Edward Young
Nachtgedanken
Edward Young

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Neunte Nacht.

Tröstung.

Fatis contraria fata rependens.
                                      Virg.

Dem Herzog von Newcastle.

                  So wie ein Wand'rer, der den langen Tag
Sich um ein Ziel, das vor ihm flieht, ermüdet,
Wenn Nacht nun sinkt, der nächsten Hütte froh,
Verlor'ne Mühe erst in Ruh' erwägt,
Sich dann erquickt mit dem, was giebt der Zufall,
Zuletzt die Zeit mit einem Lied beschleicht,
Bis seines Schlummers rechte Stunde kommt:
Also nahm ich nach langer Pilgerfahrt
Auf jenen Wegen, welche Menschen wandeln,
Nach manchem Taumelgang durch's Labyrint,
Wo auf der Hoffnung Pfad die Täuschung spottet,
Gewarnt vom matten Strahl des Lebensabends,
Die letzte Heimath unter niederm Dach,
Entzog den Sinn den weitern Reiseplanen
Und harre in Geduld der süßen Ruhestunde, 384
Indeß ein ernstes Lied die Augenblicke fördert.
Gesang besänftigt unsre Pein, und Pein
Hat zu besänft'gen jedes graue Haupt.
    Schon löschen Alter, Sorge, Schuld und Gram
Ob den vom Herzen mir geriß'nen Lieben,
Und, um mich schwebend, düstre Todesnacht
In meiner Brust die heil'ge Ätherglut;
Wirst du, o Nacht! noch einmal mich begeistern?
Noch einmal sey mir hold! dann schlaf', mein Lied,
Bis dich einst Raphaels goldne Saiten wecken,
Um dort, wo es nicht Nacht mehr giebt, noch Tod,
Wo Alter, Sorge, Schuld und Gram verschwanden,
Mit einzustimmen in die ewigen Gesänge,
Zwar höher, reiner lautend, doch im Grundton,
(Mir sagt's mein Herz) dem schwachen Vorlied gleich!
    Erwies die Muse dir die rein're Lust,
Die himmlisch hold die andern Freuden ächtet?
Erwäg' ihr innig Wort zu dir, Lorenzo!
Erwäg' es edel ernst und dann sprich aus,
Ob dir noch Recht zum Stolz' des Siegers blieb?
Mir däucht, du wirst dem kühnen Wahn entsagen.
Doch könntest du, vom Irrthum hingerissen,
Mit redlichem Bewußtseyn stolz noch lächeln,
So schenkt auch redlich Mitleid dir mein Herz. 385
Der Körperkranke ruft den Arzt zu Hülfe;
Doch nach der Krankheit Zuwachs lechzt der Seelensieche,
Und läg' er an dem Rand des Grabes auch,
So träumt er noch von herrlichem Befinden;
Schon halb genesen ist, wer krank sich fühlt.
Nahm dir das Schamroth der Natur Gewohnheit,
Erlag Gewissen wiederholter Kränkung
Und wuchs die Sünde in das Leben ein,
Dann wird der Flüche Fluch: den Fluch zu lieben;
Wir tragen dann die schwarze Schuld zur Schau
(Wie mit dem tiefsten Schwarz der Neger prangt)
Und sagen, wie der Ruh', den Sinnen ab.
    Doch fern sey Schuld und Schmach und schnöder Zusatz,
Es strahle Lust und Ruhm ganz fleckenlos:
Doch sind sie deines Herzens noch nicht werth.
Es funkelt deinem Aug' nicht Lust, nicht Ehre,
Der ich, durch einer Stunde Scheideflor,
Vom Schicksal nicht die Trauer weben sähe;
In Gram versenkt sich Lust, in Schmach die Ehre,
Mit Heulen ziehn die Furien Todesglocken,
Und das Gewissen, jetzt kaum hörbar flüsternd,
Ruft laut in ew'ger Donner Wiederhall. 386
    Wo sind sie nun, die in der ersten Reihe
Des Schauspiels vom verwichnen Jahr' erglänzt?
Wo stolze Haltung, Federbusch, Cothurn?
Wie mancher schläft, der wach die Welt erhielt
Durch Schimmer und Getös! Rief Stillstand aus
Der Tod und legt' er ab den satten Speer?
O sieh! noch schwingt er ihn! Nicht fester hält
Auch dieses Jahr sein Menschenlaub und streut
Nicht karger um sich her das schwache Leben.
    Doch! es bedarf der Monumente nicht,
Zum Ernste den Gedanken aufzufordern;
Es zeugen uns des Lebens froh'ste Szenen
Für Menschen-Sterblichkeit in blühn'derm Styl,
Doch minder deutlich nicht, als Mausoläen
Und Pyramidenprunk und Gruftenmarmor.
Was Edles auch Verzierungskunde schafft,
Ist's mehr als Todtentanz, dem Leben schmeichelnd
Durch Kunst des Pinsels und des Meisels Walten,
Auf schön bemahltem Tuch, aus dem geformten Steine?
Die Bühne schmücken unsre Väter aus,
Nein! Sie erscheinen eigentlich auf ihr;
Die Lust bevölkert ihren Sitz mit Todten.
    »Auch eingestand'ne Lust verfiel' dem Banne?«
Gewiß! auch sie bringt uns ein Sterbekleid 387
Und predigt, gleich dem Kranz am Grabe, Tod.
Wie kühne Räuber um verscharrte Schätze,
So plündern wir um Zeitvertreib die Gruft,
Entbieten aus dem Schlaf im Staub den Helden
Zur Bühne hin, uns dort zu unterhalten;
Da sitzen wir, gleich übermüth'gen Göttern,
Und schwimmen, von Unsterblichkeit umhüllt,
In edelmüth'gen Thränen über Arme,
Die für den Tod die Mutter nur geboren;
Ihr End' beweinen wir, des eignen zu vergessen!
    Ist unsers Lebens Prunk und Herrlichkeit
Mehr als ein blühend anerfallen Erbe?
Denn unser magrer Boden wurde üppig
Und reich an fettem Wuchs des eiteln Tandes
Durch uns'rer Freunde Staub, den er empfieng.
Kostbare Besserung! Gleich andern Würmern
Begehen wir des Schmauses Fest an Todten;
Und kröchen wir auch, andern Würmern gleich,
Nur immer fort, blind für die eigne Schwäche
Und für des Daseyns nahes Ende blind?
    Das sind, Lorenzo, Glorien der Welt!
Was ist sie selbst nun? Deine Well? Ein Grab!
Wo ist der Staub, den einst nicht Leben regte?
Grabscheit und Pflug zerstäuben uns're Ahnen!
Aus Menschenerde wächst des Tages Brod. 388
Des Erdballs hohle Oberfläche zittert
Und deckt gewölbt die Kinder in dem Schlaf;
Ob der Verwüstung feiern wir verblendet Feste
Und auf versunknen Städten hüpft der Tänzer.
Die Sonne saugt des Körpers Feuchtigkeit,
Der Wind zerstreut das Trockne in den Räumen;
Was Erde lieh, nimmt sie zum Theil zurück,
Entfesselt hebt der Geist sich auf den Feuerschwingen.
Es theilen sich die Elemente scheidend
In den gelößten Nachlaß unsers Seyns;
So weit, als die Natur, verbreiten sich die Trümmer:
Des Menschen Tod, er wohnt in allen Dingen,
Nur nicht im menschlichen Gedanken selbst.
    Und nicht der Mensch nur fällt dem Tod' anheim,
Auch sein beseeltes Brustbild sinkt dahin,
Sein Grab ist sterblich, Königreiche sterben.
Wohin verlor sich Rom? der Griechen Land?
Ihr leerer Nam' nur schreitet noch einher!
Selbst so für wenige belehrend nur,
Ist gleich ihr Epitaph die Hälfte unsers Wissens.
Schau' ich dein Thal, erschlossen dem Gedanken
Der Mitternacht, der gern' in deinen Räumen
Dem Licht der Sonne fern verweilt, o Tod!
Schau' ich dein Thal hinab, was sieht mein Blick!
Das Glanzgepräng' – die königliche Werke – 389
Die himmlische Erzeugnisse der Kunst –
Wie gleiten sie in welken Lorbern hin!
Welch mächt'ge Ströme weit berühmter Zeit,
Zu hohen Wogen einst empört durch Menschentreiben,
Verrollen nun als wesenloses Luftbild!
Schwermüth'ge Geister todten Nachruhms flüstern
Den matten Wiederhall des lauten Beifalls,
Den eine Welt gezollt, und zeigen alle,
Wie sie vorüber ziehn, mit reuevollem Antlitz
Nach Erden hin, des Menschen Stolz verhöhnend,
Der Weisen Weisheit und der Grosen Trotz.
    Doch o Lorenzo! vor den andern allen
Drängt sich ein schauerliches Riesenbild
Vor's Auge mir, es starrt mein Blut, die Glieder beben:
Verschwund'ner Welt gewalt'ger Schatten ist's.
Mit feuchtem Moos und düsterm Schilf bekränzt,
An ihre Urne angelehnt, weint die
Gestalt um ödes Reich, ertränkte Kinder,
Und weissagt weinend kommende Zerstörung
Und baldige! im Schoos der Flammenglut.
Doch wie Cassandra weissagt sie vergeblich;
Vergeblich oft; ich hoffe, nicht für dich!
    Denn ist der grose Schluß, des Himmels Wille
Dir wirklich oder scheinbar unbekannt? 390
Die Sündfluth und die lodernde Zerstörung,
Zwei Schreckensmächte, die dem Zorn des Himmels dienstbar,
Es fesseln sie getrennte Kerkerhöhlen,
Die vom Geheul der Riesenfurien dröhnen:
Getrennt! daß nicht ihr Wüthen nach Verderben,
Im Wechselkampf ergrimmt, den Krieg verew'ge,
Bis eines von den Ungeheuern fiel.
Nicht solchem Zweck gehört ihr endlos Toben!
Dann, wann die niedern Diener himmlicher Entrüstung,
Krieg, Hungersnoth und gift'ge Seuche nicht
Der Unthat einer Welt gewachsen bleiben,
Dann fallen wechselsweis der Furien Ketten,
Sie stürzen blitzbeschwingt im Sturm heran,
Mit Siegerrecht begabt vom ew'gen Throne,
Die Sünderin, von Strafe ungebessert,
Zerstörend aus des Daseyns Reih'n zu tilgen,
Daß frei vom schnöden Anblick sey die Schöpfung.
    Siehst du, Lorenzo, was bei'm Menschen steht?
Das Ende der Natur, für ihn geboren!
Der Erde flücht'ge Scenen wandeln ihre Spieler,
Es ächzt die Schöpfung unter ihrer Schuld.
Wie ächzt sie einst, erfaßt von neuer Sündfluth,
Doch nicht der Wasser! Horch! die Stunde schlägt – 391
Laut ruft Posaunenschall den Angriff auf:
Und sieh! die Schreckenssöhne all' des Feuers,
Der Krater Strom, der Erderschütt'rung Schwanken,
Das rasche Irrgestirn und Blitze schleudern
Ihr Rüstzeug aus: zugleich ergießen alle
Die Fülle ihrer Glut und nehmen stürmend
Die schwache Erdenburg des Menschen ein.
    Entsetzenszeit! wo jedes Berges Gipfel
Vesuve überflammt! wo ew'ge Felsen
Der Masse Fluß in Strömen niedergiesen,
Wie sie des Waldstroms Fluth vordem ergossen!
Wo Sterne fallen! Gräßliche Zerstörung
Die Pflugschaar glühend über Schöpfung schleift!
Indeß in jenen Höhen– (mehr als Wunder,
Ist möglich mehr!) ein neues Firmament,
(Nie sah's bis jetzt, nie ahnte es der Mensch!)
In reichen Schaaren neuer Sterne strahlt!
Beseelte Sterne, Herrn der Feuerkugeln!
Und eine andre Sonne, als die uns're!
Wie ungleich diese hehre Sonne Ihm,
Dem Kinde, das in Betlehem erschien!
Dem Mann' wie ungleich, der auf Golgatha geblutet!
Und dennoch ist es dieser Mann des Leidens!
Wie umgewandelt! welche Herrlichkeit!
In voller Glorie senken sich die Himmel! 392
Die Geisterheere folgen jubelnd Ihm!
Und wie im schnellen Flug' des Blitzes weh'n
Der Engel Schwingen weg die Sonne und die Sterne,
Als Flecken von der Gottheit reiner Bahn.
Und nun, da jede Schlacke weggeräumt,
Erglänzt das eigne reine Licht des Himmels
Unmittelbar an unsers Äthers Grenzen:
Indeß (o schrecklich Gegenstück!) tief unten
Die Hölle berstend Flammen sprudelt,
Im Schwefeldampf den Riesenrachen öffnet
Und lautauf brüllt nach ihrer Beute Zoll.
    Lorenzo! grüße dies Gesicht! das letzte
Im Laufe der Natur, des Weisen erstes!
Rührt etwas dich, so muß dich dieses rühren;
Es weckt den Schlaf, entreißt dem Tod den Menschen.
Auf, auf! Lorenzo, denn! und folge mir,
Wohin die Wahrheit (uns die wichtigste)
Mit lauter Stimme meine Seele ruft
Und sie im Fluge heiße Andacht trägt.
Mein Gegenstand erfüllt mich mit Begeist'rung,
Zur Muse wird mir seine Herrlichkeit.
    Um Mitternacht, wenn wir im Schlummer ruhen
Und Erdenphantasie sich nährt mit goldnen Träumen; 393
Um Mitternacht, auf daß die Schreckensstunde
Noch schrecklicher sich offenbart dem Menschen;
Um Mitternacht wird plötzlich jener Pomp
Aus zehnfach dichtem Dunkel uns erstrahlen,
Wie aus geschlagnem Stahl der Funke sprüht,
Der Blitz entrauscht dem schwefelschwangern Pulver.
Von seinem Lager starrt der Mensch empor,
Der fortan nicht den Schlummer wieder findet!
Es dämmerte der Tag, der nicht mehr sinkt!
Ringsum auf Höhen und in Tiefen Angst!
Entsetzen mit der Herrlichkeit vermählt!
In Gröse unser Gott und uns're Welt in Flammen
Und die Gesammtnatur in Todeswehen!
Vernimmst du sie? Erwiedert deine Klage
Nicht ihrer Krämpfe Schrei, nicht ihren letzten Seufzer?
Wo sind wir nun? O wehe! weh! Dahin
Der Boden, der uns trug, Lorenzo! Sorge,
So lange du vermagst, für festern Grund,
Willst du mit ihm auf ewig nicht versinken!
Doch wo? und wie? woher? Vergeblich Hoffen!
Es ist zu spät! Wo sucht der Schuld'ge Obdach,
Wann Schrecken auch des Biedern Wange bleicht?
    O groser Tag! dem alle Tage sind geschaffen,
Dem Chaos gab die Welt, die Welt den Menschen; 394
Dem Ewigkeit, die Zeit der Göttlichen,
Hernieder stieg zum armen Erdensohn.
O groser Tag der Furcht, Entscheidung und Verzweiflung!
Gedenkt er dein, giebt frei der Erdenwunsch
Den schon erhaschten Raub und läßt die Welt
Und greift nach jedem Rohr' der Himmelshoffnung.
Gedenkt er dein? – Und bist du ferne denn?
Lorenzo, nein! hier ist er – schon begonnen! –
Bereits eröffnet ist ein ernst Gericht
In dir, in Allen: das ermächtigte Gewissen
Sitzt auf dem Schreckensstuhle mit des Urtheils Ahnung;
Vorahnend zeugt es von Unfehlbarkeit des Urtheils.
Ungültig bräche sich der Mensch den Stab?
Es höhnte Laune der Natur die Kinder?
Der uns Gewissen gab, schützt Ausspruch des Gewissens,
Gott in der Höh' vertritt den Gott im Menschen.
    Dreiselig die, so hier dem Richter nahen,
Den in die Brust der Himmel uns gesetzt!
Doch ach! wie selten dieser Muth hienieden!
Wo ist der Held, dem Menschen zu vergleichen,
Der Rede steht vor seinem eignen Selbst?
Dem nackten Herzen kühn entgegen tritt 395
Und unerschrocken hört die volle Klage,
Weil er beschloß, es klaglos nun zu stellen?
Der Feigling flieht und fliehend geht er unter.
(Bist du ein Feigling? Nein!) Der Feigling flieht;
Er denkt, doch obenhin; er fragt, doch fürchtet Wahrheit;
Fragt mit Pilatus, was sie sey, und geht,
Schließt das Gericht, verliert sich in den Haufen.
Ein schnöd' Asyl vor Hoffnung, Himmel und Vernunft!
    Sieht alles denn, nur nicht der Mensch, mit Sehnsucht
Nach dem für ihn geschaff'nen Weihetag?
Vollendungstag! o höchstes Ziel (ist weise
Der Mensch) für Aufschwung seiner geist'gen Kraft!
Kein nieder Ziel auch Engeln und dem Herrn der Engel!
Es sehn nach dir, o Tag! die Engel aus,
Sie, die in Licht auf Licht und Glanz auf Glanz
Nach ew'ger Ordnung immer höher schwebend
Dies grose Schauspiel dicht gedrängt umgeben,
Dem Menschen achtsam, bang für sein Geschick;
Sie seh'n nach dir; es sieht nach dir ihr Herr,
Zu wahren Seinen Ruhm; und laut ruft dir
Das grose All der ganzen Schöpfung zu, 396
Die geistge Welt im Innern zu entfalten
Und reicher auszuschmücken der Natur Verjüngung.
    Schließt nur der Mensch, deß endliches Geschick
An solcher Stunde hängt, ihr seinen Geist?
Ich denke sie – ich sehe, fühl' nur sie!
Gesammtnatur erbebt in ihren Vesten!
Die Himmelsgeister schweben alle nieder
Im Glanze ihres vollen Mittaglichts!
Der Richter thront! die Flammenwächter glüh'n!
Geöffnet ist das Buch wie jedes Herz!
Die Sonne zeigt den heimlichsten Gedanken!
Kein Schützer! kein Vertreter! abgeflossen
Die milde Stunde der Vermittlung nun!
Für Schuld kein Schild! für Qual nicht Ziel noch Ende!
Nur Unerbittlichkeit! nur Äußerstes!
    Nicht nur der Mensch, der Feind auch Gottes und des Menschen
(Er schleppt aus finstrer Gruft die Ketten lästernd,
Erhebt die ehr'ne Stirn', genarbt vom Strahl!)
Empfängt sein Urtheil! Ihm beginnt die Hölle!
Erlittne Qual scheint ihm jetzt reiche Gunst.
Dem Luftbild ähnlich in Gewitterstürmen,
Rollt er die Augen wild verzweifelnd, flucht
Dem Hochgefürchteten und wähnt erst nun zu fallen. 397
    Vor meinem Geiste steht der Tag! Wo wirklich?
Auch Engel sagen's nicht, auch Engel spähen
Vergeblich hier; vor den Erschaff'nen deckt
Den Zeitpunkt Nacht. Doch minder dunkel sind
Die Handlung und der Ort; sie darf der Mensch erforschen.
Sprich, groser Schluß der Hoffnung und der Furcht!
O groser Herzensschlüssel! Schicksalsherr!
Du groses End und groser Anfang! sprich
Wo weilest du? In Zeit? in Ewigkeit?
