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Wenn man sagt, es sei ein neuer Stil emporgekommen so denkt man immer zuerst an eine Umformung der tektonischen Dinge. Sieht man aber näher zu, so ist es nicht nur die Umgebung des Menschen, die grosse und kleine Architektur, nicht nur sein Gerät und seine Kleidung, die eine Wandlung durchgemacht haben, der Mensch selbst nach seiner Körperlichkeit ist ein anderer geworden und eben in der neuen Empfindung seines Körpers und in der neuen Art, ihn zu tragen und zu bewegen, steckt der eigentliche Kern eines Stiles. Dabei ist dem Begriff freilich mehr Gewicht zu geben als er heutzutage hat. In unserem Zeitalter wechselt man die Stile wie man bei einer Maskerade ein Kostüm nach dem andern durchprobiert. Allein diese Entwurzelung der Stile datiert doch erst seit unserem Jahrhundert und wir haben eigentlich gar kein Recht mehr, von Stilen zu sprechen, sondern nur noch von Moden.
Die neue Körperlichkeit und die neue Bewegung des Cinquecento offenbaren sich in aller Deutlichkeit, wenn man ein Bild wie Sartos Geburt der Maria von 1514 mit den Fresken Ghirlandajos und seinen Wochenstuben vergleicht. Das Gehen der Frauen ist ein anderes geworden. Statt des steifen Trippelns ein getragenes Wandeln: das Tempo hat sich verlangsamt zu einem andante maestoso. Nicht mehr die kurzen raschen Wendungen des Kopfes oder einzelner Glieder, sondern grosse lässige Schiebungen des Körpers und statt des Gespreizten und Eckigen das Gelöste und die langatmige rhythmische Kurve. Das trockene Gewächs der Frührenaissance mit den harten Formen der Gelenke entspricht nicht mehr der Vorstellung von Schönheit, Sarto giebt die üppige Fülle und die prachtvolle Breite des Nackens. Und schwer-massig, schleppend fallen die Gewänder, wo Ghirlandajo kurze, steife Röcke, knappanliegende Ärmel hat. Die Kleidung, die hier der Ausdruck der raschen gelenkigen Bewegung war, soll jetzt in ihrer Fülle retardierend wirken.
Die Bewegung in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts ist von einer zierlichen, oft preziösen Art. Wenn die Madonna das Kind hält, so stellt sie gern den Ellenbogen spitz nach aussen und spreizt den kleinen Finger an der wählerisch-fassenden Hand. Ghirlandajo ist keiner von den Subtilen, aber er hat diese Manier vollkommen sich angeeignet. Selbst ein Künstler von dem mächtigen Naturell Signorellis macht dem Zeitgeschmack Konzessionen und sucht das Anmutige in einer unnatürlich verfeinerten Art. Die Mutter, die das Kind anbetet, hat nicht die Hände schlicht zusammengelegt, sondern nur die zwei ersten Finger berühren sich, während die andern abgespreizt in die Luft stehen.
Delikate Personen wie Filippino schrecken dann sogar schon vor der Zumutung zurück, etwas fest anzufassen. Sei es, dass ein heiliger Mönch ein Buch halten soll oder der Täufer seinen Kreuzstab: es bleibt bei einem Antippen. Und so Raffaellino del Garbo oder Lorenzo di Credi: der heilige Sebastian präsentiert gesucht-elegant seinen Pfeil zwischen zwei Fingern, als ob er einen Bleistift überreichen wollte.
Das Stehen bekommt zuweilen etwas Tänzerlich-Unfestes und dieses wackelige Wesen berührt am unangenehmsten in der Plastik. Man wird dem Johannes des Benedetto da Majano im Bargello einen Vorwurf 219 hier nicht ersparen können. Mit wahrer Sehnsucht blickt man nach dem festen Tritt der nächsten Generation: selbst der taumelnde Bacchus des Michelangelo steht besser auf seinen Füssen.
Einen Inbegriff dieser preziösen Geschmacksrichtung im späteren Quattrocento ist das Bild »Verrocchios« mit den drei Erzengeln (Florenz, Akademie), dem sich der Tobias von London an die Seite stellt.Die Zuweisung an Verrocchio ist jetzt aufgegeben zu Gunsten des Franc. Botticini. – Zum Stil vgl. die höchst kuriosen Arbeiten Pollaiuolos in S. Peter (Grab Sixtus IV. und Innocenz VIII.), wo die weiblichen Figuren in Unnatur mit dem schlimmsten Barock konkurieren. Vor dieser gekräuselten Art der Bewegung drängt sich unwillkürlich der Gedanke auf, dass hier ein altertümlich zierlicher Stil sich auflöse, dass wir das Phänomen eines zerfallenden Archaismus vor uns haben.
Das 16. Jahrhundert bringt wieder das Feste, das Einfache, die natürliche Bewegung. Die Gebärde beruhigt sich. Man überwindet die kleinliche Zierlichkeit, das künstlich Gesteifte und Gespreizte. So wie die Madonna delle Arpie des Andrea del Sarto dasteht, fest und stark, bietet sie ein ganz neues Schauspiel und man glaubt ihr fast, 220 dass sie den schweren Knaben wirklich auf einem Arm zu halten vermöge. Wie sie dann das Buch auf dem Schenkel aufgestemmt hat und wie sich die Hand über die Kante legt, so dass eine zusammenhängende grosse Form entsteht, das ist wieder im prachtvollsten Stil des Cinquecento. Überall ist mehr Kraft und Energie in der Bewegung. Man nehme Raffaels Madonna da Foligno: wer wird es glauben? man muss bis auf Donatello zurückgehen, um einen Arm zu finden und eine Hand, die so entschlossen fasst, wie es hier Johannes thut.
Die Drehungen des Körpers und die Wendungen des Hauptes haben im 15. Jahrhundert etwas Unentschiedenes, als ob man den starken Ausdruck gescheut hätte. Erst jetzt kommt wieder die Freude an den mächtigen Bewegungen einer starken Natur. Ein herumgeworfener Kopf, ein ausgestreckter Arm besitzt plötzlich eine neue Gewalt. Man spürt ein erhöhtes, physisches Leben. Ja, das blosse Schauen gewinnt eine unbekannte Energie und erst das 16. Jahrhundert hat wieder den grossen starken Blick darstellen können.
