Edward Young
Nachtgedanken
Edward Young

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Siebente Nacht.

Stimme des Glaubens.

Wesen, Beweis und Wichtigkeit der Unsterblichkeit.

            Der Himmel ruft, sein Ruf ist uns Bedürfniß,
Doch achten wir sein nicht. Pocht jeder Tag,
Pocht jede Stunde nicht am Menschenherzen,
Die Seele zum Gefühl der Zukunft aufzuwecken?
Des Todes Bildniß steht, wie einst Merkur,
An jedem Weg, den unser Fuß betritt,
Und zeigt uns freundlich nach der Wallfahrt Ziel.
Der Du Unsterblichkeit verlieh'st, o Pope,
So bist du todt? Empfange meinen Glückwunsch!
Doch Abschied nehm ich nicht; ich folg' so bald.
Der Mensch versenkt sich nur im Tod; versenkt
Der Sonne sich, in schönerm Lichte zu erstehn;
Das Grab lenkt unterirdisch ihn zum Glück'; 234
So will es das Gesetz der ew'gen Güte.
Des Menschen rühmliche Geschichte führt
Durch mehr als einen Theil die Bahn; es spricht
Die Zeit nur Einleitung, die Ewigkeit
Eröffnet erst des Schicksalsbuches Blätter,
Des Buchs, das nimmer ausgelesen wird.
    Schon haben Erd' und Himmel uns verkündet:
Die Welt, die ist, weissagt die Welt, die kommt.
Und welcher Frevler läugnet Ausspruch Gottes,
Der lauter durch Natur als Worte redet?
Beweiset dir Natur zu wenig noch,
So schlag' ein andres Blatt dir auf und lies
Im Menschen. Schläft der Mensch beharrlich auch,
Von seinem Blicke unbelehrt, wie kann
Er dem Gefühle seinen Glauben weigern?
Der, dessen blinder Geist die Zukunft läugnet,
Klagt ahnungslos, gleich dir, Bellerophon,
Sich an und spricht sich selbst das Urtheil aus.
Wer in dem eignen Busen liest, der liest
Unsterblich Leben, oder die Natur
Schrieb, ihre Kinder täuschend, Fabeln dort,
Und in der Schöpfung ward der Mensch zur Lüge.
    Warum beherbergt er das Mißvergnügen immer,
Dies heillos zehrend Gift des innern Friedens?
Erkläre mir, warum der Hirte wie der König, 235
Der Herr der Räume, welche Meere trennen,
Wie der, so von der Wüste schmales Land
Gewinnt und vor dem Wintersturme sich
Mit Lehm und Stroh beschirmt – warum sie beide,
Durch Schicksal fern, durch Klage sich so nah,
Gleich unruhvoll auf Seufzer Seufzer impfen?
    Ist's weil die Erde nicht befried'gen kann?
Im reichen Gras' versenkt, klagt deine Herde?
O nein! doch ihrem Herrn blieb sein gemessen Theil
An ihrer milden Fröhlichkeit versagt.
Dem Menschen ist nicht wohl zu Muthe hier,
Auf diesem fremden Grund – nicht seine Stätte –
Wo ihn Natur mit and'rer Nahrung pflegt,
Als ihm zur Sättigung von oben zugeschieden.
In Fülle arm und bei dem Festmal darbend,
Seufzt er im Vollgenuß nach etwas Mehr.
So wäre denn der Himmel gütiger
Für deine Herde als für dich! Nein! nein!
Noch reich're Matten blühen dir, doch ferner;
Zum Theile fern; und nach dem fernern Theile
Lenkt angeborner Trieb den Ruf der Menschen Sehnsucht,
Entschlummert gleich, von Sinnlichkeit berauscht,
Vernunft, und träumt nicht einmal von dem Grunde,
Der doch so sichtbar wird, wacht die Vernunft! 236
Es ist der Gram des Menschen nur Verlarvung
Des höhern Drangs in ihm; sein Mißvergnügen
Strömt aus der Quelle der Unsterblichkeit.
    Des Äthers Kind, des Himmels Sprößling, baute
Nur auf der Erde Grund sich seine Hoffnung,
Und nähme mit des Thiers Behaglichkeit
Im Schmuz des Stalles seinen festen Wohnsitz?
Lorenzo, nein! ihn fasse würd'ger Gram:
Es soll – und wär' ein Thron sein Loos – der edle Fremdling
Bekümmert seufzen; wünsch' ihm dazu Glück!
Des Menschen Elend zeugt, daß er geboren
Für Seligkeit; sein bangend Herz bestätigt
Die Wahrheit, die mein Lied dir offenbart,
Und straft den Zweifler in dem eignen Kopfe Lügen.
    Ja! Kopf und Herz und Leidenschaft und Kräfte
Des Menschen reden gleiche Sprache, uns
Zu rufen himmelwärts. Denn nimmer reifend
In diesem rauhen Land, entwachsen jene
Kaum der Vermuthung und dem Irrthum kaum,
Und für das Vaterland der Kleinigkeiten
Sind diese allzu stark, erheben sich
Empört, und stürmen durch das Menschenleben.
Welch Erdengut vergilt uns solchen Sturm?
Ein würdig Ziel gab Gott den Leidenschaften, 237
Das ihre volle Glut erheischt und frei
Von Fehlern sie erhält, entbrennt sie ächt.
O güt'ger Himmel! wende doch von uns
Beschränkte Sehnsucht nach der grenzenlosen Wonne!
Ja, nach der grenzenlosen Seligkeit!
Denn Lust, die stirbt, ziemt ew'gem Geiste nicht.
Auch unsre Kraft soll unreif nicht verderben;
Einst soll der Keim, der hier nur schwächlich trieb,
Zu wärm'rer Sonne und in edlern Boden
Aus diesem Beete unter'm Mond verpflanzt,
Gedeih'nd in Schönheit volle Blüten tragen.
    Vernunft entfaltet sich, Trieb ist vollendet;
Es fliegt der rasche Trieb, Vernunft klimmt mühsam.
Zur höchsten Stufe kommt behend das Thier;
Sein kleines All fließt ihm auf einmal zu;
Jahrhunderte erweitern ihm nicht Wissen,
Nicht Thun, Begierde nicht und nicht Genuß.
Doch lebte auch der Mensch der Sonne Leben,
Der alte Schüler lernte immer noch,
Und sterbend wüßte er die Hälfte nur
Von dem, was seines Lebens Aufgab' war.
Es geht der Mensch im vollen Fortschritt unter,
Als senkte sich (ist mir ein Bild vergönnt,
Das Dunkelheit mit Glanz zusammenstellt,
Der Sonne Mittagsstrahl mit Menschengeist!) 238
Vor Mittag Sonne in des Osten Meer!
Stiefmutter wärst du so Natur? dem Menschen,
Dem Meisterstück', entzög'st du eine Hand,
Mit welcher du das Kleinere vollendest?
Und stirbt, gleich einer Fehlgeburt, der Arme,
Indem er nicht erreicht, was er erreichen dürfte,
Warum begleitet seinen Tod die Angst?
Wozu der Fluch des Blickes in die Zukunft?
Wozu die Weisheit ihm bei'm Loos des Elends?
Warum ist er des stolzen Vorrechts Raub?
Auf gleichem Standpunkt bei dem höhern Schmerz?
Unsterblichkeit allein kann hier erwiedern:
Sie wiegt unsäglich reich das Übel auf,
Und für den Tugendhaften steht die Wage!
    Unsterblichkeit allein vermag zu lösen
Der Räthsel dunkelstes, die Menschenhoffnung
Das dunkelste, wenn wir im Tode sterben.
Begehrlich tritt die Freudenmörderin
Mit Füßen alles Glück der Gegenwart,
Und rast tirannisch, der Verzweiflung gleich.
Befriedigt nie von dem vollbrachten Streben,
Entwirft sie rastlos zu dem neuen Plane,
Und weißt den Wunsch der Ruhe an den Tod.
Warum ist Streben köstlicher als Haben?
Warum der Wunsch uns theurer als der Kranz? 239
Warum erfüllter Wunsch begrabnes Glück?
Weil alles, was des Menschen glühend Streben fordert,
Weit jenseits unsers Drangs nach Macht und Ruhm
Im tiefen Schose groser Zukunft liegt,
Und ER, der uns gemacht, uns nach dem Rechten leitet.
    Die Allmacht knüpft des Menschen Herz an Zukunft
Durch stilles Band und unverletzliches,
Und giebt die Hoffnung ihm als Erdenfreude.
Des Menschen Herz zehrt alles auf, was ist,
Und hungert immer doch; und ruft nach mehr
In Unersättlichkeit; nach Neuem tobt
Begierde so, daß, kann der Mensch nicht steigen,
Er sinken will. Er stirbt an dem Besiz.
Sieh' darum stürzte sich von Ehrsuchtzinnen
Der Herr der Welt in den Morast Capräa's,
Und senkte sich noch tiefer als das Thier.
Was wälzte sich der höchste Sohn der Macht
Im schnöden Pfuhl? – Weil er das Höchste hatte!
Es tobte schwelgend hoffnungslose Ehrsucht.
    Die Vögel zog das alte Rom zu Rath:
Lorenzo, achte du mit besserm Glücke
Auf nimmer ruh'nder Hoffnung regen Flug. 240
Hoch über jeglichem Gedanken lauscht
Sie, wie ein Falk', der sich auf alles stürzt,
Was sich vor seinem Angesicht erhebt:
Doch wie sie niederschoß, nimmt sie den Schwung
Im nächsten Augenblick schon wieder aufwärts;
Verrathend so von selbst des Ziels Verfehlen,
Bekennt sie, daß ihr Raub jenseits des Grabes wohne.
    Doch täuschte dort auch unsre Hoffnung uns,
(Und täuschen muß sie, wenn kein Daseyn bleibt)
So stehn der düstern Räthsel mehr noch auf,
Und Tugend wird gleich Hoffnung zum Geheimniß.
Wozu dann Tugend? Wohin floh ihr Wesen,
Ihr Ruhm? Die Tugend ist das Streben nur
Nach unsers recht verstand'nen Nutzens Ziel.
Doch wo liegt er für Menschen, die ganz sterben?
Im inn'gen Bund mit allem, was sie hier
Beglückt: und da sich unterweilen Laster
Als unser Freund auf Erden zeigt, so wird
Dann Laster Tugend, unser höchstes Gut.
Das lohnende Bewußtseyn ist der Tugend
Erhab'ner Schaz; doch lohnendes Bewußtseyn
Ermangelt ihr nach deiner Lehre gänzlich.
Wo strömt sein Quell? Aus dem Gedanken, daß
Wir recht gethan. Doch was ist Recht, als das, 241
Was uns zum Glücke führt? Allein führt Tugend
Nicht mehr zum Glück', so stürzt der Quadergrund,
So stürzt mit ihm auch das Gebäude ein,
In Trümmern liegt dann jede edle Lust.
    Die strenge Hüterin des reinen Herzens,
So lang' verehrt, so lang für weise geltend,
Wird schwach an Sinn, und Don Quixotten hold.
Was pocht die Brust dir von erhabnen Träumen
Der edel grosen Hingebung des Selbsts?
Der muth'gen That, ruhmvollen Heldentodes?
Zu sterben für dein Land? – Romant'scher Thor!
Greif! greife selbst das Brett, dein Land mag sinken!
Dein Land! was ist es dir? – die Gottheit! was?
(Erbebend sprech' ich so) dein Blut zu fordern?
Entrinnt dir mit dem Blut die letzte Hoffnung,
Kann keine Allmacht dir den Tod vergelten, –
Sey taub! bewahr' dein Seyn! Gehorche nicht!
    Auch ist's kein Ungehorsam. Denn vernimm,
Daß unabhängig von der spätern Vorschrift,
Des Höchsten Urgesetz gebeut: »Mensch! lieb' dich selber!«
Des Handelns Freiheit bleibt hieran gefesselt.
Das Daseyn giebt den Grund und Glück den Preis:
Wenn Tugend Daseyn kostet, ist sie Laster,
Ein kecker Eingriff in des Himmels Satzung, 242
Ein düst'rer Selbstmord, jauchzten Völker auch,
Auf deine Kosten eigennützig, Beifall.
    Da ungewiß der Tugend Lohn auf Erden,
So dürfen wir, stirbt ganz der Mensch, wohl fragen:
Warum ihm, gut zu seyn, umsonst gestattet?
Warum er, gut zu seyn, umsonst verlockt –
Verlockt ist durch Verräther in der Brust,
Durch süße Lust, die ihm die Tugend gab?
Warum lügt die Natur, ihm Tugend flüsternd?
Und wär' ein blinder Trieb (der heiliges Gewissen
Sich nennt) des Menschensinns bethörend Irrlicht,
Warum wird Mitbetrügerin Vernunft?
Warum preist sie der Weisen Stimme laut?
Vermag ihr Strahl den Menschen irr' zu leiten?
