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Drittes Kapitel

Während des ganzen nächsten Tages wurden unter Beppos Oberleitung Hütten gebaut. Das braune Völkchen war zutraulich wie Kinder. Jung und alt wollte mithelfen und stellte Fragen über Fragen, die natürlich von unseren Freunden nicht beantwortet werden konnten, weil sie die Sprache der Insulaner nicht verstanden. Mancherlei Vorbereitungen der Eingeborenen deuteten auf etwas Besonderes hin. Ein Mann, offenbar eben erst von der Reise zurückgekehrt, stand inmitten einer horchenden Gruppe und brachte eine Botschaft, die mit großer Genugtuung aufgenommen wurde. Man fragte ihn, und sobald er antwortete, erklangen überall Beifallslaute. Die Männer schlugen mit ihren Lanzen gegeneinander, und selbst die Frauen schienen begeistert und lebhaft erregt.

Beppo nickte vor sich hin, »Krieg,« sagte er, »Krieg. Es kann nichts anderes sein. Dieser Mann hat irgendwo etwas ausspioniert. Wir werden es sehr bald sehen. Leoleo, komm doch einmal her, mein Junge!« winkte er dann einen Eingeborenen heran. »Du, was sagte der Mann dort?«

Der Bursche deutete erst auf die Weißen, dann auf sich selbst. »Stehlen!« sagte er mit einer entsprechenden Handbewegung. »Mann – Stehlen – Schiff!«

Diesmal fuhren die Arme weit auseinander, um einen großen, sehr großen Gegenstand zu kennzeichnen.

»Dachte ich es nicht!« rief Matthias. »Diese Kerle haben Schiffe gesehen und wissen, was Sklavenjäger sind.«

Wiering und der Kapitän beeilten sich, Leoleos Verdacht zu zerstreuen. »Stehlen!« wiederholten beide. »Nein! Nein!«

Aber der Eingeborene glaubte ihnen nicht. »Ja! Ja!« rief er und lief dann davon, wie es schien, sehr froh, aus der Nähe der Weißen fortzukommen.

»Das ist schlimm,« gestand der Kapitän. »Vielleicht glauben die Leute, daß wir auch Sklavenjäger sind und daß unser großes Mann-Stehl-Schiff in der Nähe ist und wir nur gekommen sind, um ihre Wachsamkeit einzuschläfern. Ich sehe deswegen recht trübe in die Zukunft.«

»Weshalb denn, Herr?«

»Weil die Eingeborenen jetzt Verdacht geschöpft haben. Vielleicht rudert man uns eines Tages auf das Meer hinaus und überläßt uns dort unserem Schicksal.«

»Das habe ich auch schon gedacht.«

Beppo schüttelte den Kopf. »Ich denke es nicht,« erklärte er. »Die braunen Gesellen würden jedenfalls fürchten, sich irgendwelchen übernatürlichen Gewalten in die Hände zu liefern; sie halten uns doch für eine Art höherer Wesen, deren Zorn vielleicht den ganzen Stamm zugrunde richten könnte.«

Niemand antwortete. Die kleine Gesellschaft begab sich auf einen am Ufer gelegenen Berg. »Hier wollen wir eine Flagge aus Taschentüchern hissen, damit etwa vorüberfahrende Schiffe darauf aufmerksam werden und uns aufnehmen.« Er hatte noch nicht ausgeredet, als ein leichtes Geräusch die Männer veranlaßte sich umzusehen. Hinter ihnen standen Naguro, Leoleo und mehrere andere Eingeborene, sämtlich bewaffnet. Finstere Blicke trafen die Weißen.

Der Häuptling winkte gebieterisch mit der Rechten. »Kommt!«

Die Eingeborenen gingen schweigend voraus, und sämtliche Weiße folgten ihnen nach. Im Dorfe sahen Frauen und Kinder scheu hinter den Gebüschen hervor. Die umherwandernden Areoi oder Gaukler, die eben angekommen waren, hatten durch ihre Mitteilungen alles Vertrauen zerstört, alles gute Einvernehmen für immer unmöglich gemacht; es gab jetzt nur noch Gefangene und Kerkermeister.

Der Abend ging sehr still dahin. Die Weißen erhielten Lebensmittel und Wasser, aber sobald sich einer von ihnen aus dem Umkreis der Hütte entfernen wollte, wies man ihn mit erhobener Hand zurück. »Dableiben!« hieß es.

Niemand sprach; die Herzen waren an diesem Abend sehr schwer. Edenbrecher lag ausgestreckt auf seiner Matte und sah aus der niederen Türe ins Freie. »Fünf Kerle beobachten uns!« raunte er. »Das ist peinlich.«

Am nächsten Mittag kam durch den Wald ein langer Zug von Männern, Frauen und Kindern, ein befreundeter Stamm, dessen Ankunft schon seit gestern erwartet wurde. Auch diese begrüßten mit Freudensprüngen die Areoi und näherten sich anderseits ganz vertraulich den Weißen, die sie wahrscheinlich im Anfang als zu jenen gehörig betrachteten. Einzelne kamen herbei und rieben lachend die Haut der Europäer, um zu sehen, was daran echt und was Färbung sei; als ihnen aber Naguro von dem Mann-Stehl-Schiff der Fremden erzählt hatte, wurden auch sie scheu und hielten sich in respektvoller Entfernung.

Gegen Abend begannen die Vorbereitungen zu einer großartigen Festlichkeit. Zwei riesige Feuer wurden angezündet und beleuchteten mit Tageshelle den Dorfplatz und die Bühne im Beratungshause. Man fegte und säuberte, trug Trommeln und Flöten, sowie große Vorräte an Lebensmitteln herbei, und endlich zogen sich die Areoi hinter den Vorhang zurück.

Die Weißen hatten sich für das bevorstehende Schauspiel ein günstiges Plätzchen ausgesucht und waren daran in keiner Weise gehindert worden. Hinter ihnen saßen etwa zehn ältere Männer als Hüter.

Die Areoi verstanden es gut, ihre Zuschauer angenehm und lustig zu unterhalten. Ihre kindlichen Scherze lösten oftmals nicht endenwollenden Jubel aus. Nach zwei verschiedenen Vorführungen, die nach Edenbrechers Behauptung dem Kasperle-Theater auf St. Pauli nicht unähnlich waren, folgte eine größere Pause.

Die Speisekörbe wurden geöffnet und Schalen voll Kokosmilch oder Limonade herumgegeben. Auch die Weißen erhielten ihren Anteil. Dann folgte, nachdem gegessen und getrunken war, der zweite Teil des Festes.

Das Muschelhorn stieß seine gellenden Töne hervor. Es war ein Schlachtruf, der da erklang, eine Herausforderung, die sogleich ihre Antwort fand. Von der anderen Seite her kam durch den abendstillen Wald ein ähnliches Geschmetter, Trommeln fielen ein, und eine wahre Katzenmusik erschütterte die Nerven der Weißen.

Dieser zweite Teil des Festes war durchaus ernst gehalten. Man beschäftigte sich in den Spielen mit dem bevorstehenden Kampf: es gab Verluste, und die scheinbar Toten wurden in Kähnen bis an das äußerste Ende der Insel gefahren, um hier in die Gefilde der Seligen einzugehen. Eine sehr ernste und sinnreiche Darstellung, die man diesen Naturkindern gar nicht zugetraut hätte.

Nach Beendigung der Zeremonien begaben sich unsere Freunde, ohne viel zu sprechen, in ihre Hütte.

Der nächste Morgen brachte reges Leben und Treiben. Aus dem Schuppen wurden die Kriegsboote hervorgezogen und mit Lebensmitteln für einen ganzen Tag versehen, man trug die Waffen hinein, die ungeheuren Masken und den als Gegenzauber unerläßlichen Rochenschwanz mit einem Haufen dürrer Pandanusblätter; dann wurden die Stangen mit den dreieckigen Mattensegeln einer genauen Prüfung unterzogen.

Der Häuptling näherte sich den Weißen. Er winkte ihnen, ihm zu folgen. »Gehen!« sagte Leoleo. »Krieg! Schlagen!«

»Aber wir doch nicht?«

»Ja! Ja!«

»Gottlob!« rief der Steuermann. »Hier allein zurückzubleiben, hätte uns gar keinen Gewinn bringen können.«

»Vorwärts also! Vielleicht erleben wir ein besseres Schicksal.«

Es wurde alles zurückgelassen, was die sechs Männer besaßen. Wie sie gingen und standen, so begleiteten sie die Eingeborenen zu den Booten, bei denen sich auch die Areoi eingefunden hatten, allerdings nicht, um den Kriegszug mitzumachen, sondern um in ihren eigenen Fahrzeugen hinauszusteuern auf den trügerischen Ozean und an einer neuen Küste neue Spiele aufzuführen.

Die kleine Flotte verließ den natürlichen Hafen der Insel und stach in das Meer hinaus, nach rechts die Areoi und nach links die Eingeborenen, die vor dieser Reise ihre Bekleidung vollständig verändert hatten. Statt der frauenhaften Matten-Röcke trugen sie nur noch Grasgürtel, während der übrige Körper ganz nackt blieb, und statt der Blumenkränze und aufgebundenen Wülste langherabfallendes, offenes Haar, das bis auf die Hüften reichte. Neben jedem Manne lag außerdem die große, den Kopf vollständig verbergende Maske aus Kokosfasern.