Den höchsten Grad reizvoller Bewegung hat das Quattrocento in der leicht hineilenden Figur genossen. Nicht umsonst findet sich dies Motiv bei allen Künstlern. Der Kerzenengel ist eilig im Herankommen und die Dienerin, die Früchte und Wein vom Lande her der Wöchnerin bringt, kommt mit krausen Wellen im aufgeblähten Kleide zur Thüre hereingelaufen. Dieser für das Zeitalter so sehr bezeichnenden Figur ist die Wasserträgerin aus dem Borgobrand als cinquecentistisches Gegenbild gegenüber zu stellen: in dem Gegensatz der zwei Gestalten liegt der ganze Unterschied der Formempfindung beschlossen. Es ist eine der prachtvollen Erfindungen des gereiften männlichen Schönheitsgefühls 221 Raffaels, diese Wasserträgerin, die ruhig schreitend und hochaufgerichtet mit starken Armen die Last trägt. Das kniende Weib im Vordergrund der Transfiguration, das man vom Rücken sieht, ist aus verwandtem Geschlecht und vergleicht man damit die ähnliche Figur in der Frauengruppe des Heliodor, so hat man einen Massstab für die Entwicklung zum Starken und zur mächtigen einfachen Linie in Raffaels letztem Stil.
Dem neuen Geschmack ist andrerseits nichts unerträglicher als das unmässig Gespannte, das Unfreie der Bewegung. Der reitende Colleoni des Verrocchio hat wohl Energie genug, eine eiserne Kraft, allein das ist nicht die schöne Bewegung. Anschauungen von vornehmer Lässigkeit begegnen sich hier mit dem neuen Ideal, das die Schönheit in der fliessenden Linie, im Gelösten sieht. Im Cortigiano des Grafen Castiglione findet sich eine Anmerkung über das Reiten, die wohl hier angezogen werden darf. Man solle nicht so steif im Sattel sitzen wie gebügelt, alla veneziana (die Venezianer galten als schlechte Reiter), sondern ganz lässig: disciolto ist sein Ausdruck. Freilich kann das nur für den Reiter ohne Rüstung gelten. Wer leicht gekleidet ist, der kann auf dem Pferde sitzen, die schwere Rüstung bedingt eher ein Stehen. »Dort biegt man die Knie, hier hält man sie gestreckt.«Pomponius Gauricus, de sculptura (Brockhaus), p. 115. Die Kunst aber hält sich fortan an die erstere Form.
Perugino hatte einst den Florentinern gezeigt, was eine süsse und weiche Bewegung sei. Sein Stehmotiv mit dem seitwärts abgeschobenen Spielbein und der korrespondierenden Neigung des Kopfes nach der andern Seite war seiner Zeit in Florenz etwas Fremdes. Die toskanische Grazie ist sperriger, eckiger und so nahe man sich manchmal im Motiv gekommen ist: die Süssigkeit der Bewegung, den linden Zug der Linie 222 hat keiner so wie er. Das 16. Jahrhundert hat das Motiv dann aber doch beiseite geworfen.Es kommt noch vor im Christus der Taufgruppe A. Sansovinos (1502 begonnen), aber doch schon modifiziert Raffael, der als junger Mensch förmlich darin geschwelgt hatte, bringt es später nicht mehr. Man kann sich vorstellen, wie Michelangelo über solche Posen gehöhnt haben mag. Die neuen Motive sind gesammelter, gehaltener im Umriss. Ganz abgesehen von der gefühlvollen Dehnung genügt die perugineske Schönheit nicht mehr, weil sie den Geschmack für Masse nicht befriedigte. Man will nicht mehr das Abstehende, das Auseinandergezogene, sondern das Zusammengenommene, Feste. In diesem Sinne bilden sich auch eine Reihe von Hand- und Armbewegungen um, wie denn die anbetend über der Brust gekreuzten Arme ein charakteristisches Motiv des neuen Jahrhunderts sind.
Es scheint, als ob mit einem Schlag in Florenz neue Körper gewachsen wären. Rom hat die völligen, schweren Bildungen, auf die man ausging, immer gehabt, aber in Toskana mögen sie seltener gewesen sein. Jedenfalls thun die Künstler, als ob man im quattrocentistischen Florenz niemals Modelle der Art zu sehen bekommen hätte, wie sie später etwa Andrea del Sarto in seinen Florentinerinnen giebt. Der Geschmack der Frührenaissance bevorzugte die unentwickelte Form, das Dünne und Bewegliche. Die eckige Grazie und die springende Linie des jugendlichen Alters hatten einen grössern Reiz als das Frauenhaft-Völlige und die reife Gestalt des Mannes. Die Engelmädchen des Botticelli und des Filippino mit ihren spitzen Gelenken und trocknen Armen repräsentieren das Ideal jugendlicher Schönheit und 223 in den tanzenden Grazien Botticellis, die doch ein reiferes Alter vertreten, ist die Herbheit nicht gemildert. Das 16. Jahrhundert denkt hier anders. Schon Lionardos Engel sind weicher und wie verschieden ist eine Galatea Raffaels oder eine Eva bei Michelangelo von den Venusfiguren des spätern Quattrocento. Der Hals, ehemals lang und schlank und wie ein umgekehrter Trichter auf den abfallenden Schultern sitzend, wird rund und kurz, die Schultern breit und stark. Das Gestreckte hört auf. Alle Glieder bekommen eine völlige, mächtige Form. Man verlangt von der Schönheit wieder den runden Torso und die breiten Hüften des antiken Ideals und das Auge begehrt nach grossen zusammenhängenden Flächen. Das cinquecentistische Gegenstück zu Verrocchios David ist der Perseus des Benvenuto Cellini. Der magere, gelenkige Knabe ist nicht mehr schön und wenn man trotzdem das frühjugendliche Alter bildet, so giebt man ihm Rundung und Fülle. Die raffaelische Figur des predigenden jungen Johannes (in der Tribuna) ist ein lehrreiches Beispiel, wie man sogar über die Natur hinaus dem knabenhaften Körper männliche Formen beimischt. (Vgl. Abbildung).
