Sophie Wörishöffer
Robert des Schiffsjungen Fahrten und Abenteuer auf der deutschen Handels- und Kriegsflotte
Sophie Wörishöffer

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zehntes Kapitel

In den Minen

Eine Minenstadt in den Golddistrikten von Kalifornien ist etwas so ganz anderes, als irgend ein Ort oder überhaupt ein Wohnsitz zivilisierter Menschen, daß für das Verständnis der nachfolgenden Erzählung notwendigerweise erst einige kleine Ortsschilderungen vorausgehen müssen. Während im gewöhnlichen Leben aus den ersten vorläufigen Einrichtungen das Bestehende, während aus dem Notdürftigen das Bequeme, Stattliche langsam herauswächst und von Jahr zu Jahr mit emsigem Fleiße an der gemeinsamen Wohlfahrt gearbeitet wird, herrscht in der Goldstadt das umgekehrte Verhältnis.

Nicht um zu bleiben und für Kind und Kindeskind eine Heimat zu gründen kommt der Mensch hierher, nicht um den Boden urbar zu machen und zu veredeln arbeitet er, sondern nur um der Erde die tiefverborgenen Schätze zu entreißen, und wenn das geschehen, nach neuer Beute spähend weiterzuziehen. Er wagt, er hofft, anstatt zu wissen, er wandert, anstatt zu wohnen, er setzt alles an alles, anstatt in weiser Mäßigung mit den Kräften des Körpers und der Seele hauszuhalten.

Nach diesem Bilde gestaltet sich auch das äußere Leben. Ein hölzernes Gebäude wird notdürftig zusammengeschlagen, das unentbehrliche Gerät aus Blech und Eisen hineingebracht, ein Bett aus Wollendecken auf dem Fußboden hergerichtet und zum Selbstschutz gegen Diebe die erforderlichen Maßregeln getroffen – dann ist das Heim des Goldsuchers fertig. Seine Familie hat er meist in der nächstgelegenen Stadt zurückgelassen, seine Gesundheit darf er nicht ängstlich in Betracht ziehen, sein Leben muß er stündlich in die Schanze schlagen, aber – wenn ihm das Glück günstig ist, kann er nach kurzer Anstrengung in den Kreis der Zivilisation zurückkehren und als gemachter Mann fortan der Bequemlichkeit, dem Ausruhen leben.

Das Ziel verlockt Tausende; wo einer erliegt, da treten zehn an die leergewordene Stelle, wo einer einen reichen Fund gemacht, da scharen sich Unzählige, um des gleichen Segens teilhaftig zu weiden, aber dennoch gelingt es im großen und ganzen nur wenigen, mit leichter Mühe zu einem beträchtlichen Vermögen zu gelangen.

Man denke sich die Straßen einer solchen Goldstadt keineswegs als regelrecht angelegt, gepflastert oder gar beleuchtet, man glaube nicht, daß Bürgersteige vorhanden sind oder daß Polizeischutz bestände. Von allem diesen findet sich keine Spur. Zwei tiefe Gräben von vier bis sechs Fuß durchschneiden in ihrer ganzen Länge die Straße, und auf den Erdwällen zu beiden Seiten wandelt nach Möglichkeit das Publikum. An starkbelebten und daher plattgetretenen Stellen geht die Sache so ziemlich, wo aber nach der Laune irgend eines Miners ein Quergang etwa bis vor die Türe des nächsten Hauses angelegt worden, wo der Regen sich zum Tümpel angesammelt oder die gehäufte Erde einen Hügel gebildet, da hört einfach die Verbindung auf, und wer hinüber will, der mag selbst auf Mittel und Wege sinnen, wie ihm dies kecke Unternehmen gelinge.

Der Miner bezahlt für jeden Zoll des Wassers, welches ihm bei seiner Arbeit hilft, zwischen zwanzig bis fünfzig Cent, er hat das Recht, überall nach Schätzen zu suchen, er läuft die Gefahr, vielleicht umsonst zu graben und umsonst sein kleines Betriebskapital verschwendet zu haben – alles dieses zusammengenommen macht ihn rücksichtslos und hart; er verfolgt die gelben Körner und wäre es bis unter das einstürzende Haus des nächsten Nachbars, er kümmert sich, wie der Dichter sagt, um keinen, und keiner kümmert sich um ihn. Vielleicht zerstört ihm ja der heute bedrohte Nachbar morgen das eigene Dach, also weshalb sollte er weniger tun?

Und als Schutz gegen die zahllosen Verächter des Gesetzes, welche sich in den Golddistrikten sammeln, dient die Schwere der Faust, die Sicherheit des Auges. Der Amerikaner ist durchweg ein sogenannter self-made-man, d.h. durch eigene Kraft emporgekommener Mann, er braucht die Waffe ohne lange zu zögern, er straft auf dem Fleck und macht sich aus einem Menschenleben blutwenig.

Das alles ist Grundbedingung, ist die alleinige Existenzmöglichkeit in den Minenstädten, wo sich der Auswurf aller Länder sammelt, aber es gereicht der Seele zum Schaden und macht den einzelnen unliebenswürdig, raubt ihm alle edleren Eigenschaften des Charakters und läßt von dem, was er vielleicht früher in besseren Verhältnissen gewesen, wenig oder nichts mehr übrig.

Wo der Revolver im Gürtel steckt und das Einschlagemesser ebensowohl zum Brotschneiden als zum Selbstschutz verwendet wird, da hört der Begriff »Gemütlichkeit« vollständig auf, da stockt so zu sagen das innere geistige Leben, und nur das »Soll und Haben« scheint noch einer wirklichen Beachtung wert.

Die Minenstädte und ihre Bewohner bilden eben Ausnahmen, bei denen kein Maßstab des gewöhnlichen, täglichen Lebens angelegt werden kann.

Auch unsere drei Freunde hatten eine schwere Zeit durchlebt, bevor sie sich einigermaßen in den herrschenden Ton von Lenchi, so hieß die Minenstadt, hineingewöhnten. Dies Gebiet lag fast völlig inmitten der Wildnis, seine Erreichung hatte nach Vollendung der Eisenbahnfahrt noch einer mehrtägigen Reise auf Maultier oder Esel bedurft und stellte sich als der erste Anfang einer bewohnten Kolonie vor. In Idaho, dem ursprünglichen Ziel ihrer Reise, war aber den Goldsuchern gesagt worden, daß Lenchi bedeutend besseren Erfolg verspreche, weshalb sie unter Aufopferung der letzten baren Mittel die nochmalige Wüstenreise unternahmen und erst nach weiteren sechs Tagen an ihrem Bestimmungsorte anlangten.

Robert befand sich so ziemlich in seinem Elemente, aber der arme Gottlieb führte das Dasein eines Märtyrers. Während der ersten Nacht wanderte er ruhelos wie ein irrendes Gespenst durch das hölzerne Haus, in dem alle drei Quartier genommen, jeden Augenblick vor Schreck zusammenfahrend, jeden Augenblick erwartend, daß der Sturm, welcher über die Waldwipfel dahinfegte und sogar durch die zahllosen Spalten der Bretterwände bis in das Haus hineinfuhr, den ganzen luftigen Bau auf seinen Schwingen davontragen und zerschellen werde.

Ein Verwandter des berüchtigten texanischen »Norther«, brauste dieser Sturm, eisige Regentropfen mit sich bringend, unter klagendem, langgehaltenem Heulen durch die Wälder, entwurzelte die uralten Baumriesen und peitschte die Wellen der kleinen Flüsse, daß sie rings ihre Ufer weit überfluteten. Am Himmel ballten sich schwarze Wolken, donnernd bald und bald ächzend zerrissen die Windstöße die Luft, prasselnd fiel der Regen auf das Schindeldach. Erst einzeln, dann immer schneller und stärker drangen die Tropfen bis in den inneren Raum des Holzverschlages, welcher unseren Freunden als Schlafgemach diente. Gottlieb, den das Grauen nicht zur Ruhe kommen ließ, flüchtete mit seinen Decken in einen anderen Winkel, aber auch hier kamen ihm die plätschernden Fluten nach, und mit stiller Verzweiflung setzte er sich endlich auf den Tisch – schlafen konnte er ja doch nicht.

Robert und Mongo waren wirklich ganz verhärtete Seelen. Sie hatten ihn ausgelacht, als er von seinen vielfachen Befürchtungen sprach, und schliefen jetzt ungestört weiter, obgleich der rücksichtslose Regen an ihren Kleidern herabrieselte und von oben in ihre Stiefel hineindrang. Gottlieb saß regungslos auf dem weißen, grobgezimmerten Tisch. Seine Gedanken weilten in dem abgebrannten, kleinen Krämerhause, seine Erinnerung schwelgte in dem Bilde des zierlich aufgeputzten Schaufensters und der blankgescheuerten Gewichte; er wischte von Zeit zu Zeit die Tränen aus den Augen, obwohl kein Laut verriet, daß er sich zum Sterben unglücklich fühlte.

Nur wenn im Walde ein Coyote das wilde Geheul erschallen ließ, wenn ein Raubvogel kreischend über das Dach dahinflog oder ein gehetztes Tier eilends an der dünnen Wand vorbei huschte, fuhr er jählings auf, um zu horchen. Der Schweiß seiner Stirn wurde kalt, der Atem stockte, die Hände hoben sich wie zu einer Beschwörung, bis wieder alles in die frühere Stille zurücksank und des einsamen Träumers Gedanken ihren Faden fast unbewußt fortgesponnen.

Robert und der Neger schliefen. Ersterer nahm, wie wir wissen, die Dinge nie von der schlimmen Seite, und Mongo war zu sehr an den Wechsel des Lebens gewöhnt, als daß ihn irgend etwas hatte um seine Nachtruhe betrügen können. Erst gegen Abend hatte man den Ort erreicht, mit genauer Not ein Unterkommen gefunden und im allgemeinen von den Goldgräbern nur Klagen gehört – man mußte also Leib und Seele stärken, um morgen den Kampf mit einer fremden Welt festen Fußes aufnehmen zu können, und dazu gehört vor allen Dingen ein ruhiger Schlaf.

So viel Lärm und Toben die Hütte umgab, es störte niemand als den armen Gottlieb, der sich in diese halbwilden Verhältnisse durchaus nicht hineinleben konnte, und dessen Einbildungskraft emsig beschäftigt war, sich Schreckensbilder heraufzubeschwören. Bald glaubte er draußen das Schnaufen eines Bären deutlich zu unterscheiden, bald dachte er an die vernichtenden Folgen eines Büffelzuges, der sich natürlich gerade über diese Hütte dahinwälzen würde, und ein anderes Mal glaubte er bereits zu fühlen, wie der Sturm die Wände bog. Es waren Höllenqualen, welche er während dieser ersten Nacht im Goldlande erlitt.

Und als der neue Tag anbrach, da begann die Plage. Es mußten Gummistiefel zu enormen Preisen auf Borg gekauft werden, ebenso Hacke, Mulde und Schaufel. Der jüdische Händler berechnete sich die unverschämtesten Preise, aber unsere Freunde konnten nur noch froh sein, daß er überhaupt die Bezahlung stundete; sie wären ohne ihn vollständig außerstande gewesen, irgend eine Arbeit zu beginnen.

Das Wasser kostete hier in Lenchi kein Geld, aber dafür war es auch, anstatt eines wohleingerichteten, nach Bedarf zu verwendenden Stromes, nichts als ein Gebirgsquell, dessen herabstürzende Arme die Goldwäscher ihren Gängen zuleiteten und sich so das unentbehrliche Element dienstbar machten. Unsere Freunde konnten jetzt wählen, ob es ihnen vorteilhafter schien, selbst eine Mine anzulegen, vielleicht zufällig an ganz goldleerer Stelle, oder ob sie in dem schon als fruchtbar erkannten Gange eines früheren Besitzers die Erlaubnis zum Graben bezahlen sollten. Der jüdische Kaufmann lieh auch Gelder gegen hundert Prozent Zinsen – er bot sogar Summen unaufgefordert an.

»Wir nehmen es!« rief Robert. »Zu verlieren haben wir nichts, also kann der Schade nie auf unserer Seite sein. Daß wir mittellos sind, weiß der Herr ja, er handelt also freiwillig und darf sich später nicht beklagen.«

»Wir nehmen das Geld,« meinte Mongo, »und legen dann selbst unsere eigene Mine an. Wenn der hebräische Schelm nicht wüßte, daß hier das Geld nur aufgehoben zu werden braucht, so würde er uns keinen Cent borgen, darauf verlaßt euch.«

Robert nickte. »Ganz meine Meinung,« setzte er hinzu.

Gottlieb allein schüttelte den Kopf. »Die schweren Zinsen können wir nicht geben,« beteuerte er. »Man sollte lieber den Betrüger anzeigen.«

Mongo lachte freundlich. »Wo denn?« fragte er. »Etwa bei den Tieren des Waldes, oder bei den Goldwäschern, die er vermutlich alle in Händen hält?«

Gottliebs kaufmännische Seele empörte sich immer mehr. »Solche Vampyre,« sagte er heftig, »solche Halsabschneider. Es ist eine Schande, mit ihnen zu verkehren. Wenn ich dem Juden hundert Prozent verspreche, so stehle ich dies Geld meinen Eltern.«

Robert zuckte die Achsel. »Tust du es nicht, Gottlieb, so wirst du vielleicht nie imstande sein, Bild ihnen einen einzigen Taler zu geben. Was ist nun schlimmer?«

»Ihr seid also entschlossen?« fragte Gottlieb.

»Wir müssen, Kind,« nickte der Neger.

Und noch am selben Tage wurde der Handel abgeschlossen. Zähneknirschend unterschrieb Gottlieb den Wechsel, welcher ihn verpflichtete, nach drei Monaten die Summe von einhundert Dollar an Samuel Ekiwa zurückzuzahlen, wofür ihm die Hälfte dieses Geldes bar geliefert wurde. Ebenso unterhandelten Robert und Mongo. Dann pachteten sie von einem Minenbesitzer das Recht auf gewisse Strecken der Rinne, und die Arbeit begann.

Robert, als der Kräftigste und Entschlossenste, hackte die Erde von den Seiten des Ganges, Mongo warf mit einer großen Eisengabel die Steine heraus, und Gottlieb schüttelte die nasse Erde in einen wiegenähnlichen Kasten mit darunter befindlichem Sieb, das die in Schlamm verwandelte Erde hindurchfließen läßt, während sich die Goldkörner auf einem losen Wollentuch festsetzen.

Gottlieb jubelte laut, als Samuel Ekiwa den Ertrag des ersten Arbeitstages auf zwanzig Dollar abschätzte. Das gab über sechs Dollar für den Mann, während doch der Verbrauch nach seiner Meinung höchstens fünfzehn Groschen deutsches Geld betragen durfte. »Ich wenigstens kann damit reichlich auskommen,« versicherte er, »und wenn – –«

Das Spottlächeln des Hebräers unterbrach den angefangenen Satz. »Sie lassen sich speisen aus dem Store (Gasthaus), nicht wahr, Sir?« fragte Ekiwa.

Gottlieb bejahte. »Ein Glas Bier und eine Portion Brot zum Frühstück,« versetzte er, schon von schlimmer Vorahnung erfaßt, »dann ein Mittagessen, Kaffee, und am Abend Tee mit Brot. Das kann höchstens fünfzehn Groschen kosten.«

Der Jude zog seine Schultern bis an die Ohren empor. »Werd' ich Ihnen bemerken die Preise in den Minenstädten,« versetzte er mit halbgeschlossenen Augen und während er an den Fingern zählte. »Da ist das Glas Bier von heute morgen mit einem Vierteldollar, da ist –«

Bild

»Um Gottes willen!« unterbrach ihn schreckensbleich der junge Krämer, »was sagen Sie? Das kleine Glas Bier sollte –«

»Einen Vierteldollar kosten, ja,« ergänzte Ekiwa. »Das Brot mit Butter einen halben Dollar, das Mittagessen drei Dollar, das –«

»Barmherziger Gott, ist man denn einer Räuberbande in die Hände gefallen?«

»Das Bier und Brot wie am Morgen,« ergänzte der Jude, »der Kaffee außerdem einen halben Dollar. Was wollen Sie, Sir, man muß alle diese Dinge unmäßig teuer erkaufen, man zahlt für die Fracht allein volle fünfzehn Cent Gold für das Pfund und zwar auf eine Strecke von vierhundert Meilen. Das berechtigt den Verkäufer, in gleicher Weise selbst verdienen zu wollen.«

Gottlieb hatte während dieser Auseinandersetzung bei sich berechnet. Also vier Dollar Zeche für einen Tag, an welchem er keine Zigarre geraucht, kein Stück Käse zum Brot gegessen, keinen Schluck Branntwein getrunken. Vier Dollar! Was blieb ihm von seinen sechs, die er im Geiste schon als ungeheuren Reichtum angesehen, wenn nun auch noch die Kosten für Wohnung, Wäsche und Fußzeug hinzukamen?

»Wie ist es denn mit der Miete?« fragte er ganz ratlos. »Was kosten hier ein Paar neue Stiefel?«

Der Jude zuckte die Achsel. »Miete ist wenig,« versetzte er, »darauf läßt sich kein Geschäft gründen, weil jeder vernünftige Mensch sein Haus selber baut. Stiefel werden zu fünfundzwanzig Dollar abgegeben, Strümpfe zu einem Dollar.«

»Herr des Himmels, das ist unerhört,« ächzte Gottlieb.

Hier mischte sich Robert in das Gespräch. »Ein Haus sollten wir uns bauen, Sir?« fragte er. »Darf man denn das hinstellen, wo es einem gefällt?«

Der Jude nickte. »Hier in Lenchi, ja,« versetzte er. »Das Land gehört der Regierung, das Holz liefert der Wald und das Gerät borgt man. Nur die Nägel müssen Sie von mir kaufen.«

Gottlieb sah auf. »Zu welchem Preise, Sir?«

»Das Stück für einen Vierteldollar, mein junger Freund.«

»Gott erbarme sich. Der Nagel zu acht Pfennig ist in Deutschland der teuerste.«

Der Jude zog ein verdrießliches Gesicht. »Warum sind Sie nicht dort geblieben, wo alles so viel besser und angenehmer ist als hier?« fragte er.

»Lassen Sie uns die Rechnung abschließen, Sir,« ermahnte Robert. »Vier Dollar braucht man den Tag, um sich satt zu essen, einen fünften für Wohnung und sonstige Kleinigkeiten – also behalten Sie den Überschuß zur langsamen Tilgung unseres Wechsels. Aller Anfang ist schwer, das müssen wir bedenken, ehe wir die Verhältnisse ungünstig nennen.«

Der Jude nickte lebhaften Beifall. »Very well!« rief er, »Very well, Sir! Seid gerade der Mann, wie ihn Amerika braucht. Habt Kopf und Fäuste auf der rechten Stelle. Müßt euch zum nächsten Sonntag, wenn nicht gegraben wird, ein Haus bauen, ein paar Decken kaufen und euch Stühle und einen Tisch zimmern. Umgebrochene Baumstämme findet ihr zur Genüge.«

Die beiden andern wandten nichts ein, und so wurde der Handel nach Roberts Sinn zum Abschluß gebracht. Während der ganzen Woche arbeiteten unsere Freunde vom Morgen bis zum Abend, aber ohne doch mehr als achtzehn bis vierundzwanzig Dollar zu verdienen. Sie erhielten sich mithin durch eigene Kraft, konnten jedoch keinen Cent erübrigen und mußten sogar die für den Hausbau erforderlichen Nägel von dem Juden auf Borg kaufen. Dabei aber behielt Robert seinen unzerstörbaren Mut. Er freute sich wie ein Kind auf den Sonntag, wo der Hausbau beginnen sollte, und jubelte laut, als er mit Mongo hinauszog in den blättergrünen Wald, um Pfähle und Balken zu schneiden.

