Heinrich Wölfflin
Die klassische Kunst
Heinrich Wölfflin

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V. Fra Bartolommeo.

1475-1517

In Fra Bartolommeo besitzt die Hochrenaissance den Typus des mönchischen Malers.

Die grosse Erfahrung seiner Jugend war gewesen, Savonarola zu hören und ihn sterben zu sehen. Darauf hatte er sich ins Kloster zurückgezogen und eine Zeitlang gar nicht gemalt. Es muss ein schwerer Entschluss gewesen sein, denn mehr als bei anderen fühlt man bei ihm das Bedürfnis, in Bildern zu reden. Er hatte nicht vieles zu sagen, aber der Gedanke, der ihn belebte, war ein grosser Gedanke. Der Jünger Savonarolas trug in sich ein Ideal des Einfach-Mächtigen, mit dessen Wucht er den weltlichen Tand und die kleine Zierlichkeit der florentinischen Kirchenbilder niederschlagen wollte. Er ist kein Fanatiker, kein verbissener Asket, er singt jubelnde Triumphlieder. Man muss ihn sehen in seinen Gnadenbildern, wo um die thronende Madonna die Heiligen in dichten Schaaren herumstehen. Er spricht da laut und pathetisch. Wuchtige Massen, durch ein strenges Gesetz zusammengehalten, grandiose Richtungskontraste und ein mächtiger Schwung der Gesamtbewegung, das sind seine Elemente. Es ist der Stil, der in den weiten hallenden Kirchenräumen der Hochrenaissance lebt.

Die Natur hat ihm den Sinn für das Bedeutende gegeben, für die grosse Gebärde, die feierliche Gewandung, die prächtig wallende Linie. Was kann sich seinem Sebastian vergleichen an schwungvoller Schönheit und wo hat die Gebärde seines Auferstandenen ihresgleichen in Florenz? Eine starke Sinnlichkeit schützt ihn davor, dass sein Pathos hohl wird. Seine Evangelisten sind Männer mit einem Stiernacken. Wer steht, steht unerschütterlich und wer fasst, fasst mit Gewalt. Er fordert das Kolossale als die normale Grösse und in dem Willen, seinen Bildern die stärkste plastische Wirkung zu geben, steigert er die Dunkelheit der Schatten und der Gründe so, dass viele Bilder infolge des unausbleiblichen Nachdunkelns heute nur schwer mehr zu geniessen sind.

140 Die Wirklichkeit und das Individuelle haben ihm nur ein halbes Interesse abgewonnen. Er ist ein Mann des Ganzen, nicht des Einzelnen. Das Nackte ist nur oberflächlich behandelt, weil er auf den Eindruck des Bewegungs- und Linienmotives im grossen rechnet. Die Charaktere sind immer bedeutend durch den Ernst der Empfindung, allein auch hier geht er kaum über die allgemeinen Züge hinaus. Man erträgt diese Allgemeinheit, weil man eben doch von seiner Gebärde fortgerissen wird und aus dem Rhythmus der Komposition seine Persönlichkeit herausfühlt. Nur in ein paar Fällen hat er sich selbst verloren, wie in den sitzenden heroischen Prophetenfiguren. Der Eindruck Michelangelos hat auch ihn momentan verwirrt und wo er mit der Bewegung dieses Gewaltigen konkurrieren will, da wird er leer und unwahr.

Es ist verständlich, dass unter den älteren Künstlern Perugino ihm mit seiner Einfachheit am nächsten stehen musste. Bei ihm fand er, was er suchte, den Verzicht auf das unterhaltende Detail, die stillen Räume, den gesammelten Ausdruck. Selbst in der schönen Bewegung knüpft er an diesen an, aber er bringt dazu sein individuelles Gefühl für Kraft und Masse und geschlossenen Umriss. Perugino erscheint neben ihm sofort kleinlich und geziert.