Der schöne Körper ist klar in der Artikulation. Das Cinquecento hat ein Gefühl für das Struktive und ein Bedürfnis nach dem Ausdruck des Baues, dass alle Einzelreize nichts daneben bedeuten können. Hier setzt die Idealisierung früh und kräftig ein und die Parallele von Lorenzo di Credis Aktmodell (Uffizien)Die Zeichnung zum Kopf dieser Figur findet sich – nebenbei bemerkt – in der Albertina. Publiziert in »Handzeichnungen alter Meister«: III, 327. und »Franciabigios« (eher Andrea del Brescianino) Idealfigur (Gal. Borghese) kann in mehr als einer Beziehung aufschlussreich sein. Vgl. die Abbildungen.
224 Die Köpfe werden grossflächig, breit; es accentuieren sich die Horizontallinien. Man liebt das feste Kinn, die völligen Wangen und auch in dem Munde will man nicht das Zierliche und Kleine. Wenn es für Frauen einstmals keine grössere Schönheit gab als eine blanke hohe Stirn zeigen zu können (la fronte superba, sagt Polizian) und man sogar die Haupthaare vorn ausriss, um dieses Vorzugs in möglichst ausgedehntem Masse teilhaftig zu werden,S. Bemerkung zu Lionardos Mona Lisa im Kapitel »Lionardo. Die Mona Lisa«. so erscheint dem Cinquecento die niedrige Stirn als die würdigere Form, indem man empfand, dass sie dem Gesicht mehr Ruhe gebe. Auch in den Augenbrauen sucht man die flachere und stillere Linie. Nirgends finden sich mehr die hochgewölbten Bogen wie bei den Mädchenbüsten eines Desiderio, wo die Brauen in dem lachend-staunenden Gesicht noch höher emporgezogen sind und man den Reim Polizians citieren möchte: sie zeigten alle
– nel volto meraviglia
con fronte crespa e rilevate ciglia. (Giostra.)
Und die keck emporgestülpten Näschen mögen einst ihre Liebhaber gefunden haben, jetzt sind sie nicht mehr nach der Mode und der Porträtist würde sich alle Mühe geben, die hüpfende Linie zu glätten und die Form ins Gerade und Ruhige auszurichten. Was man heute eine edle Nase nennt und in alten Bildwerken so empfindet, ist eine Anschauung, die erst mit dem klassischen Zeitalter wieder heraufgekommen ist. Schön ist, was den Eindruck des Ruhigen und Machtvollen giebt, und der Begriff der »regelmässigen Schönheit« möchte damals entstanden sein, denn er hängt damit zusammen. Gemeint ist nicht nur eine 225 symmetrische Entsprechung der zwei Gesichtshälften, sondern eine klare Übersichtlichkeit, ein konsequentes Grössenverhältnis der Gesichtsformen, das im einzelnen schwer festzustellen ist, im Gesamteindruck aber sofort einleuchtet. Die Bildnismaler sorgen dafür, dass diese Regelmässigkeit herauskomme und mit der zweiten Generation des Cinquecento werden die Forderungen immer grösser. Was sind das für regelmässig ausgeglättete Gesichter, die Bronzino in seinen anerkannt vorzüglichen Porträtstücken bringt.
Mehr als Worte sagen hier Bilder und so seien denn als gute Parallelen Piero di Cosimos Simonetta und die sogenannte Vittoria Colonna MichelangelosDie Autorschaft Michelangelos ist schon von Morelli – jedenfalls mit Recht – bestritten worden, für unsern Zweck ist das ohne Belang. zusammengestellt, beides Idealtypen, die den Geschmack zweier Zeitalter in gesammelter Form enthalten.
Den florentinischen Mädchenbüsten des 15. Jahrhunderts wäre eine ähnliche Serie aus dem 15. Jahrhundert überhaupt nicht gegenüberzustellen. Die Schönheitsgallerie des Cinquecento enthält lauter Frauentypen – die Donna velata des Pitti, die Dorothea in Berlin, die Fornarina der Tribuna, die prächtigen Frauen Andrea del Sartos in Madrid und Windsor u. s. f. Der Geschmack hat sich dem voll entfalteten Weibe zugewandt.
An den Haaren hat der Spielgeist des 15. Jahrhunderts alle seine Launen ausgelassen. Die Maler haben Prachtfrisuren gemalt mit unendlich reichem Geschlinge von Strähnen und Zöpfen verschiedenen Grades, mit eingestreuten Edelsteinen und eingeflochtenen Perlenketten, man 226 wird diesen ins Phantastische gesteigerten Schmuck zu unterscheiden wissen von den wirklich getragenen Haartrachten; sie sind noch immer kapriziös genug. Die Tendenz geht hier auf Teilung und Auflösung, auf die zierliche Einzelform im Gegensatz zu dem spätern Geschmack, der die Haare als Masse zusammengehalten haben möchte, der die schlichte Form sucht und auch im Schmuck die edeln Steine nicht als vereinzelte Punkte wirken lässt, sondern sie nur zu ruhiger Form gesammelt vorbringt. Man liebt nicht mehr das Lose, Flatternde, sondern das Feste und Gebundene. Die freien gewellten Löckchen (wie sie bei Ghirlandajo und seinen Zeitgenossen überall vorkommen), die an den Wangen herunterfallen und auch das Ohr verdecken, verschwinden alsbald als ein bloss niedliches Motiv, was zudem die Klarheit der Erscheinung beeinträchtigt: der wichtige Ansatzpunkt des Ohres soll offen liegen. Die Stirnhaare werden in schlichter Linie an den Schläfen hingeführt, sie sollen einfassend wirken, während das Quattrocento gerade dafür kein Verständnis haben wollte und die Stirn rahmenlos über ihre natürlichen Grenzen hinaus erhöhte. Mit einem Juwel auf der Scheitelhöhe betont dann dieser ältere Stil die Vertikaltendenz gern noch einmal, während das breite Cinquecento mit einer grossen Horizontale zu schliessen liebt.
Und so geht die Umstilisierung weiter. Der lange schlanke Hals der quattrocentistischen Schönheit, der ganz frei und beweglich erscheinen soll, verlangte einen andern Schmuck als die massige Form des 16. Jahrhunderts. Man spielt nicht mehr mit einzelnen Juwelen, die an einem Faden hängen, sondern giebt die grossformige Kette, und das engumschliessende leichte Halsband wird hängend und schwer.