Gottlieb mußte unterdessen den Bauplatz von Gewächsen reinigen, das Gerät borgen und das Eisenwerk für Fenster und Türen, sowie die notwendige Glasscheibe von Samuel Ekiwa einkaufen. »Wir können ihn hier doch nicht brauchen,« hatte Mongo gesagt. »Jeden dürren Ast würde er für eine Klapperschlange halten und jeden Hund für einen heranschleichenden Wolf.«

Robert lachte übermütig. »Komm, Mongo,« rief er, »laß uns zum zweitenmal in die Wildnis vordringen und sehen was sie birgt. Wer in der Wüste den Weg fand, der wird ja wohl auch hier ans Ziel gelangen.«

Und die beiden wanderten fürbaß. Der Herbst färbte das Laub mit gelben und roten Schattierungen, die meisten Blumen waren verblüht, das Moos am Boden zeigte jenes tiefdunkle Grün, welches dem Verdorren vorangeht, und mit kühlerem Hauche wehte es von den Felskuppen herab. Aber dieser Zeitpunkt ist der schönste des ganzen Jahres. Die Sonne vergoldet eine Farbenpracht, wie sie der Frühling nicht aufzuweisen hat, ihre Strahlen erwärmen, ohne zu brennen, ihr Licht fällt gleichsam halbverschleiert aus weißem Gewölk herab, und die Luft ist erfüllt von berauschendem Tannenduft. Der Schritt des Wanderers verhallt wie auf dichtem Teppich, hoch in unerreichbaren Weiten kreist ein schwarzer Punkt, – ein Raubvogel – und in den Zweigen jubiliert ein Sängerchor von tausend Stimmen.

Mongo und Robert wanderten am Ufer eines jener kleinen Flüsse, mit denen das Goldland wie mit einem vielarmigen Netz überspannt ist. Alles war still wie in einem weiten Dom, nur zuweilen schoß irgend ein Tier durch das Gebüsch oder schallte der Kriegsruf des Falken durch das Konzert der gefiederten Sänger. Am Ufer blühte noch das Vergißmeinnicht; die Vogelbeere neigte ihre reifen Früchte an schwankenden Zweigen über das Wasser herein, und hohes Schilf füllte die Buchten. An einer Stelle war eine uralte Eiche, der Länge nach vom Blitz gespalten, quer über das Flüßchen gefallen und bildete solchergestalt eine Brücke, auf welcher Robert mit Vergnügen herüberschritt.

»Erst ein Bad, Mongo,« sagte er, »ich kann nicht widerstehen.«

»So spring hinein, junger Spitzbube, ich werde unterdessen ein paar Bäume aussuchen, die wir als Eckpfähle gebrauchen können.«

Und Mongo begann einige besonders schlanke Tannen für seinen Zweck auszuwählen, dann nahm er die Axt von der Schulter und hieb tapfer hinein. »Du,« sagte er, »das Brettersägen bleibt uns erspart. Der Wirt aus dem Laden, wo wir essen, will uns eine Anzahl alter Packkisten billig überlassen, damit können wir die Wände herstellen. Schindeln für das Dach sind uns zu teuer, wir nehmen Bretter und bewerfen sie mit Erde.«

»Brr!« rief Robert. »Ich kenne das Mittelchen von meiner Kubainsel her. Beim nächsten Regen träufelt dir der Schlamm ins Gesicht.«

»Gut, so müssen wir auf die Jagd gehen, uns Felle zu verschaffen. Das bloße geteerte Segeltuch, wie es die meisten Hütten besitzen, wird sehr bald zu kalt sein.«

Robert sprang ans Ufer, und ließ sich von den Sonnenstrahlen trocknen. »Ja, der Winter,« sagte er bedenklich. »Wenn nun die Quelle, mit deren Wasser wir arbeiten, uns gefrieren sollte, Mongo, was dann?«

»Dann schlagen wir dem Hebräer ein Schnippchen und werden Trapper.«

Robert wiederholte das unbekannte Wort. »Trapper, Mongo, was ist das?«

»Ein wandernder Jäger, mein Bob. Ein Pelz-, Bienen-, Büffel- oder Biberjäger, je nach dem Gebiet, das er durchstreift und nach seinen Lebensgewohnheiten. Diese Männer wohnen nirgends, aber sie haben überall, selbst unter den Indianern, Freunde, kennen die Wildnis wie ihre eigene Tasche und besitzen in Felshöhlen oder sonstigen Verstecken Niederlagen, wo sie die Jagdbeute aufbewahren, bis dieselbe im Herbst und Frühling nach der nächsten Station geschafft und an die reisenden Händler verkauft wird. Für das Geld erwirbt sich der Trapper Waffen, Schießbedarf, lederne Kleider und Stiefel. Sein Dach ist der blaue Himmelsdom, sein Bett das Moos des Waldes, seine Nahrung die erlegten Tiere und eingesammelten Kräuter.«

Robert hatte während dieser Erzählung des Negers die Kleider wieder angelegt und hieb jetzt mit wuchtigen Streichen gegen den zweiten Baum. »Hast du solchen Trapper gekannt, Mongo?« fragte er, als dieser schwieg.

»O, mehr als einen, mein Bob, namentlich in früheren Jahren. Es sind meistens verwegene Kerle, die Gott und den Teufel nicht fürchten, häufig auch Verbrecher, deren Leben verwirkt ist und die sich in die Wälder flüchteten, um dort unter angenommenem Namen dem Strafgericht der Menschen zu entgehen. Freilich gibt es auch kreuzbrave Leute darunter.«

Robert seufzte. »Ich möchte es nicht,« antwortete er nach längerer Pause. »Mongo, wie ich mich nach dem Wasser sehne, davon machst du dir keinen Begriff.«

»Jetzt schon? Das mußt du um Gottliebs willen bekämpfen, mein Bob. Bedenke, was ohne uns aus dem armen Burschen werden sollte.«

Robert lächelte. »Ja, ja, Mongo, ich weiß es und will auch geduldig aushalten. Nur darf ich kein Wasser sehen, das macht mich allemal ganz traurig.«

Mongo behielt keine Zeit, den letzteren Satz zu beantworten. Der Baum, an welchem er arbeitete, neigte sich und mußte vor seinem gänzlichen Falle gestützt werden, um nicht mit der ästereichen Krone in benachbarten Zweigen hängen zu bleiben. Beide Männer strengten ihre Kräfte auf das äußerste an und hatten auch sehr bald die Freude, den ersten Pfeiler des künftigen Hauses zu ihren Füßen liegen zu sehen. Ehe eine Stunde verging, folgte der zweite, die Äste und Kronen wurden abgehauen, die Stämme zusammengebunden und dann setzten sich Mongo und Robert auf die gestürzte Eiche, um vorerst einmal zu frühstücken. Das Brot ohne Butter und das dünne Bier mundeten nach getaner Arbeit vortrefflich, die Unterhaltung drehte sich um den engen Kreis der beiderseitigen Hoffnungen und Befürchtungen, und für das Vergnügen sorgten die vielen Hunderte von Vögeln, welche vertraulich näher kamen, um vor den Füßen der beiden Goldsucher die herabgefallenen Brotkrumen vom Boden aufzupicken.

Aus den nächsten Zweigen lugte ein Eichkätzchen hervor, Frösche quakten im Uferschilf und hier und da glitt eine Schlange durch das Moos.

Robert beobachtete alles. »Ob noch ein Überfall eigentlich wilder Tiere hier denkbar wäre?« fragte er. »Und ob es giftige Schlangen gibt?«

Mongo schüttelte den Kopf. »Vielleicht während der Nacht,« versetzte er, »oder einige fünfzig Meilen hinter den letzten Minen. An Schlangen gibt es nur – aber selten – die Klapperschlange. Wir haben, glaube ich, durchaus nichts zu befürchten und sind ja überdies bis an die Zähne bewaffnet. Kugelbüchse, Revolver, Dolchmesser – das ist wahrhaftig hinreichend, selbst wenn uns ein Wolf oder ein Bär die Ehre erzeigen sollte. Du pflegst ja übrigens diese Sorte mit der bloßen Faust niederzustrecken, junger Spitzbube.«

Robert lachte. »Nicht übertreiben, Mongo,« ermahnte er. »Ich raubte dem ausgehungerten Wolfe auf haarscharfem Felsgrat das Gleichgewicht und er überschlug sich, das ist alles.«

»Ja, ja,« nickte der Neger, »ich weiß schon – mich ließest du dein Blut trinken, du guter Kerl. Die Vergeltung dafür bin ich dir immer noch schuldig.«

»Unsinn! Was ich tat, war Vergeltung. Hattest du mich nicht aus dem Wasser herausgefischt? Und übrigens, geht dergleichen auf Gegenseitigkeit?«

Mongo bot ihm den Rest aus der Bierflasche. »Auf gegenseitige Freundschaft und Treue, ja!« versetzte er freundlich.

In diesem Augenblick tönte ganz aus weiter Ferne ein Hilferuf. Es klang, als wenn jemand in Todesangst alle seine schwindenden Kräfte zusammenraffte und mit versagender Stimme einen einzigen Namen hervorstieß: »Robert! – Robert!«

Unsere beiden Freunde sprangen wie elektrisiert von ihren Sitzen empor. Einer sah den anderen an. »Was war das?«

Und wieder scholl es: »Robert! - Mongo! -«

»Bei Gott, man ruft uns.«

»Das ist Gottlieb,« setzte Robert hinzu. »Was mag er haben?«

»Jedenfalls müssen wir ihm aber doch antworten. Laß uns nur erst genau die Richtung seiner Stimme beobachten.«

Beide horchten, aber schon in den nächsten Minuten wiederholte sich der verzweifelte Schrei, jetzt aber viel näher, so daß sich deutlich erkennen ließ, auf welchem Wege der Flüchtende in den Wald hinein und den vermißten Freunden entgegenlief.

»Laß uns antworten,« rief Robert, und dann legten beide Männer zur Verstärkung des Schalles die Hände vor den Mund. Ein zweistimmiges langgedehntes »Hier!« schreckte alle umherwohnenden Vögel zur eiligen Flucht. Selbst die Frösche ließen ihren Gesang im Augenblick verstummen. Eine Pause des gänzlichen Stillschweigens folgte dem schallenden Ausruf.

»Das hat er gehört!« sagte endlich Mongo. »Aber was in aller Welt kann ihn denn so außer Fassung bringen, – ich begreife es nicht.«

»Vielleicht doch ein wildes Tier!« meinte etwas bedenklich unser Freund. »Wir können uns ja auf alle Fälle vorbereiten.«

Und beide ergriffen die geladenen, bisher gegen einen Baumstamm gelehnten Kugelbüchsen, welche sie schußgerecht in die Hand nahmen. Alles blieb still, kein weiterer Zuruf durchschnitt die Luft, aber in einiger Entfernung knackten und brachen die Gebüsche, als ob sich ein Mensch oder ein Tier gewaltsam hindurchdränge. Auf einzelne Pausen der Ruhe folgte nur desto stärkerer Anprall.

Mongo legte den Finger auf die Lippen. »Pst!« raunte er. »Wir können ja nicht wissen, ob es Gottlieb ist oder vielleicht ein Feind, der ihn verfolgt.«

Dieser Zweifel sollte sich indessen sehr bald lösen. Des jungen Pinnebergers Stimme unterbrach mit lautem Angstschrei die eingetretene Stille, und dann folgte der erneute klägliche Ruf: »Robert! – Mongo! – Wo seid ihr?«

»Hier! Hier!« antworteten beide. »Gottlieb, was fehlt dir?«

»Schießt nicht!« tönte es in größter Herzensangst zurück. »Schießt um des Himmels willen nicht, ich bitte euch!«

Wieder sahen sich Mongo und Robert voll Erstaunen an, was bedeutete das alles?

Jetzt aber hörte man in nächster Nahe die Schritte des jungen Pinnebergers. Eine Minute später und Gottlieb erschien auf der kleinen Lichtung am Flusse, überblickte mit verworrenem Wesen die Umgebung und flog dann unter die Wurzeln des Baumstammes, wo er sich wie ein Dachs zusammenkauerte.

»Rettet euch!« schrie er, »rettet euch! – Ein greuliches Untier verfolgt mich und wird im nächsten Augenblick hier sein. Auf die Bäume, um Gottes willen auf die Bäume!«

Robert unterdrückte mit Mühe die Lachlust, welche ihn überfiel. Er und der Neger sahen nach allen Seiten, ober ohne von einem Ungeheuer das Allergeringste entdecken zu können. »Gottlieb,« rief unser Freund, »so sei doch vernünftig. War es ein Bär, den du gesehen?«

»Ein Bär? Nein, das glaube ich nicht, oder vielmehr ich weiß gewiß, daß es keiner war. Aber um Gottes willen, rettet euch doch.«

»Wie sah denn das Tier aus?« rief ungeduldig der Neger.

»Gräßlich!« tönte es unter den Baumwurzeln. »O Gott, es hat Augen wie Kohlen, ist grau, mit einem furchtbaren Horn bewaffnet, von wahrhaft teuflischem, mörderischem Blick und einer Körperkraft, der die Gebüsche wie welke Halme wichen. Gesehen habe ich es nicht ganz, sondern nur gewissermaßen ruckweise, aber das greuliche Stampfen und Schnaufen klingt mir noch in die Ohren. Gebt nur acht, ihr büßt den Vorwitz mit dem Leben.«

Robert und Mongo wußten nicht mehr, woran sie waren. Auf welches Tier hätte möglicherweise diese seltsame Beschreibung passen können?

»Es hat dich verfolgt, Gottlieb?« fragte Robert.

»Gewiß. Ich ging in den Wald, um euch, nachdem meine Arbeit getan, aufzusuchen und beizubringen, da brach es aus den nächsten Gebüschen heraus, und zwar so nahe, daß mich der glühende Atem streifte, daß ich sekundenlang das entsetzliche Horn an meiner Schulter spürte. Ihr könnt denken, wie schnell ich entfloh, aber dennoch war mir das Untier beständig auf den Fersen. Nur einmal sah ich zurück, – ein Gebüsch war zwischen ihm und mir – aber da erkannte ich eine Riesengestalt, greuliche Augen –«

»Hilf Himmel!« unterbrach er seine Erzählung, »dort kommt es! Rettet euch! – Rettet euch! –«

Und wie der Blitz kroch er bis an den äußersten Saum des Wassers. Robert und Mongo legten ihr Gewehr an die Backe.

Ein Gebüsch in der Nähe des Flusses bewegte sich, als ob der Wind sehr stark wehe. Die Zweige zitterten und krachten, aber kein Tier kam zum Vorschein.

»Mongo,« rief Robert, »leben hier herum Affen?«

»Bist du nicht gescheit, Junge? Gehörnte Affen?«

»Ja – wer weiß denn, was Gottlieb aus reiner Herzensangst gesehen hat.«

Der Neger ging mit vorgehaltenem Gewehr auf den Busch zu. »Ich will erfahren, was dahinter steckt,« sagte er kurz entschlossen.

»Mongo!« schrie Gottlieb, »Mongo, um Gottes willen, nachher bin ich so gut wie dein Mörder. Geh nicht hin, ich bitte dich um alles in der Welt, geh nicht hin!«

Doch der Neger ließ sich nicht irre machen. Er brummte etwas, wobei man das Wort »Hasenfuß« ziemlich deutlich heraushörte, und dann drang er vor.

Im selben Augenblick teilte sich das Gebüsch. Ein Tier von sechs Fuß Länge und fast vier Fuß Höhe sprang mit solchem Anprall dem Schwarzen entgegen, daß dieser kopfüber ins Gras kugelte, während Robert nur durch seine bewunderungswürdige Gelenkigkeit einem gleichen Schicksal entging. Der unvermutete Angreifer stand mit gesenktem Haupte, kampfbereit wie es schien, vor der Stelle, welche noch soeben sein zweites Opfer eingenommen. Gottlieb schrie in übermäßiger Angst, der Neger sah sich halbsitzend voll Verwunderung um, und Robert lachte, als wolle er sich die Brust sprengen, unaufhaltsam, aus Herzensgrund. Das alles geschah im Zeitraum einer einzigen Minute.

Mongo war der erste, welcher wieder sprach. »Nun,« sagte er grämlich und sich den Rücken mit der flachen Hand reibend, »was ist denn das für ein Unsinn?«

Das Tier stieß ein kurzes Schnaufen oder Prusten aus. Es scharrte mit dem Vorderfuß im Grase.

Robert lachte, daß die fernen Berge den lustigen Klang wiederhallend zurückwarfen. »Ein Mufflon!« rief er, – »ein Schafbock! – das ist zum Totlachen!«

Aber die beiden anderen teilten keineswegs diese Heiterkeit. Mongo stand auf und ballte gegen den Hörnertrager die Faust, so daß dieser mit einem plötzlichen Niesen etwas zurückwich: »Warte,« rief er, »du sollst das Vergnügen, mich in den Sand gestreckt zu haben, mit dem Leben büßen.«

Gottlieb war zögernd bis an den Rand der Baumwurzel vorgekrochen. Das Wort Schafbock hatte ihn geärgert, aber dennoch flößten ihm die beiden Hörner immerhin einen heilsamen Schrecken ein. »Robert,« fragte er sehr verwirrt, »hältst du das Tier für gutmütig?«

Unser Freund wischte die Lachtränen aus den Augen. »Gottlieb,« rief er, »hat dich denn nie in Pinneberg ein Schafbock verfolgt? Weißt du nicht, daß die Sorte halb verwegen, halb furchtsam ist? Dieser große Kerl hat spielen wollen, weiter nichts.«

»Spielen?« wiederholte voll Erstaunen der junge Krämer. »Unmöglich!«

»So schau her.«

Und Robert kraute mit der Rechten die Stirn des Bockes, der sogleich seine Fechterstellung aufgab, und zum Zeichen größter Befriedigung leise den Schweif bewegte. »Mongo,« sagte er, »schenke ihm das Leben, Alter!«

Aber der Neger war bös. »Dummes Zeug,« brummte er. »Gib ihm eine Ohrfeige, Bob, damit er fortspringt. Ich mag kein Tier töten, wenn es wie an der Schlachtbank ahnungslos vor mir steht.«

Robert, der wohl erkannte, wie viel das Fleisch und das Fell des Tieres wert seien, tat was Mongo verlangte, und der Bock sprang mit lustigen Sprüngen über die Lichtung dahin. In weniger als zwei Minuten hatte ihn des Negers Kugel zu Boden gestreckt. Durch den Kopf geschossen, war er sofort verendet.

»So,« sagte mit etwas spöttischem Tone der glückliche Schütze, »so, Gottlieb, nun komm hervor, mein Kleiner. Dieses Ungeheuer wäre unschädlich gemacht und vielleicht findest du sogar demnächst Mut genug, das Fell nach Hause zu schleppen. Ich will den Burschen gleich ausweiden.«

Gottlieb kroch ziemlich beschämt aus seinem Versteck hervor. »Ihr müßt es nur nicht allen Leuten erzählen,« bat er. »Wirklich, gegen mich tat der Bock sehr bösartig.«

Unter Roberts erneutem Gelächter begaben sich dann alle drei an die Arbeit. Das Haus sollte vor Abend zum Einzug fertig hergestellt werden, also hatte man keine Zeit zu verlieren, sondern mußte noch mehrere Stämme niederschlagen und darauf in Lenchi den Bau beginnen. Während Mongo kunstgerecht den Bock zerlegte, fällten die beiden anderen einige Tannen, und dann wurden die Stämme bis zum Lagerplatz geschleift. Nach nochmaliger Wanderung hatte man sowohl den Holzbedarf als auch die Fleischteile und das Fell des erlegten Tieres in Sicherheit gebracht. Jetzt sollte das Zimmerhandwerk seinen Anfang nehmen.

