Ernst von Wolzogen
Das dritte Geschlecht
Ernst von Wolzogen

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Die Rolljalousien waren herabgelassen, der »junge Mann« hatte sich empfohlen und Fräulein Hildegard Haider, in Firma Moritz Haiders Töchter, stand in ihrem Laden und hielt noch einmal Umschau, ob alle Gegenstände an ihrem Platz und alle Schlüssel abgezogen seien, bevor sie hinausging und die Hinterthür verriegelte und verschloss. Ihr gelber Hühnerhund sprang aufgeregt bellend um sie herum, froh, dass die tägliche Geduldsprobe wieder einmal überstanden war. Er musste während der Geschäftsstunden muckmäuschenstill zu ihren Füssen unter dem Schreibbureau liegen, aber jetzt gab's als Belohnung für sein Wohlverhalten noch ein gesundes Rennen neben dem Rade. Fräulein Haider war auch vergnügt. Sie pfiff das »Mädchen ohne Gleichen« vor sich hin und streichelte den Hund über den dicken Kopf. Sie hatte heute ein unerwartet gutes Geschäft gemacht und ausserdem freute sie sich auf den Abend, für den sie einige Freundinnen zu sich gebeten hatte. Ihre Schwester Martha hatte sie heute schon eine Stunde vor Geschäftschluss heimgeschickt, um sich mit den Vorbereitungen zu befassen. Sie schwang sich auf ihr Rad – diesmal freilich nicht in Pumphosen, denn im Geschäfte hielt sie auf Würde und trug stets weite, lange Röcke, meist von Sammet oder gar Manchester – und fuhr durch die Ludwigsstrasse zum Siegesthor hinaus. Sie hatte eigentlich Lust, direkt heim zu fahren nach der Giselastrasse, wo ihre Wohnung lag, aber Schampus, so hiess der Hühnerhund, musste seine Bewegung haben und so strampelte sie denn die übliche Pflichtstrecke bis zum fünften Kilometerstein der Schwabinger-Landstrasse ab und eilte alsdann erst heimwärts. Im raschesten Tempo, oft zwei Stufen auf einmal nehmend, erklomm sie die vier Stiegen zu ihrer bescheidenen Mansardenwohnung. Sie fand den Tisch bereits gedeckt für acht Personen. Martha hatte ihre Sache gut gemacht, das Arrangement nahm sich sehr hübsch aus, aber Fräulein Hildegard war noch nicht ganz zufrieden. So erfolgreich sie im allgemeinen in ihrem Bestreben sich zu vermännlichen gewesen war, that sie sich doch auf allerhand kleine weibliche Geschicklichkeiten viel zugute, wie z. B. auch auf ihren Reinlichkeits- und Ordnungssinn und besonders auf ihren artigen Geschmack für gefällige Ausschmückung und behagliche Einrichtung von Wohnräumen. Sie war stolz auf ihr Porzellan, das sie nicht dutzendweise im Laden, sondern stückweise auf Auktionen gekauft hatte, so dass jede Tasse, fast sogar jeder einzelne Teller und jede Schüssel einen besonderen Kunst- oder Kuriositätswert besass. Das schöne gediegene Silberzeug hatte sie vom Vater ererbt.

Dieser Vater, Moritz Haider, war ein merkwürdiger Mann gewesen. Von Haus aus ein Jude, hatte er sich seiner streng protestantischen Frau zu Liebe taufen lassen und dabei sogar seinen Namen – Cohn nannte ihn die Sage – aufgegeben. Er war ein guter Geschäftsmann, aber ein wenig Schwärmer gewesen, hatte viel über philosophische Probleme spintisiert und periodische Anfälle einer zuweilen ganz närrischen Sammelwut gehabt. Er hatte mit dieser Leidenschaft viel Geld verpulvert und gewöhnlich die vorherige Sammlung um ein Butterbrot verkauft, so oft neue Objekte ihn reizten. Seine letzte Passion waren die Pfeifenstopfer in Form von Beinchen aus Porzellan oder Edelmetall gewesen und die Töchter bewahrten die Sammetkassette mit den 75 schlanken und feisten, langen und kurzen, nackten und bestrumpften und beschuhten Frauenbeinchen als Erinnerung an die harmlose Narrheit des Vaters pietätvoll auf. Der alte Herr hatte auf seinem Sterbebett seiner Hildegard die 75 Beinchen fast mit ängstlicherer Sorge ans Herz gelegt als das Geschäft, welches in seinen letzten Lebensjahren gar sehr herunter gekommen war, und zwar Dank den Bemühungen seines einzigen, übelgeratenen Sohnes, den er endlich mit einer Abfindungssumme nach der neuen Welt hatte spedieren müssen, wo der junge Mann bald genug verdorben und gestorben war. Aber mit voller Seelenruhe hatte der alte Herr darein gewilligt, dass die Firma nach seinem Tode Moritz Haiders Töchter heissen sollte, so seltsam das auch klang. Er wusste, was seine Hildegard für ein tüchtiger Kerl war und wie gut sie die Sache verstand. Ausserdem hatte er Hildegards feierliche Erklärung, niemals heiraten zu wollen, stets ernst genommen. Er war ebenso wenig wie irgend jemand aus der Freundschaft oder Verwandtschaft imstande gewesen, sich Hildegard als Ehefrau zu denken. Es lag also seiner Ansicht nach nicht die mindeste Gefahr vor, dass sie einmal in verliebter Laune das Geschäft irgend einem Leichtfuss zur Beute ausliefern würde. Martha dagegen, »die süsse Pflanz«, wie sie zu Hause hiess, die hübsche, zärtliche und kokette Martha würde ja sicherlich bald mit Heirat abgehen und dann sollte dadurch für sie gesorgt sein, dass sie Teilhaberin des Geschäftes blieb. Hildegard hatte das Vertrauen ihres Vaters vollständig gerechtfertigt, und die schon arg gefährdete Firma wieder zu gutem Ansehen gebracht, wogegen die »süsse Pflanz« nun schon 24 Jahre alt geworden war, ohne noch ihre Bestimmung erfüllt zu haben. Sie war immer hübscher geworden und mit zweiundzwanzig war sie sogar zu einer Schönheit herangereift, die in der ganzen Stadt bekannt war und der alle Künstler huldigten. Die Männer, die als in sie verliebt gelten konnten, vermochte Martha Haider nach Dutzenden zu zählen, und fünf Jahre ihres Lebens hatte sie nun schon in steter gespannter Erwartung eines Heiratsantrages verbracht; aber niemals war es dazu gekommen. Schmeicheleien, heisse Worte, Blumen und Gedichte – ein anderes Erträgnis hatte ihre Schönheit bisher nicht abgeworfen. Die kecken Männer, die bei ihr auf leichten Sieg hofften, liess sie übel abblitzen und die Schüchternen, die sie zu ermuntern sich herabliess, wagten doch nicht mit ernsthaften Anträgen herauszurücken, weil sie sich fürchteten, dass die »Bankieuse« alsdann vielleicht allzu geschäftlich mit ihnen reden könnte, denn es waren zufällig lauter mittellose junge Leute. Der dauernde Zustand der Notwehr und Erwartung, in dem sich Martha Haider nun schon mehrere Jahre hindurch befand, hatte sie bereits nervös heruntergebracht und begann allmählich auch ihrer Schönheit Schaden zu thun. Sie konnte manchmal mit ganz glanzlosen Augen und zusammengezogenen Brauen träumend über das Hauptbuch hinwegstarren und die seelische Verstimmung, die schon seit zwei Jahren an der Arbeit war, ihr langsam scharfe Züge um Nase und Mundwinkel herumzuziehen, machte sich auch manchmal in heftigen Ausbrüchen der Schwester gegenüber Luft.