Und drohet ihm Gefahr auf Gottes Wegen?
Weil Tugend hier uns öfters elend macht,
So ist die Doppelfrage zu bejahen,
Wo nicht, so überlebt der Mensch das Grab.
    Entweder überlebt das Grab der Mensch,
Oder Lorenzo muß bekennen, daß
Sein höchster Ruhm ein wilder Unsinn ist.
Dein Geist bebt nicht, des Feigen spottest du:
Laß' als unsterblich nur den Menschen gelten,
Und als gerecht hat sich dein Spott erwiesen.
Unsterblich, tritt der Mensch, vernünftig muthvoll, 243
Dem Tod entgegen – denn er kann nicht sterben.
Doch geht ihm mit dem Leben alles unter,
So lebt er feige oder stirbt als Thor.
Der muth'ge Läugner (und wir haben ihrer
Aus Stolz und Äfferei, Gewinnsucht, Wuth
Und Rache, auch aus bloßem Helden-Leichtsinn)
Ist in der großen Zahl der Erdenthoren
Am würdigsten des Schmucks der Narrenkette.
    Wenn wir zu Grabe einen Mann geleiten,
Berühmt durch Tapferkeit, durch Tugend, Wissen,
Durch alles was der Mensch am Menschen liebt
Und edel preist, berühmt durch jenen Werth,
Der, herrlich strahlend, unsern Geist erhebt,
Und ihn ätherische Kräfte würd'gen lehrt:
Beschleicht uns dann der Wahn, daß solcher Glanz
Der geist'gen Welt erlösch' in Leichenduft,
Und seine Laufbahn in Vermod'rung schließe?
Warum war, den allmächt'gen Geist zu kennen,
Er weis'? warum, zu preisen ihn, begeistert,
Und, ihn im Leben darzustellen, kräftig?
Wär's möglich, daß Verhängniß im Moment,
Da eben sich der Züge Umriß hebt,
Und Gottheit dämmert, weg die Leinwand risse,
Sie schleuderte zum Schoos der ew'gen Nacht, 244
Und Himmelsräume mit der Angst erfüllte,
Auch Engeln sey Vernichtungstod beschieden?
    Denn wird des Menschen Geist zunicht', warum
Nicht auch des Engels Geist, auf daß nur sey
Ein öder Gott, der über Schreckenstrümmer
Den zorn'gen Blick von seinem Throne sende?
Wir sähen jetzt die Gottheit in des Menschen Spiegel,
Und dann auf ewig Staub den Menschen selbst?
O nein! wir winden uns vom Staube los,
Wo nicht, so irrt der Mensch, irrt eben da,
Wo er am wenigsten zu irren glaubt.
Wie kühn empfiehlt er Weisheit und Verdienst!
Wie heil'ge Namen sind Verdienst und Weisheit!
Verehrt selbst da, wo man sie nicht erwählt!
Gepriesen! angebetet! ach! warum
Nicht auch bedauert? Wenn die Geister sterben,
Sind beide Qualen nur; sind beide nur
Uns auferlegt, um unser Elend zu erhöhen!
Wozu ist dann der Weisheit Auge scharf?
Um mehr des Jammers auszuspähn! Dem, so
Belohnt, Verdienst nur schärf're Stacheln giebt!
Des Grabes Überwinder wird der Mensch,
Doch würd' er's nicht, so ist Gewinn Verlust,
Und hoch Verdienst drückt uns nur tiefer nieder. 245
Vertrittst die Lehre du, die Menschen nöthigt
Zu Laster sich zu flüchten und zu Schwachheit?
    »Die Tugend hätte keine Freuden?« – Ja!
Sie hat der Freuden, doch um theuern Preis.
Sag' was du willst, im unvollkommnen Leben
Ist Tugend mit dem Laster stets im Krieg.
Kampf ist die Tugend, und wer kämpft um nichts?
Um ungewissen oder kargen Preis?
Die, welche uns, daß Tugend selbst sich lohne,
Mit lauten Worten zu Gemüthe führen,
Sie würden gern' auf Erden schon zu Engeln,
Und trügen diese Tugend doch, die sie beschmeicheln,
Indem sie ihr nur schwache Stützen geben
Und ungetreue Wächter. Es begeistert
Der Kranz, der nimmer welkt; nur er beseelt
Der Tugend Brust; nur solcher Kranz vergilt
Der Sinnlichkeit Verrath, der Welt Bestürmung;
Vom armen Erdensold stürb' Tugend Hungers.
Hoch über allem Zweifel steht die Wahrheit,
Was Bayle auch sagen, Voltaire meinen mag.
    Je tiefer wir des Menschen Seyn ergründen,
Nur um so heller zeigt sich unserm Aug'
Der Himmelsstempel der Unsterblichkeit.
Was finden wir im Innersten der Seele,
Dem Grunde, der sein ganzes Wesen trägt? 246
Erkenntniß, Liebe; wesentlich dem Geist,
Wie Licht und Wärme es der Sonne sind.
Wozu ihm dies, wenn Seelen sterben müssen?
Wie wenig ist auf Erden Liebe werth!
Wie eng begrenzt sind der Erkenntniß Schranken!
Nur dürftig Wissen wird der sauern Arbeit,
Und treuer Liebe oft nur bitt'rer Haß.
Warum darbt unser Engelstrieb auf Erden,
Indeß den thier'schen reiche Fülle sättigt?
Sind uns die Himmelskräfte denn verliehen
Als täuschend Diadem zum bittern Spott,
Um unsre stolze Armuth üppig zu verhöhnen,
Die auf dem Felde hohen Anspruchs nur
Sich Kummer pflückt? Vergilt die Zukunft nicht?
Schließt Ewigkeit sich uns'rer Klage zu?
Ist's so, für welche sonderbare Zwecke
Erhielt alsdann der Mensch den Lebenshauch?
Der Schlimmste, um der Schwelgerei zu pflegen,
Und um in Thränen zu vergehn der Beste.
    Dies kann nicht seyn. Zu lieben und zu wissen,
Fühlt grenzenlos der Mensch die Neigung und die Kräfte;
Somit ist beider Stoff auch grenzenlos.
Stoff, Kräfte, Neigung knüpft der Himmel stets:
Im Umkreis der Natur verletzt er nimmer 247
Den süßen ew'gen Vollklang seiner reichen Saiten.
Naturgesetz gält' nur dem Menschen nicht?
Wird Ewigkeit von seinem Hoffen losgerissen,
So ist er (Wahrheit spricht mein Mund in Demuth)
Ein Ungeheuer und des Himmels Schmach,
Ein Schandfleck, eine dichte schwarze Wolke,
Die der Natur entzückend Antliz deckt,
Und sie (ein Mal des Abscheus!) mit dem Herrn
Entstellt. Ist das des Menschen Loos, was ist der Himmel?
Unsterblichkeit gieb zu: du lästerst läugnend.
    Unsterblichkeit gieb zu: dein Läugnen stürzt
Der Welt Zusammenhang. Geh'! Afterkönig!
Geh'! beug' dich, Mensch, vor deinem Herrn, dem Thier',
Dir in des Sinns Gebiet weit überlegen!
Es grast auf ungepflügtem Rasen; trinkt
Am Bach, den keine Bräukunst würzt; am Bach,
Der immer voll und nie verbittert ist
Durch Zweifel, Furcht, und fruchtlos Hoffen, Reu', Verzweiflung;
Des Menschen Schatz! die Mitgift der Vernunft!
Aus fremdem Himmelsstrich' erplündert es
Kein Kleid; stellt nie den Bruder vor Gericht;
Und ganz und rein und ächt ist all sein Gut; 248
Sein Paradies erblüht in jeder Flur,
Kein Fluch hängt ihm an den verbotnen Ästen;
Sein Übel schließt sich mit der Sinne Rührung;
Die Furcht geht ihm vergrößernd nicht vorher,
Ihm folgt das Murren nicht; das Schlimmste selbst
Erscheint ihm ungeahnt; ein Streich beginnt
Und endet auch sein Leid; es stirbt nur einmal:
Sein köstlich Vorrecht, ihm allein beschieden!
Nach dem der stolze Mensch, des Erdballs Herr,
Der in den Sternen liest, vergeblich seufzt,
Er nenne sich den Weisen oder Helden.
    Erkläre mir dies Vorrecht doch der Thiere!
Kein Licht, kein leiser Schimmer nur des Lichts!
Nur Strahl der Ewigkeit lößt diesen Knoten.
O einzige, o köstliche Enträthslung!
Sie löset Schwierigkeit und mildert Strenge;
Verdrängt vom holden Antliz der Natur die Wolke;
Die hehre Ordnung stellt sie her der Dinge;.
Dem Thiere zeigt sie seinen tiefern Standpunkt,
Und giebt uns des Genusses Oberhoheit
Schon hier zurück! Bekenn' unsterblich Leben,
Und vor der Tugend knie'n nicht mehr die Don Quixotte;
Und jede Tugend bringt dir goldne Mitgift,
Sammt reich'rer Aussicht noch auf künftig Erbe; 249
Die Hoffnung jauchzt; und sey auch noch so bitter
Der uns beschiedne Kelch, doch herrscht die Hoffnung,
Und labt uns mit des Himmels Vorgefühl.
O warum zeigt die Gottheit solche Huld?
Erstaunlicher als Staunen fassen kann!
Der Himmel unser Lohn – für hier genoß'nen Himmel.
    Dein eigensinnig Herz bleibt unbesiegt? –
Denn in ihm lauscht er, der Verräther, der
An jener Wahrheit zweifelt, die ich singe.
Doch schuldlos ist Vernunft! Der Wille nur Empörer!
Wie! fänd' ich in dem eigensinn'gen Herzen
Noch neue Zeugen gegen dich, dir unerwartet?
Die Ehrsucht, Lust und Liebe zum Gewinn!
Regt sich in deinem Busen der Verdacht,
Daß sie, die an das Erdenjoch die Seele fesseln,
Sie laut erklären zu des Himmels Erbin?
Regt sich in deinem Busen eine Ahnung,
Daß sie, die an Unsterblichkeit uns zweifeln lehren,
Am bündigsten Unsterblichkeit beweisen?
    Laß' uns zuerst die Ehrsucht vor uns fordern.
Der Ehrsucht Scham und leidenschaftlich Treiben,
Ihr Überdruß, und ihr unstillbar Wesen: 250
Sie sollen reden! Alle haben viel
Zu sagen; höre sie der Reihe nach.
    Wie heiß hängt deine Seele an dem Ruhm'!
Wie bang verhüllt sie solcher Liebe Glut!
Entdeckt sich unser Streben nach dem Lobe,
Erröthen wir, gilt's gleich den besten Thaten,
Den besten Menschen; und warum? Weil wir
Unsterblich sind. Die Kunst der Gottheit gab
Dem Leib die Vormundswache bei dem Geist';
Des Himmels Huld verleiht dem Blut' die Wallung
Der Sittlichkeit und führt es nach der glühnden Wange,
Verweisend niedern Zweck dem kleinen Herzen,
Das Würde von dem Menschen kriechend bettelt,
Indessen über uns im schrecklichen Gerichte,
Und ohne Grenzen Lob und Tadel spendend,
Ein Wesen schwebt, erhab'ner als der Mensch.
    Noch lauter spricht der Ehrsucht endlos Treiben,
Als ihre Scham, die nämliche Entscheidung.
Erglüht der Geist in hoher Schätzung eignen Werthes,
Dann ist die Mitwelt ihm zu arm an Beifall:
Der laute Jubelschrei, der Donnerruf,
Von wenig Lebenden begonnen, soll
Im Wiederhall der fernsten Zeit ertönen, 251
Erschallen den noch ungebornen Welten.
Wir wünschen unserm Namen ewig Daseyn:
Ein wilder Traum! Doch nie beschlich' er uns,
Wär Ewigkeit nicht unser Element.
Der Trieb zeigt bei der Zukunft uns Gewinn;
Doch blind, sieht die Vernunft nicht, wo er liegt;
Und sehend, tauscht sie Schatten gegen Wesen.
    Der Ruhm ist Schatten der Unsterblichkeit,
Und auch an sich nur Schatten. Kaum erfaßt,
Verachtet schon; ergreifst du ihn, ein Nichts.
Der Ehrsucht Heilung ist's, Ehrsücht'ge fragen.
»Und das ist alles?« rief auf seiner Höhe
Ersättigt Caesar aus. Sieh hier den dritten
Beweis unsterblicher Natur durch Ehrsucht.
Des Ruhmes erster Liebling wird, nimmst du
Ihn nah' in's Aug', vom Neide dich befreien.
Beschämt vom ungeheuren Mißverhältniß
Der Leidenschaft zu dem erjagten Preis,
Seufzt er am Ziel, des eignen Rufs erröthend.
Warum? Ein Preis unendlich edlern Werthes
Erregt sein Herz; ein höh'rer Ruhm winkt ihm,
Nur leise flüsternd, was selbst Taubheit hört.