Der Boden war bereits von Pflanzen und Steinen gereinigt, die erforderlichen Löcher gegraben und die Packkisten herbeigeschleppt, Gottlieb hatte so fleißig gearbeitet, daß es die beiden anderen in Erstaunen setzte. »Ich begreife nicht,« sagte Robert, »wie sich in ein und derselben Seele die tüchtigsten Eigenschaften und die offenbare Feigheit so eng verbunden vorfinden können.«

Mongo lachte jetzt, indem er sich des komischen Vorfalls von vorhin erinnerte. »Er ist ein richtiger Kleinstädter,« sagte er, »ein Krämer durch und durch. Sich mit Frau Nachbarin geziemend zu unterhalten und allen vorrätigen Mutterwitz ausströmen zu lassen in den Fragen, ob der verlangte Zucker von der süßen Sorte sein solle, ob man Klößemehl oder Pfannkuchenmehl wünsche und was dergleichen kleine Scherze mehr sind, – da stellt er seinen Mann. Ich bin überzeugt, daß er immer bestens die Blechdosen geputzt und den Staub vertilgt hat, aber ein Kerl wie du, junger Spitzbube, steckt nicht darin.«

Robert verbeugte sich komisch-ernsthaft. »Bin dir sehr verbunden, Schwarzer,« versetzte er. »Und nun laß uns die Axt zur Hand nehmen.«

Es hatten sich inzwischen mehrere deutsche Goldgräber um den Bauplatz herum versammelt und besonders den Bock bewundert. Endlich machte einer den Vorschlag, daß man ein tüchtiges Stück des frischen Fleisches sogleich an Ort und Stelle braten solle, daß man ferner für die Beschaffung von Kartoffeln, Mehl, Eiern Butter, Früchten und Branntwein, sowie Kaffee eine Sammlung veranstalten und nach eingenommenem gemeinschaftlichem Mahle mit vereinten Kräften den Hausbau fördern wolle.

»Ich liefere den Bratspieß!« schrie ein riesiger Sachse, »und drehen will ich ihn auch.«

»Von mir könnt ihr Blechteller und Messer erhalten. Auch verstehe ich mich bestens auf die Kuchenbäckerei,« meinte ein anderer.

Der Dritte trommelte mit den Fäusten so lange auf eine Packkiste, bis er sich Gehör verschafft hatte. »Silentium, meine Herrschaften, ich bin ein Zimmermann und führe daher in dieser ehrenwerten Versammlung den Vorsitz. Kochen oder backen ist nicht meine Sache, ebensowenig habe ich Geld oder Hausgerät, aber einen riesigen Appetit auf frischen Braten und einen unlöschbaren Durst daneben. Später will ich den Bau mit diesen meinen Händen allein fertig machen. Was sagt ihr dazu?«

»Angenommen!« rief Robert. »Meine Stimme habt Ihr. Hier sind fünfzig Cent für den Einkauf von Lebensmitteln.«

Der Sachse nahm den formlosen Filz vom Kopf, warf den erhaltenen ersten Beitrag hinein und ging nun von einem zum andern, um überall einzuheimsen. »Ein armer Handwerksbursche,« sagte er, »hat in sechs Wochen keinen warmen Löffel im Leibe gehabt!«

Und Gabe nach Gabe fiel in den Hut. Deutsche Antworten erklangen, wo man gewohnt war, selbst im engsten Kreise immer nur englisch zu sprechen.

»Gott grüß dich Bruder Straubinger,
Freut mir, daß ich dir sehe!«

Auch Goldstücke rollten in den nachgeahmten Klingelbeutel. Jeder dieser Deutschen fühlte das Herz schneller schlagen, als ihm die Klänge der Heimatssprache entgegenschallten. Es kam wie ein plötzlicher Rausch über all die ernsten vielgeprüften Männer, deren Lebenslos sie aus Nord und Süd des weiten Deutschen Reiches hier im fernen Kalifornien zusammengeführt. Einer entzündete ein riesiges Feuer, der andere bereitete den Braten und der dritte schälte die Kartoffeln, während sich der Kuchenbäcker mit aufgestreiften Ärmeln, Messer und Revolver im Gürtel, daran machte, eine Fruchttorte herzustellen. Aus allen Häusern wurden Blechgeschirre herbeigeschleppt, die Packkisten mußten, ehe sie als Wände ihr Dasein beschlossen, vorher der Tischgesellschaft zu Sitzplätzen dienen, und das geteerte Segeltuch, welches die Nässe von dem zukünftigen Dache fernhalten sollte, ließ sich einstweilen vortrefflich als Schutzmittel gegen die Sonnenstrahlen verwenden, kurz alles vereinte sich, um das so schnell veranstaltete Fest zu einem echt deutschen, gemütlichen Beieinander zu gestalten.

Und als der Braten seine lockenden Düfte hinaussandte in die Umgebung, als der Kaffee dampfte und die Torte hellbraun und locker aus dem Blechnapf hervorgegangen war, da klopfte der Zimmermann, welcher bisher müßig im Gras gelegen, wieder auf die nächste Packkiste. Sein tiefer Baß stimmte eine Weise an, die allen bekannt war.

Was ist des Deutschen Vaterland? – –

Und rauschend und brausend fielen über zwanzig Stimmen bei der nächsten Strophe ein in das alte Heimatlied. Mehr als nur gesungen, empfunden im innersten Herzen, jeden Pulsschlag schwellend, strömten die gehaltenen Klänge dahin über den amerikanischen Urwald, und manche Stimme bebte leise, mancher Blick senkte sich, als das Bild der geliebten Heimat emporstieg aus den Nebeln der Erinnerung, als liebe Hände den Wanderern zu winken schienen, und treue Augen sie grüßten von Seele zu Seele, ob auch dazwischen das Weltmeer seine Wogen türmte.

In den vielen Spielhöllen, wo gerade am Sonntag der Verdienst der Woche den Goldgräbern von frechen Gaunern gestohlen wird, in den Tanzsälen, wo wüster Lärm bis zum lichten Morgen erschallt und wo jeder Schluck Branntwein einen Vierteldollar kostet, – verstummte das Geräusch, sanken die Hände mit den Kartenblättern in den Schoß herab, als die ernste Melodie vom Waldsaum herüberklang.

Es war wie ein Gottesdienst unter freiem Himmel, dieser Gesang ohne Kunstvollendung und Formenschönheit, aber aus tief innerstem Herzen.

Und dann hatte der Koch sein Werk vollendet. Kaum vermochte er den Riesenbraten auf die schnell hergestellte Tafel zu heben. Da stand er als wackerer Feldherr, rings umsäumt von Gurken, Kartoffeln, Sauerkohl und Backpflaumen, da schimmerte im Hintergrund die Torte und dampfte der Kaffeekessel. Alles war auf das beste geraten, alles lockte zum Genuß und zur Freude.

Gottlieb zupfte Roberts Ärmel. »Du,« flüsterte er, »erzähl' es diesen Leuten nicht, wie wir zu diesem Braten gekommen sind.«

Robert winkte halb lachend, halb gerührt. »Dummer Kerl, was fällt dir ein?« sagte er.

»Und laß auch den Alten nicht plaudern, du.«

»Ach, Unsinn. Dort ist dein Platz, und nun wollen wir essen.«

Der Braten war zwar sehr schmackhaft, aber er stellte die Kauwerkzeuge der Festteilnehmer auf eine ziemlich harte Probe, was jedoch weiter kein Mißvergnügen, sondern nur einige derbe Scherze hervorrief. Die Goldgräber waren ja nicht verwöhnt und keineswegs an glänzender Tafel bedient, daher wurde auch selbst ein zäher Bissen noch mit gutem Appetit verspeist. Alles übrige war tadellos, die Torte sogar ganz ausgezeichnet, nur das Tischgerät ließ manches zu wünschen übrig.

Adams fünfgezahnte Gabel fand sich am zahlreichsten vor, die Messer der Goldgräber mußten zum Zerlegen dienen und spitze Holzstäbe als Spieße, an denen die Kartoffeln oder das Fleisch zum Munde geführt wurden. Als Dessertteller für die Torte dienten große Blätter, während der duftende Kaffee aus Blechtöpfen getrunken wurde. Schließlich machte eine dickbäuchige Flasche die Runde, und einer gab sie dem andern mit dem deutschen Trinkspruch: Was wir lieben!

Es war drei Uhr nachmittags, als endlich der Hausbau begann. Unter einem Kreuzfeuer von Scherzworten wurden die Kisten in Bretterhaufen verwandelt; man pflanzte die vier Eckpfähle, setzte die Türständer und schlug das Eisen an, darauf nagelten einige ein Fenster zusammen, andere verfertigten die Tür, und ein besonders wohlhabender Hamburger, der schon länger in den Minengegenden gelebt hatte, brachte keuchend unter der schweren Last einen Kochofen, den er feierlich unseren drei Freunden zum Geschenk machte. Die Wände wuchsen unter den vereinten Anstrengungen der Männer zauberhaft schnell empor, das Dach bedeckte sich mit Latten und Brettern, – es fehlte jetzt nur noch der Überzug von Segeltuch, und das Gebäude war vollendet. Diesen Augenblick benutzte der Zimmermann, um auf das Dach zu klettern und mittels einiger Hammerschläge das Publikum zu benachrichtigen, daß er eine Rede halten werde.

»Pst!« hieß es, »er will vom Gerüst fallen, stört ihn nicht.«

»Aber Knüttelverse!« ermahnte einer.

»Die wachsen nicht wild, mein Junge,« tönte es vom Dache herab, »und Treibhäuser für dergleichen fehlen hier gänzlich. Also – Ladies und Gentlemen! –«

»Ladies glänzen durch ihre Abwesenheit,« hieß es wieder.

»Was uns nicht verhindern soll, zuvörderst ihre Gesundheit zu trinken. Ich tue es für euch alle!« setzte er mit komischer Würde hinzu, und nahm einen Schluck aus der mitgebrachten Flasche. »Unsere Mütter und Frauen, unsere Schwestern und Bräute daheim in Deutschland sollen leben! Eins, zwei, drei – Hurra!«

»Und noch einmal – Hurra!«

»Jetzt aber die Rede!« drängte es im Publikum.

Der Zimmermann räusperte sich. »Ein Schafbock war die erste Veranlassung zu diesem Feste,« begann er im Tone eines vortragenden Professors, »wir erheben ihn daher mit Recht zum Schutzpatron des neuerbauten Hauses, um so mehr, als ihm sein Verwandter, der Sternenwidder des Himmelsgewölbes, darauf bereits eine Art von Kalenderanwartschaft gesichert hat. Alles, was hier fernerhin geschieht, stehe unter dem Zeichen des Schafbockes. Mögen die Eigentümer beständig in der Wolle sitzen und von ihren goldenen Errungenschaften gehörig ins Horn stoßen können. Mögen sie von allen Schafsköpfen gemieden und ihnen der Hammelbraten immer nahe sein, möge ihnen das goldene Vlies zu teil werden und Lammesgeduld, wenn sich der Boden als ausgebeutet erweist. Mögen sie niemals Böcke schießen, aber vor Freuden Bocksprünge machen und baldigst ihr Schäfchen ins Trockene bringen, vor allen Dingen aber sich durch keinen Fehlschlag ins Bockshorn jagen lassen.«

Er verneigte sich zierlich und erhob nochmals die Flasche mit dem Rest des vorhandenen Getränkes. Ein Beifallssturm, der dröhnend die Luft zerriß, belohnte seine wohlgesetzte Rede. »Mehr, mehr!« hieß es.

Der Zimmermann schüttelte den Kopf. »Nur eins noch!« versetzte er. »Ein Hoch für unseren König Wilhelm, den Schirmherrn von Deutschland. Mögen seine Tage ausgedehnt werden bis an die letzte Grenze des Maßes, welches Sterblichen bewilligt, möge er in seinem Sohne, dem tapferen Kronprinzen, für Deutschlands Wohl und Ehre weiterleben!«

»Eins, zwei, drei, Hurra!«

Die Flasche, von kräftiger Faust geschleudert, flog nach alter deutscher Sitte über den Kopf des Redners ins Gebüsch hinein und zersplitterte zu tausend Scherben. Nachdem daraus auf des greisen Heldenkönigs Wohl getrunken, durfte das Gefäß keinem andern Zweck mehr dienen.

Mit dem letzten Scheiden der Sonnenstrahlen war das Segeltuch befestigt, Erde darauf geworfen und der Ofen gesetzt, das heißt in die Hinterwand des Hauses ein Loch geschnitten und das Rohr hineingeleitet. Die Eigentümer konnten ihren Umzug bewerkstelligen.

Noch manches Stück Hausgerät wurde von den Goldsuchern freundnachbarlichst gespendet, drei übriggebliebene Kisten ersetzten die Stühle, und einen Tisch versprach der Zimmermann am nächsten Sonntag zusammenzuschlagen.

Als sich die Gesellschaft zum Aufbruch rüstete, erschien Robert mit einer frischen Flasche unter dem Arm. »Jetzt noch die Taufe, meine Herren,« schlug er vor. »Straßen gibt es in Lenchi nicht, Nummern also noch viel weniger, daher scheint es das Beste, jedes Haus mit einem Eigennamen zu versehen. Mongo und Gottlieb, was meint ihr, wollen wir unsere Wohnung Neu-Pinneberg nennen?«

Die beiden andern waren einverstanden und der Zimmermann schrieb sofort mit einem ausgeglühten Feuerbrand den neuen Namen über die Tür, dann verschwand der Inhalt der Flasche, und mit allgemeinem Händeschütteln trennten sich die Genossen des heiteren Festes.

Unsere Freunde trugen aus ihrer bisherigen Wohnung die Schlafdecken und das sonstige bewegliche Eigentum herbei, holten aus der nahen Quelle frisches Wasser, um am folgenden Morgen den Kaffee selbst kochen zu können, und legten sich endlich schlafen, nachdem noch einmal alle Einzelheiten dieses denkwürdigen Tages durchgesprochen waren. Sie waren nun Hauseigentümer, besaßen einen regelmäßigen Betrieb und erfreuten sich der besten Gesundheit, aber dennoch lauerte im Hintergrunde des lachenden Bildes ein Gespenst – der Jude mit dem unbezahlten Wechsel.

Es mußte um jeden Preis ein größerer Verdienst erzielt werden, sonst rückte der eigentliche Zweck dieser ganzen Unternehmung in immer weitere Ferne, und vielleicht brachte der Winter gar einen Stillstand des Betriebes, so daß neue Schulden den alten hinzukamen. Robert wälzte sich schlaflos auf seinem Lager. Schulden! Das Wort erschreckte ihn im innersten Herzen. Darf der ehrliche Mensch Schulden haben?

Zwar wußte Samuel Ekiwa, daß seine Kunden arme Abenteuer waren, zwar hatte er selbst das Geschäft vorgeschlagen, aber dennoch drückte der Gedanke einer Verpflichtung, die Robert nicht umhin konnte, als Ehrensache zu bezeichnen. Er seufzte tief. Wenn nun vielleicht der Jude nur aus Eigennutz zum Hausbau geraten hatte, ja, wenn er sich beizeiten ein Pfandobjekt sichern wollte, um am Verfalltage die Hütte in Besitz zu nehmen, sobald der Wechsel uneingelöst blieb? Es rann heiß über Roberts Körper herab. »Du,« sagte er leise, »Gottlieb, wachst du noch?«

Der junge Krämer fuhr auf. »Bemerktest du etwas Verdächtiges, Robert?«

»Durchaus nicht, Mensch, gib doch endlich einmal auf, in allen Ecken eine nahende Gefahr zu suchen. Ich meine nur, was du – hm, hm, was du so überhaupt von unserer gegenwärtigen Lage denkst, und ob sich dieselbe nicht ein wenig verbessern ließe.«

Gottlieb stützte sich halbliegend auf den Ellbogen. »Ich hatte einen Plan,« flüsterte er, »aber die Sache geht nicht. Es sind nur wenige wohlhabende Goldsucher, die sich aus Ekiwas Händen bereits ganz frei gemacht haben, die meisten hält er an so sicheren Fäden, daß es nur auf ihn ankommt, sie täglich und stündlich zu Bettlern zu machen. Diese Leute arbeiten, um ihrem Quäler Zinsen zu bezahlen, vom Kapital wird kein Cent abgetragen. Ein Zwang, durch die Überzahl schwerer Fäuste verübt, läßt sich also gegen den Spitzbuben nicht ins Werk setzen.«

»Wäre aber auch kaum statthaft zu nennen,« warf Robert ein. »Wir haben freiwillig die Wechsel unterschrieben, und zu dem, was ein Mann unternimmt, muß er im Guten oder Bösen unverbrüchlich stehen.«

Gottlieb schüttelte lebhaft den Kopf. »Jeden Spitzbuben muß man entlarven und womöglich unschädlich zu machen suchen,« rief er. »Aber dieser hier ist ein gewiegter Schlauberger, er zieht von Minenstadt zu Minenstadt mit den ersten Goldsuchern im Lande herum, hält sie an ihren eigenen Fehlern oder ihrer Armut gefangen, und schöpft so überall das Fett von der Suppe. Die Leute sagen, daß er in englischen und deutschen Banken schon Millionen hinterlegt habe, und daß seinesgleichen wie Blutsauger die armen Auswanderer um ihr Letztes betrügt. Hierzulande nennt man solches Verfahren einfach »smart« (praktisch), lobt es wohl gar noch sehr, empfiehlt derartige Schurken der heranwachsenden Jugend als Vorbilder und liegt vor den Millionären, wenn sie sich in den Hauptstädten blicken lassen, auf den Knieen.«

Robert lachte. »Wie der Kaufmann in dir vorherrscht,« sagte er. »Du fühlst gegen den Auswurf deiner Zunft eine ordentliche Erbitterung.«

Gottlieb ballte die Faust. »Diese glatten Schurken,« knirschte er. »Der ehrliche Mann kann höchstens fünfzehn Prozent im Durchschnitt verdienen, d.h. an einem Artikel vielleicht hundert, aber an anderen gar nichts – die Wucherer dagegen verdienen aller Orten hundert. O du Jemine, wenn mein Vater wüßte, daß ich mit einem Kehlabschneider Geschäfte mache!«

Jetzt kam die Reihe des Seufzens an Robert. Ja, wenn die Lieben in Pinneberg hierherblicken, wenn sie das Lager auf bloßer Erde, die undichten Wände und das ganze nach deutschen Begriffen für einen Pferdestall unzulängliche Gebäude sehen könnten! – –

Es wurde still, ganz still in dem engen Räume. Die Gedanken wanderten und führten unmerklich die Seelen der jungen Leute hinüber in das Gebiet des Traumes. Sie waren zu Hause in Pinneberg, sie erkannten die alten, vertrauten Gegenden, sie sahen die Bilder früherer Tage, und ein fünfter Friede umgaukelte ihre Herzen.– –

 

Woche auf Woche verging. Die emsigen Goldwäscher verdienten jetzt, wo sie sich in die ganze Art und Weise ihrer neuen Beschäftigung hineingelebt hatten, anstatt der früheren zwanzig Dollar deren vielleicht fünfundzwanzig und mitunter auch dreißig, sie lebten eingezogen wie die Mönche, berechneten jeden Groschen und benutzten jede Stunde, aber dennoch zeigte sich die Zukunft nicht in hellerem Lichte.

Der Wechsel war zwar bezahlt, die Stiefel aber mußten durch neue ersetzt werden, und die alten Kleider reichten für den kälteren Wind, welcher jetzt schon häufig seine Schwingen entfaltete, nicht mehr aus. Nachdem das Unentbehrlichste angeschafft worden, blieb kein Cent, um ihn zurückzulegen, als erster Anfang eines kleinen Kapitals, das die jungen Abenteurer freigemacht hatte. Gottlieb konnte, obwohl er jetzt schon seit sechs Wochen in den Goldminen lebte, doch seinen Eltern nicht das Allergeringste schicken, und Robert hatte keinen Dollar im Kasten, trotzdem daß beide zwölf Stunden lang täglich arbeiteten.

