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Die feindlichen Brüder

In Persien herrschte seit dem Jahr 423 vor Christus der Großkönig Dareios II. Von seiner echten Frau, der Königin Parysatis, wurden ihm 13 Kinder geboren, aber die meisten starben bald, nur zwei Söhne blieben am Leben. Der ältere hieß Artaxerxes, der fast dreißig Jahre jüngere ebenso, wie der berühmte Stifter des Perserreiches, Kyros. Ihre Mutter hatte den jüngeren viel lieber als den älteren und wünschte, daß nach dem Tode des Königs nicht Artaxerxes, sondern Kyros sein Nachfolger im Regiment würde. Parysatis war schön und hochbegabt, klug und gewandt, sie hatte daher großen Einfluß auf den König, und wenn sie bei ihm etwas durchsetzen wollte, pflegte es ihr zu gelingen. Sie hoffte auch in diesem Fall guten Erfolg zu haben, da mancher wichtige Umstand ihren Lieblingswunsch unterstützte. Zwar pflegte bei der Thronfolge das Recht der Erstgeburt zu gelten, doch war es auch nicht ohne Beispiel, daß der jüngere Sohn dem älteren vorgezogen wurde, und es erschien diesmal um so mehr gerechtfertigt, da Artaxerxes geboren war, bevor sein Vater den Thron bestiegen, wogegen Kyros »im Purpur geboren« war. Auch zeigte sich der ältere Sohn schlaff, saumselig und unkriegerisch, während der jüngere feurig und voll Kriegsmut war, wozu noch kam, daß er den allgemein verehrten Namen des größten persischen Herrschers trug.

Artaxerxes blieb am Königshof in Susa, Kyros aber wurde, als er 18 Jahre alt war, zum Satrapen der Provinzen Lydien, Groß-Phrygien und Kappadokien ernannt und erwarb sich als solcher durch seinen Charakter und seine vortreffliche Verwaltung alsbald die Anhänglichkeit und Liebe seiner Untertanen. Er war ein Mann ganz nach dem Herzen der Perser, ein kühner Reiter, im Bogenschießen und Speerwerfen unübertrefflich, leidenschaftlicher Liebhaber der Jagd, besonders wenn sie gefährlich war. Einmal wurde er von einem wütenden Bären, dem er nicht weichen wollte, vom Pferde gerissen und wäre, schon aus mehreren Wunden blutend, umgekommen ohne die Hilfe eines Genossen, dem er sich dafür Zeit seines Lebens dankbar erwies. Daß er sehr viel Wein trinken konnte, ohne berauscht zu werden, war in den Augen der Perser ein Zeichen der Mannhaftigkeit und daher gleichfalls ein Vorzug. Andererseits beschäftigte er sich gern mit der friedlichsten und lieblichsten Arbeit, dem Gartenbau. Der Stifter der persischen Religion, Zoroaster, hatte es für ein gottgefälliges Werk erklärt, wenn seine Gläubigen fleißig nützliche Bäume pflanzten und pflegten. Daher fand man fast überall, wo ein Palast stand, ein großes ringsumher eingehegtes Stück Land mit alten schönen Bäumen bedeckt. Die Perser nannten einen solchen Park ein Paradies; es war zugleich ein Jagdgrund der Besitzer, denn jagdbare Tiere belebten hier den Wald und fanden auf dem weit ausgedehnten Boden reichliche Weide. Ein solches Paradies war auch in der Nähe von Sardes, der Residenz des Kyros, und man konnte ihn da oft sehen, wie er Bäume pflanzte und mit den Gärtnern um die Wette arbeitete.