    Gewährt uns Ehrsucht der Beweise vierten?
Sie giebt ihn und er überwiegt die drei,
Die wir gehört; doch übersah' ihn völlig 252
So Mancher, der für einen Weisen galt.
So tiefen Schmerz der Ehrsucht Täuschung giebt,
So reichen Überdruß selbst ihr Erfolg,
So fruchtlos streben wir, Lorenzo! doch,
Sie aus dem Heiligthum der Brust zu bannen,
Wo sie für höchsten Zweck Natur gepflanzt.
Nur ungereimt war der gepriesne Rath,
Gepriesner als bedacht, nur scheinbar richtig,
Den Kineas seinem König Pyrrhus gab:
Des Helden Schwert besiegte eh' die Welt,
Eh' seine Ehrsucht der Vernunft erlag.
Dem Menschen ist's Bedürfniß, aufzusteigen.
Stets wird die unbezwungne Thätigkeit
In ihm, die Feder, die kein Druck erlahmt,
Ihn aufwärts drängen, sey auch noch so schwer
Die Last, womit das Schicksal ihn beladen.
Die Kön'ge nicht allein, auch jeder Landmann
Hat seinen Ehrgeiz; und kein Sultan ist
Hochmüth'ger als sein Sklav', der Kettenträger.
Aus Halmen baut der Knecht sein kleines Babel,
Lallt innerlich den Stolzruf des Assyrers,
Und zeigt uns auf die Wunder seiner Macht.
Warum? Weil er unsterblich, wie sein Herr;
Und Geister, die Unsterblichkeit beseelt,
Nach Größerm stets zu streben sind berufen: 253
Sey's Glanz, sey's Gold, sey es das Lob der Menschen,
Oder aus Himmelshöh'n des Höchsten Beifall.
    Auch ist ein menschlich Lob nicht ohne Werth,
Wenn es in göttlichem die Stütze findet.
Ich mache dich dir selbst bekannt, Lorenzo:
Wollust und Stolz (ein hartes Herrscherpaar!)
Sie theilen sich in unser Herz. Gleichwie
Die Liebe zu der Lust in uns bestellt ist,
Daß sie des Körpers Kraft bewahrend nähre
Und förd're die Verbreitung des Geschlechts:
Also ist Liebe zu dem Ruhm gepflanzt
In unsre Brust, des Geistes höhern Schwung
Zu schützen und im Wirken auszubreiten.
Ist's Liebe nicht des Ruhms, die Erdenwonne
Begeistert, reift, verklärt, verziert, erhöht?
Aus ihr entspringt Verfeinerung und Gröse,
Und jedes Wunder der Geselligkeit.
Bedürfniß und Bequemlichkeit, ihr dienend,
Bereiten vor, und Ehrgeiz baut zur Höhe.
Dein Leben selbst, o Tugend, schuldet viel
Dem Ruhme, deines Wachsthums stillem Freund.
Wär' Stolz uns fremd, wie Groses mißten wir!
Stolz war der Tugendquell der Heidenwelt;
Lob ist das Salz, das uns das Rechte würzt, 254
Und zu dem Guten uns're Neigung schärft.
Der Durst nach Beifall ist der Tugend zweiter Hüter,
Vernunft der erste; doch sie braucht der Stütze;
Die eigene Vernunft ist Schmeichlerin:
Der Durst nach Beifall ruft dem allgemeinen Urtheil,
Dem unsrigen das Gleichgewicht zu halten,
Daß die bedräute Tugend freier wirke.
    Doch nun erhebt sich, mächtiger als alle,
Noch ein Beweis, ein fünfter, unserm Geiste.
Wozu dient unsers Herzens zarter Bau,
Die seine Sittenlehre uns'rer Sinne,
Des Körpers Bundsgenossenschaft mit Tugend,
Auf jenen Fall, da ihr Vernunft nicht beisteht?
Wozu? wenn Tugend sterben muß, nachdem
Sie mühsam nur bei Leben sich erhalten,
Und oft das Ziel der Erdenunbill war?
Wenn sie, zur Reife endlich aufgeschwungen,
Nun sterben muß, doch unbelohnt für alle
Entbehrung und für jeden Schmerz der Laufbahn?
Schmückt uns so reiche Pracht, um an dem Fels zu stranden?
Vergeht der Mensch, wann er am lebensreifsten,
O wie vergeudet ist dann Meisterfülle,
Die unserm Baue Gottes Kunst verflocht!
Wohin entfloh'n des Himmels Heiligkeit 255
Und Gnade? Sind des Himmels Spott denn Tugend
Und Mensch zugleich? Und sind es beide nicht,
Warum betrifft Entmuthigung die Tugend,
Warum erfaßt den Menschen die Zerstörung?
    Bis hieher Ehrsucht. Was spricht nun der Geiz?
Sein erster Grundsatz ist (auch lang' der deine!)
»Der Reiche sey der Weise auch.« Er gelte.
Sich rastlos einen Schatz zusammenscharren,
Das ist des Menschen Thun, sein höchster Ruhm;
Zum großen Zwecke stachelt ihn erpicht
Der Trieb. Doch diesen Trieb zu leiten, ist
Vernunft! dein Amt; und dir geziemt es, uns
Zu offenbaren, wo der ächte Schatz verborgen.
Doch wenn Vernunft nicht ihre Pflicht erfüllt,
Wenn ihrem Ruf der Mensch sein Ohr verschließt,
So folgt der Narrenmißgriff, und es überladet
Vom Sporn gereizt, doch in der Bahn sich irrend,
(Die ächte strahlt mit mehr als goldnen Preisen!)
Der blinde Fleiß mit Sorgen ferner Zukunft
Den abgequälten Geist der Gegenwart,
Um sich auf Ewigkeit hienieden einzurichten.
    »Du sollst begehren nicht!« ein weis Gebot;
Doch auf das Gut beschränkt, das Sonn' beleuchtet.
Sieh' weiterhin verwandelt das Gebot, 256
Und Geiz zur Himmelstugend umgeschaffen.
Ist Glaube eine Zuflucht uns'rer Seligkeit?
Gewiß! Und wär' er's nicht auch der Vernunft?
Nur künft'ge Welt enträthselt uns das Leben.
Woher der unlöschbare Durst nach Vortheil?
Er liegt im unlöschbaren Menschenleben.
Nur weil durch Werth den Himmel zu erreichen,
Das Loos dem Menschen fiel, hat er die Schwingen,
Die oft zum fernen Ziel der Schuld ihn tragen.
So saure Trauben Ehrsucht bringt und Geiz,
Doch wurzeln beide in Unsterblichkeit;
Die wilden Beeren, die (zu uns'rer Pein und Schande!)
So herbe und so dürftig sind, vermag
Die Religion zu bessern, läuternd zu veredeln;
Sie drückt zum Boden hin die giftge Hefen,
Und im Pokal der Lust glüht Himmelstrank.
    Sieh' unsre dritte Zeugin, wie sie lächelt
Des fernen Glücks: auf ihren Lippen schwebt
Das täuschende Gelübd' des ird'schen Edens.
Doch gelt' als Wahrheit einmal was sie spricht
Die rasche Lügnerin – gemeine Metze,
Ihr Nam' ist Sinnenfreude; und nie war
Lorenzo taub für sie; so hör' sie jetzt,
Da sie zum erstenmal dir Freundin ist. 257
    Da uns Natur in gleichem Maas die Liebe
Zur Lust und auf die Lust den Stolz verlieh,
(Daher die Freudenheuchler! Wonnenschmiede!
Und Lächelmeister!) warum sollte wohl
Die regste Lust, die von den Sinnen kommt,
Die Glut der Scham nach unsern Wangen senden,
Und niederdrücken das Gefühl des Stolzes?
Vom Himmel selbst gezeugt, sagt solch Erröthen,
Daß auch auf seiner ird'schen Wonne Gipfel
Der Mensch heruntersteigt von seiner Würde.
Ergäb' sich auch Vernunft ungläub'gem Schlummer,
Zeigt doch aufricht'ger Trieb uns hohe Abkunft,
Und ruft der Finsterniß, daß sie verberge
Die rasche Gluth, die uns dem Stall' verknüpft.
Es deckt die Ehre uns mit würd'ger Scham,
Und wer der Scham erstarb, der ist entmenscht;
Nicht ganz zum Thiere sank, der noch erröthet.
Und so, Lorenzo, laß' uns einig werden:
Die Lust ist gut, der Mensch für sie geschaffen,
Doch jene Lust, die, reich an Ruhm und Freude,
Niemals erröthen, niemals sterben darf.
    Die Zeugen hörten wir, nun ist geschlossen;
Laß das Bewußtseyn jetzt sein Urtheil fällen,
Viel werther uns, als es die Urkund' wäre,
Die uns die Hälfte eines Reichs ertheilte: 258
O hör', was unter heil'ger Wahrheit Siege.
Des Spruches ächte Fertigung besagt:
    »Vernehmt es alle, o Ungläubige,
So ungelehrig ihr auch immer seyd!
Unsterblichkeit enthüllet euer Wesen;
Unsterblichkeit entziffert nur den Menschen
Und öffnet seines Innersten Geheimniß.
Giebt sie den Schlüssel nicht, so bleibt die Hälfte
Von seinen Trieben nur ein dunkles Räthsel,
Und alle seine Tugenden sind Traum.
Die Laster selbst bezeugen seine Würde;
Nach Lust und Gold und Ruhm sein endlos Dürsten
Erklärt ihn für unendlich Glück geboren;
Lößt Minderes, als die Unendlichkeit,
Vom Bann der Ungereimtheit Leidenschaft,
Die alles Irdische stets mehr entflammt?
So glüh'nde Leidenschaft in solchem Mißverhältniß
Zur Bühne hier, daß sie den Rand des Nestes
Weit mit den Adlerschwingen überragt,
Und, mächtiger als aller Erdenwerth,
Zu groß für diesen Ball, den edlern Schwung
Weissagend, unser Himmelsrecht erweist.«
    Ihr sanfte Theologen milder Gattung!
Ihr, deren Feder euer Blutlauf führt, 259
Die selber kalt, für höllisch halten Glut!
Wähnt den Affekt nicht der Verderbniß Sohn,
Gewährt er der Verderbniß gleich die Schwingen;
Nicht seine Mutter – seine Buhlerin ist sie.
Vernunft gilt allgemein mit Recht für göttlich;
Doch seh' ich auch und fühl' in Leidenschaften
Großartigkeit, die Zeugin hoher Abkunft
Und herrlicher Bestimmung, die als Strahlen
Der heilig ew'gen Glut sie offenbaren.
Sie glühten schwächer nicht in Eden selbst,
Eh' Adam fiel, doch für den weisern Zweck.
Und toben sie, dem stolzen Mann aus Osten,
Den einst der Himmel schlug, an Thorheit gleich,
Des edlern Drangs entsetzt, im ird'schen Staube,
Mit niedrer Gier nach Schmutz und Tande suchend:
So leuchtet doch aus ihrem Falle noch
Der mächt'ge Strahl der angebornen Größe,
Und zeigt die Höhe uns, von der sie stürzten.
Und wenn sie (dem gefallnen König' gleich,
Als sich sein Geist in seiner Kraft erholte)
Sich an der Leitung der Vernunft ermannen,
Dann steigen sie in neu beseeltem Schwunge
Zum vor'gen hohen Kreise auf, in dem
Sie einst in der Verklärung Glanz geschwebt,
Eh' sie, durch Eva's Lüsternheit verführt, 260
Auf Erden ihren tollen Lauf begannen,
Und diese Unterwelt in Flammen setzten.
    Doch sey es! Ihre Wuth verläng're sich!
Zu schwach ist solche Wuth zum Kampfe mit
Dem Ziel, das sich der Himmel schaltend wählte,
Für welches er des Menschen Herz entzündet.
Und wär' es auch, daß die Vernunft verstummte.,
Doch zeugt die grenzenlose Leidenschaft
Von Zukunft grenzenloser Gegenstände,
Und kündet fröhlich uns den ew'gen Tag.
Ein ew'ger Tag. Er leuchtet weit umher!
Und Alles zeugt, von ihm beleuchtet, ihm!
Im Menschen schaue ein unsterblich Wesen:
Wie klar wird alles nun, und alles groß.
Durchsichtigkeit, rein wie Kristall, beherrscht
Mit vollem Licht den ganzen Kreis des Menschen.
Doch sieh' im Menschen nichts, als Sterblichkeit,
Und überall ist schwarze Nacht und Jammer,
Und trauernd sieht dies Schauspiel die Vernunft.
    Lorenzo, der gelehrte, ruft: »Es traure
Die schwächliche Vernunft der neuen Zeit!
Die Weisheit war dem Alterthum nur eigen.
Der Alten Zeugniß, diese würd'ge Stütze,
Begleitet mich; Athens berühmter Portikus
(Ist er an Ruf der Weisheit übertroffen?) 261
Gab menschliche Unsterblichkeit nicht zu.«
Es sey; und dennoch hat er sie bewiesen.