Der Jude sagte, daß ihnen das Glück außerordentlich günstig sei. Mancher müsse jahrelang Schulden auf Schulden häufen und könne endlich nur noch die Zinsen bezahlen. In den Goldstädten gebe es keine sichere Grundlage der Unternehmungen, sondern man müsse eben darauf hoffen, daß »wer wagt, gewinnt.«

Und so wurde unermüdlich fortgearbeitet, zuletzt, nachdem der kürzer gewordene Tag die Dunkelheit um einige Stunden früher zur Herrschaft gelangen ließ, bei dem Scheine eines großen Feuers, das vom Rande der breiten Waschrinne bis in die Tiefe hinab seine roten, zuckenden Lichter warf. Wie Kobolde, wie die Heinzelmännchen des deutschen Märchens erschienen dort unten die düstern Gestalten im blanken, plätschernden Wasser, mit den schweren, bis über die Kniee reichenden Stiefeln und dem knappen Bergmannsanzuge von Leder. Unermüdlich fielen Steine von Mongos Hand geschleudert auf den oberen Rand, unermüdlich hackte Robert und sichtete Gottlieb, aber Woche auf Woche verrann, das ersehnte Glück blieb aus, der große Klumpen Goldes, von dem jeder Wäscher träumt, den er hinter jeder Erdscholle verborgen wähnt – ward nicht gefunden.

Mongo trug nach Feierabend beim Mondschein sorgfältig die herausgeschaufelten Steine bis Neu-Pinneberg und errichtete dort um die hölzernen Wände herum eine Art Schutzwall, bei dem er zwar lediglich an die heraufziehende Winterkälte dachte, den aber Gottlieb mit großem Behagen wachsen sah, weil nach seiner Meinung Schlangen und Kriechtiere von der Wohnung ferngehalten, reißenden Tieren aber der Zugang sehr erschwert werden müsse. »Du solltest uns auch ein Drahtgitter flechten, Alter,« sagte er, »und eine Eisenstange wollen wir quer vor die Tür legen. Wenn es nicht gar so teuer wäre, hätte ich fürs Leben gern einen Hund.«

»Ach, du bist ein Narr, das nimm mir nicht übel. Solltest lieber, um etwas Heldenmut zu bekommen, morgen mit uns auf die Jagd gehen. Das ist Arbeit und Vergnügen zugleich.«

Gottlieb erschrak. »Vergnügen?« wiederholte er. »Ich danke.«

Und dabei blieb es. Der friedliche Sohn Merkurs ließ sich keine Kugelbüchse in die Hand drücken, sondern verschloß, wenn am Sonntag seine Gefährten zur Jagd gingen, sorgfältig die Tür und schrieb bogenlange Briefe, in denen er seinen Eltern auf das genaueste schilderte, wie er lebte, und daß es bis jetzt ganz unmöglich gewesen, auch nur den kleinsten Überschuß zu erzielen. Diesen Zeilen fügte Robert jedesmal eine Einlage bei, und wenn von Gottliebs Familie ein Brief anlangte, so hatte er regelmäßig die Freude, auch von seiner alten Mutter ein Blättchen vorzufinden. Der Vater sei immer noch gesonnen wie früher, hieß es, er wolle von Versöhnung nichts wissen, und verlange namentlich ein reumütiges Geständnis, Robert wisse schon, in welcher Beziehung. Das sei an der ganzen Sache das Ärgste, und wenn dereinst ihr Sohn als Bettler in die Heimat zurückkehre, so müsse man darin Gottes Fügung demütig anerkennen. Aber, fügte die Schreiberin bei, Robert möge nur immerhin kommen, lieber heute als morgen, das lasse sich wohl ausgleichen, und zudem habe sie auch von Bruder Klaus, der ohne Frau und Kind verstorben, kürzlich ein paar hundert Taler geerbt, die täten's schon.

Robert las kopfschüttelnd den Brief zum zweiten und zum drittenmal. Alle diese Anspielungen, diese Hinweise auf etwas noch Schlimmeres als die Flucht aus dem Elternhause, – er verstand sie nicht. Sprach vielleicht seine Mutter von jenen fünfzig oder sechzig Talern, die Georg für ihn aus des Vaters Geldkasten genommen? Dachte der Alte an diese verlorene Summe zuerst und dann an den Sohn, der in jedem Briefe demütig um Vergebung bat, der es geschildert hatte, wie nahe ihm der Tod gewesen und was er erlitten und gekämpft?

Aber er wußte es ja, einen zärtlichen, freundlichen Vater hatte er nie gehabt, sondern nur einen strengen, unerbittlichen Erzieher, dessen bürgerliche Ehre tadellos dastand, der aber auch nichts verzieh, sich keinem Jugendfehler gegenüber duldsam erwies, und namentlich nie in der Seele eines anderen fühlte, nie das eigene Ich dem fremden unterzuordnen vermochte. Alle Bitterkeit des Trotzes überflutete ihn, als er nochmals las, daß es nur Gottes Gerechtigkeit sei, wenn er dereinst als Bettler nach Pinneberg zurückkäme.

Für eine Handvoll Taler also nahezu verwünscht, nahezu der Strafe des Himmels mit einer Art von Frohlocken überantwortet! –

O diese Ungerechtigkeit, diese kleinliche Selbstsucht, der das elende Metall mehr galt als selbst das eigene Kind, als der lebende, reumütige Mensch! –

Robert stampfte vor Ungeduld mit beiden Füßen den Boden. Hätte doch die Goldmine einen einzigen reichen Ertrag geliefert, hätte er heute, in dieser Stunde den Vater bezahlen können, um ihn nicht –

»Gott vergebe mir,« dachte er erschüttert, »aber es war das Wort »verachten«, welches ich aussprechen wollte.«

Und fast mutlos ließ er den Kopf in die Hand sinken. Rings unter seinen Füßen, da wo er bei Nacht das Haupt zur Ruhe bettete, da wo er sein kärgliches Mahl verzehrte, wo er im Schweiße seines Angesichts arbeitete, – überall konnte das Gold liegen, nach dem sich seine Seele wie nach dem ewigen Heile sehnte, aber er fand es nicht, fand es nicht, ob er auch grub und schaufelte bis ihm das Blut aus den Fingern heraussprang. Zuweilen, wenn ihn die innere Heftigkeit überwältigte, fuhr er mitten in der Nacht vom Lager auf, grub im Mondschein an irgend einer beliebigen Stelle mit fast wahnwitziger Hast ein Loch in den Boden und bildete sich ein, daß er den roten Schatz finden müsse, daß es plötzlich wie Blut unter seiner Hacke hervorquellen werde, unaufhaltsam, ein Königreich, ein Paradies der kühnsten, ausschweifendsten Hoffnungen. –

Und wenn dann der graue, nüchterne Wintermorgen mit Hagelschauern und kalten Windstößen als Vorboten langsam aus der Nacht emporstieg, wenn Mongo erschrocken den bleichen, jungen Gefährten hereinholte in das durchwärmte Haus und ihm vorstellte, daß sein Beginnen ein törichtes, daß erst viel, viel tiefer unter der Oberfläche der Erde das Gold gefunden werde, dann schüttelte er trübe den Kopf. »Laß mich, Alter, – ich kann nicht ertragen, daß du davon sprichst.«

Der Neger überredete ihn an jedem Sonntag, wenigstens die Büchse auf die Schulter zu nehmen und mit hinauszugehen in den Wald, wo gerade jetzt bei verhältnismäßiger Kälte das Wild weit eher anzutreffen war als im Sommer. Manches Reh, mancher Hirsch wanderte nach Neu-Pinneberg und wurde von dort aus gegen klingende Münze in den Laden des einzigen Wirtes von Lenchi geschafft, manches Moufflon gab zum Zweck der wärmeren Winterkleidung und der besseren Betten sein wolliges Fell den glücklichen Schützen dahin, mancher Coyote endete das Räuberdasein unter Mongos Kugel, aber dennoch gelang es dem gutmütigen Schwarzen nicht, Roberts trübe Stimmung zu verscheuchen.

Er hatte seine Mutter auf das dringendste um Aufklärung gebeten, hatte sie angefleht, ihm im nächsten Brief mit klaren Worten zu sagen, weshalb der Vater so unversöhnlich sei. »Die erbärmlichen fünfzig Taler können doch unmöglich den Grund eines Zerwürfnisses bilden,« schloß er, »Vater kann nicht aus der kleinen Summe ein Ereignis machen, welches ihn und mich für immer trennt. Ich habe dem wohlhabenden Manne, welcher durch diesen Verlust in keiner Weise wirklich betroffen wurde, das Geld genommen, um erst einmal nach Hamburg zu gelangen, und um es von der nächsten Heuer zurückzuzahlen. Anstatt zu verdienen rettete ich aber während zweier Reisen kaum das nackte Leben, woher sollten also Überschüsse kommen?

Vater braucht mir nicht erst zu sagen, daß es niemandes Recht ist, einem anderen Geld aus dem Kasten zu nehmen, wohl aber erfahre er von mir, daß es ein Buchstaben- und ein höheres Recht gibt, daß der Vater dem bittenden Sohne überall die Hand entgegenstrecken und ihn, je mehr er nach seiner Meinung gestrauchelt, nur um desto fester halten sollte. Doch kann er unbesorgt sein! Ich komme nach Pinneberg nicht eher zurück, bis ich ihm jene Summe mit Zins und Zinseszins auf den Tisch zählen kann, – nicht eher, und ob wir uns in diesem Leben nimmer wiedersehen.« –

Als er den trotzigen, erbitterten Brief abgesandt, kehrte sich sehr bald, wie das allen leidenschaftlichen Menschen zu geschehen pflegt, die scharfe Spitze desselben gegen sein eigenes Herz. Es tat ihm leid, die alte Mutter so gekränkt zu haben, und heimlich fürchtete er, obwohl er sich diese Empfindungen zu leugnen suchte, daß vielleicht gar der Vater inzwischen gestorben, und daß er die bösen Worte über einen Grabhügel dahingerufen habe.

Dem war nicht so, aber was nach langen, einförmigen Monaten die Mutter antwortete, das beruhigte ihn doch keineswegs. Er möge das alles nur ruhen lassen, schrieb die alte Frau, und kam wieder auf das unerwartet geerbte Geld zurück. »Sei nur erst einmal hier, mein Junge, dann schaffen wir schon Rat, obwohl du – ja, Robert, das muß ich dir sagen! – nicht so keck die Wahrheit verleugnen solltest. Aber laß das nur, laß das, wir haben genug zu essen, auch für dich mit, wir wollen dir Zeug und Schuhe geben und das Gewesene vergessen, wenn du den Vater recht demütig um Verzeihung bittest. Die Hauptsache ist: komm!«

Unser Freund schüttelte den Kopf. Nie, dachte er, nie!

Und so verging der Winter, so erschien im grünen Kleide der Frühling, ohne den drei unermüdlichen Goldwäschern einen besseren Erfolg mitzubringen. Sie waren schuldenfrei, hatten gute Kleider und tüchtiges Gerät, aber kein Kapital. Gottlieb wußte jetzt, daß seine alten Eltern ins Armenhaus gezogen waren; er wurde bei dieser Schreckensnachricht schwer krank, und die Freunde mußten anstatt zu arbeiten ihn verpflegen, dann verging eine längere Zeit, während welcher er zwar wiederhergestellt, aber doch noch für jede Anstrengung zu schwach war, und wo also Robert und Mongo nur einen sehr geringen Verdienst erzielen konnten, kurz es schien, als vereinige sich alles, um dem Glücke in den Weg zu treten, um den Unternehmungen der drei Leute täglich ein neues, ungeahntes Hindernis entgegenzusetzen. Während die Natur ringsumher im Feierkleide prangte, gingen unsere Freunde mit blassen Gesichtern einher, und in Neu-Pinneberg hatte sich die Sorge als steter Gast eingebürgert.

Es war an einem Aprilsonntag, als Robert und Mongo im Walde umherstreiften, ohne einen Hirsch aufspüren zu können. Der Ertrag der Jagd war doch immer eine sehr hübsche Zugabe für die Hausstandskasse, daher unterließen es unsere Freunde nie, am Sonntag hinauszuwandern und nach Beute zu spähen. Meistens schossen sie mehr, als sich ohne Hilfe fortbringen ließ, heute aber kehrte ihnen das Glück den Rücken, sie hatten noch kein Tier gesehen und waren doch schon einen tüchtigen Marsch weit von Lenchi entfernt.

»Laß uns Vögel schießen,« schlug Mongo vor. »Besser etwas als gar nichts.«

Robert schüttelte den Kopf. »Wir gehen nach Hause,« sagte er verdrießlich. »Man legt sich ins Bett und schläft, – das ist der höchste Genuß, den das Leben noch bietet.«

»Zu schlafen? Mein Bob, ist es bereits dahin gekommen?«

Unser Freund antwortete nicht, und die beiden schritten eine Zeitlang schweigend nebeneinander her, bis endlich der Neger in der Absicht, seinen jungen Gefährten möglichst aufzuheitern, seine Hand ausstreckte und auf mehrere Insekten deutete, welche sich in den Blüten am Wege schaukelten. »Das sind Bienen,« sagte er, »wollen wir den Baum aufsuchen, in welchem sich das Nest befindet?«

Roberts Anteilnahme an der Natur, überhaupt so rege und warm, erwachte bei diesen Worten plötzlich. »Ein Bienennest?« wiederholte er, »ich sähe es wahrhaftig gern.«

»Nun, so laß uns nur der Flugspur folgen, mein Bob. Vielleicht sind ja auch ein paar Scheiben Honig zu erobern, obgleich jetzt im Frühling nicht viel vorhanden sein kann.«

Die beiden gingen weiter in den Wald hinein und immer zahlreicher wurden auf den Blumen am Wege die einzelnen Bienen. Je tiefer indessen die beiden Jäger gegen das Dickicht vordrangen, desto unruhiger zeigten sich seltsamerweise die kleinen, fleißigen Tierchen. Sie ließen die prachtvollsten Blütensträucher unbeachtet und schwärmten zu Hunderten summend und aufgeregt in der Luft herum. Bei jedem Schritt der Verfolger mehrte sich ihre Anzahl.

Mongo stand kopfschüttelnd still. Er lud nicht allein vorsichtig die Kugelbüchse, sondern auch alle Läufe des Revolvers, und dann lockerte er das große Jagdmesser in der Scheide.

Robert lächelte. »Nun, Alter,« sagte er, »willst du Bienen schießen und das Wild gleich an Ort und Stelle ausweiden?«

Mongo nickte. »Du junger Spitzbube,« sagte er, »tu nur getrost, was du mich tun siehst. Es kann in keinem Fall schaden!«

Robert blieb stehen. »Alter,« rief er, »was ficht dich an?«

Mongo legte den Finger auf die Lippen. »Pst. Bob. Hier in der Nähe befindet sich entweder ein Mensch oder ein größeres Tier,« sagte er. »Die Bienen sind offenbar erschreckt, ihr Eigentum ist bedroht, ihre Sicherheit gefährdet!«

Robert hatte kaum die ersten Worte gehört, als er auch schon eiligst dem Beispiel des erfahrenen Kameraden folgte und seine Waffen instand setzte. »Sollte es ein Bär sein, Mongo?« fragte er halblaut.

»Das vermute ich, Bob. Dieses Tier ist im Frühling äußerst frech und tollkühn, aber sehr listig dabei. Laß uns der Spur nachschleichen, aber sprich nicht,«

Die beiden glitten so geräuschlos als möglich durch das dichte Unterholz dahin, bis eine kleine Waldlichtung plötzlich größere Vorsicht gebot. Auf einem freien, mit üppigem Rasen bedeckten Platz schien hell die Sonne herab, schlanke Bäume erhoben sich zu beiden Seiten, Blumen blühten in bunter Fülle, Schmetterlinge wiegten sich auf allen Zweigen, der kleine, glänzendrote und grünschillernde Kolibri Kaliforniens segelte durch die Luft, und das Schwirren der Bienen schien hier seinen Mittelpunkt gefunden zu haben. Stellenweise hatten sich Tausende zum Knäuel geballt.

Mongo hob warnend die Hand. »Vorsichtig, Bob, hier herum muß es sein.«

Robert fühlte sich ein anderer Mensch. Aller Mut, alle Lebenslust waren plötzlich zurückgekehrt. Ach, wenn es ihm vergönnt sein sollte, eine Bärenjagd mitzumachen. –

»Wir wollen uns für den Augenblick nicht zeigen,« flüsterte Mongo. »Auf die Lichtung hinauszutreten, wäre tollkühn, bis wir den Stand der Dinge genau kennen. Aber dort ist eine kleine Lücke, wie mir scheint, – – ich gehe voran.«

Er schlüpfte über das weiche, jeden Schall dämpfende Gras dahin und spähte durch die Zweige, indes Robert leise nachschlich. Was etwa den alten Freund bedrohen konnte, das wollte er selbstverständlich teilen. Ganz geräuschlos vorwärts dringend, erreichte er, hinter dem Neger stehend, sehr bald dessen Beobachtungspunkt. Mongo winkte mit der Rechten.

»Schau her!« flüsterte er lächelnd.

Robert lugte durch die Zweige, und hätte nicht des Alten Hand so mahnend fest auf seinem Arm gelegen, er würde einen Schrei der Überraschung ausgestoßen haben.

Jenseits der Lichtung, am Saume des Unterholzes stand ein uralter, vielleicht tausendjähriger Baum, dessen unterer Stamm, mehr als halb verfault, eine breite Höhle zeigte. Gelbe, schwammige Auswüchse bedeckten den Zugang des Bienennestes, das sich jedenfalls im Innern der alten Eiche befand, Tausende von summenden Insekten verdunkelten die Luft, und vor dem Baume stand der Störenfried, dessen Erscheinen die fleißigen, kleinen Tierchen aus ihrem Stillleben aufgescheucht hatte.

Ein mittelgroßer Bär von glänzend braunem Fell, fast schwärzlich, mit spitzer Schnauze und schlankem Körper, lehnte auf seinen Vorderpfoten gegen den Baumstamm, während er mittels des Geruchssinnes zu erkennen suchte, ob sich in der unzugänglichen Höhlung vor ihm die ersehnte Beute befinde oder nicht.

Er steckte zu diesem Zweck den ganzen Kopf in das Loch hinein, so daß er für den Augenblick weder hören noch sehen konnte, was um ihn herum vorging.

Mongo schob mit schneller Handbewegung seinen jungen Freund vor die Lücke, an welcher er selbst stand. Die eigene Waffe schußgerecht haltend, keinen Blick von dem Raubtier verwendend, flüsterte er gutmütig: »Schieß, Bob, schieß, aber ziele ihm nach dem Hals, hörst du!«

Robert legte an. Sein Auge glühte, seine Brust hob sich mit schnelleren Atemzügen. Das ganze Hochgefühl des Jagdgenusses beherrschte ihn.

Noch eine halbe Minute, dann krachte der Schuß.

Und nun geschah etwas Unbegreifliches, Verhängnisvolles, etwas, dessen schlimme Folgen nur Mongos Kaltblütigkeit abwandte. Anstatt den Kopf des Bären zu treffen, schlug Roberts Kugel auf halbem Wege mitten in der Luft gegen einen harten Körper, so daß ein plötzlicher, scharfer Laut entstand, ein Zurückfahren von solcher Stärke, daß die Kugel völlig plattgedrückt an des jungen Mannes Seite in das Gebüsch hinein pfiff und von einem Baume aufgefangen zu Boden fiel. Der Schuß selbst verhallte wie der Donner eines schweren Gewitters.