Die Kanus flogen vor günstigem Winde, oft nur mit einer Handbreit Bordhöhe über das Wasser dahin, und bald war jede Spur der Küste den Blicken entschwunden. Es wurde Abend und wieder Morgen, die Insulaner schienen keine Ermüdung zu kennen; sie handhabten Riemen und Segelstangen, als sei die anstrengende Arbeit ein Spiel und als seien Minuten verflossen anstatt vieler Stunden.

Gegen Sonnenaufgang erhoben sich aus dem Meere die Kuppen eines Bergzuges. Etwa eine Stunde später landeten die Kanus, und ihre Insassen betraten das Ufer. Jetzt waren alle maskiert, sie sahen nur, was vor ihnen geschah, konnten aber nicht seitwärts blicken und noch weniger den Kopf umdrehen. Mit geräuschlosen Schritten bewegten sie sich über den Strand, dem weiter oben liegenden Dorfe entgegen.

Matthias war zufällig im Zuge der letzte. An einer scharf vorspringenden Ecke hatten die Boote angelegt. Rechts von den Männern rauschte das offene Meer, begrenzt von Klippen, die sich steil aus den Wellen erhoben, links begann der Wald. Runde Hütten, von grünen Hecken umgeben, tauchten wie Bilder des ländlichen Friedens aus dem Grün.

Noch schlief alles. Keine Stimme wurde gehört, kein Rauch kräuselte empor. Langsam näherte sich den stillen Wohnungen der Feind, der fest entschlossen war, kein Leben zu schonen, kein Dach vor Feuer zu bewahren.

Matthias sah hinüber auf die See. »Ach, wenn doch nur ein Schiff käme!« –

Und da, da drüben – – –

»Maat!« raunte er kaum verständlich und deutete mit der Hand über das Meer.

Edenbrecher wandte den Kopf. »Alle tausend – –«

Und er telegraphierte mit den Augen die frohe Botschaft dem Segelmacher, der sie weitergab, so daß in weniger als einer Minute sämtliche Weiße von der bedeutungsvollen Entdeckung Kenntnis erhalten hatten. Sie sahen einander an, jeder Gedanke war unwillkürlich ein Gebet geworden.

»Ich glaube,« meinte Edenbrecher, »das Schiff kommt näher.«

»Die Wilden denken nur an ihre Rachegelüste. Sie haben uns im Augenblick ganz vergessen, wie es scheint,« flüsterte Wiering.

»Und da wird es zwischen den Hütten lebendig,« setzte Matthias hinzu.

Einzelne Personen liefen hin und her, vielleicht erschreckt durch den Anblick der Kriegsmasken. Es entstand eine plötzliche Verwirrung, die von den Angreifern auf das beste benutzt wurde. Mit betäubendem Geheul, unter dem Schrillen und Schnattern der Muschelhörner, dem Gerassel der Trommel stürmten sie vorwärts, die langen Lanzen eingelegt zum verderblichen Stoße, die Herzen voll Kampflust und unmenschlicher, tierischer Grausamkeit.

Der Kapitän blieb plötzlich stehen. »Das Schiff kommt mit jeder Minute näher hierher,« flüsterte er.

Edenbrecher nickte. »Wir sollten uns also nicht von der Küste entfernen.«

»Da hinauf,« raunte der Steuermann und zeigte nach einer Felspartie ganz in der Nähe.

»In Gottes Namen denn!«

Sie trennten sich von dem Zuge und begannen die Felsschlucht zu erklettern. Minutenlang waren die Eingeborenen viel zu sehr mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt, um die Flucht der Weißen zu bemerken, dann aber ertönten gellende Rufe, und wenigstens zehn oder zwanzig Männer eilten den Entflohenen nach. Sie wirbelten ihre schweren Keulen um die Köpfe und riefen wie aus einem Munde beständig ein Wort, dessen Klang den Weißen ein heimliches Grauen einflößte. »Tötet sie alle!« – Anders konnte es nicht heißen.

Edenbrecher hatte seine zerfetzte Jacke ausgezogen und schwenkte diesen Überrest eines ehemaligen Kleidungsstückes fortwährend durch die Luft. »Das Schiff kommt näher!« rief er. »Es ist nicht anders möglich, man muß uns sehen.«

»Aber vorher noch haben uns die Wilden erreicht.«

Edenbrecher sah über seine Schulter hinweg in das Tal. Ein einziger Blick ließ ihn die Gefahr erkennen. Er drückte die Signalflagge in Beppos Hand und ergriff anstatt derselben einen der vielen Basaltblöcke, die überall umherlagen. »So, Kinder, nun macht es mir nach! – Und Ihr, Maat, schwenkt die Fahne, schwenkt sie, sage ich Euch, dann kann uns der Sieg nicht fehlen.«

Er schleuderte während dieser Worte den Felsblock mitten in die Reihen der Wilden, deren einige sich überschlugen und dann hinkend oder blutend wieder aufstanden.

Jede Hand ergriff Steine, wie ein Schauer riesenhafter Hagelkörner sausten die schweren Geschosse den Feinden entgegen und hinderten diese am Vorrücken, verlangsamten ihren Marsch, aber ohne besonderen Schaden zu stiften.

Ein Freudenschrei von Beppos Lippen übertönte das Gebrüll der siegreichen Farbigen. »Hurra!« rief aus voller Brust der Segelmacher, »Hurra, ein Signal! Wir sind gesehen, die Rettung naht!«

»Beppo, Beppo, komm mit der Pistole!«

Und der Segelmacher tat, was sein Vorgesetzter verlangte, er schoß über die Köpfe der Wilden hinweg in die Luft. Wohl stutzten die Anstürmenden, aber sie wichen nicht zurück. In einer Seitenspalte schienen sie einstweilen die weitere Entwicklung der Dinge abwarten zu wollen.

»Das Schiff ist ein Engländer,« meldete Weber.

»Es liegt back, man setzt ein Boot aus.«

»Seht doch nach den Wilden, sie sind so bedenklich ruhig.«

Edenbrecher wagte sich weit auf den Weg hinaus und schrie dann plötzlich laut auf. »Die braunen Schufte fallen uns in den Rücken. Sie umgehen den Berg und kommen von der anderen Seite.«

Matthias sah, daß alles auf dem Spiele stand; und in seinem Herzen keimte ein rascher, energischer Entschluß. Mitten unter die Wilden, springend, ergriff er Leoleos Arm und drehte den gänzlich Überraschten gegen das Meer. »Mann-Stehl-Schiff!« schrie er ihm ins Ohr, mit bezeichnender Handbewegung die Blicke des Angeborenen auf den Dreimaster lenkend. »Mann-Stehl-Schiff! – Laufen! Laufen!«

Der Insulaner sah auf dem Wasser das große, in eine Wolke von Segeln gehüllte Schiff, sah das dem Lande zustrebende Boot, und ein wahres Entsetzen packte seine Seele. Aufschreiend zeigte er den Genossen, was da unten vor sich ging, Worte voll Todesangst flogen herüber und hinüber, dann ergriffen sämtliche Eingeborene wie auf Verabredung die Flucht, und nach einigen Minuten war die Umgebung so still wie am ersten Schöpfungstage.

Die Weißen sahen einander an. »Matthias,« rief der Kapitän, »deine mutige Tat hat uns gerettet.«

»Du bist wahrhaftig ein ganzer Kerl,« lachte Edenbrecher. »Springt der Bursche da mitten unter die Speere der Wilden!«

Matthias lachte mit. »Das war keine Heldentat,« sagte er. »Die armen Kerle fürchten sich ja vor uns wie kleine Kinder vor dem schwarzen Mann.«

»Aber sie hätten doch auch im selben Augenblick über dich herfallen können. Du hast uns gerettet, Matthias, du bist es, dem wir das Leben verdanken.«

Dann drangen die Stimmen der englischen Matrosen vom Ufer herauf. »Ahoi! Ahoi!«

Edenbrecher legte die Hände an den Mund und gab mit der vollen Kraft seiner Lungen den Ruf zurück. Das war die Rettung, die Erlösung – alle Weißen jubelten laut heraus.

Eine halbe Stunde später befanden sich die sechs Geretteten an Bord des »Old Neptun«.

Offiziere und Mannschaften durchwühlten ihre Kleiderkisten, und es gelang, für alle sechs Geretteten leidlich passende Anzüge zusammenzubringen.

Später versammelten sich alle auf dem Verdeck, und nun erzählte Kapitän Lamberti die Geschichte ihrer Aussetzung.

Als bei dieser Gelegenheit auch der Name Rompano genannt wurde, fuhr der englische Kapitän plötzlich auf. »Ich glaube diesen Menschen zu kennen. Bitte beschreiben Sie ihn einmal.«

Lamberti tat es.