Was dann auf Lionardo zurückgeht von seinem breiten malerischen Stil, wie weit er zu jener Rechnung mit hell und dunkel im grossen verholfen hat und zu den reichen Abstufungen, das muss die monographische Betrachtung erörtern. Sie wird auch von dem Eindruck Venedigs, wohin den Frate eine Reise im Jahre 1508 führte, im einzelnen Rechenschaft zu geben haben. Er sah dort eine grossflächige Manier schon in voller Blüte und traf in Bellini eine Empfindung und ein Schönheitsgefühl, die ihn wie eine Offenbarung berühren mussten. Wir werden gelegentlich darauf zurückkommen.


Aus dem Jüngsten Gericht (einst S. M. Nuova, jetzt Uffizien), das noch im alten Jahrhundert entstand, ist es nicht leicht, die künftige Entwicklung Bartolommeos vorauszusagen. Es leidet namentlich die obere Gruppe, die allein von ihm ausgeführt wurde, an Zerstreutheit; die Hauptfigur des Heilandes ist viel zu klein und in den Reihen der sitzenden Heiligen, die in die Tiefe leiten, wirkt die enge Schichtung, das knappe Nebeneinander der Köpfe noch altertümlich und trocken. Wenn man mit Recht gesagt hat, die Komposition sei für Raffaels Disputa ein anregendes Vorbild gewesen, so zeigt eine Vergleichung auch sehr gut, was Raffael eigentlich geleistet und was für Widerstände er überwunden hat- Die Zerstreuung des Ganzen und das Zurücktreten der Hauptfigur 141 sind Schwächen, die genau so in den anfänglichen Entwürfen zur Disputa vorhanden sind und die erst allmählich beseitigt wurden. Die klare Entwicklung der sitzenden Heiligen dagegen machte Raffael von Anfang an keine Schwierigkeit. Er teilte den Geschmack für das Übersichtliche und das bequeme Nebeneinander mit Perugino, während die Florentiner alle dem Beschauer zumuten, eng zusammengeschobene Kopfreihen auseinanderzuklauben.

Fra Bartolommeo. Erscheinung der Maria vor dem hl. Bernhard

Anders schon fühlt man sich angesprochen von der Erscheinung der Maria vor dem hl. Bernhard (1506; Florenz, Akademie): das erste Bild, das der Mönch Bartolommeo malte. Es ist kein angenehmes Bild und die Erhaltung lässt viel zu wünschen übrig, aber ein Bild, das Eindruck macht. Die Erscheinung ist in unerwarteter Weise gegeben. Nicht mehr die feine, scheue Frau Filippinos, die an das Pult des frommen Mannes herantritt und ihm die Hand aufs Buch legt, sondern die überirdische Erscheinung, die herabschwebt, in feierlich wallendem Mantel, begleitet von einem Chor von Engeln, gedrängt und massenhaft, alle erfüllt von Andacht und Anbetung. Filippino hatte Mädchen gemalt, die halb scheu und halb neugierig den Besuch mitmachen; Bartolommeo will nicht, dass der Beschauer lächle, sondern dass er andächtig werde. Leider ist die Hässlichkeit seiner Engel gross, so dass die Andacht doch nicht ganz zustande kommt. Der Heilige empfängt das Wunder mit frommem Staunen und dieser Eindruck ist so schön gegeben, dass Filippino daneben gewöhnlich und selbst Perugino in seinem Münchener Bild gleichgültig aussieht. Das weisse Gewand, schleppend, massig, hat ebenfalls eine neue Grösse in der Linie und die zwei assistierenden Figuren sind mit in die Stimmung hineingezogen. Landschaftliche und architektonische Begleitung wirken dagegen noch jugendlich unsicher. Der Raum im ganzen eng, so dass die Erscheinung drückt.