Im gleichen Augenblick wandte der Bär den Kopf, sah einen Augenblick die beiden Jäger an und ließ dann seine Vorderpfoten vom Baume herabgleiten. Er ging den Feinden gerade entgegen.

»Mongo,« schrie Robert, »was war das? – Um Gotteswillen, gib Feuer!«

Die Mahnung war überflüssig. Ohne sich um den Grund der seltsamen Erscheinung weiter zu bekümmern, hatte der Neger vor allen Dingen sein nächstes Ziel ins Auge gefaßt und den ihm zugekehrten Vorderkopf des Bären aufs Korn genommen. Der Schuß krachte und das tödlich getroffene Raubtier wälzte sich auf dem Rasen im letzten Kampfe.

Jetzt erst sah Mongo nach allen Seiten. »Mein Junge,« sagte er, »es ist für das, was soeben geschehen, nur eine Erklärung möglich. Noch ein zweiter Jäger muß mit dir zugleich geschossen haben, und beide Kugeln trafen einander auf ihrem Weg zum Ziel.«

Noch ehe Robert zu antworten vermochte, sollte sich die Richtigkeit dieser Vermutung bestätigen. Über die Lichtung kam schnellen Schrittes ein hochgewachsener, schlanker Mann von etwa fünfzig Jahren. Das braune, ganz bartlose Gesicht, die dunkeln, ernstblickenden Augen, das kurzgeschnittene Haupthaar und die kräftige Haltung dieses Fremden machten den Eindruck eines ehrenhaften, vertrauenerweckenden Charakters, während dagegen die eigentümliche, halb indianische Kleidung den Blick unwillkürlich fesselte.

Auf dem Kopfe trug dieser Mann eine Mütze von Biberfell, mit mehreren Adlerfedern geschmückt. Sein fest anschließender Rock war von Leder, ebenso das Beinkleid, dessen untere Hälfte von Mokassins (Gamaschen) aus gleichem Stoff eng umschlossen wurde. Diese letzteren, ohne Zweifel eine indianische Arbeit, zeigten sich mit Federn, kleinen Muscheln, den Posen des Stachelschweines und einer Art geschnitzter Knöpfchen ans rotem Seifenstein, reich und seltsam verziert. Tierköpfe, Sternenbilder und Schlangen, alles war über- und nebeneinander in künstlicher Stickerei hergestellt, ebenso hatte der breite Ledergürtel mit daranhängender Scheide eine geschmackvolle Verzierung aus Muscheln und kleinen, flachen Steinen.

An der linken Hüfte des Jägers hing eine Jagdtasche von Otterfell mit darüber geknüpftem Bezug aus Bindgarn. Alles zusammen zeigte den in guten Verhältnissen lebenden Mann.

»Da haben wir's!« rief Mongo. »Ein Trapper!«

Robert wandte sich neugierig der fremden Erscheinung entgegen.

Seine fragenden Blicke schienen das Geheimnis der letzten Minuten so schnell als möglich durchdringen zu wollen. »Haben Sie vorhin geschossen, Sir?« rief er.

Der Pelzjäger neigte leicht zum Gruß das Haupt. »Gottes Frieden mit euch!« sagte eine wohlklingende, tiefe Stimme. »Der Bär ist eure Beute.«

»Aber Sie haben doch auch geschossen?« wiederholte Robert.

Der Trapper sah ihn lächelnd an. »Mein junger Freund hat eine bewegliche Zunge,« sagte er. »War es seine Kugel, welche im Fluge die meinige traf?«

Robert errötete leicht. »Mongo,« rief er, »du hattest also doch recht.«

»Es war nicht anders möglich, mein Kind.«

Der Trapper sah von einem zum anderen. »Wessen Kugel traf gegen die meine?« fragte er zum zweitenmal.

»Ich schoß auf den Bären,« versetzte Robert, »wahrscheinlich mit Ihnen zugleich, Herr! Daß sich die Kugeln begegneten, ist ein merkwürdiger Zufall.«

Der Pelzjäger neigte den Kopf. »Es gibt keinen Zufall, mein junger Freund«, sagte er in seiner halbindianischen Sprachweise. »Der Flug des Vogels wird geleitet von unsichtbarer Hand, der Zug der Wolken ist ein Verkünder des Menschenschicksals. In dem Zusammentreffen der beiden Kugeln redete der große Geist, – zu mir und zu dir.«

Robert fand die Erscheinung des seltsamen Mannes von Augenblick zu Augenblick anziehender. Obgleich seiner Gesichtsbildung nach ein Weißer, war er doch so braun, wie nur irgend ein Indianer des hier heimischen Comanchenstammes, hatte er im Laufe der Jahre den Zögling der Zivilisation fast gänzlich abgestreift und war zurückgekehrt zu jenem Urzustand der Menschheit, welcher den amerikanischen Wilden, soweit er in den warmen und gemäßigten Klimaten lebt, durchweg zu einer anziehenden, von allen übrigen Farbigen grundverschiedenen Erscheinung stempelt. Das stolze, zurückhaltende, verschlossene Wesen dieser Rasse, die edle Haltung und das seltene Vorkommen niederer, gemeiner Eigenschaften haben von jeher unter den Weißen ihren wohlverdienten Beifall geerntet, haben sogar die Dichter und Schriftsteller begeistert, so manche hochpoetische, unvergeßliche Gestalt aus diesen Kreisen der deutschen Jugend vorzuführen und ihr zum Liebling zu machen. Es war wirklich Unkas, der letzte Mohikaner, es war Lederstrumpf und viele andere, an die Robert dachte, als er den hochgewachsenen, braunen Mann vor sich stehen sah.

»Wie meint Ihr das?« fragte er, zwar zum »du« noch nicht ganz ermutigt, aber doch wenigstens das zurückhaltende »Sie« diesem einfachen Naturmenschen gegenüber aufgebend. »Sollte der kleine Vorfall seine tiefere Bedeutung haben können?«

Der Pelzjäger streckte die Hand aus. »Wer kann in die Zukunft sehen?« versetzte er ernst. »Der große Geist redet und seine Kinder horchen. Vielleicht kommt die Stunde, in welcher du meiner bedarfst, – oder ich deiner, – je nachdem. Der ›Jaguar‹ wird kommen, sobald du ihn rufst, er wird an jedem Abend auf dein Zeichen achten und an jedem Morgen die Wolken nach ihrer Sendung fragen.«

Roberts Spannung wuchs mehr und mehr. »Aber Ihr wißt nicht, wer ich bin, nicht wo ich wohne,« verfetzte er.

Der Trapper deutete mit der Rechten in die Gegend des Minenlagers. »Du wohnst in dem Talgrunde, welchen die Weißen Lenchi nennen,« versetzte er, »und du suchst in den Eingeweiden der Erde die gelben Körner, für welche ihr eure Seelen verkauft. Der Jaguar kennt deinen Namen nicht, aber er wird dich finden, wenn ihm der große Geist befiehlt, deinen Wigwam zu suchen.«

Unser Freund nannte seinen Namen und fragte dann, ob die Bezeichnung »Jaguar« nur Scherz sei, oder ob der Trapper wirklich so heiße. »Seid Ihr denn nicht ein Weißer gleich mir?« setzte er hinzu.

Eine Pause folgte dieser Frage. Man sah, daß der Pelzjäger nur ungern antwortete. »Der große Geist liebt seine weißen und roten Kinder mit gleicher Stärke und gleicher Treue,« versetzte er dann. »Der Jaguar ist der Bruder der Comanchen.«

Robert erkannte, daß er nicht weiter fragen dürfe. Mochte sich hinter dem seltsamen Namen des Fremdlings vielleicht ein anderer verbergen, den einst vor einem halben Jahrhundert das weiße, unschuldige Kind in feierlicher Christentaufe erhalten, – heute war der sonnenbraune Mann ein Genosse und Freund der Indianer, heute sprach er vom großen Geiste, anstatt von Gott, aber er fürchtete und verehrte die Gesetze dieses ewigen Vaters, und dadurch wurde der Unterschied ausgeglichen.

»Meine Brüder wollen vor Nacht zurück in die Stadt der Weißen?« fuhr er fort. »Es sind fünf Stunden bis dahin und der Bär ist eine schwere Last.«

Robert dachte jetzt erst wieder des erlegten Tieres, das unter Mongos Händen längst seinen Todeskampf beendet und sein schönes, lockiges Fell hergegeben hatte. Der Neger schnitt die Keulen heraus, während das übrige als ungenießbar den Coyotes überlassen wurde. Er trocknete gerade an einigen breiten Blättern das Messer, als ihn Robert anredete. »Soll ich dir helfen, Alter?«

Mongo lächelte gutmütig. »Jetzt nicht mehr, Schatz,« sagte er mit freundlichem Spott. »Aber schleppen mußt du, daß dir der Buckel kracht.«

Robert lachte. »Ein hübscher Trost für den weiten Marsch,« antwortete er.

Der Jaguar legte die Fingerspitzen auf seine Schultern. »Kennt mein weißer Bruder den Weg über den Brown-Creek?« (braunen Fluß) fragte er.

Mongo und Robert verneinten. »Dann würden wir uns dem Minenlager um mehrere Stunden näher befinden,« versetzte ersterer. »Aber von Lenchi aus ist kein Übergang zu entdecken.«

Der Pelzjäger deutete mit der Rechten nach Norden. »Ich kenne die Stelle, wo der Brown-Creek so schmal ist, daß er durchwatet werden kann,« sagte seine tiefe Stimme. »Wenn mir meine Brüder folgen wollen, so werde ich vorangehen.«

»Das nehmen wir mit bestem Danke an!« rief sehr erfreut der Neger. »Einige Stunden weniger ist für alte Knochen ein äußerst angenehmes Geschenk.«

Auch Robert erklärte sich einverstanden, und nachdem der Trapper schweigend einen Teil des fortzuschaffenden Fleisches auf seine Schultern geladen, gingen alle dreie durch die Abenddämmerung dahin. Es war für unsere beiden Freunde ein eigentümliches Gefühl, sich so in der pfadlosen Wildnis dem völlig unbekannten Führer gewissermaßen mit gebundenen Händen wehrlos zu überliefern. Wenn er die vertrauenden Genossen in einen Hinterhalt locken, wenn er sie vielleicht den Comanchen als Gefangene zuführen und ein reiches Lösegeld erpressen wollte?

Aber nein, nein, dieser Mann konnte keinen Verrat begehen. Robert erstickte den Gedanken eben so schnell, wie er gekommen. Allerdings bewachte sein Blick ziemlich unausgesetzt jede Bewegung des Pelzjägers, aber dennoch beherrschte ihn kein Argwohn, namentlich da Mongo, der gründliche Menschenkenner, so vollkommen ruhig schien.

Allmählich gab er sich sogar dem Eindruck des Augenblickes zwanglos hin. Die wundervolle Ruhe der Frühlingsnacht, das leise, neckende Spiel der windbewegten Zweige auf dem von hellem Mondlicht überfluteten Rasen, der schwere Flügelschlag vorüberhuschender Nachtvögel, das eilige Rascheln aufgescheuchter, kleiner Tiere im Laub, alles zusammen bildete ein entzückendes Ganze.

Auf freien Flächen, wo sich die Schatten in scharfbegrenzten Umrissen abzeichneten, schien der Pelzjäger mit seiner spitzen, reiche verbrämten Kopfbedeckung, mit der hohen, markigen Gestalt und dem enganliegenden Anzuge ein vorweltlicher Riese, wie ihn uns die Märchendichter malen. Er ging leichten Schrittes, schweigsam und aufrecht durch die Wildnis voran, bis endlich nach mehrstündigem Marsche das Ufer des Brown-Creek erreicht war. Nach kurzer Wanderung zur Seite der murmelnden Flut sahen die Reisenden ein dichtes Gebüsch, das sich fast gänzlich über den Wasserspiegel herabneigte. Zugleich schienen Felsen den Lauf des Flusses zu hemmen; eine graue, steile Wand schob sich neben dem Gebüsch querlaufend dahin, und das Plätschern der Wellen war verschwunden.

Der Trapper stand still und suchte mit den Augen eine bestimmte Stelle der Gebirgswand. »Hier ist es,« sagte er. »Meine Brüder mögen mir folgen.«

Mongo und Robert sahen einander zweifelnd an. Mit ziemlich starker Strömung dahinfließend, selbst unter dem verhüllenden Flechtwerk der Gebüsche noch seine achtzehn bis zwanzig Fuß breit, schien der Fluß für einen Fußgänger unmöglich überschreitbar. Und selbst, wenn dies dennoch der Fall gewesen wäre, – wo gab es einen Weg durch die graue, öde Steinmasse?

Aber ein Zögern konnte doppelte Gefahr werden. Jetzt auf dem gewöhnlichen Wege mehr als sieben Stunden von Lenchi entfernt, blieb unseren Freunden nur übrig, dem voranschreitcnden Jäger in die Finsternis des granitnen Walles zu folgen. Robert drängte sich zunächst an des Jaguars Seite. Mongo machte den Beschluß.

Es war eine enge, gewundene Felsspalte, die sich weiterhin zum Gewölbe erhob, durch welche der Pelzjäger seine neuen Freunde führte. Nach wenigen Schritten in tiefer, grabesähnlicher Finsternis schien plötzlich von oben herab der Mond mit schrägem Strahl wieder auf den Weg. Von rechts her fiel das Wasser langsam sickernd durch einen engen Kanal in seinen, für Augenblicke unterbrochenen Lauf zurück, während links in gleicher Weise ein Abzug stattfand. Das Wasser war inmitten dieser natürlichen Höhlung kaum sechs bis acht Zoll tief, so daß es bequem und ohne alle Gefahr durchwatet werden konnte.

Auf der entgegengesetzten Seite mußte ein ziemlich steiler Abhang überklettert werden, und dann war die bekannte Umgebung von Lenchi erreicht. Noch eine Stunde Weges stand den beiden Goldsuchern bevor, bis sie sich in Neu-Pinneberg ausruhen konnten.

Der Trapper ließ den Bärenschinken, welchen er bis jetzt getragen, auf das Moos herabgleiten. »Meine Brüder können von hier aus ohne Führer ihren Wigwam erreichen,« sagte er freundlich. »Der Jaguar wünscht ihnen eine gesegnete Nachtruhe.«

Mongo drückte dankbar des braven Mannes Hand. »Möchten wir bald in der Lage sein, Euch Euren Freundschaftsdienst vergelten zu können, Jaguar,« versetzte er, »und möchten wir Euch unter unserem eigenen Dache als Gast willkommen heißen, bevor noch die Sonne dreimal zur Rüste gegangen. Nehmt unseren besten, herzlichsten Dank.«

Der Pelzjäger bewahrte seine stolze, obwohl liebenswürdige Haltung. Er richtete auch an Robert den gleichen Abschiedswunsch. »Du und ich, wir sehen einander heute nicht zum letztenmal,« sagte er. »Unser Lebensfaden läuft eine Zeitlang vereint.«

Robert hielt die braune Hand des Trappers. »Wann kommst du, um uns zu besuchen?« fragte er.

Der Jaguar deutete mit erhobenem Arm zum Himmel. »Sieh die Wolken,« klang es von seinen Lippen, »sie sind die Propheten und Sendboten des großen Geistes. Von Lenchi nach den Jagdgründen der Comanchen ziehend, immer drei in einer Reihe – gewahrst du sie?«

Robert hätte nicht lachen können. Er nickte stumm.

»Wohlan,« fuhr der Pelzjäger fort, »ehe drei Nächte vergehen, wirst du meiner bedürfen. Der große Geist hat gesprochen.«

Fast kalt überlief es bei diesen Worten den jungen Mann. Die ganze Bekanntschaft, die Art und Weise des Fremdlings hatten etwas so Seltsames, Packendes. Es war unmöglich, das, was der Jaguar mit solcher Bestimmtheit behauptete, als Torheit zu verlachen.

»Versteht es mein weißer Bruder, das Geschrei der Elster nachzuahmen?« fuhr der Jäger fort. Robert lächelte. Schon als zehnjähriger Knabe war er imstande gewesen, die Stimmen sämtlicher ihm bekannter Tiere nachzuahmen. Anstatt aller Antwort klang täuschend ähnlich das Krächzen und Kollern der Elster in die Nacht hinaus.

Der Jaguar neigte das Haupt. »An jedem Abend, wenn die Sonne untergeht, findet mich bei dem Übergang des Brown-Creek dein Ruf,« fuhr er fort. »Dreimal in kurzen Pausen ahmst du die Elster nach, und ich verspreche dir, an deine Seite zu treten.«

Robert drückte seine dargebotene Hand. In mancher Beziehung verriet doch das Wesen des Trappers noch den Weißen. Er gab die Rechte, was kein Indianer tut, er berührte zum Abschied die spitze Mütze.

Robert fühlte sich seltsam berührt. »Ist das, was mir bevorsteht, Gutes oder Böses, Jaguar?« fragte er beklommen.

Der Pelzjäger blickte wieder zum Himmelsdom empor. Er schien von dem Indianerglauben an die weissagende Kraft der Wolken vollständig durchdrungen, »Sieh die drei weißen Inseln im blauen, unendlichen Meer,« versetzte er, – »ein Stern leuchtet hindurch. Er beschützt dein Haupt, er bedeutet dir Segen. Gute Nacht!« –

Die braune Hand zog sich zurück, der Pelzjäger stand mit keckem Sprunge auf dem natürlichen Wall und war im nächsten Augenblick verschwunden.

Der Nachtwind fuhr über die Stelle, an welcher er gestanden, im Osten dämmerte bereits ein Heller Streif und bis nach Lenchi war noch weit. Schweigend, beide unter dem Eindruck des eben Erlebten, gingen unsere Freunde über die wohlbekannten Wege ins Tal hinab. Es wurde nichts mehr gesprochen, nur vor der Tür von Neu-Pinneberg legte Robert die Hand auf Mongos Achsel.

»Laß die Sache vor der Hand unter uns bleiben, Alter,« flüsterte er. » Gottlieb denkt sonst nichts Geringeres, als daß der Jaguar in nächster Nacht mit einer Indianerhorde geritten kommt, um unsere Skalpe an seinen Gürtel zu bringen.«

Mongo lachte. »Du junger Spitzbube,« antwortete er nur, aber Robert wußte, daß er unbedingt auf seine Verschwiegenheit zählen könne.

Als die beiden das Innere der Hütte betraten, sahen sie den geängstigten Gottlieb, wie er in einer Ecke kauerte und seine Kugelbüchse krampfhaft in beiden Händen hielt. »Mein Gott, wo seid ihr gewesen?« rief er. »Ich glaubte euch längst von wilden Tieren gefressen.«

Robert ließ die Doppellast des Felles und des einen Schinkens auf den Fußboden gleiten. »Beinahe hättest du recht bekommen,« lachte er. »Wir bringen aber den Bären, anstatt ihm zum Fraße zu dienen, vielmehr mit, in der entschiedenen Absicht, seine Keulen demnächst zu verspeisen.«

Gottlieb sprang empor wie von einer Feder geschnellt. »Du hast einen Bären – –«

Mehr konnte er nicht hervorstammeln. Die Kugelbüchse schwankte in seiner Hand wie ein geknickter Halm.

Robert breitete im Mondschein das Fell aus. »Beruhige dich,« sagte er. »Dieser Meister Petz ist nur noch ein Stück Vergangenheit!« –

Und lachend warf er sich auf das Lager, um sogleich von den heutigen Erlebnissen zu träumen. Er sah den Pelzjäger auf der Steinwand, sah die drei weißen Wolken mit dem hellleuchtenden Stern in der Mitte, und hörte wieder die tiefe wohlklingende Stimme: »Ehe drei Nächte vergehen, wirst du meiner bedürfen.« –

 

Am folgenden Morgen ging Gottlieb zum erstenmal wieder mit hinaus an die Arbeit. Obwohl er nur wenig zu helfen vermochte, wurde doch im ganzen mehr beschafft als während der letzten Wochen, wo er vollständig gefehlt hatte. Der Ertrag war überhaupt ein sehr reichlicher, das Wollentuch blitzte von Gold, und die Stimmung nahm demgemäß einen erneuten, festlichen Aufschwung. Man arbeitete tapfer, um womöglich das Versäumte wieder einzuholen.

