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In den ersten Tagen des April 401 vor Christus setzten sich die Truppenmassen des Kyros in Bewegung. Das asiatische Heer zählte 100 000 Mann, das der hellenischen Söldner ungefähr 13 000. An Marschtagen legten sie gewöhnlich gegen vier Meilen zurück, doch von Zeit zu Zeit wurde Rast gehalten für einen, für wenige oder auch für eine größere Zahl von Tagen, je nachdem die Ermüdung der Truppen oder andere Umstände es nötig machten.
Das Barbarenheer, von Ariaeos, einem der angesehensten Perser, geführt, marschierte für sich und das Heer der Hellenen ebenfalls für sich. Unter den Barbaren war die Reiterei die beste Truppe; die Perser hatten vortreffliche Pferde und waren von jeher als tüchtige und gewandte Reiter berühmt; mit ihren starken Bogen schossen sie zu Pferde und in schnellem Ritt fast ebenso sicher als zu Fuß und im Ruhestand.
Die große Mehrzahl der Hellenen diente als Hopliten, als schweres Fußvolk, und bildete den Kern des Heeres. Der Hoplite war durch einen Brustharnisch, Helm und Beinschienen, alles von Erz, geschützt und trug einen ovalen Schild von Ochsenleder, mit einer Metallplatte überzogen, der seinen Mann vom Munde bis zu den Knöcheln deckte. Der Schild hatte auf der inneren Seite einen Griff, an welchem er gehalten wurde, und außerdem einen oben und unten befestigten Riemen, so weit, daß er wie ein Bandelier um den Rücken gelegt werden konnte. So trug man ihn auf dem Marsche, wenn man in der Nähe des Feindes, aber noch nicht im Kampfe war. Brustharnisch, Helm, Beinschienen und Schild waren die Schutzwaffen der Hopliten, die Trutzwaffen bestanden in einer sieben bis acht Fuß langen Lanze von starkem Holze mit derber, eiserner Spitze und einem kurzen Schwert oder krummen Säbel. Sie mußten stämmige Männer sein, denn ihre vollständige Rüstung hatte ein Gewicht von siebzig Pfund. Das leichte Fußvolk führte als Schutzwaffe nur einen zwei Fuß langen Schild und hatte an seinen Kleidern äußerst wenig zu tragen, denn sie mußten sehr beweglich sein, um schnell vorgehen und ebenso zurücklaufen zu können, sie waren so zu sagen eine Reiterei zu Fuß. Nach ihren Trutzwaffen sonderten sie sich in Speerschützen, Bogenschützen und Schleuderer. Die ersten führten mehrere leichte Wurfspieße, drei bis vier Fuß lang, die zweiten Bogen und Pfeile, die dritten Schleudern, mit welchen sie Steine oder Bleikugeln auf die Feinde warfen. Reiterei hatten die Hellenen so gut wie keine, im ganzen Heere waren nur vierzig Berittene, meistens Oberste und Hauptleute.
