William Butler Yeats
Erzählungen und Essays
William Butler Yeats

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Der Glücklichste unter den Dichtern

1902

(Essay über William Morris)

I

In einem seiner Briefe zählt Rossetti seine Lieblingsfarben der Reihe nach auf, und man fühlt durch alle seine Werke hindurch, wie er Form und Farbe an sich geliebt hat, unabhängig von dem, was sie darstellen.

Manchmal hat man das Gefühl, er habe Sehnsucht getragen nach einer Welt des reinen Seins, der ungemischten Kräfte und von unmöglicher Reinheit. Es ist, als hätte in seinem Geiste das Jüngste Gericht bereits begonnen, als würden die Wesenheiten und Kräfte, von der Hand Gottes durcheinandergemischt, auf daß sie die Lehmform des Lebens bilden sollten, bei seiner Berührung in Stücke zerfallen. Wenn er eine Flamme malt oder eine blaue Ferne, dann malt er sie, als hätte er die Flamme gesehen, aus deren Herzen alle Flammen genommen worden, oder das Blau des Abgrundes, das da war, bevor es Leben gab; und wenn es ein Frauenantlitz war, stellte er es in einem Augenblicke der Intensität dar, wo die Ekstase des Liebenden und die des Heiligen sich gleichen und Begehren Weisheit wird, ohne darum weniger Begehren zu sein. Er lauscht dem Schrei des Fleisches, bis es stolz hinübergeht jenseits der Welt, wo eine ungeheure Sehnsucht, die kein Verstand begreifen kann, sich mit der Wärme und Weichheit des Leibes vermischt. Dem Genius Shelleys gleich, kann sein Geist sich kaum mit etwas anderem zufriedengeben, als mit dem Verwerfen der Natur, deren Wonne der Überfluß ist, niemals aber die Intensität, und Shelley gleich, folgt sein Geist dem Stern der Weisen, dem Morgen- und Abendstern, der Mutter unmöglicher Hoffnung, sei es auch durch tiefe Wälder, wo der Stern zwischen taufeuchten Zweigen hindurchschimmert und nicht durch ein »windbespültes Tal der Apenninen«. Menschen gleich ihm können nicht glücklich sein in unserem Sinne, denn um glücklich sein zu können, muß man, der Natur gleich, in der bloßen Verschwendung schwelgen, im bloßen Überfluß, im Hervorbringen und Vollführen von Dingen, und wenn wir uns ein Bildnis des Vollkommenen vorgesetzt haben, dann muß es ein solches sein, darin das Glück unaufhörlich als das einer vollendeten Fülle von Naturleben, eines irdischen Paradieses gemalt wird. Unsere Gemütsbewegungen dürfen nie die Fesseln des Lebens sprengen, niemals sollen unsere Hände sich mühen, die silberne Schnur zu lösen, noch unsere Ohren sich anstrengen, den Klang der Trompete des Erzengels Michael zu vernehmen. Das will besagen, daß wir nicht zu denen gehören dürfen, die in alten Zeiten in einem Heiligtum des Sternes ihre Andacht verrichtet, sondern zu jenen, die unter dem Schatten grüner Bäume und auf den nassen Steinen der Quelle gebetet, zu den Anbetern der Naturfülle.