Als Satrap wie als Mensch hatte Kyros viele treffliche Eigenschaften, wenn auch einzelne, wenige Züge von Barbarei mitunterliefen. Hatte er einen Vertrag geschlossen oder ein Versprechen gegeben, so konnte man gewiß sein, daß er sein Wort halten würde. Eine einmal geknüpfte Freundschaft war ihm für immer heilig. Wer ihm eine Wohltat erwiesen, wurde zehnfach dafür belohnt; freilich mußte auch, wer ihn beleidigt oder geschädigt hatte, der empfindlichsten Vergeltung gewärtig sein. Er soll einmal die Götter gebeten haben, sie möchten ihn so lange leben lassen, bis er allen Freunden und allen Feinden reichlich vergolten hätte. In seinen Provinzen übte er strenge Gerechtigkeit; um das Volk zu warnen, ließ er an vielbesuchten Straßen Verbrecher ausstellen, welchen Hände oder Beine abgeschnitten oder die Augen geblendet waren, und erreichte dadurch, daß Einheimische und Fremde in seinem Gebiete vor Raub und Mord sicherer waren als anderswo im Reich. Jedes Verdienst dagegen, sei es im Kriege oder Frieden, belohnte er und wußte die an sich zu fesseln, die es sich erworben hatten. Wer durch fleißige und redliche Arbeit Reichtum gewonnen und davon kein Hehl machte, dem gab er noch von dem seinigen dazu, denn er war frei von Neid und Mißgunst, aber solchen, die ihre Schätze geheim hielten, mochte er gern Schaden zufügen. Gegen seine Freunde war er überaus freigebig, sowohl in großen als kleinen Dingen. Wenn Untertanen mit einem Anliegen an seinen Hof kamen, so war es alter Brauch, daß sie wertvolle Geschenke mitbrachten; er nahm sie aber meistens nicht für sich, sondern verteilte sie unter die Freunde. Wenn ihm der Wein, den er trank, besonders mundete, sandte er einen Teil davon an einen Freund und ließ ihm sagen: »Diesen herrlichen Wein sollst du heute mit denen, die du am liebsten hast, trinken.« Ja halbverzehrte Gänse und Brote erhielten die Freunde mit dem Gruß: »Hieran erfreute sich Kyros, er wünscht, daß du es auch kostest.«

Als der Großkönig Dareios II. seinen Tod nahen fühlte, wollte er beide Söhne an seinem Krankenlager sehen und beschied Kyros nach Susa. Dieser machte sich sofort mit einem Geleite von 300 Hellenen, die in seinem Dienste standen, dahin auf; der benachbarte Satrap Tissaphernes, den er für einen Freund hielt, war auch mit ihm. Kyros hegte die Hoffnung, das Ansehen, das er bei den Persern genoß, und die Bemühungen seiner Mutter würden den Vater bestimmen, nicht Artaxerxes, sondern ihn zu seinem Nachfolger zu erklären; doch seine Erwartung wurde getäuscht, die Tiara mit der goldenen Krone ging auf den älteren Bruder über. Hätten die Völker den König zu wählen gehabt, ihre Wahl wäre wahrscheinlich auf Kyros gefallen. Nun mochte er seinen Ingrimm über den Mißerfolg nicht genug verborgen haben, denn er war von sehr leidenschaftlicher Natur, jedenfalls aber trat Tissaphernes, dessen Freundschaft nur eine erheuchelte gewesen, mit der Anklage vor den neuen König, sein Bruder wolle ihn durch Mord aus dem Wege räumen. Im persischen Reiche waren beim Thronwechsel schon mehrmals blutige Taten innerhalb der königlichen Familie, auch Brudermord vorgekommen; so erschien denn die Anklage nicht eben unglaublich, und Artaxerxes beschloß das sicherste Mittel zu ergreifen, um den ehrgeizigen Plänen des Bruders ein Ende zu machen, nämlich ihn hinrichten zu lassen. Trotz der großen Zahl seiner Freunde am Hofe hätte wohl keiner von ihnen ein gutes Wort für Kyros eingelegt, aber die Mutter setzte alles daran, ihrem Lieblingssohn das Leben zu retten, und da sie auf die Verehrung und Liebe des Großkönigs einen heiligen Anspruch hatte, so erreichte sie durch ihre unermüdlichen Bitten, daß er den gefaßten Beschluß zurücknahm. Artaxerxes war ein wenig achtbarer Mann, aber nicht ohne eine gewisse Gutmütigkeit. Er schenkte dem Bruder nicht nur das Leben, sondern setzte ihn auch wieder in alle Macht und Würden ein, die er bis dahin gehabt.

Bild: Max Slevogt

Kyros kehrte also in seine Residenz Sardes zurück. Ob er wirklich daran gedacht, den König umzubringen, ob nicht vielleicht Tissaphernes die Anklage nur aus Neid gegen den hervorragenden Mann erhoben und mit der Hoffnung, von dem dankbaren Herrscher nach Kyros' Hinrichtung mit den Ämtern desselben belohnt zu werden, ist zweifelhaft. So viel aber ist gewiß, daß Kyros, nachdem er als Hochverräter behandelt und verurteilt war, all sein Sinnen darauf richtete, das, was man ihm zutraute, wirklich ins Werk zu setzen und den persischen Thron für sich zu erobern.

