherd, die Gruft. Man war gewohnt, nie von dieser Leichenkammer zu sprechen, ohne sich zu bekreuzen. Vielleicht waren noch Scherben darin von Toten, die vermißt wurden, damals vor zehn Jahren, und die man nie wiederfinden wird. Achtzig waren eingefahren und nur siebenundsechzig hatte man ausgegraben. Dieses befahl Furcht. Und Jonsen fürchtete sich. Sein Blut sah. Und sein Gehirn fühlte so, wie man, von einer Ursache geregt, fühlen kann. Aber er konnte es sich nicht erklären und das Trübe des Geahnten nicht filtern. Darum meinte er:

»Warum mauert die Verwaltung das Ding nicht zu? Tote wollen doch ihre Ruhe. Gestörte Ruh aber fordert Opfer.« 43

»Na, Jungchen, die Herren glauben, daß sich der Teufel wieder verkriechen wird. Voriges Jahr ließen sie den Berg absuchen. Aber der schwarze Satan speit immer noch Gift. Wir wollen gleich mal schaun!«

Jonsen zitterte vor dieser Schwärze. Als er noch klein gewesen war, litt er unter epileptischen Anfällen. Vielleicht war das Zittern in manchen Minuten, die dieser glichen, ein matter Nachhall der Krankheit.

Piet aber riß mit Gewalt das Brett los und zwängte seinen zyklopischen Körper durch den Spalt.

Jonsen zögerte.

»Du hast wohl Angst, mein Lieber, was? Nicht? Na, dann lang' mir mal die Lampe her!«

Er reichte sie ihm durch das Dunkel und kroch hinterdrein. Der Frost stand ihm auf der Haut, die wie mit grobem Sand bestreut war.

Das träge Dunkel, das Jonsen überfiel, war mulmig, wie zerkaut und ausgespien. Das Grundwasser klatschte breiig gegen seine Schaftstiefel. Irgendwoher kam ein Geräusch wie angestrengtes Sägen. Stahl durch Stahl.

»Nun schau mal her, Jonsen. Siehst du diese Blasen? . . . Hier die Klumpen meine ich! Da unten kommt es herauf.«

Piet bückte sich noch tiefer herab und betastete mit dem hochgeschraubten Licht den Boden. Das Wasser war wie mit Millionen Perlen bestreut; Blasen, die ständig emporrollten und zerschlugen, gerieben durch ein ewiges Grau.

»Wird denn hier nicht mehr gepumpt?« fragte gedehnt Jonsen.

»Aber gewiß, gewiß doch. Da, vom andern Ende pumpen sie schon seit Jahr und Tag Hunderttausende von Kubikmetern frische Luft hinunter. Der Satan schluckt das aber wie Wein und mästet sich daran. Der geht nie hier weg.«

»Und wenn man einen Luftschacht baut?« 44

»Dann fällt der Dreck wieder zusammen wie damals. Unser Schliefche war auch schon drin. Meine Alte hat ihn noch an der geflickten Hose erkannt. Gesichter hatten sie alle nicht mehr. Die hatte das Wetter eingeschlagen.«

Piet schwieg einen Augenblick. Sein Gesicht verzog sich grimassenhaft gelb. Seine Schultern bogen sich flach herab. Die Lampe pendelte wie ein Zeiger, der die letzten Sekunden eines Mörders unter dem Beil von der Endung schneidet.

Dann wurde der Ausdruck seines Gesichtes wieder borstigrot. Die Schultern hoben sich in Beruhigung. Die Lampe stieg.

Jonsen hatte sich mit dem Rücken gegen die Verschalung gestemmt. Übelkeiten zerwalkten seine Gurgel. Durch die gehöhte Tätigkeit der Nerven sah er viel schärfer und suchte, wie in Sturmnächten, einen unbekannten Weg.

Piet rüttelte Jonsen auf: »Siehst du den Fels dort? Da geht der Flöz durch, den wir anreißen sollen. Von hier hätte man halbe Arbeit. Aber was nicht geht, kommt auch nicht. Und solange der Teufel hier die Luft verpestet –«

Sie schritten auf den Gesteinssturz zu. Glänzend frisch, wie die aufgehauenen Innenseiten eines Ochsen, quoll der schwarze Flöz heraus.

»Das ist schon ein massives Kohlchen,« meinte Jonsen interessiert.