II

Die Fäden, die die Seele regieren, sind so fein, daß ich nicht glauben kann, es sei ein bloßer Zufall gewesen, was William Morris, wie mir scheint der einzige vollkommen glückliche und vom Schicksal begünstigte Dichter unserer Zeit, veranlaßt hat, in so vielen seiner Bücher den grünen Baum und die Göttin Habundia und Quellen und bezauberte Gewässer zu feiern. In seiner Schrift »Die Quelle am Jüngsten Tag« werden uns grüne Bäume und verzauberte Gewässer vorgeführt, wie die Alten sie gesehen, die meinten, alle Dinge entstünden aus dem Wasser; denn wenn jenes Gewässer endlich gefunden ist, das langes und glückliches Leben verleiht, und das niemand finden kann, es sei denn einer, den alle Frauen lieben, dann beginnt der verdorrte Baum, das Bild zerstörten Landes, zu grünen. In der Tat sind ihm, wie den älteren Schriftstellern, Quelle und Baum nichts anderes als die Bilder des Einen, jener »Energie«, die nicht weniger »ewige Freude« ist, weil sie zur Hälfte vom Körper kommt. Niemals schrieb er von einem Manne oder einer Frau, noch hätte er es zu tun vermocht, die nicht der Quelle oder dem Baume wesensverwandt gewesen wären. Lange bevor er von diesen beiden gesprochen, hatte er seine »Wanderer« allerdings einem Traumbilde nachgebildet, aber einem Traum von natürlichem Glück; und alle Gestalten in seinen sämtlichen Dichtungen und Erzählungen, von den verworrenen Anfängen seiner Kunst: im »Hohlen Land« angefangen bis zur »Trennenden Flut«, sie alle sind voll von der süßen Schwere dieses Traumbildes. Tatsächlich hat er über nichts anderes geschrieben, als über die Suche nach dem heiligen Gral, aber es war der Gral der Heiden, der jedem seine erwünschte Nahrung spendete und nicht der Gral Malorys oder Wagners; und er gelangte schließlich dahin, Menschen mit glückverheißenden Augen und Männer, die von allen Frauen geliebt werden, zu verherrlichen, so wie andere die Märtyrer der Religion und des Leidens gepriesen haben. Wir wissen so wenig von Menschen und von der Welt, daß wir nicht sicher sein können, ob dieselben unsichtbaren Hände, die ihm eine in Glücksgütern befangene Phantasie gegeben, ihm nicht auch Gesundheit und Reichtum gespendet und die Kraft, mühelos schöne Dinge zu schaffen, auf daß er den grünen Baum zu Ehren zu bringen vermöchte. Es bereitet mir Vergnügen, mir die Kupfermine vorzustellen, die, wie Mackail einmal sagt, so viel unvorhergesehenen Reichtum auf eine so erstaunliche Art hervorgebracht hat, nicht weniger wunderbar, wie die drei Pfeile in der »Trennenden Flut«.

Kein noch so großer Dichter könnte in seinem Schmerz so viel in Todesgedanken geschwelgt haben, daß er vermocht hätte, uns an Menschen Gefallen finden zu lassen, die »kein eitles Begehren nach törichtem Ruhm gekannt«, sondern gemeint, daß der »Tanz auf einem Stoppelfeld« und der »Kampf mit der Erde« dem »bittern Krieg« vorzuziehen sei, wo gut und böse durcheinandergemischt sind.

»Die Bäume, die Bäume!« schrieb er in einem seiner frühen Briefe, und es war sein Werk, daß wir, denen so lange gelehrt worden war, wir sollten mit den Unglücklichen Mitleid haben, bis wir selber krank geworden, gelernt haben, mit Männern und Frauen zu fühlen, die alles in Glück umgewandelt, weil sie in sich etwas von dem Überfluß der Buchenzweige gehabt, oder von der platzenden Weizenähre. Er allein hat, wie mir scheint, die Geschichte der Alceste mit völliger Teilnahme für Admet erzählt, mit einer so vollkommenen Teilnahme, daß er sich gar nicht überreden kann, wie einer, der so glücklich gewesen, überhaupt habe sterben können; und ganz und gar verschieden von andern Dichtern, hat er Genuß darin gefunden, uns zu erzählen, wie die Menschen nach seinem Herzen, die Menschen aus seinen »Neuigkeiten von Nirgendwo« nur kurze Zeit über eine unglückliche Liebe bekümmert gewesen. Er ist nicht einmal imstande, sich Adel und Glück getrennt zu denken, denn alle seine Menschen gleichen seinen Gestalten aus »Burg Dale«, die »in viel Überfluß und Lebensfreude gelebt, wenn auch nicht weichlich oder im Verlangen nach dem Maßloßen.« Sie mühten sich mit ihren Händen und plagten sich, und sie ruhten aus von ihrer Arbeit und schmausten und waren glücklich; das Morgen war ihnen keine Bürde, noch das Gestern etwas, was sie gerne vergessen mochten, und das Leben war ihnen keine Scham, noch der Tod ein Schrecken. Das Tal, darinnen sie wohnten, war in der Tat sehr schön und lieblich, und sie sahen es als den Segen der Erde an, und sie traten die blumige Wiese, den gekräuselten Strom entlang, mitten unter den grünen Zweigen, stolz und freudvoll, mit wohlgenährten Leibern und heiterem Sinn.

