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Der kleinste Teil dieser Schnurrpfeifereien ist auf eigenem Miste gewachsen. Ich habe sie genommen, wo ich sie fand: auf dem Marsch, im Quartier, auf der Bahn, im Unterstand, im faulen Wind der Etappe. Ich hab sie genommen, wie ich sie fand, mochten sie krumm sein oder gerade, wie sie waren, waren sie recht. Zurechtgestrichel ertragen sie nicht, und wer ein kräftig Wort nicht hören kann, der lese sie lieber nicht. Auf ein Nasenrümpfen mehr oder weniger kommt es nicht an; es ist schon dafür gesorgt, daß man etwelches von dem Schnurrgepfiffenen nicht mehr vergißt.
In jenen Tagen ging vom Divisionsstab der Befehl aus, daß Latrinen gebaut werden sollten. Bis zu diesem Zeitpunkte hatte eben jeder dahin geschissen, wo's ihm grad einfiel. Nun sollte Ordnung in diese rückwärtige Anarchie gebracht werden.
Denn Ordnung ischt 's halbe Läba, sagte das Schwäble.
Und die Ordnung kam. Sie kam gleich so gründlich, daß zwei Latrinen hingestellt wurden. Die eine davon war mit großem Komfort ausgestattet, die verschiedenen Brillen waren sogar gehobelt, damit sich keiner der Allerwertesten etwa einen Splitter einriß.
Die zweite Latrine war bedeutend einfacher ausgestattet. Da gab's keine Sitzbretter. Statt ihrer prangte ein einfacher Bengel; nicht einmal die Fichtenrinde war abgeschält; es blieb mancherlei Harz kleben.
Die erste Latrine war – du hast's gewiß schon erraten – für die Herren Offiziere.
Damit dies auch nachdrücklich der übrigen Grabenwelt bekannt werde und damit sich keiner der unchargierten Hintern etwa bewogen fühlte, sich allda niederzulassen, wurde ein zwei Meter breites Schild aufgehängt mit der bedeutungsvollen Aufschrift:
Nur für Offiziere!
Worauf am nächsten Morgen bei Aufgang der Sonne an der Mannschaftslatrine ein noch größeres Schild prangte mit dem Hinweis:
In Stuttgart, in einer der Kneipen seitwärts der Königsstraße, wo man trotz Krieg und Elend doch noch einen guten Schoppen trinkt an der warmen Wand, sitzt eines Abends ein dicker Klumpen Spießer da, mit erhitzten, roten Gesichtern, davon redend, was jetzt der Hindenburg machen müsse, um die verdammten Russen vollends zur Räson zu bringen.
Während sie noch aufeinander einhauen, mit ihrem Geschrei, trifft sie plötzlich ein kalter Luftzug, der den Nebel über dem Tisch ein wenig zerteilt, und als sie aufschauen, ist ein Fremder eingetreten, den man hier noch nicht gesehn hat. Ein ganz junger Mensch, in einem feldgrauen Entlassungsanzug, und, was das Auffälligste ist, der rechte Arm fehlt, der Ärmel hängt leer herab.
Die Spießer, solcherart vom Atem des Krieges angeblasen, sind eine ganze Weile still, vergessen sogar, an ihren Pfeifen zu ziehen und staunen nur nach dem Tisch hinüber, wo der Einarmige sitzt und seinen Schoppen trinkt, ganz wie ein gewöhnlicher Mensch und ganz so, als sei er nie im Kriege gewesen.
Aber die Spießer merken, der da drüben ist doch eine andere Welt.
Ihre Neugierde sticht sie, wie den Gaul der Hafer. Und schließlich wird die Neugierde so groß, daß es einer von der Tafelrunde nicht mehr aushält, zum andern Tisch hinübergeht und sagt: »Wie ich sehe, mein Herr, haben Sie wohl einen Arm verloren?«
Worauf der Angeredete mit erstaunter Miene auf seinen leeren Ärmel guckt, ihn hochhebt und ins leere Ärmelloch hineinsieht und antwortet: »Donnerwetter, Herr, Sie haben recht!«
Es ist in diesem Lokal noch nie so schnell bezahlt worden, wie gerade an diesem Abend.
Eine Minute später saß nur noch der Einarm da.
Zwischen Wirballen und Eydtkuhnen läuft die deutsch-russische Grenze. Und damit man das auch merkt, stehen da die Landsturmmänner auf Posten und passen auf, daß nichts Unberufenes hinüber oder herüber wechselt.
In Deutschland ist Mangel an Pferden.
In Rußland drüben gibt's noch eine ganze Menge.
Deshalb ist's ganz natürlich, daß der russische Überfluß nach Deutschland abströmen will; denn das bringt Geld, viel Geld. Und die Herren Pferdehändler verstehen zu rechnen.
Aber die Einfuhr von Panjegäulen nach Deutschland ist verboten. Verbote sind aber da, um umgangen zu werden. Damit das möglich ist, muß das eine Auge des Gesetzes, das noch nicht gänzlich blind ist, mit blauen Lappen zugedeckt werden.
Aus diesem Grunde hatten einige von den Landstürmern an der Grenze Geld, viel Geld.
Einer hatte eines Tages soviel, daß ihm vom angehäuften Gewicht der Hosensack wehtat, weshalb er beschloß, den ganzen Segen nach Hause zu senden.
So erschien er denn auf dem Postamt in Eydtkuhnen, um eine Postanweisung an seine Frau im Betrage von elftausend Mark aufzugeben.
»Elftausend Mark?« fragte der Beamte.
»Ja,« sagte der Landstürmer und zählte die blauen Lappen einen nach dem andern hin.
Die Pupille des Postmenschen erweiterte sich zu einem Kürbis, als er das sündhaft viele Geld sah; denn einhundert Mark war der höchste Betrag, der auf eine Feldpostanweisung zulässig war.
Mit rechten Dingen konnte das nicht zugehen; deshalb, da es das Jahr 1915 war, wo es noch an einigen Stellen so etwas wie Pflichtgefühl gab, holte er die Polizei.
Die kam prompt, sah das Geld und schnappte den Landstürmer.
Bald gab ein Kriegsgericht den Segen: drei Monate Loch.
Da saß er die langen Nächte wach und hörte das Getrappel der Pferde, die über die Grenze gingen, und überrechnete in seinem Bauerngehirn, wieviel ihm das Getrappel einbringen würde, wenn er, statt hier auf der elenden Pritsche zu sitzen, auf Posten stände, zur Vertreibung der Langeweile das Leiblied der Profitisten singend:
Üb immer Treu und Redlichkeit
bis an dein kühles Grab
und weiche kilometerweit
von Gottes Wegen ab.
Aber auch drei Monate gehen herum, selbst im Kittchen bei Vater Philipp, und eines Tages war der biedere Landsturmmann wieder im Schoße seiner Kompagnie.
Seine Kameraden sammelten sich um ihn wie eine Bienentraube; des Summens war kein Ende.