Nicht Ewigkeit, nicht Zeit entdeckt dich mir.
Sie einen sich, wie ein Monarchen-Paar
(Was je geschehn, was ungeschehen noch, beherrschend)
Auf ihrer Grenzen Saum in der Berathung,
Wie die verbundne Macht am besten Ihm,
Zu dessen Füßen beider Reiche liegen,
Vergröß're Herrlichkeit, vollziehe Strafgericht.
    Wie hier die weite Burg, der Zeit erbaut,
(Und vorbestimmt, auch mit der Zeit zu fallen!)
Nun über ihrem Haupt zusammenbricht
Und Sonne dunkelt, diese Erdenlampe,
Da ruft sie, eingehüllt in grause Nacht,
Aus langem Schlummer ihre Kinder auf;
Zum andernmal gebährt die Erde sie
Und alle werden nun zu Zeitgenossen! 398
Von gleichem Ruf geweckt, vom gleichen Lager starrend,
In eine Schaar gedrängt, gleich blaß vor Schrecken,
Giebt sie die Zeit an dich, o Ewigkeit!
Dann stürzt sie, dem entthronten König gleich,
Der kronenloses Leben stolz verschmäht,
In eigne Sense sich, doch nicht allein vergehend.
Es fällt zugleich im Tod ihr größter Feind,
Der Mörder fällt von allen ihren Kindern.
    Zeit war! nun herrscht allein die Ewigkeit!
Erhabne Ewigkeit! gekränkte Herrin!
Mit hohem Rechte zürnt sie Menschenkindern!
In milder Absicht Zutritt sich erbittend,
Wie pochte sie so oft am Menschenherzen!
So reich, zu lohnen uns're Gastfreiheit,
Wie oft rief sie! und rief mit Gottes Stimme!
Doch unerhört! als Trügerin vertrieben!
Als Träumerin! indeß wir offne Arme
Den schändlichsten der Feinde froh gereicht!
Jetzt zeigt als Traum, als Trug, sich alles aus,
Es bleibt uns nur das Lächeln ihrer Huld.
    Sieh' ihre hunderttausend Thore offen,
So weit, als dreimal ist vom Indus bis zum Eispol;
Und Banner wallen im Kometenglanz,
Posaunen, lauter als der Tiefe Ruf im Sturme 399
Erschallen von unsterblich kräft'gem Hauch;
Myriaden Mächte und Gewalten strömen
Des Lichtes und der Nacht aus ew'gen Pforten,
Im Mittelraum, weit, wie der Raum der Schöpfung,
So reich bevölkert als er ausgedehnt,
Im unparthei'schen Zwischenraum zu harren,
Bis dieses hohen Schauspiels End' erscheint,
So innig seit Jahrhunderten beachtet,
Die es zum grosen Schluß allmählich reiften:
Jahrhunderte, allein gezählt von Gott;
Von Gott, der, nun den letzten Spruch erlassend,
Das Recht der Tugend schützt und Seine Würde.
    Ergieng der Spruch, so mannigfachen Inhalts,
Dann weißt die Ewigkeit den Schaaren, nun gesondert,
Der Flammen Aufenthalt, der Wonnen, an;
Dann folgt das mächtigste Ereigniß, That der Thaten!
Die Höll' zur Hölle prägt, den Himmel weiht.
Die Göttin dreht, mit hohem ernstem Antlitz,
Den diamantnen Riesenschlüssel um
Im unauflösbar festen Schloß des Schicksals,
Tief alle Riegel fesselnd in die Fugen,
Daß sich der Pein, der Freude Eingang schließt,
Und wirft ihn dann von den kristall'nen Zinnen 400
Des Himmels in des tiefen Abgrunds Schoos,
Zehntausend tausend Lachter tief, zu rosten,
Und nie mehr aufzuthun, was sie verschlossen.
Die Tiefe dröhnt und aus der Hölle finstern Räumen
Erschallt der Schrei der Qual im Wiederhall.
Wie anders in der Himmel heil'gem Chor!
    Wie anders jene jubelvollen Töne,
In welchen sich bewegt der Äther wiegt!
Wie laut erschallt das himmlische Gewölb'!
O staune nicht! denn Engelsstimmen tönen,
Und lauter noch, als an der Schöpfung Wiege;
Sie feiern nun die herrliche Vollendung
Des Ziels, das einst gesetzt der Gott Erschaffer.
Sie feiern nun des hohen Dramas letzte Handlung,
So würdig übertreffend was ihr vorgieng!
Kein Gott des Wahns, lebend'ger Gott läßt sich
Zu uns herab, die Zweifel aufzulösen;
Zu prägen in's Gemüth der Lehre Sinn;
Der dichten Nacht der Zeit zu senden Lichtesfülle;
Das All verklärt, verherrlicht und erhöht
Mit der Vollendung Krone auszuschmücken!
Im lauten Strom der ew'gen Lobgesänge
Wogt Jubel der entzückten Schaar, die schaut,
Und Jubel wiederhallt in mächt'gen Donnern
Der weiten Räume Raum, der sie umgiebt. 401
    Wer bin denn ich? – Wie! fände sich in Mitte
Der Jubelwelten all, der Himmelswelten,
Auf Erden eine einz'ge Saite nur,
Die mürrisch und im Aufruhr der Verstimmung
Der Klage Mißton in den grosen Vollklang drängte?
Den Tadel gegen dich, Lorenzo! hemmend,
Wend' ich – o wie gerecht! – ihn nach mir selbst!
Was Gott verfügte, that, ist Alles recht;
Und wer, als Gott, nahm Freunde, die Er gab?
Doch klagte ich und klagte ich so lange?
Klagt' über Seine Gaben: Schmerz und Tod?
Wer würde gut, wär' nicht des Schmerzes Warnung?
Wer bliebe, ohne Tod, vergebens gut?
Schmerz schützt vor Pein; es bahnt die Strafe uns
Zur Ruh' den Pfad und vor dem Tode schützt das Grab;
Ein zweiter Tod bewahrt unsterblich Leben,
Erweckt den Trägen, schreckt den Überkühnen
Und lenkt der Geister Drang nach and'rer Bahn;
Er ist das Werk derselben Götterliebe,
Die Eden schafft und eines schönern Edens
Reich blüh'nde ew'ge Lust uns aufbewahrt.
    Für's Glück der Gegenwart giebt Gott uns Freunde;
Er nimmt sie uns, für künftig Glück uns bildend. 402
Die Übel der Natur sind geist'ge Güter;
Für's Ganze wird des Leidens Geissel Huld.
Unselig keiner, jedem blüht noch Lust,
Versagt er sich nicht selbst das Recht zu ihr.
Die Fehler sind die Wurzel unsrer Schmerzen;
Der Thaten Irrthum, unsrer Schlüsse Trug,
Erschließen uns den Quell des ew'gen Grams.
Der Sünde huld'gen wir, dem Unverstand,
Und zeih'n Natur der Qualen unsers Wahns.
Hinweg, verwegner Schmerz! Komm, süße Freude,
Vor allem komm, sobald der Schmerz uns sucht!
Oft trügt die Lust, aus Fröhlichkeit entsprossen,
Lebt in der Eitelkeit und stirbt am Jammer.
Doch in der Leiden Mitte stärkt sie adelnd,
Ist Lust und Sieg, ist Freude und auch Tugend.
Im Unglück hoher Muth ergötzt den Himmel,
Die Erde, uns! wird Pflicht und Ruhm und Ruhe.
Es hebt die Trübsal des Gerechten Glanz;
Denn seinen schönsten Schimmer birgt das Glück:
Doch Leiden giebt ihm Licht, wie Nacht den Sternen.
Bewund're Helden in der Heeresschlacht,
Im Sturm den Seemann, doch im Leiden Tugend.
Die Kron' der Menschenkraft ist eine Winterfreude:
Ein Immergrün, das kaltem Nordwind trotzt
Und unter strengem Druck des Schicksals blüht. 403
    Glückseligkeit erheischt als Grundgesetz,
Daß wir ein nöthig Erdenweh erkennen.
Wie selten unterwirft sich ihm der Mensch!
Doch ich will treu, von dieser Stunde an,
Des Lebens Zoll entrichten ohne Murren,
Und Mensch zu seyn nicht mehr für Jammer achten;
Wer diesen Wahn behält, wird nie zum Engel,
Und Leiden wünscht sich mit, wer Leben wünscht.
    Stolz sprach die Leidenschaft? – »Wär' ich dahin!«
Vermess'ne Lästerung und falscher Unsinn!
Des Geistes Jubel ist es – daß ich bin
Und darum künftig seyn kann – was? Lorenzo?
Schau' in dich und schau tief und tiefer stets,
Wie grundlos tief umfaßt der inn're Schatz
Mit goldnen Adern alle Ewigkeit!
Endlose Folgereih'n von Menschenaltern,
In welchen dies Gebild' der flücht'gen Stunde,
Das nächtlich hier bei'm dumpfen Schlaf um Labung bittet,
Bewundernd wachen, jubelnd preisen wird,
Unendlichkeit im Fluge sich erschließt,
Und (ist es werth) durch Himmels Liebefülle
Halb göttlich selbst, der Gottheit betend naht!
Dort fühlst du (hier nicht Herr des Augenblicks,
Wie Blüte welkend, flüchtig wie die Luft!) 404
Das Eigenthum der Ewigkeit, so reich
In jeder Gabe, welche Allmacht spendet.
Seit Adam fiel, hat unbegeistert noch
Kein Sterblicher gefaßt, wird keiner fassen:
Wie gütig Gott, wie groß (wenn gut) der Mensch.
Nie hofft der Mensch zu viel von Himmelshuld,
Wenn, was er hofft, er sich zu sichern strebt.
    Doch Übel – – giebt es nicht! Von dir, Allgüt'ger,
Geht keines aus, nur von dem Menschen Fülle!
Ein zahlreich gräßliches Geschlecht und auch unsterblich;
Gezeugt vom Unsinn mit der holden Freiheit!
Die Himmelstochter fiel der Höllenlist.
Nur ihre Hand schließt uns Verderben auf,
Das du verriegelt hast in Demantmauern,
Von Angst bewacht, die bis zur Erde reicht,
Und dann bedeckt mit Donnern des Gesetzes.
Du! dessen Drohung Huld und dessen Wille Führer,
Der Geistesfreiheit fördert, nicht beschränkt;
Deß Satzung auf Naturlauf fest beruht,
Den du in Deiner Güte offenbartest;
Deß Satzung, wär' Natur nicht offenbar,
Unfehlbar blieb, doch uns gefährlicher!
So warnt ein guter Vater seine Kinder, 405
Zu meiden und zu thun, doch spricht er nicht
Die Gründe seiner Warnung immer aus;
Er lohnet gern, als kindlichen Gehorsam,
Was sie für ihren eignen Frieden thun.
    O groser Gott der Wunder (giebt es noch
Zur Seite deiner Huld der Wunder mehr!)
Wie fest der Fels, der unsern Glauben trägt!
Von deinen Wegen bleibt der Tadel fern,
Ist Tadellosigkeit nicht selbst ein Tadel.
Kein Recht versühnt des Splitterrichters Frevel;
Kein Recht beschönt die Klage schnöden Grams,
Der wie ein Dämon aus dem Staube murrt
Und sich zum Richter seines Richters macht.
O Höchster! innig preis' ich Dich für Alles,
Am innigsten für deiner Strenge Schluß:
Für ihren Tod – für meinen, mir so nah –
Für jenen Feuerschlund, der, Flammengrenze
Allmächt'gen Zornes, donnert! donnernd rettet;
Er stärkt, was er berührt; sein heilsam Schrecken
Kehrt von uns die gedräute Pein; sein gräßlich Heulen
Vereint sich mit des Himmels Wonneruf.
Des Guten grose Quelle, Du, so gut in Allem!
Selbst strafend gut! Pein, Tod und Hölle retten!
    So fordert auch in deiner Körperwelt,
Erhabner Geist! nicht Glanz nur und Erquickung, 406
Auch Dunkel und Beschwerde unser Lob.
Der Winter ist Bedürfniß wie der Lenz,
Des Donners Rollen wie der Sonne Glut.
Der Dünste Stocken läutert gift'ge Luft,
Und gleich dem milden Hauch des Westes wirkt
Gesundheit der Natur des Sturmes Läut'rung;
Dem Heil dient selbst des Kraters Furchtbarkeit;
Erstickt zersprengte seine Glut den Erdball;
Der laute Ätna sprüht zum Heil des Menschen;
Kometen, richtig ausgelegt, sind gute Zeichen,
Der Sterne Finsterniß wird, nützend, Glanz.
    Für Leiden schuldet Rechenschaft der Mensch:
Denn Auserles'ne sind's, die wir unglücklich nennen;
Sie müssen bei der Tugend ihren Frieden finden.
In meines Segens langer Reihe steht
Am ersten Platz: »Daß blutete mein Herz.«
Des Himmels letzte Wohlthat ist's dem Menschen;
Er giebt ihn trauernd auf, wirkt Schmerz nicht Hülfe.
Gleich unwerth ist des Glücks, wer ächtem Leiden
Den Schmerz versagt, wer nicht den Schmerz beherrscht:
Denn roh sind solche Herzen oder weichlich;
Vernunft rechtfertigt Gram, wenn sie ihn endet.
Besel'ge nie der Himmel meinen Freund, 407
Bis er ihn unterwies, sein Glück zu tragen,
Und früher Leiden bürgte für sein Lächeln!
Solch Lächeln wurde mein; es bleibe mir;
Nie wag' sein Übermaas den Untergang.
Mein umgewandeltes Gefühl erheischt
Auch Umgestaltung seines Ausdrucks nun;
Die Tröstung hebt den Laut der Klage auf
Und führt mein sündig Lied auf beß're Bahn.
    Gleichwie der Wanderer, der odemlos
Und müde Ruh' ersehnt, wenn er die Höh' erstiegen,
Sich rückwärts kehrt und mit dem Auge mißt
Die weiten Thäler all', die Fluren, Wälder, Matten
Und Flüsse, die er nun zurückgelegt;
Wie, reisesatt, er lieber Heimath denkt
(Nur um so lieber ihm, weil sie entfernt!)
Und nicht der Mühe mehr fortan begehrt:
So schaue ich, ist nieder gleich die Höhe,
Die meine Muse sich gewann, zurück
Die Straße, welche sie durchwandelt hat,
Abwechselnd, weit und wenig nur betreten;
Und weil ich weis, wie klug ihr Wunsch nach Ruhe,
So ruh' auch ich, des Ziels mit Wonne denkend,
Obwohl es ferne noch: so fruchtbar ist
Mein Gegenstand. So manches Feld durchschwebte
Nach Sittlichkeit und Göttlichem die Muse, 408
Sah viel des Jammers auf der Menschen Pfad,
Der Falschheit viel und viel der Eitelkeit,
Die auf der schlimmen Straße keiner mißt.
Verstorbnen Freunden weinte sie so innig;
Enthüllte wundervolle Liebe Gottes;
Unsterblichkeit des Menschen that sie kund;
Wies uns der Wonne Quell, und des Gerichtes,
Des grosen, Anbeginn; und setzte fest
Die Grenzen für der Menschen Traurigkeit;
Mit einem Wort: es gab die Sängerin der Tugend
– Nicht in der Form des strengen Lehrgebäudes,
Auch mit den Meisterzügen Raphaels nicht –
Die Skizze unsers schwachen Thuns und Glaubens
In diesem Land der Pilgerschaft und Hoffnung
Für Erdenruh' und Aussicht nach dem Himmel.
    Was bleibt zu thun? – O vieles, vieles noch!
Zu tilgen grose Schuld. Was ich gedacht,
O Nacht! ist dein; es kam von dir, wie still
Der Seufzer von der Liebe kommt, da alle schliefen.
So glitt nach Dichtersage Cynthia einst,
In Schatten eingehüllt, sanft von der Bahn,
Um den geliebten Hirten zu besuchen,
Nicht wärmer ihr, als ich dir zugethan.
Und doch erklang für dich, vor deren Antlitz,
Durch deren Beistand ich gesungen, nie ein Lied? 409
Unwürdiges Verstummen! – Wo beginnen? enden?
Wie eigne ich den süßen Klang der Sphären
Mir für die Sühne ihrer Göttin zu?
    O feierliche Nacht! Urmutter der
Natur! des Tages erstgeborne Schwester!
Die flücht'ge Sonn' zu überleben ausersehen!
In heil'ger Scheu' erblickt von Menschen, Engeln!
Die Sternenkrone schmückt dir schwarze Locken;
Es gürtet dich die Binde aus Azur;
Aus Wolken webte dir der Himmel künstlich
Im Wechselspiel von Schatten und Gestaltung
Das flatternde Gewand, das nun in reichen Falten
Am Firmament um deine Schritte wallt.
Es fordert deine düstre Herrlichkeit
(Erhabenste Begeist'rung der Natur!)
Ein dankbar Lied: so rolle sie vollendend,
Dem schwarzen goldgestickten Vorhang gleich,
Vor meines Werkes letzte Szene hin!
    Und was, o Mensch! hat edler Recht zum Liede?
Bereitet würd'ger uns zu himmlischen Gesängen?
Der Engel Lied ertönt der Schöpfung immer!
Bedarf der Feier mehr ein Gegenstand?
Befähigt einer mehr zu Himmelslust?
Des Menschen Geist, bestimmt, Ihn einst zu schauen,
Der für des Menschen Aug' die Wunder schuf, 410
Verweile hier bei groser Vorbereitung.
Sie soll ihm des Gedankens Kreis erweitern,
Ihn heben zu den Zinnen der Bewund'rung,
Beseelen ihn mit Gluten heil'ger Ehrfurcht
Und stärkend weih'n des Wesens Innerstes,
Daß er des höchsten Glücks empfänglich werde.
Je mehr auf Erden sich der Geist erweitert,
So inniger umfaßt er einst den Himmel.
    O Herr der Himmel! Dessen unverhülltes Antlitz
Die Seligkeit vollendet der Geschöpfe!
Grenzlose Seligkeit, die weite Leere füllend,
Die unserm Herzen noch die Schöpfung läßt!
O Du, der Jesse's Sohn die Lippen weihte
Und seine Saiten stimmte mit den Sphären,
Als ihn des Himmels Feuer süß entzückten!
Beschütze nun mein Lied, das sich vermessen
Zu deiner Sinnenwerke höchstem schwingt!
O löse mich von dieser Erde Schranken,
Entlaß' den Geist aus engem Sonnenkreis,
Nimm ihm die Fesseln ab, vergönne ihm
Den Flug dahin, wo kein Gedanke forschte!
O lehre mich auf diesem Kolossalgerüste,
Auf ihr, der Schöpfung goldner Staffelreihe,
Zu dir, Erhabenster! empor zu klimmen! 411
Lehr' mich durch Kunst die mächtige Natur besiegen,
Beleuchten deine schattenreiche Nacht!
Fühl' ich Dein huldvoll Ja? erhebt sich nun
Um Mitternacht in meinem Lied' die Sonne?
    Lorenzo! folge mir, dein Herz erglühe.
Du, dessen enges Herz so tief versenkt
Im Winkel dieses dunkeln Balls, o licht' den Anker!
Ein and'rer Ozean ruft, ein edler Hafen;
Ich bin dir Lotse, bin dir Segelluft.