»Eigentlich sollte man den Abbau vornehmen. Es muß doch Mittel geben, die Wetter wegzublasen. Wenn eine Pumpe nicht genügt, nimmt man drei. Vielleicht kümmert sich der Steiger darum.«

»O Jonsen, der möchte schon. Aber die Direktion will noch nicht. Vorläufig wenigstens. Die andern Sohlen liefern ja genug. Und dann: sie bluten jetzt noch, die Aktionäre. Der Bruch hat viel Geld gekostet. Einmal aber müssen sie doch anfangen. Nur ich werd's schon nicht mehr erleben. Gewiß nicht.«

Er wischte sich mit der Hand über die Stirne, und mit zwei Fingern strich er sich über die Augen. 45

Dann zupfte er Jonsen am Ärmel und zog ihn hinaus. Schichten von ausgelebten Stundenkörpern fielen zurück. Sie trugen gestohlene Larven vom Schauplatz der Seelen.

Als Jonsen im Hinausgehen endlich begriffen hatte, was war, kroch er wie ein getretenes Tier und wünschte sich weg.

Mit einem Faustschlag setzte Piet die Bohle wieder in die Öffnung. Der blaue Lichtkegel in der Lampe stumpfte ab und ließ sich von der Röte der Dochtstrahlung verschlingen.

Die beiden Hauer bogen schweigend um die Ecke und setzten das Gezähe in den harten Stein. Schränen und Schürfen füllte die sechs Stunden der Restschicht. Wie dumme Kletten in Mädchenhaaren saß das Radgetriebe der Fron im Blut beider und mahlte Schweiß und Ächzen.

Ehe sie die Schicht beendet hatten, kam der Steiger und störte.

Er schnupperte wie ein Polizeihund am Gestein herum. Klopfte, horchte und trat in den Abbruch.

»Ich werde morgen noch ein Dutzend Kerle herschicken,« sagte er gedehnt.

Piet zerbiß einen dicken Fluch. Jonsen sah nicht auf.

Dann verließ der Steiger mit den beiden den Ort. Sie schritten wie Gänse durch die Enge. Jonsen war der letzte. Über eine verschobene Schiene stürzte er plötzlich und brach das Bein.

II

Man hatte Jonsen ins Spital geschafft. Die süßen Giftgerüche waren Räuber seines Gehirns für Wochen. Wie durch einen blutroten Nebel sah er die nahen Fördertürme und Schachtgerüste. Geräusche, die durch die geöffneten Fenster gekommen waren, empfand er wie die Nähe eines Meeres, das von verschluckten heißen Untergängen wimmelt. Die Schwestern waren einfach unerträglich. Und die Ärzte griffen zu wie Henker. 46

Manchmal umschwirrten ihn Bestimmungen: was tatest du! Du! Wen wecktest du! Wen wecktest du!

Die Feinde, unter denen er hier lebte, wann würden sie das Seil knüpfen . . . die Klinge heben . . . das Gift gießen?

Begräbnisse fuhren stündlich durch sein Gehirn. Er schritt hinter seinem eigenen Sarge einmal.

Und als er sah, wozu er geholfen hatte, dachte er: gerade das Gegenteil wollte ich.

Das Fieber aber war stärker als der gepfählte Willen. Es zerstäubte ihn völlig. Wie Töne eines dunklen Spieles. Schmerzen des Wachen rissen sie fort.

An einem Sonntage kam Piet zu Besuch. Jonsen richtete sich auf. Aus dem gebürsteten Sonntagsrock des Kameraden kam ihm ein lieber Geruch zugeweht.

Piets Stimme machte einen brutalen Griff: »Daß du auch so ein Tölpel sein mußt! Warum hast du das nicht dem Steiger überlassen? Läg der hier, wäre die Gruft nicht offen. Nun sind wir drin. Acht Tage haben wir gebraucht, um den Sumpf zu stopfen. Aber weißt du, der Satan ist immer noch da. So was riecht man doch. Die andern ja gewiß nicht. Aber weißt du, eine Kohle gibt es . . . o, . . . eine Kohle . . . die Kerle haben noch nie so verdient. Und du mußt hier nun faulenzen! Na, es geht doch besser? Was?«

Piet beugte sich herab. Sein langer Bart kitzelte Jonsens Ohr. Sein Atem war geschwängert vom Geruch der Gruft. So schien es Jonsen. Und dieses Fühlen von Verwestem, das durch seine Wachträume gerast war solange er hier lag, ließ ihn zurückschaudern von der Berührung mit den Händen Piets.

Aber Piets Hände waren wie Eisenklammern. Wie Zangen. Und griffen zu.