Drei Jahre später leuchtet die Inspiration, aus der der Bernhard hervorgegangen, noch einmal mit mächtigen Flammen auf in dem Bilde Gottvaters mit zwei knienden weiblichen Heiligen (1509; Lucca, Akademie), wo die in Anbetung hingenommene Katharina von Siena das alte Motiv in grösserer, leidenschaftlicherer Form wiederholt. Die Wendung des Kopfes (im verlorenen Profil) und das Vorschieben des Körpers verstärken dabei den Eindruck im selben Sinne wie die Bewegung des emporgeblähten dunkeln Ordenskleides eine höchst wirksame Umsetzung der inneren Erregung in bewegte äussere Form ist. Die andere Heilige, Magdalena, bleibt ganz still. Sie hält rituell das Salbgefäss vor sich hin und nimmt ein Mantelende vor der Brust hoch, indes der gesenkte Blick auf der Gemeinde ruht. Es ist das eine Kontrastökonomie von der gleichen Art, wie sie Raffael nachher in der 142 Sixtinischen Madonna wiederholt. Beide Figuren knien, aber nicht auf dem Erdboden, sondern auf Wolken. Dazu giebt Bartolommeo eine architektonische Einrahmung mit zwei Pfeilern. Nach der Tiefe geht der Blick weit hinaus über eine flache, stille Landschaft. Die leise Linie des Horizontes und der grosse Luftraum machen eine wunderbar feierliche Wirkung. Man erinnert sich, ähnlichen Intentionen bei Perugino begegnet zu sein, indessen sind es vielleicht mehr noch venezianische Eindrücke, die hier nachklingen. Gegenüber der florentinischen zappelnden Fülle spricht das Bild merkwürdig genug von einer neuen Idealität.

Wo Bartolommeo das gewöhnliche Marienbild mit Heiligen in die Hand nimmt, wie in dem wundervoll gemalten Bilde von 1508 im Dom von Lucca,Der florentinischen Kunst hat er hier als Reisegeschenk von Venedig den lautenspielenden Putto mitgebracht. da sorgt er wieder ganz im Sinne Peruginos, zunächst für die vereinfachte Erscheinung: schlichte Gewänder, stille Gründe und ein einfacher Würfel als Thronsitz. In der kräftigeren Bewegung, den völligeren Körpern und dem geschlossenern Umriss geht er über Perugino hinaus. Seine Linie ist rundlich, wallend und jeder harten 143 Begegnung abhold. Wie wohlig fügen sich die Silhuetten der Maria und des Stephanus zusammen!Gefühllose Stecher wie Jesi haben aus willkürlicher Verschönerungssucht die Madonna höher hinaufgeschoben, wodurch das ganze Lineament aus der Harmonie kommt. Nach dem Stich ist auch der Holzschnitt in Woltmann-Wörmanns »Malerei« hergestellt. Ein Beispiel für viele. Altertümlich wirkt noch die gleichmässige Füllung der Fläche, aber mit neuem Gefühl für Masse sind die stehenden Figuren schon ganz nah an den Rand gerückt und das Bild ist von den zwei seitlichen Pfeilern wirklich eingerahmt, während die Früheren in solchem Fall den Blick zwischen Pfeiler und Rand noch einmal ins Freie hinauslassen.

Und nun schwillt das Altarbild zu immer mächtigeren Accorden an und in der Figurenfügung findet Bartolommeo immer schwungvollere Rhythmen. Er weiss seine Scharen einem grossen, führenden Motiv zu unterstellen, mächtige Gruppen von hell und dunkel wirken gegeneinander, bei aller Fülle bleiben die Bilder weit und räumig. Den vollkommensten Ausdruck hat diese Kunst in der »Vermählung der Katharina« (Pitti) und in dem Karton der Schutzheiligen von Florenz mit der Anna selbstdritt (Uffizien) gefunden, beide um 1512 entstanden.

Der Raum in diesen Bildern ist geschlossen. Bartolommeo sucht den dunkeln Grund. Die Stimmung vertrüge nicht die geöffnete, zerstreuende Landschaft. Er verlangt die Begleitung einer schweren, ernsten Architektur. Häufig ist eine grosse, leere, halbrunde Nische das Motiv, eine Form, deren Wirkung er in Venedig empfunden haben mag. Ihr Reichtum liegt in dem Wölbungsschatten. Auf Farbigkeit ist ganz Verzicht gethan, wie die Venezianer selbst mit dem 16. Jahrhundert aus dem Bunten ins Neutraltönige übergegangen sind.