Das Unternehmen des Kyros erscheint auf den ersten Blick höchst verwogen, ja hoffnungslos. Wieviel größer waren die Hilfsquellen des Großkönigs als die seines Satrapen! Jener konnte weit über eine Million Krieger versammeln, dieser verfügte nur über die Mannschaft weniger Provinzen, etwa 100 000 Mann. Allein auf der einen Seite hatten der gewaltige Umfang des Reiches und die weiten Wege innerhalb desselben zur Folge, daß es sehr lange dauerte, ehe der König ein bedeutendes Heer zusammenbringen konnte. Ein volles Jahr wurde gebraucht, wenn die ganze Macht des Reiches aufgeboten werden sollte. Andererseits konnte das Mißverhältnis zwischen den beiderseitigen Streitkräften ausgeglichen werden, wenn Kyros ein zwar viel kleineres, aber ebensoviel tüchtigeres Heer in den Krieg führte, und dazu gab ihm die Lage seiner Provinzen gute Gelegenheit. Im Auftrage seines Vaters hatte er in der letzten Zeit des Peloponnesischen Krieges an demselben teilgenommen und dabei nicht nur die bedeutenden kriegerischen Vorzüge der Hellenen kennen gelernt, sondern auch mit manchem von ihnen Freundschaft geschlossen. Aus diesem tapferen Volke wollte er nun Söldner für sich anwerben lassen. Die Hellenen waren immer wanderlustig gewesen und viele von ihnen gerade jetzt sehr geneigt, in fremde Dienste zu treten, wenn sie auf guten Lohn hoffen konnten. Denn durch den letzten heimischen Krieg waren sie an ein unstetes, abenteuerndes Feldzugleben gewöhnt und wünschten es auch nach Abschluß des Friedens fortzusetzen, zumal im Dienste eines Fürsten, dessen Großmut und Freigebigkeit, dessen Vorliebe für die Hellenen allgemein bekannt waren. Aus diesen also beschloß Kyros den eigentlichen Kern und die Kraft seines Heeres zu bilden. Natürlich war die größte Geheimhaltung seines Plans ein unbedingtes Erfordernis für den Erfolg desselben, und nun bot sich ihm gerade in dieser Zeit ein trefflicher Vorwand für seine Werbungen. An der Westküste Kleinasiens waren von den jonischen Hellenen schon vor mehreren Jahrhunderten zahlreiche und blühende Kolonien gegründet; sie hatten lange in Freiheit gelebt, waren aber dann von den Persern unterworfen und ihrem Reiche einverleibt worden. Nun fügte es sich zu Kyros' Gunsten, daß diese Städte, welche bis dahin unter dem Befehl des Tissaphernes gestanden, sich empörten, nicht gegen den Großkönig, sondern gegen Tissaphernes, und Kyros baten, sie unter seinen Schutz und seine Verwaltung zu nehmen, worauf er gern einging. So bemühte sich denn Tissaphernes, sie wieder zu erobern, und Kyros, sie gegen ihn zu schützen. Es muß sonderbar vorkommen, wie ein Satrap gegen den anderen Krieg führen konnte, während doch beide die Untertanen desselben Königs waren. Aber die Großkönige sahen solche Feindseligkeiten zwischen den Statthaltern nicht ungern. Da sie immer fürchteten, daß einer oder der andere durch seine große Macht verführt werden möchte, sich vom Reiche loszureißen, so fühlten sie sich sicherer, wenn die Satrapen untereinander Händel hatten und, dadurch beschäftigt, von Schlimmerem abgehalten wurden. Auch erlitt der Schatz des Großkönigs durch den Abfall der jonischen Städte keine Einbuße, denn den Tribut, zu welchem sie verpflichtet waren, sandte Kyros ebenso pünktlich nach Susa ab, wie vorher Tissaphernes.

