Olga Wohlbrück
Der eiserne Ring
Olga Wohlbrück

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Dora wußte selbst nicht recht, wo sie war. Ins Blaue war sie hinausgelaufen. In den dämmernden Abend hinein. Ziellos. Die Handschuhe hielt sie lose zwischen den Fingern, der Hut saß schief auf dem nachlässig geordneten Haar. Sie lief, als jage sie jemand Bestimmtem nach, als müßte sie etwas einholen – vielleicht ihr eignes Leben – das ihr davonlief, um sich irgendwo einsargen zu lassen, für immer ...

Der Lärm tat ihr wohl, betäubte ihre Gedanken. Und dann war es ihr, als müßte sie mit jemandem sprechen – so sprechen, wie es ihr wirklich ums Herz war. Wie man nie sprach in der Maaßenstraße, wie selbst Ulrike es nicht litt, daß gesprochen wurde. Sie dachte an den Professor. Seine derbe, fast grobe Art schreckte sie nicht. Wenn er sie eine »dumme Gans« nannte, wie er es liebte, dann wollte sie nicht beleidigt sein. Irgend etwas in ihrer Seele hatte sich verrückt, verschoben – da mußten kräftige Hände zugreifen, um alles wieder richtigzustellen.

Der Professor war nicht zu Hause.

Die Tante kam in ihrer runden Fülle ins Vorzimmer heraus, ein Zentimetermaß lag um ihre üppigen Schultern.

»Dorchen ... wo kommst du denn her? Ilse, Grete ... Dorchen ist da!«

Die beiden Töchter, kaum über das Backfischalter hinaus, sprangen herbei, zerrten die Kusine in das große Wohnzimmer.

»Du mußt mein Kleid sehen, Dorchen ... hellblau mit weißen Spitzen,« sagte Grete.

»Und ich rosa mit weißem Chiffon,« sagte Ilse.

Die Hausschneiderin der Familie Delfert saß am breiten Fenster, nutzte noch das letzte scheidende Licht aus zum Herabrasseln der langen Rocknähte.

Duftige Stoffe bauschten sich auf den Stühlen, auf einer Tischecke türmten sich die noch unabgeräumten Kaffeetassen.

»Du mußt schon entschuldigen, Dorchen,« sagte die Frau Professor. – »Wir haben es furchtbar eilig. Fräulein Kruse konnte erst heute von Konsistorialrats abkommen. Die gute Emma hat, glaube ich, gleich eine ganze Ausstattung nähen lassen.«

Sie hatte hochrote Wangen, maß eifrig an einer dunkelroten Samttaille.

»Ist das zu glauben, Dorchen, ich muß mein Kleid wieder um eine halbe Handbreite weiter machen. Bequem muß es diesmal sein. Hermann will das Essen von Huster kommen lassen.«

»Ist es wahr, daß ihr einen Klavierspieler nehmt? Ich freue mich so schrecklich!« rief Ilse.

»Wer ist denn Brautführer?« fragte Grete.

Sie stichelten jetzt alle emsig, mit glänzenden Augen und lachendem Munde.

»Könntest du nicht deine Hochzeit ein bißchen aufschieben, Dorchen, wir werden nicht fertig,« fragte Ilse neckend.

Die Damen lachten alle hell auf, sogar Fräulein Kruse wendete ihr ausgedörrtes Gesicht Dorchen zu und meckerte leise vor sich hin.

»Respekt, Respekt vor der Frau Kriegsgerichtsrat,« rief Frau Professor und schlug mit dem Zentimetermaß nach ihren losen Mädeln.

Es fiel niemandem auf, wie still Dora war. Wie blaß und gequält.

»Wann kommt der Onkel?« fragte sie gepreßt.

»Heute nicht mehr, Gott sei Dank! Gleich nach der Sprechstunde haben wir ihm Hut und Stock gereicht und ihn gebeten, sich auf seine Art zu vergnügen. Heute brauchen wir den Eßtisch zum Zuschneiden. Ja ... ja ... Dorchen ... so eine Hochzeit, das bringt Ravage in die wohlgeordnetste Familie!«

»Ja ... gewiß.«

Dora zog die Handschuhe über die Finger, befestigte ihren Hut, lächelte mit blassen Lippen, zuckte zusammen, als plötzlich die Gasflamme mit dumpfem Knall ihr grünlich-gelbes Licht über den Tisch warf.