III

Ich denke an seine Männer mit breiten Augenbrauen, goldigen Bärten, milden Augen und ruhigem Sprechen, und an seine ruhigen Frauen, wie »Die Braut«, in deren Antlitz Rossetti geblickt, um einmal zum wenigsten den irdischen Überfluß zu malen, und nicht das halbverborgene Licht des Sternes, der ihn geleitet. Sie sind nicht verliebt um der Liebe selbst willen, mit einer Liebe, abseits von der Welt oder in Feindschaft zu ihr, so wie Swinburne sich die Maria Stuart gedacht, und wie jeder sich die Helena vorstellt. Sie suchen in der Liebe nicht jene Ekstase, mit der Shelleys Nachtigall den Tod besang, jenen höchsten Grad von Leben, darin dieses zu vergehen scheint, wie der Phönix in den Flammen seines eigenen Feuers, sondern vielmehr eine sanfte Übergabe des Selbst, die mehr als die Hälfte ihrer Süßigkeit verlieren würde, wenn sie die Aussicht auf kommende Tage einbüßte. Sie sind gute Hausfrauen, sie sitzen oft am Stickrahmen und haben Kenntnis von Vieh und Herde und sind vor allem fruchtbare Mütter. Zuzeiten scheint es, als wäre ihre Liebe weniger eine Leidenschaft für irgendeinen Mann, als vielmehr die Unterwerfung unter den Zufall des Geschickes, die Hoffnung auf Mutterschaft und das unschuldige Verlangen des Leibes. Wechselfälle und die glücklichen Umstände des Lebens nehmen sie so gerne hin, wie Frühling und Sommer, Herbst und Winter, und weil sie unter dem Schatten des grünen Baumes gesessen und von den Wassern des Überflusses aus ihren hohlen Händen getrunken, darum erscheinen ihnen die unfruchtbaren Blüten nicht als die schönsten. Wenn Habundia die Gestalt der Birdalone annimmt, kommt sie zuerst als ein junges nacktes Mädchen, das unter großen Bäumen steht, und dann als bejahrte Frau, Birdalone im würdigen Alter. Und wenn sie Birdalones nackten Leib preist und von der Begierde spricht, die er erwecken soll, dann sind das Lob und die Begierde unschuldig, weil sie die Bindeglieder nicht zerbrechen, die die Tage aneinanderketten. Die Begierde erscheint nicht anders, als die des Vogels nach dem Weibchen im Herzen des Waldes, und wir lauschen jenem freudvollen Lobgesang, als hätte ein Vogel, der sein Gefieder im ruhigen Gewässer betrachtet, in seinem Überschwang angefangen zu singen, oder als hörten wir den Falken hoch in der Luft den Falken preisen; und weil es das Lob ist von einem, der für alles edle Leben geschaffen und nicht bloß zum Genuß, so scheint es, wenngleich das Lob des Leibes, dennoch das edelste Lob zu sein. Birdalone hat ihr Antlitz nie anders gesehen, als in einer »blanken Schüssel«, und so muß ihr das Waldweib von ihrem Leib erzählen und ihn preisen. »So ist es mit dir: du stehst vor mir, eine hochgewachsene und schlanke Jungfrau, ein wenig schmal, wie es sich für deine siebzehn Sommer geziemt; wo dein Leib gewöhnlich unbekleidet ist, wie am Halse, den Armen oder den Beinen von der Mitte abwärts, ist er prächtig gebräunt, sonst aber von einem gerade so schönen Weiß, gesund und rein, als spielte das goldene Sonnenlicht darin, das die Verheißungen der Erde zur Erfüllung bringt ... Zart und rein geschnitten und süß ist der kleine Graben, der zu den Lippen hinabführt, und in ihm ist mehr Gewalt, wie in gesprochenen Worten. Deine Lippen sind von der feinsten Art, eher schmal als voll, und mancher würde sie sich lieber anders wünschen; ich aber will sie nicht anders haben, denn ich sehe in ihnen ein Zeichen deiner Tapferkeit und deiner Freundschaftlichkeit. Sicherlich hat, der dein Kinn geschnitzt, den Plan zu einem Meisterwerk vor Augen gehabt, und sicher ist er nicht hinter seinen Absichten zurückgeblieben. Groß war das Können Dessen, der dich erfunden, und er hat gewollt, daß alle, die dich gewahren, über deine Gedankentiefe, deine Sorgsamkeit und deine Güte erstaunen sollten. 0 Mädchen! Ist es wahr, daß deine Gedanken stets tief und feierlich sind? Dennoch weiß ich es von dir zum wenigsten, daß sie heil und wahr sind und süß. Meine Freundin! Wenn du in einen Spiegel blicken wirst, sollst du von alldem einiges sehen, und wenn du einen finden wirst, der dich liebt, dann wirst du etwas davon hören, aber nicht alles. Jetzt aber mag deine Freundin dir all das sagen, wenn sie Augen hat zu sehen wie ich, während kein Mensch so viel von dir reden könnte, ehe daß die bloße Liebe ihn überwältigt und seine Sprache in die Torheit der Liebe und die Tollheit der Begierde gewandelt hätte.«