Der Engländer schien sehr zufrieden. »Es ist gut,« sagte er nach einer Pause. »Vielleicht haben Sie morgen um diese Stunde das Verdeck der ›Napoli‹ wieder unter Ihren Füßen, Sir. Ich gebe Ihnen dann meinen eigenen Untersteuermann und sechs oder zehn von meinen Leuten, während ebenso viele Matrosen von der ›Napoli‹ und auch dieser Rompano selbst auf den ›Old Neptun‹ übergehen.«

»Wohin geht der ›Old Neptun‹, Mister Aston?«

»Nach der Insel Ualan. Dort treffen wir auch die ›Napoli‹!«

Lamberti war sehr überrascht. »Wissen Sie das bestimmt, Herr Kapitän?«

»Jawohl, ich bin meiner Sache vollkommen sicher.«

»Und schon morgen können wir Ualan erreicht haben?«

»Bis Mittag, ja.«

»Sie wollen – Sklavenjagd betreiben, Mister Aston?«

Er nickte. »Ja. Glückt das Geschäft, so können Sie ja ebenfalls einen guten Fang machen. Wir gehen dann miteinander nach Südamerika, um zu verkaufen und für Europa Ladung einzunehmen. Die ›Napoli‹ war doch ohne Zweifel auch für den Sklavenfang in die Südsee geschickt?«

Lamberti nickte stumm. –

Auf diesen bewegten Tag folgte eine friedliche Nacht. Das Wetter war herrlich und brachte neue Lebenshoffnung in jedes Herz. Um die Mittagszeit des anderen Tages deutete Mister Aston mit der Pfeifenspitze nach Nordwesten hinaus. »Da liegt Ualan,« sagte er tief atmend. »Ich glaube immer, es schon vor mir aus dem Meer auftauchen zu sehen.«

»Waren Sie denn schon früher hier, Sir?«

»Das nicht, aber – mir hat jemand die Insel sehr genau beschrieben. Einer, der sie kannte.«

Zur Essenszeit, als Bohnen und Speck auf dem Tische dampften, meldete dann auch der Mann am Ausguck das langersehnte: »Land in Sicht!«

»Das ist Ualan,« sagte der Kapitän. »Und diese kleinere Insel Lälan.«

Neben ihm stand Lamberti. »Mein Schiff kann ich nicht entdecken, Sir!« flüsterte er.

Ein frohlockendes Lächeln umspielte die Lippen des Engländers. »Das liegt an der entgegengesetzten Seite,« antwortete er.

»Und jene sonderbaren hellen Punkte, Sir?«

»Das sind die Häuser der zwölf Könige von Ualan-Lälan. Sie, die Irosse oder Urusse, leben abgesondert auf der kleineren Insel, ihre Untertanen dagegen auf Ualan. Begegnet aber zufällig einmal jemand aus dem Volke einem Iros, so muß er sich bei Vermeidung der Todesstrafe gleich auf alle viere niederlassen und darf nicht wagen, dem Gebieter ins Auge zu sehen.«

Der geeignete Punkt, das Schiff festzulegen, war sehr bald gefunden, und nun wurde das Boot ausgesetzt. Alle sechs Männer von der »Napoli« und ebenso viele vom »Old Neptun« nahmen darin Platz, und die Riemen tauchten in das Wasser, um die neue Fahrt zu beginnen.

Man gelangte rasch an die Landungsstelle, die in der schmalen Lagune tag. Ein Mann blieb im Boote, die übrigen machten sich auf, um Kundschaft einzuziehen, besonders um zu erfahren, ob in einer anderen Bucht der Insel die »Napoli« wirklich vor Anker lag, oder ob sie den gastlichen Strand bereits wieder verlassen hatte. Mister Aston legte seine heiße, bebende Hand auf die nackte Schulter eines herbeieilenden Wilden. »Napoli?« fragte er mit eindringlichem Tone. »Schiff Napoli hier?«

»Ja, ja. Rompano – Giulio!«

»Eilen wir!« sagte der englische Kapitän. »Eilen wir! Es gilt jetzt den Elenden zu überrumpeln. Erfährt er von unserer Ankunft, so gelingt es ihm vielleicht, uns noch rechtzeitig zu entschlüpfen, und das wäre ein unersetzlicher Verlust, das darf auf keinen Fall geschehen.«

»Wir sollten also jetzt gleich zum ›Old Neptun‹ zurückkehren, Sir?«

»Ja, unverzüglich. Diesen Eingeborenen begreiflich zu machen, daß sie über unsere Ankunft schweigen sollen, ist unmöglich.«

Lamberti und des Obersteuermanns Blicke begegneten sich. Vielleicht ging jetzt doch noch alles gut und glücklich vonstatten.

»Wollen Sie die ›Napoli‹ mit Waffengewalt nehmen, Sir?«

Der Brite nickte. »Ich nehme das Schiff, um es seinem rechtmäßigen Führer zurückzugeben. Heute noch sind Sie wieder Herr über Ihr Eigentum.«

Kapitän Aston schritt allen voran. »Wir haben an Bord drei Geschütze,« sagte er. »Wieviel besitzt die ›Napoli‹, Sir?«

»Nur zwei,« war die Antwort.

»Das ist gut, das ist herrlich. Die Überrumpelung muß gelingen.«

Und nun entstand ein Wettlauf, der etwas später den Mann im Boote sehr erschreckte. Die kaum ausgeworfenen Anker des »Old Neptun« rasselten wieder empor, alle Segel wurden beigesetzt, und fort ging es in fliegender Fahrt um die Insel herum, bis zur anderen Seite derselben. Hier stoppte der »Old Neptun« seine Fahrt; er lag jetzt Bord an Bord mit dem Italiener.

Rompano runzelte die Stirn. »Was bedeutet das?« fragte er im scharfen Tone. »Ich bin der Kapitän. Was steht zu Diensten, Sir?«

»Nur eine Kleinigkeit, mein guter Mann. Kennen Sie den Herrn hier?« entgegnete Mister Claim, der erste Steuermann des Engländers.

Aus der Kajüte trat auf seinen Wink jetzt Kapitän Lamberti, gefolgt von dem Segelmacher und den vier Deutschen. Rompano stand Auge in Auge denen gegenüber, die er kaltblütig dem Tode in die Arme hatte treiben wollen, um selbst den unrechten Gewinn mit kecker Faust an sich zu reißen.

»Dieser Herr?« wiederholte er, dem Kapitän dreist in das Gesicht blickend. »Wer ist er? Ich kenne ihn nicht.«

»O du Schuft!« schrie Edenbrecher. »Du Galgenholz! Aber warte, es kommt noch ein anderer, der sich dir vorstellen wird.«

Hinter ihm öffnete sich die Tür der Kajüte, und der englische Kapitän trat heraus. Sein Gesicht war fahl, seine Augen glühten wie Kohlen, in der rechten Hand hielt er eine geladene Pistole.

»Schurke! Elender Hund! – Jetzt ist die Rache auf deinen Fersen. Mich zu sehen hattest du nicht erwartet, was? Deine Stunde hat geschlagen!« Aston hob die Pistole, der Schuß krachte; aber der Italiener hatte im rechten Augenblick die Geistesgegenwart wiedergefunden und war mit einem gellenden: »Mir nach!« in das Meer hinabgesprungen. Seine sieben Getreuen und Mitschuldigen folgten ihm ebenso schnell.

Die Sieger sahen einander an. »Hurra!« rief Edenbrecher. »Wir haben gewonnenes Spiel. Die ›Napoli‹ ist unser.«

»Aber Rompano noch nicht. Lebend oder tot – ich will ihn fangen,« rief Kapitän Aston. »Setzt die Boote aus, Leute! Schnell!«

Die beiden größten Boote waren schnell zu Wasser gebracht, und nun wurde die Teilung der Matrosen bewerkstelligt. Mister Claim mit sechs Leuten und dem zweiten Steuermann des »Old Neptun« blieben an Bord, während alle übrigen dem Kapitän folgten. Kugelbüchse, Säbel, Munition, Fleisch und Brot wurden mitgenommen, dann stießen die Boote ab.

Kaum daß die Besatzung gelandet war, trat aus dem Gebüsch eine wahre Jammergestalt hervor, ein Mann, der sich augenscheinlich nur mit Mühe aufrecht hielt.

»Cetti,« rief Edenbrecher. »Cetti, wie siehst du aus!«

»Gnade, Gnade!«

Lamberti winkte ihm. »Komm her, Cetti, was hast du mir zu sagen? Wo ist Rompano?«

»Mit den übrigen nach Lälan! O Herr Kapitän, wenn Sie wüßten, wie uns dieser Mann bis aufs Blut gepeinigt hat, wie er uns mißhandelte und Sklavendienste verrichten ließ! Auch die Eingeborenen hassen ihn tödlich!«

»Was tut er den Leuten zuleide?«

»Ach, Herr Kapitän, das läßt sich nicht schildern; es übersteigt alles Glaubliche. Die Irosse gebieten hier als unumschränkte Herrscher. Was sie befehlen, ist Gesetz, was sie verlangen, muß ihnen sofort geliefert werden. Rompano war klug genug, sich die Freundschaft dieser mächtigen Fürsten zu sichern, und durch sie beherrscht er ganz Ualan.«

Edenbrecher schlug die Hände zusammen. »Weshalb habt ihr den Burschen nicht schon längst totgeschlagen?« rief er voll Erbitterung.