Welch Räthsel dies! – Gedulde dich! ich lös' es.
    Welch edles Nichts und welche Geistesträume
Erglänzen aus romant'schen Weisheitsblättern
Der Stoa, und vertheilen uns're Seele
Halb an Verachtung, an Bewund'rung halb.
Der Fabel Schwung ist matt, verglichen mit
Der Glut in diesen Greisenhäuptern;
Weit überfliegen sie des Lieds Begeistrung.
»Den Dolch empfinde nicht, die Folter nicht
Das Fleisch, und fühlt es sie, so sey's in Wonne;
Ein Rosenbett, der glühnde Stier Perills,
Sind ihnen gleich.« O sonderbare Lehre
Für Menschen, die nichts über'm Grabe kennen!
Als Lehre seltsam, nicht als Prophezeiung;
Denn das war sie, und sah sich staunend wahr!
Der Stoiker erdichtete den Muth,
Den Christenglaube nicht erdichten mußte,
Denn wirklich jubelte der Christ in Flammen.
Es sah's der Stoiker, sein Doppelstaunen
(Daß seines Geistes kühnes Abentheuer
Nun nicht mehr kühn, verwirklicht Dichtung war!)
Der Christenthat und dann sich selber zollend. 262
    Woher entsproß der Stoa kühner Schwung,
Der sich zu solcher Riesenhöhe hob? –
Dem Triebe und dem Stolz entkeimte er;
Der hehre Trieb des todbefreiten Geistes,
Der eignen Würde dunkel eingedenk,
Begabte ihn mit unverstandner Wahrheit.
Im Lustgebiet, im Sturm' der Leidenschaft
Lag das Gebäud' der Wahrheit wild zertrümmert,
Wie Chaoslicht durch Finsternisse blitzend:
Entzückt vom Pomp erhabener Gesinnung
Sprach freud'ger Stolz, was die Vernunft verwarf;
Der Priesterin von Delphi gleich entbrannt,
Rast' er im Übermuthe Unsinn aus,
Bestimmt, dereinst zu hohem Sinn' zu werden,
Als ein unsterblich Leben hell erglänzte,
Und vor des Evangeliums hoher Sonne
Des Todes schwarze Schatten floh'n. Sie redeten
Was niemand spricht, der nicht unsterblich ist,
Und thaten Wahrheit dar, die sie bestritten.
    So sagt denn Unsinn, wie das Laster aus,
Unsterblich sey der Mensch? Das All verkündet's!
Soviel schon legt' ich dir an's Herz;
Du forderst mehr? Wohlan! so fordre nur;
Und werd' ein Raub des grenzenlosen Grübelns,
Das unbefriedigt bleibt, ist Erde Alles. 263
    »Warum ist Leben nur ein Augenblick?
Doch unsre Sehnsucht die Unendlichkeit?
Nach Ew'gem glüh'nd der Wunsch? Das Grab die Heimath?
Des Menschen Hoffnung birgt des Himmels Wort;
Wer ew'ges Leben wünscht, beweißt es wünschend.
Warum des nie erreichten Glücks Erstreben?
Des Menschen Durst nach ihm bezeugt: es sey;
(Denn niemals ringt Natur nach einem Nichts!)
Der ungestillte Durst bezeugt: es sey nicht irdisch.
An meine Lucia denk', gedenk' Clarissa's;
Wozu der inn'gen Freundschaft tiefe Wurzeln,
Im Mark des Herzens fest, zerreißend bei der Trennung,
Wenn Freund und Freundschaft einer Stunde Raub?
Wär' dies nicht Qual, zur Freude eingelarvt?
Warum welkt Sinnenlust vor ernstem Denken?
Warum nagt die Vergangenheit, die Zukunft
An unserm Herzen, und erwürgt die Freude
Der Gegenwart? Was kämpfet die Vernunft?
Der Trieb genügte auch, noch besser wohl;
Wo Wahl erlaubt, ist auch der Irrthum möglich;
Unfehlbar ist, gedankenlos, das Thier!
(Wär's halb so sehr nur mancher Hocherlauchte!) 264
Warum im Krieg' mit Neigung die Vernunft?
Woher der Schuld Gefühl? Warum Gewissen
So voll gerüstet stets in uns'rer Brust?«
    Der Schuld Gefühl ist Leidensprophezeiung,
Und Busenrath, den harten Streich zu wenden.
Nie trat Vernunft mit Neigung in den Zwist,
Belohnte Zukunft nicht der Erd' Entbehrung.
Und so gelobt uns diese Schaar von Zeugen,
Und eine andre noch, die ungehört,
Das Daseyn einer Zukunft: unter ihnen
Erbieten manche ihre Bürgschaft an.
Doch bliebe sie uns selbst noch zweifelhaft,
Sie müßte theurer doch uns seyn, weit theurer,
Als alles And're, sey's auch noch so sicher.
Und wär' sie falsch, was hat die Erde wohl
An Wahrheit Köstlichers als solche Lüge?
Sie giebt uns (wie es werde!) diese Welt;
Sie giebt uns diese Welt im hohen Labsal: Hoffnung;
Die Zukunft ist der Gegenwart Beseelung.
Wie ächzt dies Leben, trennst du's von dem künft'gen!
Welch armer, armer Krüppel der Ungläub'ge!
Sein Daseyn, von dem finstern Mißtrau'n in
Zwei Hälften aufgelöst, verdirbt in beiden;
Ein freudenloses Leben kündigt düster
Die nur an Leiden reiche Ewigkeit! 265
    Geläng' es dir, mich zu bereden, daß
Die heiße Sehnsucht künft'gen Lebens trügt,
O wie zerflöße dann mein blutend Herz
Bang in der ungewohnten tiefen Qual!
Mit welch entsetzlichen Gedanken peinigt
Dein Hoffen, (das für mich Verzweifeln ist!)
Die schreckliche Vernichtung, unsern Geist,
Und wie erstreckt es unsers Jammers Grenzen!
Gewänn' Lorenzo's Lehre meinen Glauben,
So stürzten meiner Phantasie Gebilde
In solchem düstern Strome wild dahin.
    »Vordem erborgte Gram bei Zukunft Ruhe;
Die Zukunft sank! zum Schmerz wird Gegenwart!
Noch nie erhörten Wehs erkämpfte Thorheit!
Wie tief der Sturz! ein Sturz wie Lucifers:
Ungleich Geschick! sein Fall! nicht sein Verbrechen!
Von hoher Zinne, wo entzückte Hoffnung
Bei Göttern ihren Sitz in Täuschung baute,
Herabgestürzt im Nu, herabgestürzt auf einmal
In Nacht! in Nichts! noch finsterer als Nacht.
War's Traum, dem ich mich gern ergab, warum
Erweckst du mich, o meiner Feinde ärgster!
Lorenzo! der mit Freundesnamen prahlt!
O laß' den Traum! o laß' die Täuschung mir!
Ersönne Rachsucht einen härtern Schlag, 266
Als den: ein denkend Wesen zu verpflanzen
In eine Welt, wie die, so uns umgiebt,
Nicht überreich zuvor, nun ganz verarmt,
Noch schwerer, als beim Sündenfall, verflucht? –
Der Sonne Glut erlischt! es sprossen Dornen!
In jeglichem Gedanken welche Dornen!
Wozu in mir noch das Gefühl des Bessern,
Das mir das Schlimmere nur mehr verbittert?
Wozu Gefühl? wozu das Leben? wenn
Ich es verseufzen soll, und dann versinken
Dahin, woher ich kam! So zweimal Nichts
Um viele Pein! Um Pein aus Himmels Huld! –
Um Pein aus dem so heiß geliebten Quell,
Aus hohem geistigen Vermögen Pein!
    »Verstand, Erkenntniß, Tugend, Segensgüter,
Zu Qualen macht sie deiner Lehre Gift.
Erkenntniß, vordem meines Geistes Stolz,
Wird ihm zum gräßlichen Entsetzen nun.
Mich selbst erkennen, wäre ächte Weisheit? –
Nein! Weisheit ist's, die Mutter der Verzweiflung,
Die Pein zu fliehn der Selbsterkenntniß! Wende
Den Spiegel ab in deiner Hand: der Blick ist tödlich.
    »Den Schöpfer kennen? mich zur seel'gen Höhe,
Wo Er verweilt, durch Müh' der Forschung heben?
Den Schleier lüpfend, in sein Wesen sinken? 267
Erkennen dieses Wesens Eigenschaft?
Und in Bewundrung aufgelöst, Ihn schauen –
Den Feind, der mir das Leben aufgedrungen,
Indeß er mir Glückseligkeit versagt?
Der aus dem Füllestrom rings seines Thrones
Nicht einen Tropfen Lust dem Menschen schenkt;
Dem Menschen, der nach diesem Tropfen lechzt,
Auf daß er ferner nicht der Wiege flucht
Und nicht den Wurm im Staub mehr neiden muß!
O düsteres Gewölk! o tiefe Schatten
Der Nacht! verhüllt Ihn, o verhüllt Ihn ewig,
Sonst meinen einz'gen Trost, die Quelle meiner Freude
Und ihren Geist! doch jetzt verschworen mit
Lorenzo und den Furien wider mich!
    »Erkennen Seine Werke? Seinen Ruhm
Ergründen? Schauen diese Riesenschöpfung,
Die wunderreich aus Seinen Händen kam?
Wozu? Um unter Wundern edlern Namens
Des Elends einzig Wunder aufzufinden?
Im Wesen, das allein Sein Werk erkennen
Und preisen kann, die Schande Seines Ruhms
Zu sehn? den weiten Umkreis der Natur
Im Geist' durchwandernd, sich vor'm Angesicht
Des Menschen zu entsetzen, der allein 268
In Trauer seufzt, weil er, des Äthers Hoffnung athmend,
Von Qual und Tod gefesselt liegt am Boden?
    »Erkenntniß wird zur Pein: und Tugend sollte
Den Seufzer theilen der Erkenntniß? – Ja,
Sie theilt den Seufzer. Nach der steilen Höhe
Klimmend der Vollkommenheit und sieggekrönt
Im heißen Kampf mit der Versuchung, was
Gewinnt sie, als den Gram, zu sehn, daß Werth,
Daß Engelwerth in kurzer Frist dem Dunkel
Mit jedem Laster heimgefallen ist,
Und beigemischt dem niedern Staub des Thiers?
Verdienst wird Tollheit, Tugend ein Verbrechen,
Vor der Vernunft Verbrechen, wenn wir sie
Mit unvergoltnem Schmerz bezahlen müssen.
Und welch ein Schmerz, in Mitte tausend and'rer Leiden,
Ist der Gedanke, daß der schwarze Frevler,
Nach Vollgenuß des Sieges über Beß're,
Dem Biedern gleich im Arm des Tods entschläft,
Und neben ihm, wie er, in Staub zerfällt.
    »Pflicht! Religion! – Sie setzen auf Vollzug
Vergeltung ja! – Irrthum ist Religion
Und Pflicht! – Nur eine giebts: dem Trug zu wehren. 269
Betrügerinnen, flieht! ihr Töchter meines Stolzes!
Die ihr zu Lieblingen euch lügt des Himmels:
Beschwingte Hoffnungen! und fehlgeborne Kräfte!
Die ihr in meiner falschen Brust euch tummelt,
Zu steigen wolkenan und dort auf Wahn zu bauen,
Als wäre Ewigkeit mein festes Erbe!
O eitel, eitler Ehrgeiz, laß' mich ruhig!
Wozu die ferne Fahrt nach sich'rer Täuschung?
Begrenzt nur, wie mein Daseyn, sey mein Wunsch!
Verkehrt ist alles nun, die Weisheit Thorheit;
Den Zügel, Sinne, euch! jag' mit uns hin,
O blinde Leidenschaft! begleite uns,
Unwissenheit, auf unserm Weg: ihr neue,
Doch ächteste Beschützer unsers Friedens!
Es herrsche unumschränkt fortan der Puls;
Als Thiere leben wir, als Thiere sterbend.
Des Menschen All, des göttergleichen Menschen,
Begrenzt auf Schwelgen und Vermodern sich.
    »Doch nicht auf gleichen Fuß mit andern Thieren:
In regerm Leben treibt sich ihre Lust,
Mit minderer Gefahr; sie meiden Gifte;
Gesünder nährt der Trieb als die Vernunft,
Und bannt des Murrens allverbitternd Weh.
Des Sinnenlebens Weisheit hegt das Thier
Am richtigsten; die Heiterkeit ist sein, 270
Die unsre Weisen stets vergeblich suchten.
Der Mensch allein will mit dem Himmel hadern;
Sein ist die Kraft, und auch der Grund, zu trauern.
Muß Menschenaug' allein in Thränen schwimmen?
Und bange bluten nur das Menschenherz?