Alle seine guten Frauen, sei es Danaë in ihrem Turm oder jenes Weib in der »Welt jenseits der Welt«, die die verwelkten Blüten in ihrem Gürtel durch die Berührung ihrer Hand wieder frisch machen kann, sind von der Sippe der Waldfrau. Auch seine bösen Weiber und die halbbösen sind von ihrer Art; das Böse, das ihre Bezauberungen schafft, besteht in einem unordentlichen Überfluß, gleich jenem auf Unkrautplätzen, und sie sind grausam, wie wilde Geschöpfe grausam sind, und haben ungezügelte Begierden.

Man findet diese Art des Bösen in seiner typischen Gestalt auf jener unter den Wunderinseln, wo die böse Hexe ihr Haus der Freude hat und ihr Gefängnis, und in jener »Insel der Alten und der Jungen«, wo, solange ihr Bann nicht gebrochen, eine zweite Kindheit die Kinder umfangen hält, die niemals älter werden und dem Dabeistehenden, der ihre Geschichte kennt, »wie Bildnisse« erscheinen oder »wie die Kaninchen auf der Wiese«. Es ist, als ob die Natur immerdar durch ihn redete, in der Laune, in der sie die Apfelblüten öffnet, die Äpfel rot färbt oder die Schatten der Zweige verdichtet, und es erweckt den Anschein, als wären in den Dichtungen von Morris Männer ebenso wie Frauen alle nur die Diener ihrer Laune.

IV

Als ich noch ein Kind war, hörte ich meine Eltern oft von einem alten Haus mit Türmen reden, wo ein alter Großonkel von mir lebte, und von den Gärten dort und dem langgestreckten Teich; auch eine Insel mit zahmen Adlern gab es da; und eines Tages las mir jemand einige Verse vor und sagte, sie gemahnten ihn an jenes alte Haus, wo er so glückliche Tage verlebt. Jahrelang gingen mir diese Verse im Kopf herum, sie erscheinen mir als die beste Beschreibung von Glück, die es auf der Welt gibt, und ich bin keineswegs sicher, ob ich jetzt eine bessere kenne. Es war jenes erste Dutzend Verse aus den »Goldenen Flügeln«:

»Mitt im ringsumwallten Garten
In dem frohen Pappelland
Einst ein Schloß aus Urzeit stand,
Drinn ein Ritter, sein zu warten.

Viele rote Ziegel waren
In den Mauern, grauer Stein,
Drauf der Äpfel roter Schein,
Stets zur Zeit in all den Jahren.

Auf den Ziegeln grünes Moos,
Gelbe Flechten auf dem Stein,
Drauf der Äpfel roter Schein,
Kampfes Mühn war hier nicht groß.«

Wenn William Morris ein Haus beschreibt, und zwar in dichterischer Absicht, scheint es mir immer ein Haus zu sein, darin er selbst gern gelebt hätte, und ich erinnere mich noch seiner Worte aus jener Zeit, da er das große Haus der Wölfinge beschrieb: »Ich baue moderne Häuser für die Leute; aber das Haus, das mir gefiele, wäre ein großer Raum, wo man in der einen Ecke mit seinen Freunden reden, in der andern essen, in dieser schlafen und in der andern arbeiten könnte.«