»Ja, Maat,« gestand Cetti, »es ist vielleicht unter uns keiner, der daran nicht schon häufig genug gedacht hätte, aber – wer sollte in diesem Falle die ›Napoli‹ wieder nach Europa oder auch nur nach irgendeinem Orte der zivilisierten Welt über den Ozean bringen? Rompano war der einzige, der das verstand.«

»Aber jetzt ist er es nicht mehr,« rief Mister Aston.

Als er dann den übrigen winkte, ihm zu folgen, bat Cetti flehentlich um Erbarmen. »Laßt mich mitgehen,« sagte er. »Ich kenne die ganze Insel wie meine eigene Tasche, ich spreche die Sprache der Eingeborenen und kann euch vielleicht von Nutzen sein.«

Lamberti sah ihn zufrieden an. »Bist du auch wirklich ehrlich, Junge? Haben wir von dir keinen Verrat zu befürchten?«

»Gewiß nicht, ach gewiß nicht!«

»Dann geh mit,« entschied der Engländer. »Aber eines laß dir gesagt sein, Bürschchen. Begehst du Dummheiten, sitzt dir eine Kugel im Gehirn, ehe du dich dessen versiehst.«

»Vorwärts! Kommt auf diesem Wege bald ein Dorf der Eingeborenen, Junge?«

»In einer halben Stunde, Sir. Da liegen auch die Kähne, auf denen man nach Läban hinüberfährt.«

Aston nickte. »Es ist Vorsicht geboten,« sagte er, »steckt das Volk so tief in sklavischer Abhängigkeit, darf man auf keine Revolution hoffen. Die braunen Kerle werden sich so leicht nicht entschließen, Lälan zu stürmen und den dicken Irossen den Gehorsam aufzukündigen. Es wird also gut sein, die Einwohner durch allerlei Geschenke für uns zu gewinnen. Hallo!« rief er dann einem seiner Matrosen zu, »Snells, Ihr habt doch den Packen mit den bunten Bändern und Tüchern und die Kiste mit den Spiegeln bei Euch?«

»Jawohl, Sir, alles hier.«

Fünf Männer schleppten in der glühenden Hitze die Last auf ihren Schultern durch den Wald. Als nach ziemlich langer Wanderung die ersten Dächer unter dem Grün erschienen, atmeten alle erleichtert auf.

»Hohe, spitze Hütten,« sagte Matthias. »Sämtlich auf Pfählen ruhend.«

»Wie ein Korb ist das halbmondförmige Dach zusammengeflochten.«

»Cetti, wohnt etwa dort ein Unterhäuptling?«

»Ja, Sir!«

»Dann kehren wir bei ihm ein.«

Er öffnete die Pforte in der lebenden Hecke – eine Art Schlagbaum, der zwischen zwei Gabeln lag – und ging festen Schrittes voran.

Das ganze Haus war offen. Den Hintergrund des geräumigen Zimmers bildete eine Mattenwand, aus deren Falten zuweilen weibliche Köpfe hervorsahen, aber bei dem Anblick der vielen fremden Männer schleunigst wieder verschwanden.

Kapitän Aston ließ die mitgebrachten Bündel neben dem Tisch auf den Boden legen und dann die bunte Herrlichkeit auspacken.

»So, Kinder,« ermahnte der Engländer, »nun streut alles umher, hängt bunten Kram an jeden Haken, legt Scheren und Spiegel auf den Tisch, befestigt überall die roten Taschentücher und Bänder!«

Der Befehl wurde schleunigst vollzogen, und schon nach wenigen Minuten begann diese Ausstellung im Urwalde förmlich Wunder zu wirken. Die Falten des Mattenvorhanges verschoben sich zuerst ein wenig, dann gingen sie ganz auseinander, und alte und junge Frauen erschienen im Vorderzimmer, um vor Erstaunen die Hände zusammenzuschlagen. Aber nicht das allein; auch von draußen kamen eilige Schritte, auch hier ertönten Laute des Entzückens, der begehrlichen, neugierigen Freude. Als der Raum nicht mehr Personen zu fassen vermochte, drängten sich die braunen Gestalten, Männer und Frauen, an die Wände, um wenigstens mit den Augen zu genießen, was ihre Hände nicht erreichen konnten.

Ein Ausruf der Verwunderung folgte dem anderen. »Darf man das anfassen?« hatte eine Frau gefragt. Und Cetti antwortete im Namen des englischen Kapitäns: »Ihr dürft alles das nehmen, es ist für euch bestimmt.«

»Für uns? – Nehmen? – Ach nein, nein!«

»Ja, ganz gewiß.« Und nun begann ein Freudentanz, von dem sich keiner ausschloß.

Kapitän Aston befestigte am Arm der Häuptlingsfrau eine Spange aus Messing und farbigem Glas, er legte um ihren Nacken eine ebensolche Kette, während Mula seinerseits eine Taschenuhr erhielt, ein billiges tombakenes Ding mit halbgeschliffenem Werk, doch blitzblank und immer Tick! Tack! sagend, daß das Herz des biedern Häuptlings vor Entzücken hüpfte. »Ein Zauber, ein Zauber,« er wiederholte hundertmal dasselbe Wort.

Und Cetti bestätigte mit geheimnisvollem Winken und Blinzeln diese Überzeugung des Eingeborenen. »Ein großer Zauber. Diese weißen Leute können alles. Die zwölf Könige und ganz Lälan mit ihnen versinken in die Meerestiefe, sobald es die Fremden wollen; also hütet euch, sie zu erzürnen!«

Von Mund zu Mund flog die Mär und erregte sehr verschiedene Empfindungen. Ein Teil der Dorfbewohner stahl sich, alle erhaltenen Geschenke zusammenraffend, davon, um aus Furcht vor den Irossen künftig jeden Verkehr mit den Fremden zu meiden; ein anderer dagegen verfiel in offene Widersetzlichkeit.

Kapitän Aston schürte nach Möglichkeit diese rebellische Gesinnung. »Laßt uns jetzt zur Fähre gehen, die nach Lälan führt! Wir wollen Lälan in aller Form belagern,« sagte er, »wollen die zwölf Könige einmal ein wenig aus ihrer faulen Ruhe aufrütteln, indem wir ihnen den Brotkorb höher hängen. Das wird sie vielleicht bewegen, mir Rompano gutwillig herauszugeben.« Dann begaben sich alle zur Ruhe in die leise schaukelnden Hängematten.

Edenbrecher, Matthias und Kapitän Lamberti hatten die erste Wache. Nach Verlauf einiger Stunden sahen sie eine Anzahl Eingeborener herannahen, die große Körbe mit Lebensmitteln auf den Köpfen trugen. Ihnen voran ging ein Mann mit verhülltem Gesicht und einem seltsam geformten Stabe in der Hand. Augenscheinlich ein Zauberer, der für seine Gönner und Beschützer zu handeln gedachte.

Im Nu war Cetti aus der Hängematte heraus: »Was wollt ihr, Leute, weshalb hast du dein Zauberholz mitgebracht?«

»Es soll die weißen Männer blenden, ihre Kräfte lähmen und ihnen Furcht und Schrecken einflößen.«

»Damit ihr ungestört nach Lälan hinfahren könntet, nicht wahr? Ihr wollt den Irossen Lebensmittel bringen.«

»Das müssen wir, denn sie sind unsere Könige.«

»Kommt morgen wieder,« warf Lamberti ein. »Für jetzt müßt ihr umkehren. Hinüber nach Lälan darf niemand.« –

Der Zauberer schoß einen Wutblick auf ihn. »Und was schenkt ihr mir dafür, Fremde?« fragte er in lauerndem Tone.

»Oh, was das betrifft, so bleibt dir unter allem, was wir besitzen, die Wahl. Komm nur her, Karan-Tee, du kannst allerlei hübsche Dinge erhalten.«

Matthias öffnete eine Kiste mit Spielsachen. »Sieh diese Messer und hier die Trinkbecher, die bunten Bälle!«

Der Mann fuhr sogleich in die aufgehäuften Reichtümer hinein und zog einige kleine Glocken hervor, auch blaue und weiße Perlenschnüre, die er mit der Miene größter Befriedigung an sich nahm und probeweise über den Zauberstab hängte. »So, für heute genügt das,« sagte er. »Ich komme morgen wieder, um mehr Geschenke auszusuchen.«

»Viel Ehre für uns, guter Freund!«

Dann war der Zwischenfall beendet, und die Nacht verging ohne weitere Störung.

Ein heimlicher Triumph funkelte in den Augen des Engländers. »Wir wollen noch ein Boot hierherkommen lassen,« sagte er im vertraulichen Tone, »und auch eine Wache auf dem Wasser einrichten. Alle paar Stunden kann dann die Mannschaft gewechselt werden. In dieser Weise verkürzen wir uns die Wartezeit.«

»Bis Lälan sich aus Hunger ergibt?«

»Natürlich. Von der ›Napoli‹ soll einstweilen die gesamte Takelage entfernt werden, so daß das Schiff unbrauchbar ist, und dann mag der ›Old Neptun‹ seine Stellung genau so nehmen, daß seine Geschütze die Lagune bestreichen. Ich denke, Kanonendonner wird den Wilden Respekt einflößen.«

Der Befehl wurde sogleich ausgeführt und das letzte Boot auf die Lagune gebracht, wo es langsam im stillen Wasser hin und her kreuzte. Als der Abend hereinbrach, glänzte vom Bord ein helles Licht, um den Eingeborenen zu zeigen, daß auch in der finsteren Nacht keine heimlichen Pläne ausgeführt werden könnten.

