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Judika war, als sie sich mit rascher Entschlossenheit zwischen Florian und den ihn angreifenden Bauer warf, um dessen Hellebardenstoß nach des Ritters Brust von ihm abzulenken, in der Tat verwundet worden. Der lange, spitze Haken an dem unteren Teil der Klinge hatte ihren linken Oberarm getroffen und nicht unerheblich verletzt. Schnell und unbeachtet hatte sie sich aus dem Getümmel entfernt, sich ins Dorf und dort in ein Bauernhaus begeben, um sich die Wunde notdürftig verbinden und das Loch im Ärmel flicken zu lassen.
Als sich der Ritter nun von seinem Sitz unter der Linde erhob, um bei dem Schankwirt die Zeche für das gelieferte Bier zu berichtigen, begegnete ihm Judika in der Dorfgasse. Sie erschrak, als sie ihn erblickte, und blieb stehen, als besänne sie sich, ob sie nicht umkehren sollte, um ihm auszuweichen. Er aber schritt auf sie zu, bot ihr die Hand und sagte: »Ich hab' Euch zu danken, Judika! Ihr habt mir das Leben gerettet.«
»Ich wollte nur einen Mord verhüten,« entgegnete sie verlegen.
»Ihr werdet das nicht immer können bei dem, was Ihr unternommen habt, – vielleicht auch nicht immer wollen,« sprach Florian.
Sie zuckte die Achseln und schwieg.
Jetzt bemerkte er den gestopften Riß an ihrem Ärmel und ein paar Blutflecken auf dem dunklen Gewande. »Seid Ihr dabei verwundet worden?« frug er bestürzt.
»Eine Schramme, weiter nichts. Auch das werde ich nicht immer vermeiden können, bei dem, was ich unternommen habe,« sagte sie gleichmütig.
»So wollt' ich, ich könnte Euch davor schützen, wie Ihr heute mich geschützt habt!« rief er aus.
»Der, unter dessen Schutz ich mich gestellt habe, behütet mich schon,« erwiderte sie.
»Ja so! Jäcklein Rohrbach!« sprach er, und dabei traf sie ein Blick aus seinen Augen, der ihr das Blut in die Wangen trieb. Sie hatte den Schutz des Allmächtigen gemeint, und der Ritter deutete es auf Jäcklein, hielt sie wohl gar für dessen Geliebte. Zu stolz, sich gegen solchen Verdacht zu verteidigen, wollte sie sich von dem losmachen, der sie so niedrig schätzte, und sich an ihm vorbei zu dem lagernden Haufen wenden. Doch ohne sie zu berühren, hielt er sie fest: »Erlaubt mir eine Frage, Judika! Was hat Euch bewogen, Euch als einziges Weib unter die kämpfenden Bauern zu mischen? Geschah es nur, um Euch von Eurem – Beschützer nicht zu trennen?«
»Und wenn es so wäre, was kümmerte es Euch?« brauste sie auf, durch die zweite Frage, die seinen unwürdigen Verdacht offen aussprach, tief beleidigt.
Er antwortete darauf nur mit einer spöttischen Miene und einer Handbewegung, die besagen mochten: o bitte! durchaus nicht!
Dadurch noch mehr gereizt, fuhr sie fort: »Übrigens kann ich Euch die Frage zurückgeben. Was bewegt denn Euch, als einziger Ritter gemeinsame Sache mit uns zu machen?«
»Ich bin niemand Rechenschaft und niemand Dank schuldig – wie Ihr!« sprach er streng.