Er saß eine Viertelstunde auf dem Matratzenrand Jonsens. Der Abend brach weißgelb herein. Todbereite und Genesende dieses 47 Saales freuten sich daran. Beflügelung ihrer Atemzüge klang wie Vogelgezwitscher. Urteile waren aufgehoben. Hoffnungen stiegen strahlend und standen real. Jonsens Blut allein ging träge. Manchmal setzte das Herz ganz aus. In diesen Augenblicken der absoluten Leere nickte der kahle Schädel Piets in sein Bewußtsein hinein wie die Fratze eines Skeletts. Er hatte sicher noch Wundfieber. Denn er schrie plötzlich auf.

Piet sprang wie gestochen empor und rief die Wärterin.

»Sie haben den Jonsen behext,« schrie sie wutkreidig auf und stand wie ein Panther geduckt vor ihm.

Piet drehte die Mütze in den schwitzigen Händen und ging langsam rückwärts zur Tür. Die großen Ohren, die von seinem Kopf weit abstanden, bogen sich wie krumme Hörner vor.

»Satan! Satan!« bellte da Jonsen und war mit einem Satz aus dem Bett. Aber die Beine hielten ihn nicht und warfen ihn platt auf den Boden. Man mußte ihm die Zwangsjacke anlegen. Vierzehn Stunden währte das Delirium.

Die schwarze Fahne des Todes und die rote des Wahnsinns umarmten sich. Doch das Dickträge des bäurischen Blutes hielt sich wie ein Wall. Das Gift schrumpfte einschläfernd zurück.

III

Mitten im Winter warf man den wieder gesunden Jonsen aus dem Spital. Die Schlackenhalden glänzten wie blaue Schneeberge. Vom Förderturm rutschten die Seilbahnen wie Gletscher. Den Häusern waren greise Bärte gewachsen von den Dächern. Fenster schauten blind wie aus weißen Wimpern.

Jonsen ging lahm auf einem derben Stock gestützt. Der Schimmelwirt nahm ihn wieder auf. Jonsen schuldete diesem bierseligen Faulenzer noch achtzig Frank. Die sollte er abarbeiten. Ein Lahmer ist immerhin noch als Nachtwächter nütz, hieß es auf der48 Gewerkschaft. Jonsen bemühte sich um diesen Posten. Aber er dachte sich fast widerwillig auf die Grube. Noch waren Pläne da, die harrten. Seine Organe betrogen ihn nicht. Seine Ohren hörten lange die Melodie des wiedergewordenen Fronens und griffen danach. Richteten sie auf und verdrängten andere Assoziationen. Gewesenes zeigte sich in neuer Gestaltung. Alles Seiende vermochte nichts mehr zu gestalten. Der dünne Strich Verzicht war nur noch ein kaum gesehener Punkt.

Nach dem Abendessen sagte der Wirt zu Jonsen: »Daß die Gruft sich wieder aufgetan hat, weißt du wohl? Zwanzig Kerle hat sich der Satan geholt. Schade um den Piet. Es war ein schönes Begräbnis. Die Knappen von Ronsdael und Saint Leger waren mit ihren Fahnen gekommen.«

Es war etwas Gebieterisch-Entsetzliches in dieser grauenhaft nüchternen Rede des Berichtes. Feuer und Schwefel standen darüber und dörrten Blutströme.

Jonsen war aufgesprungen. Er hielt sich die Schläfen, die schmerzhaft hämmerten. In seiner Kehle war kein Ton. Nur eine schwärende verklumpte Tiefe. Ein Reflex kam herauf und spiegelte das Wiedersein der Gräuel als Meer im Gehirn.

Das Gesicht des Schimmelwirts hatte sich zu einer Grimasse breiten Lächelns verzogen. Es kam wie ein Pfiff: »Den Steiger haben sie eingesperrt. Er soll an allem schuld sein . . . he . . . he, he, he.«

Als Jonsen die ohnmächtig gebrochenen Augen auftat, um einen Satz zu sprechen, sah er hundert Gesichter. Flache Fratzen wie Fischbäuche und teergesalbt von der Schwärze der Explosion, fuhren ihn an mit Augen, die aus den Höhlen gesprungen waren. Heißer Atem qualmte auf und sengte alles Denken an.

Der Schimmelwirt glotzte Jonsen an wie: ist der Bengel verrückt! Hat er Fusel gesoffen? Gestohlenen Fusel? 49

So quälte er Jonsen und hatte den Heiligenschein Luzifers mit einem Mal. Da riß Jonsen eine Flasche vom Tisch und schlug sie dem Wirt in die Fratze. Säufer und Weiber liefen zusammen.

Jonsen wollte fliehen. Hinunter in die Gruft. Zu Piet – zu Piet – und weiter . . .

Der Gendarm aber legte ihm blanke Handeisen fest um die Gelenke.

 


 << zurück weiter >>