Dieser kleine Krieg war ein guter Deckmantel für Kyros' Vorbereitungen zu seinem großen Unternehmen. Er ließ den Befehlshabern der jonischen Städte sagen, sie sollten um der größeren Sicherheit willen die Besatzungen durch hellenische Söldner verstärken. Eine der größten Städte, Miletos, war allein noch in der Gewalt des Tissaphernes, er war ihrem Abfall zuvorgekommen, indem er noch bei Zeiten Truppen hinschickte, die Führer seiner Gegner töten ließ und alle Verdächtigen aus der Stadt verbannte. Diese Verbannten wandten sich nun an Kyros um Hilfe, der sofort Hellenen anwerben und die Stadt zu Wasser und zu Lande belagern ließ. Auch noch andere Gelegenheiten außer dem Satrapenkrieg boten Vorwände für die allmähliche Vergrößerung der Söldnerzahl. Um diese Zeit kam der Spartaner Klearchos mit einem Anliegen zu ihm. Kyros war bei Gelegenheit des Peloponnesischen Krieges mit ihm bekannt geworden und schätzte ihn als einen Kriegsmann von besonderer Tüchtigkeit sehr hoch. Sein Anliegen war dieses. Die hellenischen Städte am Hellespont hatten an den barbarischen Thrakern böse Nachbaren, welche sie aus eigenen Kräften nicht abzuwehren vermochten. Klearchos wollte nun seinen Landsleuten helfen und erbat von Kyros 10 000 Dareiken (120 000 Mark), um zu ihrem Schutz ein ausreichendes Heer zu sammeln. Diese Summe, so groß sie war, wurde ihm sofort gegeben. Der Thessalier Aristippos kam mit einer ähnlichen Bitte. In seiner Vaterstadt wurde die Partei, an deren Spitze er stand, von den Gegnern hart bedrängt, und er wollte ihr durch ein Heer zu ihrem früheren Ansehen verhelfen. Er bat also Kyros um Geld zur Anwerbuug von 2000 Soldaten auf drei Monate. Kyros antwortete: »Ich will dir Geld für 4000 Söldner und sechs Monate Löhnung geben, unter der Bedingung, daß du mit deinen Gegnern nicht Frieden machst, bevor ich dich dazu auffordere.« Ähnlicher Gesuche bewilligte er noch mehrere, immer mit der Andeutung, daß er später vielleicht die Söldner in seinen eigenen Dienst berufen werde. Während er so sein künftiges Hellenenheer gewissermaßen in mehr oder weniger entlegenen Winkeln versteckt hielt, ließ er vor aller Augen die Barbaren, welche das Kriegsvolk seiner Satrapie bildeten, durch fleißige Übungen zum Kampfe geschickter machen, wie es im Grunde die Pflicht jedes Statthalters war. Der Großkönig schickte von Zeit zu Zeit Späher in die Satrapie seines Bruders, um von dessen Tun und Lassen zuverlässige Kundschaft zu erhalten, doch alle berichteten nach ihrer Heimkehr, sie hätten nichts Verdächtiges gesehen. Kyros wußte sie nämlich durch seine Liebenswürdigkeit so für sich einzunehmen, daß sie als Freunde des Königs nach Sardes kamen, aber als seine Freunde die Stadt verließen.

Kyros beobachtete bei jedem Schritt, den er tat, die größte Vorsicht; er war nicht ungeduldig, nicht vorschnell, sondern erwog lange und sorgsam alle Schwierigkeiten, die sich auf dem Zuge gegen Susa darbieten würden, und die Mittel, sie zu überwinden. Endlich –drei Jahre nach seiner Rückkehr vom Hofe –hielt er sein Unternehmen für hinlänglich vorbereitet, und es schien ihm an der Zeit, die Söldnerscharen von ihren verschiedenen Standorten zu sich zu berufen und das Barbarenheer seiner Provinzen zusammenzuziehen. Doch hütete er sich wohl, das wirkliche Ziel seines Feldzugs zu offenbaren. Damit wäre nicht nur seine Empörung dem Großkönig kund geworden, er hatte auch allen Grund zu fürchten, daß die Hellenen ihre Dienste versagen würden, wenn sie erführen, auf welches höchst bedenkliche Wagestück sie sich einlassen und in welche Entfernung von ihrer Heimat sie ziehen sollten; hatten sie doch gehört, daß ein Heer den Weg von Sardes nach Susa in nicht weniger als einem halben Jahre zurücklegen könne. Aus diesen Gründen erklärte Kyros, der Feldzug gehe gegen das räuberische Volk der Pisidier welche oft in die benachbarten Provinzen eingefallen waren und sie mit Feuer und Schwert verheert hatten; diese wolle er zur Sicherung des Reiches ausrotten.

Einer aber hatte mit den scharfen Augen des Hasses alles verfolgt, was Kyros tat, und sah klar durch den Schleier, welchen dieser um sein Vorhaben zu legen bemüht war. Es war sein Nachbar Tissaphernes. Als er erfuhr, welche große Heeresmassen zu diesem Zuge aufgeboten wurden, war er gewiß, daß Kyros um den Besitz der persischen Krone kämpfen wolle, und machte sich im Geleite von 500 Reitern nach Susa auf, um der erste zu sein, der dem König von der nahenden Gefahr Nachricht brächte.

Bild: Max Slevogt


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