Curtis Yorke
Um des Kindes willen
Curtis Yorke

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Zweites Kapitel.

Eine kleine Gestalt sitzt in einem Aufbau, der die steinerne Brüstung einer Brücke vorstellen soll; und sieht höchst unbefriedigt aus.

»Aber so geht's wahrhaftig nicht, Dot,« rief Jocelyn, seinen Kohlenstift halb seufzend, halb belustigt aus der Hand legend. »Du mußt ganz verzweifelt und trostlos aussehen, denn deine Puppe schwimmt dir ja im Bach davon, und du kannst sie nicht mehr herausfischen ... da willst du natürlich gerade zu weinen anfangen. Dagegen machst du ein Gesicht, als ob du Spinnen verschluckt hättest und recht grob sein möchtest, und läßt deine Unterlippe hängen, daß es geradezu garstig aussieht.«

»Weil mich ein neues Kleid anhaben möchte,« stieß der Knirps von einem Modell heraus. »Weil mich nicht in ein Bild will mit dem häßlichen alten Tuch.«

Dabei zerrte sie ärgerlich an den Fransen des in Frage stehenden Kleidungsstücks.

»Aber du weißt ja doch,« wandte der Künstler ein, »daß du ein armes kleines Mädchen vorstellen sollst, das nur ein vertragenes Röckchen hat und dessen alte zerbrochene Puppe auch noch ins Wasser gefallen ist.«

»Mich will aber eine kleine Prinzessin vo'stellen in deinem Bild ... eine kleine Prinzessin in einem Kleid aus lauter Gold und Silber, und die hat sich ihre wunderschöne, danz neue Puppe verloren ... und mich will auch Peter auf dem Schoß haben,« behauptete Dot hartnäckig.

Jocelyn zuckte die Achseln und rief dann, einer plötzlichen Eingebung gehorchend: »Sieh mal ... liegt dort nicht deine tanzende Nymphe zerbrochen am Boden? Sieh doch hin ... gerade dort ...«

Mit einem halb unterdrückten Verzweiflungsschrei beugte sich Dot von ihrem erhöhten Sitz herab und starrte mit einem Schreckensausdruck so voll unfaßlichen Jammers in die ihr bezeichnete Ecke, daß Jocelyn fröhlich nach seinem Stift griff und mit dem Ruf: »Da hätten wir ja, was wir brauchen!« zu zeichnen anfing. Aber im nächsten Augenblick war Dot von ihrem Brückengeländer heruntergekollert und lag weinend am Boden.

»Kann mich meinen Nymphengel nicht sehen!« schluchzte sie. »Vielleicht ve'loren, vielleicht tot ... o mich will Nymphengel wieder haben!«

Jocelyn hob sie liebevoll auf und sagte beschwichtigend: »Komm, komm, 's ist alles in Ordnung ... ich muß mich getäuscht haben.... Dein Nymphengel ist oben in deiner Stube so sicher aufgehoben wie in einer Kirche! Lauf nur hinauf und sieh nach! Du brauchst auch heute nicht mehr zu sitzen.«

Schleunigst riß Dot das verhaßte Umschlagtuch von den schmalen Schultern, stampfte kräftig darauf und flog aus dem Zimmer.

»Meinen Nymphengel gefunden!« verkündigte sie nach kurzer Zeit mit strahlender Miene zum Thürspalt herein. »Is nich' kaput!«

Damit war sie entschwunden.

Bald darauf öffnete sich die Thüre abermals, und ein großer, schmächtiger Mann mit durchfurchtem, scharfgeschnittenem Gesicht und den Augen eines Knaben trat ein.

»Du bist's, Forsyth,« begrüßte ihn Jocelyn mit flüchtigem Kopfnicken. »Ich glaubte, du seiest nach Brüssel.«

Forsyth setzte sich rittlings auf einen Stuhl und stützte die gekreuzten Arme auf die Lehne.

»Hab's auch geglaubt,« sagte er, einen dichten Haarschopf aus der Stirne streichend, »nun hab' ich aber gerade ein verlockendes Angebot erhalten, für Calliger einen neuen Band zu schreiben. Wenn ich nach Brüssel gehe, verschlingt mich die Familie. Das thut sie, wie du weißt, immer ... zum Arbeiten kommt man da nicht. Drum hab' ich mich entschlossen, daheim zu bleiben und alle Tage so und so viele Worte herauszupumpen, bis das Ding fertig ist. Zwei Groschen das Wort, ist, so viel ich rechnen kann, der Preis, wofür ich meine Freiheit verschachere. Das Uebel dabei ist nur, daß ich ums Leben keinen Anfang zu stande bringe.... Heute vormittag saß ich ein paar Stunden vor einem Blatt Papier, auf dem jetzt noch nichts steht als: ›Erstes Kapitel‹. Ich glaube, mein Gehirn streikt.«

»Es ist abgenützt, und du brauchst Erholung, Veränderung,« bemerkte der Maler, seine eigene Arbeit zwischen halbgeschlossenen Augenlidern fixierend. »Warum willst du deinen Calliger nicht zeitweise aufs Trockene setzen, dir Ferien gönnen und dann doppelt ochsen, wenn du wieder daheim bist? In der Verfassung, worin du jetzt bist, kommt doch nichts Gescheites zu stande! Hast du Pennington kürzlich gesehen?«

»Gestern war ich in seiner Höhle. Weißt du, Jocelyn, du und Pennington, ihr seid für mich in gewissem Sinn die reinsten Quellen der Heiterkeit!«

»Sehr schmeichelhaft,« murmelte Jocelyn geistesabwesend. »Was findest du denn so ergötzlich an uns?«