»Den Helfensteinern, meint Ihr!« und ihre Lippe kräuselte sich hochmütig. »Überlaßt es mir, wie ich meine Schulden bezahle!«
»Ihr habt auf Schloß Weinsberg Gutes genossen.«
»Ja! viel!«
»Und nichts Übles.«
»Hm!«
»Aber doch tausendmal mehr Gutes, nicht wahr? – und wollt es nun mit Bösem vergelten?«
»Ja! – und Ihr? Ihr seid ja des Grafen und vieler anderer Edlen Freund, Herr Ritter! nicht wahr?«
»Was Fragen über Fragen!« sprach er unwillig. »Ihr seid mir ein Rätsel.«
»Gebt Euch keine Mühe, es zu lösen!«
»Ihr gehört nicht zu den Bauern!«
»Doch mehr als Ihr!« rief sie erregt. »Ich kämpfe mit und für meinesgleichen, Ihr aber wollt das Schwert gegen Euresgleichen ziehen. Der Bauer ist des Ritters natürlicher Feind, wie der Ritter der Feind des Bauern ist und ewig bleiben wird. Darum stehe ich hier auf meinem angeborenen Platze; sie nennen mich alle das schwarze Weib und folgen mir; ich kann mit ihnen machen, was ich will. Ihr aber seid ein Überläufer, ein Abtrünniger Eures Standes.«
»Meines Standes, ja!« erwiderte er. »Aber mein Trachten geht dahin, daß es künftig im Reiche nur noch einen Stand gibt, Gemeinfreie. Darum habe ich meine Ritterschaft von mir abgetan und beschlossen, mein Leben fortan der Sache der Freiheit zu widmen. Ihr habt meinen Schwur gehört, und von dem, was ich gelobt habe, soll mich kein Ritter und kein Pfaff jemals wieder abbringen.«
»Gott lohn' es Euch, was Ihr für uns Arme tun werdet!« erwiderte sie, »auf Euer Wort verlass' ich mich.«
»Das könnt Ihr!« sprach er. »Aber sagt mir doch: Wenn dieser mordgierige Haufen hier meine Burg gestürmt hätte, hättet Ihr dann mitgestürmt?«
Rasch entzog sie ihm ihre Hand und antwortete nach kurzem Besinnen: »Ja!«
»Und wenn sie Feuer angelegt hätten, hättet Ihr Reisig herzugetragen, den Brand zu schüren?«
– »Ja!«
Sie war bei diesen Fragen plötzlich wieder eine ganz andere geworden, herb und zurückhaltend, und beide Male hatte ihr Ja hart und rauh geklungen, doch zugleich wie mit Anstrengung und Überwindung aus der Brust hervorgebracht.
Der Ritter schüttelte langsam das Haupt und sprach mit einem kaum merklichen Lächeln: »Ich glaub' es nicht, Judika, wenn Ihr es auch selber sagt. Das hättet Ihr nicht getan!«
Sie bewegte die Lippen, als wollte sie etwas erwidern, schwieg aber still und blickte seitwärts in die Dorfgasse, wo nichts zu sehen war als ein paar neugierige Gesichter, die aus Türen und Fenstern schauten.
»Ihr schweigt. Judika, ich frage noch einmal: Hättet Ihr das wirklich getan?«
Sie kämpfte schwer, aber dann brach es heftig hervor: »Nein!! ich hätt' es nicht getan. Ich habe versucht, Jäcklein von dem Zuge hierher zurückzuhalten, doch es gelang mir nicht. Wenn sie gestürmt hätten, so hätt' ich Euch geschützt, wie ich es vorhin getan habe.«
»Ich wußt' es wohl, wollt' es nur aus Eurem eigenen Munde hören,« sprach er.
»Habt Ihr mich bei den Bauern vermutet?« fragte sie.
»Nicht im entferntesten. Als ich heute morgen Jäcklein Rohrbach und seinem Haufen entgegenritt, ahnte ich nicht, daß ich Euch begegnen würde, und als ich Euch plötzlich im Gedränge dicht vor mir erblickte, war ich so betroffen, daß ich der Schreihälse um mich her nicht mehr achtete und in die Gefahr geriet, aus der Ihr mich errettet habt.«
»So ist es doch gut, daß ich mitgezogen bin,« sagte sie lächelnd.