Die einzelnen Scharen der Hellenen waren verschieden groß, denn der eine Oberst hatte mehr, der andere weniger Söldner angeworben, die nun unter ihm dienten. Da über je hundert Mann immer ein Hauptmann gesetzt war, so war auch die Zahl der Hauptleute in einer Schar größer, in der anderen kleiner. Einen Feldherrn sämtlicher Hellenen gab es nicht; Kyros hatte ebenso über diese wie über seine Barbaren den Oberbefehl. Welche unermeßlichen Staubwolken müssen aufgestiegen sein, wenn das Heer auf dem Marsche war! Wären die Barbaren in Reihen von zehn Mann nebeneinander mit einem Abstande von einem Schritt zwischen den Reihen marschiert, so hätte ihr Zug eine ganze Meile eingenommen, der der Hellenen freilich nur etwas über eine neuntel Meile. Aber die Heere hatten ja noch einen gewaltigen Troß hinter sich, wozu außer dem mitgeführten Schlachtvieh und der großen Zahl von Zug- und Gepäcktieren alle Leute gehörten, welche nicht mit der Waffe dienten. Zunächst bloß von dem Troß der Hellenen zu reden, so waren da Sklaven, die die Gepäckwagen mit den Lederzelten für das Lager, mit dem Proviant und vielen anderen nötigen Dingen lenkten oder die beladenen Packtiere führten; die Offiziere und viele andere Hellenen hatten eigene Sklaven mitgebracht, welche sie bedienten, den Hopliten auf dem Marsche, wenn keine Gefahr vorlag, die schweren Schilde und Helme abnahmen und sie entweder trugen oder auf die Wagen luden. Ferner folgten dem Zuge viele Marketender und Kaufleute, welche allerlei Waren feil boten, aber auch den Soldaten die Beute, die sie machten, abzuhandeln bereit waren; endlich noch Trompeter, Herolde, Opferpriester, Wahrsager, Ärzte. Noch viel größer mußte natürlich der Troß der Barbaren sein, zumal da die üppigen persischen Großen außer vielen Sklaven, Köchen und Bäckern sehr umfangreiche Zelte und fast einen ganzen Haushalt auf der Kriegsreise mit sich führten. Man kann wohl annehmen, daß die Heere nebst dem Troß sich über nicht weniger als zwei Meilen erstreckten.
Diese Masse von Menschen, genug um eine ziemlich große Stadt auszufüllen, sollte nun durch Gegenden ziehen, welche zum Teil fruchtbar, zum Teil aber auch fast menschenlos und wüste waren, und sollte alltäglich gesättigt werden! Da hieß es Vorsorgen, daß entweder aus der Umgegend aufgekauft oder aus bereit gehaltenen Vorräten jedem gereicht werden konnte, was er zu seines Lebens Notdurft brauchte. Für die Barbaren ließ Kyros durch seine Offiziere sorgen, welche sie unmittelbar mit den nötigen Portionen von Brot und Fleisch und wohl auch Wein versahen. Die Hellenen erhielten Sold. Es klingt sehr kümmerlich, wenn man erfährt, daß der Monatssold eines hellenischen Soldaten, von dem er seine Kost bestreiten und die Waffen in gutem Stand erhalten sollte, in 15 Mark bestand, er also für den Tag nur 50 Pfennige zu verwenden hatte, doch 15 Mark waren damals ebensoviel als jetzt 45, denn das Gersten- und Weizenbrot kostete ihn, wenn er auch ein starker Esser war, täglich nur drei bis vier Pfennig, und das Fleisch und der Wein waren in demselben Verhältnis billiger als jetzt. Der Hauptmann erhielt das Doppelte, der Oberst das Vierfache von dem, was der Gemeine bekam. Übrigens konnten sowohl Gemeine wie Offiziere darauf rechnen, daß ihnen in Feindesland ein reichlicher Gewinn aus der Beute zufallen würde.
Als die Heere seit dem Aufbruch bald zwei Monate unterwegs waren, sah sich Kyros in einer ihm sehr peinlichen Verlegenheit. Er war gewohnt, seinen Leuten mehr zu geben, als wozu er verpflichtet war, und konnte jetzt den Hellenen nicht einmal geben, was ihnen gebührte. Sie hatten schon, bevor sie Sardes verließen, in seinem Solde gestanden und waren immer pünktlich von ihm bezahlt worden. Doch die sehr bedeutenden Ausgaben, welche die Vorbereitungen zu seinem Feldzuge erforderten, hatten seinen Schah für einige Zeit so sehr erschöpft, daß er ihnen nun schon den Sold für drei Monate schuldete. Sie hatten zwar so viel eigenes Geld mitgebracht, als für einige Monate nötig war, aber endlich gingen vielen von ihnen die Mittel aus und sie fingen an, ihn an seine Schuld zu mahnen, zuerst bescheiden, mit der Zeit immer dringender. Ganze Scharen umringten sein Zelt und riefen nach ihrem Sold. Da kam ihm Hilfe von einer Seite, von wo er sie wohl kaum erwartete. Die Fürstin Epyaxa von Kilikien, einer Provinz des Großkönigs, machte ihm einen Besuch, obwohl es einer weiten Reise dazu bedurfte; sie war ihm sehr zugetan. Und sie kam nicht mit leeren Händen, sie brachte ihm eine große Summe Geldes mit, von der er den Sold für vier Monate bezahlen konnte und sicher noch einen reichlichen Rest für die nächste Zeit übrig behielt.
