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Sie stiegen aus dem Auto. Er entlohnte den Chauffeur und führte sie ein paar Häuser weiter. Zwei Fenster in einem großen dunklen Hause strahlten im elektrischen Licht.
»Sehen Sie«, sagte der Schauspieler, »das ist ihr Boudoir! Jetzt sitzen sie wohl beisammen und plaudern und –« er knirschte es zwischen den Zähnen – »kosen«.
Aber Lisbeth Glümer widersprach heftig.
»Nein. Sie irren sich in Herrn Ladenburg.«
Sie war so entrüstet, daß sie eine Bewegung machte, um sich zu entfernen.
»Bleiben Sie doch!« hielt er sie zurück. »Sie werden sich dann ja überzeugen können.«
Und als sie in der Tat wieder stehenblieb und wieder nach den hellerleuchteten Fenstern hinaufstarrte, fügte er hinzu: »Sie wissen ja nicht, welche Macht sie über die Männer hat, wenn sie es darauf absieht. Ich möchte einmal den sehen, der ihr widerstehen könnte.«
Ihr schoß die Glut inniger Überzeugung ins Gesicht.
»Er ist nicht wie die andern.«
»Desto besser für Sie und für mich! Aber ich bin skeptisch und werde warten.«
»Bis er die Vorlesung beendet hat und nach Hause geht – ?«
Aber der Schauspieler schüttelte ingrimmig sein Haupt.
»Bis er mit ihr in – ihr Schlafzimmer verschwindet.« Er deutete auf die beiden letzten Fenster in der Front des Hauses. Dann schritten sie vor dem Hause auf und ab, schweigend, jeder für sich seinen Gedanken und Gefühlen hingegeben. Ab und zu richteten sich ihre Blicke voll Spannung nach oben. Plötzlich – es mochte etwa eine Viertelstunde vergangen sein – erlosch das Licht in dem Boudoir der Schauspielerin.
»Passen Sie auf!« sagte der Schauspieler mit vor stärkster Erregung heiserer Stimme.
In atemloser Spannung starrten sie hinauf. Der Mime behielt recht. Plötzlich flammte das elektrische Licht hinter den letzten beiden Fenstern auf, und man sah für einen kurzen Augenblick einen weiblichen Arm und das Profil vom Gesicht der Schauspielerin. Im nächsten Moment wurden die Vorhänge zugezogen; einen kurzen Augenblick erblickte sie noch einen weiblichen Schatten, der sich rasch verflüchtigte.
»Glauben Sie mir nun?« zischelte der Schauspieler und lachte rauh auf.
Lisbeth Glümer stöhnte und stand wie gebannt, keinen Blick von den beiden erleuchteten Fenstern lassend. Da tauchten auch plötzlich diese in die Dunkelheit zurück, und das ganze Haus lag dunkel vor ihnen. Halden ballte seine Hände und schüttelte sie theatralisch gegen die erste Etage. Ein Schauder lief durch den Körper der neben ihm Stehenden; die Zähne schlugen ihr wie im Fieber zusammen; ihre Augen hefteten sich auf die Haustür, und ihre Ohren lauschten nach dem Schritt des Ersehnten. Vergebens!
Da kam eine Aufwallung leidenschaftlichen Zornes über den Schauspieler.
»Ich bringe sie um – sie und ihren Buhlen. Schon das letztemal habe ich ihr angedroht, daß ich sie töten würde, wenn sie noch einmal –«
Er stürzte davon. Lisbeth Glümer hinter ihm her. Er bog um die Ecke und machte vor einem der nächsten Häuser halt. Während er in seiner Tasche nach dem Hausschlüssel suchte, hatte sie ihn erreicht.
»Was wollen Sie tun?« keuchte sie.
»Meinen Revolver holen, und wenn sie ihren Galan entläßt, beide niederknallen!«
Damit riß er die Haustür auf und stürmte die Treppe hinauf. Sie folgte ihm auf dem Fuße und drängte sich nach ihm in den Korridor seiner Wohnung.
»Was wollen Sie?« fragte er, nachdem er das elektrische Licht im Zimmer eingeschaltet hatte.
Er wandte sich, ohne ihre Antwort abzuwarten, nach dem Schreibtisch und steckte den Schlüssel ins Schloß. Sie umspannte seinen Arm mit ihrer Hand.
»Sie dürfen nicht, stieß sie, außer sich hervor. »Wollen Sie zum Mörder werden?«
Er starrte sie an, seine Hand sank kraftlos herab. Dem Wutanfall folgte die Reaktion. Stöhnend ließ er sich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch sinken und schlug die Hände vor das Gesicht. Sie stand hinter ihm und beobachtete ihn ängstlich. Da ließ er seine Hände sinken und kehrte sein blasses, verstörtes Gesicht nach ihr um.