Um für die Figuren eine bewegte Linie zu gewinnen, baut Bartolommeo vom Vordergrund aus ein paar Stufen empor zu dem zweiten Plan. Es ist das Treppenmotiv, das, von Raffael in der Schule von Athen im grössten Stil verwendet, auch dem vielfigurigen repräsentierenden Altarbild unentbehrlich wird.

Dabei ist der Augenpunkt durchgängig tief genommen, so dass die hinteren Figuren sinken. Es mag ungefähr der für den Beschauer in der Kirche natürliche Augenpunkt gemeint sein. Die stark accentuierende Komposition Bartolommeos zieht aus dieser Perspektive einen besonderen Vorteil. Die Hebungen und die Senkungen des rhythmischen Themas kommen sehr markiert heraus. In allem Reichtum wirkt Bartolommeo nie beunruhigend oder verwirrend, er baut seine Bilder nach einem klaren Gesetz und die eigentlichen Träger der Komposition springen sofort ins Auge. 144

Fra Bartolommeo. Vermählung der Katharina

In dieser »Vermählung der Katharina«Die Vermählung der Katharina mit dem Jesusknaben ist nicht das Hauptmotiv des Bildes, der Name mag aber der Unterscheidung wegen geduldet werden. ist die rechte Eckfigur ein besonders charakteristischer Typus, ein Motiv im Sinne der reichen Bewegung des 16. Jahrhunderts, das Pontormo und Andrea del Sarto sich angeeignet haben. Ein Fuss hochgesetzt, übergreifender Arm, kontrastierende Wendung des Kopfes. Alles Greifen und alle Wendung ist von grosser Energie. Man zeigt gerne die Muskulatur und die Gelenke, daher wird der Arm bis zum Ellenbogen entblösst. Michelangelo hatte damit angefangen. Er würde freilich diesen Arm anders gezeichnet haben. Das Handgelenk ist wenig ausdrucksvoll.

Der heilige Georg auf der linken Seite ist in seiner Einfachheit ein glücklicher Kontrast. Für Florenz war es ein neues Schauspiel, wie hier der Glanz einer Rüstung aus dem dunkeln Grunde heraus entwickelt ist.

Von der grössten Süsse und ganz bartolommeisch in der weich fliessenden Linie ist endlich die inhaltsreiche Gruppe der Maria mit dem Kinde, das, die Bewegung nach unten leitend, der knienden Katharina den Vermählungsring giebt.

Bilder der Art mit ihrem reichen rhythmischen Leben, ernst in dem gesetzmässig-tektonischen Bau und überall erfüllt von freier Bewegung, machten den Florentinern einen grossen Eindruck. Hier war in einer höheren Form gegeben, was man einst in Peruginos geometrisch geordneter Beweinung Christi (1494) bewundert hatte. Pontormo hat in seinem Fresko der Heimsuchung (Vorhalle der Annunziata) nicht ohne Glück versucht, die Komposition des Frate nachzuahmen. Er stellt die Hauptgruppe erhöht vor eine Nische, er setzt vorn kräftig kontrastierende Eckfiguren an die Ränder, er sorgt für eine lebendige Zwischenfüllung 145 die Stufen hinan und erreicht einen wahrhaft monumentalen Eindruck. In dem Zusammenhang eines so bedeutenden Ganzen erscheint der Wert jeder Einzelfigur erhöht. (Vgl. Abbildung weiter unten »Albertinelli. Heimsuchung«.)