»Mußte das sein, Judika?«
»Ja, Herr, es mußte,« erwiderte sie. »Wenn Ihr, der hochgeborene Ritter, Euch der Armen, Unterdrückten hilfreich annehmt, soll ich, die ich unter ihnen lebe und ihre Not, ihr unsägliches Elend besser kenne als Ihr, daheim bleiben? Was tu' ich dort? nichts als mich plagen, und nur für mich selbst. Hier kann ich, auch als Weib, wirken für alle. Es zog mich hinaus mit Übergewalt, ich mußte mit, wie Ihr, wie Ihr!«
»Ich bringe den Bauern ein kriegskundiges Auge und einen waffengeübten Arm zu.«
»Und ich eine haßerfüllte Seele und ein rachedürstendes Herz! Ich will das Eisen schmieden, solang es warm ist, und es mit dem Hauche meines Atems zur Gluthitze anblasen, will mit Wort und Blick die Alten und die Jungen entflammen und selber kämpfend in ihren vordersten Reihen sie fortreißen zu Taten, die wie Zeichen und Wunder die Welt erschrecken sollen. Und wo sie ein Weib voranstürmen sehen, da werden Männer nicht zurückbleiben.«
»Ihr werdet die einzige Eures Geschlechts sein, die sich das unterfängt,« sprach Florian.
»Oh wär' ich die einzige nicht!« rief Judika. »Ich wollte, zu jedem Haufen fände sich eine wie ich, die mit den Bauern einherzöge, die Fahne in der Hand oder die Brandfackel, und ihnen zujauchzte: Vorwärts! nieder mit den Feinden der Freiheit! nichts denn die Gerechtigkeit Gottes!«
Mit Bewunderung blickte der Ritter auf die von Begeisterung Lodernde und Sprühende, und doch schüttelte er mißbilligend das Haupt und sagte: »Und Ihr seht in allen Adligen nur Feinde der Freiheit?«
»Bis sie sich anders ausweisen, ja!« erwiderte sie. »Die Tausende, die im Schüpfergrunde versammelt waren, habe ich beschworen, keinen Ritter und Junker zu schonen, der sich nicht in unsern Bund gelobt. Heiß und blutig wird es hergehen bei dem Werke, das wir begonnen haben, aber anders ist's nicht möglich.«
»Euer Werk!« nahm er ihr Wort unmutig auf, »kopflos und sinnlos habt ihr es begonnen, ohne festen, einheitlichen Plan, ohne obersten Befehlshaber, der die Kräfte zusammenhält oder verteilt je nach Lage der Dinge –«
»Der soll in Schönthal gewählt werden,« warf sie ein.
»Ich weiß und werde dort sein. Aber,« fuhr er eindringlicher fort, »wollt Ihr einen guten Rat von mir hören, Judika?«
Sie sah ihn erwartungsvoll an.
»Geht nach Hause! Überlaßt uns Männern allein das blutige Handwerk! Ihr seid zu gut zur Mordbrennerin und Kriegsfurie. Im Gewühl des Kampfes, in den Greueln der Plünderung, in den Roheiten des Umherschweifens und des Lagerns bei Tag und Nacht geht Euch Euer Bestes und Edelstes verloren. Ihr verderbt Euch Euer ganzes Leben damit. Darum noch einmal. Geht nach Hause, Judika!«
»Wie könnt Ihr mir das noch raten, nachdem ich Euch gesagt habe, was mich bewegt und treibt, was in mir grollt und gärt!« rief sie in zorniger Ungeduld aus. Stolz aufgereckt, fast so groß wie er, mit glühendem Blick und tiefer Falte zwischen den dunklen Brauen stand das furchtlose Weib des Volkes vor dem ritterlichen Mann, und ihre breite, hochgewölbte Brust drohte ihm förmlich entgegen in der wogenden Empörung verletzter Gefühle. »Das Leben aber,« fuhr sie in wachsender Erregung fort, »dieses Leben, wie ich es seit drei Jahren führe, gilt mir nichts. Entweder ich erkämpfe mir ein besseres, oder ich werfe es hin. Eine Kugel oder ein Speer wird es zur Ruhe bringen; im Notfall tu' ich es mit eigener Hand; um mich weint niemand. Solange ich aber lebe, kämpfe ich mit; das hab' ich dem Jäcklein versprochen; er kann mich nicht entbehren, und ich halte mein Wort, wie Ihr das Eure halten werdet!«
»Er kann Euch nicht entbehren, – Schade, Judika! Schad' um Euch!« Es klang so bitter und traurig und zugleich wie ein schwerer Vorwurf, als hätte er gerufen: Schimpf und Schande über Euch!