Das ausgedehnte Reich der Seelenqualen,
Weit größer als der Sinnenleiden Raum,
Gehört uns ganz. Warum, so jammervoll
Im Leben nachgesetzt, erhalten wir
Doch gleiches Loos mit Thieren in dem Tode?
    »War, eh' er war, des Menschen Theil die Schuld?
Warum nur uns der eigne Donnerspruch
Der vollen Sterblichkeit, des vollen Elends? –
Giebt es im Himmel auch ein Staatsgeheimniß,
Vor seiner Unterthanen Blick verborgen?
Und müssen sie, in tiefen Qualen ächzend,
In tiefer Demuth urtheillos verstummen?
O volle Sterblichkeit! und volles Elend! –
Zuviel! zu einzig in Natur! Zuviel
Dem Wesen, das du nicht erschaffen mußtest,
Allmächtiger! Denn hier seh' ich nur Macht.
    »Auch sie – wozu soll ich sie noch erblicken?
Wozu ist der Gedanke mir geschenkt?
Die Arbeit mit dem Essen abzuwechseln, 271
Und dann sein Lager zu bereiten in dem Dunkel,
Dazu bedarf es keiner Kraft, die denkt.
Welch überflüßig Ding vernünft'ge Seele!
Gieb Ewigkeit! wo nicht, nimm den Gedanken!
Doch! ohne Denkkraft fühlten wir den Fluch
Zur Hälfte nur! es schonte seine stumpfe Schneide
Das bange Herz! darum ist sie verliehen.
Ich danke dir, Vernunft, daß du des Lebens
Zu kleines Elend höher treiben hilfst
Und Todesschrecken auf das Daseyn impfst!
So zeigst du deine Huld! – War's denn zuviel
Für mich, zu sterben auf des Thiers Bedingung?
Zuviel dem Himmel, eine Ameis' mehr
Zu schaffen? Auch dem Chaos selbst zuviel,
Der Masse meines Wesens längres Weilen
Mit unverbrauchtem Stoff und formenlosem,
(Noch nicht zum Menschen ausgemartert!) zu gestatten?
Entsetzlich Vorrecht auf den Kreis der Qual!
Entsetzliches Talent zum Wahnsinn, o Gedanke!
Entsetzensfähigkeit zum Tode, Leben!
Gedanke, Leben, Werth und Weisheit, alle
(O schändlicher Verrath!) einst meines Friedens Freunde,
Sie alle nahmen nun zum Feind den Weg. 272
    »So änderte sein Wesen auch der Tod.
O Tod! ich rufe dich an meine Brust,
Du herrlichste der Gaben unsers Himmels!
Des Menschen bester Freund! seit nicht mehr Mensch
Der Mensch. Warum weil' ich in dieser Dornenwüste,
Da kein gelobtes Land Ambrosialauben
Mir zeigt, die Wunden mit dem Honig lohnen?
Bedurften es des Himmels Selbstlerplane,
Daß unser Leben heiße Qual erlitt,
Warum der Hohn, der Menschenjammer drückt?
Warum der theure Spott ob unsern Häuptern,
Dies reiche Dach des Strahlenbaldachins?
Warum das Haus der Pracht für die Verzweiflung?
Bewegen sich der Flammenkugeln Heere
Nach festen Regeln sich'rer Wiederkehr,
Daß seine Bahn der Arbeit und des Leidens
Der Sterbliche nach ihrer Länge kenne,
Und seines Jammers Maas sich pünktlich fülle?
Stets neu gebährend, lächelt hold geschmückt
Mit Blüt' und Frucht die Erde darum nur,
Daß in dem Sitz der Lust der Mensch verschmachte,
Im Paradis verwelkten Freuden weinend?
Und der Bewund'rung Zoll für solche Freuden
Erheischten Erd' und Himmel von dem Menschen? 273
Glücksel'ge Thiere! für Bewunderung
Zu weis', und allzu glücklich für die Klage!
    »Dem Todesurtheil ziemt die Trauerbühne:
Warum verschließt die Söhne der Verdammniß,
Nicht düstre Kerkernacht? Warum heult nicht
Der Mensch in unterird'scher Drachenhöhle?
Warum trägt nicht sein Aufenthalt die Farbe,
Die gräßlich sein Geschick entstellt? Es sind
Die Thebe und die Babylon, das Werk
Der üppigsten Verschwendung einst der Zeit,
Der Mühe und des Golds und aller Künste,
Der Eulen und der Nattern Wohnung jetzt
Mit gleichem Rechte, als des Menschen Wohnung
Der Schöpfung herrlicher Pallast nun ist,
Der seinen Geist erhebt, sein Herz entzündet –
Wenn in dem Augenblick, da Geist sich schwingt,
Und die erhabensten Gefühle flammen,
Aus seiner niedern Klause in dem Staub
Der arme Wurm uns ruft als Hausgenossen,
Und mit der unerbittlich strengen Hand
Rings um uns her der Tod den finstern Vorhang
Herunterläßt, der nicht mehr aufwärts geht.
    »Der nicht mehr aufwärts geht! – Vordem sah ich
Noch hinter Todeswolken eine Sonne; 274
Die Sonne, deren lichter Strahl die Nacht
Der Wolken in ein himmlisch Gold verwandelt:
Doch wie verändert zeigt sich jetzt das Grab!
Ein Abgrund, wie die Hölle, bodenlos!
Die Hölle wirklich dem, der Himmel träumte!
Vernichtung! ha! wie gähnt die Kluft vor mir!
Vielleicht im nächsten Augenblicke schon
Entstürz' ich dem Gedanken und dem Sinn,
Dem Vorzugsrecht des Engels und des Wurms,
Verwiesen aus dem Seyn! und dieser Geist,
Der alldurchdringende und allbewußte,
Der Ausfluß hohen göttlichen Vermögens,
Der pilgert in Natur, vom Stern' zum Sterne
Sich schwingt, zu Göttern wallt, mit ihren Kräften eifert,
Auf ewig lischt er aus! Entsetzen! Tod!
Des Todes Tod, den ich sonst furchtlos schaute! –
Wenn allgemeine Nacht einst niedersteigt,
Des Himmels schwarz Gewölb' die Menschheit deckt,
Wie hoch gerecht stünd' auf dem ungeheuern Grabe,
Das nimmer wiedergiebt, was es verschlang,
Die Inschrift mit der schweren Denkmalsklage:
        Hier liegen unter'm Schutt zerstäubter Welten,
        Im Schoos des allgemeinen Untergangs,
        Und schmählich hingerafft zum niedern Haufen 275
        Des Stoffs, in dem nie Lebensadel glühte,
        Hoffärtige Vernünftige, des Himmels Söhne!
        Der Erde Herrn, der Würmer Eigenthum!
        Erst gestern noch Etwas, doch morgen Nichts!
        Im Schrecken lebend, sterbend in der Qual!
        Verschwunden alle nun, im Chaos modernd;
        Oder durch Baum und Thier den Weg verfolgend,
        Nicht länger Schandfleck für des Schöpfers Namen.
    Lorenzo, höre dies, und in der ernsten Pause
Erwägend, sprich dann deine Meinung aus.
Ist's Wahrheit, was ich hier dir vorgetragen?
Wär' das der Mensch, so müßte, der des Menschen
Geschichte schreibt, und wär er Gott, mit Thränen schreiben.
Und unterfängt Lorenzo sich, zu lächeln? –
Ich weis es, du bist stolz: nur einmal laß'
Als Freund den Stolz in dir geschäftig seyn;
Vor dem Gemälde, das du sahst, erbleichend,
Sehnt sich der Stolz nach edlerem Geschick.
Und bist du denn in Mitte deines Pomps,
Des Anspruchs Muth und Herrlichkeit entfaltend,
Ein Schatten nur? Noch wen'ger als ein Schatten?
Ein Nichts? noch weniger als Nichts? Gewesen,
Und nicht mehr seyn, steht unter ungeboren!
In deiner Brust wohnt Ehrgeiz? und du wolltest 276
Den Wurm auf eine Linie mit dir heben?
Dich treibt ein inniges Gefühl nach Lust?
Und jeder Lust Ersterben schüztest du?
Der Reichthum reizt dich? Warum wählst du denn
Die Armuth in dem Grab, und aller Hoffnung Sinken?
Und wählst auf ewig sie? Es locken dich
Die Ehrsucht, das Vergnügen und der Geiz
Nach jener Welt der Ehre, des Entzückens,
Des Reichthums, die sie dir vor kurzem erst
Als deiner Seele innigstes Verlangen zeigten.
    Wie umgewandelt – nein! vernichtet, du!
Weil du zerstört die höchste Neigung der
Natur! Verschmähst du denn ein endlos Leben,
Ein endlos Glück? Hier willst du beides finden,
Wo beides nicht zu finden ist? Sieh' da
Des Menschen ew'gen Frevelkrieg mit Gott!
Erkühnst du dich, bei'm Irrthum zu beharren?
Enthält die Erde nichts als Riesenreihen
Vorüberwandelnder Gestaltungen,
Entsteh'nd, vergeh'nd, Millionen auf die Stunde?
Der laun'gen Gottheit Wasserblasen nur,
Im Scherz erzeugt, in Grausamkeit zerstört?
Um welcher Unthat willen, Unbarmherz'ger!
Vertilgt dein Satz das menschliche Geschlecht? 277
Mild ist, mit dir verglichen, Wüthrich Satan.
O gieb es auf, ein Wesen zu vergeuden,
Das schon zur Hälfte göttlicher Natur;
Vertheid'ge lieber hohen Himmelsplan!
    Ganz Liebe ist der Himmel; und ganz Freude,
Indem er Freude giebt: nie hätte er geschaffen,
Wär's nicht für der Geschöpfe Glück. Und Er
Er striche aus des Lebens Buch ein Wesen,
Das glücklich ist oder zu seyn verdient?
Der Himmel bebt dem Gotte der Vernichtung.
    Ist, was Gesammtnatur in Schrecken setzt,
Der Sehnsucht Ziel für dich? Bist du so irdisch,
Daß dich der Wunsch ergötzt, nur Staub zu seyn?
Was liegt in diesem schrecklichsten der Wünsche? –
Der Sterbeseufzer der Natur, erwürgt
Von höllisch schwarzer Schuld! Welch tödtlich Gift
Sog deine Seele ein? Denn unverderbte
Natur erkennt in ihm den tiefsten Schmerz.
Ihr erster Wunsch ist Glück, das nimmer endet;
Vernichtung nur des Geistes Mißgeburt,
Ein ungeheurer Wunsch, der eher nicht
In's Leben tritt, bis Tugend stirbt. Und Wehe!
Welch gräßlich tiefen Abgrund schließt er ein!
Denn nimmer wünschte sich ein Mensch Vernichtung,
Der nicht zuvor gewünscht: es sey kein Gott! 278
    Ist dies, wo find' ich Worte, schwarz genug,
Dein Bild zu mahlen? Auch die düstersten
Sind noch zu licht. Wie heißt der Stern des Unheils,
Wann brach die Stunde der Verzweiflung an,
Und welche Furie lieh dir ihren Beistand,
Und wohin sank die Seele, tief verworfen,
Als du im Angesicht der aufgeruf'nen Hölle,
Und bei der Hölle lautem Jubelruf'
Ob der Geburt, die ihr so nah verwandt,
Aus grauenvoller Phantasie verruchte Lehre
Erzeugtest, sie, den düstern Sammelplatz
Verfehlter Hoffnung, halb erblühter Kräfte,
Begonnener und dann zerstäubter Götter?
    Hienieden ist, behauptest du, nur ewig Fluthen
Ohnmächt'gen Seyns, im Sturme fortgetrieben
Durch den empörten Wogenkampf der Zeit
Nach tiefer bodenloser Finsterniß.
Und wäre denn in solchem wilden Strome
Des menschlichen Verderbens nicht ein Fels,
Wo ruhen kann gescheuchter Menschengeist
Von seiner Angst, und schauen sein Geschick,
Und kühn sich dem Gedanken überlassen,
Es sey etwas: als Mensch geboren seyn?
Und wär' in Mitte des mit jeder Stunde 279
Erneuten Untergangs so edler Wesen
Kein fester Mittelpunkt, der alles trägt?
Und keine Macht, die alles wirkt und bindet?
Die, alle Dinge einst in's Daseyn rufend,
Sie wiederrufen kann und zwingen die Zerstörung,
Daß sie zurück den Raub erstatten muß?
Dem Grab befiehlt, die Beute loszugeben?
Dem finstern Thal des Todes seine Menschenärndte
Entreißt, und Erd' und Ozean verurtheilt,
Daß ihre Schuld an Menschen sie bezahlen,
Und wiederliefern anvertrauten Schatz?
Es gäbe keinen hoch erhab'nen Herrscher,
Der – ruft die reife Zeit erkohrner Stunde –
Mit mächt'gem Arm dem Hungerschlunde der
Entsetzlichen Verheerung Gegenwart,
Vergangenheit und Zukunft siegend nimmt
Und diese Dreiheit knüpft an seinen Thron?