Epyaxa begleitete ihn einige Tage auf seinem weiteren Marsch und sprach einmal den Wunsch aus, er möchte ihr doch sein ganzes Heer in voller Ordnung aufgestellt vorführen. Als sie nun an einen Lagerplatz kamen, wo sich eine weite Ebene ausdehnte, war er bereit, ihrem Wunsche zu willfahren. Die Fürstin saß in einem Frauenwagen mit Vorhängen, welche niederzulassen und aufzuziehen waren, Kyros in einem Männerwagen. Zuerst zogen in unabsehbarer Reihe die Reiter und Fußtruppen der Barbaren an ihnen vorüber. Ihren Reihen gegenüber marschierten dann die Hellenen auf, nach dem Befehl des Kyros in Schlachtordnung aufgestellt. An Zahl und Ausdehnung ihrer Glieder waren sie freilich mit dem Barbarenheer nicht zu vergleichen, aber welchen herrlichen Anblick gewährten sie! In ihnen lebte doch ein anderer Geist als in jenen. Frei und edel war ihre Haltung, kräftig und stolz ihr Schritt. Sie trugen purpurrote Röcke, eherne Helme und Beinschienen und ihre blankgeputzten Schilde funkelten im Sonnenschein. Als die Fürstin und Kyros langsam an ihnen vorüber gefahren, ließ er den Hopliten sagen, sie möchten nun einmal wie zum Kampfe vorrücken. Da ertönt das Zeichen mit der Trompete und sofort decken sie sich mit dem vorgehaltenen großen Schilde und fällen die langen kräftigen Lanzen, als ob sie den Feind vor sich hätten. Kriegsgeschrei erschallt, ihr Schritt wird immer schneller, sie eilen endlich im Sturmschritt vor. Die Barbaren zitterten vor Furcht, der Angriff möchte ernst gemeint sein, die Fürstin sprang aus dem Wagen und floh davon, die Marketender ließen ihre Waren im Stich, um sich vor den dräuenden Gesichtern zu retten, die Hellenen aber begaben sich lachend in ihre Zelte. Als die Fürstin von ihrem Schrecken zurückkam, konnte sie nicht genug die Haltung und den Glanz dieser von Kraft strotzenden Truppen rühmen, und dem Kyros schwoll das Herz vor Freude bei dem Gedanken, welchen Eindruck die hellenischen Männer auf die feindlichen Barbaren in der Schlacht machen würden.
Als die Heere die Landschaft Lykaonien erreichten, deren Bewohner wegen ihrer häufigen Raubzüge nach den benachbarten Landen nicht minder berüchtigt waren als die Pisidier, benutzte Kyros die Gelegenheit, sie zu züchtigen und zugleich seinen Hellenen zu Beute zu verhelfen, indem er sie das feindliche Land plündern ließ, was ihnen sehr willkommen war.