Schließlich fragte ihn einer: »Du Rindvieh Gottes, wie konntest du nur so blöd sein und das Geld durch die Post schicken wollen. Hättest du's nicht machen können wie wir? Hättst ruhig deine Alte hierherkommen lassen und ein paar Tage im Gasthof wohnen, die hätt dann das Geld mitnehmen können.«
»So, so,« schnaubte da giftig der andere, und die Galle stieg in ihm hoch, wie Wasser im Pumpwerk, »Alte herkommen lassen, im Gasthof wohnen lassen, so so, und wer zahlt den Verzehr?«
Wenn einer aus dem Graben ordnungsmäßig auf dem vorgeschriebenen Dienstweg um Urlaub eingegeben hatte und es kam ein halbes Jahr nichts, und er wurde allmählich ungeduldig und er fing zu schimpfen an, daß sich die Balken im Unterstand bogen und die Russen überm Sumpf drüben die Ohren spitzten, wenn also die Erregung am allerhöchsten war, so pflegte der Wintersteiner zur Beruhigung der urlaubverlangenden Nerven folgende Geschichte von sich zu geben:
Weißt du, sagte er, seinerzeit in der Arche Noah, als der Skat noch nicht erfunden war und es darum dem versammelten Getier so langsam langweilig wurde, kamen das Kamel und die Schnecke auf den bizarren Einfall – um sich und den andern die Zeit zu vertreiben – einen Wettlauf miteinander zu machen.
Der Sieger sollte zum Meisterläufer der Arche ernannt werden.
Die Strecke wurde auf dem Verdeck fein säuberlich abgesteckt, die beiden Wettläufer hatten ihre schönsten Sweaters angezogen und machten sich zum Start fertig, und der alte Noah, die Stoppuhr in der Hand, gab das Pistolensignal, und das Rennen begann.
Und weißt du, wer das Band zuerst erreichte?
»Das Kamel!«
O nein, mein Lieber, die Schnecke! Ihr Konkurrent, der schnelle, kam nie an.
Und warum nicht, willst du wissend Sehr einfach, mein Lieber, das Kamel hatte den Dienstweg beschritten.
Ich habe einen Bruder bei der Stabswache des Kaisers im Großen Hauptquartier, und der muß immer dabei sein, wenn der Kaiser vom Tisch aufsteht und spazieren geht; da muß er so zwanzig, dreißig Schritt hinterher laufen und aufpassen, daß nichts Böses passiert. Dafür ist er bei der Stabswache und darf sich ein Blech um den Hals hängen, das von fern wie Gold aussieht.
So ist er einmal dabei gewesen, als der Kaiser, frühstückverdauenderweise im Garten des Hauptquartiers rundgehend, unvermutet dem lieben Gott begegnete.
Der Kaiser war einen Augenblick betroffen, als er sich so ganz ohne hofmarschallamtliche Anmeldung der Allerhöchsten Majestät Aug in Aug gegenübersah. Aber rasch faßte er sich wieder, trat zwei, drei Schritte auf den lieben Gott zu und rettete die Situation, indem er sich verbeugend vorstellte:
Wilhelm, der Siegreiche.
Worauf der liebe Gott, seinen langen Knasterbart streichend, auch sich vorstellte, sagend:
Weiß der Teufel, wo die Burschen Hörnles Chamäleon aus seinem Loche herausgezogen hatten, tut ja auch nichts zur Sache, das Wesentliche ist, das Vieh war leibhaftig da und mußte gleich nach seiner Ankunft alle seine Künste zeigen.
Der ganze Unterstand saß, beglotzungsbereit, um das Tier herum.
Der eine, das war ein Badener, der nahm's am Schwanz und setzte es auf seine Landesfarben. Prompt färbte es sich gelb und rot.
Da kam der Schwabe mit seiner Fahne an. Flugs schimmerte das Tier in schwarz und rot.
Beim Bayern sah es weiß und blau gewürfelt aus, und als es der Sachse auf seinen Tisch herüberholte, da streifte es sich grün und weiß.
Alle schüttelten kanoniermäßig die kanonierischen Köpfe.
Wunderbar! Höchst wunderbar!
Aus der ganzen Batterie kamen sie gerannt, dieses fabelhafte Tier zu schauen, diese fleischgewordene Anpassung.
Ganz zum Schluß, ganz zum Schluß, latschte ein langer Preuße herbei, mit einem Schachbrett in der Hand, um zu sehen, ob das Tier sich auch den preußischen Farben zuliebe umfärbe.
Er legte das Schachbrett hin und setzte das Chamäleon darauf, damit es sein schwarz-weißes Kunststück beweise.
Aber ein solches Beginnen hielt selbst das stärkste Roß nicht aus, geschweige denn das überanstrengte grenzländische Wundertier. Abwechselnd wurde es weiß und rot.
Es bekam einen heftigen Zorn in sein Eidechsgehäuse und vor lauter Wut kroch es auf dem Schachbrett hin und her und zerplatzte schließlich in lauter Vierecke.
Schwarze, weiße?
Ich weiß nicht, da mußt du den Preußen fragen.
Das war auf dem Vormarsch in Frankreich, sagte Vinzenz, so in der Zeit, da bei einem Angriff die Herren Offiziere noch mit geschwungenem Degen vorangingen. Da setzten wir über ein freies Feld einer Abteilung Franzosen nach, bekamen aber auf einmal Artilleriefeuer vor die Füße gelegt, in solcher Masse, daß sich von den gesträubten Haaren der Helm hob, wir eins, zwei, drei kehrt machten und davon rannten, als säß uns der Teufel im Genick, nicht nur die Versammlung der Granaten und Schrapnelle. Vorn dran, an der Spitze, zu allererst, rannte der Divisionär, Schulz geheißen. Auf einen dicken Birnbaum, der ganz allein im Felde stand, rannte er zu, um Deckung zu nehmen. Denn damals, mangels größerer Erfahrung, glaubte man noch, hinter einem Baume geschützt zu sein. Es rannten aber noch viele andere auf diesen Baum zu, und da der Oberstleutnant wohl fürchtete, daß einer der Untergebenen wohl eher hinter den Baum käme als er, schwang er schon von weitem seinen Degen, große Löcher in die Luft schneidend, und schrie zornfunkelnd: » Dieser Baum ist mein Baum!«
Sein Gebrüll, mit dem er dies herausstieß, war so laut, daß sogar die Franzosen mit Schießen aufhörten.
»Dieser Baum ist mein Baum!« war aber noch am gleichen Abend in der ganzen Division herum und ist ein Sprichwort geworden.
Unser Alter war ein merkwürdiger Mensch; wenn er nicht täglich jemanden zum Ankotzen hatte, war ihm nicht wohl. Und weil jeder diese seine seltsame Gemütsbeschaffenheit kannte, wich ihm jeder nach Möglichkeit aus und vermied jedes Zusammentreffen mit ihm.