Da schrie es in ihrem Innern auf: Ihr irrt Euch! ich bin nicht, was Ihr glaubt! Aber sie brachte die Worte nicht heraus; sie preßte die Lippen zusammen und schloß beinahe ganz die Augen wie bei der Niederkämpfung eines brennenden Schmerzes.
Jetzt trat Jäcklein Rohrbach an die beiden heran. Mit der ganzen, unverfrorenen Derbheit seines täppisch bäurischen Wesens, das sich im Bewußtsein seines eingebildeten Wertes und Gewichtes protzenhaft fühlt, redete er sie breit lachend an: »Nun? Freundschaft geschlossen? oder vielmehr alte Bekanntschaft erneuert? Mir ist's recht, wenn Harnisch und Schürze einen Pakt schließen, bei dem wir drei nur gewinnen können.«
Keiner von den beiden antwortete ihm, und mißtrauisch blickte er vom einen zur anderen.
Wie ungebärdig und garstig erschien er Judika in seiner vorlauten Zudringlichkeit gegenüber dem Ritter, der ihr doch eben erst mit seinem halb spöttischen Mitleid viel weher getan hatte als dieser ungeschliffene Bauer mit seinem plumpen Scherze. Und dieses Menschen Geliebte sollte sie sein! ihr schauderte.
Da konnte sie sich doch nicht enthalten, ihm zu bemerken: »Du wählst deine Worte schlecht. Wir haben auch keinen Pakt miteinander geschlossen. Was uns eint, ist dieselbe heilige Sache, die mich und dich zusammengeführt hat.«
»Das mein' ich ja!« erwiderte er barsch. »Sind deine Ohren auf einmal so zimperlich geworden, daß sie keinen Spaß mehr verstehen? Du bist hier nicht in einem fein ausstaffierten Ritterschloß, sondern im Bauernlager, – das merke dir!«
Oho! was für ein Ton? dachte sie. Wollte er hier vor dem edlen Bundesgenossen mit einer Gewalt über sie prahlen, die er gar nicht besaß? Dem mußte gesteuert werden, und mit einem stolzen, verweisenden Blick erwiderte sie scharf: »Ich kenne den Unterschied zwischen Ritterschloß und Bauernlager besser als du, und wenn ich jetzt das letztere zum Aufenthalt wähle, so war dies mein freier Entschluß und Wille, nicht deine Anziehungkraft oder gar die Folge eines Gebotes von dir.«
Ihm schwoll die Stirnader, aber bevor er antworten konnte, nahm Florian das Wort und sagte ruhig: »Auf einem Ritterschlosse war es, wo ich Judika vor Jahren kennen lernte. Ich habe ihr soeben geraten, sich von den blutigen Händeln fernzuhalten und nach Hause zu gehen.«
»Da kennt Ihr sie schlecht!« lachte Jäcklein laut auf. »Ich bin ein sanftmütiges Lamm gegen diese Löwin, die nach Rache brüllt, als hätte man ihr die Jungen geraubt, die sie noch gar nicht hat.«
Judika wandte sich, von Jäckleins Roheit angewidert, schnell ab und begab sich zum Lagerplatz, wo sie nach Klaus Hornschuh ausspähte.