Wer leer hinüberschwamm, den ließ man ungehindert ziehen, aber alle Kähne und Fruchtkörbe wurden ohne langes Zögern mit Beschlag belegt.

So vergingen drei Tage, und in den sonst friedlichen Hütten tobte ein Kampf, an dem alle teilnahmen – ein Kampf für oder wider die weißen Fremdlinge. Am vierten Tage erschien eine Gesandtschaft im Lager, vier Unterhäuptlinge und der Zauberer mit dem Schleier vor dem Gesicht, braunen, runden Punkten auf dem nackten Körper und dem geschmückten Krummholz, das heute noch als besondere Zugabe mehrere bunte Federflügel und verschiedene Muscheln erhalten hatte.

Karan-Tee trat als Sprecher finsteren Blickes vor den englischen Kapitän und fragte: »Hast du Zeit, eine Botschaft der zwölf Könige anzuhören, weißer Mann?«

Als Mister Aston diese Frage bejaht hatte, fuhr der Zauberer fort: »Die Könige von Lälan-Ualan sind Abkömmlinge der Götter. Ihr Wille ist unverletzlich, ihre Befehle sind Gesetze. So war es immer, und das Volk stand sich gut dabei; Ualan hat nie Unruhen, nie einen Streit gekannt, und seine Bewohner lebten wie eine einzige große Familie – bis zum gestrigen Tag. Von da ab sind die Könige nicht mehr einig, die einen wollten die Italiener freigeben, die anderen nicht. Es entstand zwischen den Söhnen der Götter ein Streit, sie ballten gegeneinander die Fäuste. Sie warfen sich mit Steinen, brauchten häßliche Worte, und wir Untertanen hörten und sahen das Schreckliche, ohne es ändern zu können. Zuletzt entstand ein Übereinkommen.«

»Welches?« fragte der Kapitän.

»Die Irosse lassen euch bitten, auf Lälan zu erscheinen.«

»Glauben sie, daß wir wie die Tiere auf allen vieren gehen werden? Das geschieht nicht.«

Karan-Tee wiegte den Kopf. »Die guten alten Zeiten sind dahin,« sagte er seufzend. »Früher hätte kein Mensch auch nur gewagt, etwas anderes zu denken. Aber König Lelio hat gesagt: ›Meinetwegen können die Weißen auf dem Kopf stehen, wenn ich nur einen Spiegel erhalte.‹ Wollt ihr kommen?«

Der Engländer lächelte. »Es ist gut,« sagte er. »Wir kommen. Geh hin und melde uns für heute nachmittag an.«

Der Zauberer und seine Genossen wurden in einem der Boote übergesetzt, und dann bereiteten sich die Weißen für den Besuch am Hofe vor.

»Wer soll Sie begleiten, Sir?« fragte Matthias den Kapitän.

»Du, wenn du willst. Junge!«

»Hurra, nach Lälan!«

»Zwei Leute müssen an Bord gehen und mehr Waffen und Munition holen,« fügte Aston hinzu, »auch neue Geschenke, besonders einige Spieldosen, für jede Kugelbüchse ein Bajonett und reichlich Taschenpistolen. Vielleicht gibt es mit den Meuterern einen Kampf.«

Der Befehl wurde sogleich vollzogen und in den beiden Booten zur Bewachung der Küste ein kleiner Trupp Matrosen ausgesandt. Zwölf andere mit vier Offizieren schifften sich auf dem dritten Boote nach Lälan ein, am Ufer dieser Insel empfangen von zehn Unterhäuptlingen, die bestimmt waren, den Besuch in das Königsdorf zu führen. Auch unter diesen gärte der Unfriede. Die einen empfingen die Gäste mit lautem Freudenjubel, die anderen mürrisch, ohne ein Wort des Grußes.

»Etwas geht vor,« warnte Cetti. »Wir müssen Augen und Ohren offenhalten.«

Jetzt standen die Weißen vor dem Eingang des Beratungshauses. Cetti trat an die Seite des Kapitäns, um als Dolmetscher zu dienen. Im Hause auf Holzklötzen und feinen bunten Matten saßen die Alleinherrscher von Lälan-Ualan in langer Reihe, lediglich mit dem Gürtel aus Kokosfasern bekleidet und mit einigen Blumen im Haar auf frauenhafte Weise herausgeputzt. Die meisten von ihnen waren dick wie Bierfässer, andere von schöner, männlicher Erscheinung und ernsten, beinahe finstern Blicken.

Nachdem der Zauberer seine Unterredung mit den Irossen beendet hatte, wandte er sich zu unseren Freunden, um sie vorzustellen. »Ihr wißt, wer die weißen Männer sind, Könige von Lälan-Ualan, ihr wißt auch, was sie verlangen – Auslieferung der Italiener.«

»Habt ihr Speisen mitgebracht?« fragte Kerko, indem er sehnsüchtig in seine leere Schüssel hineinblinzelte. »Gebt mir einen Fisch, aber einen großen!«

»Und mir einen Spiegel!«

König Lelio sah von weitem, wie der Leichtmatrose und Matthias die verschiedenen Herrlichkeiten auspackten und recht verlockend hinlegten, er hörte die Klänge einer Spieldose und vergaß den letzten Rest seiner Fürstenwürde. Vom Sitz aufspringend, begann er zu tanzen und wie ein Narr laut jubelnd umherzuhüpfen.

»Schön! Ach wie schön! Das alles will ich haben!«

Kapitän Aston lächelte. »König Lelio ist vielleicht achtzehn Jahre alt,« meinte er. »Da muß man ihm einiges zugute halten.«

Der junge Monarch hatte zwei Spiegel erwischt und konnte, im Vollbesitz dieses Doppelsegens schwelgend, seinem Entzücken nicht gebieten. Was kümmerten ihn die Italiener? Was sollte er in der Ratssitzung?

Annui schlug jetzt sogar mit geballter Faust auf den Holzsitz, daß es dumpf dröhnend widerhallte. »Die Weißen sollen sprechen!« schrie er.

Hauffa stand vom Sitz auf. Seine dunklen Augen blitzten drohend. »Auf Lälan lebten zwölf Irosse,« begann er, »und auf Ualan ein ganzes Volk. Beide waren glücklich, bis ein Schiff mit weißen Männern kam und nun der Hader in allen Hütten losbrach. Die Zeit wurde schwer und das Leben ernst, aber damit noch nicht genug, es erschien auch ein zweites Schiff und brachte andere Weiße, die jenen ersten feindlich gesinnt waren – euch! Ihr habt Ualan besetzt und den Untertanen der Irosse eure Befehle gegeben, als wäret ihr die Herren und Gebieter. Ihr habt die Leute gehindert, Lebensmittel nach Lälan zu bringen und zwölf Könige gezwungen, mit ihren Frauen und Kindern nur Fische zu essen. Urteilt selbst – ist das recht?«

Kapitän Aston verbeugte sich unwillkürlich. Dieser hochgewachsene Mann imponierte ihm wider seinen Willen. »Hauffa,« versetzte er, »du bist ein kluger, erfahrener Mann, sieh darum der Sache auf den Grund und beurteile uns nicht ungerecht. Wir kamen nach Ualan, um die Italiener gefangen zu nehmen, nicht, um die Irosse zu schädigen.«

»Ist dem so,« entgegnete der Irosse, »so nehmt die Leute hin und macht mit ihnen was ihr wollt, aber versprecht uns, einige Kähne mit Lebensmitteln nach Lälan zu senden.«

Kapitän Aston entgegnete: »Es sollen auf der Stelle Lebensmittel gebracht werden, ebenso reiche Geschenke für euch und eure Familien. Jetzt zeigt uns den Weg zur Niederlassung der Italiener!«

Alle Hände deuteten in eine bestimmte Richtung. »Da hinaus!«

»Ich kenne die Umgegend ganz genau,« warf Cetti ein.

Aston verabschiedete sich jetzt von den Irossen und kam auch zum Zauberer, dem er die Hand entgegenstreckte. »Nun, Karan-Tee, wie ist es? Willst du uns begleiten?«

Der Krummholzmann trat schleunigst einen Schritt zurück; in seinen Augen glühte ein unauslöschlicher, lodernder Haß. »Auf Eurer Fährte ist der Vogel mit den schwarzen Flügeln,« antwortete er, »der Tod, der dem Menschen die Augen aushackt und ihn hinausführt aus dem Leben. Hütet Euch!«

Dann stieß er einen schrillen, durchdringenden Schrei hervor, ähnlich dem des Falken, der seine Beute entkommen sieht. Noch ein Drohblick, und Karan-Tee war in den Gebüschen der Dorfstraße verschwunden.

Die Weißen sahen einander verdutzt an. Sie drangen Schritt für Schritt vor, um nicht etwa von den Italienern plötzlich überfallen zu werden. Jeder Mann hielt das Gewehr schußgerecht in der Hand, jedes Auge durchspähte die Umgebung. Ein Kampf auf Leben und Tod stand bevor, das fühlten alle. Rompano würde vielleicht lieber sterben, als sich gutwillig ergeben.