So auch Wölflein und ich, die wir jeden dritten Tag, wenn die Ablösung kam, vom Beobachtungsstand heim in die Ortsunterkunft spazierten. Spazierten ist etwas zu lieblich ausgedrückt; denn die zwölf Kilometer durch Wald und Wintersumpf waren eine mächtige Schlauchpartie; manchmal bis zum Bauch im Schnee zu stapfen, ist kein Vergnügen. Noch weniger, wenn man dann plötzlich den Alten auf seinem Gaule daherfegen sieht und sich melden muß: »Kanoniere Soundso auf dem Heimweg von der Beobachtung zur Ortsunterkunft!« worauf dann meistens seitens des Gestrengen ein Wortdonnerwetter erfolgte, daß selbst die ältesten Wackelfichten am Weg vor lauter Erschütterung und Mitgefühl ihre Zapfen verloren.
Deshalb drückten wir uns auf unseren Heimgängen, wenn wir den Alten sahen, schleunigst vom Weg ab in den Wald hinein und krochen erst wieder hervor, wenn die Luft rein war.
Das ging eine Weile ganz gut. Wir hatten aber nicht damit gerechnet, daß der Alte auf einem Pferde saß und somit einen viel weiteren Fernblick hatte als wir. So hatte er natürlich gemerkt, daß wir ihm auswichen, indem wir uns seitwärts in die Büsche schlugen, und ritt uns eines Tages nach.
Wir waren nicht schlecht erschrocken, als wir plötzlich hinter uns seinen Gaul, die berühmte asthmatische Bellaparella, durchs Unterholz brechen hörten.
Das setzte eine nette Bescherung! Denn wenn der Alte merkte, daß wir uns seinetwegen gedrückt hatten, so tat er uns donnerschlächtig den Phosphor herunter.
Was tun und worauf sich hinausreden?
Da hatte Wölflein in der letzten Sekunde eine Erleuchtung des Himmels, »wir kehren die Hosen um und hocken hinter den Hurst!«
Gesagt, getan.
So traf uns denn der Zornsblick des Alten in einer Stellung, die dem Kanoniere hie und da nötig, die aber nicht beschreibbar ist.
Und da öffnete sich sein Hauptmannsmund zu der angesichts unserer Bemühungen höchst überflüssigen Frage: »Was tut ihr hier?« worauf von zwei Kanonieren der eine Ruf erscholl: »Wir scheißen, Herr Hauptmann!«
Machte kehrt und seit der Zeit ist uns der Alte nicht mehr nachgeritten.
Der liebe Major Steimle! Wenn ich an ihn und an seine heilandmäßig lange Gestalt zurückdenke, tut sich die schönste Zeit meines Kriegslebens vor mir auf, und eine Träne der Rührung steigt mir ins Kanonierauge. Posen liegt vor mir, die schöne Oststadt, in der wir eine Zeitlang die Kriegsbesatzung vorstellten, Posen mit seiner Kaiserpfalz, seinen hübschen Häusern und seinen noch hübscheren Mädchen, Posen mit seinen endlosen Feldern vorm Bromberger Tor draußen, dem Schwersenzer See zu, wo wir so manches Mal Parademarsch bimsten oder im Schein der Nachmittagssonne, die einem prall ins Genick brannte, eine Batteriestellung nach der anderen ausschaufelten, mit einer solchen Lust und Arbeitswut, daß der Schwerpunkt der Erde nahe daran war, sich auf die andere Seite zu legen. Da geschah es denn öfters, daß Major Steimle auf seinem Rheumatismusgaul dahergetüttert kam, eine Weile unserm Schanzen zusah und dann zum Abschied jedesmal in die nachgerade schon fossil gewordene Redensart verfiel: »Schaffet au was, ihr Malefizteufelsbrocke!« Daraufhin sausten die Spaten mit vermehrter Wucht in den lockeren polnischen Sand, bis – ja, bis das edle Streitroß des Majors gewendet und uns seine im Ausmaß nicht unbeträchtliche Hinterfront zugekehrt hatte und der Major selbst außer Sicht war.
Major Steimle entstammte, wie uns seine behäbige Sprechweise gleich am ersten Tage verriet, dem biederen Lande der Schwaben, dessen Inwohner bekanntlich, falls man dem Uhlandschen Liede trauen darf, sich vor nichts forchten. Außerdem wies Steimle noch einen zweiten Vorzug auf, er gehörte zur Sorte der Riesen, maß doch seine Reckengestalt nicht weniger als hundertsechsundneunzig Zentimeter. Das sah man aber erst, wenn er der braven Mutter Erde ins Angesicht trat. Solang er auf der lahmen Paula, seinem feurigen Renner, saß, merkte man nichts von seiner Verwandtschaft mit dem Geschlecht der Bohnenstangen, er sah dann eher aus wie ein überzwerch zusammengeknicktes Taschenmesser, das sich durch irgendeinen Zufall auf den Sattelsitz verirrt hatte. Diese große Leibeshöhe hatte für uns den Vorteil, daß Major Steimle die schanzende oder exerzierende Batterie nie unvermutet überfallen konnte, sondern sich gewissermaßen jedesmal selber ankündigte. Wenn sich irgendwie an hellen Tagen die Sonne trübte, so wußten wir mit Bestimmtheit, daß der Herr Major irgendwo im Gelände umherspuckte und seinen langen Schatten warf, und richteten uns demgemäß ein. Denn unterwegs war Steimle immer, vom frühen Morgen bis zum späten Abend, und die lahme Paula hatte sich nicht umsonst die magern Beine in den vom Kraftfutter nur wenig geblähten Bauch gestanden. Durch die entlegensten Felder ritt Steimle, durch die finstersten Walddickichte schritt er, das spähende blaue Auge rollen lassend, ob sich nicht irgendwo ein Römerhügel zeige oder ein Hünengrab oder ein Sonnenwall oder sonst ein Merkzeichen aus Germaniens heiliger Vorzeit.
Steimle war, ehedem er seine Lenden mit dem Schwerte umgürtete und Kriegsmann wurde, Oberlehrer an einem Gymnasium gewesen, von frechen Schülern Pauker genannt, hatte recht und schlecht alte Geschichte gelehrt und sich in seinen Freistunden damit beschäftigt, Grabhügel aus der Römerzeit ausfindig zu machen, sogenannte Heidenbuckel, sie zu enthülsen und die Knochenreste, Topfscherben, Münzen und was er da alles fand, sorgsam zu vermelden und an das hochwohllöbliche königliche Landesmuseum einzusenden, allwo der ganze Zimt unter Glas und Bewachung zur Schau gestellt wurde und einen Papiervermerk bekam des Inhalts etwa: »Ausgegraben und dem Museum freundlichst geschenkt von Remigius Steimle, Oberlehrer am Gymnasium zu Unterdipflingen, Oberamt Sehrsach.« Und die Vierteljahrsschrift »Der Schildrassler und Roßbollenschüttler,« das Vereinsblatt der Freunde für Altertumskunde und Vorzeit, fühlte sich jedesmal nach einem solchen Fund bewogen, einen kleinen Salm zu bringen, der ungefähr mit den Worten zu schließen pflegte: »Und so ist demnach mit Sicherheit zu erwarten, daß unser wertes Mitglied Remigius Steimle, solcherart in die Fußstapfen der großen Ausgrabungsleiter getreten, auch im Verlauf seiner weiteren Tätigkeit noch manches ans Licht und in den Kreis wissenschaftlicher Erörterung ziehen wird, was geeignet ist, einerseits die Kunde verklungener Urzeit, andererseits den Ruhm und die stolze Vergangenheit unserer engeren Heimat zu verkünden!« Das verdammte Zeitungspapier! Die elendigliche Druckerschwärze! Denn einzig und allein diese beiden grobstofflichen Dinge haben es zuwege gebracht, dem guten Oberlehrer, der sonst in Ruhe und Frieden seinen »Moscht« trank und seinen Stoß Bücher wälzte, einen Sparren in den Kopf zu setzen und ihn hinauszutreiben in Wald und Feld, gewissermaßen einen Bodenpolizisten aus ihm machend, der auf zerbrochene Schulterknochen fahndete und auf ähnliches.