Alles in allem: man sucht das Gewichtige und Gemessene und die phantastische Spiellust wird in die Bahn der schlichten Einfachheit gewiesen. Ja, es werden auch Stimmen laut, die dem natürlichen ungeordneten Haar den Preis zuerkennen, wie die Haut schöner sei in ihrem natürlichen Ton (palidetta col suo color nativo) als mit weisser und roter Schminke, wobei die Frauen die Farbe nie wechselten als morgens beim Anziehen. Es ist der Graf Castiglione, der so spricht; eine beachtenswerte Reaktion gegen die Buntheit und Künstlichkeit der spät-quattrocentistischen Mode.
Von der Haartracht der Männer sei hier wenigstens soviel gesagt, dass das ehemals ausgezauste Haar zu ruhigem Umriss sich sammelt. Es ist kein Zufall, wenn auf Porträts des Credi oder Perugino die Haare flattern als ob ein leiser Wind sie wachgerufen hätte. Der zierliche Stil will es so. Bilder des 16. Jahrhundert zeigen dann durchweg die Massen gesammelt und beruhigt.
Den Bart lässt man im 16. Jahrhundert gerne stehen. Er unterstützt den Eindruck der Würde. Castiglione stellt es noch jedem anheim, wie 227 er es hierin halten wolle. Er selbst hat sich aber von Raffael mit Vollbart malen lassen.
Noch klarer und stärker spricht der neue Wille in dem Kostüm sich aus. Die Kleidung ist der unmittelbare Ausdruck, wie man den Körper auffasst und wie man sich bewegen will. Das Cinquecento musste notwendig auf die schweren und weichen Stoffe kommen, auf die hängenden Bauschärmel und die machtvollen Schleppen. Man betrachte die Frauen in Andrea del Sartos Mariengeburt von 1514, wo Vasari ausdrücklich bezeugt, es sei das damals moderne Kostüm dargestellt.
Es liegt nicht in unserer Absicht, den Motiven im einzelnen nachzugehen, das Entscheidende ist das allgemeine Verlangen nach dem Vollen und Gewichtigen in der Bekleidung des Körpers, das Herausarbeiten der Breitlinie, die Betonung des Hängenden und Schleppenden, was die Bewegung verlangsamt. Das 15. Jahrhundert accentuierte umgekehrt die Gelenkigkeit. Enganliegende, kurze Ärmel, die das Handgelenk frei lassen. Keine wuchernden Massen, sondern knappe Zierlichkeit. Ein paar Schlitzchen und Bändchen am Unterärmel, sonst aber lauter dünne Saummotive und trockene Nähte. Das Cinquecento verlangt nach dem Schweren und der rauschenden Fülle. Es lässt sich auf das Vielteilige im Schnitt und auf die kleinen Einzelmotive nicht ein. Die geblümten Stoffe verschwinden vor den mächtigen, tiefen Falten des Rockes. Das Kostüm bestimmt sich nach einer Rechnung, die grosse Flächenkontraste im Auge hat. Man bringt nur, was im ganzen wirkt, nicht was erst dem Nahblick sich zu erkennen giebt. Die Grazien Botticellis haben die Brüste mit einem Netz von Fäden umspannt: das sind archaische Subtilitäten, die dem neuen Geschlecht ebenso unverständlich sind wie die Spiele der flatternden Bänder, Schleierchen und derartiger dünner Dinge. Man sucht andere Berührungsgefühle, nicht das Antippen mit spitzen Fingern, sondern das breite feste Fassen.
Von diesem Standpunkt aus ist nun auch ein Blick auf die Architektur und ihre Umgestaltung im Cinquecento zu werfen. Auch sie ist ja wie die Kleidung eine Projektion des Menschen und seines Körpergefühls nach aussen. In den Räumen, die es sich schafft, in der Bildung von Decke und Wand sagt ein Zeitalter so genau wie in der Stilisierung seines Körpers und seiner Bewegung, was es sein möchte und wo es Wert und Bedeutung suche. Das Cinquecento hat ein besonders starkes Gefühl für die Relation zwischen Mensch und Bauwerk, für die Resonanz eines schönen Raumes. Es kann sich fast keine Existenz denken ohne architektonische Fassung und Fundamentierung.
228 Auch die Architektur wird gewichtig und ernst. Sie bindet die muntere Beweglichkeit der Frührenaissance zu gemessenem Tritt. Das viele fröhliche Zierwerk, die weitgespannten Bogen, die schlanken Säulen verschwinden und es kommen die schweren gehaltenen Formen, die würdevollen Proportionen, die ernste Einfachheit. Man verlangt das Weiträumige, den hallenden Schritt. Man will nur noch grosse Funktionen und lehnt das kleine Spiel ab, und die feierliche Wirkung scheint sich nur mit der höchsten Gesetzmässigkeit zu vertragen.
Über die Innendekoration florentinischer Häuser am Ausgang des 15. Jahrhunderts finden wir bei Ghirlandajo bequeme Auskunft. Die Wochenstube der Johannesgeburt möchte ziemlich genau das Bild eines Patrizierhauses wiedergeben, mit den Pilastern in den Ecken und ringsumlaufendem Gebälk, der kassettierten Holzdecke mit vergoldeten Nagelköpfen und dem farbigen Teppich, der unsymmetrisch irgendwo der Wand vorgehängt ist. Dazu allerhand Gerät, wie man es zu Zier und Nutzgebrauch herumstehen hatte, ohne Rücksicht auf die Regelmässigkeit. Was schön ist, sollte an jeder Stelle schön sein können.
Dem gegenüber erscheint das Cinquecento-Gemach kahl und kalt. Der Ernst der Aussenarchitektur hat sich auch nach innen gewandt. Keine Detailwirkungen, keine malerischen Winkel. Alles architektonisch stilisiert, nicht nur in der Form, sondern auch in der Ausstattung. Vollständiger Verzicht auf Farbigkeit. So ist das Zimmer auf Andrea del Sartos Mariengeburt von 1514.
Die Monochromie kommt im Zusammenhang mit gesteigerten Ansprüchen an die Vornehmheit der Erscheinung. Statt der geschwätzigen Buntheit will man die zurückhaltende Farbe, den neutralen Ton, der nicht auffällt. Der Edelmann soll sich für gewöhnlich in eine anspruchslose dunkle Farbe kleiden, sagt der Graf Castiglione. Nur die Lombarden gehen bunt und klein geschlitzt; wollte das einer in Mittelitalien versuchen, so würde man ihn für verrückt halten.Von hier aus war es dann nur noch ein Schritt zur spanischen Kleidung. Die Sympathie für das spanische Wesen – grave e riposato – kommt übrigens schon bei Castiglione oft genug zum Ausdruck. Er findet die Spanier den Italienern viel verwandter als die Franzosen mit ihrem springenden Temperament. Die bunten Teppiche verschwinden ebenso wie die farbiggestreiften Hüfttücher und die orientalischen Shawls; das Verlangen darnach erscheint jetzt als ein kindisches.