Die Jagdbeute wurde mit lebhaftem Beifall begrüßt und mit blanken Dollars bezahlt, alles schien im besten Stande, alles ging nach Wunsch, und Robert dachte heimlich im innersten Herzen, daß doch die Prophezeiung des Trappers nur ein Schattenbild, ein Hirngespinst gewesen sein könne. »Wie sollte ich zwischen heute und morgen in die Lage kommen, dieses fremden Mannes Hilfe in Anspruch nehmen zu müssen?« fragte er sich. »Es ist fast undenkbar.«

Dennoch aber kamen ihm die Worte des Jaguars nicht mehr aus dem Sinn.

Am dritten Morgen herrschte fast tropische Hitze. Das seltsam unbeständige Klima von Kalifornien schwankt unvermittelt zwischen glühender Hitze und lästiger Kälte, und gerade an diesem Tage schien die Luft vollständig stillzustehen. Kein Hauch träufelte die Blätter auf den Bäumen, kein Vogel sang, und keine Stirn war trocken. Bei regungsloser, glühender Atmosphäre arbeiteten unsere Freunde aber dennoch fortwährend weiter, und fortwährend fiel Gewinn nach Gewinn in ihre Mulde. Bei jedem neuen Axtschlag erschienen mehr glitzernde Punkte in dem losgebröckelten Erdreich, immer näher rückte endlich der ersehnte Erfolg.

Am Abend war das Wollentuch reicher versehen als jemals zuvor.

Robert und Gottlieb jubelten laut. Endlich, endlich schien ihnen die Sonne des Glückes aufgegangen. Endlich fanden die langen, erfolglosen Mühen den schwerverdienten Lohn.

»Noch zwei Monate so wie heute!« dachte unser Freund, »und ich habe die Summe, welche mir fehlt, um meinen Vater zu bezahlen, ich kann von hier abreisen, in San Francisco eine Heuer suchen und nach Pinneberg eilen. O Gott, Gott, wenn es gelänge.«

Und in diesem Augenblick, wo ihm die Erfüllung nahe zu liegen schien, in diesem einsamen Augenblick, wo er mit pochendem Herzen den Goldstaub in der Hand wog, – gestand sich unser trotziger Freund, wie innig, wie glühend er das Wiedersehen ersehnte. Seine Augen glänzten, seine Brust hob sich in schnelleren Atemzügen, – unwillkürlich flüsterte er den Namen der geliebten Heimat. Jeden Fleck Erde wollte er neu und jubelnd begrüßen, jede vertraute Stelle, wo seine Erinnerungen wohnten, wo er als Kind so glücklich gewesen. –

Den kleinen, engen Hof, die alten strohgedeckten Ställe, das Gärtchen und Pikas, den häßlichen Hund, welchen er trotzdem liebte – ach, Wiedersehn, Wiedersehn! Du Zauberwort, wie berückt dein Klang die Herzen, wie machst du sie trunken vor Seligkeit, wie bringst du alles zurück, was auf langer einsamer Irrfahrt der arme, sterbliche Mensch verloren, wie bist du unter allen deinen Millionen von Brüdern dem Himmel am nächsten verwandt!

Robert saß auf der Kiste und träumte den uralten Traum von Menschenglück, dem trügerischen, wandelbaren, – er sah sich in Pinneberg, er ruhte aus am Herzen der Seinen, er küßte voll demütigen Dankes die Erde, auf welcher seine Wiege gestanden. –

Er hörte nicht, daß sich draußen der Wind erhob und einen Schauer von Staub gegen die einzige Scheibe der Hütte warf, daß leise grollend der Donner heraufzog und falber Schein den westlichen Horizont in Flammen setzte. Kein Regentropfen kühlte die unerträgliche Hitze, – nur immer starker rollte es und knatterte und zischte, bis endlich ein Schlag die Luft zerriß, ein Schlag, so furchtbar, als sollte die Welt in Trümmer gehen.

Robert fuhr auf. Den gelben Blitz hatte er gesehen, wie zuweilen in Stunden heftiger Anspannung aller unserer Seelenkräfte die Sinne wahrnehmen, ohne daß wir selbst uns dessen bewußt werden. Jetzt aber floh der Traum, – dieser furchtbare Wetterschlag hatte ihn verscheucht.

Robert wollte vor die Hütte treten und sich nach seinen beiden Genossen umsehen, aber eine solche Sündflut von Staub quoll ihm entgegen, daß er den Plan fallen lassen mußte. Mongo und Gottlieb würden ohnehin jedenfalls bei diesem Wetter im Wirtshaus eine Zuflucht gesucht und gefunden haben.

Er setzte sich wieder an seinen früheren Platz, aber der Faden jener schmeichelnden Träumereien war doch zerrissen. Es trat sogar eine Befürchtung an seine Stelle. Wenn nun morgen der Grund der Waschrinnen so durchweicht war, daß sich nicht arbeiten ließ?

Robert lächelte. »Ich gerate in Gottliebs Fahrstraße!« dachte er.

Und während so sein Blick die vorüberwirbelnden, völlig undurchsichtigen Lawinen von Staub mit einiger Sorge beobachtete, erscholl plötzlich auf der Straße ein Laut, welcher ihm das Blut in den Adern erstarren ließ.

Er sprang auf, er horchte in tiefster Seelenangst, – vielleicht, vielleicht hatte ihn ja sein Gehör doch getäuscht, vielleicht war das Schreckliche nur noch ein Irrtum.

Aber schon nach wenigen Augenblicken sollte er erkennen, daß seine erste Wahrnehmung die richtige gewesen. Noch einmal, noch zehnmal, hundertfältig in jeder Minute, sich von Mund zu Mund fortwälzend und anschwellend zum Verzweiflungsschrei klang es durch das Unwetter dahin.

»Feuer! – Feuer! –«

Die Stadt von Holz und geteertem Segeltuch brannte. Wie einen glühenden höllischen Regen trug der Wirbelwind die Funken über alle diese Dächer dahin.

Eine einzige, leise plätschernde Quelle befand sich nur in der Nähe, man hatte keine Feuerspritze, keine Leitern, keine Noteimer, man rannte in plötzlicher Angst kopflos hin und her, indes der Himmel schwarz und bleigrau in tiefen Wolken herabhing und auch keinen einzigen Regentropfen spendete, – indes das gefräßige Element mit tausend roten Zungen an den ausgedörrten Holzwänden emporleckte, und wachsend in rasender Schnelle bald zum Glutmeer wurde, in dessen Nähe sich nichts Lebendes mehr wagen durfte.

Robert stürzte jetzt hinaus auf die Straße. Alles wirbelte ihm entgegen. Schreiende Frauen und Kinder, Männer, welche ratlos dies und das vorschlugen, ohne einander zu hören, ohne vielleicht selbst zu wissen, was sie sprachen.

Daß es tatsächlich keine Rettung gäbe, sah im innersten Herzen jeder.

Und immer heißer wurde die Luft. Brennbare Stoffe schleuderte der Sturm auf entfernte Dächer, an zehn Stellen loderte es empor, blutrote Gluten färbten den Himmel.

Mongo und Gottlieb stürzten durch den dichten Rauch herbei; wie ein Verzweifelter warf sich der junge Pinneberger auf die Kiste, welche sein ganzes Hab und Gut enthielt. Er weinte laut unbekümmert um die fremden Augen, denen er in dieser Weise das furchtbare Weh seiner Seele preisgab. »Meine Eltern, o meine unglücklichen Eltern! Ich werde sie nie wieder aus dem Armenhause erlösen können!«

Und halb sinnlos vor Schmerz schlug er mit der Stirn gegen die harte Kiste, wie um sich gewaltsam einen Ausweg zu bereiten. Sein Schluchzen klang herzzerreißend.

»Mongo,« fragte verstört unser Freund, »sollte das Feuer bis hierher kommen?«

Der Neger fuhr seufzend durch das Weiße Haar. »Es ist ein Unglück, mein Bob,« versetzte er, »aber wir müssen es eben wie Männer ertragen. In zehn Minuten brennt unsere Heimat, – in zehn Minuten sind wir Bettler, denn auch die Waschrinne wird dermaßen verschüttet werden, daß wochenlange Arbeit notwendig ist, um sie wieder gebrauchsfähig zu machen.«

»Allmächtiger Gott! – und das in einem Augenblick, wo ich so glücklich war, wo ich glaubte und hoffte, daß nun eine neue und bessere Zeit anbrechen werde.«

Der Alte streichelte Roberts erblaßtes Gesicht. Du weißt ja nicht, wozu uns der neue schwere Schlag berufen soll, mein Junge,« tröstete er. »Auch dies Unglück ist Gottes Sendbote, obwohl dir scheinen will, als hätten feindliche Mächte mit uns ein tückisches Spiel getrieben. Komm, Bob, warst ja in schlimmeren Stunden ein ganzer Mann, sei es also auch heute. Hilf mir, unsere Decken und unser Arbeitsgerät bergen.«

Robert fuhr auf. »Du hast recht, Alter,« sagte er. »Ein Mann soll nie verzweifeln. Laß uns tun, was der Augenblick erfordert.«

Der Neger sah zur Feuerstätte hinüber. Nur noch fünf Häuser standen zwischen Neu-Pinneberg und dem zischenden, knisternden Flammenmeer. »Es eilt!« versetzte er voll Schreck. »Da fliegen schon die ganzen brennenden Wollhemden und Röcke aus Samuel Ekiwas Laden auf unser Dach. Arme Hütte, du hattest trotz des vortrefflichen Richtspruches kein Glück.«

Er trat hinein, und Robert folgte ihm. Gottlieb lag noch regungslos mit dem Gesicht auf der Holzkiste.

»Komm, Freund,« drängte Mongo, ihn an der Schulter rüttelnd. »Komm, es ist die höchste Zeit, oder du gerätst in Gefahr zu ersticken.«

Gottlieb antwortete nicht, und erst als auch Robert sein Zureden mit dem des Negers vereinigte, schüttelte er ächzend den Kopf. »Laßt mich, – laßt mich, ich will nicht gerettet werden, ich will sterben. Was nützt mir das Leben, wenn ich ein Bettler bin?«

Aber Mongo verstand die Sache anders. Als der verzweifelte junge Mensch in seine vorige Lage zurücksinken wollte, ergriff er ihn und stellte ihn mehr kräftig als sanft auf die Füße. »Bitte deinen Herrgott um Verzeihung, Bursche,« sagte er strenge, »und da! diese Decken trage hinaus. Spute dich, das Feuer ist dir hart auf den Fersen.«

Er selbst und Robert ergriffen inzwischen die wenigen Einrichtungsstücke, welche in Neu-Pinneberg überhaupt vorhanden waren, Gottlieb wurde ohne weiteres gezwungen, vorwärts zu gehen, und als nach kurzer Frist die Flammen das kleine Gebäude ergriffen, da war es wenigstens leer. Das Hab und Gut der unglücklichen Goldwäscher lag in geringer Entfernung von der Brandstätte auf einem Haufen, während seine Eigentümer stumm zusahen, wie das Dach, welches sie beschützt, krachend einstürzte, und in einer jähen, plötzlich aufwirbelnden Lohe die Wände mit sich ins Verderben riß.

Nach zwei Stunden hatte das verheerende Element die ganze Stadt zerstört. Fliegende, heiße Asche war das einzige, was von allen diesen Hütten, diesen Tanzsälen und Spielhäusern übrig geblieben, dumpfe Verzweiflung lastete auf jedem Herzen, unheimliche Stille hielt die ganze Stätte der Vernichtung in ihrem Bann.

Gegen Morgen fiel der Regen in Strömen herab. Was in Lenchi atmete, das wurde bis auf die Haut durchnäßt, kein Feuer konnte entzündet werden, die Lebensmittel waren verbrannt und als das ärgste, die Waschrinnen, wie Mongo vorausgesagt, vollständig verschüttet. Das Stampfen und Flüchten der Tiere, die eiligen Fußtritte der Menschen hatten hier und da die Erde in den künstlichen Kanal zurückgeworfen, Trümmer aller Art waren hineingefallen, Asche und Stroh bildeten große Haufen. Dazu mußte sich der Gebirgsquell, welcher, aus ziemlicher Höhe herabstürzend, von den Goldwäschern künstlich in die verstopfte Rinne geleitet worden war, jetzt, nachdem ihm der Weg versperrt, eine andere Bahn suchen. Allmählich überflutete daher das Wasser alle Straßen der verbrannten Stadt, wohin der Fuß des Menschen trat, da versank er im Schlamm, und als endlich hinter den dichten Regenwolken die Sonne erschien, beleuchtete sie ein Bild der grauenhaftesten Zerstörung.

Unsere drei Freunde saßen nebeneinander auf einem Baumstamm, den Mongo kürzlich von Ästen und Zweigen befreit, um ihn als Heizungsmaterial zu verwenden. Der Regen fiel plätschernd auf ihre Köpfe herab, die Füße standen im Wasser, und die Hände lagen untätig im Schoße.

Heute war auch Robert mutlos. »Es ist, als gehe das Leben zu Ende,« sagte er. »Man hat keine Wohnung, keine Speise, und was das Schlimmste ist, keine Arbeit.«

»Um so mehr muß man sich bemühen, den Kopf oben zu halten, mein Bob.«

Robert hob beide Hände empor. Vollständig durchnäßt ließen seine Kleider die Tropfen überall herablaufen. »Aber was sollen wir beginnen?« fragte er ganz hoffnungslos. »Es ist alles, alles dahin!«

Mongo sah ihm bedeutsam ins Auge. »Und das sagst du, Bob.«

Unser Freund errötete. Zwar hatte er sich während der langen, schrecklichen Nacht mehr als einmal unwillkürlich der sonderbaren Vorhersage des Pelzjägers erinnert, aber dennoch vermochte er es nicht, die Sache ernst zu nehmen. »Und wenn ich hinginge,« dachte er, »wenn ich den Beistand des Jaguars in Anspruch nähme, – was könnte es mir nützen?«

»Laß uns erst einmal nachforschen, ob nicht an irgend einer Stelle Kaffee gekocht wird,« schlug der Neger vor. »Einige von den Goldwäschern besaßen Petroleumöfen.«

Gottlieb rang mit kläglicher Miene das Wasser aus seiner Mütze, um sie dann, mit tausend Falten verziert, wieder aufzusetzen. »Es gibt hier ja kein Dach mehr!« ächzte er.

Das klang zu tragikomisch, um nicht die beiden anderen trotz der Schwere des Augenblicks dennoch zu belustigen. Mongo lachte. »Auf, mein Bob,« rief er, »wo waren die Verhältnisse schlimmer, hier, inmitten Hunderter, wo die Luft warm, das Trinkwasser im Überfluß vorhanden und der Wald von eßbaren Tieren angefüllt ist, oder – am Eismeer, in der Felsenwüste ohne Baum und Strauch, ohne einen Quell, ohne ein Wild, ganz, ganz allein, von allen Lebenden verlassen! – Sprich, mein Junge, wo war es schlimmer?«

Robert nickte. »Dort, Alter,« versetzte er, »sicherlich dort. Wenn wir aber bei alledem nur erst einmal einen Aufenthalt gefunden hätten, und wenn der entsetzliche Regen aufhören wollte. Das Geschirr rostet, der Schießbedarf wird, oder ist längst unbrauchbar, die Speisevorräte können der allgemeinen Vernichtung unmöglich entgangen sein.«

Gottlieb deutete mit einer leichten Neigung des Kopfes zur Seite. »Dort stolpert Samuel Ekiwa heran!« sagte er. »Was mag der wollen?«

Wirklich kam der kleine Hebräer über die Schutthaufen und Wassertümpel des Weges dahergehüpft wie eine Bachstelze. Auch er triefte von oben bis unten, aber das listige Gesicht zeigte keineswegs Trübsal oder Zerknirschung. Schon von weitem begrüßte er die dreie.

»Nichts gerettet?« rief er, sich umsehend. »Alles dahin? – Mit Erlaubnis!«

Und dann setzte er sich auf das Ende des Baumstammes, wollte in gewohnter Weise die Stirn mit dem Taschentuch trocknen, fand dasselbe aber noch bedeutend durchnäßter als sein Gesicht selbst, und steckte es, nachdem er es ausgerungen, wieder bei. »Was werden die Herren jetzt zunächst beginnen?« fragte er. »Schon ein Plänchen fertig?«

»Haben Sie etwa ein solches, Mr. Ekiwa?« versetzte Robert.

»Vielleicht!« schmunzelte der kleine Mann. »Vielleicht! Zweie machen ein Paar, wie Sie wissen, meine Herren!«

»Gut, so versuchen wir, ob es uns gelingt, eine Einigung zu erzielen.«

Der Kaufmann blinzelte vertraulich. »Zunächst müssen Sie bauen!« sagte er. »Aber es ist in Lenchi kein einziges Brett aufzutreiben, es kann Ihnen niemand helfen, da jeder für sich selbst vollauf zu tun hat. Was denken Sie also anzufangen?«

Robert zuckte die Achseln. »Es ist bald Sommer, und wir werden ein Zelt aufschlagen,« versetzte er.

»Well, Sir, well, sehr richtig. Dachte ganz das Gleiche. Habe einen hübschen Posten geteertes Segeltuch, wovon Sie erhalten können, ebenso Schießbedarf und Kleidungsstücke, Bindgarn, alles was Sie wünschen, was zur neuen Einrichtung erforderlich ist. Wirklich, Sir, ich greife ihnen bestens unter die Arme, meine es mit Ihnen und den beiden anderen Herren wie ein Bruder, können Sie glauben. So viele Abnehmer für die Ware! – Puh, so viele wie Sand am Meer, aber hierher komme ich zuerst, wahrhaftig. Sie müssen schon in der nächsten Nacht wieder unter Dach und Fach schlafen.«

Er nickte bei jedem seiner Worte, und die Regentropfen rannen an der alttestamentlichen Nase regelmäßig wie exerzierende Soldaten nacheinander herab. »Schlagen Sie ein, Sir,« sagte er. »Außer mir besitzt niemand hier in Lenchi das, was Ihnen fehlt.«

»Aber wie haben Sie die brennbaren Stoffe vor dem Feuer bewahren können, Mr. Ekiwa?«

Der Jude schmunzelte. »Eiserne Kisten, Sir, Sicherheitsschlösser, teure Ware, teure Fracht. Aber was tut man nicht, um andern gefällig zu sein, was muß man nicht wagen, um mit Ehren durch die Welt zu kommen?«

Hier streckte Gottlieb die Hand aus. »Mr. Ekiwa,« sagte er, »welche Preise machen Sie in diesem Augenblick für Zeltleinen und Schießbedarf?«

Der Kaufmann zuckte die Achseln. »Teurer als gewöhnlich wird es werden, Sir.«

»Das finde ich begreiflich. Aber wie viel teurer, Mr. Ekiwa?«

»Hm, ich gebe Ihnen den Bedarf an Zelttuch und Bindgarn, für jeden einen neuen Sonntagsanzug, ein paar Hemden und Strümpfe, Schießbedarf, Seife, Wichse, kurz alles was not tut, ich sorge für die Herren wie ein Bruder, bewillige sechs Monate Frist und verlange für diese Hilfe im Augenblick größter Bedrängnis nur einen Wechsel über tausend Dollar, von jedem von Ihnen unterschrieben.«

Gottlieb sprang wie außer sich auf seine Füße. »Ich dachte es wohl!« rief er in höchster Entrüstung, »ich wußte es mit Sicherheit voraus. Herr, Sie sind ein –«

Mongos Hand legte sich ermahnend auf die des jungen Mannes. »Stille, Gottlieb, nicht grob werden, mein Junge. Man sagt leicht ein Wort zu viel, wie du weißt.«

Der Kaufmann nickte wie eine chinesische Pagode. »Mag überhaupt mit diesem Herrn durchaus nichts zu tun haben,« rief er. »Halte ihn für einen ganz grünen, unreifen Burschen, der besser zu Hause geblieben wäre, um sich hinter seiner Frau Mutter zu verstecken und von ihr mit Zwiebacksbrei füttern zu lassen! – Mr. Kroll, was sagen Sie zu meinem Plane?«

Robert erhob sich etwas heftig vom Sitz. »Daß ich in allen Stücken so denke, wie mein Freund, Herr Gottlieb Funke,« versetzte er mit scharfer Betonung des Wortes »Herr«. »Ich für meinen Anteil unterschreibe keinen Wechsel, der mir die Kehle zuschnüren müßte. Zweihundert Dollar, mehr darf das neue Zelt nicht kosten.«

»Keinen Cent mehr!« rief Gottlieb. »Schon das ist ein Sündengeld.«

Der Jude zeigte durch allerhand Gesten seine unverhohlene Nichtachtung. »So schlafen Sie unter freiem Himmel,« rief er, »gehen Sie zu Grunde, wie und wann Sie wollen. Mich kümmert's nicht, von mir bekommen Sie keinen Fetzen Segeltuch.«

Und ohne Gruß und Abschied davonstürzend, ließ er unsere drei Freunde in um so größerer Ratlosigkeit zurück. Mit ihm war gewissermaßen die Brücke zum Wiederanfang unter den Füßen der Wanderer abgebrochen worden, mit der Aussicht auf eine Zukunft ohne Obdach schien die Existenz der drei Abenteurer in ihren Grundfesten erschüttert.