Dort in Posen hatte Steimle reichlich Gelegenheit, seinen Lüsten zu frönen. Über freie Zeit verfügte er in ausgedehntem Maße; er machte das ganze Festungsgelände unsicher, ohne jedoch irgendwie greifbare Ergebnisse zu erzielen. Die Heidenköpfe und Römergräber taten ihm nicht den Gefallen, sich finden zu lassen. Im Kasino, das er in der Regel erst spät abends und mißgestimmt zu betreten pflegte, erklärte er des öftern, daß das Land hier im Grunde genommen, trotz aller landschaftlichen Schönheiten, ein ganz erzmiserables, nichtsnutziges Land sei, das nicht einmal eine Vergangenheit habe, die durch ehrwürdige, verborgene Grabstätten zu einem spräche und dergleichen. Seine Leutnants hörten ihm alle sehr aufmerksam zu, wie sich das bei Leutnants einem Major gegenüber auch geziemt: seine Hauptleute dagegen wagten es schon eher, den Gaul hei den Nüstern, den Stier bei den Hörnern, die Katze beim Schwanz zu fassen und so recht bumsermäßig mit allerlei Stichelreden und Scherzworten aufzufahren. Aber Major Steimle gegenüber verfing nichts. Er ließ die Hoffnung, schließlich doch noch einmal etwas zu finden, und dem Schildrassler und Roßbollenschüttler Stoff für eine Seite oder anderthalb zu geben, nicht fahren.
Und siehe da – wer ausharret bis ans Ende, der wird gekrönet, stehet schon im Buch der Bücher geschrieben, der ehrwürdigen Biblia. Das erwies sich auch an Steimle. Denn eines Abends kam der jüngste Leutnant hochroten Kopfes zum Herrn Major, nahm dienstliche Haltung an und meldete, daß sein Bursche ihm gesagt habe, ein Einheimischer hätte ihm verraten, hinten, wo der Weg nach Robylepole abzweige, etwa zweihundert Meter seitwärts der Schinderei, sei in einem kleinen Kiefernwäldchen ein Hügel, in dem ein Heidenkönig begraben liege. Heißa, da stieg Feuer in Major Steimles sonst so pergamentgelbes Gesicht! Aber gleich sprang ihn wie eine Rattenschar ein Haufe Zweifel an. Am Wege nach Robylepole? Zweihundert Meter seitwärts der Schinderei? In einem kleinen Kiefernwäldchen? Donnerwetter, da war er selber doch schon xmal durchgeritten, und noch nie hatte sein sachkundiges, wohlgeübtes Auge auch nur die geringste Spur eines Grabes entdecken können.
»Sollte das nicht etwa ein Irrtum sein, Herr Leutnant?«
Ja, das wußte der nicht genau; denn er selber hatte ja den Ort gar nicht gesehen, sondern war lediglich durch seine Dienerseele davon unterrichtet; und die ihrerseits hatte den ganzen Senf ebenfalls aus einem fremden Mostrichfaß bezogen. Nun, mochte es sich verhalten, wie es wollte, die lahme Paula konnte jedenfalls von Glück sagen, daß die Nacht so rabenfederndunkel war, sonst hätte sie jetzt noch herausgemußt, um auf dem Holperweg zur Schinderei hin zu traben. So verschob sich dieses Geschäft auf den Morgen, und Paula konnte ihren Traum von Friedenshaferportionen ungestört weiter träumen. Steimle, der so selig angeregt war wie ein Bräutigam an seinem Polterabend, gönnte sich ein Glas Niersteiner nach dem andern und merkte die sonderbaren Blicke nicht, die ein Teil der Kasinogäste austauschte, merkte auch den Schalk nicht, der manchem unterm Schnurrbart auf den Lippen saß.
Die Sonne des nächsten Tages hob kaum das Augenlid zum ersten Blinzeln, da sah sie auch schon einen mächtig langen Reiter im Zuckeltrab dem Kiefernwäldchen bei der Schinderei am Wege nach Robylepole zustreben. Es war kein Geringerer als Major Steimle, der oftmals, aber jedesmal vergeblich, versuchte, der lahmen Paula einen Galopp beizubringen; denn die Erwartung saß ihm wie ein Dutzend Negermesser in den Nervenspitzen. Aber Paula, die zarte, war zu keinem Sondertänzlein zu bewegen. Das erlaubten ihr schon die geschwollenen Knochen nicht. Zum andern rauchten die Schornsteine der Schinderei, was das Zeug hielt. Da schien Großbetrieb zu sein; und der Verwesungsgeruch, der Paula in die Nase stieg und auch ihre jungfräuliche Seele an die Vergänglichkeit alles Pferdefleisches erinnerte, war nicht dazu angetan, ihre Gangart zu befeuern. Im Gegenteil, je näher man dem berüchtigten Gebäude kam, je mehr vor Aufregung und Erwartung die majorischen Nervenbündel schwollen, desto gemächlicher wurde ihr Zeitmaß. Schließlich artete es gar in Stillstand aus. Dem guten Major, wollte er seinem Ziele wirklich näher kommen, blieb nichts anderes übrig, als von seiner Höhe herniederzusteigen, und, wie weiland der Ritter in der Wüste, von dem Uhland singt, sein Kampfroß am Halfterband hinter sich herzuführen. Aber für diese Mühe wurde er reichlich belohnt, als er das bereits mehrfach erwähnte Kiefernwäldchen betrat. Richtig, schön, rund und reizend wie die Hinterfläche einer schlafenden Göttin hob sich da eine Wölbung von dem im übrigen kuchenflachen Boden ab. Steimle ließ vor lauter Überraschung seiner Paula, die ihrerseits schleunigst das Weite suchte, freien Lauf, und machte sich an die Untersuchung des Fundes. Mit den Händen streichelte er die festgewachsene Grasnarbe, ging drei- oder viermal wie ein tanzender Derwisch in der Verzückung um die kleine Erhebung herum, maß mit einem Meterband die Größenverhältnisse aus, zog ein Schreibbuch aus der Tasche, spitzte den Bleistift, der ihm vor lauter Zappeligkeit immer wieder von neuem abbrach, überlegte, rechnete und verglich, bis ihm schließlich die unumstößliche Gewißheit wurde: dies ist ein Grab, dies muß ein Grab sein und zwar ein ausgewachsenes Römergrab. Die Bedenken, wieso denn Römergräber hierher in die Provinz Posen kämen, stiegen ihm gar nicht in die Gehirnhülse, so sehr war er