So wird nun auch in der vornehmen Architektur die Farbe gemieden. In den Fassaden verschwindet sie ganz und in den Innenräumen erfährt sie die strengste Beschränkung. Die Anschauung, dass das Edle notwendig farblos sein müsse, hat lange nachgewirkt und viele alte Denkmäler haben darunter gelitten, so dass wir nur aus 229 verhältnismässig geringen Resten uns das Bild des Quattrocento rekonstruieren können. Die architektonischen Hintergründe Gozzolis oder Ghirlandajos sind hiefür noch immer aufschlussreich, wenn sie auch nicht im einzelnen wörtlich zu nehmen sein mögen. Ghirlandajo ist fast unersättlich an Buntheit – blaue Friese, gelbe Pilasterfüllungen, bunte Marmorfliesen – und doch rühmt ihn Vasari als einen Vereinfacher, insofern er mit den Goldzierarten in den Bildern aufgeräumt habe.Bei den Umbrern hatte das Gold noch einen festern Stand als bei den Florentinern. Interessant ist das allmähliche Verschwinden in Raffaels vatikanischen Arbeiten zu beobachten.
Das gleiche gilt für die Plastik. Schon oben ist ein Hauptbeispiel quattrocentistischer Polychromie namhaft gemacht worden, das Grabmal des Antonio Rossellino in S. Miniato; ein anderes Beispiel wäre das Marsuppinigrab Desiderios in S. Croce, das nun ebenfalls in stilloser Weise vor uns steht. Wo man nachspürt, findet man Farbenreste und es wäre eine schöne Aufgabe, in unserm Zeitalter, wo soviel restauriert wird, auch einmal dieser Verstossenen sich anzunehmen und sie in alter Fröhlichkeit wieder aufleuchten zu lassen. Es gehört gar nicht viel Farbe dazu, um eine farbige Wirkung zu gewinnen. Das blosse Gold an ein paar Stellen genügt, den weissen Stein nicht als farblos, als einen Widerspruch innerhalb der überall farbigen Welt erscheinen zu lassen. Das Madonnenrelief des Ant. Rossellino im Bargello ist so behandelt und die Johannesfigur des Benedetto da Majano. Nicht mit dicker Vergoldung, sondern nur mit einigen Strichen ist dem Haar, dem Pelz ein farbiger Schimmer gegeben. Sehr natürlich verbindet sich das Gold mit der Bronze und es giebt ganz besonders schöne Kombinationen von Bronze und Marmor mit Gold wie das Grabmal des Bischofs Foscari in S. M. del Popolo in Rom, wo die eherne Figur des Toten auf einem Marmorkissen mit goldenem Zierat liegt.
Michelangelo hat von Anfang an mit der Farbigkeit gebrochen und sofort pflanzt sich die Monochromie auf der ganzen Linie fort. Auch der Thon, der so sehr auf den Reiz der Bemalung angewiesen ist, entfärbt sich, wofür das grosse Beispiel Begarellis anzuführen ist.
Das oft wiederholte Urteil, die moderne Farblosigkeit der Plastik komme von der Ambition, antike Statuen zu imitieren, möchte ich nicht unterschreiben. Der Verzicht auf die Buntheit war eine beschlossene Sache, bevor irgend ein archäologischer Purist auf diesen Gedanken hätte kommen können und derartige durchgreifende Geschmacksänderungen pflegen überhaupt nicht von historischen Erwägungen bedingt zu sein. Die Renaissance hat die Antike farbig gesehen, solange sie selbst farbig war, und hat alle antiken Denkmäler, wo man sie auf Bildern brachte, 230 polychrom behandelt; von dem Moment an, wo das Farbenbedürfnis aufhört, ist dann auch die Antike weiss gesehen worden, aber es ist falsch, zu sagen, dass sie den Anstoss gegeben habe.
Jede Generation sieht in der Welt das, was ihr gleichartig ist. Das 15. Jahrhundert musste selbstverständlich ganz andere Schönheitswerte der Sichtbarkeit entnehmen als das 16., denn es stand ihr mit anderen Organen gegenüber. Man findet in der Giostra des Polizian, da, wo er den Garten der Venus beschreibt, einen gesammelten Ausdruck quattrocentistischer Schönheitsempfindung. Er spricht von dem lichten Hain und den Brunnen voll klaren Wassers, er nennt die vielen schönen Farben, die Blumen, er geht von einer zur andern und beschreibt sie in langer Aufzählung, ohne fürchten zu müssen, den Leser (oder Hörer) zu ermüden. Und mit was für einem zierlichen Gefühl redet er von der kleinen grünen Wiese
. . . scherzando tra fior lascive aurette
fan dolcemente tremolar l'erbette.
So war für den Maler die Blumenwiese eine Versammlung von lauter einzelnen Existenzen, deren kleine Daseinsgefühle er miterlebt. Von Lionardo wird berichtet, dass er einst einen Blumenstrauss in einem Wassergefäss mit erstaunlicher Kunst gemalt habe.Vasari III. 25. Es war in einem Marienbild. Venturi zitiert die Stelle zu dem Tondo des Lorenzo di Credi der Galerie Borghese, No. 433. Ich nenne den einen Fall als Beispiel für viele malerische Bemühungen der Zeit. Mit einem neuen Feingefühl, das aus Bildern niederländischer Quattrocentisten Nahrung sog, beobachtete man damals Glanzlichter und Reflexe auf Edelsteinen, Kirschen und metallenem Geschirr; in besonders preziösem Geschmack giebt man dem Täufer Johannes einen gläsernen Kreuzstab mit Messingringen in die Hand; glänzende Blätter, leuchtendes Fleisch, lichte Wölkchen auf blauem Himmel, das sind malerische Delikatessen und überall ist es abgesehen auf die höchste Brillanz der Farbe.