»Ich werde jetzt gehen, Tante, grüß' den Onkel.«

Frau Professor Roth blickte auf, betroffen von dem seltsamen Klange der Stimme.

»Ist dir was, Dorchen? Fühlst du dich nicht wohl? Soll der Onkel zu euch kommen?«

Dora wendete den Kopf ab.

»Nein, Tante ... ich danke dir ... Mir fehlt nichts ...«

Frau Roth streichelte mit ihrer molligen Hand das blasse Gesicht der Nichte, lächelte gutmütig mit leisem Zwinkern ihrer hübschen brauen Augen.

»Brautfieber, was?«

Dann legte sie ihren Arm um die schlanke Taille, führte die Nichte bis ins Vorzimmer.

»Das ist der Nachteil, wenn man spät heiratet, Dorchen. Da denkt man zu viel. Da fürchtet man sich vor allerlei. Brauchst dich nicht zu fürchten, Dorchen, bist ein hübsches Geschöpfchen – immer noch. Kannst es mit den Jüngsten aufnehmen. Ja, wenn es Ulrike wäre – bei aller Ähnlichkeit. Ihr seid doch wie Tag und Nacht. Das Altjüngferliche liegt ihr im Blut. Unser guter Hermann kann sich gratulieren. Du bist die hübscheste Delfert, die wir je gehabt haben.«

Sie lachte leise, neigte sich vertraulich zu ihrem Ohr:

»Das weiß er auch, du ... Das hat er selbst gesagt ... Er ist ja wie närrisch in dich verliebt ... wie närrisch! Ach ja! ...«

Sie seufzte ein bißchen melancholisch auf, bemerkte es kaum, wie heftig sich Dora von ihr losriß.

»Grüß' zu Hause, hörst du. Morgen komme ich, mir das Brautkleid ansehen,« rief sie über die Treppenrampe, kehrte dann kopfschüttelnd und ein bißchen pikiert in das Speisezimmer zurück.

»Ulrike hatte recht ... Dorchen ist furchtbar nervös ... ganz furchtbar. So, nun aber fix, Kinder, keine Zeit verlieren!«

Und die Scheren klapperten lustig weiter, und die Nadeln flogen glitzernd mit ihren leuchtenden Seidenfäden durch die Luft, und die jungen frischen Mädchenlippen summten ein frohes Hochzeitsliedchen. Denn man rüstete sich zu einem Freudenfeste der Familie Delfert. –

Dora aber lief weiter durch die Straßen. Sie zählte ihre Barschaft durch in der kleinen seidenen Börse. Für ein Auto nach Moabit langte es. Sie wollte zum Bruder. Der mußte ihr raten, mußte ihr helfen. Er hatte immer viel übrig gehabt für sie, hatte auch früher immer zu ihr gehalten, wenn es mal Differenzen gegeben hatte mit der Mama, hatte sie immer entschuldigt, wenn Ulrike sie anklagte in übertriebener Angst und Strenge.

»Turmstraße,« rief sie dem Chauffeur zu.

Und beinahe schon beruhigt lehnte sie sich in die Ecke, schloß die Augen. Sie fuhr gern Auto, und es war ein seltenes Vergnügen, denn aller Verkehrsluxus war auf den Nebenanschluß des Fernsprechers beschränkt. Dora, die nie zu rechnen brauchte, weil Ulrike das besorgte, stand allen praktischen Fragen des Lebens gegenüber wie ein Kind. Sie reichte niemals mit ihrem Taschengelde, war imstande, bereits am Zweiten oder Dritten des Monats die Schwester »anzupumpen«, ohne auch nur angeben zu können, wofür sie ihr Geld ausgegeben hatte. Ebenso war sie imstande, drei Wochen herumzulaufen, ohne einen Pfennig zu besitzen. Der Besitz des Geldes war ihr gleichgültig; sah sie aber etwas, was ihr gefiel, dann bettelte sie so lange, bis die Mama oder Ulrike es ihr anschafften.