von dem tatsächlichen Dasein des einen überzeugt. Jetzt galt es nur eines zu tun, möglichst schnell Leute heranholen und die Ausgrabung beginnen! Schade, daß er keine Menschenseele hier hatte, die als Wache bei dem wertvollen Funde zurückblieb. Denn wer konnte ihm dafür bürgen, daß nicht irgend ein anderer, derweil er jetzt zurückritt, einfach hierher kam und das Nest ausnahm und ihn so schnöderweise um seine wohlverdienten Lorbeeren brachtet Doch er überwand diese Bedenken, kam aus seinen Einbildungen in das Reich des Körperhaften zurück und schaute nach seinem Streitroß aus, das aber wie vom Erdboden verschluckt schien. Türkenschnabel nochmal, er hatte gänzlich vergessen, das verflixte Biest anzubinden; das konnte ja heiter werden, schließlich war er, seine Hochwohlgeboren der Herr Major, noch genötigt, die anderthalb Stunden zurück wie ein schäbiger Zivilist zu Fuße zu gehen. Doch mit dem Ausschauhalten kam er keinen Schritt vom Flecke, wenn er wirklich eine Ortsveränderung beabsichtigte, so blieb ihm jetzt nichts anderes übrig, als zu Schusters Rappen Zuflucht zu nehmen. Das fiel ihm bei seinen Sodawasserknien nicht ganz leicht. Als er bei der Kadaververwertungsstätte, dem Urquell der Margarinefabrikation, vorbeikam, bewog ihn ein gewisses instinktives Gefühl, die Scheu vor dem ihm entgegenströmenden Gestank zu überwinden und in das Tor einzutreten. Hier kam er gerade dazu, wie zwei hemdsärmlige Menschen, die über und über mit Blut und Gedärmsaft bespritzt waren, die vermißte Paula am Zügel hielten, Miene machten, ihr den Sattel abzunehmen, um sie dann einem sanglosen, klanglosen Ende entgegenzuführen; denn die lahme Paula, die ihren Namen nicht umsonst hatte, sah wirklich so aus wie ein Schindergaul und nicht wie ein königlich preussisches Kommandeurpferd! »Euch soll doch das Mäusle beiße! euch Malefizhalunke!« brüllte Steimle, und die Worte überschlugen sich in seiner Kehle vor Aufregung, wie die Zippelzappelpuppen im Kasperletheater, wenn der Hanswurst selber mit dem dicken Knüppel dazwischen fährt. Die beiden Gesellen, die zwar kein Deutsch verstanden, denn sie waren hier beschäftigte Kriegsgefangene und entstammten dem lieblichen Lande Sibirien, ließen auf das Gebrülle hin von ihrem Opfer ab und entfleuchten mit beflügelten Schritten. Paula begrüßte daraufhin ihren Lebensretter mit freudigem Wiehern, und nach mannigfachen mißglückten Versuchen, gelang es diesem endlich, in den Sattel zu kommen. Die lahme Paula legte nun einen Galopp vor, der sich gewaschen hatte und der nur dem Umstand zuzuschreiben war, daß sie diese Stätte, die den Aufgang zum Roßhimmel zu bilden schien, möglichst rasch hinter sich bringen wollte.
Major Steimle schwenkte auf das Glacis zu, wo die vier Batterien eben auf dem Blutplätzlein zum Fußdienst angetreten waren, und ließ sich eine Kolonne von dreißig Mann geben – alles im Schippen erprobte und bewährte Leute, die Sieger von Warschau und Nowo-Georgiewsk glorreichen Angedenkens – mit denen er die Ausgrabung beginnen wollte. Er gab Anweisung, daß, um Zeit zu sparen, das Essen den Leuten durch die Gulaschkanone hinausgefahren werden sollte, und ritt dann dem Trupp, der durch einen Vize geführt wurde, Stolz in der Brust, voran.
An der Fundstelle angekommen, war die erste Entdeckung, die gemacht wurde, die, daß des beschränkten Hügelumfangs wegen höchstens drei Mann gleichzeitig mit Hacke und Schaufel hantieren konnten, die übrigen siebenundzwanzig also vollkommen überflüssig waren. Gleichwohl wurden sie zurückbehalten; denn sie sollten Zeuge sein, wenn der große Fund gemacht wurde, um dann das Lob ihres tüchtigen Chefs aus berufenem Munde weitergeben zu können.
Zuerst wurde der Rasen abgehoben, vorsichtig, Spatenstich um Spatenstich. Dann kam eine Erdschicht, etwa einen halben Meter tief, die sorgfältig durchgekrümelt wurde; denn unter günstigen Umständen konnten schon da bemerkenswerte Sachen gefördert werden. Nachdem die Erde weggeschafft war, folgte eine Steinlage, die aber allen Anstrengungen der Spaten spottete, trotzdem den amtierenden Kanonieren der Schweiß in hellen Flocken von der Stirne troff. Was war zu tun? Es mußten einige Leute nach Brecheisen geschickt werden, und die drei Stunden Pause, die dadurch entstanden, nutzte Steimle dazu aus, den um ihn versammelten aufhorchenden Geistern einen wohldurchdachten und mit reichlichen, dem Schildrassler und Roßbollenschüttler entnommenen Kraftstellen gespickten Vortrag über Gräber und Grabstätten der Vorzeit zu halten, was zur Folge hatte, daß sich beim größten Teil der Zuhörer schon nach dem Verlauf einer knappen Viertelstunde ein unbändiges Schlafbedürfnis einstellte, dem aber aus Gründen der militärischen Disziplin äußerlich nicht entsprochen und sichtbarlich Ausdruck gegeben werden konnte und durfte.
Endlich kamen die Brechstangen, und der rote Pfläumerle, der ein guter Knacker war und von dem die Bataillonssage ging, daß er sich in seinem Zivilberufe nächtlicherweise mit Geldschränken eingehender befaßt und so seine Übung erworben habe, ergriff mit Handschwung eines der Brecheisen und machte sich an dessen sachkundige Anwendung. Seinen Bemühungen und seiner außerordentlichen Gewandtheit gelang es bereits nach einer halben Stunde, eine ansehnliche Bresche in den Steinkranz zu legen, und nach einer weiteren halben Stunde lag ein sorgfältig ausgemauerter Behälter frei, in dem ein von Schmutz und Grünspan eingefressenes kurzes, bronzenes Römerschwert lag.
Man denke sich, ein Schwert!