»Wenn Ihr Einfluß auf sie habt, – und ich vermute, Ihr habt ihn, Jäcklein Rohrbach,« sprach der Ritter, als die beiden nun allein waren, »so bewegt sie heimzukehren in ihr Dorf und –«
»Einfluß hat niemand auf sie, auch ich nicht,« unterbrach ihn Jäcklein. »Wenn ich sie aus meinem Haufen verstieße, was ich jedoch keineswegs zu tun gedenke, so würde sie schnurstracks zu einem anderen laufen, nur um sich mit aller Leidenschaft an dem Aufstande zu beteiligen, den sie schürt und nährt wie das Öl die Flamme, denn in ihr steckt eine ganz unbändige Willenskraft. Darum passen wir auch so gut zusammen,« schloß er selbstbewußt und übermütig lachend.
»Ihr habt sie vorher hart angelassen,« sagte Florian. »Das scheint mir nicht die rechte Art, mit ihr umzugehen; sie ist an eine höflichere Behandlung gewöhnt, und Ihr würdet mit Ruhe und Freundlichkeit gewiß weit mehr bei ihr erreichen.«
»Oh, ich stehe auf dem besten Fuße mit ihr. Wir wissen beide, was wir aneinander haben, und sie geht nicht von meiner Seite,« erwiderte Jäcklein mit dünkelhafter Miene.
Florian wollte mit seiner Mahnung den von sich selbst sehr Eingenommenen nur über sein Verhältnis zu Judika ausforschen und blickte ihn nun nachdenklich prüfend darauf an. Aber aus den groben Zügen ließ sich nichts lesen als prahlerischer Trotz und hinterhältige Verschlagenheit. »Kommt,« sprach er dann, »ich will mit dem Wirt des Bieres wegen abrechnen.«
Nachdem dies geschehen war, gingen die beiden selbander zurück zur Dorflinde, wo des Ritters Knechte mit den Pferden seiner warteten. Auf dem Wege dahin sagte Florian: »Noch einmal warne ich Euch, Euch mit Eurem Häuflein nicht in große Unternehmungen einzulassen. Wartet, bis wir größere Streitkräfte beisammen haben und vor allem, bis wir einen obersten Feldhauptmann und einen regelrechten Kriegsplan haben.«
»Schon recht,« erwiderte Jäcklein, »zuvörderst muß ich trachten, Waffen zu erbeuten zur besseren Ausrüstung meines Haufens, nebst Feldschlangen und Scharfmetzen mit Pulver und Stein. In Bütthard habe ich leider wenig gefunden. Außerdem, von der Luft können die Leute nicht leben; sie sind ausgehungert, und wo sie einfallen, da merkt man's, daß sie dagewesen sind, wenn sie wieder abziehen. Jetzt wollen wir nach Tauberbischofsheim, wenn wir heute noch so weit kommen. Dort habe ich mich ansagen lassen, daß sie uns Quartier geben und was zu des Leibes Notdurft gehört.«
Die werden sich freuen! dachte Florian. Bei der Linde reichte er dem Bundesgenossen die Hand: »Also auf Wiedersehen im Kloster Schönthal!«
»Am nächsten Vollmond, – vergeßt es nicht!« erwiderte Jäcklein und fügte leise hinzu: »Metzler hofft, den Ritter Götz von Berlichingen mit zur Stelle zu bringen und ihn zur Annahme des Oberbefehls zu bewegen.«
Als sich Florian in den Sattel geschwungen hatte, sah er sich noch einmal nach Judika um, konnte sie aber nicht entdecken. Langsam ritt er mit den Knechten von dannen, seiner festen Burg Giebelstadt zu. Seine Gedanken aber blieben bei Judika zurück.