Als das Auto hielt und Dora ausstieg, fragte sie sich plötzlich, was sie dem Bruder eigentlich sagen sollte. Sie wäre am liebsten wieder umgekehrt. Aber sie war blank. Den Groschen für die Elektrische mußte sie sich wenigstens holen. Ja ... und dann ... vielleicht gab es doch noch einen Ausweg. Vielleicht...

Sie wartete es gar nicht ab, bis man sie anmeldete; sie stürmte in das große Erkerzimmer hinein, blieb plötzlich wie versteinert auf der Schwelle stehen.

Thomas Delfert saß in einem Lehnstuhle vor seinem Schreibtisch, ihm gegenüber, in förmlicher Besuchstoilette, aber in der intimen Haltung eines häufigen Gastes, saß eine junge, schöne Frau.

Das Delfertsche Blut spröder Zurückhaltung schoß Dora ins Gesicht.

»Verzeihung ... ich dachte ...«

Sie rührte sich nicht vom Platz, eine strenge, harte Falte grub sich zwischen ihre Brauen. Thomas war aufgestanden. Nicht ohne Verlegenheit ging er der Schwester entgegen.

»Ich freue mich, daß du gekommen bist. Es war schon lange mein Wunsch, dich mit Fräulein Bogatoff bekannt zu machen. Meine Schwester Dora, gnädiges Fräulein.«

Die junge Russin erhob sich mit lässiger Grazie.

»Sehr angenehm. Ich bin sehr befreundet mit Ihrem Herrn Bruder. Hat er Ihnen das nicht erzählt?«

Die dunklen grauen Augen richteten sich prüfend auf Doras gerötetes Gesicht. Dann huschte es wie leichter Spott über die vollen, roten Lippen.

»Ihr Bruder ist viel zu verschwiegen. Von meinen Bekannten wissen es alle, wie befreundet ich mit ihm bin.«

»Hattest du mir etwas mitzuteilen?« fragte Thomas Delfert und drückte die Schwester in einen Sessel nieder.

Dora fühlte noch den kräftigen Druck der kleinen, schmalen Hand, war noch unter dem Banne der grauen Augen, der eleganten und so seltsam reizvollen Erscheinung der Fremden. Das Anerwartete dieser Begegnung lenkte sie von sich selbst ab. Sie stammelte:

»Nichts Wichtiges, nein ... ich wollte nur nachfragen, wie es dir geht.«

»Und darum bist du von der Maaßenstraße hierher gegondelt?«

Thomas Delfert steckte sich eine Zigarette zwischen die Zähne, kaute an ihr, ohne sie anzurauchen.

»Ich gehe jetzt.« sagte Lyda.

»Nein ... warum ... ich möchte nicht stören ...«

Dora hatte keine Routine. Nur den Wunsch, der Situation alles Verfängliche zu nehmen. Sie wirkte merkwürdig befangen, fast ungeschickt. Lyda Bogatoff lächelte wieder.

»Von Stören ist keine Rede, liebes Fräulein. Wir sehen uns so oft, daß wir Zeit genug finden, uns über alles mögliche auszusprechen. Es wird mich freuen, wenn Sie auch zu mir kommen. Ihr Bruder hätte Sie längst mitbringen sollen. Es ist sehr nett bei mir. Junge Künstler kommen, da wird geraucht, Tee getrunken, allerlei kluges und dummes Zeug geplaudert, manchmal getanzt. Aber das liebt Ihr Bruder nicht. Wenn er da ist, sind wir immer sehr brav, rauchen wenig, essen viel Kuchen und Schlagsahne und führen furchtbar ernste Gespräche. Nicht wahr, Thomas?«

Dora zuckte zusammen. Was war denn das nur?! Sie nannte ihn beim Vornamen? Mit fast neidvollen, entzückten Augen folgte sie den anmutigen Bewegungen der Fremden, empfand die verfeinerte Eleganz ihrer Kleidung. Sie war nicht unempfindlich für den Hauch der großen Welt, der von dem schönen, jungen Geschöpf ausstrahlte. Ganz unwillkürlich krümmte sie ihre Finger mit den nicht ganz tadellosen Handschuhspitzen, richtete ihre Gestalt auf, um den Sitz ihres einfachen, grauen Jäckchens zu verbessern.