Ein Schwert und nichts weiter! Ein Murmeln des Beifalls ging durch die Reihen der Umstehenden, als Steimle, der den Fund in Händen hielt und mit glänzenden Entdeckeraugen betrachtete, verkündete, nach Form und Machart scheine es sich tatsächlich um ein Römerschwert zu handeln, und damit sei der unwiderlegliche Beweis erbracht, daß die Legionen der Cäsaren ihren sandalengeschmückten Fuß auch bis hierher gesetzt. Übrigens sei es höchst sonderbar, daß weiter nichts in der Grube liege, als nur ein einzelnes Schwert. Dieser Fall sei in der ganzen Geschichte berühmter Ausgrabungen einzigstehend und bedürfe gehöriger Aufklärung, die aber, wenn sie am richtigen Punkte einsetze, sicherlich noch manche belangreiche Aufschlüsse bringen würde usw. Außerdem könne man an dem unbeschädigten, frischen Zustande der Schwertgrube sehen, was für ein grundgescheites Volk doch diese Römer gewesen seien, in allen Künsten so wohlerfahren, daß sie es verstanden hätten, Bauwerke zu schaffen, die dem Zahn der Zeit, dem ewig und heftig nagenden, bis in unsere Tage Trutz und Widerstand boten.
Die Kolonne zog heimwärts. Mit fröhlichem Gesang; denn der Herr Major hatte in freudiger Geberlaune seinen Entschluß verkündet, ein Faß Freibier auszuwerfen und somit den denkwürdigen Tag gebührend zu weihen. Er hatte das Schwert sorgfältig in seinem Mantel eingewickelt vor sich auf dem Sattel liegen und hütete es wie einen Schatz: denn sein kundiges Auge hatte wohl bemerkt, daß sich durch den Grünspan, der die Klinge bedeckte, eine Inschrift abhob, die, wenn ihm ihre Entzifferung gelang, wahrscheinlich des Rätsels Lösung und außerdem großen Entdeckerruhm brachte. Zu Hause angekommen, ließ er sofort die Herren Offiziere ins Kasino bitten, um ihnen von dem glücklichen Ausgang der Unternehmung Kenntnis zu geben.
Majestätisch, wie ein König an festlicher Tafel, saß er hinter dem großen Mitteltisch, vor sich das Fundstück, und der obere Teil seiner hundertsechsundneunzig Zentimeter, wohlgemessen, reckte sich voll zu achtungsgebietender Größe empor. »Ja, meine Herren,« sagte er nach einigen kurzen, einleitenden Worten, »der Fall liegt für mein geistiges Auge durchaus klar und eindeutig. Hier an dieser Stelle ist von einem Kampfführer oder einem Feldherrn oder sonst irgendeiner Persönlichkeit ein Sieg errungen oder eine Tat getan worden, und diese Schwertniederlage sollte wohl gleichsam das Dankopfer an das waltende Schicksal und das Erinnerungszeichen für die Nachwelt sein. Nun, ich denke, die Inschrift, die sich hier so vielverkündend abhebt, wird wohl am ehesten Aufklärung schaffen! Ordonnanz, bringen Sie Petroleum und einen wollenen Lappen!«
Die Offiziere, bis auf einen, der es vorzog, zu verschwinden, hatten sich erwartungsvoll um den Mitteltisch gedrängt. Ein leises Lachen begann im Saale aufzusteigen. Aber Major Steimle, dessen Seele Großes wälzte, schien dessen nicht inne zu werden. Mit Sacheifer und Hingebung fummelte er höchst eigenhändig mit dem petroleumgetränkten Lappen den Grünspan weg, so daß die Buchstaben bald in voller Klarheit prangten. Und sein erschreckt sich weitendes Auge las:
JULIUS CAESAR
SEINEM LIEBEN MAJOR STEIMLE
Das war mehr, als sein Archäologenauge zu ertragen vermochte! Seine Ansicht vom Weltbild verwirrte sich, als er das gelesen hatte; und als gleichzeitig das leise Lachen, das schon längst übermütig in kurzen Sprüngen durch den Saal getrippelt war, nun zu einem Donnerlachen anschwoll, das in einem breiten Strome durch Fenster und Türen hinausquoll und Hof, Garten und Gassen füllte mit lustigem Schall und schließlich sogar auf die hintersten Seiten des Bumserbuches hineinspritzte, blieb ihm nichts anderes übrig, als einer bereitstehenden, erbarmungsvollen Ohnmacht in die Arme zu sinken. Aber die Ohnmacht, die stark nach Theater aussah, war doch ernsthafter, als ursprünglich angenommen worden war; ein Lazarettkraftwagen mußte kommen und die zusammengeknaxte Stange Mensch fortführen. Und da begab sich das Tragikomische, daß, da solche Wagen nur für Menschen von gewöhnlicher Länge eingerichtet zu sein pflegen und nicht für solche himmelanragende Wolkenstürmer, der übermäßigen Größe des Majors wegen die Türen nicht geschlossen werden konnten. Die Füße, von den Knien an, pendelten wehmütig erdwärts. Es war gut, daß die dunkle Nacht breitfüßig durch die Gassen tratschte; denn so sah keine Seele den merkwürdigen Aufzug, und das Ansehen des Heeres blieb vor allfallsigen Schädigungen bewahrt.
Die Geschichte ist aber damit noch nicht aus. Sie zeitigte vielmehr folgende einschneidenden Ergebnisse:
1. Es gab kein Freibier (und das war für uns Bumser das schmerzlichste!)
2. Ein Leutnant sah sich bewogen, noch während der Krankheit des Majors schleunigst seine Versetzung zu beantragen.
3. Major Steimle trat, als er wiederhergestellt war, einen langen, langen, langen Erholungsurlaub an, dem er, wenn mich die Berichte nicht trügen, noch heute obliegt. Die Archäologie hat er, wenn die Sage die Wahrheit berichtet, endgültig an den Nagel gehängt.
Und das ist eigentlich schade. Denn Blätter vom Schlage des Schildrasslers und Roßbollenschüttlers wollen doch auch leben!
Diese harmlose Geschichte ist ursprünglich in der Zeitung der 10. Armee veröffentlicht worden. Der Merkwürdigkeit halber sei erwähnt, daß gleich nach ihrem Erscheinen aus Offizierskreisen eine Menge empörter Zuschriften bei der Schriftleitung einging, von denen die eine in dem Satz gipfelte: »Der Kanonier, der diesen Dreck geschrieben habe, solle sich erst einmal des ungeheuerlichen Abstandes bewußt werden, der zwischen ihm, dem Kanonier, und dem Stand der Stabsoffiziere, dem die Malore angehörten, klaffe!«
Der solches von sich gab, stand ebenfalls wie der Major Steimle im Rang eines Stabsoffiziers, hieß Franke, war aber Schwabe und Oberstabsarzt.
Die Sache wirbelte soviel Staub auf, daß sie sogar vor den Armeeführer, Feldmarschall v. Eichhorn, kam.
Der hat darüber herzlich gelacht.
Und nur diesem Lachen und seinem Leutnant hat's der Kanonier Wöhrle zu danken, daß er nicht damals im »Julmond« 1916 hochkant ins Loch flog.