Ein Thron, der herrlich prangt im Glorienschmuck
Des Kranzes neu um ihn erblüh'nder Wesen!
Des Blumenkranzes, welcher Gottes würdig!
Ein Thron, den Himmels-Allmacht huldvoll baute
(Dem Leuchtthurm gleich, der über Wellen schwebt!)
In Mitte ihrer unermeß'nen Liebesströme,
Dem Ozean mitgetheilter Seligkeit! 280
    Gott Allbeleber! Allerhalter Gott!
Fürwahr ein Gott wär' dies! – Das ist der Mensch,
Wie ich ihn dargestellt: er hebt sich von dem Falle.
Wähnst du die Allmacht eine kahle Wurzel?
Dem Untergang bestimmt der Gottheit holde Blüten?
Es ist nichts todt; noch mehr! es schlummert nichts;
Die Seelen all', die Menschenstaub belebten,
Sie wachen alle jetzt; sie schweben regsam;
Und wo, o! wo läßt nieder sich der Schwarm?
Wann der Posaune Ruf, wie tönend Erz die Bienen,
Uns Alle um des Himmels Thron versammelt,
Dann sonnen wir in eng gedrängter Schaar
Uns in dem Strahl der nie vergeh'nden Sonne,
(Dem Vaterstrahl) und schließen uns auf ewig
Dem Throne an. O blieb der Seele nicht
Der Erden-Ausblick zu den Himmeln frei,
Wie schmachteten wir dann in dieser Riesenschale
Des Universums, leer an Lebensluft!
Wie schmerzlich raubte uns des Odems Hauch
Die Todesqual der abgezehrten Hoffnung!
    Wie licht die Zukunft mir! und dir, wie dunkel!
Im Zittern eine Welt! ihr Räuber Gott!
Die Erde nur die Metzelbank der Allmacht!
Befleckt des Himmels Angesicht mit Blut, 281
Unschuld'gem Blut unzähliger Millionen,
Geboren für die Qual des Untergangs!
Und das läg' in der Möglichkeit, Lorenzo?
Dann müßten wir des Lebens schaudernd denken.
Wer wünschte sich nach einer Welt des Scheins,
Wo nichts in Wahrheit ist, als unser Elend?
Wo Lust (giebt's Lust) nur unser Leiden steigert,
Weil sie, so schnell dahin, nicht wiederkehrt?
Je inniger sie dann, so schmerzlicher!
Nach einer Welt, so arm an allem Grosen
(Und dennoch däucht sie dir unsäglich gros!)
Daß keine Wirklichkeit in ihr besteht;
Das Wesen Schatten ist, Bewußtseyn Traum!
Und welch ein schwerer Traum! Ein groses Nichts
Geht ihm vorher und folgt ihm wieder nach!
Nach einer Welt, worin der arme Mensch
Ein Funke ist, den ein erzürnter Gott
Aus Nichtseyn schlug, um einen Augenblick
Zu schimmern, selbst des Augenblicks nicht sicher.
Nacht über, unter ihm, auf allen Seiten,
Sein düster, sicher, plözlich, ewig Grab!
    Lorenzo, fühlst du dieser Gründe Kraft?
Oder empfindest du nur Furcht vor Strafe?
Wie wagtest dus, die Gottheit zu entthronen?
Wie, eine solche Welt ihr aufzubürden? 282
Ist dies die Welt, wär' Missethat die Schöpfung;
Denn was ist Missethat wohl anders, als
Verschulden fremden Elends? – Läst'rer, wiederrufe!
Und folg're aus der unermeßnen Menge
Der Gründe in und um uns kurz die Wahrheit:
»Nur wenn der Mensch unsterblich, ist ein Gott im Himmel!«
    Doch wozu der Beweise Überfluß?
Ein einz'ger schon giebt meiner Seele Ruhe;
Er liegt vor Augen mir, und ach! im Herzen.
Denn so gerecht ist Gott, Philanders Leben,
Es war so leidenvoll, und doch so rein die Seele,
Daß Palmen künft'gen Daseyns lohnen müssen,
Oder in's Daseyn nie sein Leben treten.
    »Das alte Mährchen wieder!« ruft Lorenzo.
Sey's; alt ist der Beweis, doch Jahre schwächen
Die Wahrheit nicht; und wäre dies nicht Wahrheit,
So rücktest du ihr nicht ihr Alter vor.
Denn Wahrheit ist unsterblich, wie dein Geist,
Wie deine Lust vergänglich die Erdichtung.
Sey weise! wandle höchsten Himmelssegen
In Strafgericht nicht um; o werde weise!
Daß nicht zum Fluch' Unsterblichkeit dir werde!
    Und weist du, was sie ist? und was du selbst?
Kennst du den Werth des Geistes, der nicht stirbt? 283
Beschau' die Herrlichkeit der Mitternacht:
An Welten Welten! O erhab'ne Pracht! –
Verdopple dieses Staunen! Füg' zehntausend
Und zweimal noch zehntausend Welten bei;
Dann wäg' die Summe – Eine Seele wiegt
Die Welten alle auf, und spricht die Pracht,
Die hehre Pracht der unbeseelten Schöpfung
Als dürftig aus. Du sollst dies mir nicht glauben;
Dein Glaube huld'ge keinem Menschen weiter;
Vertraue Worten nicht, den Thaten nur;
Nicht mindern, als des Allerhöchsten Thaten;
Und seiner Thaten sind nicht wenige:
Sie alle frag'; befragt verkünden alle
Der Seele Werth. Erzittre vor dir selbst,
Für den so lang' die Allmacht wachte; – wachte
Und wirkte seit dem Ursprung aller Zeiten;
Von der Natur Beginn bis zu der Stunde,
Da Unglaub' nun mit deinen Lippen spricht.
    In diesem Theilchen Seiner weiten Herrschaft
(Beug' dich Natur, wenn ich den Schöpfer nenne!)
Was that nicht Gott, und nur um jenen Zweck,
Die Seelen vor des Todes Macht zu retten?
Der Seele hoher Werth erscheint aus Allem,
Was sich im weisen Gang' des Himmels fügt.
Der Seele hoher Werth ist Schlüssel zu der Schöpfung, 284
Eröffnet ihr Geheimniß und enthüllt
Den ächten Grund von allem Wirken Gottes;
Er ist die Kette, die, Jahrtausende verknüpfend,
Sie in dem Band der Wechselwirkung hält,
Und fernste Zeiten eint in Segensplanen;
Er ist der mächt'ge Mittelpunkt, um den
Die Kreise der Natur, des Staats, des Glaubens
Von Anbeginn der Welt sich strebend drehten;
Doch dienstbar nur dem Letzten beide Erste,
Ist ihre Pflicht erfüllt, so welken sie,
Ihr Stoff wird umgeformt, ihr Ruhm vergessen,
Und Engel fragen nach der Stätte, wo
Sie einst in ihrer Herrlichkeit erglänzt.
    Aus solcher Tiefe uns veredelt zu erhöhen,
Zu Stätigkeit die Flucht, zu Tag das Dunkel,
Zu Reinheit Staub, zu klarer Ruhe Sturm,
Zu Grosem Kleines! Für dies hehre Ziel
Giebt der Allmächtige, sich selbst erhebend,
Den langen Tag der heilgen Feier auf.
Geschaffen wird die Welt, zerstört, erneut;
Vom Himmel kommt Gesetz, er nimmt's zurück;
Auf Erden steigen Thronen auf und Reiche,
Und Thronen stürzen mit den Reichen ein;
Der Weisen Ruhm erhellt die Heidenzeit;
Von Sions Zinnen strahlen mächt'ge Seherblicke 285
Die Zukunft durch; es wallen Heilige,
Das Blut der Märt'rer fließt; gehemmt durch Wunder
Steht die Natur im heil'gen Laufe still;
Lebend'ge sind entrückt; beseelt die Todten;
Vom Himmel kommen Engel, mehr als Engel;
Und der, so höher als die Engel steht,
Steigt dieses Zweckes wegen tiefer nieder;
Der Hölle Finsterniß verkläret sich,
Und über seinen Gast entsetzt beugt Satan
Selbst einen kurzen Augenblick das Knie:
Und du, Lorenzo, wolltest wen'ger thun? –
Um solchen Zweck beseelte Himmelsgeist
Die heil'gen Blätter, deren Thorheit spottet,
Der Wahrheit dreifach heiliges Gesetzbuch.
Beschließt der Reinigung Zeit, Ungläubige!
Und betet an, eh' ihr das Heiligthum
Berührt, auf daß nicht Tod den Frevel strafe!
    Nicht minder warm, als sich des Himmels Mächte
Um Sieg bewarben für dies Ziel, erstrebten
Die Mächte tief im Abgrund ihn für sich.
O welche Bühne schließt sich hier uns auf! –
Lorenzo! auf! erhebe dich zu dem Gedanken!
Gebeut dem Geist, entfalte ihn in Kraft,
Daß er den mächtigen Begriff umfasse,
Zu dessen Seite alles and're klein! 286
Zwei Welten kampfentbrannt: Europa nicht
Im Krieg mit Afrika; im Kampf' zwei Welten
Ob wichtigerm als sterblichem Bedürfniß!
Beflügelt steigen sie empor! auf Schwingen,
Erglühnd von hoher Kraft und heißem Eifer,
Hoch über diesen kleinen Feuerbrand,
Der ihren Streit entflammt, den Erdenball.
Doch warum kämpfen sie? Gilt's ihrer Sache?
Nein, deiner Sache gilt's, des Menschen Sache.
Nur seine Wohlfahrt haucht die Flamme an;
Sein ist des Kampfes Preis; sein Schicksal tönt
Die ew'gen Krieg verkündende Posaune.
Wie wogt das Treffen heiß! wie rauschen Schaaren
Der Göttlichen einher in Waffenrüstung!
Gewalt drängt auf Gewalt, bis hoch die Wellen treiben,
Und die Natur zu einem Sturm nur wird!
So ewige, ergrimmte, feste Gegner,
So unversöhnliche sind Gut und Übel;
Und doch versucht der Mensch, der eitle Mensch,
Den Frieden zwischen beiden zu vermitteln.
    Nimm nicht für Dichtung was ich sang. Im Himmel
War Krieg. Vom hohen Felsen aus Kristall,
Der in dem Himmel Seinen Bogen trägt, 287
Nahm ihn mit mächt'gem Arm der Allerhöchste,
Und sandte nach der Tiefe seinen Zorn:
Rückdonnerte die Hölle ihre Flammen. –
Noch immer scheint des Kampfes Preis dir klein?
Es schlummert der, für den allein der Sturm
Sich hob? es schläft der Mensch! – Noch immer bist
Du abhold den Geheimnissen? und doch
Das größte selbst! O furchtbare Erwägung,
Wie um den Menschen sich in himmlischen Gemüthern
Die Sorge rathend müht, indeß er ruhig,
Im eignen Busen keinen Kummer fühlt!
    Wohin mein Blick sich kehrt, wie reich begegnet
Er immer der Beweise mehr! Wie glücklich
Bekräftigt diese Aussicht voller Wunder
Die Gründe, die zuerst ich angeführt!
Wie mächtig faßt mich hier die volle Klarheit,
Daß ein unsterblich Daseyn uns beschieden!
Warum dies rege Leben? diese Rücksicht
Des himmlischen Gebieters für den Menschen?
Weil in dem Menschen liegt das herrliche Vermögen,
Das furchtbare, auf eine Ewigkeit
Der Wonne wie der Qual sich hinzugeben.
Die Dauer nur giebt Werth und steigert ihn;
Was wär' ein Engel – nur des Tags Geschöpf –?
Ein werthlos Wesen, stehend oder fallend. 288
Was ist es mehr? Es war, und ist dahin.
Weil wir unsterblich sind, entquillt dem Himmel
Die wunderbare Achtung vor dem Staub'.
Und darum schaut der Himmel nach der Erde
Mit allen seinen Augen; darum faßt
Sein Blick die Seele als ein Kleinod auf;
Und darum wurde jeder Seele oben
Ein Freund, ein Richter jeglichem Gedanken.
Der Lehm, der niedre Lehm, hat Engelswächter,
Und jeder Wächter liebt den Schützling warm.
Und darum lenkt vom Anbeginn der Zeiten
Ein hoher Rath im Allerheiligsten
Des Menschen Schicksal. Auch verhehlten nicht
Die Wolken diesen Rath der Himmelshuld;
Die Engel zogen auf des Thrones Vorhang,
Und zu dem Menschen stieg die Fürsicht nieder.
Sie sprach im Wechselton des Nachdrucks und
Der Furchtbarkeit den hehren Willen aus,
Und zitternd hörte die Natur ihr zu.
Laut sprach sie in der Ungewitter Sturm:
Sey Zeuge, Sinai! deß Wolkengipfel
Und tieferbebter Grund die Gegenwart
Der Gottheit anerkannt; seyd Zeugen ihr,
O Wogen, deren rückgeströmte Fluth
Die Kette riß, die euch in Lüften hielt, 289
Egypten und sein Dräu'n zur Hölle reissend.