Tatsächlich erscheint mir alles, was er schreibt, wie etwas, was ein Kind sich einredet, das sich die Welt neu schafft, nicht immer auf die gleiche Weise, sondern stets nach dem Drange seines Herzens; und ganz im Gegensatz zu allen anderen modernen Schriftstellern bringt er seine Dichtungen so aus einer nimmer endenden Kette von Bildern jener Seligkeit hervor, die oft den Träumereien eines Kindes gleichen, einer Seligkeit, die Leib und Seele Frieden bringt. Einmal ist es das Bild eines großen Zimmers voll von Heiterkeit, dann wieder das einer Weinpresse, des güldenen Dreschbodens, oder das einer alten Mühle unter Apfelbäumen oder von kühlen Gewässern nach dem Sonnenbrand, dann von einem wohlgeborgenen, gutgepflügten Platz zwischen Wäldern oder Bergen, wo Männer und Frauen glücklich leben, von nichts wissend, was zu weit oder zu groß für ihre Wünsche. Es ist nur eine Geschichte, die er uns zu erzählen hat, wie irgendein Mann oder eine Frau das Glück verloren und wiedergefunden, das immer zur Hälfte dem Leibe zugehört, und wenn sie diesen verlassen, dann müssen Blätter über sie fallen, Blüten ihre Wohlgerüche über sie ausgießen, warme Winde sie fächeln und Vögel ihnen singen, denn da sie zur Sippe der Habundia gehören, dürfen sie den Schatten ihres grünen Baumes keinen einzigen Augenblick vergessen, und die Gewässer ihrer Quelle müssen »immerdar ihre Sandalen netzen. Diese Art der Dichtung ermüdet uns oft, wie das ungebrochene Grün des Juli uns ermüdet, denn es ist etwas in uns, vielleicht eine Bitterkeit vom Sündenfall her, was nach dem ersten Bissen etwas von der Süßigkeit von Evas Apfel von uns nimmt. Er aber, der alles mit Leichtigkeit und Heiterkeit vollbracht, der nie den Fluch der Arbeit gekannt, er hat ihn stets so süß gefunden, wie er in Evas Mund gewesen. Alle Arten von Gedankenverkettungen haben sich um die Freuden dieser Welt versammelt und für die größere Hälfte der Menschheit alle Lust von ihnen genommen, er aber erblickte sie, wie sie aus Gottes Hand gekommen. Oft sehe ich ihn vor meinem inneren Auge, wie ich ihn einst im Hammersmith gesehen, als er ein Glas Rotwein gegen das Licht hielt und dabei sagte: »Warum behaupten die Leute, es sei prosaisch, Inspiration aus dem Wein zu holen? Ist er nicht Sonnenlicht und Saft der Blätter? Sind denn die Weinbeeren nicht aus Sonnenschein und Saft gewoben?«

V

In einer seiner kleinen sozialistischen Schriften erzählt Morris, wie er unter einer Ulme gesessen und den Staren zugesehen, wie er an ein altes Pferd gedacht und an einen alten Arbeiter, die eben an ihm vorbeigezogen, an die Männer und Frauen, die er in den Städten gesehen; und daß er sich gewundert, wie es gekommen, daß sie alle geradeso geworden, wie sie waren. Er sah, daß die Stare schön waren und froh; wie die Menschen und das alte Pferd, das sie zu ihrem Dienst gezwungen, häßlich waren und elend; und dennoch, dachte er, sind die Stare von derselben Art, gleichviel ob dort oder in Südengland, und die häßlichen Männer und Frauen von demselben Geschlecht wie jene, deren edles Wesen und deren Schönheit die antiken Bildhauer so bewegt hatte, daß sie Götter und Heroen nach dem Bildnis des Menschen geschaffen. Dann berichtet er, wie er darüber zu grübeln begonnen, wie dieser große Gegensatz zum Verschwinden gebracht werden könnte und wie ein neues Leben, das den Menschen erlauben würde, den Staren gleich, eine gemeinsame Schönheit ihr eigen zu nennen, auf den Trümmern des alten Lebens errichtet werden könnte. Mit anderen Worten, sein Geist war innerlich erleuchtet und emporgeführt worden bis zur Prophetie im wahren Sinne des Wortes, und er sah die natürlichen Dinge, wie er allein sie zu sehen befähigt war, in ihrer vollendeten Gestalt; und weil er jenen Glauben hatte, der einzig wert ist, daß man ihn habe, da er jeden anderen enthält, ein in der Konstitution seines Geistes gegründetes sicheres Wissen, daß die vollkommenen Dinge die endgültigen sind, darum verkündete er, alles, was er gesehen, werde auch eintreffen. Ich glaube nicht, daß er sich Mühe gegeben hat, Bücher über Nationalökonomie zu verstehen, und ich glaube, es war Mackail, der gesagt hat, sie hätten ihn geärgert und gelangweilt.