Die Russen machten Zielübungen. Mit ihrem schwersten Schiffsgeschütz schossen sie beharrlich in den Sumpf hinter unserer Stellung.
Es gab weiter keinen Schaden, nur die schwarzen Sumpfbrocken flogen wie verscheuchte Raben.
Als das eine Weile so weiterging, ohne daß etwas getroffen war, tat das Wölflein, obwohl gewarnt, aus lauter Wunderfitz die Unterstandstüre auf und guckte dem Schauspiel zu.
»Das ist fein,« schrie er, wenn wieder eine in die Lache hineingewitscht war und Schlamm und Dreck dann haushoch stieg, einen Augenblick steif in der Luft stehend wie ein riesenhafter Pappelbaum, um dann, Klatsch und Matsch, in sich zusammenzusinken.
Wieder kam so eine unheimliche Luftsau.
»Das wird Nummer 14!« rief Wölflein, hob das Bein und klatschte übermütig auf den Schenkel. Kaum war ihm aber das Wort heraus, so schlug's ihn mit einem tollen Satz überzwerg in den Unterstand hinein, statt des Gesichts nur noch eine schwarze Masse übelriechenden Sumpfschlamms.
Bauz, da lag er. Muckste sich nicht. Erledigt.
Der Sanitäter wurde geholt und kam mit seiner großen Verbandstasche. Er kniete neben dem Haufen Unglück nieder, befühlte ihm den Puls und was von Knochen erreichbar war und fragte dann als Abschluß seiner Untersuchung:
»Wölfle, bisch du äbbe scho dod?«
Da gabs's einen tiefen Schnaufer und das Wölflein sagte aus seiner Bemalung heraus: » Dod grad nit, abber schbrachlos!«
In einer von allem Verkehr abgelegenen Gegend Russisch-Polens, an der Stelle, wo die Welt mit Brettern vernagelt ist und zwar mit recht dicken, an der Stelle, wo man die Nägel spitzt, um sie einzuschlagen, und wo die Füchse nur einmal im Jahre zusammenkommen, um sich Gutenacht zu sagen, liegt ein kleiner Ort, Katschenowonotschisna geheißen. Da lagen wir in Quartier, weil aber der verflixte Name für uns zum Aussprechen viel zu schwer war, sagten wir kurzenmunds »Katzschißunterdedischna«. Für den, der Schwäbisch versteht, wird diese Bezeichnung ohne weiteres klar sein, wer sie aber nicht versteht, kann von mir unter der Hand Aufklärung bekommen.
In diesem Kaff nun wohnte ein altes Männlein, eisgrau, mit einem Filzhut, der der Form und dem Aussehen nach zu schließen, sicherlich schon in der Arche Noah als Blumentopf gedient hat. Mauschel, so war der Panje benamst, betrieb, um sein bißchen Leben zu fristen, das ehrsame Handwerk eines Kesselflickers. Überall war er zu finden, wo Töpfe auf einem Herde standen. In alle Winkel, mochten sie noch so dunkel sein, streckte er seinen Riechkolben und fragte, ob keine Patienten da seien, die seiner heilenden Hand bedürften. Nun werden bei den Bauern des dortigen Sumpfloches keine besonders großen Brocken gekocht, und die Töpfe nützen sich auch nicht so schnell ab wie in Länderstrichen, wo einem erlauchten Ausspruch nach Sonntags jeder Bürger ein Huhn in die Pfanne haut – oder wenigstens hauen sollte, und der gute Mauschel mußte, wenn er sich das Salz an seine schon ohnehin dünne Wassersuppe verdienen wollte, oft weite Reisen über Land unternehmen, um Kundschaft und Moneten zu finden.
So war er auch an einem hellen Dezembermorgen in aller Frühe von Katzschißunterdedischna losgezittert und hatte auf mehreren Höfen nachgefragt. Das Glück ging in seiner Gesellschaft; hier hatte er einen Topf zum Flicken bekommen, da war ihm eine Bratpfanne aufgehalst worden, an jenen Waschkessel sollte er einen Henkel setzen, dieser Küchenmodel mußte außen am Rande verlötet werden, kurz und gut, die Arbeit war mit einem so kräftigen Guß auf ihn hereingestürzt, daß er gegen drei Uhr nachmittags, als allmählich die Dämmerung ihren Wackelbauch über die Ebene hängen ließ, bis obenauf wie ein Lasttier vollgepackt, den Heimweg antrat.
Sowas war dem alten Mauschel alle seine Lebetage noch nicht vorgekommen. Er spürte die Last der blechernen Gefäße gar nicht, die er den weiten Weg schleppen mußte durch Schnee und Dreck; sein ewig reger Geist überschlug schon: hier an diesem Stück verdien ich zwanzig Kopeken, an dem da fünfzehn, an jenem gar einen halben Rubel; und wenn er alles zusammenfaßte, der Kesselflicker Mauschel, so kam dabei eine Summe von fünf oder sechs Rubeln heraus, und mit diesem gewaltigen Haufen Geld ließ sich schon eine Weile anständig leben. Koscheres Fleisch konnte er sich kaufen, frisches Brot, Eier und Butter sogar und eine mächtige Ladung Holz für den dicken Ofen, der schon lange sehnsüchtig seinen breiten Rachen aufsperrte und zu fressen haben wollte. Bei dem Gedanken an all diese schönen Zukunftssachen stieg dem kleinen, krummen Mauschel ein glückseliges Lächeln in das alte, verrunzelte, bartstopplige Ledergesicht und saß da in den Gesichtsfalten wie ein nackter, rosiger Junge im Kindsbett, der übermütig mit den feisten Beinchen strampelt. Ja, soviel Freude ging von dem armseligen Alten aus, der so mühsam durch Schnee und Abend daherschlunkerte, daß es wie ein heller Schein von ihm herglänzte, und einer, der hinter den Bäumen gestanden wäre und ihm zugeschaut hätte, hätte meinen können, es käme der Abendstern mit lieblichem Scheine gegangen. Und es war doch gar kein Stern, sondern es war nur der Kesselflicker Mauschel aus dem Bauernorte Katschenowonotschisna aus der Gegend Russisch-Polens, wo, wie schon dargelegt, die Welt mit Brettern vernagelt ist und sich die Füchse gegenseitig Gutenacht sagen.