Auch ihr bezeugt es, Flammen! von dem Herrscher
Assyriens zu siebenfacher Glut,
Zu heißer unvermögender gesteigert.
Und Erde! du bezeugst es mit dem Schlunde,
Der Frevlerbrut des Übermuths verschlang.
Bewährten nicht die Elemente alle
In Wechselthätigkeit den Werth der Seele,
Und schwuren sie den Weisen zu? Bestrebten
Sich Flamme nicht und Ozean und Äther,
Und bebend diese Erde nicht, dem Menschen,
Dem demantharten Menschen solche Wahrheit
In's Herz zu prägen? O Lorenzo – wenn dein Wesen
Nicht Demant ist, so höre mich, Lorenzo!
Das All ist Trug; Natur in zehnfach Dunkel
Vor kühnstem Blicke der Vernunft gehüllt;
Zusammenhang gebricht und Sinn und Plan
Und Zweck in Allem, was die Sonne sieht,
In Allem, was jenseits der Sonne liegt,
(So weit als Menschenauge dringen mag)
Wenn nicht der Himmel ein unendlich Gut
Von unschäzbarem hohem Werthe ist.
Das All ist nichts, ist nicht der Himmel Alles.
Und doch wiegt ihn der Tand uns immer auf? 290
Und solch ein Tand gewährte Vollersatz
Für alle Leiden dieser Unterwelt?
Wer gäbe willig nicht die Kleinigkeit,
Dem Übel vorzubeugen, das zu heilen
Wir tausend Welten freudig geben würden?
    Du sahst, Lorenzo (wenn zu sehen dir beschieden)
Für mich Gesammtnatur und ihre Gottheit
Durch die Entwicklung anerschaffner Bahn,
Ja! durch der Laufbahn Unterbrechung selbst.
Die Himmel jubelten von ihrer Höhe:
»Unsterblich ist der Mensch!« hienieden tönt
Des Alles Wiederhall: »Der Mensch unsterblich!«
Die Welt zeigt sich als Buch der Offenbarung,
Auch für der Schule Ungeweihten lesbar;
Gelehrt genug, ist er nur tugendhaft,
Und weise, trotz des Pfluges, den er führt.
Liegt darum nicht die strenge Wahl dir ob:
Vom Sinne dich und der Vernunft zu trennen,
Und trennest du dich nicht, mit uns zu glauben?
Was ist Ungläubigkeit? Vermeß'ne That,
Ein kühnes Werk: will es der Mensch vollbringen,
Dann muß er den gesunden Sinn entwurzeln,
Die angeborne Scham, ein Held im Irrthum!
Doch was vergilt dem Kämpfer ohne Furcht?
Die Reue wird sein Lohn, sein Kranz die Schmach. 291
    Warum die Schmach? – Da Glaube fehlt, so gleitet
Er in des Unrechts steilen Abgrund nieder,
Und jede Stütze mangelt für das Recht.
Ungläub'ger Zweifel an der Zukunft ist
Der Schwäche Keim, der Embrio der Schuld,
Den der Versuchung Kraft zum Daseyn reift.
Wen dieses Lebens Vortheil nur zur That
Bestimmt, warum verkaufte der nicht seine Heimath,
Erschlüge seinen Vater nicht? Die Tugend
Gebeut, das höchste Gut uns aufzusuchen;
Ihm liegt das höchste, einzige hienieden:
Denn Geiz und Ehrsucht, welche weiser Sinn
Verschmäht, sie gelten stets für höchste Weisheit,
Solang die Menschen Thoren sind und wähnen,
Ein Leichenstein, ein Rasen decke alles.
Den Sinnen geben Geiz und Ehrsucht Werk
Und fett're Nahrung und ein größer Feld;
Die Sinnlichkeit besitzt ein göttlich Recht,
Sich herrschend auf des Lebens Thron zu schwingen,
Verliert die Tugend Aussicht und Belohnung;
Sie kann nicht mehr als Himmels Vorschrift gelten:
Ließ' sie der Himmel darben, liebt' er sie?
    »Ist Tugend reizend?« – Sie ist himmlisch schön!
Doch wenn ihr Mitgift fehlt, so drängt der Schwarm 292
Sich buhlend um den Eigennutz, dem Engel
Bewunderung, das Herz dem Satan zollend.
Die Tugend keimt nur aus Unsterblichkeit,
Und welkt die Wurzel, stirbt sie trauernd nach.
An Gottheit glauben! Wozu kann dies frommen?
Belohnung nur und Strafe lehren beten,
Von Furcht und Hoffnung nur lebt das Gewissen.
Wie in der Mutter Tod mitstirbt das Kind,
Erlischt mit der Unsterblichkeit die Tugend.
Wer sich als Läugner der Unsterblichkeit mir ausspricht,
Der nannte Böswicht sich, wie er auch prahle,
Ihm wird es Pflicht, sich ganz allein zu lieben;
Ist er vergnügt, so mag die Menschheit fallen.
Wer binnen kurzer Frist den ganzen Menschen
Vergänglich wähnt, der ist schon selber todt;
In seinem Wesen lebt nur noch das Thier.
    Und solche Menschen gäb' es? – Ja es giebt
Bewerber um die Stufe unter Tod!
Um völliges Vergehn des Seyns – des Seyns!
Auf welchem selbst die Göttlichkeit beruht!
Du forschest nach dem Grund?– doch werden sie
Dir nicht den Grund vertrau'n – bedürfen's nicht:
O Zauberei der Sinnlichkeit! Sie ist's,
Die so der Seele Wesen wandeln kann; 293
Wie einst die Schlange bei dem Sündenfall'
Stürzt sie den Geist, trotz anerschaffner Schwinge,
(Die ihn zuerst nach Ätherhöhen trug)
Stürzt ihn entadelt nieder in den Staub,
Wo er in solchen Schmachgedanken kriecht.
    Vermögen Worte euer Bild? Gefallne!
Dem Schwunge der Vernunft entstürzt! der Hoffnung!
Aufrecht gestellt, doch durch die Neigung kriechend!
Der Wollust hold, auf Eilbahn zu dem Jammer!
Dem Scharfsinn Freunde, dem Verstande feind!
Mit Freiheit prahlend in der Knechtschaft Ketten!
Der weiten Schöpfung Oberherrn und Schande!
Sinnloser als das Thier, das ihr verachtet,
Und niedriger, seyd ihr gleich seine Herrn!
Unseliger, so sehr ihr es bedauert!
Entehrteste im großen All der Wesen,
Weil euch des Daseyns Krone zugedacht!
Unglücklichste, weil euch der Mittel Reichthum
Zu grenzenloser Seligkeit verlieh'n!
Verflucht durch unermeßnen Segens Fülle!
Durch höchste Gunst des tiefsten Abgrunds Raub!
Ihr bunt Gemisch der grellsten Widersprüche,
So wäret ihr denn wirklich überzeugt
Trotz jenem Strom von Licht, der euch umringt,
Daß euer Geist im leichten Dufte flieht, 294
Und in den Lüften stirbt? Ach! euer Geist
Trug schon im schnöden Joch, im Schlamm' der Sinne
Die Himmelszüge ab; vom Laster neu
Geformt sind sie nun euer eigen Werk:
Doch mögt ihr die entstellten nicht vertilgen;
Ihr könnt erschaffen der Verdammniß Fluch,
Doch ungeschaffen nicht euch selber machen.
    Lorenzo, sag' dich los von schrecklichen Genossen!
Saint-Evremont vergiß und lies den heil'gen Paulus,
Der eh' ein Wunder ihn zum Himmel hob,
Schon, auf den Schwingen der Vernunft, im Geiste
Bei'm hehren Licht' verweilt'. Frei denken heißt:
Wenn, nicht im Einzelnen begrenzt, die Seele
Von reger Forschbegier gedrängt, durch alle
Besitzungen des Menschengeistes wallt,
Den Schwung erhebt durch seines Kreises Umfang;
Dann um des Universums weite Grenzen pilgert,
In jedem Theil des Raums, der Zeit, zu Hause;
Vertraut mit Schöpfungswundern, sie durchspäht,
Tief in ihr Wesen dringt, und dem Erob'rer gleichend,
Am innigsten das Fernste stets erstrebt; 295
Die Wahrheit ganz erschaut und unzerrissen;
Die Wahrheit im Zusammenhang des vollen Ganzen;
Wo Satz um Satz, beleuchtend und befest'gend,
Auf hohen Pfeilerbögen baut den Grund,
Den festen Grund, der Überzeugung trägt
Im Vollgewicht der unbedingten Fülle:
Wo unser Fuß, je fester er sich eindrückt,
Nur um so sichrer steht, und wer am schärfsten
Der Prüfung Feile führt, am wärmsten glaubt.
Verstümmelten Sentenzen gleich, verwirrt
Der Theile Einzelheit; das Ganze nur
Verleiht den Sinn und nun wird Gott verstanden;
Er, der im Bruchstück nie dem Menschen schreibt:
Sein ganzes Buch lies, Zweifler! dann erwiedre.
    Dies ist, und dies allein ist frei gedacht!
Nur wenn er mehr umfaßet als ein Sandkorn,
Und über einer Stunde Schranken flieht,
Nur dann ist der Gedanke wahrhaft frei.
Erheb' dein Aug'! schau' diese Mitternacht!
Was sind des Erdballs Königreiche gegen
So grenzenlose Kreise, als du siehst,
Der Seelen vorbestimmter Aufenthalt?
Und was sind diese grenzenlose Kreise,
Verglichen mit dem Menschen, Gottes Bild? 296
Und diese zahlenlose Weltenschaaren,
Die sich am Firmamente enge drängen,
Des Raumes mehr noch an den Himmeln fordernd,
Sie rollen ungehemmt im fassungskräft'gen
Gedanken fort des Menschengeists, der mehr
Des Raums noch hat für weit're Weltenkreise,
Für Fülle neuer Schöpfungen. Kann sich
Die Seele dennoch in sich selbst verengen,
Daß sie den Punkt, dem jede Fläche fehlt,
Wie jed' Gewicht, erfaßt? Sie kann's; sie thut es;
Die Welt ist solch ein Punkt, und ach! wie klein
Des Punktes Theil, der uns zu Sklaven macht.
    Wie klein der Theil–vollende ich's? von Nichts!
Was hemmte mich? – Wie bald dahin sind Freunde,
Der Erde höchstes Gut! Ach Lucia,
Die liebliche Narzissa, mein Philander
Dahin! Es öffnete das Grab, wie einst
Der Cerberus der Fabelwelt, den Dreischlund;
Und meiner Seele ruft es laut mit ernster Stimme,
Und was ich singe, spricht das Grab mir zu.
Wie fällt rings um uns her die Welt in Trümmern,
Und läßt im Schutte unsrer Freuden uns!
Was sagt mir diese Überfahrt der Lieben? 297
Sie fordert meine Liebe für die Stätte,
Wo sie nun sind; sie heißt das schnöde Fleckchen,
Das ohne sie so dürftig, mich verschmäh'n.
Vor dir wogt weites Meer der Ewigkeit;
Dort schifft Clarissa auch, die Deine! dort!
Laß' dein Gemüth die offne See gewinnen;
Erhalt' es fern dem Erdenstrand, der Klippe
Für Seelen, die unsterblich; kapp' das Tau;.
Den Anker lichte, spann' die Segel auf;
Ruf' jedem Strom der Luft; halt' fest im Auge
Den grosen Stern des Pols und find' das Land des Lebens.
    Ein Zwillingsleben hat des Menschen Doppelwesen
Und einen Zwillingstod; doch herrscht in beiden
Ein Einzles vor mit strengerem Gebot.
Das thier'sche Leben nährt die Sonne auf,
Durch ihre Güte blüht's, in ihrem Strahle prangend.
Das geist'ge Leben ruht auf höh'rer Nahrung,
Und prangt im Strahl' des Urquells alles Lichtes.
Verlassen jene Sonne wir, verläßt uns diese,
(Und Jeden trifft dies Loos, der schuldvoll stirbt
Und unbereu'nd) umgiebt uns finst're Nacht,
Und dann verdoppelt wirklich sich der Tod. 298
Kein Richterstrahl des Himmels schlägt uns dann,
Wir fallen nach der Regel der Natur;
So sicher, als das Senkblei fällt zu Boden.
So muß dann Gott sich ändern oder Mensch,
Soll sie Vereinigung zusammen führen,
Weil Licht und Nacht derselbe Kreis nicht faßt:
Daher ist klar, wem Pflicht der Ändrung winkt.
    So klage dann, trifft dich der Doppeltod,
Nicht als erbarmungslos die Gottheit an;
Des Menschen Glück beruht auf Menschenwillen.