Aus dem Walde hervor trat einer der Unterhäuptlinge. »Das Haus der Italiener ist leer,« sagte er; »aber weil mich Rompano oftmals arg mißhandelte, so warte ich auf den Augenblick, mich an ihm zu rächen. Darf ich euch den Weg zeigen?«

»Das darfst du tun,« entschied der Kapitän. »Wie heißt du?«

»Ni-Kiti, Fremder.«

»Nun gut, Ni-Kiti, hegst du eine Vermutung, wohin sich die Italiener begeben haben können?«

Der Häuptling lächelte in rachsüchtiger Freude. »Ich weiß, wo sie sind,« behauptete er, »folgt mir nur!«

Das geschah. Die Bäume wurden allmählich seltener. Heller und heller durchdrang das Sonnengold die Wipfel, ein erfrischender Wind umspielte die Stirnen, man hatte das Hochplateau der Insel erreicht. Hier erhoben sich aus dem steinigen Boden keinerlei Pflanzen, ganz frei und leer lag die offene Fläche.

»Jetzt müssen wir hier herum!« sagte Ni-Kiti. »Wir könnten sonst gesehen werden.«

»Glaubst du wirklich zu wissen, wo die Kerle stecken, Häuptling?«

Der Wilde deutete auf eine seitwärts unter dem Schatten eines Feigenbaumes gelegene Ruine. »Da drinnen sind sie,« antwortete er. »Ich habe gehört, daß Rompano diese Stelle bezeichnete, daß er sagte: ›In dem versteckten Winkel findet uns niemand.‹ Heisa! – Ich finde ihn aber doch, den Verräter, den Schinder!«

Er schlich bis an die Trümmer und horchte, dann ließ sein zufriedenes Lächeln erkennen, daß er sich nicht getäuscht hatte. Der gedämpfte Schall menschlicher Stimmen war an sein Ohr gedrungen.

Alle atmeten wie befreit. Sie hielten die Kugelbüchsen schußfertig und schlichen pochenden Herzens vorwärts.

Plötzlich riß der Häuptling einen nur angelehnten Basaltblock zur Seite, sprang in eine von drei Seiten umschlossene Vertiefung und kreischte so gewaltig auf, daß es alle, die es vernahmen, unwillkürlich durchschauerte.

Wie der Blitz aus den Wolken fährt, so stürzte sich Ni-Kiti auf sein Opfer, so der kleinen Schar den einzigen raubend, dessen Verwegenheit vielleicht die Entscheidung noch verzögert hätte. Rompanos Gesicht färbte sich unter den würgenden Fäusten des Eingeborenen erst dunkelrot, dann schwärzlichblau.

Der Kapitän riß den Angreifer gewaltsam von dem Körper des Italieners weg. »Nicht so hastig!« rief er. »Der Schurke gehört mir!«

»Nein, mir! mir! Er hat mich geschlagen, hat mein Weib und meine Kinder mißhandelt, um sich an mir zu rächen.«

Astons nervige Faust zog den Steuermann aus dem Winkel hervor und schüttelte den Verräter, daß dessen Zähne klapperten. »Kennst du mich, Halunke?« donnerte er.

Und wieder kam über Rompanos bleiche Lippen nur ein Wort, ein einziges – »Aston!«

Der Engländer lachte. »Du hast ein gutes Gedächtnis, Schurke, eines, das mit den bösen Geistern im Bunde steht. Ich bin wirklich Fred Aston und bin nach Ualan gekommen, um dich zu züchtigen. Jetzt sollst du deine Untaten büßen.« Bald waren sämtliche Meuterer bis auf einen gefesselt, der sich aber auch schon unter Edenbrechers Eisenfäusten krümmte. Ni-Kiti brachte Bastseile herbei. »Ich bin es,« frohlockte er, nach Art aller Wilden die Aufregung seines Innern durch einen Wirbeltanz zum Ausdruck bringend, »ich bin es, weißer Kapitano. Kennst du mich? Entsinnst du dich des Tages, an dem deine Hand mich unbarmherzig schlug, weil ich nicht schnell genug für dich tauchen konnte? – Dafür schnüre ich heute deine Hand in Fesseln, daß sie blutet. Heisa, daß sie blutet!«

Die andern mußten ihn wohl oder übel gewähren lassen. Sein Geschrei, sein wilder Tanz waren nicht zu unterbrechen. Erst als er einigermaßen ausgetobt hatte, schob ihn Kapitän Aston beiseite.

»Jetzt laß mich sprechen, Bursche!«

Dann ruhte auch sein Blick voll Triumph auf Rompanos Antlitz. »Ich will euch auseinandersetzen, was mich nach Ualan geführt hat, und was mir das Recht gibt, über diesen Menschen zu Gericht zu sitzen. Seht, Maaten, er hat heimlich erlauscht, was mir ein anderer vertraute und was niemals zu seiner Kenntnis kommen sollte, daß in den Byssusranken der Meeresbucht von Ualan Millionenschätze von echten Perlen verborgen lägen, daß man nur zuzugreifen brauchte, um ein reicher Mann zu werden. Das warf in seine Seele den Funken, der zu heller Glut aufloderte und für so viele Schuldlose zum verderblichen Brand wurde. – Carlos Rompano hat einen Meineid nicht gescheut, um seiner Absicht zum Sieg zu helfen. Ich bin auf seine Aussage hin verurteilt worden, und während er mich hinter den Mauern des englischen Gefängnisses wohlverwahrt glaubte, hat er ein neues, noch abscheulicheres Verbrechen begangen, indem er sechs Menschen dem Untergange preisgab, um allein mit den Genossen, die er zur Führung des Schiffes notwendig behalten mußte, nach Ualan zu steuern und dort den Millionenreichtum an sich zu reißen. Das ist es, weshalb ich den Elenden aufsuchte, weshalb ich alle Mittel in Bewegung setzte, um seiner habhaft zu werden und ihn zur Rechenschaft zu ziehen. Sagt, habe ich recht oder unrecht?«

»Recht! Recht!« tönte es im Kreise.

»Es ist gut so, Maaten,« fuhr der Engländer fort, »ich danke euch. Wir halten hier in der Einöde, tausend Meilen von den Wohnorten zivilisierter Menschen entfernt eine Gerichtssitzung ab, bei der nach Recht und Billigkeit verfahren werden soll, nicht wie es das Rachegelüst des natürlichen Menschen fordert. Nichts in der Welt würde mich hindern können, dem Schurken ohne Ehre und Gewissen eine Kugel durch den Kopf zu schießen, aber so leichten Kaufes soll er nicht davonkommen, ich will ihn vielmehr nach Europa zurückbringen und den Behörden überliefern, damit er bis an das Ende seines Lebens an jedem neuen Morgen den Fluch des begangenen Verbrechens auf sich nehmen und den Nacken beugen soll unter das selbstverschuldete Joch.«

Er streckte gebieterisch die Hand aus. »Steh auf, Carlos Rompano!«

Als sich der an den Armen ganz und an den Füßen halb Gefesselte knirschend erhob, setzte er hinzu: »Du hast monatelang die zwölf Irosse beherrscht und dadurch das Volk von Ualan zu deinem Dienste gepreßt, du hast den Perlenschatz der Bucht beinahe ganz gehoben, aber was erreichtest du durch alle diese Mühen und Anstrengungen? An Bord der ›Napoli‹ befindet sich keine einzige Perle, der ganze ungeheure Wert liegt also irgendwo im Walde verscharrt, unaufgefunden, ungenutzt, vielleicht bis zum Jüngsten Tage. Deine Gedanken mögen bei deinem Reichtum sein, aber deine Hände sollen ihn nie erfassen. Das, Carlos Rompano, ist der Gewinn, den deine Verräterei dir einträgt.« – – –

Am anderen Morgen holten die Weißen die drei Boote des »Old Neptun« herüber, und nun wurden zunächst sämtliche Gefangene unter sicherer Bedeckung an Bord gebracht, um dort bis zur Abreise in Ketten gelegt zu werden. Rompanos Gesicht war aschgrau; der Blick, mit dem er auf Lälan zurücksah, glich dem eines Irrsinnigen.