Sie war eine andere geworden, als sie auf Schloß Weinsberg gewesen war. Sie erschien ihm noch voller erblüht und höher, als wäre sie noch gewachsen, und reifer geworden, trotziger und von einem unnahbaren, streitsüchtigen Stolz erfüllt, den er früher nicht an ihr bemerkt hatte. In ihrem Wesen lag etwas Mannhaftes, das ihm nicht sonderlich an ihr gefiel. Was mochte sie für Schicksale gehabt haben, daß sie sich als einzelnes junges Weib unter die kämpfenden, blutlechzenden Bauern mischte, deren Bundesgenosse freilich nun auch er selber heute geworden war, er, der Ritter und Burgherr! Sie war in höfischen Sitten erzogen worden, und die Folgen dieser Erziehung und langjährigen Gewohnheit hatten sich auch bei der heutigen unerwarteten Begegnung keineswegs in Judikas Benehmen verleugnet, aber etwas von dem früheren Schimmer war von ihr abgestreift, wie bestaubt und berußt von einer anderen, niedrigeren Art zu leben und zu denken. Besonders im Ton ihres Sprechens hatte sich dies gezeigt und in einer gewissen vorbeugenden Schroffheit. Dazu gesellte sich in ihrem Blick und in ihren sonst so schönen Zügen ein finsterer Ausdruck, der von inneren Kämpfen, von Grimm und Haß und kampfbereiter Entschlossenheit Kunde gab.
Er wußte, daß sie seit länger als drei Jahren nicht mehr auf Schloß Weinsberg, sondern anderswo lebte, vielleicht in Dürftigkeit und Not. Und wo immer es war: mitten unter dem armen Landvolke mußte sie Jammer und Elend in erschreckender Größe gefunden haben. Das Unterdrücken und Mißhandeln hatte sie bei den Helfensteinern mit angesehen, das Unterdrückt- und Mißhandeltwerden aber nun wohl selber in irgendeinem Dorfe erlebt, und so kannte sie die furchtbaren Schäden der Zeit von der einen wie von der anderen Seite. Da mochte ihr das Herz von Haß gegen die Unterdrücker geschwollen sein, und allein und einsam stehend in der Welt, hatte sie sich mit ihrem leidenschaftlichen Sinn und ihrer trotzigen Willenskraft in den Strudel der Bewegung hineingestürzt, um selbst mit Hand anzulegen am gewaltsamen Niederreißen alles zu Unrecht Bestehenden.
So erklärte sich Florian Geyer Judikas tätliche Teilnahme an dem beginnenden Kampfe. Aber wenn er sich auch sagte, daß es nicht des Weibes Pflicht und Aufgabe sei, selber mit in den Krieg zu ziehen und sich mit Rittern und Knechten herumzuschlagen oder die bewaffneten Horden zu blutigen Taten aufzustacheln, so konnte er ihr doch im Grunde seines Herzens nicht grollen darüber. Warum sollte die Begeisterung für die Befreiung des niedergetretenen Volkes nicht ebenso heiß in Weibes Brust erglühen wie in der der Männer, zumal ja die Frauen unter den gegenwärtigen Zuständen mindestens ebenso schwer zu leiden hatten wie jene? Und Judika war kein gewöhnliches Weib. Sie zeigte sich jetzt als eine Auserwählte ihres Geschlechts, die ihre Genossinnen an Einsicht, an Tatkraft und an heiliger Zornglut hoch überragte. Zudem konnte sie durch ihren Einfluß und durch ihr Verhalten in den kriegerischen Aktionen Gutes wirken, wenn sie einerseits gleich einer verführerischen Bannerträgerin des Freiheitsgedankens den Scharen voranzog und sie durch Wort und Beispiel zu Mut und Tapferkeit entflammte, und andererseits mit der angeborenen Milde und Zurückhaltung echter Weiblichkeit, soviel die Stahlherzige davon noch besaß, unnütze Grausamkeiten zu verhüten suchte.
Aber in diese Erwägungen des Ritters mischte sich eine vermeintliche Entdeckung, die ihm, wie dem Auge ein dunkler Fleck auf einem sonst reinen Gewande, ein tiefes Bedauern weckte, ja eine innere Unruhe und Verstimmung erzeugte.
Vorläufig war es nichts weiter als ein Verdacht, der sich ihm jedoch so unabweislich aufdrängte, daß er ihn nicht wieder loswerden konnte. Der Verdacht nämlich, daß Judika sich mit Leib und Seele Jäcklein Rohrbach ergeben hätte.