Bald darauf wurde die Fürstin von einer Schar Hellenen auf dem kürzesten Wege in ihre Heimat geleitet; Kyros' Heer marschierte längs dem Meeresufer gleichfalls gegen Kilikien hin. Er war darauf gefaßt, daß seine Begegnung mit dem Fürsten dieser Provinz, dem Untertan des Königs, in dessen Pflicht es lag, dem Empörer den Weg zu verlegen, keine so freundliche sein würde wie die mit seiner Gemahlin. In Kilikien war ein Paß zu durchschreiten, wo Meer und Gebirge sich vereinigten, dem Verteidiger seine Aufgabe sehr leicht und dem Angreifer ebenso schwer zu machen. Kyros hatte daher, noch in Sardes, eine Flotte ausrüsten lassen, die um Kleinasien herum ihm folgte, um in der Nähe dieses schwierigen Punktes Soldaten ans Land zu setzen, welche dem Feinde in den Rücken fallen konnten; die Flotte segelte bereits zur Unterstützung heran. Aber es fand sich, daß sie nicht gebraucht wurde. Zwar hatte der Fürst die zunächst gelegenen Berghöhen besetzt und Kyros bereitete sich ihn dort anzugreifen. Aber Tags darauf berichtete ein ausgesandter Kundschafter, die Truppen seien bereits zurückgezogen. Als nämlich der Fürst erfahren, daß das hellenische Geleite seiner Gemahlin in seinem Rücken und die Flotte in der Nähe sei, gab er jeden Versuch einer Verteidigung auf. Und so konnte Kyros seinen Weg durch den Paß nehmen und gelangte unbehindert in die Stadt Tarsos. Von hier aus ließ er den Fürsten einladen, ihn als Freund zu besuchen. Der Fürst antwortete: »Ich habe mich bisher niemals in die Gewalt eines anderen begeben, der mächtiger war als ich, und werde es auch jetzt nicht tun.« Aber die Fürstin redete ihm sein Mißtrauen aus, und er folgte der Einladung des Kyros, brachte sogar, wie früher seine Gemahlin, eine bedeutende klingende Unterstützung für den Empörer mit, wofür ihm Kyros die in Persien üblichen Geschenke verehrte, ein Roß mit vergoldetem Zügel, einen Ring, Armbänder, einen Säbel mit goldener Scheide und ein persisches Prachtgewand. So wenig konnte sich der Großkönig auf die ihm am nächsten stehenden Untertanen verlassen! Vermutlich glaubte der kilikische Fürst mit der Besetzung der ersten Berge während einiger Tage dem Gebieter seinen guten Willen bewiesen zu haben, und war in seinem eigenen Interesse darauf bedacht, für den Fall, daß Kyros siege, sich die Gunst des Siegers zu sichern.
In Tarsos verweilten die Heere 20 Tage. Während dieser Zeit ließ es sich danach an, daß der Feldzug schon hier sein Ende finden würde, denn die Hellenen, Kyros' beste Stütze, auf welcher seine Siegeshoffnung zumeist beruhte, wurden aufsässig. Sie waren an dem nächsten Wege nach Pisidien, dem vorgeblichen Ziele des Kyros, vorüber geführt, was sie mit Recht stutzig machte. Nun kam noch hinzu, daß der Fürst von Kilikien zwar nur einen schwachen Versuch gemacht hatte, den Durchgang durch seine Berge zu verteidigen, aber doch immerhin sich als Feind des Kyros erwiesen hatte. Welchen Grund konnte er zu dieser Feindschaft haben, wenn nicht den, daß er vom Großkönig den Befehl erhalten, auf jede Weise den weiteren Marsch seines Bruders zu verhindern, weil dieser als Empörer gegen ihn anrücke und ihn vom Throne stoßen wolle? Die Hellenen mußten also die Meinung fassen, sie seien bestimmt, noch Hunderte von Meilen zu wandern, um dann an ein so gefährliches Unternehmen, wie ein Aufstand gegen den mächtigen Großkönig war, Leib und Leben zu setzen, wovon sie schon manchmal hatten reden hören. Dazu aber, sagten sie, wären sie nicht gemietet, hätten sich auch nimmermehr darauf eingelassen, denn abgesehen von der unendlichen Länge des Weges nach Susa, wenn der kühne Plan fehlschlüge, wie sollten sie dann, sie eine Hand voll Krieger rings von zahllosen Feinden umgeben, sich durch diese durchschlagen und in ihre Heimat zurückkehren? Die hellenischen Söldner waren nicht armseliges, zusammengelaufenes Gesindel, sondern großenteils im Vaterland ansässige Bürger, die sich dem Kyros nur in der Erwartung verpflichtet hatten, nach nicht zu langer Zeit, mit Beute bereichert, zu ihren Familien heimzukehren. Ihr Murren wurde immer lauter und dreister, und als sie in Tarsos waren, erklärten sie ihren Führern rund heraus, sie seien betrogen und würden keinen Schritt weiter gehen. Kyros war von diesem Beschluß sehr betroffen, sein Glück und Unglück, das war ihm gewiß, hing an der Entscheidung dieser Tage.