Reich wird die Fahrt durch's blaue Meer dahin,
Das Sturm nicht kennt, nicht Räuber, Klippen, Ufer;
Dort magst du dir die ew'gen Schätze holen:
Laß' Gold und Perlen nur dem dürft'gen Geist.
Stolz bist du, daß du fremde Länder sah'st?
O Fremdling in der Welt! beginn' die Reise,
Die Reise durch den Allkreis der Natur.
Sie giebt den Geistern, die im edeln Flug
Der Sphären Raum beschiffen, ihre ganze Karte;
Wie blöd der Mensch, der nicht dies Ganze kennt!
Der kühne Segler selbst um weiten Erdkreis,
Der später an dem Firmamente pilgert,
Bekennt, er war der ächten Fremde fremd.
Auf denn, mein Prometheus! wenn deine Fessel 412
Am rauhen Felsen falscher Ehrsucht fiel,
So laß' empor uns steigen! laß' uns fromm
Den Flammenraub am hohen Himmel wagen!
Entzünden uns're Andacht an den Sternen!
Ein Raub, der Freiheit dir statt Ketten giebt!
    Empor denn über den entzweiten Luftkreis,
Wo Regen sproßt und Hagel sich versammelt,
Beschwingter Schnee sein nördlich Nest erbaut,
Der Donner kocht und in der Flammenesse
Der Zackenblitz erglüht, in düstern Höhlen
Die jungen Ungewitter ihrer Flügel harren
Und schwache Stimmen bilden zum Geheul,
Das bald vielleicht die sünd'ge Welt erschüttert!
Empor ob mißverstandnen Himmelszeichen
Und weit gewanderter Kometen Bahn!
Zu Höherm schwing' dich auf, als Menschen sind!
Erblühen wird dein Geist, bis jetzt gesunken
Und welk verschrumpft an ungesunder Erdluft;
Entwickeln wird er sich in voller Kraft
Vor diesen strahlenreichen Gluten hier;
Entfalten jede Fähigkeit und kühn
Zu des Gedankens Gipfel sich erheben!
Nicht leuchten Sterne nur, sie lehren auch!
Die Losung war für sie – als die Natur entstand –
»Dem Menschen hold zu seyn.« Wo weilest du. 413
Du armer, nachtbestrickter Pilgersmann?
Die Sterne leuchten dir, fehlt auch der Mond.
Wo weilest du, noch tiefer nachtbestrickt!
Und in der Finsterniß noch weiter dich verirrend!
Auf Sündenpfad? die Sterne rufen dir
Und weisen dich zurecht, folgst du dem Rufe.
    Was ist der grenzenlose Anblick hier?
Dem Denker ist's Natursystem des Glaubens;
Begeisternd jeden warmen Freund der Nacht:
Von Gottes eigner Hand die ält're Bibel;
Urkundlich ächt! vom Menschen unverfälscht!
Mein Stab, Lorenzo (diese Kleinodgabe
Der nächtlichen Betrachtung) leite dich
In ihrer Lehren reichem Labyrint:
So manche mag befremdend überraschen
Den Ungeweihten in der Nacht Geheimniß;
Nie dachte er in ihrer Schule sie zu finden,
Er wundert ihrer sich im Schoos des Sternes!
Es setzte Stier und Löwen und Skorpion
Gelehrte Phantasie nach Himmelsräumen:
Doch thier'scher sind wir selbst, nicht sehend, was
Hier wirklich ist – des Menschen Unterricht.
    Was ist für uns an's Firmament geschrieben?
Der Gottheit Daseyn! und noch and'rer Wesen,
Erhaben über uns, des Äthers Kinder! 414
Die Eingeborne höhern Himmelstrichs.
Und was noch wunderbarer für Lorenzo:
Auch Ewigkeit steht in der Himmelsschrift.
Und wessen Ewigkeit? Lorenzo! deine;
Der Menschen Ewigkeit. Nicht Glaube nur,
Auch Tugend blühet hier; hier keimt das Heil,
Für alle Laster fast, für deine insbesondre:
Für Zorn und Stolz, für Ehrsucht und Begier.
    Lorenzo! du wachst auch um Mitternacht,
Doch Höherm nicht: denn Ehrsucht und Vergnügen,
Tyrannen, die ich erst für ihn bekämpft,
Vergönnen karge Rast dem müden Sklaven.
Du, dem die Mitternacht ein sünd'ger Mittag,
Der Sonne Mittagstrahl des Morgens Dämmrung,
Dem Klima nicht, nur lasterhafte Laune
Die Weite unsers Gegenfüßlers giebt!
Hemm' einen Augenblick dein nächtlich Treiben
Vom wüsten Becher zu geheimen Ränken,
Und heb' dein Aug' (wagst du es zu erheben,
Zu schau'n in's Antlitz des gekränkten Himmels!)
Nach jenen Sternen, die für and're Zwecke strahlen,
Als Schwelgern von der Schmach zur Schmach zu leuchten
Und so zu theilen Schuld der Missethat. 415
    Weist du, warum vom hohen Himmelsbogen,
Vom Raume der Unendlichkeit, erfüllt
Mit lichter Kugeln grenzenloser Schaar,
Die das lebend'ge Firmament in Flammen setzt,
Bei'm ersten Strahl mit solcher Wunderkraft
Die Allmacht in's erstaunte Auge strömt? –
Sich beugen soll der Stolz, Vernunft sich heben,
Und lenken ihren Gang nach der Gewalt,
Die liebend lichte Silberketten senkt,
Zu sich des Menschen Streben aufzuziehn,
In reiner Inbrunst ihn an ihren Thron zu fesseln.
So flößt uns der gesternte Himmel ein
Die auf der Erde seltne Tugend-Dreiheit,
Von jubelvollen Himmeln laut begrüßt:
Des Herzens Demuth, Reinheit, Himmelsinn.
O kannst du wohl zu lange ihn beschauen?
    Dein Zornmuth findet auch gerechten Tadel
Bei diesem Chor in Strahlen hehr verklärt:
Denn jedes Sonnensterns Planeten zeigen
Als gute Nachbarn sich in Wechselfreundschaft,
Im holden Tausch der hin und her gesandten Strahlen;
Erleuchtend und erhellt, anziehend angezogen!
Gemeinsinnvoll das Ganze nie beschäd'gend, 416
In wechselseit'ger Hülfe selbstsuchtfrei,
Ein treues Bild der tausendjähr'gen Liebe.
Kein Wesen in dem Kreise der Natur,
Am wenigsten das Wesen mit Vernunft,
Erhielt das Daseyn je für sich allein:
Und so erlernt der Mensch der Pflichten höchste
Vom körperlichen Bild der Liebe hier.
    Und wisse, du entzündbarster der Menschen,
(Des ganzen stolz-argwöhnischen Geschlechts)
Du Menschen-Wespe! daß des Menschen Herz,
Geläng' es dir, das zorn'ge zu zergliedern,
So ächt gebaut sich zeigt, wie jene lichte Kugeln.
Verkehrter Wille nur zerstört Natur
Und zeugt die Zwietracht, die der Himmel haßt.
Verkennst du gern' den Hang, dir eingeboren?
Sinkst gern' vom Umgang mit dem Himmel nieder
Und fassest deines Bruders Gurgel an?
Um was? – Wie! um ein Klos, um eine Handvoll Erde?
Dich mahnen die Planeten warnend ab!
Sie scheuchen uns're Doppelfinsterniß:
Das Dunkel der Natur und (güt'ger noch!)
Die Nacht, die sich um unsern Geist gelagert.
    O sieh! dir winkt des Tages holde Schwester
Im mild'sten Strahle ihres sanften Lichts; 417
Dein Aug', das ihres harten Bruders Schimmer
Ermüdet hat, sie will es freundlich laben.
Die Nacht vergönnt dir freien Blick am Himmel
Und weißt nicht streng das offne Aug' zurück;
Durch Lust und Nutzen lockt sie zu der Weisheit.
Der Szenen edelste vor uns eröffnend,
Weiht sie uns ein mit jenem heil'gen Grauen,
Das voll Gewicht dem hehren Anblick giebt
Und tief ihn senkt in das gerührte Herz;
Wann, wie ein Späher, Licht durch Dunkel blickt
Und Finsterniß im Lichte herrlich prangt.
Auch ist die Lust nicht kleiner als der Nutzen,
Wenn Menschenherz für Würdiges erglüht
Und Seligkeit aus der Bewund'rung strömt.
    Was meine Zunge spricht, fühlt jetzt mein Herz!
In Wonne starrt zuerst der Geist dahin,
(Dies Starren soll die Bahn zur Weisheit öffnen!)
Dann schwingt er sich aus seines Staunens Tiefe
Zu jubelndem Entzücken hoch empor.
Wie glüht er in bewund'rungsvoller Liebe!
Wie prächtig der Entwurf! wie groß Entwicklung!
Wie füllereich der schöpferische Aufwand!
O welche Bühne! – Kann ein Aug' sie fassen?
Welch göttliche Bezaub'rung baute sie,
Daß auch die mächtigsten der Geister beten, 418
Unendlicher Betrachtung hingegeben!
Tags eine Sonne, doch bei Nacht zehntausend;
Der Gottheit Daseyn tief im Licht enthüllend!
Die grenzlos herrliche und mächt'ge Gottheit!
Wie strömet der äther'schen Flammen Masse
Aus Urnen ohne Zahl von Himmelszinnen
Nach einem Punkt'! in meinem Aug' sich sammelnd!
Und weilt da nicht; ich fühle sie im Herzen,
Das sie zugleich erniedert und erhebt,
In Staub verbannt und nach den Wolken ruft!
Wer schaut das ohne Schwung und ohne Zittern?
Wer sieht es und befriedigt sich mit Sehn?
Du Kind der Allmacht, nur aus Stoff gezeugt!
Selbst unbeseelt, doch alles rings beseelend!
Des Ursprungs würdig Werk! des Jubels würdig!
Des höchsten Jubellobs! aus höherm Quell
Als Menschenbrust; des Lobs von Gott gewürdigt! –
Entzieht dir auch der Mensch, vom Schlummer tief befangen,
Die Huldigung, doch wach ich nicht allein!
Uns unsichtbar, erschweben lichte Schaaren
Und singen unhörbar des grosen Bauherrn Glorie
In Seinem Tempel hier des Universums,
Erglänzend von den Lichtern ohne Zahl,
Die Glauben in der Seelen Inn'res senden! 419
Sein Tempel und zugleich Sein Prediger!
Wie laut ruft er die Andacht in uns auf,
Die ächte Frucht der stillen Mitternacht!
    Ja! Andacht ist der Sternenkunde Tochter!
Nur Wahnsinn kann den Himmel unfromm prüfen.
Zwar zeugt uns alles, was da ist, von Gott:
Doch in dem Kleinen späht Ihn aus der Mensch,
Im Grosen faßt Er selbst den Menschen mächtig,
Ergreift, erhöht, entzückt, bereichert ihn
Mit neuer Ansicht wie mit neuen Freunden.
Sagt mir, o Sterne! o Planeten, sagt,
Und ihr Bewohner der Gestirne all!
Was ist's? was sind sie, diese Wunderkinder?
Sprich, stolzer Bogen (in Azurpallästen
Nimmst du sie auf) o Werk der Götterpracht!
Des Himmelsgenius Werk, den Schranken trotzend!
Unsäglich weit Gewölbe! Riesendom!
Ersah die Gottheit dich zu ihrer würd'gen Wohnung? –
Nicht so! schon die Idee entadelt dich,
Senkt deine Zinnen, flächt die Tiefe aus
Und kürzt die Weite ein; verzwergt das Ganze,
Das Universum wird zum Planiglob.
    Doch wie mein Blick sich wieder senkt zum Menschen,
So gilt dein Recht und neu blüht deine Gröse, 420
Natur! weit öffnet sich dein ausgedehnter Umkreis.
Wie, wenn die Flamme faßt den Pulverthurm,
Ergriffne Luft sich der Erschütt'rung höhlt,
Der wilde Ausbruch dann die Wolken spaltet
Und bis zum Himmel wälzt des Äthers Wogen:
Also, doch weiter thut der Kreis sich auf
Im Flug' und läßt im ungeheuern Raum
Den Schoos für eine neue Schöpfung frei;
Und neu entbrannt erstrahlen deine Lichter
Und nehmen selbst ein göttlich Wesen an.
Nicht seltsam war's, daß sich von finstern Zeiten,
Wo blöd der Geist auf Sinnenbahn nur gieng,
Der Stoff – zu solcher Herrlichkeit gebildet –
Im Götterglanz den Götternam' erwarb;
Fürwahr sind Sterne Götter für die Sinne
Und sühnten halb des Götzendienstes Schuld;
Zur Tugend fand er sich durch sie geadelt.
Denn Tugend übten, die des Menschenwerthes Reste
Dem Aufschwung des Gedankens dargebracht;
Blieb auch der schwache Flug am Sterne hangen
Und knieten sie vor'm Ziele ihres Blicks!
    Doch ach! wie schwach, die höher nicht sich schwangen!
So giebt es denn, Lorenzo! wirklich Wesen, 421
Die Ungesehenes für Unding achten?
Und, mischt sich Unbegreifliches ihm bei,
Mit Frevelmuth den Glauben Tollheit nennen?
Warum verbannte Er, der mächt'ge Bauherr,
Die Schranken aus dem Werk? und zog so weit
Die Schnur und prägte Alles aus als Wunder?
Und setzte dann (sich im Kontrast gefallend)
So tief in seines Universums Schoos
Die Geistesmilbe, das Insekt, den Menschen,
Zu kriechen und zu schau'n und zu bewundern?
Er that's, damit der Mensch es nimmer wage,
Das Staunen sich als Anwalt zu erkühren,
Wenn er die Wunder läugnet in der Gottheit.
Soll Schöpfung ihren Schöpfer übertreffen?
Geheimniß kommen vom Geheimnißlosen?
Soll näher liegen, was da höher ist?
Begreiflicher dem menschlichen Gedanken
Das Unerschaffne sein, als was erschaffen?
Je mehr des Wunders uns an Gott erscheint,
So inniger soll unser Beifall glüh'n.
Begriffen wir, so könnt' Er Gott nicht seyn,
Und wär' er dennoch Gott, so wären wir nicht Menschen:
Ein Gott nur kann begreifen einen Gott!
Wie unermeßlich ist von Ihm des Menschen Abstand! 422
So seltsam dir's erscheinen mag, Lorenzo –
Den Aufschluß giebt hier nur was du nicht fassest,
Und was die Wahrheit sagt, hört das Entsetzen.
Was du jetzt siehst, zeugt für die Wahrheit, die ich singe,
Und jeder Stern strömt deinem Glauben Licht.
Nie trautest du dem Worte der Erzählung:
Es strahl' in solcher Sternenpracht der Himmel,
Bestätigte dein Aug' nicht den Roman.
Die Gröse der Natur ist des Allmächt'gen Eidschwur,
Vor'm Stuhle der Vernunft den Unglaub stillend.
    Wie saugt mein Geist, sich öffnend solcher Szene,
Den Tugend-Ausfluß ein des hohen Himmels,
Indeß er dich vielleicht nur wenig kümmert.
Es sandte uns der Herr zehntausend Welten,
Uns über ihnen Seinen Thron zu künden
Im Sitz der Herrlichkeit, dem niemand naht –
Wie! weigerten der Erde kühne Sassen
Den hehren Strahlenboten kurz Gehör?
Und wollen abgewendet nicht vernehmen,
Von wannen sie und welches Heil sie bringen?
Denn das nur senkt die Hohen zu uns nieder.
Lorenzo, auf! dein wacher Geist flieg' blitzbeschwinget
Von West nach Ost und von dem Pol zum Pol.
Wer wahrt sich hier, besitzt er wirklich Augen, 423
Vor Raserei, wenn er dem Glauben trotzt?
Wer bleibt bei Sinnen, kniet er nicht vor Gott?
Der Mensch ist in die Welt gesandt zum Sehen:
Was seinem Frieden frommt, lehrt ihn das Aug';
Gelahrtheit thut nicht noth so leichtem Wissen.
Du sehnst dich nach der Metaphysik Schwingen?
Der Logik Dornen fügst du dich geduldig?
Beschreitest der Geschichte Riesenkreis?
So schwere Last legt dir Natur nicht auf:
Sie bildete für seines Geistes Bahn den Menschen;
Nach den Gestirnen stellte sie sein Antlitz,
Als spräche sie: »lies dort des Heiles Lehre!«
Zu spät ist's, diese Himmelsschrift zu lesen,
Wenn sie, der Rolle gleich aus Pergament,
In Flammenglut verschrumpft, Lorenzos Lehre
Vor seinem Angesicht zusammenfaltet.
    Der Lehre Fülle, o wie mannigfach!
Denn um die Gottheit seh' ich ihre Diener.
Erhabner Geister strahlende Geschlechter;
Verschieden an Bestimmung und Gestalt,
Umflossen von den himmlischen Gewändern,
Im reichen Farbenglanz verschiedner Klassen,
Erharren sie mit ausgespannten Schwingen
Den leisesten Befehl des grosen Meisters
Und schweben dann, eh' der Moment verfliegt. 424
Durch der Natur Gebiet, ihn zu vollziehen.
Zahllose Schaaren! – Wesen, die der Heide,
Wie jetzt der Christ, erkannt! – Auf jeder Sphäre
Beherrscht des Engels Führung ihren Lauf;
Er nährt und facht die Sonnenflammen an
Und pflegt sonst Wichtiges, das wir nicht kennen.
Denn wer kann solchen Pomp des Stoffes schauen
Und wähnen, daß dem Geist', für den allein
Das Unbeseelte in das Daseyn trat,
Daß diesem höhern Sohn – viel ähnlicher
Dem grosen Vater – nur das karg're Maas geworden?
So lehrt uns denn das Firmament erkennen
Ein grenzenlos Geschlecht von edleren Naturen,
An Trefflichkeit dem Menschen überlegen,
Wie ihre Sterne es der Erde sind!
Sie schweben über uns als Zeugenheer,
Und voll bevölkert ist der Schauplatz unsers Wirkens;
Vielleicht führt jeder Strahl, der uns beleuchtet,
Halbgötter zu der Menschen Pfad herab:
Erschütternd Bild! des Bösen mächt'ger Damm!
    Doch von des Äthers Glorie, die wir sehen,
Erhält die Tugend kräft'gern Beistand noch.
Ein zaub'risch Etwas dringt vom blauen Dom,
Das, ächt erwogen, unversehen stützt, 425
Dem kein Gebet und kein Gedanke rief:
Natur vollbringt das Menschenwerk zur Hälfte.
Wenn Seen, Ströme, Berge, Wälder, Wüsten, Felsen,
Das steile Vorgebirg, der tiefe Schlund
Der Höhlen in der Erde Schoos mit schwarzen Stirnen
Und hoch geschwungenem Gewölb – Naturerzeugniß,
Der Zeit allmählich Werk, – wenn sie vor uns
In Riesenkraft und Riesenmaas sich zeigen,
Dann heben sie ja schon den Menschen höher,
Dann gießen sie erhabene Gedanken
Begeisterte Entzückung in die Brust.
Doch worin sind sie groß? – Sie sind es nicht,
Wenn wir der Herrlichkeit des Firmaments gedenken.
