William Butler Yeats
Erzählungen und Essays
William Butler Yeats

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Der Leib des Vaters Christian Rosenkreuz

1895

(Essay)

Die Anhänger des Vater Christian Rosenkreuz, sagt eine alte Überlieferung, hüllten seinen unvergänglichen Leib in edle Gewandung, und sie legten ihn in ein Grab unter ihrem Ordenshaus, das die Symbole von allen Dingen im Himmel und auf Erden und in den Gewässern unter der Erde enthielt, und über ihn setzten sie unerschöpfliche magische Lampen, die von Geschlecht zu Geschlecht weiterbrannten, bis einmal andere Schüler aus dem Orden durch irgendeinen Zufall auf das Grab stießen.

Ich glaube, die Phantasie hat während der letzten zweihundert Jahre kein hiervon sehr verschiedenes Schicksal gehabt; auch sie ist in ein großes Grab des Kritizismus gelegt worden, auch über sie sind unverlöschliche magische Lampen von Weisheit und Romantik gesetzt worden, und auch sie ist im ganzen so vortrefflich untergebracht und ausgestattet worden, daß wir ganz vergessen haben, wie ihre Zauberlippen geschlossen sind oder sich nur aufgetan haben, um die Klagelaute einer schwermütigen und geisterhaften Stimme vernehmen zu lassen. Die Alten und die Zeitgenossen der Königin Elisabeth haben sich der Phantasie hingegeben, wie ein Weib sich der Liebe hingibt, und sie haben große Wesen hervorgebracht, denen gegenüber die Menschen dieser Welt wie bloße Schatten erscheinen; sie schufen große Leidenschaften, von denen unsere Liebe und unser Haß als bloß flüchtige und triviale Phantasien erscheinen; jetzt aber sind es nicht die großen Menschen oder die erträumten großen Leidenschaften, die uns in Anspruch nehmen: sind doch die Personen und die Leidenschaften in unseren Dichtungen hauptsächlich Reflexe, wie der Spiegel unseres Geistes von älteren Dichtungen oder aus dem Leben um uns her sie aufgefangen hat; es sind vielmehr die weisen Kommentare, die wir über sie machen, die Kritik des Lebens, die wir aus seinen Schätzen herauspressen.

König Arthur und sein Hof sind nichts, aber die vielfarbigen Lichter, die sie umspielen, sind so schön wie die Lichter von Kirchenfenstern. Pompilia und Guido bedeuten nur wenig, aber die immer wiederkehrenden Betrachtungen und Erläuterungen, die in den Worten des Papstes gipfeln, gehören zu dem Weisesten, was das christliche Zeitalter kennt. Ich kann den Gedanken nicht loswerden: diese Zeit der Kritik wird bald vorüber sein, und es wird ein Zeitalter der Phantasie, der Gemütsbewegung, der Stimmung und Offenbarung an seiner Statt heraufkommen, denn es ist kein Zweifel: der Glaube an eine übersinnliche Welt ist wiederum nahe, und wenn einmal die Erkenntnis ins Rollen gekommen ist, daß wir »Phantome von Erde und Wasser« sind, dann mögen wir unserem eigenen Wesen und allem, was es immer ersinnen mag, wiederum vertrauen; und wenn die äußere Welt nicht mehr als das Grundmaß aller Wirklichkeit angesehen wird, dann werden wir die großen Leidenschaften als die Engel Gottes erkennen, und daß sie »ungezügelt in ihrer ewigen Glorie« zu verkörpern, selbst wenn sie den Frieden und das Glück der Menschen bedrohen sollten, mehr ist als, wie weise auch immer, sich über die Ziele unserer Zeit unterhalten oder die sozialen, humanitären oder anderen Kräfte unseres Zeitalters beleuchten oder sogar unsere Zeit, wie die Phrase lautet, »zusammenfassen«; denn die Kunst ist eine Offenbarung und nicht Kritik, und das Leben des Künstlers, es ist ausgesprochen in dem alten Worte der Weisheit, das da heißt: »Der Wind blaset, wo er will, und du hörest sein Sausen wohl, aber du weißt nicht, von wannen er kommt und wohin er fahret. Also ist ein jeglicher, der aus dem Geist geboren ist.«


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