»Nun, siehst du, der alte Kamerad, der Pennington, der könnte auf seines Vaters Gütern in Wales ein Leben führen wie der Herrgott in Frankreich, bildlich gesprochen. Aber nein, das thut er nicht, lieber nagt er mit seinem Taschengeld von hundertundfünfzig Pfund im Jahr in London am Hungertuch, nur weil er sich einbildet, er habe unter den übelriechenden Armen eine Mission zu erfüllen. Selbstverständlich sind die armen Leute ja wundernett, höchst interessant und so weiter, wir können aber mit ziemlicher Sicherheit annehmen, daß sie so bald noch nicht aussterben, und drum mein' ich, er könnte füglich seinem Alten den Willen thun und bei ihm aushalten, solang dieser selbst noch vorhält. Und du ... du bist wahrhaftig ein guter Kerl, aber der Teufel soll mich holen, wenn ich je dahinter komme, wer dir weis gemacht hat, du könnest Bilder malen. Wenn man mich danach fragt, muß ich sagen, es sei eine fixe Idee! Wenn du je eins verkaufen würdest oder in eine Ausstellung bringen, könnte ich's eher begreifen, aber das wird nie geschehen.«

Jocelyn schleuderte in gutmütigem Zorn einen Pinsel nach dem Sprecher.

»Zweifelsüchtiges Ungeheuer!« rief er, »Heute hab' ich aber eins verkauft ... wenigstens schreibt mir der Kunsthändler, es sei verkauft.«

»Gott steh' uns bei! Das kann dein Ernst nicht sein! Wieviel bekommst du denn?«

Der Maler nannte die Summe.

»Hm, hm. Ist's etwa eins von den Mägdelein mit violetten Haaren und grünen Schatten unter den Augen?«

»Nein, es ist mein ›Sonnabend im Arbeiterviertel‹!«

Forsyth steckte sich eine Cigarette an.

»Ich sagte dir von jeher, daß es das einzig Vernünftige sei, was du je gemacht hast.«

Jocelyn grinste höhnisch.

»Ja, ja, das Anrüchige hat ja immer einen unwiderstehlichen Reiz für den süßen Schaupöbel!«

»Schnickschnack,« fiel ihm der andre ins Wort. »Der süße Schaupöbel hat seinen beschränkten, aber gesunden Menschenverstand. Ihm gefällt, was er selbst schon gesehen hat, was er kennt und begreifen kann, auf den Impressionismus und die Kunst der Zukunft pfeift er. Auf welche Weise die Wirkung zu stande kommt, ist ihm schnuppe, wenn sie nur da ist, und wenn du Geld verdienen willst, mußt du dich wohl oder übel entschließen, zu diesem süßen Schaupöbel herabzusteigen. Wenn dir's Spaß macht, auf Wolken zu reiten und von den Kritikern verehrt zu werden – wohl und gut, nur schlag' dir dann jeden Gedanken an Einnahmen aus dem Sinn, das ist die allgemeine Regel. Mach' dir dagegen einen Namen, mit Hilfe des süßen Schaupöbels, dann kannst du lebenslang treiben, was du magst, kannst vergoldete Napfkuchen malen und sie Sonnenuntergang taufen, kannst ein Chaos in Blau malen und Schiffbruch darunter schreiben, kannst einer blaßlila Farbensymphonie Flügel ansetzen und sie Engel benamsen – aber erst mach' dir einen Namen!«

»Mein Bester, man muß im Gegenteil gerade so weiter machen, wie man angefangen hat,« versetzte Jocelyn gelassen. »Wenn ich mir einen Namen mache als Maler der ›Nachtseiten menschlicher Natur‹, so muß ich bis an mein Ende Anstößiges malen. Fängt man als blauer Nebulist an, so muß man dabei bleiben. Nichts verargt einem das Publikum mehr, als wenn man aus der Rubrik herausspringt, worein man durch sein erstes Werk, das die allgemeine Aufmerksamkeit erregte, geraten ist.«

»Ach, das sind abgedroschene Redensarten!« entgegnete Forsyth, der jetzt in Zug kam und den Kriegspfad betrat. »Glaubst du etwa, daß ich noch solches Zeug schreiben werde wie jetzt, wenn ich erst einmal ein großes Tier bin? Fällt mir nicht ein! Dann stopfe ich Publikum und Kritik mit meinen eigenen Gedanken und Einfällen – mögen sie zusehen, wie sie's verdauen. Hallo, da ist ja Pennington!

Der Eintretende war ein hagerer Mann mit bolzgerader Haltung und tiefliegenden forschenden Augen.

Die drei jungen Männer waren von Kinderzeiten her befreundet, ein Trio, das noch nie aus dem Takt gekommen war, ein Freundschaftsbund, dem Neid, Zwistigkeiten und Mißverständnisse unbekannt waren.

Der neue Ankömmling ging stracks zur Staffelei und ergriff Jocelyns Skizze.

»Aha! Das kleine Mädel vom Dachstock!« bemerkte er. »Riesig ähnlich, wie sie leibt und lebt!«

»Laß mal sehen,« sagte Forsyth, vom Stuhl aufstehend. »Hm – ja – gar nicht übel. Du triffst ja gut, Jocelyn – verlege dich doch aufs Porträt.«

»Ein bedeutendes, nachdenkliches Gesichtchen,« erklärte Pennington. »Schade, daß sie den alten Fraser zum Vater hat.«

»Das wäre ja ein Feld für deine Weltverbesserung, Pennington,« spöttelte Forsyth. »Gewöhne doch dem alten Fraser das Trinken ab und erziehe das Kind nach den Grundsätzen – Donnerwetter! Ich hab's! Entschuldigt mich, aber ich habe eine Idee – ich muß heim und an die Arbeit – komme später wieder.«


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