Den Menschen nicht allein, vernünft'ge Wesen alle
Bewaffnete der Himmel mit der Kraft,
Der edel furchtbaren: zu widerstreben
Den güt'gen Planen dieses Himmels selbst;
Nicht Willkühr, strenge Folgerichtigkeit
Schuf dies Gesetz. Denn blieb die Kraft versagt,
So waren Menschen, Engel, nur Maschinen
Und leidend fremd dem Lobe wie dem Tadel.
Vernünftige Natur enthält die Macht,
In Freiheit Glück zu wählen oder Elend;
Denn ohne sie wär müßig die Vernunft,
Und wer die Fähigkeit des Unglücks scheut,
Wünscht sich auch Unempfänglichkeit für Glück.
Gott will des Menschen Glück, doch läßt er sein 299
Verderben zu; mit inn'ger Liebe ruft
Er uns zu sich, doch übt er keinen Zwang;
Er giebt nur Rath, der Mensch beschließt allmächtig.
Der Mensch ist Schöpfer seines ew'gen Schicksals,
Fällt durch sich selbst, wenn er am Ende fällt,
Und fallen muß, wer das erhabene Geheimniß:
Er lebe ewig – erst vom Tod' erfährt.
    Doch warum dies zu dir? – zu dir, vielleicht
Noch zweifelnd, ob ein ander Leben sey?
Allein warum bezweifelst du noch immer?
Heiß sehnt sich die Natur nach ew'gem Leben:
Dem heißen Wunsche glauben wir sonst bald;
Dein träger Glaube zeugt, daß jene Sehnsucht
In deiner Brust erstarb. Was nahm sie dir? –
Soll ich dir sagen, was? – Wenn wir die Zukunft
Nur fürchten, dann erlischt der Wunsch nach ihr;
Die ungewünschte streben wir nicht mehr zu glauben,
Und so verräth der Unglaub' uns're Schuld.
Doch ist das nicht die einzige Entdeckung!
Erröthe deiner Heuchelei, Lorenzo,
Wenn auch die Schuld nicht deine Wange röthet!
Furcht vor der Zukunft? – Du, Ungläub'ger, Furcht! 300
Was fürchtest du? den Traum? das Hirngespinnst?
Wie deine Angst in willenloser Klarheit,
Und darum mächtig, ungesucht mich stützt!
Wie, was dein Unglaub' läugnet, er bejaht,
Und unbemerkt Unsterblichkeit bezeugt! –
Wie sonderbar! der Unglaub' wird zum Glauben,
Und legt Bekenntniß ab von unsern Sünden:
So wird der Apostat der reinen Lehre Pred'ger.
    Lorenzo! streit' nicht ferner mit Lorenzo:
Durchsichtig ist die Larve, leg' sie ab.
Verleiht dein Wahn dem Glauben nur die Maske?
Dem Satan heucheln unsers Unglaubs Jünger;
Das Schwärzeste dem Meister angelobend,
Betrügen sie am Ziel der Bahn sein Hoffen.
Wenn der Gedanke sie besucht (und er
Drängt sich gewaltsam einmal zu) so schmiegen
Sie wie ihr Meister sich und glauben zitternd.
Ist eine Heuchelei so nieder schmutzig?
Und so verderblich für der Welt Gedeihn?
Wie unbegrenzt gebührt ihr Schmach und Abscheu!
Entschlüpft sie ungestraft, so danke sie's
Der Milde nur des ächten Christensinnes.
Den sie zu schmähen heiß beflissen ist. 301
Blieb diese Zuflucht Jenen zugeschlossen,
So fänden sie auf dieser Welt die Hölle,
Bevor des Abgrunds Höllenqual sie faßt.
    Anstatt mit frecher Ohnmacht des Gedankens
Die Phantasie zum Widerstand zu reizen,
Veredle sich, der Wahrheit froh, dein Leben.
Doch darf ich dir die harte Folge zeigen?
Erträgt dein stolzer Geist das schwarze Brandmal? –
Von reinern Sitten zu dem höhern Glauben
Nimmt stets Natur den angebornen Schwung;
Der redliche Deist, den Gottes Wort erleuchtet,
Veredelt sich allmählich bis zum Christen.
Begegnet dieser seel'ge Wechsel dir,
Dann lege mein entbehrlich Lied hinweg;
Unsterblich Leben sendet dann im Strom
Von Himmelslicht dir Überzeugung zu.
Der Christ wohnt, Uriel gleich, im Schoos der Sonne;
Der Strahl des Mittags bannt der Zweifel Nacht;
Und innig Hoffen fühlt schon hier den Himmel.
Zu solcher Strahlensonne schwing' dich auf,
Lorenzo! es ist leicht; sie winkt dir zu;
Sie steigt vom Himmel nieder, dich zu suchen,
Und führt dich hin, von wannen sie gekommen. 302
Lies und verehre diese heil'ge Schrift,
Die Schrift, in der Unsterblichkeit gesiegt;
Die Schöpfung war zu schwach, sie zu erzeugen
Und nicht zerstören wird sie Brand der Schöpfung;
Auf ewig eingeprägt dem Geist der Engel
Lebt diese Schrift, wenn die Natur zertrümmert.
    In stolzem Spötterwahn verlachst du was
Des Himmels Mächte betend ehren? – Armer!
Dein Schutzgeist weint! Es stimmen meinem Liede
Die Engel und die Menschen bei; doch witz'ge Köpfe
Verhöhnen mich, für meinen Traum mir dankend.
Wie steigt doch Unsinn aus verderbtem Herzen
Zum Kopfe auf! Talente reizen uns
Zum Übermuth, zur Schande führt der Stolz.
Den frechen Unglaub' wählt der Witz zum Schmucke
Der ehr'nen Stirne, die dem Himmel trotzt,
Und nimmt von der Vernichtung alles Daseyns
Die Bürgschaft schreckenvoller Sicherheit.
Lorenzo! hebt sich glorreich deine Lehre,
Und schlägt als Sieg'rin meine Träumereien;
Giebt's ein Hienieden nur, und ist die Erde
Der letzte Auftritt in dem Schöpfungsdram':
So wahre dich, steh' fest, sey ja ein Böswicht;
Ein Böswichts-Ideal; verirr' dich nie zum Rechten: 303
Denn gut zu seyn – welch ein Verlust für dich!
Die Schuld nur macht Gewinn aus der Vernichtung!
O Segenslehre, die dem Leben Trost,
Dem Tode Hoffnung raubt, nur Laster pflegend!
Ist's so, wozu, Ungläubige, der Köder,
Mit dem ihr nach den schwachen Jüngern angelt?
Wozu die Prahlerei mit hoher Glut
Für Tugend und mit warmer Menschenliebe?
Vernichtung, ja! in diesen ist Vernichtung.
    Was leitet euch zur rechten Bahn zurück?
Geb' ich der kühnen Hoffnung Raum, ein Lied
Vermöge solche Denker zu bekehren?
Euch schmeichelt seine Aufschrift, doch nicht mir;
Der Ruhm sey euch, mit Ächtheit sie zu schmücken,
Denn mir genügt's, den Himmel lobzupreisen,
Und eures edlern Ruhmes mich zu freu'n.
Doch weil das Gift in euch so tödlich ist,
Als heilsam die Arznei, die ich euch reiche,
So sey mir Freude noch und Schmerz gleich fern.
Nur hoffen will ich, daß mein Traum das Herz
Euch weckt und eure Weisheit – weise macht:
Denn warum sollten Geister, die unsterblich,
Für Seligkeit geschaffen, jemals wünschen, 304
(Vergeblich wünschen!) daß die Geister sterben könnten?
Was nimmer sterben kann, o laßt ihm Leben,
Und krönt der Allmacht Wunsch und Zweck und Wirken;
Vermehret und genießt des Himmels Wonnen!
Dann wird des Liedes Inschrift durch ein heilig Siegel
Bestätigt und von oben gutgeheißen,
Indeß die Engel dem Bekehrten jauchzen.
    Zum Schluß Lorenzo! – Meiner Mühe trotzend,
Wähnst du dein ewig Leben, stets noch seltsam?
Ist minder seltsam denn dein Leben selbst?
Ein Wunder ist's; nicht mehr, als Wunder, jenes.
Des Anfangs Geber mag das Ende bannen.
Erst läugne, daß du bist, dann zweifle, ob
Du seyn wirst. Wunder, rings von Wundern eingeschlossen,
Ist ja der Mensch, und dennoch starrt sein Glaube
Vor allem was ihm seltsam scheint! Was kann,
Ist's Wunder nicht, ausgehn vom Wundervollen,
Ist's Wunder nicht, entströmen dem Allmächt'gen?
Ihn glaube, Ihn – das höchste der Mysterien!
Den Urquell ohne Quell! dann giebt's kein Wunder weiter. 305
In seiner Macht liegt jede Wirksamkeit.
Doch läugne Ihn – und alles wird Geheimniß;
Millionen von Mysterien stehen auf!
Und jedes von den allen ist noch dunkler,
Als das, was deine Weisheit unweis meidet.
Warum, wenn schwach in dir die Kraft des Glaubens,
Erwählst du der Entscheidung schwerern Theil?
Was wir erkennen, es ist wunderbar,
Doch wissen wir das Wunderbare nicht zu glauben.
So schwach ist Menschengeist und Gott so groß,
Daß, was in seinem heil'gen Buch' am meisten
In Staunen uns versetzt und wundervoll
Und wundervoller noch als wundervoll
Erscheint, nothwendig Wahrheit für uns seyn muß.
Nicht Arbeit, Ruhe ist dem Geist der Glaube.
    Warum so träg' der Mensch für Glaub' und Tugend?
Die Gegenwart ergreift uns alle mächtig;
Die Zukunft schwach: wie, wären wir dann Menschen?
Denn wenn wir Menschen sind, Lorenzo! ist
Das Gegentheil allein der rechte Theil.
Vernunft gehört dem Menschen, Sinn dem Thiere;
Der Sinne eng Gebiet ist Gegenwart;
Die Zukunft der Vernunft unendlich Reich.
Hieher verwendet sie die Götterkraft, 306
Hier sinnt sie aus, sie sammelt und erweitert,
Sie triumphirt, baut ihre Seligkeit,
Und wartet ihres Ruhms und fordert nichts
Der Hand des Zufalls und der Menschen ab.
Was ist Vernunft? Sey sie uns klar im Wort,
Das sie der Seele grade Stellung nennt.
O sey ein Mensch! – und such' ein Gott zu werden.
    »Wozu? (sprichst du) – des Lebens Lust zu dämpfen?«
Nein! Mark zu geben deiner Lust und Wesen.
Sieh, wie Tyrannin Hoffnung herrscht; wie sie
Uns zwingt, für Träume Wirklichkeit zu geben,
Heil für Gefahr und um die Unruh Frieden;
Tyrannin uns'rer inneren Tyrannen,
Drängt sie dem Ehrgeiz seine Beute ab;
Er muß den reichen Zweig, auf dem er schwebt, verlassen
(Trüg' er auch Kronenfrucht!) und ferner Beute
In Mühe und Gefahr von neuem folgen,
Um Ruh' am Ziel'! Schafft solch ein schwankend Hoffen
Uns Mühe und Gefahr in Wonne um,
Was sollte eine Hoffnung nicht vermögen,
Die, wollen wir, uns unzerstörbar bleibt?
Die reiche Hoffnung grenzenloser Wonne! 307
Der Wonne, die nicht faßt des Menschen Geist,
Die selbst die Macht der Zeit nicht enden kann!
    Und solche Hoffnung ist der Erde Kleinod;
Sie ist des Menschen Theil, so lange er
Nicht mehr als Mensch; denn Hoffnung bleibt im Kreis
Der Leidenschaften uns're beste Freundin;
Die Schwestern, welche stolz're Namen führen,
Sind minder hold. Denn Thränen hat die Freude,
Und der Entzückung ist der Tod nicht fern';
Die Hoffnung gleicht dem ungefährlichen
Doch stärkenden Erquickungstrank, der in
Des Menschen Herz begeisternd Ruhe sendet;
Nie läßt sie ihn die Lust mit Weisheit zahlen,
Denn sie ist jenes höchste Gut, das wir
Gefahrlos tragen können hier auf Erden:
Dem Leib' Gesundheit! und dem Geist Vermögen!
Und mäß'ge Lust! und keusch erzogne Freude!
Wie holder Sommerabend mild und sanft!
Des Menschen Wonnebecher, irdisch Eden!
    Ein selig Einst – es sey gehofft, es werd' errungen,
Ist Alles denn – ist unsres Glückes Summe.
Und so ist meinem Liede voll bewährt,
Daß es dem höhern edlern Stoff' sich weihte. 308
Und wißt, der Dichtkunst Gegner! (wohlgesinnt,
Doch halb vergessend eurer Bibel Ruhm!)
Im Liede auch gefällt die wicht'ge Wahrheit.
Ihr preißt den ernsten Sinn: o preißt ihn warm!
Hat Ewigkeit Gewicht, so laßt auch ihn
Mir horchen, und – mir horchend ernster werden!


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