Er fand, es genüge, wenn er das Leben, wie es heute ist, sozusagen neben seine Gesichte hinstellte, und wenn er zeigte, wie verblaßt seine Farben waren und wie saftlos es geworden. Und hätten wir genug künstlerisches Gefühl, genug Empfindung für das Vollkommene, das da ist, um die Autorität der Gesichte anzuerkennen, oder genug Glauben, zu begreifen, daß alles Unvollkommene vergeht, dann, meine ich, würde er nicht ernstlich mit uns argumentiert haben. Obwohl ich glaube, daß er niemals jene Art von Worten gebraucht hat, wie sie in meinen Schriften über ihn vorkommen, obwohl ich sogar meine, er hätte ein Wort wie »Glauben« mit seinen theologischen Ideenverbindungen abgelehnt, bin ich doch sicher, daß er mehr als alle Künstler vollkommen begriffen hat, wie die Dinge von Bedeutung, die Dinge, an die wir entweder glauben müssen oder zugrunde gehen, jenseits von aller Verstandesüberlegung liegen. Wir können über sie nicht mehr argumentieren, als die gerade aus dem Ei geschlüpfte Taube über den Falken, dessen Schatten sie zwingt, sich ins Gras niederzuducken. Seine Gesichte sind wahr, weil sie dichterisch sind, weil wir ein weniges glücklicher sind, wenn wir an ihnen teilnehmen; und gleich Shelley wußte er durch einen Akt des Glaubens, daß die Nationalökonomen ihre Weisungen nicht dem Leben entnehmen sollten, wie es ist, sondern den Gesichten von Männern wie er, den Visionen von jener Welt der Vollkommenheit, die in der Tiefe aller Geister vergraben ruht. Die ersten Christen waren der Wüste wesensgleich und dem dürren Baum, und sie sahen ein unirdisches Paradies: er aber war der Quelle verwandt und dem grünen Baum, und er sah ein irdisches Paradies. Er gehorchte einer Vision, als er zuerst versuchte, sein eigenes Haus zu bauen, denn auch in dieser Sache war er wie ein Kind, das mit der Welt spielt, und als er dann Wohnhäuser für andere Leute einrichtete, Stätten, wo man glücklich leben konnte; und er gehorchte seiner Vision, als er Essays über das Wesen der glücklichen Arbeit schrieb und als er an den Straßenecken über die kommenden Veränderungen sprach. Schließlich war er sich ganz klar darüber, was er tat, denn er lebte in einer Zeit, da Dichter und Künstler im Begriffe standen, wiederum die Lasten zu tragen, die Priester und Theologen einige Jahrhunderte vorher zornerfüllt von ihnen genommen hatten. Seine Kunst war im Wesen nicht mehr religiös als die des Rossetti, aber sie war verschieden von ihr, denn Rossetti, trunken von natürlicher Schönheit, sah in seiner Raserei die übernatürliche Schönheit, die unmögliche Schönheit, während er, der weniger intensiv und ruhiger war, uns eine Schönheit zeigt, die dahinwelken würde, wenn sie uns nicht mit den natürlichen Dingen aussöhnte und wenn wir nicht glaubten, sie habe immer ein weniges existiert und werde eines Tages in ihrer ganzen Fülle vorhanden sein. Wahrscheinlich, ja ganz sicher ist er nicht einer von den allergrößten Poeten gewesen, aber er hat zu den größten von jenen gehört, die die letzte Versöhnung heraufbringen helfen, da das Kreuz von Rosen erblühen wird.


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