»Na, was machst Du denn für ein kritisches Gesicht?« sagte Fräulein Martha, ein bischen empfindlich, als die Schwester so lange die Tafel musterte, ohne ein Wort des Lobes zu äussern.

»Na, na – nur nicht schon wieder nervös,« entgegnete Hildegard. »Ich finde es ja sehr nett, was Du da gemacht hast, mir kam nur eben eine neue Idee mit den Servietten.« Und sie griff nach der nächsten Serviette, in die bereits ein Weissbrot hineingesteckt war und begann daraus etwas zu formen, das nach ihrer Behauptung einer Lotosblüte deutlich ähnlich sehen sollte. Es war dies eine ihrer Kunstfertigkeiten. Während sie damit beschäftigt war, sagte sie leichthin, auf einen grossen Strauss herrlicher Orchideen deutend, der inmitten der Tafel stand: »Weisst Du, süsse Pflanz, so üppig hättest Du gerade nicht zu sein brauchen wegen der paar gemütlichen Frauenzimmer. Was kostet denn der Spass?«

»Nichts« sagte Martha, achselzuckend.

Und Hildegard darauf: »Du, was kriegst Du denn für einen roten Kopf? Ich mag nicht, dass Du so etwas aus Deiner Tasche bezahlen sollst!«

»Fällt mir auch garnicht ein,« versetzte Martha, wirklich ganz rot im Gesicht. »Die Blumen sind . . . ach, Du kannst Dirs schon denken.«

»Von Arnulfen?«

»Hm, ja, natürlich! So was Schönes kommt doch immer von ihm.« Dabei lachte sie nervös und machte sich etwas ganz Ueberflüssiges am Tisch zu schaffen. Sie fühlte, dass die Schwester einen scharfen Blick auf ihr ruhen liess und so fügte sie, halb gezwungen, nach einer kurzen Pause hinzu: Er war eben hier, er lässt Dich grüssen.«

Fräulein Hildegard nahm eine zweite Serviette vor und pfiff leise durch die Zähne. Dann sagte sie, ohne aufzusehen, wie im Selbstgespräch: »Die Geschichte gefällt mir nicht.«

»Ich weiss allein was ich zu thun und was ich zu lassen habe,« fuhr Martha heftig auf und dabei zuckte es in ihrem Gesicht, als ob sie nicht übel Lust hätte in Thränen auszubrechen. »Ich dachte, es wäre der Conditorjunge und machte selbst die Thür auf, sonst hätte ich ihn garnicht vorgelassen.«

»Na, rege Dich nur nicht auf,« begütigte die Schwester. »Ich will Dir ja gar keinen Vorwurf machen. Wir sind zwei selbständige, vernünftige Frauenzimmer und wenn wir Herrenbesuche annehmen wollen, so geht das niemanden was an. Meinetwegen könntest Du Dir auch allein jemanden einladen und sogar hinter meinem Rücken techtelmechteln, wenn Dir's Spass machte – aber bloss nicht mit Arnulf Rau.«

»Ich möchte wirklich wissen, was man dabei finden sollte,« entgegnete Martha heftig. »Ein verheirateter Mann, mit dessen Frau wir so befreundet sind. . . .«

»Eben drum!« warf Hildegard rasch und hart dazwischen. »Du bist ein so vernünftiges Mädel – dass die jungen Windhunde und die alten Gecken Dir nicht gefährlich werden, weiss ich allein; aber Arnulf Rau – der ist Dir positiv gefährlich mit seinen verdammten Augen und seinen weissen Händen. Leugne nur nicht! Es hat Dir noch keiner so warm gemacht wie der. Wenn Du auf den hineinfällst wäre das Unglück viel grösser, als wenn Du irgend einen von Deinen schmachtenden Jünglingen jemals erhört hättest. Unsolidere Absichten hat jedenfalls noch keiner Dir gegenüber gehabt.«