Eine zwiefach peinliche Empfindung war es, die sich bei dieser Einbildung jetzt seiner bemächtigte. Traf sein Vermuten zu, so waren Judikas Beweggründe zur Teilnahme an den Kämpfen nicht lauter und rein, nicht bloß Mitleid mit ihrem Volke und begeisterter Drang nach Freiheit, sondern auch und vielleicht noch mehr eine leidenschaftliche, ihrer unwürdige Neigung zu jenem rohen Menschen. Und ferner war es ihm ein widerlicher, ein ganz entsetzlicher Gedanke, sich das schöne, junge Weib in den Armen, unter den Liebkosungen dieses Bauern vorzustellen.
Fort und fort mußte er an sie denken während seines Rittes, an sie, die in ihrem Wesen bald etwas Unnahbares, Abstoßendes, bald etwas mächtig und geheimnisvoll Anziehendes hatte, ohne daß sich mit Worten sagen ließ, worin dieser Zauber bestand, denn die Kraft und Schönheit ihrer Gestalt und der fesselnde Ausdruck ihres Antlitzes allein waren es nicht, was ihr alle Herzen gewann. Er hatte ihrer fast völlig vergessen, seit er sie zum letzten Male gesehen, und nun war sie plötzlich wieder in seine Kreise getreten, hatte sogar mit eigener, rascher Hand in sein Schicksal eingegriffen, denn wenn sie heute nicht im rechten Augenblick an seiner Seite gewesen wäre, so lebte er vielleicht jetzt nicht mehr.
Und immer noch ging ihm die Frage im Kopfe herum. gehörte sie dem Jäcklein zu eigen? oder gehörte sie ihm nicht? Sie selber hatte ihm auf seine dahin zielenden Anspielungen keine bestimmte Antwort gegeben, hatte ein vertrautes Verhältnis mit Jäcklein weder offen zugestanden, noch entschieden bestritten. Jäckleins hingeworfene Äußerungen waren schon belastender für Judika, aber sie konnten aus bloßer Ruhmredigkeit getan sein und boten daher keinen festen Inhalt. Auch die heftige und geringschätzige Art, mit der sie seine übel angebrachten Scherze zurückwies, ließ keineswegs auf innige Beziehungen zwischen beiden schließen. Florian nahm sich vor, sich beim Wiederbegegnen mit ihr Gewißheit darüber zu verschaffen und die Alleinstehende womöglich vor dem Unglück, das er in dieser widerspruchsvollen Vereinigung als unabwendlich für sie vor Augen sah, zu bewahren.
Beruhigter ritt er nun seines Weges fürbaß, und bald erblickte er vor sich auf bewaldeter Höhe die Burg seiner Väter, Schloß Giebelstadt. Es war ihm, als schaute sie verwundert und vorwurfsvoll auf ihn herab, als bewegte der hohe Bergfried sein steinernes Haupt mißbilligend hin und her über den heimkehrenden Herrn. Denn ein freier Mann war er heute morgen von der Burg herabgeritten, und ein gebundener ritt er jetzt wieder zu ihr hinan. Der Ritter, der Lebensgenosse der Helfenstein, Rosenberg., Hohenlohe, Löwenstein, Gemmingen und vieler anderer hatte sich in den evangelischen Bund der Bauern eingeschworen und war nun ihr Mitstreiter und Mitempörer. Wie Kletten würden sie sich an ihn hängen, nie wieder konnte er sie von sich abschütteln. Aber das wollte er auch nicht, denn nicht nur sein Arm, auch sein Herz gehörte fortan ihnen und ihrer gerechten Sache. Wie sein gutes Schwert einst für die Unabhängigkeit der Ritter gefochten hatte, so wollte er es jetzt ehrlich und tapfer für die Freiheit des Volkes ziehen. Und als ob diesem Gelübde ein Siegel untergedrückt würde, begrüßte ihn in diesem Augenblick von oben herab der schmetternde Hornruf seines Türmers.