Das 16. Jahrhundert kennt diese Freuden nicht mehr. Das bunte Nebeneinander schöner Farben muss vor den starken Schatten und dem Verlangen nach räumlicher Wirkung weichen. Lionardo macht sich lustig über die Maler, die die Schönfarbigkeit nicht der Modellierung opfern wollten. Er vergleicht sie Rednern schöner Worte ohne Inhalt.Buch von der Malerei: No. 236 (95). Die Verstärkung der Schattenwirkung muss auch in der Architektur (und Plastik) in Betracht gezogen werden als farbenfeindliches Moment.
231 Zitternde Gräser und der Glanzblick eines Kristalls sind keine Dinge mehr für die cinquecentistische Malerei. Es fehlt ihr der Nahblick. Nur die grossen Aktionen werden miterlebt und nur die grossen Lichtphänomene aufgenommen.
Und damit ist noch nicht alles gesagt. Das Interesse an der Welt beschränkt sich jetzt überhaupt mehr und mehr auf die blosse Figur. Es ist früher schon erwähnt worden, wie Altarbild und Historienbild ihren besonderen Wirkungen nachgehen und der allgemeinen Sehlust nichts mehr geben wollen. Einst war das Altarbild die Stätte, wo alles niedergelegt wurde, was man an Schönheit unter dem Himmel fand, und im erzählenden Bilde malte der Künstler nicht nur als »Historienmaler«, sondern zugleich als Architekturmaler, als Landschafts- und Stillebenmaler. Jetzt vertragen sich die Interessen nicht mehr. Selbst da, wo es nicht auf die dramatische Wirkung oder auf einen kirchlich-weihevollen Eindruck abgesehen ist, in rein idyllischen Szenen und im gleichgültigen Daseinsbilde mit weltlich-mythologischem Inhalt, ist es die figurale Schönheit, die alles oder fast alles aufsaugt. Wem unter den Grossen möchte man das Blumenglas Lionardos zutrauen? Wenn Andrea del Sarto so etwas macht, ist es ganz oberflächlich hingewischt als ob er sich scheute, den monumentalen Stil in seiner Reinheit zu trüben.Es giebt jetzt eine Unterscheidung zwischen monumental und nicht-monumental. Für die kleinen Cassone-Bilder gelten deutlich andere Stilbestimmungen. Und doch findet man etwa einmal eine schöne Landschaft bei ihm. Raffael, der malerisch – wenigstens der Potenz nach – der vielseitigste sein möchte, giebt gerade hier wenig. Noch sind überall die Mittel vorhanden, aber unaufhaltsam scheint sich die definitive Absonderung einer Figurenmalerei vorzubereiten, die vornehm an allem, was nicht Figur ist, vorbeisieht. Es ist bemerkenswert, 232 dass es ein Oberitaliener ist, Giovanni da Udine, der in der Werkstätte Raffaels für das malerische Kleinzeug verwendet wurde. Später wieder hat dann der Lombarde Caravaggio gerade mit einem Blumenglas in Rom einen wahren Sturm hervorgerufen; es war das Zeichen einer neuen Kunst.
Wenn ein Quattrocentist wie Filippino die Musik malt (Bild in Berlin, s. Abb.), eine junge Frau, die den Schwan des Apollo schmückt, während der Wind ihren Mantel emporflattern lässt in den lustigen Koloraturen des quattrocentistischen Stiles, so wirkt das Bild mit seinen Putten und Tieren, dem Wasser und Laubwerk mit dem Reiz einer Böcklinschen Mythologie. Das 16. Jahrhundert würde nur das statuarische Motiv herausgenommen haben. Das allgemeine Gefühl für die Natur verengt sich. Es ist kein Zweifel, dass damit für die Entwicklung der Kunst nichts Gutes geschah. Die Hochrenaissance steht auf einem schmalen Boden und die Gefahr lag nahe, dass sie sich erschöpfte.
Die Wendung zum plastischen Geschmack fällt in der italienischen Kunst zusammen mit der Annäherung an antike Schönheit: man hat beiderseits den Willen der Nachahmung als das wirkende Motiv annehmen wollen, als ob man den antiken Statuen zuliebe die malerische Welt hätte fallen lassen. Allein man darf nicht urteilen nach Analogien aus unserm historischen Jahrhundert. Wenn die italienische Kunst in ihrer Vollkraft einen neuen Trieb zeigt, so kann das nur eine Entwicklung von innen heraus gewesen sein.
Es muss hier zusammenfassend noch einmal von dem Verhältnis zur Antike die Rede sein. Die vulgäre Meinung geht dahin, das 15. Jahrhundert habe die antiken Denkmäler sich wohl angesehen, dann aber beim eigenen Werke das Fremde wieder vergessen können, während das 16. Jahrhundert, mit minder starker Originalität begabt, den Eindruck nicht wieder losgeworden sei. Es wird dabei stillschweigend vorausgesetzt, dass die einen wie die anderen die Antike in derselben Weise gesehen hätten; aber eben diese Voraussetzung ist anfechtbar. Wenn das quattrocentistische Auge in der Natur andere Momente gesehen hat als das cinquecentistische, so ist es psychologisch konsequent, dass auch vor der Antike dem Bewusstsein sich nicht die gleichen Faktoren des Anschauungsbildes accentuierten. Man sieht immer nur das, was man sucht, und es gehört eine lange Erziehung dazu, wie man sie einem künstlerisch-produktiven Zeitalter nicht zumuten darf, um dieses naive Sehen zu überwinden, denn mit der Abspiegelung des Objektes auf der Netzhaut ist es nicht gethan. So wird man richtiger annehmen, dass bei 233 einem verwandten Willen, antik zu sein, das 15. und das 16. Jahrhundert zu anderen Resultaten kommen mussten, weil jedes die Antike anders verstand, d. h. sein Bild in ihr suchte. Wenn uns aber das Cinquecento mehr antik vorkommt, so muss das daran liegen, dass es eben innerlich der Antike ähnlicher geworden war.