»So – glaubst Du?« rief Martha leise und trat mit glänzenden Augen, rasch atmend, vor die Schwester hin. »Dann will ich Dir nur sagen, was er mir eben geschworen hat: er kann nicht leben ohne mich – er lässt sich scheiden!«

»Donnerwetter!« platzte Fräulein Hildegard heraus und setzte sich rasch auf den nächsten Stuhl. Sie verschluckte mit Anstrengung eine derbe kritische Bemerkung und fügte erst nach längerer Weile scheinbar ruhig hinzu: »Na, und Du?«

»Ich habe natürlich einen furchtbaren Schreck bekommen,« erwiderte Martha. Und dann trat sie vor den nächsten Spiegel, fuhr sich mit den Händen glättend über den tiefschwarzen Scheitel und betupfte alsdann mit ihrem zarten Battisttüchlein das erhitzte Gesicht. Und dabei sagte sie mit leichtbebender Stimme, aber energischer Betonung: »Jedenfalls weiss ich, dass ich noch nie einen Mann so geliebt habe.«

Da warf Hildegard ihre damastene Lotosblüte wütend auf den Tisch und rief ganz laut: »Ach Herjesses! Hör' mal, süsse Pflanz, jetzt wird mir die Sache zu dumm! Wärest Du lieber früher mit einem flotten Kerl durchgebrannt oder hättest Du einen von den schüchternen Jünglingen festgelegt – lieber hätte ich Euch mit Kind und Kegel aus meiner Tasche erhalten, als dass ich jetzt so was an Dir erleben muss!«

»Ja, höhne Du nur!« rief Martha aufgebracht: »Du mit Deiner Herzlosigkeit kannst überhaupt nicht begreifen . . .«

»Ach was, Herzlosigkeit!« unterbrach sie die Schwester rauh. »Ja, wenn bloss das Herz heissen dürfte, was unvernünftige Frauenzimmer an ungeeignete Männer zu hängen pflegen, dann habe ich freilich keins. Ich habe auch nicht das Herz dazu, Dich in solchem Blödsinn zu bestärken.«

»Ach Du – Du . .!« zornbebend trat Martha ein paar Schritte rasch auf die Schwester zu und dann fügte sie hastig hinzu: »Du hast mir überhaupt alles zerstört – Du bist ganz allein Schuld daran, dass ich dieses ganze grässliche, verfehlte Leben noch immer ertragen muss.«

»Ich? Wieso?«

»Weil Du die Männer abschreckst. Dich, mit Deiner fürchterlichen Nüchternheit und unweiblichen Derbheit fürchten sie mehr als die schlimmste Schwiegermutter. Du verhöhnst ja alle zarteren Gefühle. In Deinen Augen wird ja alles lächerlich und frivol, wonach man sich sehnt, wenn man so liebeleer dahin vegetieren muss wie ich. – Ach, Du, Du . . . wo Du hintrittst, da blüht ja gar nichts mehr!«

Zornflammend, mit funkelnden Augen stand sie der Schwester gegenüber und dann wendete sie sich plötzlich rasch ab und verliess das Zimmer. – –

Als einige Minuten später das Dienstmädchen hereintrat, stand Fräulein Hildegard am offenen Fenster und schneuzte sich mit einer ganz unnatürlichen Heftigkeit. Sie konnte doch die dumme Person nicht merken lassen, dass sie geweint hatte. –

Eine halbe Stunde später begannen sich die Gäste einzustellen. Zunächst erschien Fräulein Agathe Echdeler, die Vorsitzende des Agitationskomitees für die Evolution der femininen Psyche; in Wirklichkeit hatte der Verein einen etwas gemeinverständlicheren Namen, aber unter sich pflegten ihn die gelehrten Damen scherzeshalber also zu bezeichnen. Fräulein Echdeler war eine stattliche, schlanke Erscheinung, so gegen Ende der Dreissiger, von sicherem Auftreten und höchst intelligentem und dabei liebenswürdigem Gesichtsausdruck. Im Gegensatz zu der burschikosen Hildegard Haider war ihr Wesen durchaus damenhaft. Nach ihr erschien die Frau von Grötzinger, ein kugelrundes Persönchen mit kurzgeschnittenem, grauem Haar, rotem Vollmondgesicht mit Stumpfnase, unauffällig und dennoch geschmacklos gekleidet. Frau von Grötzinger war eine kreuzbrave Dame, die mit bescheidenen Mitteln eine wirklich erspriessliche Wohlthätigkeit übte. Man behauptete, dass sie noch einen Mann besitze, es hatte ihn aber noch niemand gesehen – es hiess, er sei schon vor langen Jahren in weite, weite Fernen geflohen, aus lauter Angst vor dem starken Geiste seiner Gattin. In der gewöhnlichen Unterhaltung fiel Frau von Grötzinger mehr durch ihr männliches Organ als durch den Inhalt ihrer Reden auf und sie liebte augenscheinlich den starken Tabak mehr in Form von Cigarren als in Form von gewagten Bemerkungen. Sie war nämlich im Stande, die gefährlichsten Giftnudeln zu rauchen, ohne eine Miene dabei zu verziehen. Nach ihr kamen die unzertrennbaren Freundinnen Frau Stummer und Fräulein Wiesbeck. Erstere, einen prächtig rein geschnittenen antiken Gemmenkopf auf kräftig geformtem Halse tragend, ganz wie ein verkleideter schöner Jüngling einherschreitend, wogegen das Fräulein an ihrer Seite so recht zum umblasen aussah, – eine schmalschultrige, spitznasige Pfarrerstochter, die aber doch die Energie besessen hatte ihren Eltern durchzubrennen, um in Zürich Philosophie zu studieren – d. h. »nur so« wie sie sich sinnig ausdrückte, denn wie sie ihre Philosophie praktisch verwerten sollte, das war ihr vorläufig selbst noch nicht klar. Sie verdiente sich ein wenig Geld damit, dass sie höheren Töchtern Unterricht im Lateinischen und Griechischen gab, im übrigen wurde sie von wohlhabenderen Freundinnen durchgefuttert. Frau Stummer hatte thatsächlich einen Mann besessen, hatte sich aber nach kurzer Zeit von ihm scheiden lassen, da es ihr im Verlauf der kurzen Ehe immer undenkbarer geworden war, wozu sie den Herrn verwenden sollte, der sie nur in ihren höheren Bestrebungen störte. Sie waren übrigens ganz freundschaftlich auseinander gegangen und Herr Stummer besuchte seine Gattin noch zuweilen – besonders, wenn er Geld brauchte, denn sie besass mehr, als sie für ihre einfachen Bedürfnisse benötigte. Zuletzt erschien Fräulein Claire de Fries in Begleitung von Fräulein Doktor juris Babette Girl, einer schlanken, festgefügten Erscheinung, in einem glatten schwarzen Sammetkleide, das zu ihrem feinen, geistvollen Kopfe mit der kühnen Adlernase vortrefflich harmonierte. Das Fräulein Doktor hatte sich bereits einen bedeutenden Ruf erworben, als eine der beredtesten und scharfsinnigsten Verteidigerinnen der modernen Emanzipationsbestrebungen ihres Geschlechtes.