Noch wen'ger ist's die Kunst. – O eitle Kunst!
Pigmäenmacht! wie strebst du, dich zu blähen,
Wie strotzest du mit Menschen-Übermuth,
Uns deine Kleinheit deutlich darzuthun!
Welch Kinderspiel sind deine Wassersäulen
Aufsprüh'nd zum Wolkendom; und deine Flüsse
In Becken eingehegt, gefangne Seen!
Nach Menschenform gebildet deine Berge!
Die Riesenstädte mit den hundert Thoren,
Mit reich'rer Fülle, als drei Tage schauen, 426
An Wundern reich, von Sterblichen geschaffen,
An Siegesbogen, kolossalen Bühnen,
Und mitten in der Luft an Schwebegärten!
An Tempeln, stolz zu ihren Göttern sich erhebend!
Und doch erweckt dies Spiel den höhern Sinn:
Wie mächtiger denn hohen Himmels Anblick!
An Tempelpforten fühlst du heilig Grauen;
Was in dem Tempel erst, den Gott erbaut?
Des Frommen Anblick labt, auch wenn er schweigt;
Gerührt wünscht der ihn sieht, auch weis' zu seyn:
Und hier im Strahlenspiegel Seiner Hände
Erblicken wir – was Gottes Antlitz gleicht.
Und so genügt es wohl, den Bösen zu befragen,
Lorenzo: ob er sah das Firmament?
    Dennoch verkehrt des Menschen Frevelsinn
Die güt'ge Absicht der Natur; der Ehrfurcht Grauen,
(Das vor dem Bösen ihn bewahren soll)
Schafft er zum Schirme, zur Versuchung um
Für mehr als ein gewöhnliches Verschulden
Und täuscht um den Erfolg des Himmels Plan.
Denn zitternd schau'n die Sterne Missethat
Gigantischer Natur, dem Tag ihr Haupt verbergend,
Mit frech erhobner Stirn' durch's Dunkel schreiten
Und finst'rer sündigen die Finsterniß.
Aus ihrer Höhle Schlummer heben sich, 427
Sinkt Nacht, Genossen Raub und Mord nach Beute;
Bei Nacht vergräbt der Geizige sein Gold,
Doch, wachsam auf den Maulwurf, macht der Dieb
Ihn, eh' der Morgen graut, zum halben Bettler;
Es wachen auf Verrath und schändliche Verschwörung,
Und ihre Gräul verhüllend vor dem Mond
Bereiten sie Verwüstung und Verderben,
Der Reiche Untergang im Feld' des Blutes;
Der Sohn der Lust tobt nun im wilden Taumel.
Was soll ich thun? – Verkünden oder schweigen? –
Was schläft der Donner? Nun, Lorenzo! nun
Besteigt unzücht'ger Ehebruch gesichert
Des besten Freundes Bett und spottet frech
Der Gottheit und der Welt! Unsinn'ge Thoren,
Die keine Furcht mehr kennen, keine Schaam,
Enthüllen ihre Schuld dem keuschen Aug' des Himmels,
Indeß des Menschen Antlitz sie erschreckt.
Sind für Verbrecher nur die Sterne da?
Sie, dämmernd hell, zu leiten und zu bergen?
Nein! Gott schuf sie, Erhab'nes auszubilden
Im Menschenherz und Weisheit in dem Weisen.
    So hoher Zweck gedieh vordem! als Menschen lebten
Mit mächt'gern Schwingen und dem Adlerflug 428
Nach hoher Einsicht! O wie ungleich ihnen
Das Nachtgewürm, von dem ich eben sang,
Das an der Erde kriecht, ihr Gift genießend!
Die Weisen alter Zeit, die Menschen-Sterne,
Besuchten in der Nacht die Himmelsbrüder,
Befragten sie um Rath, gehorchten ihnen.
Der Stagirit und Plato und des Schirlings
Erlauchter Märtyrer, der Tusculaner,
Der Mann aus Corduba, (verklärte Namen!)
Sie alle wandelten den Gang der Nacht
In diesen unbegränzten Himmelsauen,
Der Engel Lustgefild und engelgleicher Menschen,
Auf Strahlenpfad, von Seraphim gebahnt.
So lernten sie, auf lichten Engelsspuren
Hienieden auch zu gehn in edelm Glanz,
Der selbst den Glanz des Firmaments beschämte.
Dort lernten sie, der Erde Tand verschmähen,
Entzündeten der ew'gen Hoffnung Flamme;
Dort glühten sie, dem Schoos der Gottheit näher
Und (edle Fremdlinge) vertrauter mit der Gottheit,
Den Menschen werther, seliger im Innern.
So giengen eifrig sie den Sonnenlauf
Des edelweisen Seyns durch reichen Kreis der Tugend.
    Entflammte Heideneifer Christenherzen!
Ach schmähliches Gebet und nöthig doch! 429
Je heller unser Licht, so frost'ger unser Streben;
Welch Abentheuer in der Tugend Welt!
Nicht sonderbarer wär's im Kreis' der Schöpfung,
Gäb' Sonne Eis und wärmten uns die Sterne.
    Was lehrten jene Helden geist'ger Welt?
Bewundernd lobst du sie, glaub' ihnen auch!
Sie zogen ja nie Sold, um dich zu täuschen,
Und dein Geschmack zieht Heidenlehrer vor.
Sie lehrten: Enge Ansicht führ' zum Unglück
Und Weisheit sey's, das Ganze zu umfassen;
Dem klaren Blick sproß' Tugend aus Natur,
Die sie allein zum Himmel aufwärts trage;
Auf Gott zu achten und Natur, sey Pflicht;
Dem Spiegel der Natur entstrahle Gott,
Wie aus dem Meer der Sonne Antlitz schimmert,
Zu herrlich, es im eignen Kreis zu schauen;
Unsterblich, sey unsterblichem Beginnen
Des Menschen Wesen hold und frei von Schranken
Ein grenzenloser Raum sein Lieblingsziel;
Der Blick in's Weite und im Stoff' die Gröse
Erhöhten auch die angezogne Seele;
So habe denn der Himmel seine Pracht
Als reichen Quell erhebender Begeist'rung
Vor Menschenaugen glänzend ausgelegt.
So lehrten sie, so von der Nacht belehrt. 430
    Ist eine größ're Wahrheit dir bekannt?
Und welche wäre wohl von höherm Werthe?
Des Menschen Geist soll gehn am Firmament;
O seel'ge Ausflucht aus dem Kerker hier!
Dort schwebt er fesselfrei, der Bande ledig,
Mit welchen ihn der Erde Tand bestrickt,
Frei athmet er und schaltet mit sich selbst,
Entwickelt reich sein völliges Vermögen
Und ungetäuscht wirkt er auf Groses hin.
Dort wandelt er als Unbekannter nicht;
Selbst wunderbar, schwebt er durch Wunder hin;
Ihr Herrliches beschau'nd, entdeckt er seines;
Tief dringt er ein in Gottes weise Ordnung,
Erkennt in Kraft ihr mannigfach Gesetz
Und urtheilt, wie dem Meister ziemt, nicht irrig.
So wird in wonnigem Genuß und edlem Stolze
Der Himmelsabkunft sich der Geist bewußt,
Lebendiger beseelt ihn Heimathluft,
Er fühlt zu Hause sich bei den Gestirnen
Und strebt dem Ruhm' des Vaterlandes nach.
    Wie nennen wir das Firmament, Lorenzo?
Die Erde nährt den Leib, den Geist der Himmel,
Nährt mit dem Leben ihn, das nimmer stirbt;
So heiß' es edle Seelenweide denn!
Wo sich der Geist ergeht und stärkt, frohlockend 431
Und üppig schwelgt in Lust der innern Welt.
Nenn' es, willst du, erhab'ner Gottheit Garten,
In Sternen blühend, reich an Ätherfrüchten,
Der Tugend Frucht für edle Menschenlabung.
Nenn' es des ächten Hohenpriesters Brustschild,
Erglüh'nd im Schmuck prophet'scher Steine, die,
Was wir sie Höchstes fragen, recht erläutern
Und unbefolgt uns an dem Frieden strafen.
    So fanden wir denn astrolog'sche Wahrheit!
Im neuen edlen Sinn' wird offenbar,
Wie auf der Menschen Loos die Sterne Einfluß üben.
O wäre Wahrheit auch der Traum so Mancher,
Daß es die Sterne sind, die kriegsbestrickten Ländern
Verwüstung senden und den blut'gen Kampf!
Wär' so die düstre Fürstenschuld gelöst!
Ist edel nicht, o meines Landes Feind,
Ein solcher Wunsch auf deines Gegners Lippen?
Groß willst du seyn und würdest gern' zum Gott,
Unsterblich soll dein Name bei den Sternen hangen,
Weil du Erob'rer warst auf einer Nadelspitze?
Gieb auf, dem Ausland Ketten zu bereiten,
Doch deinem Lehrer darfst du sie verleih'n.
Nur Hoheit suchst du auf? Du kennst sie nicht!
Wie groß, wie glorreich scheint der Geist des Menschen,
Wenn ihm die Sterne in dem Busen rollen! 432
Und was er scheint – er ist's! denn Groses hebt
Zur Gröse auch den Geist, der sich erweitert,
Wie seine Aussicht wächst: je näher sie
Den Himmel tritt, so göttlicher wird Er.
    Und göttlicher entdeck'st du keine Aussicht!
Geblendet, übermannt vom Wonnestrom
Der reichen Strahlenfülle, taumle ich
Berauscht im ew'gen Wechsel der Gedanken!
Ein Eden ists! ein unverloren Eden!
Den Höchsten sehe ich bei jedem Blick'
Und bebe meiner Nacktheit von dem Höchsten!
O möcht' ich nur des Lebens Baum erreichen!
Denn hier wächst er, nicht untersagt dem Menschen.
Kein flammend Schwerdt verwehrt uns hier den Eingang;
Wollt erndten nur! ihr könntet ewig leben!
    Im sittlichen Gebiet verweilten wir;
Doch liebst du wohl die edlen Künste wärmer?
So schaue denn der Himmel Herrlichkeit
Im Einklang mit der strengen Wissenschaft,
Nach Zahl, Gewicht und Maas so fest berechnet.
Lorenzo's hochgepries'ne Architekten,
Geschick und Zufall, mögen immerhin
Sein Lustschloß ihm in hoher Luft vollenden:
Hier drückten tief ihr wohlbekannt Gepräg 433
Die Weisheit ein und Wahl, der Bau ist ihrer.
So reich der Glanz, doch nirgend leer von Nutzen;
So schön als gut, so kunstreich als gewaltig;
Kein eitler Prunk bei Fülle üpp'gen Aufwands;
Des grosen Meisters ew'ge Weisheit hat
Im All die Pracht vermählt mit kluger Ordnung.
Wie herrlich dieser Anblick! immer neu!
Am neu'sten dem der ihn am meisten schaut!
Weil Neu'res stets unendlich sich entwickelt.
O wie behend am Himmel diese Renner!
Wie schleicht der Pfeil, selbst von der stärksten Senne!
Der Geist allein eilt ihrer Laufbahn vor.
Wie endlos Kreise über Kreisen schwebend!
In Kreisen endlos Kreise eingeschlossen!
Im Rad das Rad, Ezekiel, gleich dem deinen!
Ein Traumgesicht erscheint es uns, wie dir;
Das Auge steht, doch zweifelnd strebt der Geist!
Wie reich verflochten! mächtig ausgedehnt!
Ein Weltgewimmel, das der Erde spottet!
Unsäglich groß! unsäglich fern von andern Sphären!
Was ist der Wunderraum, in dem sie rollen?
Des Menschen Fassungskraft verschlingt der Abgrund,
In seinem Schoos geht alle Forschung unter. 434
    Erwarte hier kein ungeregelt Treiben:
Was herrlich Chaos scheint vor deinem Blick,
Ist fest bestimmt der strengen Ordnung Reich.
Des vorgeschrieb'nen Pfades treue Hut
Beschämt des Menschen regelloses Schwärmen.
Nie hemmen, stets sich kreuzend, sich die Welten;
Wie knüpfen sich, wie lösen schnell sich Knoten!
Es trennen sich die kaum vermählten Sterne!
Stets in Bewegung, irren sie doch nie;
Verwirrung, die in Harmonie besteht!
Und wie bewundernswerth dies stille Tosen!
Im Flug' das All, das All in Regsamkeit!
Und alles doch von tiefer Ruh' umfangen!
Welch warme Thätigkeit, doch kein Geräusch!
Verstummend vor der Gegenwart des Herrn!
Gestillet durch den Wink des Menschen-Schützers,
Und nur bemüht, so rastlos sie auch selbst,
Der Ruh' der Sterblichen den sanften Strahl zu schenken.
Auf jenem Plan von dunkelm Himmelsblau,
Vollführen sie, vor ihrem Gotte jubelnd
Und deinem, ihren Reih'n und jauchzen ewig
Und feiern Seinen Ruhm in ew'gen Liedern.
Doch weil ihr Lied nicht zu uns niedersteigt,
So zeigt ihr räthselhaft verschlungner Tanz 435
Ein schönes Sinnbild höchster Gottesmacht.
Sieh! wie in labyrintischer Verwicklung,
Im bunt verwebten Wechsellauf der Kreise
Und im geheimnißvollen Sphärenwirbel
Der Allmacht Namenszug sich herrlich schlingt!
Für Engel o wie groß! wie lesbar für den Menschen!
    Läßt soviel Wunder sich noch übertreffen? –
Wo sind die Pfeiler, die den Himmel stützen?
Und welcher Doppel-Atlas trägt die Last?
Durch welchen Zauber, welche seltne Kunst
Erhalten sich in flüß'ger Luft die Riesenkugeln?
Ist's nicht, als schwebten sie an goldnen Ketten?
Es ist! es hält sie höchster Wille Gottes,
Der alles hält, zum Demant macht die Luft,
In Luft den Demant lößt, das All in Nichts,
Aus Nichts das All beruft, hat Er es so beschlossen.
    Laß' in dem Walten deiner Phantasie
Aus ihren tiefen Wurzeln losgerissen
Die ungeheuern Söhne dieser Welt
Die mächtig hochgethürmte Alpen stürzen;
Sie stürzen auf des Meeres Fluthen nieder,
Und leicht wie Flaum und wie die Luft behend,
So schweben nun die riesenhafte Massen
Im richt'gen Takte auf den Wellen hin,
Indeß die ganze Schaar der lauten Stürme, 436
Wetteifernd mit den tonbegabten Sphären,
Gewaltig in die klingenden Posaunen stoßen
Und mit dem brausenden Konzert den Tanz beseelen.
Mit Staunen würdest du dies Schauspiel sehn?
So staune denn, wenn Welten es vollbringen,
Die, auf dem feinern Elemente schwebend,
Die größ're Kunst mit rascherer Bewegung
Den edelsten der Gotteszwecke weihen!
    Bestimmung übergeh'nd, die sichtbar ist,
Fragt sich mein Geist, ob die Gestirne nicht
Die hohen Sitze sind, die feierlichen Throne,
Von welchen aus des Himmels Engelsboten
Bei'm Wink des Herrn zur ausersehnen Zeit
Was strafend er beschließt, was liebend, wirken?
Daß grose Form auch grose Plane schmücke
Und heil'ger werde, was schon heilig ist!
    O ihr! des Luftraums Bürger! heißen Dank,
Des dankenden Gefühles Vollerguß
Biet' euch der Mensch, der solches Blicks genießt!
Des herrlichen, des mild von Gott gewährten!
So oft erneut, so oft an Wahrheit reicher!
Fühlst du im Herzen nicht ein Etwas rege,
Lorenzo! das der Zeit Beschränkung bannt?
Wie diese Sphären uns die Dauer messen,
So flößen sie begeisternd auch der Brust 437
Die Götterhoffnung ein der Ewigkeit.
Der grenzenlose Raum, den ruhelos
Die Wanderer durchgehn, gewährt dem Geist
Der grenzenlosen Zeit verschwisterten Gedanken.
So führt die Kunst der gütigen Natur
Dem mühelosen Menschen durch sein Aug'
Den hohen Fremdling zu, die Ewigkeit:
Die Ewigkeit ihm ewig vorbestimmt,
Sonst flüsterten von ihr nicht seiner Seele
Die Sterne vor, zu Räthen seiner Nacht erkohren.
Natur belehrt, doch höhnt nie ihre Kinder:
Und hätte doch die heiße Sehnsucht angezündet
Für Täuschung nur? – Bejah'n wär' Lästerung.
So findest du des Glaubens zweiten Punkt,
Wie Gottes Daseyn selbst so wichtig, dort,
Wo (irr' ich nicht) man ihn nur selten sucht:
Am Firmamente les' Unsterblichkeit!
    Verweil', Lorenzo, denn bei dieser Pracht;
Des goldnen Saals vergiß im Kerzenschimmer,
Der arme Fröhliche zu düstrer Lust versammelt.
Gesellschaft? – Hier ist sie im Götterglanz;
Gesichert für Gesundheit, Gold und Ruf,
Erwähl' die Schönste dir und lach' des Sultans.
So weis' als du, schätzt er nur jenen Halbmond,
Der hoch auf seinem Turban schreckt die Welt, 438
Und wähnt, der Mond sey stolz, ihn vorzustellen.
Im Blick auf diesen hier, werd' reicher, als
Die Welt dich machen kann, die Seelenkraft gewinnend,
Die über jeden Reiz der Macht sich schwingt.
Du! fest in Lebenstäuschung eingewiegt!
Sprich: wälzt der Mond im tiefen Bett das Weltmeer
Im steten Wechselkreis von Ebb' und Fluth,
Sein Wasserreich vor Fäulniß zu bewahren;
Und bliebe einflußlos auf geist'ge Welt?
Ihm fehlte Kraft, Lorenzo's störrige Gedanken
Vom Pestgestad' der Erde abzuleiten
Und zu befrei'n vom Gift sein krankes Herz?
Zieht er zu schwach, wenn er gen Himmel lenkt?
Ja, was du höher hältst, zur Erdenfreude?
Erhabne Geister nur, erglüh'nd nach Ungeseh'nem
Und von der Sinne Hefen frei, erlangen
Des Daseyns unverletzte Blütenlust,
Des Lebens Leben, Mark der Erdenwonne.
Der Erde Überrest besteht – in was?
«In Übeln, auszustehn; in Gütern, zu verlassen.«
Ihr reichstes Inventar besagt nicht mehr.
    Befolgt sey denn der höhern Szene Ruf!
O laß' mich schau'n! – Nie kommt des Schauens Ende.
O laß' mich denken! – Hier verliert sich der Gedanke: 439
Auf halbem Weg' sinkt müd die Phantasie,
Doch schnell entfaltet sie die Schwinge neu,
Vergessen kann sie nicht ihr Ziel, es nicht erreichen;
So innig ist die Lust, so tief der Plan!
Ein Gastmal, das mit Engeln Menschen eint,
Mit gleichem Manna Erd' und Himmel speisend.
Wie fern' so manche Sonnen dieser Nacht!
So fern', daß (wie die Weisen uns berichten)
Der Zweifel uns vergönnt ist ohne Unsinn:
Ob Strahlen aus der Wiege der Natur,
So unerreichbar auch des Lichtes rasche Schwingen,
Zu uns'rer weit entlegnen Welt schon kamen.