Das Verhältnis lässt sich in der Architektur wohl am klarsten überblicken, wo niemand an der ehrlichen Absicht der Quattrocentisten zweifelt, die »gute, alte Baukunst« wieder heraufzuführen und wo die neuen Werke doch so wenig den alten gleichen. Als ob die Antike nur vom Hörensagen bekannt gewesen wäre, so sehen die Versuche des 15. Jahrhunderts aus, auf römische Formensprache einzugehen. Die Architekten nehmen die Idee der Säule, des Bogens, der Gesimse, allein, wie sie diese Glieder bilden und zusammenfügen, lässt schwer glauben, dass sie römische Ruinen gekannt haben. Und doch haben sie sie gesehen, bewundert, studiert und waren gewiss überzeugt, einen antiken Eindruck zu machen. Wenn an der Fassade von S. Marco in Rom, die die Arkaden des Kolosseums nachahmt, gerade im wesentlichen, in den Proportionen, alles anders, d. h. quattrocentistisch geworden ist, so geschah das nicht in der Absicht, vom Vorbild sich zu emanzipieren, sondern in der Meinung, man könne es auch so machen und so sei es auch antik. Man entlehnte das Materielle des Formensystems, aber in der Empfindung blieb man ganz selbständig. Es ist eine lehrreiche Untersuchung an einem Beispiel wie den antiken Triumphbögen, die in frühen und späten Stilprägungen gleichmässig zur Nachahmung offen standen, das Verhalten der Renaissance zu beobachten, wie sie an dem klassischen Beispiel des Titusbogens vorbeiging und auf archaische Ausdrucksweisen geriet, die in augusteischen Bauten in Rimini und noch weiter weg ihre Analogien haben, bis die Stunde kam, wo sie von sich aus klassisch geworden war.Vgl. Repertorium für Kunstwissenschaft XVI, 1893: die antiken Triumphbögen, eine Studie zur Entwicklungsgeschichte der römischen Architektur und ihr Verhältnis zur Renaissance (Wölfflin).
Und so ist es mit den antiken Figuren. Mit dem sichersten Takt nimmt man von diesen bewunderten Mustern nur das, was man verstand, d. h. was man selber hatte, und man darf wohl sagen, dass der antike Denkmälerschatz, der ja wesentlich reife und überreife Kunst enthielt, den Gang der modernen Stilentwicklung nicht nur nicht bedingt, sondern auch nicht zu verfrühten Fruchttrieben veranlasst hat. Wo die Frührenaissance ein antikes Motiv in die Hand nimmt, giebt sie es nicht weiter ohne die gründlichsten Veränderungen. Sie verfährt mit der Antike nicht anders als wie die stilkräftigen Perioden des Barock oder 234 des Rokoko es gethan haben. Mit dem 16. Jahrhundert aber kam die Kunst auf eine Höhe, wo sie der Antike eine kurze Weile Auge in Auge sah. Das ist eigene, innere Entwicklung gewesen, nicht die Folge eines vorsätzlichen Studiums der alten Fragmente. Der breite Strom der italienischen Kunst ging seinen Gang und das Cinquecento müsste so geworden sein, wie es geworden ist, auch ohne alle antiken Figuren. Die schöne Linie kommt nicht vom Apoll von Belvedere und die klassische Ruhe nicht von den Niobiden.Die Florentiner Niobiden sind übrigens zu Anfang des 16. Jahrhunderts noch nicht bekannt gewesen.
Man gewöhnt sich nur langsam daran, im Quattrocento die Antike zu sehen, allein es ist nicht daran zu zweifeln: wenn Botticelli in mythologischen Darstellungen sich erging, so wollte er einen antiken Eindruck machen. So merkwürdig es uns vorkommen mag: mit seiner Venus auf der Muschel so gut wie mit der Verläumdung des Apelles meinte er sicher nichts anderes zu geben, als was ein antiker Maler in diesem Falle gegeben hätte, und das Frühlingsbild mit der Liebesgöttin im roten, goldgemusterten Kleide, mit den tanzenden Grazien und der blumenstreuenden Flora durfte als eine Komposition im Geiste der Antike gelten. Die Venus auf der Muschel gleicht zwar ihrer antiken Schwester nur wenig und die Graziengruppe Botticellis sieht ganz anders aus als die Antike und dennoch braucht man ein absichtliches Sich-Unterscheiden-Wollen nicht anzunehmen, that doch Botticelli nichts anderes als was seine Zeitgenossen und Kollegen in der Architektur auch thaten, wenn sie ihre Bogenhallen mit den dünnen Säulen und luftigen Spannungen und reichem Zierwerk in Nachahmung der Antike aufzuführen glaubten.In dem Relief Verrocchios mit der Sterbeszene einer Tornabuoni (vom Grabmal in S. Maria novella, jetzt im Bargello) haben wir die antike Behandlung einer zeitgenössischen Szene. Das antike Vorbild ist nachgewiesen worden von Frida Schottmüller, Rep. XXV. 403.
Wenn damals von irgendwoher ein Winckelmann gekommen wäre, um von der stillen Grösse und der edlen Einfalt in der antiken Kunst zu predigen, man würde die Begriffe nicht verstanden haben. Das frühe Quattrocento war diesem Ideal viel näher gestanden, aber die ernsthaften Versuche eines Niccolò d'Arezzo und Nanni di Banco oder selbst eines Donatello sind nicht erneuert worden. Jetzt suchte man das Bewegte, man schätzte das Reiche und Schmuckvolle, das Formgefühl hatte sich wesentlich verändert, aber man glaubte darum nicht von der Antike abgekommen zu sein. Bot doch gerade sie die höchsten Vorbilder der Bewegung und der flatternden Gewänder und waren doch die alten Denkmäler die unerschöpfliche Schatzkammer der 235 Zierarten für Gerät, Kleidung und Bauwerk.Filippino ist nach Vasari der erste, der massenhaft antike Motive zum Schmuck seiner Bilder herbeischleppte. In die Hintergründe wusste man nichts besseres als antike Gebäude zu stellen und so gross war die Begeisterung für diese Monumente, dass der Constantinsbogen z. B. in Rom, wo man ihn ja leibhaftig vor sich hatte, auf Fresken immer wieder gebracht werden durfte und nicht nur einmal, sondern zweimal auf demselben Bilde. Freilich nicht so wie er war, sondern so wie er hätte sein sollen: farbig bemalt und bunt aufgetakelt. Überall wo man auf antike Szenen eingeht, erstrebt man den Eindruck einer phantastischen, fast märchenhaften Pracht. Dabei sucht man in der alten Welt nicht das Ernsthafte, sondern das Heitere. Nackte Menschen mit bunten Schärpen im Grase liegend – man nennt sie Venus und Mars –, das sah man gerne. Nirgends etwas Statuenhaftes, Marmormässiges; man verzichtete nicht auf das farbige Vielerlei, auf das leuchtende Fleisch und die blumige Wiese.