»Was nun?« fragte Robert.

Gottlieb war wieder vollständig in Harnisch geraten. »Einerlei!« rief er. »Lieber sterben, als solche Bedingungen unterschreiben.«

Mongo hob die Hand. »Kinder,« schaltete er ein, »das kommt noch nicht gleich so ganz zum äußersten. Pulver und Blei sind geborgen. Ich habe beides in eine Blechkapsel geschüttet und vor dem Regen mittels eines dichten Brettes behütet. Wir können also zu jeder Zeit einen Braten schießen, – das ist schon etwas, wie ich meine.«

Robert nickte. »Wenn nur nicht unsere Waschrinne verschüttet wäre!« seufzte er.

Mongo sah zu den grauen Wolken empor. »Der Regen scheint noch nicht aufhören zu wollen, mein Bob,« sagte er. »Wir müssen uns erkundigen, was andere beabsichtigen, müssen uns hier nicht so absondern und einander die Sache immer schwerer vorstellen. Kommt nur, Kinder, kommt, wir sprechen erst einmal mit unseren Bekannten.«

Er ging voran und die beiden anderen folgten ihm. Der Anblick aller dieser zerstörten Wohnstätten, dieser Trümmer und verkohlten Balken, über welche das Wasser von oben und unten dahinrauschte, war schrecklich. Jammernde, weinende Frauen saßen an der Stelle, die noch bis vor kurzem ihre irdische Heimat gewesen. Sie schienen sich von diesem Fleck Erde, obwohl er sich von der trostlosen Umgebung in nichts mehr unterschied, doch immer noch nicht trennen zu können, sondern hielten krampfhaft ihre kleinen, erschreckten Kinder in den Armen und schluchzten nur um so heftiger, je eindringlicher sie die Männer zu trösten versuchten.

Aber auch Bilder der Roheit und Zügellosigkeit boten sich den Blicken unserer Freunde. Aus den verschiedenen Wirtschaften und Tanzlokalen hatte man beim Ausbruch des Feuers natürlich zuerst das Wertvollste, die Branntweinfässer, gerettet, und jetzt wurde auf offener Straße das Geschäft fortgesetzt. Stehend tranken die Männer in Strömen das höllische Gift, welches bei jeder Erschöpfung des Körpers oder der Seele so angenehm belebend zu wirken scheint, und das doch nicht allein den Menschen zum Tier herabwürdigt, sondern auch seine Gesundheit vollständig zerstört. Schon in dieser frühen Stunde sah man Berauschte dahertaumeln, sah man ganze Gruppen von Goldwäschern, wie sie sich auf den Trümmern ihrer Häuser gelagert hatten und rohe Gassenhauer absangen, oder je nach Laune die Köpfe blutig schlugen.

Was noch nüchtern war, das schien allen Mut verloren zu haben. Einzelne drückten Roberts Hand oder sprachen ein paar Worte des Bedauerns, der eigenen Ratlosigkeit, andere erklärten, daß sie den vorrätigen Goldstaub verkaufen und alsbald nach einer neuen Minenstadt aufbrechen würden. »Hier in Lenchi mußte man ohnehin schon auf alle Annehmlichkeiten des Lebens verzichten,« meinte der Zimmermann, »es gab kein Theater, keine Bücher, keine Zeitungen, ja, nicht einmal Straßenbeleuchtung, und trotzdem war alles brandteuer. Wie wird es aber jetzt erst werden, wo Monate dazu gehören, bis Bretter herbeigeschafft sind, um nur wenigstens wieder feste Wände um sich herum zu fühlen? Ich bleibe nicht, Mr. Kroll! – Wollen Sie mit mir gehen?«

»Noch weiter in die Wildnis hinein?«

»Etwa hundert Meilen, ja.«

Robert schüttelte den Kopf. »Das muß ich mir wahrhaftig erst überlegen,« versetzte er.

Und dann wanderten die drei weiter, um nach Lebensmitteln zu spähen. Der Lehmofen des einzigen Bäckers in der Stadt hatte natürlich von den Flammen nicht erfaßt werden können, daher dampfte hier ein tüchtiger Kaffeekessel, und das warme Gebäck lud zum Genusse ein. Aber alles hatte über Nacht doppelte Preise erhalten: die Tasse Kaffee kostete heute einen halben Dollar und das Brötchen von der Größe einer Semmel nicht viel weniger. Sich mit dem gesunden Appetit der Jugend sattessen, hieß auf den Konkurs lossteuern.

In einer Gruppe sprachen mehrere Männer von dem, was jetzt zuerst vorgenommen werden müsse. Die nötigen Arbeiten zur Wiederherstellung der Waschrinne konnten etwa acht Tage kosten, aber während dieser verdienstlosen Zeit mußte man leben und würde dadurch in drückende Schuldenlast geraten. Was war zu machen, – es gab keinen anderen Ausweg.

Dabei regnete es unaufhörlich und nahezu alle arbeitsfähigen Männer taumelten betrunken einher. Durchnäßt, von Ruß und Asche geschwärzt, von Branntwein gerötet, mit verworrenem Haar, meistens ohne Kopfbedeckung, sahen sie aus wie böse Geister, die der Unterwelt entstiegen, auf Trümmern und Brandstätten ihr Wesen trieben, Dämonen voll wilder Roheit mit gellender Stimme und verglasten Augen. –

Robert versuchte es, sie zu ernüchtern, zu einem gemeinsamen tatkräftigen Vorgehen aufzurütteln, aber ganz vergeblich. Sie verstanden ihn entweder gar nicht, oder sie lachten ihm offen ins Gesicht.

Entmutigt gab er die Sache auf. Wenn nicht ein paar hundert Hände zugriffen, um die Waschrinne, welche jetzt schon vollständig einem Gebirgsbache glich, wieder in ihren früheren Zustand zurückzuversetzen, so blieb alle Arbeit und Mühe des Einzelnen vollständig fruchtlos. Die umhertaumelnden Berauschten machten es den wenigen Besonnenen geradezu unmöglich, irgend etwas zur Verbesserung der gemeinsamen Lage zu unternehmen.

Robert knirschte vor Zorn. »Mongo,« sagte er, »jetzt erst durchschaue ich den Spitzbubenplan des Juden. Er wollte uns zur Annahme seines Vorschlages drängen, bevor wir wußten, wie schwer es sein wird, die Waschrinne wieder instand zu setzen. Wahrhaftig, ich glaube, es ist das beste, uns denen anzuschließen, die von hier fortziehen.«

Der Neger wiegte den Kopf. »Willst du nicht erst einmal heute abend hinausgehen zum Brown-Creek?« fragte er.

Robert lächelte halb ungläubig, halb entschlossen, auch diesen Versuch zu machen. »Mongo,« fragte er, »denkst du im Ernst daran?«

Der Alte zuckte die Achseln. »Das wäre zu viel gesagt, mein Bob, aber – möchtest du das Seltsame dieser ganzen Geschichte ohne weiteres leugnen? Gibt es nicht auch solche Fügungen, die sich unseren sterblichen Sinnen unverhüllt als solche offenbaren? – Ich an deiner Stelle würde den Versuch machen.«

Robert nickte. »Gut,« versetzte er. »Du sollst deinen Willen haben, Alter. Zur Dämmerstunde bin ich am Übergang des Brown- Creek.«

Gottlieb hatte das ganze Gespräch mit angehört, ohne es zu verstehen. Jetzt trat er den beiden andern näher. »Wohin willst du gehen, Robert?« fragte er.

Unser Freund lachte. »Mongo,« rief er, »jetzt muß der Fuchs zum Loche heraus. Erzähle du die sonderbare Geschichte, Alter.«

Aber das war keineswegs eine leichte Aufgabe. Was Robert vorausgesehen, das trat sofort ein. Gottlieb bemühte sich aus allen Kräften, die Sache zu vereiteln. »Die bekannte Kriegslist der Indianer,« rief er, »du bist verloren, wenn du hingehst. Der Bösewicht skalpiert uns, um unter seinen Genossen mit dem Siege über einen Weißen zu prahlen.«

Mongo gebot ihm etwas ärgerlich Schweigen. »Du brauchst ja nicht mitzugehen,« brummte er.

»Aber das will ich unter jeder Bedingung,« rief lebhaft der sonst so schüchterne junge Mensch. »Robert ist hierher mitgegangen, um mich zu beschützen und in die fremde Welt einzuführen, es versteht sich also von selbst, daß ich mich in der Stunde der Gefahr an seine Seite stelle. Mich wird nichts zurückhalten, meiner Überzeugung zu folgen.«

Robert drückte die Hand des ehemaligen Schulgefährten. »Ich danke dir, Gottlieb,« sagte er herzlich. »Du kannst getrost mit hinausgehen an die verabredete Stelle; der Pelzjäger beabsichtigt nichts Böses, dessen bin ich vollkommen sicher.«

Gottlieb schüttelte den Kopf. »Ich durchaus nicht,« seufzte er. »Die Comanchen wissen natürlich schon von dem Unglück, welches Lenchi betroffen, sie kommen in hellen Haufen herangezogen und wollen plündern, morden, von allem was gerettet wurde, Besitz nehmen. Der geheimnisvolle Pelzjäger ist ihr Kundschafter, weiter nichts.«

»Und du bist bei aller deiner Liebenswürdigkeit und Treue ein Hasenherz, Gottlieb, das nimm mir nicht übel, du siehst Gespenster am hellen Tage und malst schwarz in schwarz. Was willst du sagen, wenn der Jaguar auch dich mit größter Freundlichkeit begrüßt?«

»Er soll mich womöglich gar nicht sehen,« gestand Gottlieb. »Ich verstecke mich, so lange du mit ihm verhandelst, und bei der ersten verdächtigen Bewegung schieße ich ihn nieder, das ist alles.«

»Potz Velten, wie tapfer! Aber ich bitte dich um des Himmels willen, den Feldzug nicht eher zu eröffnen, bis du von mir dazu aufgefordert wirst.«

Mongo lachte. »Eben wollte ich dieselbe Bedingung stellen,« fügte er bei. »Denn daß ich mit von der Gesellschaft bin, hast du niemals bezweifelt, mein Bob.«

»Niemals!« wiederholte mit einem Händedruck unser Freund.

Und so machten sich die dreie, nachdem noch für den Rest des vorhandenen Goldstaubes ein kärgliches und schlechtes Mahl eingenommen, frühzeitig auf den Weg, um mit Beginn der Dämmerung am Brown-Creek zu sein.

Die Sonne war hinter den Regenwolken verschwunden, die nassen Zweige schlugen im Abendwind aneinander, und ringsumher war alles still. Nur eine Antilopenherde jagte über die Ebene dahin und ein paar aufgescheuchte Raben flatterten aus den nächsten Büschen.

Mongo legte die Hand auf Roberts Arm. »Du, wir wollen uns in nächster Nähe ein Versteck suchen, Gottlieb und ich,« flüsterte er. »Wozu den Jäger durch Mißtrauen beleidigen?«

Robert nickte. »Das meine ich auch, Alter. »Ist's nicht seltsam – gerade heute, nach drei Tagen, muß ich den sonderbaren Mann aufsuchen!«

Der Neger drückte leise seine Hand. »Schau her,« sagte er, »in diesem dichten Gebüsch wollen wir bleiben, so daß uns der Jaguar nicht entdecken kann, während wir gleichwohl imstande sind, alles zu überblicken. Nur mußt du dich nicht überreden lassen, auf die andere Seite des Flusses zu gehen. Ohne Führer finden wir uns nimmer durch das Steingewirre.«

Robert nickte. » All right, Mongo. Ich bin freilich so überzeugt wie von meinem Dasein, daß der Jaguar ein Freund ist.«

»Ich auch, mein Bob. Indessen – Vorsicht kann niemals schaden. Und jetzt, Gott befohlen! Mach', daß du auf deinen Posten kommst.«

Gottlieb drängte sich vor. »Robert – ich will bei dir bleiben,« bat er, zitternd an allen Gliedern. »Ich kann dich nicht so allein lassen.«

Unser Freund schob ihn mit sanfter Gewalt zurück. »Ich rufe dich, wenn mich die geringste Gefahr bedroht, Gottlieb, ich rechne fest auf deine Wachsamkeit und Treue,« sagte er, »aber jetzt muß ich allein gehen. Was sollte der Jaguar von mir denken, wenn ich es nicht gewagt hätte, ohne Begleitung zu kommen?«

Der andere seufzte. »Du bist so schrecklich dreist,« antwortete er, zog sich dann aber doch an Mongos Seite in das Gebüsch zurück, und blieb mit dem gespannten Revolver, das Herz voll Todesangst und zugleich voll von dem wahnwitzigen Angriffsmute des einmal gereizten Feigen, neben dem Schwarzen stehen, die Blicke fest auf Roberts hohe, schlanke Gestalt gerichtet, die Zähne gewaltsam gegeneinander gepreßt, um das Zittern zu bekämpfen, welches seinen ganzen Körper vom Scheitel bis zur Sohle durchlief.

»Wenn es nun dunkel wird, ehe der Wilde kommt,« raunte er, »und wenn wir den armen Robert nicht mehr sehen können, was dann?«

»Und wenn nun der jüngste Tag in diesem Augenblick hereinbricht, Gottlieb, wenn ein Erdbeben kommen sollte, was dann?«

Der eingeschüchterte Gottlieb wagte kein weiteres Wort. Mongo war nicht besonders geduldig, das wußte er schon aus Erfahrung. Es gab sofort eine tüchtige Lehre, wenn er einmal allzu viele Befürchtungen und Besorgnisse an den Tag legte.

Im Gebüsch wurde also alles still, nur der Wind rauschte in den Zweigen.

Robert ging leichten Schrittes bis an die Steinwand, deren Umrisse im Dämmerlicht klar erkennbar dalagen. Er überflog forschenden Blickes die ganze Umgebung – niemand befand sich in der Nähe; nichts verriet die Gegenwart eines menschlichen Wesens.

Eine Minute später hörten die beiden Versteckten den Ruf der wilden Elster laut hinaustönen in den dämmernden Abend. Nach kurzen Pausen folgte der zweite und der dritte Schrei.

»Jetzt müssen wir genau acht geben,« flüsterte Gottlieb. »Wenn sich mehrere Indianer zeigen, so ist es unsere Pflicht –«

Er unterbrach seinen Satz durch ein leises »Ach, da ist er bereits! – Sieh, Mongo, sieh, ein wahrer Riese, aber doch nur einer!«

Und wirklich war der Trapper schon im nächsten Augenblick dem Rufe seines jungen Verbündeten gefolgt. Er stand auf dem steinernen Vorsprung wie der Geist des Gebirges, wie ein überirdisches, fabelhaftes Wesen. Die spitze Mütze warf ihren Schatten, das gestickte Wehrgehenk blitzte im hellen Licht des scheidenden Tages, die kleinen Zieraten an den Mokassins schwankten vom Wind bewegt, und die ganze hohe Gestalt glich einer jener Marmorfiguren, die, aus Künstlerhand hervorgegangen, uns schöner und vollendeter erscheinen, als selbst die Werke der Natur. Diese breite gewölbte Brust, diese Schultern voll Kraft und Ebenmaß, diese schmale Hüfte, alles verlieh dem geheimnisvollen Manne eine Anziehungskraft, die man am allerwenigsten gerade bei dem Sohne der Wildnis gesucht haben würde.

»Der Jaguar grüßt dich!« sagte die tiefe, klangreiche Stimme. »Er hat seinen Freund an dieser Stelle und zu dieser Stunde erwartet.«

Robert drückte herzlich die Hand des Jägers, welcher mittlerweile von der Steinwand herab und auf das Gras gesprungen war. »Du weißt also schon, welches Unglück mich und ganz Lenchi betroffen hat, Jaguar?« fragte er.

Der Jäger zeigte nach der Gegend des verbrannten Minenlagers hinüber. »Der Jaguar sah die roten Feuergarben, welche den drei weißen Wolken nachzogen,« versetzte er. »Der große Geist hat geredet und seine Söhne werden gehorchen.«

Roberts Hoffnung begann sich wieder zu beleben. Der Jäger sprach mit einer so überzeugenden Sicherheit, daß es doch wirklich schien, als wisse er in diesem Augenblick äußerster Bedrängnis einen guten Rat zu geben oder gar tatsächlich zu helfen. Unser junger Freund legte seufzend die Hand auf seine Schulter. »Jaguar,« sagte er, »kannst du mir beistehen und willst du es? – Ich würde dir's ewig danken.«

Der Trapper lächelte unmerklich. »Ist mein junger Freund in diesem Augenblick mehr geneigt, an die Macht des großen Geistes zu glauben?« fragte er halblaut.

Robert errötete etwas. »Das tat ich wohl immer, Jaguar,« versetzte er. »Aber um so weniger begreiflich erscheint es mir, in welcher Weise du für meine Zukunft sorgen könntest. Sprich, ich bitte dich, was willst du mir raten?«

Der Jäger schüttelte leicht den Kopf. »Das ist nicht so schnell geschehen, mein junger Freund,« antwortete er, »das ist nicht in zwei Worten dargelegt. Überdies wird unter den Söhnen des roten Volkes niemals anders als am Feuer und nach der Mahlzeit Rat gehalten. Rufe deine Freunde, damit sie im Lager des Jaguars mit ihm Salz essen und die Friedenspfeife rauchen.«

Eine dunkle Glut schoß über Roberts hübsches Gesicht. »Meine Freunde?« wiederholte er. »Was willst du damit sagen, Jaguar?«

Der Jäger blickte ihm fest ins Auge. »Redest du mit gespaltener Junge?« fragte er in leise mahnendem Tone.