O laß' mein Aug' voll schauernder Bewund'rung
In Freiheit rollen, rollen immerdar!
Wer sättigt je an solchem Anblick sich?
An diesem weiten Meer des tiefsten Staunens?
Wo Tiefe sich und Höhe und die Breite
In ihren höchsten Graden selbst verlieren;
Wo eines Seraphs Kunst zu dürftig ist,
Die dichte Gloriensaat des Feuerfelds zu messen.
Und nun, o Ehrsucht, geh' und prahle stattlich,
Weil du des Sandkorns Zehntheil mächtig unterworfen!
    Doch ruft Lorenzo laut nach Wundern noch,
Um seinen schwachen Glauben fest zu gründen! 440
Was forderst du, da mehr dir schon gehört?
Du bist kein Neuling in der Glaubenslehre;
Sag' was ein Wunder ist! – Es ist ein Vorwurf,
Ein stiller Spott, der, überführend, uns beschämt!
Gesundem Sinne predigt die Natur
Durch ihren mächt'gen Lauf den Gott in ihr.
Doch schlummerte die Menschheit ein, so kommt ein Wunder,
Im Sturm' die Welt aus ihrem Schlaf zu wecken
Und neu, doch kräft'ger nicht, Gott darzuthun.
O sage mir, was zeugt von höh'rer Macht:
Gesetze geben der Natur? ihr nehmen?
Die Sonne schaffen? hemmen Sonnenbahn?
Verwandelnd seinen Gang den Flammenboten
Zurück dem bangen Osten senden, der
An seinem Abendstrahl entsetzt sich wärmt?
Dem Mond, als sey er reisemüd, gebieten,
Zu ruhn im Blütenthale Ajalons?
Groß ist das alles, gröser doch Erschaffen!
O sieh zurück, von Adams Laubdach an,
Auf jener Wunderwerke ganze Reihe:
Läßt ihre Macht den Widerstand dir zu?
Doch wirken sie nicht stärker auf die Seele,
Erschüttern unsern Geist nicht inniger,
Als hier der wunderlos gewähnte Anblick, 441
Nach Werth empfunden, von Vernunft geschaut,
Geschauet mit dem Aug' des ächten Menschen.
Das Thier sieht nichts, als Funkenflimmer hier,
Der Thor nicht mehr. Du sagst: »Naturlauf herrscht!«
Naturlauf ist die weise Kunst der Gottheit.
Die Wunder selbst bezeugen's, die du forderst:
Denn kann Natur Naturlauf unterbrechen?
    Doch – ohne Wunder! – wer erblickt Ihn nicht,
Der die Natur erschaffen und sie leitet,
Der ihr Beherrscher ist und letztes Ziel?
Wer schaut ihr mitternächtlich Antlitz an
Und fühlt den Geist zu fragen nicht gedrängt:
»Weß ist die Hand, vor unserm Blick verborgen,
Weß der allmächt'ge Arm, der zu dem Kreislauf
Die Kreise angeregt, das grose Werk gerichtet?
Wer rundete in seiner Hand die Riesenkugeln?
Wer wälzte flammend sie durch tiefes Dunkel,
Unzählbar wie des Morgenthau's Juwelen,
Wie Funken ob der Stadt in Feuersbrunst?
Wer hat den Schoos der alten Nacht entzündet?
Bevölkerte die Wüste um sie her
Und lehrte freundlich lächeln das Entsetzen?«
Vielleicht erfreut des Krieges Bild dich mehr:
(Auch Sterne stritten einst als uns're Bundsgenossen!) 442
»Wer stellt die Schimmerschaaren? zählt sie nennend?
Weist Posten ihnen an, den Auszug und die Rückkehr
Nach treu bewahrter Ordnung fester Zeit?
Und wer entläßt dereinst die alten Kämpfer,
Ist ihre Pflicht erfüllt? geht je der Kampf zu Ende?«
ER, dessen mächtig Wort, Posaunenlaut,
Die kräftigen zuerst im feigen Reiche
Der Nacht vom finstern Lager aufgerufen,
Sie eingereiht, geübt, in Gold gekleidet,
Und aus dem Chaos dann in's Feld geführt,
Wo sie mit Unglaub fochten und mit Laster.
O lasse uns an solch ein Heer uns schließen!
Dann schlägt das Herz uns muthig in der Stunde,
Da hell're Flammen schwärz're Nacht zerspalten!
Da unsre Sterne hier, die starke Zeugen Gottes,
Die Häupter bergen, aus den Kreisen taumeln,
Ein ew'ger Vorhang deckt der Welten All.
    Erfaßt von dem Gedanken heb' ich neu erwachend
Ein noch erhellter Aug' und les' in Sternen
Noch gütigere Huld für menschliches Geschlecht:
Zu ihnen flehe ich (nicht Götzendiener!)
Um Beistand, länger nicht den edlen Namen sparend,
O ihr Vertheiler meiner Zeit! ihr Strahlenrechner
Der Tage, Monden, Jahre, die mir fallen, 443
Von euch im lichten Buche angemerkt!
Weil dieses glänzende, urkundliche Verzeichniß
Zu unsern Lasten gilt, wenn wir auch nicht es prüfen,
Weil, stehn wir auch, ihr mit den Jahren rollt,
So unterrichtet mich zu zählen meine Tage,
Der Weisheit aufzuthun mein bebend Herz,
Dem selbst ein Schatten fehlt, um Thorheit zu verhüllen.
Das Alter bahnt der Klugheit Pfad uns an,
Es räumt die Schlingen weg, worin Begierde
Und heiße Leidenschaft die irre Seelen haschen;
Dem grauen Haupte Weh! das thörig stört,
Was Alter that! – So steht mir bei, ihr Sterne alle!
Doch besser Du, erhabner Meister, selbst!
Deß Finger dieses räderreiche Kunstwerk,
Verwickelt pünktlich, einst hat aufgezogen,
Daß es das unaufhaltsam flieh'nde Leben
Uns weißt mit herrlich ausgeschmücktem Zeiger,
Den nie ein Aug' verfehlt, das sich erhebt
Und offen bleibt, so lang' es Schlaf nicht schließt.
Eröffne mir, erhabner Gott! das Aug',
Zu lesen Deiner Werke stille Lehre,
Zu sehn der Dinge reine Wirklichkeit,
Vom Glas des Erdenwunsches unentstellt!
Zeit! Ewigkeit! (Verfehlen ihres Maases 444
Wird das Verderben menschlichen Geschlechts!)
O halte sie mir gegenwärtig immer!
Laß' beide mich auf gleiche Wage legen
Und prüfen des Gewichts Verschiedenheit!
Laß Zeit erscheinen als Moment, sie ist's;
Doch voll den Kreis der Ewigkeit auf einmal
Die Seele mir erfassen, sie zum Himmel hebend!
Wann schau' ich mehr, als mich schon jetzt bezaubert?
Wann frei in Deiner Brust der Schöpfung Urbild,
Dann ihres ird'schen Nachbilds nicht mehr staunend?
Wann werf' ich ab den schnöden Staub der Fremde,
Der in der Erde tiefem Thal den Wand'rer peinigt?
Wann darf die Seele ihrem Leib' entflieh'n
Und neu umfaßt von Deinen heil'gen Vaterarmen
Zur Göttlichkeit in deinem Schoos' erstehen?
    Zu weit von meinem Ziel' erschein' ich dir,
Lorenzo? Nein! Ich bin auf grader Bahn:
Mein Zweck war, deine todte Andacht zu erwecken.
Wie segne ich der Nacht mir heil'ge Schatten,
Zum Tempel weihen sie ein Universum;
Erfüllen uns mit hohen, himmlischen Gedanken,
Und reichen uns der Erdpest Gegengift!
In jedem Sturm, er dräue erst, er wüthe,
Wie reich der Seele Zuflucht zum Gebet!
Und welch ein Gotteshaus, in dem sie betet! 445
Und welch ein Gott, der wohnt in solchem Haus!
O welch ein Geist beseelt dies Firmament!
Doch bleibt Lorenzo's Salamanderherz
Stets kalt und rührungslos in heil'ger Feuer Mitte?
O Funkenheer der Nacht! o glüh'nde Asche!
Auf weitem Himmelsherde! glimmend! kalt!
Erlodernd! todt! wie Gottes Odem will!
Steh' meinem Liede bei mit voller Kraft,
Verbann' den Feind aus lang besess'nem Herzen
Und führ' zum Menschenthum den Freund zurück!
    Wie? immer bleibt Lorenzo Zweifler noch?
Der Stolz auf deinen Geist verleitet dich,
In Kampf zu gehn mit jener grosen Wahrheit,
Die zu bekämpfen deinen Geist entehrt;
Lorenzo's Herz entehrt wie seinen Kopf.
Ein glaubenloses Herz, wie schmählich klein!
Wie eng, um Groses zu empfangen, Edles!
Voll des Atoms! voll und befleckt vom Selbst!
Vom mißverstand'nen Selbst! vom Stunden-Selbst!
Was edler ist an Trieb und Leidenschaft,
Liegt unterdrückt in einem solchen Herzen;
Sonst weckte diese Glut, auch vom Verstand verlassen,
Dort hoher Hoffnung Licht und öffnete
Dem jubelnden Gedanken geist'ge Welt,
Wo an der Ordnung Hand die güt'ge Weisheit 446
Vorsorgend sich in reicher Lieb' entfaltet,
Begegnend jedem Wunsch des edlen Sinnes.
Groß sey der Geist, um glücklich auch zu seyn;
Im Wünschen groß und groß in den Ideen.
Der Blick in's Weite hebt den engen Sinn
Und stählt die eingeschrumpfte Schnellkraft neu;
Mehr als Planeten soll sie bald umfangen.
Des Fassens Maas giebt unsers Werthes Maasstab:
Erwäge Göttliches und werde göttlich!
    Weil Glück und Ehre sind des Menschen Ziel,
So naht die Kleinlichkeit sich stets dem Leiden:
Thu' auf die Brust, schwing' deinen Wunsch empor,
Nimm Mannsinn auf in dich, Glückseligkeit;
Verfolg' den grenzenlosen Schauplatz des Gedankens
Von Nichts zu Gott! Das macht zum Menschen dich!
Nimm Gott aus der Natur, nichts Groses bleibt;
Im Grabe liegt der Geist und steht nicht mehr,
Im Schlamme liegt das Herz und liebt den Schmutz.
Empor aus deinem Abgrund! heb' dein Aug'!
Dein Unglück sieh! Wie eng bist du umschlossen!
Belagert von Natur, des stolzen Zweiflers Feindin!
Umringt von diesen Welten ohne Zahl,
Die Überzeugung auch dem Nachtsinn strahlen.
Wie in dem goldnen Netz der Vorsehung 447
Bist du des Glaubens sicherer Gefangner!
Aus dieser seligen Gefangenschaft
Soll Läst'rung der Vernunft, soll List befreien?
Hier waltet güt'ger Zwang des Himmels ob:
Erwehrst du dich der Fluth von Herrlichkeit?
Was ist die Erd' in dieser Kreise Schoos,
Als das Gebot für dich, an Gott zu glauben?
Wagst du den Kampf noch für die schlimme Sache,
Der Überzahl ehrwürd'ger Zeugen trotzend
Und zweifelnd an dem Wort des Firmaments?
Welch schweren Weg gehst du zum Abgrund hin!
    Ich nenn' ihn schwer nur? Doch er ist unmöglich!
In solchem Streit' dem Zweifel zu erliegen,
Vermag – und zöge auch vereint Gewicht
Des Wissens, Willens und des schnöden Lasters
Sie mächtig abwärts – selbst die Thorheit nicht.
So Viele wünschten sich des Unglaubs Gabe,
Doch nie besaß ein Mensch sie in der That.
Ein Geist ist Gott: es kann der Geist nicht rühren
Den groben Sinn des körperlichen Stoffs;
So deutlich als der Mensch nur Gott kann sehn,
So deutlich auch erscheint dem Menschen Gott
In dem erhabnen Wirken Seiner Macht.
O welche Ordnung, Schönheit und Bewegung!
O welche Gröse! welches Maas des Abstands! 448
Wie rein und herrlich ist der Plan verknüpft!
Und wie verwickelt doch dies Götterwerck!
Zweckmäßig jedes Mittel! groß der Endzwek!
Ein reiner Einklang für des Ganzen Heil! –
Und jede einzle Eigenschaft, vordem
Als Götzenbild solang' (nicht ohne Grund
Des Scheins) verehrt, gewinnt den einzeln Sieg
Im Kampf mit dem rebellischen Gedanken
Und führt im Jubel fort des Menschen ganze Seele.
    Dies scheint vielleicht dir Redeprunk, Lorenzo?
So nennt der Mensch, was seinem Sinn zuwider.
Den grosen Satz des Firmamentes soll
Ich dir mit einem schlichten Grund beweisen,
Weil du ihn selbst nicht lesen kannst, nicht willst?
Da ohne diesen Satz das Ganze fällt,
So faß' die enge, unverletzte Kette.
Doch fordert der Beweis ein achtsam Ohr;
Er scheut den Gang durch den Gedankenpöbel,
Will von der Welt nicht dein Gehör erringen.
Zieh' dich zurück – entfremde dir die Welt –
Versammle deinen Geist – hemm' Phantasie
Im luft'gen Flug' – die Sinne nimm gefangen –
Den Leidenschaften taub, wach' für Vernunft,
Laß sie allein des Innern Herrschaft führen –
Dann erst erforsch' in tiefer Geistesstille 449
Umgeben von der schweigenden Natur,
Zur Zeit der Mitternacht, wie ich geforscht
Und fürder nun die Forschung hab' geschlossen.
Dann fließen aus dem Borne der Natur die Fragen:
    »Was bin ich? und woher? Ich weiß nur, daß
Ich bin und schlies' auf Ew'ges, weil ich bin;
War immer Nichts, so blieb das Nichts auch immer;
Es muß ein Ewiges vorhanden seyn.
Doch was ist ewig wohl? Vielleicht der Mensch?
Warum nicht endlos Adams Ahnenreihe? –
Schwer faßt's der Geist: denn zu gebrechlich ist
Im Einzeln jeder Ring der langen Kette;
Wo jeder Theil gehorcht, wär' frei das Ganze?
Doch wär' dem so, es giebt der Zweifel mehr;
Auf hoher See bin ich und seh' kein Ufer.
Woher die Erde? jene lichte Kugeln?
Auch ewig sie? Und wär' der Stoff auch ewig.
Doch fehlte diesen Welten noch ein and'rer Vater!
Von reicher Absicht zeugt ihr Gang, ihr Bau;
Die Absicht ruht auf Einsicht und auf Kunst:
Sie kommt von ihnen nicht und nicht vom Menschen;
Was kaum er fassen kann, sollt' er verleihen?
Und doch ist er das Größte, was wir kennen.
Wer goß Bewegung, fremd dem kleinsten Sandkorn, 450
So grosen Massen ein von schwerer Wucht?
Wer hieß den trägen Klumpen rohen Stoffs
So reich im Wechsel seiner Formen seyn
Und gab ihm Flügel, sich empor zu schwingen?
Ist sie dem Stoff verlieh'n von Anbeginn?
Dann schwebte jed' Atom selbstständig stolz,
Wir hätten nur aus Staub ein Universum.
Und ist bewegungslos der Stoff, wie kam
Erhabene Gestalt und unbeschränkter Flug
Aus dem gestalt- und regungslosen Grunde?
Besitzt der Stoff mehr als Bewegung noch?
Hat er Gedanken, Urtheil, Genius?
Ist ihm die Mathematik sehr geläufig?
Gab er Gesetze, wie sie Newton ahnte,
Sie ahnend sich Unsterblichkeit erwarb? –
Wie lachen, ist dem so, dann meiner wohl
Die akademische Atomen alle,
Daß mir ein Mensch mehr als ein Klumpen Erde!
Sind Kunst, die formt, und Weisheit, die regiert,
In höherm Grade als vermag der Mensch,
Nicht jedes Klotzes Gut – so herrscht ein Gott,
Das ist: ein unsichtbarer, ew'ger Geist:
Das
zugegeben, lößt sich alles Andre.
Doch geb' ich's zu, wird dann die Nacht nicht dunkler? 451
Geb' ich das Unbegreifliche nicht zu?
Ein Wesen ohne Anfang, ohne End'! –
Es lebe Menschenfreiheit! Gott ist nicht
Warum? Der Zweifel bleibt, wie ich mich wende;
Er muß in Gott, wo nicht, im Menschen bleiben:
Im letzten Fall, wie viele Zweifel noch,
Unlösbar all'! – Warum die Seite wählen,
Auf welcher mir, auch nach vollbrachter Wahl,
Ein Heer von Schwierigkeiten überbleibt?
Warum verwürf' ich die Entscheidung denn,
Die jeden – jeden Zweifel von mir scheucht
Und nebelfreies Licht dem Geist verleiht?
Das hieße der Vernunft Gesetz umgehen!
Sie will, daß ich der Seite mich ergebe,
Wo eines Sandkorns Last die Wage senkt.
Wie mächtig kündet hier sich Überwiegen!
Kann sie mir lauter rufen: Glaube Gott!
Des Menschen Merkmal ist, ihr zu gehorchen;
Denn welcher Meinung sonst er sich gesellte,
Wieviel Unmögliches muß er für Wahrheit halten!
Der Thor! leichtgläubig glaubenlos zu seyn!«
    Erscheint dir so die Kette fest verbunden,
So laß' von ihr dich treu dem Glauben fesseln.
An welchem Ring doch fändest du die Lücke?
Und ist ein Gott, wie groß ist dieser Gott! 452
Wie groß die Macht, die mit der Liebe Vorsicht
Den finstern Mittelpunkt des Sterns erhellt!
Durchdringt den Umfang der Gesammtnatur!
Der Schöpfung kleines kostbares Kleinod
An ihres hohen Thrones Fußtritt heftet!
    Wie weit umfassend dies Kleinod, so klein!
Vom Fixstern fällt die Last: nach wieviel hundert Jahren
Erreicht sie erst den weit entlegnen Erdball?
O sprich! wo endet, wo der Riesenbau?
Wo hebt der Schöpfung Vorhof an? wo steht die Mauer,
Die hoch hinüber sieht in's Thal des Nicht-Seyns,
In's abentheuerliche Haus des Nichts?
Bei welchem Punkt' des Raumes senkte Gott
Die nachgelaß'ne Schnur und seine Wage,
Wog keine Welten mehr, maas nicht mehr Unbegrenztes?
Wo streckt der Pfeiler, Seiner Grenze Zeichen,
Das Riesenhaupt aus Seiner Welten Raum?
Und spricht in sonnengleicher Schrift zu Engeln:
        Als stolzes Ziel des Planes steh' ich hier,
        Des Werks Vollzug, der Schöpfung Schluß zu künden.
        Jauchzt alle, Engel! doch jauchzt nicht allein; 453
        Es juble, was da lebt, wie Unbeseeltes!
        Es juble, was da ruht und was sich regt!
        O jauchzt, ihr Höhen und ihr Tiefen, jauchzt!
        O jauchzt! o jauchzt! ihr Tiefen und ihr Höhen!
    Schwer sind die Fragen dir?– Erwiedre mir
Noch schwerere. Ist diese Schöpfung hier
Die einz'ge That, das einz'ge Kind der Allmacht?
Befruchtete der Hauch des grosen Vaters
Noch andre Räume, diesem Weltall fern?