Sobald die Gäste alle beisammen waren, setzte man sich zu Tisch und genoss mit auffallendem Ernst und verhältnismässiger Schweigsamkeit die guten Dinge, womit die Firma Moritz Haiders Töchter aufzuwarten hatte. Es wurde eigentlich nur über Köchinnen und Küchenfragen gesprochen, wie zu Beginn einer gewöhnlichen Damengesellschaft auch, und nur dadurch, dass diese Damen ordentlich assen wie hungrige Menschen, und nicht bloss pickten wie Ziervögelchen, bethätigten sie ihre Erhabenheit über die gewöhnlichen Schwächen ihres Geschlechtes. Dass die Unterhaltung nicht lebhafter und lauter wurde lag einesteils wohl daran, dass statt alkoholhaltiger Getränke nur Frada gereicht wurde, andernteils aber auch in der etwas gedrückten Stimmung, die von den Gastgeberinnen selbst ausging. Fräulein Martha Haider hatte sich zwar schon wieder soweit beruhigt, dass weder ihr Teint noch ihr Gebahren die eben durchgemachte Aufregung verriet und auch Fräulein Hildegard wusste sich zu beherrschen und gab der Schwester sogar ganz besonders zärtliche Namen, aber die Intimen des Hauses und feinen Beobachterinnen hatten doch sofort gemerkt, dass zwischen den Beiden etwas vorgefallen sein müsse.

Nach Aufhebung der Tafel ging die kleine Gesellschaft in das Wohnzimmer, einen mässig grossen, mit allem erdenklichen Zierkram recht eigenartig und geschmackvoll ausgestatteten Raum. Es wurden Cigaretten herumgereicht – Frau von Grötzinger zündete sich natürlich eine eigene, nubierbraune Cuba an – und dann liess Fräulein Hildegard eine Bowle von ansehnlichem Umfang hereinbringen, die sie auf den Teppich niedersetzte. Sie stürzte zwei Flaschen Schaumwein hinein und versicherte ihre alkoholfeindlichen Freundinnen, dass die ganze Geschichte purer Obstsaft mit Brauselimonade sei, – was um so schamloser gelogen war, als das Gebräu in Wirklichkeit aus echtem Pfälzer und Sekt, halb und halb gemischt, bestand – wo hinein sie noch als besondere Würze einige Scheiben Citrone und – entsetzlich! – einen Schuss Kognak gethan hatte. Sämtliche Gäste erklärten das Getränk für vorzüglich und die Antialkoholistinnen priesen es besonders als einen glänzenden Triumph der Fradaindustrie. Die Stummer und die Wiesbeck streckten sich samt Fräulein Hildegard um die Bowle herum auf den Teppich aus, Fräulein de Fries legte sich lang auf einen niedrigen Divan unter einem Baldachin von türkischen Stoffen und Martha Haider, die eine wahre Backfischschwärmerei für die schöne Friesin hegte, nahm zu ihren Füssen auf dem Bärenfelle Platz. Frau von Grötzinger hockte in einem weiten Korblehnstuhl so tief drin, dass ihre Füsse den Boden nicht mehr berührten und Babette Girl stand mit Agathe Echdeler Arm in Arm an dem offenen Mansardenfenster und betrachtete lächelnd die hübschen Gruppen.

Aber mit dem Lobe des guten Getränkes schien auch der Unterhaltungsstoff schon wieder erschöpft zu sein, sodass Hildegard Haider ärgerlich ausrief: »Kinder, Ihr seid heut entsetzlich fad! Ich werde einmal Kobolz schiessen, damit Leben in die Bude kommt.« Da war sie auch schon auf den Füssen, stieg über das fadendünne Fräulein Wiesbeck hinweg und schlug wirklich in der Mitte des Zimmers einen ganz eleganten Purzelbaum, ohne im mindesten den Anstand zu verletzen, da sie stets ihre Radelhosen unter dem Rocke trug.

In Anbetracht, dass diese gymnastische Produktion aber für die Gesellschaft nichts Neues mehr war, fand sie auch nur einen etwas kühlen Beifall und die Unterhaltung wäre sobald wohl nicht in Gang gekommen, wenn nicht das Fräulein Doktor die de Fries laut, aber ohne Aufregung gefragt hätte, ob es denn wahr sei, dass sie ihren Freund, Doktor Reithmeyer heiraten wollte.