In Roberts Seele erwachte plötzlich der mannhafte Stolz, welchen er nur auf Augenblicke von der überlegenden Vernunft hatte in den Hintergrund drängen lassen. »Nein, wahrhaftig nicht, Jaguar,« sagte er laut und fest. »Du sollst mich nicht umsonst an das, was ich dir und mir schuldig bin, erinnert haben.«

»Mongo!« rief er dann mit hallender Stimme über die Ebene dahin, »Mongo! Gottlieb! Kommt hierher.«

Der Neger trat sogleich aus dem niederen Gebüsch hervor, und der andere folgte ihm äußerst widerstrebend, hatte aber doch nicht den Mut, sich von der Gesellschaft auszuschließen. »Du, du,« raunte er, eiligst den langen Schritten des Schwarzen nachtrabend, »das klang nicht wie ein Hilferuf.«

»Weshalb denn auch, Bursche? Wer denkt an dergleichen?«

»Nun, nun,« begütigte Gottlieb, »was man so im allgemeinen von den Indianern gelesen hat, das –«

»Pst, spare deine Weisheit für ein anderes Mal. Der Jaguar könnte uns hören, und überdies ist er ein Weißer, wie du selbst, das habe ich dir schon zwanzigmal gesagt.«

»Ich weiß es,« flüsterte Gottlieb, »ich weiß es, aber der Name–« »Sei ruhig, hörst du!«

Und der schüchterne junge Mensch verstummte. Es blieb aber auch zu weiteren Reden keine Zeit mehr. Mongo begrüßte eben den Halbindianer, indem er ihm kräftigst die Hand schüttelte und ihn fragte, ob er schon an dieser Stelle gewartet habe.

Der Trapper bewillkommte auch Gottlieb. »Ist dieser junge Mann euer Freund?« klang es von seinen Lippen. »Wird er euch begleiten?«

»Sobald wir von hier fortgehen, ja.«

»Nun, so kommt denn. Das Feuer im Lager des Jaguars brennt, das Mahl ist bereit und die Pfeife gefüllt. Der Jaguar wußte, daß seine weißen Brüder zu ihm eilen würden, daß er in der Wildnis ihr Führer sein soll, und daß ihn der große Geist gesandt hat, um sie zu beschützen, – er wird tun, wie ihm jener gebot.«

Die hohe Gestalt schwebte auf dem Vorsprung einen Augenblick lang gleichsam über den Köpfen der andern in der Luft, und dann war sie jenseits des Felsens verschwunden. Ohne zu zögern, ohne auch nur rückwärts zu blicken, folgten erst Robert und dann Mongo. Nur Gottlieb schauderte. Eiseskälte lief ihm über den Rücken hinab, seine Haare sträubten sich und seine Zähne schlugen hörbar gegen einander. »Da im Dickicht, jenseits des Wassers, stehen nun ihrer fünfzig oder hundert Comanchen,« dachte er voll Grauen. »Es geht an das Hinmorden und Würgen, als wenn wir Schlachttiere wären, die Skalpe werden herabgerissen, die Körper an den Marterpfahl gebunden und zu den Füßen ein Feuer entzündet.«

Er sandte im Geiste der teuern Heimat und den alten Eltern einen wehmutsvollen Abschiedsgruß, er glaubte seine Kopfhaut am Gürtel dieses greulichen Wilden baumeln zu sehen, und verzweiflungsmutig sprang er den Vorangegangenen nach.

Der Jaguar zog wie in jener Nacht seine Begleiter an der Hand durch das gewundene Felsentor und durch das Wasser, bei welcher Gelegenheit sich Gottlieb nicht enthalten konnte, laut aufzuschreien. »Robert! Robert! – was ist das?«

Unser Freund bemühte sich, ernst zu blicken. »Wir überschreiten den Brown-Creek, Gottlieb,« versetzte er.

»Ach so! – Gott, ich dachte – aber –«

Ein freundschaftlicher Rippenstoß des Negers bewog ihn, seine weiteren Mutmaßungen strengstens unter Verschluß zu halten. Der Übergang war auch jetzt bewerkstelligt und die andere Seite des Flusses erreicht, ohne daß sich den Blicken des geängstigten jungen Menschen etwas Verdächtiges offenbart hätte. Dieselbe Ruhe wie zuvor, dasselbe Rauschen und Flüstern des Windes in den Zweigen, und von fernher ein Schimmer, wie wenn dort Feuer zwischen den Bäumen hervorleuchte. – –

»Robert, Robert, siehst du den teuflischen Glanz dieser Flammen?«

Die unruhige Stimme zitterte so, daß es unseres Freundes Mitleid erregte. Er preßte ungesehen seine Hand. »Ich bitte dich, Gottlieb, sei doch vernünftig. Meinst du denn wirklich, daß Mungo und ich mit aller Gemütsruhe ins Verderben hineinlaufen würden?«

»Also du glaubst nicht an Verrat, Robert? Es lauern dort keine Comanchen hinter den Bäumen?«

»Ach, dummes Zeug!«

Der Jaguar schritt während dieser Unterhaltung voran, und schon sehr bald hatte man einen Felsvorsprung erreicht, wo an geschützter Stelle ein Feuer aus mächtigen Holzblöcken emporloderte. Moosbewachsene und von Büffelfellen überdeckte Sitze bildeten den Hintergrund einer Art Höhle, der nur der Tisch fehlte, um ganz behaglich und wohnlich auszusehen. In einer Ecke lag ein geräucherter Bärenschinken, eine am Spieß gebratene Hirschkeule und eine große Anzahl jener flachen Maiskuchen, »Dampers« genannt, die zwischen zwei heißen Steinen gebacken und warm verzehrt werden.

Eine Flasche und eine eigentümlich geschnitzte Pfeife aus rotem Seifenstein bildeten den Rest der Ausschmückung.

Gottlieb sah das alles auf einen Blick. Besonders die Pfeife brachte ihm wahre Erlösung. »Wenn solch ein brauner Heide mit jemand geraucht hat, dann tut er ihm kein Leides mehr,« dachte er, »das habe ich oft gelesen. – Ach, was würde ich geben, um jetzt in Pinneberg zu sein! Lieber Hausknecht, als dies Leben zwischen Wilden!«

Er beobachtete mit pochendem Herzen jede Bewegung des Jägers. Nachdem die Gäste Platz genommen und sich's nach Möglichkeit bequem gemacht, entzündete der Jaguar die Pfeife, aus welcher er, im Kreise mit den übrigen sitzend, unter tiefstem Schweigen einige Züge tat und sie dann dem Neger, als ältestem Gaste, darreichte. Von diesem kam sie zu Robert und darauf in Gottliebs Hände, der sie dem ernstblickenden Trapper zurückgab.

Nachdem solchergestalt die allen indianischen Stämmen geheiligte Sitte befolgt worden, lud der Jaguar ein, dem aufgetischten Mahle zuzusprechen. Auch hierbei, und während unsere halbverhungerten Freunde den vorgesetzten guten Dingen alle Ehre antaten, wurde vollständiges Schweigen bewahrt; erst als die vier Männer gesättigt waren und zum Beschluß die Flasche rundging, brach der Jäger die Stille, welche den Weißen schon längst beklemmend geworden.

»Haben meine Freunde die Absicht, wieder nach Lenchi zurückzukehren?« fragte er.

Mongo stieß heimlich gegen Roberts Fuß, als wollte er ihm sagen »Antworte du!« – und unser Freund beeilte sich sogleich, den gewünschten Bescheid zu erteilen. »In Lenchi erwarten uns Schulden und Mangel, Jaguar,« seufzte er, »aber dennoch können wir mit leeren Händen an keinen anderen Ort ziehen. Von hier bis Idaho sind hundert Stunden Weges, wie sollten wir die teure Reise über Land bezahlen?«

Der Trapper nickte langsam. »Ich habe für meine Brüder einen Vorschlag,« sagte er.

»Du?« rief mit gespannter Aufmerksamkeit sein Zuhörer. »Du, Jaguar, – und welchen?«

Der Trapper beschrieb mit dem ausgestreckten rechten Arme in der Luft einen Halbkreis. »Der Jaguar kennt das Land zwischen Fels und Meer, den ganzen Strich zwischen Oregon und Mexiko, ganz Kalifornien wie seine eigene Tasche,« versetzte er. »Der Jaguar hat seit dreißig Jahren diese Jagdgründe durchstreift, – er weiß von einer Stelle, wo das gelbe Metall in Körnern zu finden ist und wo es fast unmittelbar unter der Oberfläche liegt, mühelos zu erwerben für den, welcher einmal diese Spur gefunden. Soll euch der Jaguar dorthin führen?«

Alle drei Männer hatten mit angehaltenem Atem die Worte des Pelzjagers verfolgt. Selbst Gottlieb vergaß, als er von Körnern Goldes reden hörte, seine anfängliche Furcht und beugte sich gegen den Halbindianer lebhaft vor. »Wo ist das?« stammelte er, halb entzückt, halb unruhig. »Wo ist das?«

Auch Robert dachte Ähnliches. »Und wo befindet sich diese Stelle, du Freund in der Not?« fragte er den Trapper.

Dieser sah von einem zu anderen. »Weit in den Jagdgründen der Comanchen,« versetzte er, »mehr als zwanzig Tagemärsche von hier.«

»Bei den Wilden also?« rief unbedachtsam der junge Auswanderer.

Der Trapper lächelte. »Bei den Wilden, ja.«

Er winkte den anderen, als sie, offenbar erschreckt von Gottliebs Taktlosigkeit, dieselbe wieder gut zu machen sich bemühten. Es war überhaupt in ihm eine eigentümliche Mischung des Weißen und des Indianers zur zweiten Natur geworden. Während er in Haltung und Sprache ganz den Rothäuten, seinen langjährigen Genossen, glich, während er alle ihre Sitten und Gebräuche, vielleicht ohne es zu wissen, angenommen hatte, bewahrte doch das Gedächtnis in tiefster Tiefe treulich auch die ersten Eindrücke der Kindheit. Er nahm das beleidigende Wort »die Wilden« keineswegs übel auf, sondern sagte freundlich: »Jene Goldschlucht befindet sich am Fuße der Sierra Nevada, im Lande der roten Kinder des großen Geistes!«

Gottlieb senkte etwas beschämt den Kopf. »Ich wollte nichts Beleidigendes sagen,« stammelte er.

»Weiter!« mischte sich Robert in das Gespräch. »Ist dieser Ort bereits als goldhaltig bekannt, Freund Jaguar? Gibt es dort eine Niederlassung?«

Der Trapper schüttelte den Kopf. »Kein Weißer kennt die Stelle, keine Ansiedelung ist weit und breit, – nur die Comanchen haben in diesen friedlichen Tälern ihre Dörfer.«

Roberts Hand legte sich schwer auf die des Pelzjägers. Fest und fragend sah er in das Auge, welches offen dem seinen begegnete. »Jaguar,« sagte er, »mein Freund und ich bedürfen des roten Goldes, wie der Mensch des Lichtes und der Luft bedarf, um zu atmen; wir müssen alles tun, um in den Besitz einer größeren Summe zu gelangen, während gerade jetzt für uns alle Hoffnung verloren scheint. Sprich, Jaguar, werden uns deine Brüder, die Comanchen, in ihren Wohnsitzen dulden? Können wir ungefährdet mit dir in die Wildnis ziehen?«

Der Jäger hob zwei Finger gegen den sternenbedeckten Nachthimmel empor. »Bei dem Namen des großen Geistes über den Wolken, bei der Macht dessen, der zwei Kugeln im freien Raum sich begegnen ließ als Wahrzeichen eines Bundes zwischen seinen Kindern, – du kannst es tun, ohne das mindeste befürchten zu müssen!«

Das war, obwohl verwebt mit jenem poetischen, anmutigen Aberglauben, welcher den Rothäuten als Religion gilt, doch ein beinahe christlicher Eid, und Robert fühlte sich durchdrungen von der Überzeugung, daß er ihm glauben könne.

Langsam erst den einen seiner Gefährten und dann den anderen ansehend, sagte er: »Gut, Jaguar, ich vertraue dir vollständig, und ich bin bereit, dich durch die Steppe zu begleiten.«

Mongo nickte. »Und ebenso ich, Freund Jaguar, wenn du es gestattest,« fügte er bei.

Gottlieb wollte sprechen, aber die heimliche Furcht erstickte ihm das Wort in der Kehle. Er reichte nur, nachdem das auch die anderen getan, dem Jäger die Hand. »Nun ist die Sache abgemacht,« dachte er, »ich kann nicht mehr zurück und das ›Muß‹ hilft tragen. Möchte aber doch um alles in der Welt gern erfahren, wie die Wilden über den Meineid denken.«

Der Jaguar ließ nochmals die Flasche herumgehen. »Wollen meine Brüder vorher noch nach Lenchi zurückkehren?« fragte er.

Robert und Mongo wechselten einen schnellen Blick. »Ich nicht!« sagte deutlich das Achselzucken des Negers, und auch unser Freund hatte keinen Grund, die Stätte ihres langen, vergeblichen Hoffens und mühevollen Schaffens vor Beginn der neuen Wanderung erst noch wiedersehen zu wollen. »Wir sind frei wie die Vögel unter dem Himmel,« antwortete er, »und wenn es auch schwer ist, so ganz allein und verlassen, ohne die natürlichen Bande der Familie im Leben dazustehen, so berauscht doch auch wiederum der Gedanke die Seele, keinen Menschen fragen zu müssen, sondern frei und ungehindert über sein Ich verfügen zu können. Niemand in Lenchi ahnt, daß wir fortgegangen sind, und doch wird uns keiner wiedersehen – so liebe ich es!«

Gottlieb wischte sich die großen Schweißtropfen von der Stirn »Wie du unbändig bist!« seufzte er. »Und was wird aus unseren Decken, unserem Gerät?«

Der Jaguar lächelte. »Mein weißer Bruder soll sanft schlummern,« versetzte er gütig, als spräche er zu einem schüchternen Kinde. »Der Jaguar hat Pelze und Büffelfelle überall am Wege in Höhlen versteckt. Und die Comanchen werden ihm bereitwillig ihre Werkzeuge leihen, um damit das Gold aus dem Boden zu graben, – mein Bruder mag sich vollständig beruhigen.«

Gottlieb sah zaghaft empor. »Soll es denn gleich vorwärts gehen?« fragte er.

»Nur für den Weg von etwa zwei Stunden. Dort befindet sich eine Hütte, in welcher der Jaguar zu übernachten pflegt. Meine Freunde werden von den Anstrengungen der letzten Nacht sehr ermüdet sein.«

»Wirklich!« gestand Mongo, »ich spüre es.«

»So laßt uns aufbrechen,« mahnte Robert. »Frisch gewagt ist halb gewonnen!«

Alle vier Männer ergriffen die Kugelbüchsen, der übriggebliebene Mundvorrat wurde in die Jagdtaschen geschoben, und unter Führung des Trappers ging es in den schweigenden, nächtlichen Wald hinein. Wohl jeder einzelne des kleinen Zuges hatte zu viel mit seinen eigenen Gedanken zu tun, als daß eine wirkliche Unterhaltung aufgekommen wäre.

Ein zweistimmiges starkes Hundegebell war das erste, was nach einigen Stunden scharfen Marsches den Wandernden entgegenscholl und was sogleich Gottliebs Befürchtungen wieder aus ihrem Schlummer erweckte.

»Mein Gott, – Hunde! Sollten Sie sich in der Richtung geirrt haben, Herr Jaguar?«

»Durchaus nicht!« versetzte gutmütig der Trapper. »Meine Freunde werden sogleich erkennen, daß diese treuen Tiere unsere Bundesgenossen sind. Sie bewachen meine Hütte.«

Und indem er zwei Finger in den Mund schob, pfiff der Jäger auf eigentümliche Weise, so daß es weit hinaus schallte in den regennassen Wald. Das Hundegebell verstummte sofort.

Jetzt war Gottlieb für den Augenblick beruhigt, aber doch noch durchaus nicht vollständig. »Du,« raunte er, Roberts Arm berührend, »du, ob die Bestien an der Kette liegen?«

Unser Freund lachte im stillen. »Das ist nicht anzunehmen!« versetzte er, »aber sie gehorchen, wie du siehst, und werden die Begleiter ihres Herrn gewiß nicht auffressen. Du mußt dich übrigens ein wenig aufraffen, bester Gottlieb, mußt etwas männlicher werden. Die Indianer sind ein hervorragend tapferes Volk, – sollen sie dich deiner Furchtsamkeit wegen über die Achseln ansehen?«

Gottlieb seufzte. »Offen gestanden, – das wäre mir ziemlich gleichgültig,« gab er zurück. »Ach du lieber Gott, ich gehe ja nicht wie ihr anderen zum Vergnügen in diese schrecklichen Verhältnisse hinein.«

Robert drückte ihm gerührt die Hand. »Du wirst immer an uns und namentlich an mir die eifrigsten Beschützer finden.« versprach er, »und dann bedenke doch, daß vielleicht jetzt, wo uns das Glück sozusagen in den Schoß fiel, nur wenige Monate erforderlich sind, um dich zum reichen Manne zu machen. Bedenke, wenn du in Pinneberg das kleine, alte Haus wieder aufbauen könntest, und wenn du gewissermaßen imstande wärest, dem blinden Vater das Augenlicht zurückzugeben, indem er alles an der altgewohnten Stelle wiederfände, alles durch das Gefühl erkennen könnte, was ihm jetzt in fremder Umgebung verloren gegangen ist! Dafür mußt du ein Opfer bringen, Gottlieb!«

»Großer Gott, tue ich es denn etwa nicht in diesem Augenblick?«

»Ganz gewiß, Liebster, aber mit innerem Widerstreben. So zieh dir doch auch für eigene Rechnung das Gute, das Nützliche und Angenehme aus der Sache heraus.«

Aber Gottlieb schüttelte den Kopf. »Angenehmes ist nicht darin, Robert.«

»Nicht? – O du eingefleischter Philister. Aber still jetzt, der Trapper schlägt Feuer, wir werden ›zu Hause‹ sein.«

Gottlieb schob sich noch näher an des Freundes Seite. »Ein prächtiges Zuhause,« ächzte er. »Das ist ein großer Maulwurfshaufen, weiter nichts. Und wo die Hunde sein mögen?«

Die Frage sollte ihm im nächsten Augenblick beantwortet werden. Eine niedere Tür knarrte in ihren Angeln, ein Kienspan flammte auf und zwei große Bluthunde umdrängten die Kniee ihres Herrn, seine Hände leckend, schweifwedelnd und mit leisen Schmeichellauten.

Der Trapper stellte gewissermaßen die Menschen und die Tiere einander vor. »Es ist gut, Antilope,« sagte er, »gut, Schlangentöter, – hier begrüßt auch meine Freunde!«

Und die beiden Tiere mit dem furchtbaren Gebiß, die gefährlichen, unbesieglichen Freunde des Menschen, legten sich gehorsam den Fremden zu Füßen. Antilope und Schlangentöter, mit dem Pelzjäger schon durch Jahre verbunden, seine Gefährten, seine Freunde fast, streckten sich auf den Boden, als wollten sie die Herrschaft des Menschen hierdurch anerkennen.

»Und nun ruht aus, mein Freunde,« bat der Trapper, indem er von einem Haufen im Winkel eine Anzahl Büffeldecken nahm und ausbreitete. »Schlaft wie ich es tun werde, und der große Geist behüte eure Nachtruhe.«

»An euren Posten, Antilope und Schlangentöter!«

Die Hunde erhoben sich, um vor der Hütte Wache zu halten, die vier ermüdeten Männer streckten sich auf das schnell bereitete Lager, und bald hatte ein sanfter Schlummer ihre Sinne umhüllt. Selbst Gottlieb schlief, obwohl ihm beständig von abgerissenen Skalpen und Marterpfählen träumte. – –

Am folgenden Morgen begann nach einem kräftigen Frühstück die Reise durch den grünen, taufrischen Wald.


 << zurück weiter >>