Entbot er in den Grenzen seines weiten Reiches
Geschwisterschöpfungen dem finstern Schoos
Der ew'gen Nacht, sonst unfruchtbar, nun Mutter?
Ist Er die Sonne in dem Mittelpunkt
Und dringt beseelend durch gigantische Geschlechter,
In seinem Mittagslicht als Stäubchen spielend?
Die, fehlt der Strahl, im Abgrund untergehn,
Im Schreckensabgrund, dem sie einst entsproßt:
Dann nimmt obsiegend Chaos Alles wieder,
Was Feindin Schöpfung seinem Reich entriß –
Das Chaos, Grab und Mutter der Natur!
    Ich gehe dir, Lorenzo, allzuweit?
Ich schwärme wohl? Nein! recht bei Sinnen bin ich!
Die Ahnung spricht für mich, wär' Täuschung auch mein Glauben;
Und irre ich, so sproßt der Irrthum doch 454
Aus edler Wurzel: Hochbegriff vom Höchsten.
Doch wiefern Irrthum? Wer bewährt ihn so?–
Nur der, so Schranken setzen kann der Allmacht.
Begriffe mehr der Mensch, als Gott vermag?
Ihm ist Unmögliches allein das Schwere.
Er ruft mit gleicher Leichtigkeit in's Seyn
Der Schöpfung All so wie ein einzel Sandkorn.
Ein Wort von Ihm: es schweben tausend Welten!
Nur tausend? Für Millionen hat Er Räume;
In welchem wär' Sein groses Werde fruchtlos?
Verurtheil' nicht, o frost'ger Kritiker!
Laß' wandeln meine glüh'nde Phantasie.
Warum ein Strafurtheil? Warum es tadeln,
Wenn an Gedanken sich erfreut der Geist
Die unser Herz bewund'rungsvoller schwellen
Für jene Macht, die so die Herzen schuf,
Daß solch Gefühl sie höher schwellen kann?
Warum uns nicht an Gottes höherm Lob' ergötzen?
Strahlt Seine Herrlichkeit nicht glänzender,
Je weniger dem Chaos übrig bleibt
Und jenen Räumen grausenvoller Nacht,
Die Phantasie in banger Hast durchirrt,
Doch nie, so gerne sonst beredt, uns schildert?
    Noch scheint dir ungeheuer mein Gedanke?
Erwäge ihn zum andernmal. – Es soll Erfahrung 455
In dir den noch gelähmten Glauben stützen.
Erschlossen uns Vergröß'rungsgläser nicht,
(Die Offenbarungspred'ger des Gesichtes)
Das Tiefverborgenste des zartsten Baues
In der Natur, die auch im Kleinsten groß
Und dargethan noch unbegreiflich ist?
Will nun im Gegensatz der Geist ihr folgen,
Wo sie in Gröse herrlich strahlt, wie kann
Er dann zu hoch sich jemals aufwärts schwingen,
Um dem Gewicht der Schöpfung gleich zu seyn?
In solchem Werk mag nur die Schwäche irren;
Was ist zu groß, erwägen wir die Quelle?
Erhabner Bauherr! du, o du bist Alles!
Nach dir gelenkt, schwebt auf und ab mein Geist,
Doch findet er sich immer in der Mitte!
Ich bin, das ist Dein Nam'! Dein Eigenthum das Daseyn!
Die Schöpfung Nichts; es ehret sie, zu heißen:
»Die leichte, flücht'ge Atmosphäre Gottes.«
    O daß die Stimme – wessen Stimme, wessen?
Kann eine mir genügen in dem Schwung,
Dem allzu klein ein ganzes Weltall dünkt?
O sag' Lorenzo! (denn jetzt glüht im Sonnenwirbel
Allmächtiger Gewalt die Phantasie)
Ist diese Schöpfung, uns're Heimath, nicht 456
Ein Pünktchen auf des grosen Weltalls Karte!
Wie auf der kleinen Erde schön Britannia;
Nach ihrem Maas wohl wunderschön und herrlich,
Doch anderwärts besiegt an Maas und Pracht?
Kann die Idee (zu fern' liegt die Erscheinung!)
Sie dir als Insel in der Wesen Ozean,
Dem Auge fast entschlüpfend, nicht gestalten?
Durch mächt'ge Seen unbebauten Raums
Gesondert von der Nähe andrer Räume;
Vom weiten Festland höher geist'gen Lebens,
Wo edlere Geschlechter eingeboren,
Die minder nordwärts, minder fern der Gottheit,
Erglühen unter Ihrer Mittagslinie;
Wo sich im Flug die Seelen reich entfalten
Und nicht im Spätherbst erst in Früchten schwelgen,
Zu Engeln früh an Werth des Innern reifend?
    Doch wie? Verliert sich Phantasie so weit?
Zurück, vermeßne Schwärmerin! erkenne
Des Menschen Grenzen! schilt sie nicht zu eng!
Eröffnet uns das Aug' nicht volle Bahn?
O reich genug ist das Gebiet der Sonne
Und herrlich anzuschau'n! Wie ferne hin,
Wie weit ergießt die fleckenlose Fürstin
Vom Flammenthron, verschwenderisch mit Glanz,
Ihr Strahlenmeer! ergießt es weiter, schneller, 457
Als der Gedanke fliegt und nährt mit Glut,
Mit ew'ger Glut, ihr dienende Planeten!
Ein Gröserer, als einst am Nil der Zwingherr,
Erbaut' die himmlische Heliopolis;
Zerstören kann sie nur, der sie gebaut.
Wozu schweift über sie des Menschen Geist empor?
Es beut ihm Stoff genug die eine Welt der Wunder!
Zur Reise Raum giebt ein Unendliches!
In Fülle läßt ein Firmament ihn lesen!
Wie reich entwickelt sich Belehrung hier!
Bleibt ihm ein Blatt der Wissenschaft verschlossen?
Nicht eines, macht die erste Pflicht ihn weise.
Auch ist hier Wissen nicht die einzige Belohnung;
Es wohnt am Firmament ein edel Pathos,
Das wärmt Gefühl und Herzen rein bekehrt.
Wie hoch beredt erstrahlt der glüh'nde Pol!
Wie feierlich vollzieht er seinen Auftrag,
Erhabne Wahrheit uns erhaben kündend,
Im Schweigen laut, vom Erdball rings gehört!
Vernommen über der Planeten Bahn
Und überhört selbst in der Hölle nicht!
Die Hölle staunt, obgleich zu stolz zu preisen!
Ist höllischer die Erde! Hat sie Menschen,
In deren Brust (Lorenzo!) Gottes Lob,
Bewund'rung Gottes nie die Stimme hebt? 458
    Lorenzo muß ganz andre Dinge schon bewundern!
Noch keine Frage that er an den Mond;
Er redete mit keinem Sterne noch;
Nie weihte er der Königin des Himmels,
Einher im Glanze geh'nd, des Altars Glut;
Nie suchte seine Andacht ihr Gefolg.
Längst schon eroberten des Himmels Nebenbuhler
Hier unter'm Monde seine Innigkeit;
Die schlimmen Sterne! ihren Astronomen
Voll Zärtlichkeit verleiten sie zum Unsinn,
Verfinstern seinen Geist, sein Herz verderbend:
Um sie giebt er die Ehre hin, die Ruhe,
An Wuth des Augenblickes – Lust genannt.
Ein größ'rer Götzendiener, als je einer
Die selbst geküßte Hand zur Luna hob,
Zu ehren Zeus das Opferblut vergoß.
O Du! allein berechtigt Opfer zu empfangen!
O groser Zeus, der Dichtung nicht, der Wahrheit!
O Gott-Belehrer! hier dein erstes Werk,
In groser Schrift, vom Menschen zu durchlesen;
In Mond und Sternen (Himmels goldnen Lettern)
Erleuchtet, um die Augen zu erfassen;
Wer nur vorüber eilt, der kann es lesen,
Wer liest, kann es verstehn. Es ist nicht eigen
Dem Land der Christen nur, dem Volk der Juden; 459
In allgemeiner Sprache offenbart
Es sich dem menschlichen Gesammtgeschlecht:
Erhaben dem Gelehrten, schlicht für den,
Der seine Herde hütet, führt den Pflug
Und aus der Aehre schlägt das reife Korn;
Doch werth des grosen Geist's, der zu uns spricht!
Vorrede und Erklärung heil'ger Schrift,
Die oft zum Firmament den Leser weißt,
Als komme er zu ihr, dort vorbelehrt,
Und ohne jene sey sie Bruchstück nur:
Dem Weisen ein erstaunlich Buch der Weisheit!
Erstaunlich! und, o Nacht! von dir eröffnet!
    So viel hast du, o Nacht! mir schon vertraut!
Doch mehr noch wünsche ich; wie mag ich es erlangen?
Sprich, holde Nacht! die mit dem sanften Strahl,
Mit dem jungfräulichen die Schöpfung neu gestaltet
Und dieses herrliche Gemäld' der Welt
Im mildern Licht vor unserm Aug' enthüllt!
O sprich, du süße Herrin mit dem Silberschlüssel,
Der unserm Halbkreis jene Pforte öffnet,
Aus welcher wir Millionen Welten schauen:
Die Welten, welche uns der Tag verbirgt
Durch's stolze neidige Gestirn des Mittags! –
Vermagst du mir den innern Vorhang aufzuziehen?
Zu zeigen mir den mächtigen Gebieter, 460
Den. diese herrlichen Kleinode angehören,
So prachtvoll ausgelegt am Firmament,
Die heil'ge Hoffnung in uns anzufachen?
Dem Manne gleich von Uz schau' ich umher,
Auf allen Seiten sucht mein forschend Aug' –
O würde mir ein Schimmer nur von Ihm,
An dem anbetend meine Seele hängt!
Wie der gejagte Hirsch in öder Wüste
Nach dem lebend'gen Quell des Wassers schmachtet,
So lechzt mein durst'ger Geist in dieser Leere
Der Freuden unter'm Mond. Sprich, Himmlische!
Wo strahlt Sein Aufenthalt? wo flammt Sein Thron?
Du weißt es, bist Ihm nah; zufolge heil'ger Sage
Ziehst du den schwarzen Vorhang um Sein Zelt.
Auch deiner Kinder keins mit schnellen Schwingen,
So ferne flieh'nd, entdeckt mir, wo Er wohnt?
Hienieden zeigte es vordem ein Stern!
Plejaden ihr! Arktur! und Mazaroth!
Orion du! mit dem noch schärfern Blicke!
O sagt, die ihr den Irren führt auf Wogen
Und aus dem Sturm' ihn zu dem Hafen bringt.
Auf welcher Bahn vermag ich Ihn zu finden? –
Wohl hütet dieser Hof des Herrn Geheimniß:
Vergeblich hofft's mein Wachen zu entwenden. 461
    Ja, wachend klimme ich die Strahlenleiter
Der Nacht empor vom Kreise zu dem Kreis:
Die Staffeln der Natur für Menschen-Aufschwung;
Zur Lockung von ihr ausersehn, zum Beistand;
Dem Auge Reiz, dem steigenden Gedanken Stütze,
Bis er zum grosen Ziel des Alls gelangt.
    Im raschen Wagen feuriger Betrachtung
Erheb' ich mich aus meinen Erdeschranken.
Wie schnell der Flug, verkleinert weicht die Erde;
Den Mond laß' ich zurück, durchdringe jenseits
Des Himmels blau Gezelt, erreich' die Ferne,
Wohin des Weisen Scharfsinn mit erhob'nem Sehrohr'
Auf Bahn der Kunst die luft'ge Reise wagt,
Das Menschenaug' mit Engelsblick bereichernd.
Bei den Planeten meiner Strasse weilend,
Befrag' ich sie nach Ihm, der ihre Kreise rollen
Und ihre Stirnen leuchten hieß. Vom Ring'
Saturns, in dem ein Heer von Erden sich verlöhre,
Nehm ich mit kühnem Irrstern höhern Flug
Nach jenen Herrscher-Glorien des Himmels,
Die angebornes Licht in Freiheit schmückt:
Den Seelen eines eignen Weltgebäudes!
Den Lebenspendern in dem weiten Reich!
Es flammt rings um mich her der Wunder Wildniß; 462
In höhern Sphären brennend größ're Sonnen,
Der Engel Lustsitz, wenn sie niedersteigen!
Doch weiter geht mein Flug, der kaum begann;
Hier ist die Schwelle nur von Gottes Sitz;
Wie tief bin ich vielleicht noch unter Ihm.
Nicht seltsam! ich ergab mich ja dem Irrthum:
Denn jene Gröse Seiner Wunderwerke,
Wo Thorheit Beistand suchte, sie erhöht
Für die Vernunft noch Seine Herrlichkeit;
Der so hoch baute Würmern – (Seinem Antlitz Würmer!)
O wo, Lorenzo! muß der Bauherr wohnen?
    So ruhe ich die Pause des Moments! –
Ist anders Ruh' dem Geist beschieden hier.
Wo find' ich mich? – die Erde, wo? – wo dich,
O Sonne? Floh'st du nach der Einsamkeit?
Ist kurz dein stolzer Weg zu meiner Bahn?
Wie kurz! Hoch von den Alpen der Natur
Erblick' ich unter mir der Firmamente tausend!
Der Weltsysteme tausend! tausend Stäubchen!
So fremd dahier, so spät hieher gelangt,
Wie kann der rege Geist des Menschen sich enthalten,
Zu fragen nach den Bürgern dieser Welt,
Den Eingebornen einer fremden Sphäre,
So wenig ähnlich unserm Erdenkreis 463
Und nie von einem Sterblichen berührt,
Wenn Gottes Hand nicht selbst ihn hieher setzte?
    »O Ihr! so ferne meiner kleinen Heimat
Als schnellster Sonnenstrahl fliegt im Jahrhundert!
Ich wandre weit von meiner Wiege Himmel,
Dem Menschen neue Wunder aufzusuchen.
Wie nennt ihr dies Gebiet des grosen Reichs,
Das Ihm gehorcht, vor dem sich Alles beugt?
Bewohnen's Sterbliche? bewohnen's Engel?
Ihr Nachbarn seel'gen Landes, wer seyd ihr?
Vom Himmel ausgesandt? Erhoben nur
Durch freundlichen Verkehr mit nahen Himmeln
Zu der Genossenschaft der Göttlichkeit?
Doch wie dem sey, entschieden zeigt sich hier
Ein andres Leben, als die Erde lebt,
Und einer neuen Sprache Laut hör' ich;
Ganz anders, als der Mensch, denkt ihr vielleicht.
So mannichfaltig sind die Werke Gottes!
Doch was denkt ihr? Herrscht die Vernunft bei euch,
Und unumschränkt? kämpft Sinnlichkeit mit ihr?
Strahlt euch ein zwiefach Licht? bedürft ihr nur des einen?
Weilt in dem seel'gen Land noch goldne Zeit?
Enthaltsam war die Eva eures Edens?
(Der Erden-Eva schöne Töchter thun 464
Den Stammbaum dar, indem sie ihre Adams fragen:
Ob klug nicht gern ein jeder werden mag?)
Doch lies die Mutter euch den Sündenfall,
Seid ihr erlöst? – Und wäret ihr erlöst,
Verachtet ihr auch eueren Erlöser?
Verweilt ihr ewig hier? Und weilt ihr nicht,
Entnimmt Versetzung euch? entnimmt euch Tod?
Wenn Tod, was für ein Tod? ^ Kennt ihr die Krankheit?
Kennt ihr das Scheusal: Krieg? – das Scheusal, das
Zur jetz'gen Unglücksstunde unsern Welttheil
Erseufzen macht. (Europa nennen wir
Ein kleines Ländchen voll von tollen Fürsten.)
In unsrer Welt schickt Tod Unmäßigkeit,
Des Alters Werk zu thun: den Köcher, den
Natur ihm gab, legt er als allzu langsam von sich
Und sendet Schlächter ab in Purpurmänteln;
Sie heißt er ihre Schaafe selber tödten
(Nachdem sie erst die dümmlichen entwollt)
Und zweimal zehen tausend ihm beschicken
Zu einem Mahl! Erglänzen alle eure Henker
Auf Thronen? Macht bei euch auch Sucht nach Raub zum Gotte?
Und wascht im Blut sich jeder Flecken aus? –
Doch ist vielleicht zu bluten euch versagt: 465
Vielleicht hüllt euer Geist, des groben Stoffes ledig,
In zart ätherisches Gewand sich ein,
Berechtigt, frei von Last und Gift zu schweben.
O wie verschieden fiel sein Loos dem Menschen!
Die Mehrheit des Geschlechts erstickt der eigne Moder!
Wir führen stets in uns'rer Brust den Krieg!
Verfloß der Mühetag euch harten Kampfs?
Seyd ihr des Unterrichts noch rohe Schüler?
Verschmäht man auch bei euch der Zukunft Erbe?
Doch fragt ihr, wer wir sind? Ihr habt bis jetzt
Vom Menschen nicht gehört, nicht von der Erde,
Dem grosen Irrenhaus des Universums!
Wo die Vernunft (nie krank in eurer Mitte)
In Aberwitz verfällt und als die eignen Kinder
Der Thorheit Ausgeburten zärtlich pflegt,
Den häßlichsten am zärtlichsten ergeben.
Auf dem geweihten Berg der Heiligkeit,
Wo ein untrüglich Urtheil sich verkündet
Und mit dem Anspruch auf die Gottheit donnert,
Selbst dort beschämen Heilige den Satan,
Zu Recht verfeinernd, was ihm Unrecht dünkt,
Und bilden gütig die noch unerfahrne Hölle
In ihren eignen schwarzen Künsten aus;
Belehrt erfreut sich Satan der Moral.
Wie seltsam mögt ihr alles dieses finden, 466
Da euch so unbekannt der Mensch geblieben.
Drang nie von ihm ein leis Gerücht zu euch?
Berührte euch Elijah in dem Flammenwagen?
Kam hier vorüber einst der fromme Enoch
Auf seiner Pilgerfahrt nach holden Fluren,
Aus welchen Lucifern der Himmel stieß?
Der, euern Kreis im Sturz vielleicht bestreifend,
Befleckte den Krystall des reinen Äthers
Und eures Tages Licht momentenlang
Mit seinem grausenhaften Schatten deckte!
O faßte doch der Feind auf seiner Bahn
In einem jener grosen Kreise Fuß!
Erreichte er doch nie den jetz'gen Sitz!
Dann fleckte er den Erdball nicht mit Tritten,
So schwarz gefärbt in tiefer Hölle Glut,
Daß selbst der Ozean sie nicht rein gewaschen,
Als er von Rom nach Britteneiland schritt;
Zu sichtbar noch auf ihm! ach! allzu sichtbar!«
    Ich wende mich zu meiner Bahn zurück!
Wo ist Er, der von Seines Himmels Zinnen
Den Böswicht in des Kerkers Nacht und Pein geschleudert?
Wo ist Er, dem der Schöpfung höchster Gipfel
Im niedern Thal' erscheint? Er, den der Mensch,
So lang' er Mensch, mit Sehnsucht suchen muß; 467
Durch den er, fand er Ihn, mehr wird als Mensch?
O zeigte mir ein Fernrohr Seinen Thron!
Sagt Erdenweise mir, sprecht, Himmelssel'ge!