Eine besondere Erwähnung beansprucht noch die Madonna von Besançon, schon darum, weil sie den schönsten Sebastian enthält. Das Bewegungsmotiv von prächtigstem Fluss und die Malerei venezianisch breit. Man merkt den vermischten Eindruck Peruginos und Bellinis. Das Licht fällt nur auf die rechte Seite des Körpers, die bewegtere, und hebt so, zum grössten Vorteil der Figur, gerade den wesentlichen Inhalt des Motives heraus. Das Bild ist aber auch merkwürdig hinsichtlich des Stoffes: die Madonna auf Wolken und diese Wolken hineingenommen in einen geschlossenen architektonischen Binnenraum, der nur durch eine Thür im Hintergrund den Blick ins Freie hinauslässt. Das ist ein Idealismus neuer Art. Bartolommeo mag den dunkeln Grund, die dämmerige Tiefe gewünscht haben; er gewann damit auch für die Heiligen, die dastehen, neue Erscheinungskontraste. Der Raumeindruck ist indessen kein günstiger und die offene Thür verengt mehr als dass sie erweitert. Das Bild schloss übrigens ursprünglich anders nach oben; es folgte im Halbrund eine himmlische Krönung. Möglich, dass dadurch die Wirkung im ganzen eine bessere war. Das Bild scheint auch um 1512 entstanden zu sein.

In rascher Steigerung erhebt sich nun die Empfindung des Frate bis zu dem grossen Pathos in der fürbittenden Mutter des Erbarmens vom Jahre 1515 in Lucca (Akademie). Man kennt die Misericordienbilder als lange Breitbilder: die Maria steht in der Mitte und hält die Hände betend zusammen und rechts und links knien unter ihrem Mantel die Andächtigen, die sich ihrem Schutze anheimstellen. Bei Bartolommeo ist es ein mächtiges Hochbild mit halbrundem Abschluss. Maria steht erhoben über dem Erdboden, Engel breiten ihren Mantel hoch aus und so fleht sie empor mit prachtvoll triumphierender Bewegung, laut und drängend, die Arme nach unten und oben auseinandergebreitet und vom Himmel her antwortet der gewährende Christus, auch er umflattert vom rauschenden Mantel. Um die Bewegung Marias flüssig zu machen, musste Bartolommeo ihren einen Fuss etwas höher stellen als den anderen. Wie sollte er diese ungleiche Fusshöhe motivieren? Er besinnt sich keinen Augenblick und schiebt, dem Motiv zuliebe, ruhig einen kleinen Block unter. Das klassische Zeitalter nahm an solchen Hilfsmitteln, über die das moderne Publikum zetern würde, keinen Anstoss.

Von dem Podium ist die Gemeinde über Stufen nach dem Vordergrund herunter entwickelt und es entstehen Gruppen von Müttern und 146 Kindern, von Betenden und Weisenden, die sich in der formalen Absicht mit denen des Heliodor vergleichen lassen. Der Vergleich ist freilich gefährlich, denn nun kommt auch gleich heraus, was dem Bilde eigentlich fehlt: die zusammenhängende Bewegung, die Bewegung, die von Glied zu Glied fortgetragen wird. Bartolommeo hat immer erneute Anläufe gemacht, solche Massenbewegungen darzustellen, allein hier scheint er an eine Grenze seines Talentes gekommen zu sein.Bei dem Raub der Dina in Wien, wo die Zeichnung auf Bartolommeo zurückgeht, ist die Beziehung zu Heliodor noch deutlicher.

Wenige Jahre nach der Mater misericordiae entstand Tizians Assunta (1518). Der Hinweis auf diese einzigartige Schöpfung ist kaum zu umgehen, weil die Motive sich zu nahe berühren, allein es wäre Unrecht, den Wert Bartolommeos an Tizian zu messen. Für Florenz bedeutet er doch etwas Ungeheures und das Bild von Lucca ist ein unmittelbar überzeugender Ausdruck der hochgehenden Stimmung jener Zeit. Wie rasch die Auffassung sinkt, zeigt am besten das populär gewordene Bild, das Baroccio über das gleiche Thema gemalt hat und das unter dem Namen der Madonna del Popolo bekannt ist (Uffizien): in dem malerischen Wurf beneidenswert keck und munter, ist es inhaltlich doch schon völlig trivial.