Die anderen Obersten waren mit ihren Soldaten einverstanden, aber der Spartaner Klearchos nahm diese Gelegenheit wahr, dem Kyros, der sich vielfach um ihn verdient gemacht, seinen Dank dafür durch furchtloses und kluges Eingreifen abzustatten. Ihm schenkte Kyros unter allen Obersten das größte Vertrauen, daher war auch Klearchos der einzige, dem er schon früher das Geheimnis seines wahren Ziels entdeckt hatte.
Klearchos, damals fünfzig Jahre alt, war wie zum Kriege geboren. Er hätte in Hellas ein ruhiges und behagliches Leben führen können, doch dies hatte keinen Reiz für ihn, der Krieg mit seinen Gefahren und Strapazen war das Element, worin er sich –wie der Fisch im Wasser –am wohlsten fühlte. Er hatte fast alle Eigenschaften eines tüchtigen Heerführers, allein er wußte sich nur den Respekt der Soldaten, nicht ihre Liebe zu erwerben. Er legte aber auch keinen Wert auf ihre Liebe, ihm lag nur daran, daß sie pünktlichen Gehorsam leisteten und strenge Zucht hielten. Er pflegte zu sagen, ein zuchtloses Heer sei zu nichts nutze, und die Soldaten müßten ihren Führer mehr fürchten als die Feinde. Freundlich sahen sie ihn kaum je, sondern nur mit finsterem Gesicht, gerunzelter Stirn und rollenden Augen. Er strafte sie oft und hart, manchmal ließ er sich von seiner Leidenschaft sogar hinreißen, zu tun, was ihm nachher selbst leid war. Wenn daher keine dringende Gefahr vorlag, verließ ihn so mancher Soldat und stellte sich unter den Befehl eines milderen Führers. Galt es aber, aus einer verzweifelten Lage den Ausweg zu finden, so folgten sie keinem lieber als ihm und hofften alles von ihm. Denn nichts brachte ihn aus der Fassung; in der höchsten Gefahr war er stets kaltblütig, und so wurden die Soldaten durch seine Ruhe und Unerschrockenheit selbst ermutigt, und sein Antlitz erschien ihnen wie ein Trost und fast liebenswürdig. Dafür, daß seine Soldaten nicht hungern dürften, sorgte er mit Umsicht und großem Eifer. Er war ein rauher Kriegsmann, der es wie wenige verstand, sich den Gehorsam seiner Untergebenen zu sichern, doch mochte er selbst nicht anderen gehorchen.
Als nun die Hellenen nicht weiter marschieren wollten, baute Klearchos auf seine stets bewährte Gewalt über die Seinigen und meinte, sie zwingen zu können. Aber diesmal ging es ihm schlecht; als er barsch befahl, ihm ohne Widerrede und Murren zu folgen, warfen die Soldaten mit Steinen nach ihm, und hätte er sich nicht schnell zurückgezogen, sie hätten ihn zu Tode gesteinigt.