Mama und Ulrike bestanden darauf, daß Dora jetzt vor der Hochzeit ihre ältesten Sachen auftrug. Sie durfte doch dem guten Hermann der »so viel für die Familie tat«, nicht schon nach einem halben Jahre mit Toilettengeschichten kommen!

»Meine Schwester steht kurz vor ihrer Hochzeit,« sagte Thomas Delfert.

Die junge Russin lachte auf, daß man alle ihre blitzenden Zähne sah

»Ach so ... ja dann ... dann muß ich schon warten, bis Sie mit Ihrem Manne kommen. Also auf Wiedersehen, Fräulein Delfert ...«

Sie schüttelte abermals Doras Hand, drückte die Innenfläche ihres Handschuhs an Delferts Lippen.

»Auf morgen, nicht wahr?«

Thomas Delfert geleitete sie ins Vorzimmer. Die Tür blieb offen. Dora hörte noch ihr volles, weiches Lachen. Dann wurde es still. Als flüsterten die beiden. Schließlich ein weiches, fast zärtliches: »... Nicht zu viel arbeiten, Thomas!« und die Entreetür fiel ins Schloß. Wieder dauerte es eine Weile, ehe Thomas zurückkam. Als müßte er sich sammeln, als müßte er sein Gesicht erst wieder in die würdevollen Delfertschen Falten legen.

Und dann setzte er sich wieder an seinen Schreibtisch, und obwohl er die schlanke Hand vorhielt, wie um dem Lichte der elektrischen Lampe zu wehren, sah Dora doch, wie eingefallen seine Schläfen waren, wie tief die schwarzen Schatten unter seinen Augen lagen. Und etwas wie Mitleid packte sie, die Angst, ihm wehe zu tun mit einer Frage.

»Nun, Dorchen – was ist mit dir, schieß los ...«

Er blätterte, ohne sie anzusehen, in seinen Akten, und seine Augen, aus denen jeder Glanz geschwunden war, blickten fast trübe zu ihr hinüber. Sie wollte auf ihn zugehen, ihm einen Kuß auf die Stirn drücken, mit nichtssagenden Worten aus dem Zimmer schlüpfen, ihm das bißchen Glück nicht verderben, das er sich vielleicht aus der letzten Stunde heraus gerettet hatte – da klopfte es an die Tür. Das Mädchen meldete, der Herr Amtsanwalt würde am Telephon verlangt.

»Du entschuldigst, Dorchen, einen Augenblick ...«

Dora stützte die Arme auf die Knie und verschränkte die Hände unter dem Kinn. Sie wußte – jetzt klingelte Mama an, oder Ulrike oder der Kriegsgerichtsrat. Jetzt herrschte große Empörung in der Maaßenstraße. Wie hatte sie auch fortgehen können, ohne etwas zu sagen, noch dazu gerade als das Brautkleid gebracht wurde. »So eine Rücksichtslosigkeit!« rief die Mama gewiß durchs Telephon.

Thomas Delfert kam wieder herein.

»Also was sind das für Sachen, Dorchen? Das macht man doch nicht! Tante Roth hat der Mama telephoniert – du wärst so auffallend nervös gewesen und plötzlich davongelaufen. Mama ist außer sich. Hermann wird dich mit dem Auto abholen.«

Er sprach erregt, wie immer, wenn die Nervosität der Maaßenstraße auf ihn abgeladen wurde. Und das geschah jedesmal. Obwohl er in der Turmstraße wohnte, wurde er immer als mitverantwortlich zu allem herangezogen, was in der Maaßenstraße vor sich ging. Es war natürlich seine Schuld, daß Dorchen jetzt bei ihm oben saß. Er hätte sie gleich zurückschicken, zum mindesten hätte er telephonieren müssen. Das war keine Art. Eine Braut bei Nacht auf den Berliner Straßen. Ein paar Tage vor der Hochzeit. Wenn ihr jemand begegnete, wenn sie jemand sah! Man konnte doch nicht jedem auseinandersetzen, daß ihr Bruder in der Turmstraße wohnte. Es hagelte Vorwürfe, und schließlich erklärte der Kriegsgerichtsrat begütigend:

»Sage ihr nur, daß ich sie gleich abhole. Sie soll sich nur nicht aufregen.«

Thomas Delfert setzte sich wieder an seinen Schreibtisch und sagte:

»Ich bitte dich ... Dorchen – laß künftig diese Extravaganzen.«

Sie schnellte in die Höhe, und eine dunkle Röte schoß ihr ins Gesicht.