Fra Bartolommeo. Der Auferstandene mit den vier Evangelisten

An die Mater misericordiae reiht sich der Auferstandene des Pitti (1517). Was dort noch unsicher und unrein geklungen haben mag, ist hier getilgt. Man darf das Bild wohl als das vollkommenste des Frate ansehen. Er ist stiller geworden. Aber gerade das gehaltene Pathos in diesem segnenden, milden Christus wirkt eindringlicher und überzeugender als die laute Gebärde. »Sehet, ich lebe und ihr sollt auch leben.«

Bartolommeo war kurz zuvor in Rom gewesen und mochte dort die Sixtinische Madonna gesehen haben. Die grandiose Einfachheit der Gewandfalten ist von ganz verwandter Art. In die Silhuette nimmt er eine sich steigernde dreifache Welle auf, ein Prachtmotiv, das auch für Madonnenbilder bestimmt war. Die Zeichnung des erhobenen Armes und die Aufklärung der Gelenkfunktionen würde auch Michelangelo gebilligt haben. Im Hintergrunde wieder die grosse Nische. Christus überschneidet sie, was seine Erscheinung verstärkt. Über die Evangelisten ist er erhoben durch einen Sockel, ein scheinbar selbstverständliches Motiv, was doch dem ganzen florentinischen Quattrocento fremd ist. Die ersten Beispiele hat Venedig.

Die vier Evangelisten sind Kernnaturen, von felsenmässig sicherer Präsentation. Nur zwei haben den Accent, die Zurückstehenden sind den Vordermännern, mit denen sie als Masse zusammenschliessen, 147 durchaus untergeordnet. Das ist Bartolommeos Massengefühl. Mit völlig reifer Wirkungsrechnung sind die Profil- und Faceansichten, die aufrechte und die geneigte Haltung ausgeteilt. Die Vertikale des Facekopfes rechts wirkt nicht aus sich selbst so durchschlagend, sondern bekommt ihre wesentliche Kraft aus dem Zusammenhang und der architektonischen Begleitung. Alles hält und steigert sich gegenseitig in diesem Bilde. Man fühlt die Notwendigkeit.

Fra Bartolommeo. Pietà

Die Gruppe des Schmerzes endlich, die Pietà, hat auch Bartolommeo mit dem ganzen Adel des zurückgehaltenen Ausdrucks behandelt, wie es die Besten seiner Zeit gethan haben (Bild im Pal. Pitti). Die Klage wird nicht laut. Eine gelinde Begegnung zweier Profile: die Mutter, die die tote Hand aufgenommen hat und zum letzten Kusse auf die Stirn sich neigt, das ist alles. Christus ohne eine Spur des Aufgestandenen. Der Kopf hält sich in einer Lage, die nicht die eines Leichnams ist; auch hier lässt man eine ideale Rechnung walten. Magdalena, die mit leidenschaftlichem Gefühl sich über des Herrn Füsse geworfen, bleibt als Kopf fast unsichtbar, dem Ausdruck des Johannes aber sind, nach Jakob Burckhardts Bemerkung, mit untrüglicher dramatischer Sicherheit Spuren der Anstrengung des Tragens beigemischt.Diese Beobachtung bleibt zu Recht bestehen, auch wenn man sich sagen muss, dass eine Mischung psychischen und physischen Unbehagens undarstellbar ist. Es ist schlechterdings unmöglich, zu sagen, was in dem Ausdruck auf die eine und was auf die andre Ursache zurückgeht. Aber das ist hier auch nicht nötig. Indessen wäre es vielleicht doch angezeigt, im allgemeinen an die Kritik zu erinnern, die der Maler Reynolds an dilettantischen Kunstschriftstellern seines Jahrhunderts geübt hat: »Weil sie nicht vom Berufe sind und daher nicht wissen, was geleistet werden kann und was nicht, sind sie sehr freigebig mit ungereimtem Lobe. Sie finden immer das, was sie finden wollen, sie loben Vorzüge, die kaum nebeneinander bestehen können und beschreiben vor allem gerne mit grosser Genauigkeit den Ausdruck einer gemischten Gemütsbewegung, welche mir ganz besonders ausser dem Bereich unserer Kunst zu liegen scheint.« (Akademische Reden, übers. von Leisching. Leipzig 1893. S. 64.) So sind in dem Bilde die Stimmungen stark differenziert und der parallele Ausdruck, wie ihn Perugino hat, ist ersetzt durch lauter Kontraste, die sich gegenseitig steigern. Eine gleiche Ökonomie beherrscht die physischen Bewegungen. Übrigens fehlen jetzt in der Komposition zwei Figuren: es war noch ein Petrus und ein Paulus sichtbar. Man hat sie sich jedenfalls gebückt zu denken, über der Magdalena, deren hässliche Silhuette dadurch gemildert wäre.Die Figuren waren schon da, wurden aber wieder entfernt. Zur Ergänzung vgl. die Pietà Albertinellis in der Akademie. Durch das Fehlen dieser Figuren hat sich der Accent des Ganzen überhaupt verschoben. Es war zwar niemals auf eine symmetrische Massenverteilung abgesehen, sondern auf eine freirhythmische, aber die drei Köpfe verlangen unbedingt ein Gegengewicht. Offenbar fälschlich wurde später ein Kreuzstamm in der Mitte der Tafel zugefügt: gerade diese Stelle musste unbetont bleiben.