Ihr forschende Newton'sche Engel, sagt!
Wo ist des grosen Meisters Sonnenkreis?
Wo sind die ihn begleitende Planeten?
Und die beseelten Wächter, Morgensterne,
Der Gottheit Erstlinge! vom Mittelpunkt der Liebe
Durch innige Verehrung weggedrängt,
Doch mächtig auch von süßem Zug gelockt;
Erbebend, doch entzückt; entzückt, doch ruhig;
Unsäglich strahlend in verlieh'nem Glanz;
In Kreisen, die sich fern' und nahe wenden,
Rings um der Sonne ew'gen Herrn sich drehend?
Oder in grader Bahn hinweggesandt
Als Gottesboten zu den Völkern – – wohin?
Weit jenseits irdischer Gedankensphäre!
Und ausgesandt zu welchem Hochgeschäfte?
Hier endet alles menschliche Erforschen
Und immer kenn' ich Seinen Sitz noch nicht.
    Mit vollem Recht! Ich fehlte ganz die Bahn,
Da Neugier meine Zeit beherrscht statt Andacht;
Wo Himmel liegt, wo Hölle, gilt ihr höher,
Als sein Besitz und Sicherung vor ihr.
Doch nicht der Neugier, nur der Andacht Pfad 468
Führt hier zum Ziel; denn, o Lorenzo, wisse:
Auch wenn kein Stern ihn leitet und kein Engel,
Kommt, wer die Gottheit innig ehrt, zu Ihr.
Demüth'ge Liebe, nicht vermeß'ner Geist,
Bewacht des Himmels Thor und giebt der Liebe Zutritt,
Indeß sie abweist stolze Wissenschaft.
Des Menschen Wissen ist: sein Herz zu bilden
Und nicht sein kühnes Senkblei zu verlieren
In Tiefen der Natur, der Gottheit tiefern Tiefen;
Denn beides ist ein frevelnd Wagestück,
Das auf des Thoren Linie setzt den Weis'sten.
Ergründung der Natur (hier kaum versucht!)
Ist hohe Weisheit sicher dort im Himmel;
Auch Engel steigen noch in Seligkeit,
Wie sie in der Erkenntniß Graden steigen,
Und lernen, tief bewandert, stets noch mehr;
Denn welch ein Donner heil'ger Allmacht rollt
(Vergönnt sey mir das Wort) im ganzen All!
Im Menschen, auf der Erd', am hohen Firmamente!
Er lehrt uns, was nicht gerne lernt der Stolz:
»Nicht tief zu schau'n, nicht vieles zu erkennen,
Bewundernd anzubeten, ward der Mensch!«
    Und gründet hier sich tiefere Bewund'rung,
Als die bisher den Busen uns erfüllt? 469
Sie gründet sich, mit ihr auch tief're Andacht!
Lies mich denn unbelehrt die weite Himmelsreise,
Die ich von Schranken unbeengt gewagt?
Was ich gelernt, vernimm Lorenzo, nun!
Es ist ein jeder Stern ein Gotteshaus;
Ich sah dort Altarsglut und Weihrauchduft,
Ich hörte lautes Jubellied durch alle Sphären
Die alle reich an künft'gen Engeln sind.
Denn der Natur Gebiet ist Weiheboden,
Unsterblich göttliches Gedeihen bringend.
Des grosen Eigenthümers Gnadenhand
Läßt öde nichts; auf diese Flammenfelder
Streut sie den Samen der Vernunft; er wächst
An Gottes Schöpferstrahl zur Tugend auf
Und reift, entging er erst dem gift'gen Dunst
Verkehrten Willens, für des Himmels Erndte.
Und dieser Erde schien' der Andacht Zoll zu lästig,
Wenn, ihrer Huld'gung stolz, weit höh're Wesen
In wonnevoller Demuth Gott verehren?
    Doch wozu mehr noch von der Sternenwelt?
Von Reisen in des Äthers weiten Räumen
Und Weltentausenden in tausendfält'ger Andacht?
Vom Weihduft der Natur vor Gottes Thron,
Nur ungetheilt von kühnen irdischen Lorenzos? 470
Ergossen hab' ich aus den Feierquellen
Des Geists den Strom des Liedes, wie der Fluß der Fabel,
Eridanus, auf ihn den Flammenhimmel;
Nichts lockt mehr im Gebiet der Phantasie,
Der Wirklichkeit die Muse nach der Ferne: –
So laß' uns denn zurück die Schritte lenken,
Nachdem wir einmal noch die weite Landschaft
Der Nacht, die wir durchwallt, ins Aug' gefaßt.
Dann sag', Lorenzo! sage dann: ob innig
Nicht Geistesblick auf dieses hehre Ganze
Den tief ergriff'nen Beter drängt, zu rufen:
»O heil'ge Wurzel eines mächt'gen Baums!
O welch ein Vater! welche Riesenkinder!
Die Welten! Weltsysteme! Schöpfungen!
Die Schöpfungen in einer Traube hangend
An deinem Wesen, o erhabne Rebe.
An dir, an dir hängt sie, die volle Traube,
Die Tochtertraube! (reich, unendlich reich
Entwickelt in der glüh'nden Kugeln Menge,
Auf welchen vielgestaltet Daseyn wohnt!)
Und saugt (o Nektartrank!) unsterblich Leben.
Sie sey mir auch (denn welches Wort genügt?)
Die Fassung von zehntausend Edelsteinen
(Und o! von welchem Umfang und Gewicht!) 471
In einem Ringe, funkelnd an der Rechten
Der Gottesmajestät! Auch Strahlensiegel,
Das tief in die erschaff'nen Geister prägt
Und unverlöschbar Gottes höchstes Wesen:
Die Allmacht und die Liebe! – Allmacht ohne Grenzen
Und Liebe über solche Allmacht noch!
Hier ist das Ziel für uns: nicht Gottes Ohnmacht,
Des Menschengeistes Schwäche setzt es fest.
Selbst dies erkennend bleiben wir in Schuld;
Ist Gröser's noch, so ist's, Erhabner! dein!
Genehm'ge dein Gemäld' von meinen schwachen Händen!
Vergieb dem Geist des Sterblichen ein Streben,
Was ohne Schuld dem Engel selbst mißlänge!«
    Denkt so der Geist sich hohe Kraft der Allmacht,
Denkt er sich so die Plane des Allmächt'gen,
(Nicht ungereimtes Wirken des Gedankens!)
Wie kräftig schwingt sich dann der Schwache aus!
Nicht er allein! Die Fülle Gottes strömt
Am mächtigsten aus dem, was unbegreiflich
Den Menschen bleibt und auch den Engeln.
Erwäg', erwäge denn, hör' nie auf zu erwägen:
Wie tief des Menschen Platz, wenn Engel knien!
Und nun! erfüllte ich mein stolzes Wort?
Es rief dir zu: »O laß' empor uns steigen,
Entzünden uns're Andacht an den Sternen.« 472
    Mißlang es mir? Und hab' ich dich getäuscht?«
Bist du ganz demanthart? ein kaltes Lächeln
Erwiedert spöttisch meiner Gründe Glut?
Lorenzo! Lächeln wird zum Elend hier!
Schwör' bei den Sternen, schwör' bei Ihm, der sie geschaffen,
Daß künftig rein, wie sie, dein Herz verbleibt:
Dann strahlst du ihnen gleich; gleich ihnen steigst
Du dann nach heiligem Naturgesetz
Die Stufenreih' vom Niedern zu der Höhe,
Vom Dunkel zu dem Licht. Woher die Sterne?
Das Chaos frag' – Es kann dir Auskunft geben.
Am Firmament die schimmernden Versucher
Zum Götzendienst, sie nahmen ihren Ursprung
Im Schoos der tief chaot'schen Finsterniß;
Sie sind der Ungestaltheit späte Kinder!
Es stiegen ihre rohe Massen auf
Vom flüß'gen Grund der Tiefe, sich verdichtend
Zu Kugeln ohne Licht, bis Dämm'rung kam,
Aus Dämm'rung Glanz, dann voller Tagesschimmer.
Natur ergötzt sich am Verfolg der Bahn,
Am Übergang von Mindergut zu Besserm:
Doch schwingen nach der Höh' sich Geister auf,
So liegt ein Theil des Siegs in ihrer Kraft.
Der Himmel hilft zur That; macht gröser Groses, 473
Doch kleiner auch, was gern bei Kleinheit weilt.
O werde Mensch! zum Gotte wirst du dann!
Halb dein Geschöpf! – O göttlich Ehrgeiz-Ziel!
    O du, der nur in Schande sucht den Ruhm!
Noch andachtlos bist du, noch nicht entbrannt? –
Genossest du gleich in der Höh' die Lehre
Des Firmaments und warst der Sterne Schüler!
O feiger Knecht der Welt nach gutem Ton!
Bist du beschämt dein Knie vor Gott zu beugen?
Verruchter Höllenstolz des tiefsten Abgrunds!
Des Menschen edler Stolz auf ächten Glauben
Er schmückt mit höchster Würde aus den Menschen.
Lorenzo! sehnsuchtsvoll nach Untergang
Und mit der Liebe Glut am Tode hangend!
Erlöschen allzumal hier diese Himmelslichter,
Nicht halb so düster wäre solcher Anblick,
Als eine Seele, die, im Finstern wandelnd,
Nach Wonne tastet und Verzweiflung findet.
Sieh, wie die Nacht, der Wittwe gleich in Trauer,
Tief schweigend in der Lampen Schimmer sitzt!
Wie gramvoll, wie bekümmert weint sie Thau
Um Thau, die Schönheit der Natur umdüsternd!
Noch düstrer schwärzt die Sünde Menschengeist,
Vernichtend Trost und jeden Hoffnungsfunken. 474
    Blind ist dein Herz, doch offen noch dein Aug':
Wozu die Herrlichkeit, die ihm erscheint?
Des Stoffes Gröse hat zum Theil den Zweck,
Vernünft'gen Wesen, die sie schau'n, zu sagen:
»So unermeßlich er, doch sey der gröser,
Der in der weiten Brust als leichte Bürde
Den Plan umspannt, bewahrt, der Allnatur;
Die Schöpfung faßt im einzelnen Gedanken;
Die Schöpfung faßt, mit ihrem hohen Vater.« –
Sie soll auch schauender Vernunft bedeuten:
»Ihr sey es hehre Pflicht, das wicht'ge Schicksal
Das unentschiedene des Wesens zu bewachen,
Das tausend Sonnen herrlich überglänzt:
Ein Geistesstrahl verdunkle tausend Sonnen.«
Und horcht der Mensch gehorsam dieser Stimme,
So schwebt er bald, sehr bald nach fernen Höhen;
Ja, auf der goldgeaugten Purpurschwinge
Zum Raume dringend, jetzt dem Geist verschlossen,
Sieht er mit Stolz auf Sternenglanz herab!
    Wozu noch Widerstand? – Es lebte keiner,
Der sterbend nicht (dann spricht die Zunge wahr!)
Das, was dich glücklich macht, höchst eitel nannte;
Höchst eitel und noch weniger als eitel! –
O denke nun, als sey der Tod dir nah;
Laß dich herab zur Sinnesart der Engel! 475
Vergönne dir die Möglichkeit des Glücks!
An schlimme Wahl knüpft schlimm Geschick Natur;
Und wär' kein Gott, die Hölle wäre doch.
Weißt du es nicht, mein neuer Astronom!
Daß wie die Erde sonnenabwärts geht,
Sie Nacht dem Menschen bringt? So bringt der Mensch,
Der sich von seinem Gotte kehrt, die Nacht,
Die nimmer enden wird, dem eignen Haupt;
Dann ist das Buch der Lehre ihm verschlossen
Und Freundschaft, Beß'rung, Friede fehlen ihm.
Wie tiefe Finsterniß! welch lautes Ächzen!
Wie ferne! fern der Erdenglut die Flammen!
Das ist Lorenzo's Streben und sein Ruhm!
Des übermüth'gen Klüglings Ruhm, Lorenzo's!
Doch las ich ihm das Himmelsbuch zur Hälfte;
Sein Ohr vernahm's, dem Herzen bracht ich's nah.
    Denn wähne nicht, daß ich zu dir gesprochen:
Natur, die grose, sprach, mein Lied war Echo.
Was redete die göttliche zu dir? –
Das Wort, das sie beständig wiederholt:
»Setz' an die Spitze der Natur den Herrn,
Der Seinen Blick versendet über's All,
Das All mit Seinem Flügel schützend deckt,
Verkündet Sein Gebot; doch mehr als das – 476
Der Fülle spendet unermeßner Wohlthat:
Zu dem Gekränkte flieh'n um sichre Hülfe,
Um Mitleid Sünder, Leidende um Ruh';
Vor dem des Weltgebäud's Bewohner alle,
So mannichfach an Schicksal, Stellung, Kraft,
An Wonne steigen, wie an innerm Werth,
Und dann (sind sie der vollen Näh'rung würdig)
Zum seelgen Urquell ihres Daseyns kommen;
Wo überstandner Kampf die Wonne steigert,
Wo seel'ge Gegenwart der Zukunft Freuden schauet
Und immer höher wächst der Wonnen Maas!
Kein Ziel! und Doppelgabe jeder Schritt!
Bei jedem Schritt Beseel'gung und Verheißung!«
Wie leicht schmiegt dieser Lehre sich das Herz!
Sie sagt ihm zu; entspricht dem Glutverlangen;
Stillt Leidenschaft; befriedigt die Vernunft;
Sie ist verständig! groß! – Doch deine Lehre?
Die hüllt uns ein in schwarze Qualennacht,
Entkleidet uns der Hülfe und der Hoffnung,
Und tiefer stets und tiefer uns versenkend,
Giebt sie dem Zufall uns auf kurze Frist
Zum Spiel und dann zum Raube der Verzweiflung.
    Sag' nur, Lorenzo (denn du weißt es wohl)
Was Laster ist?–Nur geist'gen Maasstabs-Mangel.
Was Glaube? – Urkund' richtigen Verstands. 477
Wie schallt aus seinem Reich dir Wehe nach!
Verschulde ich's, wenn Wahrheit, die ich spreche,
Dich einen Thoren heißt? denn nimmer soll
Den falschen Namen dir mein Mund verleih'n.
Wird weder Scham noch Angst dir rettend Freundin
Und bleibst du immer das Insekt des Moders?
Wie eilt' ich, deinem guten Engel gleich,
Dir zu; riß dich hinweg vom ird'schen Boden
Und führte dich durch alle Himmelsschaaren
Und brachte dich, als seyest du ein Gott,
Die Reihen hin der höchsten Himmelsgluten;
Und ballte dir die Wolken zu den Füßen;
Ja, an der Gottheit hehrem Paradis vorüber,
Hab' ich dich fast zu ihrem Thron gelenkt!
Und dennoch zechst du immer noch behaglich
Das Todesgift, das erst erbraußt zu Schaum
Und sich zuletzt in Galle niederschlägt?
Dem Wesen edler Art, unsterblichen Gepräges,
Ist ekel jede Lust, die enden muß!
So ekler nur, je reizender die Lockung!
Und du erwählst, was endet, eh' es recht begonnen,
Und schmählich, wie von kurzer Dauer ist?
Und du (dem Ruhm so lieblich schmeckt) du strebest
Durch der Verachtung Sumpf nach dem Verderben,
Ein Gräul nicht nur dem armen Überfrommen, 478
Dir selbst ein Gräul? Denn mir gelang der Blick
In dein verschlossen Herz: ich seh in ihm
Trotz deiner stolzen Stirn die tiefe Scham;
Denn auch der rasche Angriff schwerer Schuld
Stört das Gewissen nur, zerstört es nicht.
    O Wesen! höchster Achtung werth! höchst eitel!
Dein Wille wie so schwach! wie herrlich dein Vermögen!
Zwar säte Ewigkeit dir Wohl und Weh
In deine herrische Brust; auf deiner Wahl
Beruht der Himmel dir, beruht dir Hölle:
Doch ach! ein Schmetterling schwebt zwischen beiden
Und beide sind vor deinem Aug' dahin.
Ist's ein vernünftig Wesen, das ich schild're?
Dies grause Bild, es gliche in der That?
Lorenzo! nein, es kann – es darf nicht seyn,
Wohnt anders Kraft im Geist, ein Talisman im Liede,
Das ich im Dämmerschein des Mondes sang,
In der Planetenstunde, wann der Schlummer
Die Lippen alle schließt und wilde Jagd
Des Traums begeistrungslose Seelen hetzt
Durch Unsinns Labyrint. – Der heil'ge Dienst beginnet!
Vernimm die Tochter meiner Mitternacht,
Vernimm die feierlich erhabene Beschwörung, 479
Die deinen Geist entrücken soll dem Staub:
Die Sterne blicken staunend auf den neuen Zauber;
Er kommt von Gott, er steigt nicht aus der Hölle!
    »Bei jener Stille, die dem Tode heilig;
Bei Finsterniß, dem sichern Loos der Schuld;
Bei'm düstern Schwesternpaar der Finsterniß und Stille,
Die uns den Eibenthron der Nacht verschleiern
Und feierlich, gleich ihr, die Seele stimmen!
Bei ihr, der Nacht und ihren reichen Gaben
An Geist und Sinn (viel Groses giebt sie beiden)
Bei ihren stets bewegten Flammen hier,
Die immer, gleich der Vesta Feuer, brennen,
Geweiht, den Vestaflammen gleich, der Geistesreinheit!
Bei diesen Predigern im Strahlenlicht,
Die Gott bewährend, preisend, dem Gebet' dich weih'n,
Vielleicht dereinst, wenn du Ihn treu verehrst,
Dir Stütze sind, dich Seinem Thron' zu nahen;
Die Ruheplatz dem Pilgergeiste bieten,
Wenn, stufenweis zum höchsten Gipfel reifend,
Auf jedem Ball er Schlacken von sich legt!
Bei'm finstern Leichentuch, verstummte Welt umhüllend!
Bei Königen der Welt und ihren Reichen!
Vom Ruhm verklärt, nach kurzem Glanz erloschen – 480
Ein düster Zeichen für den Stolz in Blüte!
Bei'm langen Reihen rascher Sterblichkeit
Von Adam bis zu dieses Abends Glocke,
Die mitternächtlich Bangen auf uns senkt
Und vor der Phantasie die Hundert Hundert sammelt,
Um Todes schwarzes Banner eng verschränkt!
Bei Tausenden, die jetzt der Odem flieht,
Die – bist du weis' – dir nicht vergeblich rufen!
Bei Gräbern, sich erthürmend über Gräbern,
Wo Menschenstaub – den Menschenstaub verdrängt;
Des Königs Angst! des Todtengräbers Brod!
Bei'm Leichenprunk, der sich dem Tag verbirgt,
Bei'm Fackeldampf, bei stolzer Federn Nicken,
In Glanz Erniedrigung des armen Menschen hüllend,
Des Falles Prahlerei! des Staubs Triumph!
Bei dumpfer Gruft, erlaucht Gebein beweinend,
Und bleicher Lampen Schein auf bleiche Leichen,
Noch gräßlicher durch schwerer Dämm'rung Schatten!
Bei schwärzern Szenen noch (wenn deren sind)
Bei schwebendem Gespenst und Waldgeheul!
Bei Grabesächzen und des Jammers Seufzer,
Der Schutz im Elend von dem Grab' erfleht!