»Was werden Sie tun?« fragte er.
Sie zuckte resignierend die Schultern.
»Was soll ich tun? Töten werde ich niemand – höchstens mich«, fügte sie mit leiser, ersterbender Stimme hinzu.
Er lachte spöttisch.
»Natürlich! Weiberart! Dem ungetreuen Mann das Feld zu räumen, und nach acht Tagen hat er Sie vergessen und buhlt mit der anderen weiter.«
Da brach sie erschüttert auf dem nächsten Sessel zusammen, und die Wirkung der erlittenen Aufregungen der letzten Stunden machte sich in einer Ohnmachtsanwandlung geltend. Halden holte eine Flasche Portwein und flößte ihr ein halbes Glas voll ein, dann schenkte er auch sich ein und leerte ein volles Glas in langen Zügen.
Und als sie nun in ein bitteres Weinen ausbrach, zog er sie, sich neben sie setzend, an sich und tröstete sie.
»Armes Kind! Sie tun mir ja so furchtbar leid. So sind wir Männer nun mal, schwach schönen Frauen gegenüber. Armes Kind! Kommen Sie, trinken Sie. Es gibt kein besseres Linderungsmittel als den Wein.«
Sie ließ sich zureden und leerte ihr Glas. Dann umschlang er sie mit einem Arm, und sie lehnte müde, weinend, wie ein Kind ihren Kopf an seine Schulter. Er küßte ihr die Tränen aus den Augen und küßte sie auf den Mund, und sie ließ es geschehen, matt, ganz von ihrem Schmerz vernichtet, halb bewußtlos.
*
Der Morgen graute schon, als Lisbeth Glümer die Wohnung des Schauspielers verließ. Sie war in einem völlig apathischen Zustand. Mechanisch stieg sie in das nächste Auto, das ihren Weg kreuzte, und ließ sich nach ihrer Wohnung fahren. Nur ein Gedanke war in ihr: nun war alles aus, nun blieb ihr nur der Tod. Der Ekel schüttelte sie, während sie daran dachte, was sie getan. War sie denn wahnsinnig gewesen? Oder war es die Wirkung des Weines, der sie betäubt, willenlos gemacht hatte, so daß sie nicht imstande gewesen, dem ungestüm begehrenden Mann Widerstand zu leisten?
Nun konnte sie dem Geliebten nicht mehr gegenübertreten. Denn was hätte sie ihm sagen sollen? Ihn täuschen? Er würde es ihr sofort angemerkt haben. Nein, unmöglich, ihn zu belügen, unmöglich, so weiter zu leben. Und wenn er sich auch selbst schuldig gemacht hatte, er würde es ihr nie verzeihen. Völlig ausgeschlossen, daß sie nun miteinander weiter verkehren konnten, als wäre nichts geschehen! Was sollte nun aus ihr werden? Sie wußte ja, wie es kommen würde, nun gab es keinen Halt mehr: sie würde von einem Arm in den anderen gehen. Lieber sterben! Sie war keine Junggesellin nach Art ihrer Kusine und der anderen. Die Grundsätze, die ihr Else Hauf gepredigt hatte, galten nicht für sie. Dazu gehörte ein stärkerer Geist, ein stärkerer Wille, als sie ihn besaß.
Um vier nachmittags, so hatten sie verabredet, sollte sie zu Ortwin kommen. Und nun stand sie hinter dem Store und starrte auf die Straße hinaus. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, so war es die Tatsache, daß er nicht kam. Sicher wäre er gekommen, um nach ihr zu sehen und sich nach der Ursache des Ausbleibens zu erkundigen, wenn ihn nicht das Bewußtsein seiner Schuld zurückhalten würde.
Um zehn Uhr schloß sie sich ein. Dann nahm sie den Brenner von der Gaslampe und drehte den Hahn weit auf. Während sie sich entkleidete, fuhr es ihr durch den Kopf: Wer in die Zukunft blicken könnte! Würden die Frauen es immer mehr den Männern gleichtun, würden immer zahlreichere Mädchen als Jungesellinnen leben, wie Else Hauf und die anderen es taten? Oder waren das nur Auswüchse einer Übergangszeit voll Irrtümern und Fehlgriffen? Und würde einst die Reaktion kommen und eine bessere Zeit einleiten, in der die Frauen nicht mehr die Unterdrückten, die Mißbrauchten waren, sondern gleichberechtigt neben dem Manne lebten in einer schöneren, würdigeren Stellung als heute und ohne über ihre Frauennatur hinauszustreben.