Gegenüber Perugino, der unter seinen Zeitgenossen so still aussah (vgl. Abb.), wirkt Bartolommeo noch gehaltener und feierlicher in der Linie. Die grossen parallelen Horizontalen am vorderen Rande sind nur ein Ausdruck für die ganz reliefmässig-einfache Fügung der Figuren mit den zwei dominierenden Profilansichten. Bartolommeo muss das Wohlthuende der in solcher Weise beruhigten Erscheinung empfunden haben. Er gewinnt auf anderem Weg einen gleichen Eindruck von Beruhigung, indem er die Gruppe niedrig macht: aus dem steilen Dreieck Peruginos ist eine stumpfwinkelige Gruppe von geringer Höhe geworden. Und vielleicht ist auch das Breitformat in diesem Sinne gewählt worden.

Bartolommeo hätte noch lange fortarbeiten und die ganze Reihe der christlichen Stoffe mit ruhiger Hand ihrer klassischen Gestaltung entgegenführen können. Man gewinnt aus seinen Zeichnungen den Eindruck, dass seine Phantasie sich rasch zu deutlichen Bildvorstellungen erhitzte. Mit vollkommener Sicherheit handhabte er die 149 Wirkungsgesetze. Aber es ist nie die angewandte Regel, die bei ihm die Wirkung entscheidet, sondern die Persönlichkeit, die sich ihre Regeln selbst erfunden hat. Wie wenig aus seiner Werkstätte sich schulmässig übertragen liess, zeigt das Beispiel Albertinellis, der zu seiner allernächsten Umgebung gehörte.

Den Mariotto Albertinelli (1474 – 1515) hat Vasari »un altro Bartolommeo« genannt; er ist lange dessen Mitarbeiter gewesen, allein im Grunde eine ganz andere Natur. Es fehlt ihm vor allem die Überzeugung des Frate. Sehr begabt nimmt er da und dort Probleme auf, allein es kommt zu keiner konsequenten Entwicklung und zeitweise hing er auch die Malerei ganz an den Nagel und machte den Tavernenwirt.