»Ach, Box hat wohl geklatscht?« fragte die de Fries zurück, ohne ihre ebenso bequeme wie anmutige Stellung zu verändern.

»Natürlich; das thue ich grundsätzlich, wenn sich eine Dummheit vorbereitet, die vielleicht durch öffentliche Besprechung noch zu verhindern ist,« erklärte Fräulein Hildegard trotzig.

»Oeffentliche Besprechung?« lachte die schöne Claire. »Um Gottes Willen, Du willst doch nicht eine Volksversammlung einberufen über meinen Fall?«

»Nö – ich meine nur unsern intimen Kreis hier. Die Fenster sind ja offen, da reden wir doch auch öffentlich.«

»Soll das ein Witz sein?« fragte Frau von Grötzinger schläfrig. »Ich lache nicht. Ich habe zu viel gegessen.«

Und dann wendete sich die Echdeler an die de Fries: »Also Sie sollen wirklich heiraten?«

»Soll! Hört, hört!« rief die Stummer dazwischen.

Und die de Fries darauf: »Na ja, ich soll; aber ich will nicht.«

»Bravo! Prost!« quiekte Fräulein Wiesbeck und trank der medizinischen Kommilitonin zu.

»Ach, macht doch keinen Unsinn,« sagte Box ärgerlich. »Ich sehe nicht ein, warum wir uns nicht über die Frage ruhig und vernünftig aussprechen sollen. Ich meine wir wären kompetent genug dazu.«

»Ich habe auch nichts besonderes dagegen,« erwiderte Fräulein Claire ruhig. »Wenn ich nur so hübsch bequem hier auf der Anklagebank liegen bleiben darf, lass' ich Euch gern über den Fall Reithmeyer contra Fries verhandeln. Ich muss gestehen, ich bin ein wenig unsicher geworden, ich weiss nicht mehr recht, ob ich in meiner Weigerung gross oder bloss eigensinnig bin. Schliesslich ist ja Heiraten am Ende kein Verbrechen. »

»Ich bin für freie Liebe,« grunzte Frau von Grötzinger in ihrem gemütlichen Bass. Alle lachten, aber die gute Dame nahm das garnicht übel, sondern lachte fröhlich mit.

»Na, über die Liebe brauchen wir doch hier nicht zu diskutieren,« erklärte Fräulein Wiesbeck altklug, und Martha Haider, die das spitznasige Mädchen nicht leiden mochte, flötete in ihren lieblichsten Tönen: »Ach, sind Sie mit der Liebe schon im Reinen? Bitte, sagen Sie mir doch etwas Abschliessendes darüber.«

Die stud. philos. merkte die Ironie und warf etwas zögernd hin: »Die Liebe – mein Gott! – Die Liebe ist eben Privatsache.«

Wiederum gab sich die Mehrzahl der Damen einer ganz ungebührlichen Heiterkeit hin. Da rief Doktor Girl mit ihrem schönen weichen Organ in den Lärm hinein: »Aber meine Damen! Wer wird denn so nach Heiterkeitserfolgen jagen! Wir sind doch nicht im deutschen Reichstag.«

»Bravo! Sehr richtig! Reichstag, pöh!« scholl es lustig durcheinander und dann schlug die Girl vor, eine ordnungsmässige Debatte zu eröffnen. Hildegard Haider würde zunächst als Eingeweihte die species facti erzählen.

Box setzte sich auf türkisch zu Claire de Fries auf den Divan und entledigte sich mit hinreichender Beredsamkeit ihrer Aufgabe. Die Damen hörten mit gespannter Aufmerksamkeit zu und dann eröffnete das Fräulein Doktor die Verhandlung, indem sie zunächst Fräulein de Fries fragte, ob sie vielleicht zur Berichtigung das Wort erbitte. Da dieses nicht der Fall war, hielt das Fräulein Doktor folgende kleine Rede:

»Gestatten Sie mir, meine Damen, den vorliegenden Fall nach der soeben gehörten Auseinandersetzung noch einmal kurz zu präzisieren. Herr X und Fräulein Y haben sich auf Grund gegenseitiger sogenannter Liebe zu einem freien Verhältnis, ohne jede Rechtsverbindlichkeit, zusammengefunden. Das Verhältnis hat zu beiderseitiger Befriedigung längere Zeit bestanden und durch seine geistigen Qualitäten, man darf wohl sagen den Charakter einer idealen Ehe angenommen. Nun wünscht Herr X diese ideale Ehe zu einer auch bürgerlich giltigen, d. h. zu einem legalen Vertragsverhältnis ohne Kündigungsrecht zu machen, in welchem Y sich freiwillig und auf Lebenszeit unter die Vormundschaft des X zu begeben, ohne die sogenannten natürlichen auch noch eine Reihe von unnatürlichen, d. h. gesellschaftlichen Pflichten zu übernehmen und überhaupt nach dem Grundsatz mulier taceat in ecclesia zu allen Massnahmen des X das – Pardon! – Mündchen zu halten hat.«

Fräulein Wiesbeck konnte sich den halblauten Zuruf: »Scheusslich!« nicht versagen.

Babette Girl fuhr unbeirrt fort: «Es tritt nun an diese hochansehnliche Versammlung die Frage heran, ob unter dem Gesichtspunkte unserer Tendenz zur gesunden Evolution der femininen Psyche unserer Genossin Y. aus Gründen der Opportunität ein Verleugnen ihrer bisher tapfer verteidigten Prinzipien nachzusehen sei oder nicht.«

«Nein! nein! niemals! jamais! non licet! Brutale Vergewaltigung! Männlicher Egoismus! plumpe Falle!« riefen die aufgeregten Damen laut durcheinander.