Für die antike »gravitas« war noch kein Gefühl vorhanden. Man las die antiken Dichter, aber mit veränderter Accentuierung. Das Pathos Virgils verhallte ungehört. Für die grandiosen Stellen, die sich den späteren Generationen eingeprägt haben, wie etwa die Worte der sterbenden Dido: et magna mei sub terras ibit imago –, war die Empfindung noch nicht reif. Wir glauben das sagen zu dürfen angesichts der Illustrationen zu antiken Dichtungen, die den Ton so völlig anders greifen als wir erwarten.
Wie wenig dazu gehörte, einen antiken Eindruck zu machen, ersieht man aus der hübschen Schilderung eines tafelnden Humanisten – es ist Niccolò Niccoli – bei Vespasiano.Citiert bei J. Burckhardt, Kultur der Renaissance und neuerdings wieder in seinen »Beiträgen« (die Sammler), S. 332, Anm. Der Tisch sei gedeckt gewesen mit dem weissesten Linnen. Ringsherum standen reiche Schalen und antike Gefässe und er selber trank nur aus einem kristallenen Becher. A vederlo in tavola, ruft der Erzähler entzückt aus, così antico come era, era una gentilezza. Das Bildchen ist fein archaisch empfunden und fügt sich gut den quattrocentistischen Vorstellungen von antiker Art ein – wie ganz undenkbar wäre es im 16. Jahrhundert! Wer würde das antik nennen? wer überhaupt in diesem Zusammenhang vom Essen reden?
Die neuen Begriffe von menschlicher Würde und menschlicher Schönheit brachten die Kunst von selbst in ein neues Verhältnis zur klassischen Antike. Auf einmal trifft sich der Geschmack und es ist eine verständliche Konsequenz, dass jetzt erst das Auge auch auf die archäologische Richtigkeit in der Reproduktion antiker Figuren achten 236 lernte. Die phantastische Kostümierung verschwindet, Virgil ist nicht mehr der orientalische Zauberer, sondern der römische Dichter und den alten Göttern wird ihre eigentliche Bildung zurückgegeben.
Man begann jetzt die Antike zu sehen wie sie ist. Das naive Spiel hört auf; von diesem Moment an aber war sie auch eine Gefahr und für die Schwachen, nachdem sie einmal vom Baum der Erkenntnis gegessen, musste die Berührung verderblich werden.
Raffaels Parnass zeigt in sehr lehrreicher Weise gegenüber von Botticellis Frühlingsbild, wie man sich jetzt ungefähr eine antike Szene dachte, und auf der Schule von Athen begegnen wir dem Standbild eines Apollo, der wirklich echt aussieht. Die Frage ist hier nicht, ob die Figur nach der Vorlage einer antiken Gemme gemacht sei oder nicht,Man trifft wohl das Richtige, wenn man auf die medicäische Gemme des Marsyas und Apoll verweist. das Merkwürdige ist, dass man unmittelbar aufgefordert wird, an eine Antike zu denken. Zum erstenmal giebt es jetzt auch Aufnahmen antiker Statuen, die richtig wirken. Das moderne Linien- und Massengefühl hat sich dahin entwickelt, dass man sich über die Jahrhunderte hinüber wieder versteht. Und es berühren sich nicht nur die Vorstellungen von menschlicher Schönheit, auch für das Feierliche der antiken Gewandung hat man jetzt wieder Sinn (wozu schon einmal im früheren Quattrocento Anlage vorhanden war), man empfindet die Würde antiker Präsentation, den Adel der gehaltenen Gebärde. Die Szenen aus der Aeneide auf dem »Quos-ego«-Blatt des Marc Anton bilden den lehrreichen Gegensatz zu den quattrocentistischen Illustrationen. Die Zeit war zu einem statuarischen Empfinden gekommen und diese Neigung, das plastische Motiv vor allem zu sehen, musste sie vollends disponieren, sich jetzt mit antiker Kunst vollzusaugen.
Nichtsdestoweniger ist die Empfindung bei allen grossen Meistern selbständig geblieben, sonst wären sie eben nicht die grossen. Das Herübernehmen einzelner Motive, die Anregung durch dieses oder jenes Vorbild beweist nichts dagegen. Man kann wohl von der Antike im Bildungsgange Michelangelos oder Raffaels als einem Moment reden, aber es ist doch nicht mehr als ein sekundäres Moment. Bei der Plastik lag die Gefahr näher als bei der Malerei, die Originalität zu verlieren: Sansovino hatte gleich am Anfang des Jahrhunderts in den Prachtgräbern von S. M. del Popolo mit einem weitgehenden Antikisieren angefangen und gegenüber älteren Arbeiten wie den Pollaiuolo-Gräbern in S. Peter wirkt sein Stil wie die Proklamation einer neurömischen Kunst, allein der eine Michelangelo hat genügend dafür gesorgt, dass die Kunst nicht 237 in die Sackgasse eines nachempfundenen antiken Klassizismus hineinkomme. Und so wird man in der Umgebung Raffaels der Antike zwar einen immer grösseren Spielraum gewährt finden, allein das Höchste ist ganz unabhängig von ihr entstanden.
Es bleibt immer denkwürdig, dass die Architekten zu einer eigentlichen Reproduktion alter Bauten sich nie hergegeben haben. Die römischen Ruinen mussten eindringlicher reden als je. Man verstand jetzt ihre Einfachheit, denn man hatte die unbändige Zierlust selbst überwunden. Man begriff ihre Maasse, denn man war selbst zu analogen Proportionen gekommen und das geschärfte Auge verlangte nun auch nach genauen Messungen. Man gräbt und in Raffael steckte ein halber Archäologe. Man hat eine Entwicklung hinter sich und unterscheidet auch in der Antike verschiedene Perioden,Vgl. hiezu den sogenannten »Bericht Raffaels« über die römischen Ausgrabungen (abgedruckt u. a. bei Guhl, Künstlerbriefe I) und das überraschende Urteil Michelangelos über die Bauperioden des Pantheon, wo er, so viel ich sehe, mit den modernsten Forschungen zusammentrifft. (Vasari IV. 512 in der vita des A. Sansovino.) aber trotz dieser geläuterten Einsicht wird das Zeitalter nicht irre an sich selber, sondern bleibt »modern« und aus der Blüte des archäologischen Studiums geht der Barock hervor.238