Albertinelli. Heimsuchung

Das frühe Bild der Heimsuchung (von 1503) zeigt ihn von der besten Seite: die Gruppe schön und rein empfunden und mit dem Hintergrunde gut zusammengestimmt. Das Thema der gegenseitigen Begrüssung ist nicht so ganz leicht zu bewältigen; bis nur die vier Hände an ihre Stelle gebracht sind! Nicht lange vorher hatte noch Ghirlandajo sich damit abgegeben (Bild im Louvre, datiert 1491), er lässt Elisabeth kniend die Arme erheben, worauf Maria beruhigend ihr die Hände auf die Schultern legt. Allein eine von den vier Händen ist dabei schon verloren gegangen und die parallele Armbewegung der Maria würde man auch nicht gern noch einmal gesehen haben. Albertinelli ist reicher und klarer zugleich. Die Frauen drücken sich die Rechte und der freibleibende linke Arm ist dann so differenziert, dass Elisabeth die Besuchende umfasst, während Maria die Hand demütig vor die Brust nimmt. Das Kniemotiv ist aufgegeben. Albertinelli wollte die zwei Profile ganz nah zusammenführen, dafür hat er noch deutlich genug in dem eiligen Zuschreiten der älteren Frau und in der Schieflegung ihres Kopfes die Subordination der Maria gegenüber angedeutet und indem er einen breiten Schatten auf ihr Gesicht fallen lässt, thut er ein übriges. Ein Quattrocentist hätte noch nicht daran gedacht, so zu unterscheiden. Die Gruppe steht vor einer Hallenarchitektur, die 150 ihre Herkunft von Perugino nicht verleugnen kann, auch die Wirkung des grossen ruhigen Luftgrundes ist ganz in seinem Sinne empfunden. Spätere würden die äussere Durchsicht (an den Rändern) vermieden haben; auch im Gewand und dem pflanzenreichen Boden stecken noch Spuren quattrocentistischen Stils.

Albertinelli. Die heilige Trinität

Von Perugino abhängig ist auch der grosse Crucifixus in der Certosa (1506), vier Jahre später aber findet er eine neue, die klassische Redaktion des Gekreuzigten in dem Bilde der Trinität (Florenz, Akademie). Alle Früheren sperren die Beine bei den Knien auseinander, es giebt aber ein schöneres Bild, wenn statt der Koordination die Subordination eintritt, d. h. wenn ein Bein sich über das andere schiebt. Und nun ging man noch weiter und liess dieser Bewegung der Beine eine Gegenbewegung im Kopfe entsprechen. Deutet die Richtung unten nach rechts, so neigt sich der Kopf nach links und so kommt in das starre und jeder Schönheit scheinbar unzugängliche Gebilde ein Rhythmus, der von da an nicht mehr verloren geht.

Albertinelli. Verkündigung

Aus demselben Jahre 1510 ist noch die interessante Verkündigung (in der Akademie) zu nennen, ein Bild, bei dem er sich viel Mühe gegeben hat und das auch für die allgemeine Entwicklungsgeschichte wichtig ist. Man erinnert sich wohl an die dürftige Rolle, die Gott Vater bei den Annunziationen zugewiesen wurde: als eine kleine Halbfigur erscheint er irgendwo oben in der Ecke und lässt die Taube von sich ausgehen. Hier ist er in ganzer Figur genommen, zentral aufgestellt und ein Kranz von grossen Engeln um ihn herum geführt. In diesen fliegenden, 151 musizierenden Engeln steckt Arbeit und der Künstler, der missmutig die Malerei mit dem Schenkgewerbe vertauschte, um von dem ewigen Gerede von Verkürzung nichts mehr hören zu müssen, hat sich hier zu einem respektablen Versuch bequemt. In dem Himmelsmotiv überhaupt aber spürt man schon etwas von den Glorien des 17. Jahrhunderts, nur ist hier alles noch symmetrisch und in einer Fläche gehalten, während jene späteren Himmelsevolutionen einen diagonalen Zug aus der Tiefe zu haben pflegen.

Der erhöhten Feierlichkeit entspricht die vornehm-ruhige Maria, die mit elegantem Stehmotiv, dem Engel nicht entgegengerichtet, sondern nur über die Schulter ihn anblickend, den ehrfürchtigen Gruss entgegennimmt. Ohne dieses Bild hätte Andrea del Sarto seine Annunziata von 1512 nicht finden können.

Auch malerisch ist das Stück interessant, weil es einen grossen dunkeln Innenraum als Hintergrund in grünlicher Färbung giebt. Es war für die Aufstellung an einem hohen Ort gearbeitet und die Perspektive nimmt darauf Rücksicht, doch ist die jäh-herabeilende Gesimslinie im Verhältnis zur Figur von harter Wirkung. 152

 


 


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