Das Lager unter den Bäumen wurde fürs erste noch nicht aufgehoben. Kapitän Aston hatte weitere Geschenke für die Eingeborenen von Bord kommen lassen und schickte Ni-Kiti hinüber und ließ den Einwohnern sagen: »Kommt alle morgen abend nach Sonnenuntergang an die Bucht, meine Boote sollen euch zu den Schiffen bringen, und dann wollen wir ein lustiges Fest feiern. Die besten und schönsten Geschenke liegen für euch bereit.«

Der letzte Satz wirkte wie eine Zauberformel. »Wir kommen!« hieß es. »Wir kommen! Du bist ein guter Mann, Fremder!«

Nur Karan-Tee schien anderer Ansicht. »Der schwarze Vogel rückt näher,« verkündete er. »Die Götter grollen – hütet euch!«

Aston lachte hell auf. »Was könnte uns geschehen? Der ›Neptun‹ hat schon manchem Sturm getrotzt!«

Lamberti schüttelte den Kopf. »Es gibt auch andere Gefahren.« – Nach einer Weile fuhr er fort: »Sie, Aston, wollen wirklich die Eingeborenen an Bord locken und auf diese Weise in die Sklaverei führen?«

»Selbstverständlich – und was ich will ist weniger grausam als eine Treibjagd.«

»Faßt man es so auf, allerdings; aber ich bin zu einer anderen Auffassung gekommen, Sir. Diese harmlosen Geschöpfe haben mich gastlich aufgenommen, als der Hungertod mir und meinen Leuten schon ganz nahe war; auch sah ich ihr Entsetzen, als sie von dem ›Mann-Stehl-Schiff‹ hörten, und so ist es mir unmöglich, für so viele arme ahnungslose Wesen das böse Schicksal heraufzubeschwören.«

Ein Lächeln legte sich auf die Lippen des Engländers. »Well!« versetzte er. »Ich hindere Sie nicht, Sir, aber das gleiche beanspruche ich auch von Ihnen. Machen Sie keinen Versuch, die Eingeborenen zu warnen, das rate ich Ihnen!«

Lamberti wechselte die Farbe und schwieg.

Die Verladung der Muschelschalen begann noch am selben Tage, sehr zum Erstaunen des eingeborenen Völkchens, das nicht begriff, wozu die häßlichen grauen Schalen nützen könnten, das aber bereitwillig immer neue Massen herbeischleppte. Am zweiten Abend schlug endlich die verhängnisvolle Stunde, in der das Schiff des Engländers vom Topp bis zu den Decksplanken hell beleuchtet wurde. Sämtlicher Ballast war während der vorhergehenden Nächte geräuschlos ins Meer versenkt worden, zahllose Handschellen lagen bereit, und hier und da fanden sich wie absichtslos hin geworfen einige derbe Rohrstöcke. Diese letzteren Vorbereitungen für einen abscheulichen Betrug hatten übrigens nicht verhindert, daß große Puddings gebacken worden waren, daß mehrere Kessel voll dampfenden Punsches ihre süßen verlockenden Düfte über die ganze Umgebung dahinsandten und daß Berge von buntem Tand zu jedermanns Belieben an Deck aufgehäuft waren.

Die englischen Matrosen lachten sich ins Fäustchen. Das gab einen mühelosen Fang, einen Reingewinn, von dem ihnen vertraglich ein hübscher Anteil zufallen mußte.

Die Deutschen hielten sich allen diesen Vorbereitungen fern, ebenso der Segelmacher. Es war doch ein ungeheuerliches Verbrechen, die ganze Bewohnerschaft der Insel mitleidslos in Verzweiflung zu stürzen. Von allen diesen Leuten hatte niemand das Wort »Sklaverei« je gehört oder über ähnliche Vorgänge etwas erfahren.

»Ich bringe keinen Bissen über die Lippen,« meinte Matthias. »Das ist ein schmählicher Verrat.«

Gegen Abend kamen in ihren leichten Rindenkähnen die Eingeborenen herbei und wurden von den englischen Matrosen auf das zuvorkommendste empfangen. Es zeigten sich zunächst nur Männer, so daß es leicht war, die vorgesehene »Fracht«, etwa fünfhundert Sklaven, zusammenzubringen.

Aus dem Volkslogis erklang schon Musik, der Koch und die Schiffsjungen trugen den heißen, sehr stark gebrauten Punsch in Gläsern von einem der braunen Gäste zum anderen, gewaltige Stücke Pudding wurden verzehrt, und die Fröhlichkeit der Eingeborenen wuchs von Minute zu Minute. Einigen stieg der heiße Punsch zu Kopf. Sie lachten ohne Veranlassung, begannen zu tanzen und fanden es höchst belustigend, wenn sie über das Verdeck kollerten.

Kapitän Aston gab den Matrosen ein verabredetes Zeichen. »Die Anker herauf!« hieß diese Bewegung.

Zugleich erkletterten die Leute das Takelwerk. Über den Köpfen der Eingeborenen erschien eine Wolke von Segeln, das Schiff geriet in leises Schwanken, die Wellen am Bug zeigten weiße, hüpfende Schaumkronen. Der Koch brachte gerade in diesem Augenblick neuen duftenden Punsch; jemand hatte eine Kiste mit roten Tüchern geöffnet. »Greift zu, Leute, greift zu, ihr sollt haben, was ihr wünscht!«

Langsam ging Kapitän Aston über die Laufplanken an Bord der »Napoli«; er streckte beide Hände zugleich aus.

»Jetzt gilt es den Abschied, Kameraden! Bist ein Narr, Lamberti, daß du dir den eigenen Vorteil verscherzest, solange es noch Zeit ist. Nimm Sklaven an Bord, Mann, und wir machen Geschäft und Reise zusammen.«

Der Italiener suchte ihn abzulenken. »Ist wirklich der Augenblick des Scheidens schon gekommen, Sir? – Dann empfangen Sie nochmals für alle Wohltaten, die Sie uns erwiesen, den herzlichsten Dank. Keiner von uns wird jemals vergessen, was wir Ihnen schulden.«

Die Laufplanke wurde eingezogen und beide Anker rasselten herauf – der »Old Neptun« begann seine neue Fahrt.

Noch merkten die Eingeborenen keine Veränderung; sie standen ja ohnehin nicht ganz sicher auf ihren Füßen und sahen und hörten nicht genau.

Plötzlich gellte ein Schrei des Entsetzens über das Wasser zu den Deutschen. Es schien, als seien diese Menschen jählings aus dem Doppelrausche des Vergnügens und des ungewohnten heißen Getränkes erweckt worden, als sei ihnen die Gefahr ihrer Lage wie durch eine Eingebung plötzlich zum Bewußtsein gekommen. Sie streckten die Arme aus, sie weinten und schluchzten verzweifelt auf. Und vom Lande her fand jeder dieser Klagelaute sein Echo aus dem Munde der verzweifelt am Ufer hin und her rennenden Weiber und Kinder. –

»Furchtbar das alles, eine Gemeinheit,« sagte Matthias tief erschüttert zu den neben ihm stehenden Genossen.

»Wie die Engländer zuschlagen, wie sie die Ärmsten mit Füßen stoßen. Möge ihnen der Himmel vergeben.«

Auf einmal gewahrte man in der Ferne ein bläuliches Licht. – »Was ist das?« – »Bis zu uns hier auf das Verdeck dringt es,« klang es aufgeregt durcheinander.

Zufälligerweise wandte Matthias den Kopf. Ein Schrei der Überraschung entrang sich seinen Lippen: »Allmächtiger Gott, – der Korsar, die ›Blume von Tripolis‹.«

Jetzt erkannten alle, was es mit der seltsamen Beleuchtung des Meeres von dem »Old Neptun« auf sich habe. In geringer Entfernung umschwebte ein heller, bläulicher Schein das Verdeck eines Schiffes, an dessen Großmast eine unheimliche Gestalt mit verschränkten Armen lehnte. Der spitze Hut trug eine Hahnenfeder, das Gesicht war weiß, und um die Schultern lag ein weitfaltiger Scharlachmantel. Es war dieselbe Erscheinung, die vor Monaten vom Bord des Korsaren die Amerikaner zu verhöhnen schien.

»Kapitän Heireddin!« raunte Edenbrecher.

»Und kein Schuß, kein Kampfgeschrei – das ist unheimlich.«

»Vielleicht will der Korsar den Anbruch des Tages erwarten. In zwei Stunden ist es hell.«

»Und jetzt haben auch die Engländer ihn bemerkt. Aha, sie löschen ihre sämtlichen Laternen – sie denken zu entkommen.«

»Wie mit den unglücklichen Eingeborenen verfahren wird – über Bord die einen, hinab in den Raum die anderen. So, jetzt ist alles dunkel.«

Wo trieb das schöne schlanke Schiff? Man sah von ihm nichts mehr.

Und kein Kanonenschuß, kein Anruf, kein Laut vom Deck des Korsaren! Ob es Wirklichkeit war, das Bild des Mannes im Scharlachmantel?

»Seht ihr denn nicht, wie der Kaper manövriert? Er legt sich quer vor die Bucht, – so, nun entschlüpft, wenn ihr könnt!«

Durch das Nachtglas sah Lamberti die beiden anderen Schiffe. Der »Old Neptun« lag back, und der Korsar kreuzte vor der Bucht, er konnte in jedem Augenblick eine Breitseite abgeben, die seinen Gegner vernichten mußte. Niemand sprach. Jeder Mann stand auf seinem Posten, jedes Auge spähte zu dem Korsaren hinüber. Jeder fühlte, ein entscheidender Kampf stand bevor.

Kein Schuß war bis jetzt gefallen. Die Seeräuber hatten es ohne Einmischung ihrerseits geschehen lassen, daß die »Napoli« segelfertig gemacht wurde, und daß sie dem Ausgang der Bucht zusteuerte. Beide Schiffe hatten sich bis auf eine Entfernung von hundert Metern einander genähert. Ebenso der »Old Neptun«. Während der Italiener rechts an dem Korsaren vorüberzugleiten suchte, wollte der Engländer von links das offene Meer erreichen. In diesem Augenblick krachte der Donner der Geschütze. Eine Wolke von Leinwandfetzen und Holzsplittern flog auf das Deck herab. Der Topp des Großmastes schwankte bedenklich, vielleicht würde schon eine zweite Salve genügen, um die ganze Bewegungsfähigkeit des Schiffes und mit dieser auch seine Widerstandskraft lahmzulegen.