Er sah ein, daß er mit der gewohnten Strenge nichts ausrichten würde, doch er war nicht bloß ein tüchtiger Kriegsmann, sondern ebenso ein schlauer Mann, der, wenn es not tat, seinen Willen auch auf Umwegen durchzusetzen verstand. Als seine Soldaten etwas ruhiger geworden, ließ er sie zu einer Versammlung berufen. Sie sprachen unter sich: »Was er auch versuchen mag, wir bleiben fest. Wollen aber doch hören, wie er uns zu zwingen denkt.« So gingen sie zur Versammlung. Doch Klearchos war kaum wieder zu erkennen. Er, sonst stets der strenge Gebieter mit zornigem Antlitz und funkelnden Augen, stand jetzt lange schweigend vor ihnen und –wer hätte es ihm zugetraut? –vergoß sogar reichliche Thränen wie ein bekümmertes Weib. Wer hatte ihn je so bewegt gesehen? Endlich begann er mit weicher Stimme: »Kameraden, wundert euch nicht, daß ich über euren Entschluß traurig bin. Ich habe Kyros viel zu verdanken, er hat stets als Freund an mir gehandelt, drum war es mein inniger Wunsch, ihm das zu vergelten, indem ich ihm mit euch bei seinem jetzigen Unternehmen Hilfe leistete. Aber ihr wollt es nicht, und es soll niemand von mir sagen, daß ich wider den Willen meiner Landsleute die Partei eines Barbaren nahm. Ich erkläre daher, daß ich euch folgen werde, denn ihr seid mir Vaterland, Freunde, Kampfgenossen, ohne euch kann ich weder einem Freunde Gutes, noch einem Feinde Böses tun.« Sofort waren nicht nur seine Soldaten mit ihm ausgesöhnt, sondern 2000, die unter anderen Führern dienten, sagten sich von diesen los und beschlossen mit Klearchos zu gehen. Denn ihm trauten sie am meisten zu, daß er seinem einmal gefaßten Beschluß unter allen Umständen getreu bleiben würde, während die anderen Obersten sich vielleicht von Kyros würden beschwatzen lassen. Auf die Kunde von diesem Verlauf der Versammlung schickte Kyros einen Boten an Klearchos und ließ ihn zu sich entbieten. Vor den Ohren der Soldaten erteilte er die Antwort, er werde nicht kommen, doch heimlich entsandte er einen Vertrauten, welcher Kyros meldete, er hoffe, daß alles gut gehn werde.
Klearchos ließ nun einige Tage vergehen, ehe er eine zweite Versammlung berief, zu welcher kommen sollte, wer da wollte, ob er zur Schar des Klearchos oder eines anderen Obersten gehörte. Die Versammlung war daher sehr zahlreich besucht. Er sprach zuerst. »Kameraden,« sagte er, »wir haben jetzt mit Kyros gebrochen, wir sind nicht mehr seine Söldner und er nicht mehr unser Zahlmeister. Auch zürnt er uns natürlich, weil er sich von uns verlassen sieht, und ich darf nicht wagen, ihm unter die Augen zu treten, denn er ist ein vortrefflicher Freund, aber auch ein furchtbarer Feind und besitzt große Macht. Wir dürfen also nicht zögern, uns zu entscheiden, ob wir umkehren, oder ihm folgen wollen, und müssen bedenken, wenn wir uns zum Rückmarsch entschließen, wie wir dies mit Sicherheit tun und vor allem, wie wir uns ohne Kyros Lebensmittel für die Reise verschaffen können. Wer von euch will, sage nun seine Meinung.«
Da traten denn mehrere auf und sprachen, wie es ihnen ums Herz war. Aber Klearchos hatte einigen seiner Soldaten, die ihm näher standen, eingeblasen, wie sie reden sollten, und hatte ihnen, wie zu einer Komödie, verschiedene Rollen zugeteilt, der eine sollte nach seiner Anweisung für den Rückmarsch, der andere dagegen sprechen. Also nahm jetzt einer das Wort und tat, als ob er den größten Eifer hätte, sofort den Rückweg anzutreten. Er sagte: »Wir müssen zuerst Lebensmittel kaufen und dann Kyros bitten, daß er uns Schiffe zur Heimkehr übers Meer gebe« (Tarsos lag dicht am Meer); »will er das nicht, so bitten wir ihn um einen kundigen Wegweiser, der uns auf dem Landwege zurück führt und dafür sorgt, daß uns die Einwohner nicht als Feinde behandeln.«