»Sagst du das auch deiner Russin? Es scheint mir denn doch extravaganter, fremde Herren zu besuchen, als den eignen Bruder.«

Er strich mit dem Papiermesser über das grüne Tuch des Tisches, leichte Blässe legte sich über seine Wangen.

»Fräulein Bogatoff ist niemandem für ihr Tun und Lassen verantwortlich. Sie kann machen, was sie will. Dafür ist sie auch schutzlos, es steht jedem frei, sie anzugreifen ... sie zu verleumden.«

»Ich glaube – in dir hat sie ihren Verteidiger bereits gefunden.«

Ganz spitz und hämisch klang es, obwohl sie ihm noch vor wenigen Augenblicken nicht hatte wehe tun wollen, und sie doch selbst den Zauber der jungen Russin empfunden hatte. Alles war wieder aufgewühlt in ihr, ihr ganzes Leben – von dem Tage an, da sie ihrem ersten Verlobten den Absagebrief hatte schreiben müssen und die Schwester ihren Schmerz und ihre heißen Sinne geknebelt hatte mit der Unerbittlichkeit einer Irrenwärterin.

Jetzt wußte sie es: Nur um die Gitterstäbe ihres Familienkerkers zu durchbrechen, hatte sie sich verloben wollen, nur in dem ersten Freudenrausch über die winkende Freiheit waren ihre zärtlich verliebten Worte gesprudelt, nur ein stürmischer Dank war es, der ihrem Befreier galt. Und darum neidete sie der Fremden die Freiheit, die sie mit keinem Opfer zu erkaufen brauchte.

Sie wendete dem Bruder den Rücken, mochte sein blasses, müdes Gesicht nicht sehen – dem sie die Kränkung entgegengeschleudert hatte. Tränen würgten sie.

»Ulrike hätte den Kriegsgerichtsrat heiraten sollen, und ich wäre mit dir zusammengezogen,« stieß sie hervor, abgerissen, mit zuckenden Lippen. Die Spannung löste sich in seinem Gesicht und maßloses Staunen sprach aus seinen Augen.

»Ja, wieso denn, Dora ... Wie meinst du denn das? Das ist doch nicht dein Ernst?«

Heftig, mit bitterem Lächeln fuhr sie fort:

»Uns passen dieselben Kleider, wenn nur eine Delfert in ihnen steckt.«

Thomas stand auf, legte der Schwester beide Hände auf die Schultern, bog ihren Kopf zurück, so daß sein Blick ihre Augen traf:

»Das war einmal. Heute liebt er. Liebt dich – Dorchen – dich. Nicht bloß eine Delfert.«

Mit kalten Fingern löste sie seine Hände.

»Heute ... ja.«

Eine Härte lag in ihrer Stimme, die ihn erschreckte.

Der Kriegsgerichtsrat wurde gemeldet. Er brachte eine Handvoll Rosen mit und den Duft eines starken Parfüms.

»Böses Dorchen! ...«

Aus ihren Augen blinkte etwas wie Haß.

»Wie kann ein Mann sich nur so parfümieren!« sagte sie langsam.

»Aber, Dorchen ... du selbst ...«

Sie hielt ihn mit der Hand weit von sich ab.

»Nein wirklich, das ist schrecklich. Du mußt deine Anzüge auslüften lassen ...«

Der Kriegsgerichtsrat versuchte zu lachen. Es klang gezwungen.

»Sei nicht böse, ich habe zu arbeiten,« sagte Thomas.

»Laß dir Urlaub geben ... du siehst gar nicht gut aus,« meinte der Kriegsgerichtsrat.