Fräulein Girl klopfte, da eine Glocke nicht zur Hand war, mit einem Papiermesser an ihr Glas und bat um Ruhe. «Wünscht jemand das Wort zu dieser Frage?« fügte sie mit drolligem Ernst hinzu.

Frau von Grötzinger hob ihr kurzes dickes Zeigefingerchen in die Höhe und dann sagte sie mit einem mütterlichen Lächeln zu dem schönen Weibe auf dem Divan gewendet: »Frieschen, lassen Sie sich nicht auf den Leim locken! Ich weiss aus Erfahrung wie schwer es ist einem Manne zu widerstehen, der recht schön bitten kann. Ich bin, wie gesagt, für die freie Liebe.«

Ohne die Erlaubnis zum Reden abzuwarten fuhr Frau Stummer dazwischen: «Ich kenne die Ehe, ich kann auch mitreden. Die Männer können uns durch die freie Liebe gerade so gut zu Grunde richten, als durch die Ehe, wenn sie wollen. Es kommt nur darauf an wie wir sind. Für das Herdenweib ist die Ehe gut genug; das fühlt sich in der Sklaverei ja doch am wohlsten, und für das freie Weib ist auch die freieste Liebe noch nicht frei genug, denn Liebe bedeutet für uns eben Unterwerfung. Aber ich sehe nicht ein, warum ein Weib immer einen Mann lieben muss. Lieben Sie doch die Wissenschaft, Fräulein de Fries, der zu dienen ist eine Ehre!«

»Bravo! Bravo!« quiekte die Wiesbeck begeistert. »Ich liebe auch nur die Wissenschaft und gedeihe prächtig dabei.«

»Na, Fett setzen Sie gerade nicht an, mein Kindchen!« neckte Frau von Grötzinger gutmütig. »Mir scheint, Sie haben nicht viel Gegenliebe bei der Wissenschaft gefunden. Nur bei platonischen Verhältnissen kann man so mager bleiben wie Sie.«

Jetzt begann alles durcheinander zu gehen. Heiterkeit und ernsthafte Erregung über die aufgeworfene Frage. Fast alle Damen redeten zugleich, thaten sich zu zweien oder dreien zusammen erhitzten sich, überschrieen sich, fielen sich ins Wort – gerade so wie es Männer in solchen Fällen auch zu thun pflegen. Fräulein Girl verzichtete lachend auf die weitere Durchführung der parlamentarischen Komödie und setzte sich in eine Ecke mit Box und Fräulein Echdeler zusammen, um ganz ernsthaft mit diesen ihre Meinung auszutauschen. Fräulein de Fries, die die Sache doch am meisten anging, war die ruhigste von allen, und unter dem allgemeinen Lärm beugte sie sich zu Martha Haider hinab und fragte lächelnd: »Was würdest Du denn thun in meinem Falle, mein Liebling?«

»Ich?!« fuhr das schöne Mädchen aus träumerischem Sinne auf. Sie musste sich erst sammeln, bevor sie der Freundin Antwort geben konnte. Dann flüsterte sie ihr errötend zu: »Ach, wenn mich einer so liebte, – ich wäre ja so überglücklich, ihm vor aller Welt und für das ganze Leben angehören zu dürfen!«

Claire strich ihr zärtlich über den glatten Madonnenscheitel. »Ach, Du Weibchen!« sagte sie freundlich: »macht Euch das wirklich glücklich? Nur für den Herrn leben – garnichts für sich selbst sein wollen?!«

Martha seufzte und wusste eine ganze Weile keine Antwort. Dann erhob sie sich vom Fussboden und sagte leichthin: »Ach, Ihr lacht mich ja doch nur aus.« Und sie nahm den silbernen Kuchenkorb zur Hand und machte anbietend die Runde bei den Gästen. Die schöne Friesin erhob sich nun gleichfalls, zündete sich eine neue Cigarette an und horchte zerstreut bald hier, bald dort auf den lebhaften Meinungsaustausch der einzelnen Gruppen. Von dem eigentlichen Thema, nämlich der Frage, ob sie heiraten sollte oder nicht, waren die Damen schon ziemlich weit abgekommen – eine jede auf ihr Lieblingsgebiet.

Frau Stummer stritt sich mit Frau von Grötzinger über das Mädchengymnasium herum. Erstere war leidenschaftlich dafür, letztere hartnäckig dagegen. Die Wiesbeck dozierte der lächelnd zuhörenden Echdeler etwas vor über die Notwendigkeit sich individuell ausleben zu können, wozu sich die Frau ebenso das Recht erkämpfen müsse wie der Mann. Fräulein Echdeler hatte alle diese Dinge schon tausendmal gehört, aber sie liess die Studentin ruhig schwätzen: rethorische Uebungen auf diesem Gebiete waren immer nützlich, denn die gute Sache der geistigen Befreiung erforderte gewandte Rednerinnen, und die waren immer noch viel zu selten. Babette Girl war auch schon wieder bei ihrem Lieblingsthema angelangt, dem Rechtsverhältnis der unehelichen Kinder. Ihre Freundin Hildegard hatte sie herausgefordert durch die Bemerkung, dass ein Kind fast für jede Frau gut, für die meisten sogar notwendig sei; aber sie sähe nicht ein, warum nicht ein innerlich frei gewordenes Weib, wie Claire de Fries, ein Kind ohne rechtsgiltigen Ehemann haben sollte. Der Kampf mit den Vorurteilen der Gesellschaft wäre für einigermassen starke Charaktere doch nur ein Spass.