Blitzende Pulverflammen liefen wie Schlangen hinüber und herüber durch die Luft. Aus den Geschützen der »Napoli« und des »Old Neptun« schlugen Eisengrüße in den schwarzen Rumpf des Korsaren. Seine Kambüse und sein Kajütendach wurden beschädigt, die Schanzkleidung zeigte große Risse, aber dennoch neigte sich der endliche Sieg auf die Seite der Seeräuber.

Eine neue Salve hatte den Besanbaum der »Napoli« weggerissen und den Topp des Großmastes über Bord geschleudert; jetzt trieb das Schiff allmählich ab und gegen die Küste zurück.

Wieder krachte die neue, todbringende Breitseite. Das Verdeck sah jetzt aus wie glatt rasiert, und die Korsaren erhoben ein lautes Triumphgeschrei.

»Feuer!« kommandierte der Kapitän. »Haltet auf die Masten, Kinder!«

Die Schüsse fielen, aber sie trafen nicht. Immer gefährlicher wurde die Lage der Europäer, bis zuletzt die Korsaren eine Entscheidung herbeiführten.

»Sie setzen Boote aus,« berichtete ein Matrose.

Hier und da erschien ein bunter Turban, flinke Arme brachten die Boote zu Wasser, und ebenso flinke Füße schwangen sich hinein. Von beiden Schiffen fiel ein wahrer Eisenhagel auf die Seeräuber, und mehr als einer stürzte mit gellendem Aufschrei in das Meer; aber für den einen Verlorenen sprangen zehn andere wieder herzu, und trotz des heftigen Kleingewehrfeuers, das jetzt begann, kamen die beiden Boote ungehindert bis unter den Bug der »Napoli«. Die Enterbeile schlugen in das Holz, und an den langen Stielen der Eisenhaken kletterten verwegene Stürmer auf das Deck empor.

Jetzt entspann sich ein entsetzlicher Kampf.

Ein großer, gebieterisch aussehender Mann war der Befehlshaber der ganzen Expedition.

»Schießt so wenig wie möglich, meine Jungen, sondern fangt die Christenhunde lebendig, und euer Anteil wird gut werden.«

Beppo bekreuzte sich. »Das ist Heireddin selbst!« raunte er.

»Ach, wenn wir ihn hängen könnten!«

Der Korsarenkapitän und Edenbrecher rangen in erbittertem Kampfe Brust an Brust. Matthias gesellte sich als dritter hinzu, und vielleicht wäre trotz seiner gewaltigen Kräfte der Korsar besiegt worden, wenn nicht gerade jetzt die Boote einen neuen Zuzug von Mannschaften gebracht hätten. Wie ein Strom ergossen sich die bunten Gestalten über das Verdeck, und dann war alles entschieden.

Heireddin wurde von den Seinigen aus der Gewalt der beiden Deutschen befreit. Es gab noch einen kurzen Kampf, bei dem die ganze Kapitänskajüte in Trümmer ging, und dann waren alle an den Händen gefesselt.

Matthias stand, aus mehreren leichten Wunden blutend, neben Wiering. Beider Herz erfüllte Groll und bitteres Weh. Sie waren Sklaven jetzt, das gleiche wie die armen Eingeborenen, die der Engländer geraubt.

Auf einmal zuckte Wiering zusammen. »Allerbarmender, dort bringen sie den Kapitän.«

»Tot?« fragte Matthias.

Beppo schüttelte den Kopf. »Um eine Leiche würden sich die Korsaren nicht bekümmern. Noch ist Leben in ihm.«

Man legte Lamberti nieder. Matthias, Wiering und Beppo knieten neben ihm. Er bat sie mit matter Stimme, für ihn zu beten.

Der Segelmacher neigte das graue Haupt. Langsam kam das Vaterunser über seine Lippen. Als das Amen verklang, hauchte Lamberti seinen letzten Seufzer aus.

Nachdem die Korsaren das ganze Schiff durchsucht hatten, trieben sie die Gefangenen in die Boote.

»Das Schiff wird verbrannt,« raunte Beppo,

»Beide Schiffe, Maat, auch auf dem ›Old Neptun‹ ist der Korsar Sieger geblieben.«

So war es wirklich. Das Schiff glich einer Stätte der furchtbarsten Zerstörung. Die gesamte Besatzung trug die Fesseln der Überwinder. Gerade in diesem Augenblick vollzog sich auf dem Verdeck eine Szene herzzerreißenden Jammers. Die Korsaren trieben die gefangenen Eingeborenen mit blanker Klinge vor sich her. Hoch erhobene Arme deuteten auf das Meer hinaus. »Fort mit euch.«

Die geängsteten Insulaner drängten sich zitternd aneinander. Konnte man denn von Bordhöhe in das Meer springen, in das Meer, in dem die furchtbaren Haie auftauchten.

Immer rücksichtsloser schlugen die Tripolitaner zu. Das angstvolle Geschrei verstärkte sich, zuletzt sprangen die Beherztesten hinab. Jetzt kämpften sie mit den Wogen, wurden hierhin und dorthin geschleudert und von der Strömung fortgerissen; einer klammerte sich an den anderen, viele versanken, um nie wieder an die Oberfläche zu kommen.

Vom Strande her nahte die ganze Flotte der Rindenkähne. Frauen und Kinder ruderten mit verzweifelter Hast, um den Ihrigen zu Hilfe zu eilen. Ohne Unterschied der Person wurde überall in das Boot geholt, wer es zuerst erreichte. Alles half und förderte, alles stützte sich auf die Treue der Genossen, während an Bord des »Old Neptun« die Verzweiflung herrschte. Kapitän Aston fiel von einer Ohnmacht in die andere; er ertrug es nicht, mit gebundenen Händen die Willkür der Sieger über sich ergehen zu lassen.

Die Korsaren nahmen ihm die Halsbinde ab und wuschen seine Stirn mit kaltem Wasser; dieser Mann war ja vielleicht ein hohes Lösegeld wert. Man mußte ihn also demgemäß behandeln. Auch Rompano und Giulio wurden aus ihrem Gefängnis hervorgeholt, ebenso die mit ihnen verhafteten übrigen Italiener.

Nachdem die Gefangenen an Bord des Kaperschiffes gebracht waren, blieb den Matrosen die Plünderung der beiden Fahrzeuge überlassen. Als beide Schiffe vollständig ausgeraubt dalagen, erfolgte der herrische Befehl, sie anzuzünden. Im Nu setzten sich zwei Boote in Bewegung, und mehrmals kletterten die braunen Gestalten der Seeräuber an Bord. Alles nur irgendwie Brennbare wurde zusammengehäuft – dann flog der zündende Funke hinein, und bald lohten die Flammen hell auf, das Werk der Zerstörung zu vollenden.

Die zweite »Napoli« hatte ihr Schicksal ereilt. Niemand vermochte zu sagen, ob die Kunde von ihrem Untergange jemals in die Heimat gefangen würde.

An Bord des Korsaren setzte sofort ein geregelter Betrieb ein.

Den Gefangenen wurden die täglichen Rationen verabreicht und ihnen ihre Arbeiten zugeteilt; sie sollten künftig die Wachen mit den Tripolitanern zugleich beziehen. Alle Fesseln waren ihnen abgenommen, man ließ sie ungehindert an Deck umhergehen, und auch das Essen war reichlich bemessen, nur eins fehlte, die Hoffnung, der Sklaverei zu entfliehen,

»Das Schiff geht nach Bengasi, der zweiten Stadt des Landes,« sagte eines Tages der Steuermann, »ich habe es von meinem Kollegen, dem würdigen Mustapha, gehört. Ist das der Ort, an dem Ihr zu Eurer Zeit gefangen wart, Beppo?«

»Ja, Herr. Omar-Pascha ist der Befehlshaber der Provinz. Ihm werden wir jedenfalls zuerst vorgeführt.«

»Ihm?« rief Edenbrecher, »das ist bös.«

»Weshalb denn?«

»Er soll ein Teufel in Menschengestalt sein. Ali, der Schiffsjunge, hat mir's gesagt,« setzte er hinzu. »Omar-Pascha haßt ganz besonders die Deutschen. Wenn er einen Deutschen bloß sieht, verfällt er in Raserei.«

»Unsinn, das ist alles Übertreibung! Wir sind jetzt seit Wochen als Sklaven an Bord eines Korsaren, aber könnten wir eigentlich behaupten, daß man uns schlecht behandelt?«

»Nein, nein, das wäre Verleumdung.«

Jetzt war das Mittelmeer erreicht, Marokko und Algier wurden passiert und allmählich kam das grüne Hochplateau von Darka in Sicht.

»Am Fuße dieser Berge liegt Bengasi,« sagte der Alte.

Anstatt freudig auszuschauen, senkten alle Gefangenen mutlos die Köpfe; dunkel wie das Grab lag die Zukunft vor ihnen.


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