Bei dem Verzweifelnden, der Todesschmerz
Vor Sündenqual, die ihn bedrängt, nicht fühlt!
Bei'm letzten Schuldverhör! dem blut'gen Mord, 481
Dem wankenden Gewölb des hohen Himmels,
Der Sterne Fall, des Donners letztem Rollen,
Der Sterbeglocke herrlicher Natur!
Bei'm zweiten Chaos und der ew'gen Nacht!«
Beschwör' ich dich, Lorenzo, weis' zu werden!
Auf daß Philander nicht dem Zauber zürne,
Den ich dir sprach; auf daß er es erkenne,
Wie ich der Doppelschuld nicht untreu war:
Dem Lebenden in Lieb', in Treu dem Todten.
    Denn wisse: Seinen Willen nur vollzieh' ich;
Er ließ das geistige Vermächtniß mir;
Dir stell' ich es, wie er geboten, zu.
Philandern hör' in mir, den Himmel in uns beiden!
Doch schlösse sich für beide auch dein Ohr,
O so vernimm Florellos zarte Stimme!
An deinem Entschluß hängt sein Wohlergehn;
Es zittert deiner Wahl; um seinetwillen –
Sey selbst dir lieb: denn mächtig wirkt das Beispiel
Auf unser Herz; noch mächtiger das schlimme;
Am tiefsten eines Vaters sündig Vorbild,
Das unvermeidlich macht des Sohns Verderben.
Das Daseyn gabst du ihm und könntest unnatürlich
Das Unglück seines Lebens nun erzeugen.
Daß er dem Daseyn fluch' von dir verlieh'n? 482
Wär dies des liebevollen Vaters Segen?
Wenn sorglos für Lorenzo auch, so schone,
O schon' Florellos Vater und den Freund Philanders!
Florellos Vater stürzt mit sich den Sohn,
Und von Philanders Freund erharrt die Welt
Ein Leben, das den Todten nicht entehrt.
So laß' die Leidenschaften denn das Werk vollbringen,
Das vorbestimmt dem edlern Ursprung war:
Von Liebe unterstützt und Eigenliebe
Berede dich Vernunft – zur Seligkeit.
    Der Bitte taub zu seyn – es scheint unmöglich;
Und doch (zu solcher Thorheit sinken wir!)
Nichts Schwereres gewährt der Mensch dem Menschen.
Bedarf ich bünd'gern Schlusses, höh'rer Glut?
Dräng' ich den Rath Philanders aus dem Grab
Mit unversuchter Gründe Kraft dir auf?
Doch ach! ich sinke! mich verläßt die Kraft! –
Nicht wunderbar! so lange trägt mich schon
Mein Flug in jenen höhern Gegenden,
Wohin mich meines grosen Schöpfers Glorie
Berief, mich noch beruft – vergeblich nun!
Des Schlummers sanft bethauter Zauberstab 483
Berührte mir die müden Augenlieder,
Der Ruhe grosen Rückstand nun verheißend:
Nicht lange mehr, und er, der milde Engel
(Der stets mit unserm Frieden wiederkehrt)
Lößt sich durch süße Labung bei mir aus.
O eile, holder Fremdling! aus des Landmanns Hütte,
Vom Hängebett des Seemanns komm', vom Stroh
Des Kriegers – nie hat Gram dich dort verscheucht!
Bring' nicht wie jüngst, Entsetzensträume mit,
Gewähr' den süßen Trank der holden Ruhe,
Des Menschen unerschöpfliche Erholung,
Sein Balsambad, das immer neu geschmeidigt
Und biegsam macht zur Wirksamkeit des Lebens
Das rege Spiel des zart gebauten Leibs,
So oft bedürfend der Erhaltungspflege!
Hat uns der Tag vergeblich umgetrieben,
So zieht uns Schlaf von neuem auf für morgen;
Von neuem rollen wir, bis Krankheit hemmt,
Der Tod die Feder bricht und endet die Bewegung.
Wann endet sie für mich?
                                            – »Du weißt's allein,
Deß allumfassend Aug' die Zukunft knüpft
An die Vergangenheit und Gegenwart! 484
Die Eins gewordne Drei des menschlichen Gedankens!
Du weißt's, und du allein, Allwissender!
Allungekannter! – dennoch Allerkannter!
Entfernet, nah! gefühlt, doch nicht ergründet!
Unsichtbar uns, doch stets von uns gesehn!
Und überall! Das Grose wie das Kleine,
Der höh're Weltkreis und sein Riesenvolk,
Das Blümchen und das Blatt mit ihren Völkchen,
(Dem jüngern Zeugenschwarm der hehren Allmacht)
Sie nennen rasch, fragt der Gedanke nur:
Von wannen sie? im Einklang ihre Quelle.
O Quell! der überströmt in reichen Fluthen
Der endlos mitgetheilten Seligkeit!
Der Sprache uns verlieh für Niederes!
O sage mir, wie wag' ich den zu nennen,
Den ich im Heer der Sonnen brennen sehe,
Wie Moses einst Ihn sah im Feuerbusch?
Glorreicher Geist! vor dem die Schöpfung klein,
Wie vor der grosen Schöpfung jener Busch,
Bei welchem Namen nenn ich Dich? – Es ringt
Die Seele mit den Wehen des Gedankens,
Zu groß und reich, um an das Licht zu kommen!
    »Erhabner Inbegriff der Trefflichkeiten!
Du mächt'ger Grund der mächt'gen Gründe all! 485
O Ursach, die selbst keine Ursach' kennt!
Urwurzel der Natur, der reichen Gottespflanze!
Urvater aller Wirkung! des Geschlechts,
Das unabsehlich sich vor uns entfaltet!
Denn wer zeigt uns das letzte Glied der goldnen Kette?
O Vater dessen was gehört wird, hört!
Und dessen Vater, was da schaut, geschaut wird!
Des Alls, was ist und was da seyn wird, Vater!
Der unermeßnen Masse Vater, die
Sich in der Vielgestalt des Stoffs entwickelt,
Dicht oder locker; dunkel, hell; bewegt und ruhig;
Klein oder grenzenlos! im Äußersten
Dem Menschen stets Geheimniß des Erstaunens!
O Vater jener strahlenden Millionen,
Die uns die Nacht enthüllt an ihrem Himmel!
Aus deren Schaar der kleinste Stern genügt,
Zu künden uns der Gottheit Herrlichkeit
Und des Beschauers Knie vor ihr zu beugen! –
Gefällt es dir, daß ich noch höher dich benenne?
So ruf' ich dich als Vater an der Herrn,
Die Du auf festgesetzte Zeit dem Stoff gegeben!
Der Geister Vater! Deiner edlern Kinder!
Der Funken aus der hohen Vaterglorie!
So reich begabt mit Trieb, Verstand und Blick 486
In mannichfachem Maas und Formenwechsel;
Des Gotteslichtes helle, bleich're Strahlen,
Bestimmt, den Stoff, den Du gestaltet hast,
(Mit dem geschaffner Geist verkehren muß)
Dem angebornen Dunkel zu entzieh'n;
Ja! Strahlen, die im Stufengang nach höh'rer Klarheit
Sich immer wachsend übertreffen, bis
Der letzte reift zu sonnenhellem Tag,
Dem Glanz der Gottheit selbst am nächsten kommend!
O liebevoller Vater (liebevoller
Als je auf Erden einer war) verständ'ger Wesen,
Gesegnet mit der Kraft, Dir zu gefallen;
Nicht, leidenden Maschinen gleich, geknüpft
An der Gebote Joch, die sie nicht kennen;
Der Wesen, die Dein Wille eingewiesen
In Sitze, die für sie bezaubernd passen,
Vertheilt im herrlichen Pallast der Kinder;
In stolzer Burg, bevölkert und geordnet
Und grenzenlos, das Werk von deinem Entwurf;
Wo jeder Stamm sein eigen Klima findet,
Versetzung jeden nur verderben müßte.
Doch laß' mir zu, unsterblicher Gebieter!
Laß' mir den Namen zu, der minder herrlich,
Doch inniger dem Herzen ist verwandt; 487
Der in des Menschen Ohr so lieblich tönt!
So lieblich dem Gehör! Triumph dem Herzen!
O Vater menschlicher Unsterblichkeit!

Ihr Vater! die mich jüngst so warm begeistert! –
Und Du, der Nächste Ihm und doch Ihm gleich!
Du, der uns solchen Segen zugeführt;
O nein! viel mehr! der ihn für uns erkauft!
Um einen Preis, den keine Zunge nennt!
Der alle Welten schuf! erlöste Eine!
Erhaben Licht, hervorgeh'nd aus erhabnem!
Du, dessen Herrschermacht, begrenzt in Zeit,
Doch unermeßlich in des Raums Gebiet,
Noch fester ruht, als trüge Demant sie,
Noch Höheres, als Kronen sind, regiert:
Der Engel Schrecken und – o! Freund des Menschen!
Zu dessen Füßen und nach dessen hehren Winken
Erhaben oder tief, im Stoff', im Geist,
Den kurzen Strom dahin der Zeit, die stirbt,
Im uferlosen Meer' der Ewigkeit,
Beruhigt, sturmerregt, dem Hauch gehorsam,
Mit welchem sie Dein Odem fortbewegt,
Regionen rollen und der Welten Schicksal! –
Dann Du, erhabner Dritter in der Zahl!
Verschieden, ungetrennt! aus Beiden strahlend! 488
Dem Wesen Beider innig eingewebt!
Und (glaublich kaum) vermählt dem Erdenstaube!
Erniedrigt gros, wie gros in Herrlichkeit,
Verweilst du in des Menschen innerm Tempel!
Des reinen Menschenherzens göttlicher Bewohner!
O göttlich Band des Himmels mit der Erde,
Die ihm so fern'! – Der, wie ich's innig fühle,
Gab er auch dies Gebet mir selbst nicht ein,
Es huldvoll doch empfängt für Sich, für Sie
Für wen? O hehr geheimnißvolle Macht!
Uns offenbart – doch noch verschlossen uns!
Im Lichte Finsterniß! Zahl in der Einheit!
O Wonne uns und Angst! O Dreiblitz, der
In Trümmern niederwirft, was böse ist!
Belebt, was gut! O Sonne, dreifach Sonne!
Der Seele Sonne, die nie untergeht!
Dreiein'ger, unaussprechlich unbegriffner,
Verborgen allerweislich groser Gott!
Noch über Gröstes gros und über Bestes besser!
Und gütiger als höchste Güte selbst!
Sieh mit des sanften Mitleids Aug' – (o nein!
Ich spreche kräftiger mich aus) – o sieh
Mit Deinem Aug' aus Deinem Strahlensitz
Von jenem hohen Firmament herab,
Wo Du von aller Ewigkeit verweilst; 489
Hoch über beistandlosem Blick der Engel,
Hoch über dem, was Höchstes nennt der Mensch,
Von ferner Zinne der Erhabenheit
O sieh' herab – Entsetzens-Zwischenraum!
Durch mehr als regster Phantasie Gebiet;
Durch Strahlenreihen unbekannter Wesen;
Durch Schaar um Schaar erhabner Geisterklassen,
Versammelt um der Allmacht Banner alle,
Und endlos von der süßen Pflicht entbrannt,
Die endlos der Beschäft'gung Kreise wechselt;
Und durch das tausend tausendfache Leben
Der wundervollen Wesen in den Räumen,
Die schnell dein Ruf vereint, in dir zu weilen;
Durch diese unermeßne Welt von Welten;
Die lange, lange, sonnbestreute Bahn;
Doch dunkel vor dem schwächsten Deiner Strahlen –
O schaue gnädig nieder – nieder – nieder
Auf einen schwachen athmenden Atom
Im Staube, oder tiefer noch herab,
Auf den Unsterblichen in seinen Sünden.
Vergieb die Sünden ihm! Vergieb ihm auch die Tugend,
Ein kleiner, halb bekehrtes Laster nur!
O laß' sich diese Augen nicht verschließen,
Die niemals mehr vielleicht die Sonne sehn, 490
(Hebt gleich der Nacht gesenkte Schale schon den Morgen)
Bis du erbarmend mir den Segen sandtest:
Denn ew'ge Pein begleitet dein Mißfallen;
Pein, unser Abscheu; Pein, die jetzt mich faßt.
Und weil sie denn dem Menschen furchtbar ist,
Ihm furchtbar bleibt, auch nur vorübergehend,
So öffne mir zur guten Stunde mild,
O mild mein Bett im Schose kühler Gruft!
Mir schon im Laufe der Natur so nah;
Nah durch Natur, doch näher noch durch Leiden!
So lang' sey dies ein Sinnbild meines Grabes:
Es überrufe mir des Pred'gers Ruf,
Und nächtlich überschrei' es Philipps Knaben
Mit Todeszunge, als des Grabes Herold!
Und senken sich beruhigt meine Sinnen
(Von deiner Fittiche erflehtem Schirm beschützt!)
Zu süßer Ruhe hin, so senke dann
Noch tiefer in den Geist mir jene Wahrheit,
Die mir ins Herz das Kissen meines Hauptes flüstert,
Und Schicksal in sein Buch, auf's erste Blatt,
Das von dem Menschen handelt, niederschrieb:
»Wirft auch (so heißt sie) sich des Menschen kranke Seele 491
Im Kampf nach Labung heiß bewegt umher,
Doch kann bei Dir allein sie nur Erquickung finden;
In vollem Zutrau'n hier, in voller Wonne jenseits.«
Bei Dir, verheißen als die sich're ew'ge Stätte
Der müden Pilgergeister durch dies Thal!
Auch baut mein Herz, nicht zagend, auf dies Kissen;
Denn Allmacht-Liebe, Liebe-Allmacht herrscht!
O Schöpfung juble laut! es herrscht die Allmacht-Liebe!
Der Tod des Tods! das Labsal der Verzweiflung!
Das Jubellied der Ewigkeit, die jauchzt!
    »Genug hievon! Denn du, o Schützer-Gott!
Du Gott und Mensch! So göttlicher dem Menschen!
Des Menschen ewig, ewig heilig Loblied!
Du meidest nicht den Frevel unsers Lobs!
Wie miede auch dies Frevellob der Hehre,
Der, von dem väterlichen Busen scheidend,
Den Himmel aller Himmel niedersenkt,
Daß er die ferne Erde segnend küsse!
Aushaucht in schwerem Kampf den reinen Geist
Und bricht am Kreuz des Todes ehern Zepter!
Dem gierigen Verderben nimmt die Menschenbeute!
Des Himmels Pforte weit den Feinden öffnet!
Und um den Lohn für grenzenlose Wohlthat 492
An sie nur ihre armen Brüder weist!
Und, zahlt des Menschen Sünde nicht die Schuld,
Verzweiflung ihm verpönt als größ're Sünde!
Die Freude uns als Pflicht hat auferlegt!
Und (reiches Schlußwort!) gütevoll allmächtig
Bei Menschenkindern findet Seine Lust!«
    Welch Wort vernahm ich? – Kam dies Wort vom Himmel?
Und galt's dem Menschen? ihm, dem sünd'gen Menschen?
Was sind Mysterien vor solcher Liebe?
Der Engel Lied, der Himmels-Chöre Harmonien
Ertönen uns in diesem süßen Klang
Und heilen und erfreu'n gebrochne Herzen,
In schwarzer Nacht der Angst zuvor versenkt.
O reicher Vorgeschmack der höchsten Wonne!
Schon unser, eh' des Lebens Band sich lößt.
    So trägt der Schlußgesang der frommen Muse
Mit Recht den Namen! Nicht für mich allein;
Für alle Hörer mit! Der Geist der Kraft,
Des Trostes Schwung bekrönen meine Leyer!
    O lebe wohl denn, Nacht! Kein Dunkel mehr!
Es bricht die Freude an; sie strahlt, sie siegt;
Auf ewig tagt's! Darf, was aus Nichts hervorging,
So bitter über wenig Übel klagen, 493
Die ihm endlose Wonne hold vergilt?
Es knüpft hinfort mein Geist in süßer Eintracht
Die beide Stützen uns'rer Seligkeit,
Die falscher Wahn nur unvereinbar glaubt:
Die ächte Lebenslust, den treuen Todessinn;
Den Sinn für Tod, der Todesangst besiegt!
Lust sey dir Hoffnung und die Tugend Kunst
Und dein Beschützer Der, aus dessen Krone
Die edlen Steine dort des Himmels fielen;
Die Ewigkeit sey deiner Laufbahn Preis!
O laß' ihr Gut den Rennern dieser Welt,
Laß ihnen Federschmuck und Schaum für endlos Mühen;
Sie geben Alles hin um das, was Brod
Nicht ist; sie quälen sich, sie gehn zu Grunde
Um Reichthum, Ruf, Gewalt, und höhnen den,
Der thöricht sich um Höheres bewirbt.
Wie mag ein Geist, der Erde erst entronnen,
(Gedenk' der Geister der geliebten Drei!)
Wenn reine Wahrheit ihm das Aug' erleuchtet,
Erstaunt hernieder auf den Weg der Menschen sehen,
Die leben nur, des Grabes zu vergessen!
Einst quält, verfloß die Gunst, die jetzt uns schützt,
Dasselbe Staunen, mächtig uns erfassend,
Mit ihres Mißbrauchs wohl verdientem Schmerz. 494
Was dann uns quälen muß, kann jetzt uns retten.
Lorenzo! Noch ists nicht zu spät: Lorenzo!
Ergreife Weisheit, eh' dich Weisheit schmerzt:
Ergreife sie, eh' sie dich selbst ergreift.
Denn was, mein armer Philosoph, ist Hölle?
Die Hölle ist der Wahrheit voll Erkennen,
Wenn Wahrheit, der wir lange widerstrebt,
Uns Feindschaft schwur und von der Ewigkeit
Die Rache laut verlangt, die ihr gebührt.
    So hat denn Finsterniß das Licht gepflegt,
Das geist'ge Licht; es flüsterte mir heil'ge Stille
Des Himmels Wahrheit zu, und Himmelswahrheit
Schuf meinen Schmerz in sanfte Ruhe um:
So überflog mein Lied den mitternächt'gen Raben
Und schwang, nach grenzenloser Aussicht strebend,
Jenseits der Flammengrenzen dieser Welt
Den ernsten Flug. Doch frommt der Schwung des Geistes,
Wenn unser Herz zurück bleibt in der Tiefe?
An Schmeichlern reich, an Feinden, ist die Tugend;
Stolz preißt sie gern; sie üben, gilt für Buse.
Zu Höherem als Wort und Zungenwerth
Erhebe dich in dieser günst'gen Stunde,
Da mit dem Menschen mild der Himmel koßt,
Der Strahl der Gottheit, wie ein Stern, der sinkt, 495
Schnell in den Busen des Gerechten gleitet:
Und jeder ist gerecht, zum Bessern fest entschlossen;
Der Entschluß führt zum edlen Namen dich!
Erwache denn! es ruft dir dein Philander:
Erwache! du! der einst erwachen soll,
Wenn Schöpfung in den ew'gen Schlummer sinkt,
Die Sonnen alle hier, wie Kerzenlicht, erlöschen,
Die Zeit, dem Zürnenden in Gaza gleich,
Die Pfeiler stürzt, auf welchen ruht die Welt,
Sich in den Riesentrümmern der Natur begrabend,
Und Mitternacht im Universum herrscht!

 


 


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