Damit war der größte Teil der Versammlung durchaus einverstanden. Aber nun trat ein anderer Vertrauter auf und sprach: »Was ihr gehört, ist einfältiges Geschwätz. Wie sollen wir zu Lebensmitteln kommen, da der einzige Markt im Barbarenlager ist? Glaubt ihr, daß Kyros, nachdem wir ihn so gekränkt haben, uns gefällig sein und freundlich erlauben wird, aus seinem Lager Reisekost zu kaufen? Und die Schiffe, die er zu seinem Gebrauch hat herkommen lassen, die sollte er hergeben, um uns bequem in die Heimat zu schaffen? Oder uns einen Wegweiser gewähren, uns, die wir ihm durch unseren Abzug das größte Leid antun, ihm seinen ganzen Plan durchkreuzen? Und gäbe er uns Schiffe oder einen Wegweiser, ich würde immer fürchten, daß die Schiffe unterwegs angebohrt würden, um uns zu ertränken, und der Wegweiser uns in Gegenden führte, wo wir unrettbar verloren wären. Nein, dieser Rat erscheint mir ganz töricht. Ich schlage vor, wir senden einige von uns, unter denen auch Klearchos sein muß, an Kyros und lassen ihn fragen, wozu er uns eigentlich brauchen will. Wenn es etwas ist, worauf wir eingehen können, so wollen wir ihm folgen; wenn wir aber große Gefahr und Mühe davon zu fürchten haben, so soll er uns beweisen, daß es nicht gar zu schlimm ist, oder wir beweisen ihm das Gegenteil, und er entläßt uns dann freundlich in unsere Heimat.« Diese Rede machte den gewünschten Eindruck, denn die Hellenen mußten einsehen, daß die Befürchtungen des letzten Redners viel mehr Grund hatten als die Hoffnungen seines Gegenparts. Als über den Vorschlag abgestimmt wurde, erhob eine große Mehrzahl die Hände. Die erwählten Boten begaben sich zu Kyros. Dieser sprach nun nicht mehr von einem Zuge gegen die Pisidier, aber ebenso wenig von einem gegen den Großkönig. Er sagte, zwölf Tagereisen hinter Tarsos, unweit des Euphrat, stehe ein mächtiger Feind von ihm, Abrokomas, mit einem zahlreichen Heere. Gegen den wolle er sie führen, und wenn er Stand hielte, sollte er gestraft werden; ergreife er aber die Flucht, so –könne man ja erwägen, was weiter zu tun ist. Mit diesem Bescheid kehrten die Boten zu den Ihrigen zurück und die Hellenen erklärten sich bereit, bei Kyros zu bleiben, verlangten aber eine Erhöhung ihres Solds, welche er mit Freuden bewilligte; statt eines Dareikos monatlich sollten die Gemeinen anderthalb erhalten, die Hauptleute statt zwei drei, die Obersten statt vier sechs. Auf diese Bedingungen war der Friede hergestellt, und man brach von Tarsos auf.
Die Hellenen waren eben in der Lage eines Mannes, der auf seinem Wege in einen Sumpf geraten ist und nach einiger Zeit fast ebenso weit zurück als vorwärts zu gehen hat, um wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Er wird meistens den zurückgelegten Weg nicht wollen umsonst gemacht haben und vorwärts gehen. Auch die Hellenen sagten sich, der Rückweg biete wohl nicht geringere Gefahr als der weitere Marsch. Übrigens waren die Einsichtigeren sich bereits klar, ob Kyros seine Absicht kund gebe oder verschweige, es sei doch auf einen Krieg gegen den König abgesehen; die große Menge indessen wollte es sich nicht eingestehen und gab sich noch immer der Hoffnung hin, es sei doch vielleicht anders als sie –im Grunde überzeugt waren.