Claire setzte sich zu diesen beiden und hörte aufmerksam zu. Als sie das Verhältnis mit Doktor Reithmeyer eingegangen war, hatte sie sich vorgenommen, kein Kind zu bekommen bis sie ihre Studien vollendet und eine selbständige Stellung als Arzt erlangt haben würde. Dann aber wollte sie sich um ihren natürlichen Beruf, um ihre höhere Frauenpflicht nicht weiter herumdrücken. Sie war eine ernste Natur und wollte beweisen, dass die moderne Frau nicht nur geistig dem Manne gleichwertig, sondern auch moralisch über ihn erhaben sei, indem sie in der Liebe nicht, wie der Mann, nur den flüchtigen Genuss, sondern die Erfüllung einer heiligen Pflicht gegen die Menschheit suche. Aber sie hatte auch schon oft nachgedacht über die zum mindesten unbehagliche Stellung, die ein solches, auf vorläufig noch verbotenem Wege auf die Welt gekommenes Kind in dieser einzunehmen verurteilt war. Und sie hatte sich ernstlich gefragt, ob nicht im Sinne einer höheren Sittlichkeit der Egoismus einer Frau, die ihrem Drang nach geistiger Freiheit das Behagen ihrer Kinder opfert, ebenso verwerflich sei, wie der Egoismus des genusssüchtigen Mannes, der zu seiner Bequemlichkeit den blühenden Unsinn in seinem Gesetzbuch festgelegt hat: ein uneheliches Kind ist mit seinem natürlichen Vater als nicht verwandt anzusehen. Wenn sie wirklich einmal sich zum Heiraten bewegen liesse, so sollte es, das stand schon lange bei ihr fest, nur den Kindern zu Liebe geschehen. Das war der Punkt, den eben auch das Fräulein Doktor jur. mit seiner klaren, schmucklosen Beredsamkeit beleuchtete.

»Ach was,« fuhr Box derb dazwischen: »diesen Kindern ist es ganz gut, wenn sie sich ein bischen hart durchs Leben stossen müssen – und den Mädchen ganz besonders. Wir brauchen abgehärtete Weiber für die Zukunft.«

»Ja; aber bei dem Herumstossen wird auch viel schöne Kraft unnütz verbraucht,« entgegnete Babette mit ruhigem Ernst. »Die hartgewordenen Weiber werden auch unsere Sache niemals vorwärts bringen. Die helfen nur die Schönheit und die Freude und die Güte aus der immer nüchterner werdenden Welt zu schaffen.«

»Nö – seh' ich garnicht ein,« beharrte Box. »Gesundheit ist die beste Schönheit und mit allem Gerede vom Wahren, Guten, Schönen werden schliesslich doch nur Schmachtlappen gezüchtet.«

»Und mit Deiner Abhärtungstheorie geschlechtslose Weiber,« mischte sich jetzt Fräulein de Fries in den Streit: »und die sind nicht nur den Männern ein Greuel, sondern auch sich selber. Vergiss das nicht, Box!«

»Herrgott! bist Du schon um die armen Männer besorgt?« höhnte Hildegard. »Dieses alberne Mitleid mit den Männern ist wahrhaftig die schändlichste unter den berühmten Schwächen unseres Geschlechts. Weshalb lassen sich so viele, auch von den feinsten und gescheidtesten Frauen so elend hineinlegen? Blos, weil die Männer so gut ihr Mitleid zu erregen wissen. Das verstehen sie alle merkwürdig gut, einer Frau vorzujammern, dass sie ohne sie nicht leben könnten, dass sie wahnsinnig werden müssten, wenn sie sie nicht erhörte, oder moralisch verkommen, wenn sie ihnen nicht als rettender Engel die Hand reichen würde. Ekelhafte Komödie! Mir sollte einer nur mit solchen Redensarten daherkommen! Ich thät ihm rechts und links ein paar hineinhauen.«

»Sei ganz ruhig,« lachte die schöne Claire; »zu Dir kommt auch keiner.«

Hildegard wurde rot vor Aerger und rief ganz laut: »Ach so! das sollte wohl alles auf mich gehen von den geschlechtslosen Greueln? Na, weisst Du, liebe Donna Clara, wenn Du vielleicht meinst, dass ich nicht ebensogut wie jedes andere gerade nicht absolut schieche Frauenzimmer einen Mann erobern könnte, dann irrst Du Dich doch gewaltig. Eine rechte Kunst das! Für eine Frau die will ist jeder Mann zu haben.«

»Na, weisst Du, was die Männer betrifft,« lächelte Claire ironisch: »so zeichnest Du Dich durch ein durch keinerlei Sachkenntnis getrübtes Urteil aus.«

»So?« rief Box, nun wirklich bös werdend; »Du bildest Dir also wirklich ein, ich wäre ausser Stande einen Mann zu verführen. Pöh! Die Männer sind ja solche Schwächlinge der Verlockung gegenüber, dass wir nur ein bischen energisch mit dem Finger zu winken brauchen und sie gehen gleich ins Netz – jeder, ohne Unterschied des Alters, Ranges oder Standes.«

Babette suchte die Wildgewordene zu begütigen, aber sie war nicht mehr zu halten. Die Szene mit ihrer Schwester vor Tische war ihr so auf die Nerven gegangen, dass sie in ihrer Gereiztheit kaum mehr wusste was sie sagte. »Wenn ich einen Mann demütigen wollte, so würde ich mir garnicht einmal selbst darum Mühe zu geben brauchen – ich könnte ihn einfach von meiner Köchin verführen lassen.«

»Hört! Hört!« rief die dicke Frau von Grötzinger belustigt und auch die andern Damen waren aufmerksam geworden und wendeten sich teils lachend, teils mit verlegener Miene der Gruppe zu.