»Bald sind die Gerichtsferien. Die paar Monate halte ich es noch aus.«

Dora sah im Hinausgehen noch einmal sein Profil, wie es sich müde und bleich über die Aktenberge senkte.

Im Auto schloß sie die Augen, wehrte mit zuckenden Lippen der zagen Liebkosung seiner Hand.

»Und ich habe mir doch so was Schönes ausgedacht, Dorchen! Eine Überraschung!«

Sie fragte nicht, was er sich ausgedacht hatte. Es interessierte sie nicht. Aber im Ton sowie in der Stimme lag etwas, was sie rührte. Und darum lächelte sie ganz leise und nickte – mit geschlossenen Augen.

»Ich bin so abgespannt, Hermann!« sagte sie fast entschuldigend.

»Ja – natürlich! Du brauchst auch gar nicht mehr zu sprechen und ich werde dann auch gleich nach Hause gehen!«

Zu Hause mußte sie aber doch ihr Brautkleid bewundern. Nur dem »guten Hermann« zuliebe verzichtete Mama auf ein »Gesicht« und stellte keine Fragen. Ulrike aber setzte sich abends an Doras Bett und strich ihr mit der Hand über das festgeflochtene blonde Haar.

»Denke dir, Dorchen ...« sagte sie leise, »wie gut Hermann ist! Er hat eine große Wohnung gemietet, damit wir bei euch bleiben können ... Mama und ich.«

Dora richtete sich auf, ganz steif und starr blickten ihre Augen die Schwester an.

»Damit ihr bei uns bleiben könnt ...« wiederholte sie, »damit ihr ...«

Sie fiel zurück in die Kissen, lag da mit hämmernden Pulsen, fassungslos, wie erschlagen. Immer enger verrammelte sich die Tür ihres Kerkers. Sie griff plötzlich nach dem Halse, als fürchtete sie zu ersticken. Ulrike sprach leise weiter, und ein schöner, feuchter Glanz kam in ihre Augen.

»Wir richten euch ein, während ihr auf der Hochzeitsreise seid. Mama verzichtet sogar auf ihren kurzen Badeaufenthalt. Du weißt, sie hat so viel Geschmack, Mama. Sie muß alles anordnen. Wenn ihr zurückkommt, ist alles fertig. Und du brauchst dich dann auch um nichts mehr zu kümmern, in der Wirtschaft ... um nichts.«

Sie neigte ihr Gesicht ganz nahe auf das Antlitz der Schwester:

»Nur glücklich mußt du ihn machen,« flüsterte sie leise, »nur glücklich ...«

Ein dumpfes Stöhnen löste sich von Doras Lippen.

»Was ist dir, Dorchen?«

»Nichts ... Nur dein Arm ... er drückte mich ... So ... bitte, laß mich schlafen ... Ich bin müde ... Ich muß schlafen.«

Ulrike lachte leise, wie die Schwester sie nie hatte lachen hören.

»Kann ich mir denken, du kleine Ausreißerin. Waren wir unruhig! Nein ... so was darf nicht mehr vorkommen ... Hörst du? Du brauchst ja nur zu sagen, wohin du gehst! ... Der arme Hermann ... die Mama! Du hättest sie nur beide sehen sollen!«

Leise summend kleidete sich Ulrike aus. Methodisch, wie alles was sie tat. Ganz glatt gestrichen lag ihre Wäsche auf dem einfachen Rohrstuhl vor dem Bett. Und dann löste sie das Haar, und prüfte mit einem brennenden Streichholz am Gas, ob auch alles »dicht« sei.

Nachts wachte sie auf, weil ihr war, als hätte die Schwester gerufen oder geschrien.

»Bist du wach, Dorchen?« flüsterte sie.

Nichts rührte sich. Kaum, daß sie ein paar kurze Atemzüge hörte, so schlief sie ruhig wieder ein.

Am nächsten Morgen sah sie, daß die feine Batistkrause um Doras Kissenbezug in Fetzen herabhing.

»Sieh mal, wie unruhig du geschlafen hast, Dorchen. Ich hätte dir doch kalte Umschläge sollen!«


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