»Du vergisst eines, lieber Box«, sagte Fräulein de Fries, mit Mühe ihre Verstimmung über diese Wendung des Gespräches unterdrückend: »die Männer sind erst nach dem Genuss die Cyniker, für die Du sie hältst. Vorher sind sie meist grössere Idealisten als wir, und ein Sieg, der ihnen keine Schwierigkeiten macht, reizt sie überhaupt nicht.«

»Soso! Ich werde den Beweis vom Gegenteil erbringen!« rief Fräulein Hildegard mit blitzenden Augen. »Binnen heute in 14 Tagen bringe ich Euch einen kapitalen Bock zur Strecke.«

Allgemeines Schweigen. Diese Frivolität ging den Damen denn doch zu weit. Sie schauten verlegen drein und bekamen plötzlich in merkwürdiger Uebereinstimmung Gelüste auf ein neues Stück Kuchen und ein weiteres Glas Bowle. Mit Essen und Trinken liess sich besser über die verdorbene Stimmung hinweggleiten.

Da niemand ihren guten Witz mit Beifall belohnte, so lachte Box selber und die kluge Echdeler, die sich am meisten durch jene thörichte Renommage verletzt fühlte, trat hinter ihre Freundin, klopfte sie freundlich auf die Schulter und sagte: »So ist's recht, lach' Dich nur selber aus. Es war ein schlechter Witz.« Und zu den Uebrigen gewendet fuhr sie fort: »Nur nicht ängstlich, meine Damen! Box hat nur einen Schreckschuss abgefeuert. Sie wollte doch ihren Revolver, den sie auf ihren Rad-Ausflügen über Land mitnimmt, probieren – und sie ist noch nie dazu gekommen davon Gebrauch zu machen. Bloss darum hat sie vor unsern zarten Ohren einmal losknallen müssen, haha! Nein, meine Damen, wir können uns in aller Ruhe weiter entwickeln, ich habe gar keine Furcht, dass wir auf diesem Wege etwa dazu gelangen könnten, uns auch Studentenroheiten anzugewöhnen.«

Es wurde Box plötzlich klar, dass sie eine Taktlosigkeit begangen hatte und sie drückte Fräulein Echdeler dankbar die Hand für ihr freundliches Bemühen, die Stimmung wieder herzustellen.

Man liess das gefährliche Thema wie auf stillschweigendes Uebereinkommen fallen und schwätzte mit etwas künstlichem Eifer über allerlei ungefährliche Gegenstände, Theater, Literatur und Mode. Schliesslich liess sich gar Fräulein Doktor Girl bewegen, ein Geigensolo zum Besten zu geben. Sie war eine ungemein begabte Dame, sie wusste und konnte alles mögliche, aber nur geigen konnte sie nicht. Es schien auch niemand zu vermuten, dass sie für ihre Leistung Aufmerksamkeit beanspruchte, denn die Gespräche wurden munter fortgeführt.

Fräulein de Fries sah sich nach Martha um. Wo war sie hingekommen? Sie verliess das Wohnzimmer und fand Martha ganz allein im Esszimmer am offenen Fenster lehnen und in die Nacht hinausstarren. Sie trat zu ihr, legte den Arm um ihre Taille, drückte sie an sich und sagte nur: »Na, mein Liebling, was hat es denn gegeben zwischen Euch?«

Da liess Martha den dunklen Kopf an die Brust der grossen Freundin sinken und flüsterte unter hervorbrechenden Thränen an ihrem Halse: »Ach Gott! es ist so schrecklich, wenn man niemanden hat, dem man sich anvertrauen kann.«

»Ach so,« sagte Claire gütig: »von diesen Dingen verstehe ich doch vielleicht ein klein bischen. Ich bin wohl nicht ganz so schrecklich vernünftig wie die andern. Komm doch morgen gegen Abend zu mir. Ich will es einrichten, dass ich dann allein bin.«

Den Damen da drin begann die Gesellschaft langweilig zu werden. Ordentlich zanken konnte man sich nicht mehr, denn dann konnten leicht wieder unangenehme Zwischenfälle eintreten und im übrigen hatte man sich eigentlich nichts mehr zu sagen. Der tückisch eingeschmuggelte Alkohol begann ihnen auch in den Kopf zu steigen und machte die einen bang vor ihrer unmotivierten Lustigkeit, die andern einfach müde. Es vermochte auch niemand mehr einen besondern Witz darin zu erblicken, dass Frau von Grötzinger auf der Occarina zu blasen und die erznorddeutsche Frau Stummer Schnadahüpferln zur Guitarre zu singen versuchte. Ohne dass eigentlich jemand das Zeichen zum Aufbruch gegeben hätte, waren auf einmal, kurz vor Mitternacht, schon sämtliche Damen draussen. Sie bedankten sich alle für den reizenden Abend und Frau von Grötzinger deponierte ein Fünfzigpfennigstück für die Köchin auf dem Küchentisch. Dann begleitete Box sie die Treppe hinunter und schloss ihnen das Hausthor auf. Sie stand, sich die Lippen nagend am Hofgitterthor, bis die Stimmen der Abziehenden sich in der stillen Strasse verloren hatten und bis Schampus, der Hühnerhund, von einem kleinen Ausflug, den er bei dieser Gelegenheit unternommen hatte, zurückzukehren beliebte. In der Wohnung wieder angekommen hiess sie Martha zu Bette gehen und machte sich selbst noch über eine Stunde lang mit dem Wegräumen zu thun. Als sie dann endlich gleichfalls ihr Lager aufsuchte, schlief die Schwester fest wie ein getröstetes Kind – Hildegard aber hörte noch die dritte Stunde schlagen, ehe sie der Traumgott mitleidig in seine Arme nahm.

Empörend, dass auch Morpheus ein Mann sein muss! Kann denn ein vernünftiges Frauenzimmer wirklich nicht anders seine wohlverdiente Ruhe finden?!


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