Der gute Mauschel zog den Weg fürbaß, den er von Jugend auf kannte und der ihm kein Rätsel war, trotzdem der Schnee, der große Gleichmacher, alles mit dem nämlichen einfarbigen Tuche bedeckt hatte. An dem Straßeneck, wo ein Weg abschwenkt nach Kotschedari hinüber, traf er auf einen Bagagewagen der schweren Artillerie, der hier im Matsch und Dreck stecken geblieben war. Vier dicke Kanoniere standen mit Windlichtern um das Gefährt herum und fluchten nicht wenig über die verfluchten russischen Zustände im allgemeinen und über die verdammten, saumäßigen Dreckwege im besonderen. Der Mauschel kam mit den Leuten, von denen jetzt zweie eine starke Winde vom Wagen herunterholten und sie an die Achse des Hinterrades ansetzten, um dieses, das bis zur Mitte im grauen Brei versunken war, wieder an die feste Erdoberfläche zu bringen, ins Gespräch. Die Lanzer waren Sachsen, Witzbolde. Da sie selber so arges Pech gehabt hatten und nun die unglückselige Kesselflickergestalt betrachteten, die in ihrer seltsamen Bepackung, von dem Flackerschein der Windlichter wechselvoll beschienen, aussah, wie frisch aus einem Räubermärchen herausgestiegen, stach sie der Haber und sie begannen, immer noch schuftend und das Rad der Winde mit Mißton drehend, den Mauschel aufzuziehen, indem sie fragten, wieso es komme, daß er, ein alter Mann, noch so spät bei Nacht und Nebel durch diese verschrauene, menschenleere Einöde marschiere, ob er sich denn gar nicht fürchte?
»Vor was soll ich mich fürchten?« sagte der Mauschel und hob den Kopf in die Höhe, wie ein Huhn, das einen Schluckwasser hinunterdrückt, »ich hab nichts gestohlen, ich hab nichts gemordet, wer soll mir nemmen mei Ruh?«
Er hatte nichts gestohlen, und er hatte nichts gemordet, dagegen ließ sich freilich nichts einwenden. Aber da das Rad jetzt draußen war aus dem ärgsten Dreck, der Fahrer übermaßen laut »Hü!« rief und die vier Gäule mit einem Ruck anzogen, daß der Wagen von der gefährdeten Stelle wegkam, sagte der Kanonier, der jetzt die gewichtige Winde auflas und zum Wagen zurückzuschleppen versuchte: »Na, mein gutester Gesselheinrich und Firscht vom Letkolben, un vor die Welfe hast du dir gar gene Bange nich?«
»Was, Wölfe?« fragte Mauschel, und sein Gesicht zog sich vor plötzlich auftretendem Schreck so in die Breite, daß es aussah, als hätte der Mund mit einem Male Appetit auf die beiden Ohrlappen bekommen.
»Ja, Welfe!« bekräftigte der Kanonier seinen Satz, schwups! war die winde auf dem Wagen droben, der Fahrer knallte mit der Peitsche, die Soldaten mit den Windlichtern schritten vorne her, und ehe Mauschel den weitaufgerissenen Mund wieder zuklappen konnte, war die Kolonne verschwunden, wie brennende blutrote Fäuste drohten die Fackeln in die Nacht, kleiner und kleiner werdend, bis endlich der gierige Schlingemund der Dunkelheit sie schnappte und verschluckte.
Mauschel stand allein. Um ihn geisterte das Lichtlose. Um ihn war Nacht und Einsamkeit. Nur der Schnee, soweit er nicht zertreten war, leuchtete matt, und die dicken Baumstämme, die sich zum Teil bis in den Weg vordrängten, standen da wie ungefüge Füße eines Riesen. Trotzdem Mauschel, wenn seinen Worten zu trauen war, nichts gestohlen und nichts gemordet hatte, tanzte doch die bleiche Angst in seinem zottigen Brustkasten einen Verzweiflungstanz, wenn er sich den Klang des Wortes »Wölfe« ins Gedächtnis rief.
Wölfe! Aus allen Winkeln seiner Erinnerung kam Geschehenes gekrochen. Die Schauergeschichten lebten auf, die an langen Abenden die Bauern bei einem Glas Schnaps so schön gruselig zu erzählen wußten. Mauschels Einbildung, die kurz zuvor von glänzenden Kübeln und klingenden neuen Kopekenstücken geträumt hatte, beschäftigte sich nun auf einmal mit zerfleischten Gliedmaßen, aufgerissenen Gurgeln, quellendem Blute. Er sah sich wie einen traurigen Klumpen Unglück am Wege liegen, die haarige Brust und die Schar der ihm anvertrauten Pfannen, Kessel und Töpfe mir Blut übersprenkelt, und vor sich den schrecklichen Wolf, mit funkligen Augen, aufgesperrtem Rachen, mit Augen und Lefzen, die so brennend rot waren, wie ein Stück Schmiedeeisen, das der Schmied mit Schwung aus dem Feuer zieht. Hu, und ein Schauder kroch ihm durchs Gebein, aber kein schneller Schauder, sondern ein langsamer, der so niederträchtig und widerwärtig kroch wie eine ausgemästete Raupe auf einem Kohlblatt.
Es dauerte lange, ehe Mauschel soweit war, daß er seine Zitterfüße wieder in Bewegung setzen konnte, und die Soldaten, die sich in entgegengesetzter Richtung nach der anderen Erdhälfte hinbewegten, wußten nicht, was für einen heillosen Schrecken sie dem Alten eingejagt hatten, sonst hätten sie's sicherlich unterwegen lassen. Bei jedem Schritt, den Mauschel jetzt heimzu machte, rasselten, knasselten, kracherten, stacherten, polterten, rollterten, kungelten, plungelten, bäppelten, schnäppelten die Blechdinger, die an seinem aufgehöckerten Rücken schwangen, und wenn sein breiter Plattfuß in dem matschigen Schnee niedertratschte, war's ihm, als ob tapp-tapp, trapp-trapp, der fürchterliche Wolf neben ihm herginge. Zwar, wenn er ganz genau nachdachte, der Mauschel, mußte er von allein zu der Erkenntnis kommen, daß seit mindestens zehn Jahren keines der Schreckensviecher in der Gegend aufgetaucht war. Aber was sind zehn Jahre? Vor allem kein Beweis, daß keine Wölfe mehr kommen können. Rußland ist groß, die Wölfe haben Beine, es war also schon möglich, daß einer aus der Sippe der widerwärtigen Fleischfresser wieder einmal hierhergeriet. Aber selbst den Fall gesetzt, daß einer kam, was sollte so ein Dingerich eigentlich mit ihm, dem alten Mauschel, anfangen? Er, der Mausche!, war doch wahrhaftigen Gotts kein fetter Bissen. Er war ja die reinste Hungerhöhle, die Kohldampfmaschine, wie sie im Buche steht, die gelbe Haut schlapperte um sein Knochengestell geradezu herum. Er sagte sich, Gott der Gerechte, ich bin doch mager und saftlos wie eine russische Schuldverschreibung und habe auch nicht ein Atom von Feiste angesetzt, was soll eigentlich ein Wolf mit mir? Aber dieses Gläslein Trost, das er immer wieder gierig schlürfte, um in süße Betäubung zu kommen, hielt nicht lange vor. Wenn ein Wolf hungrig ist, mußte er sich sagen, drückt so ein Wolftier einfach beide Augen zu und geht schließlich auch an den Mauschel, wenn er auch kein Fett findet, so kann er wenigstens die Knochen benagen und Kesselflickerblut lecken. Und mit dieser wenig tröstlichen Aussicht zottelte der Alte des Weges weiter, patsch, patsch, patsch patschte der nasse Schnee; klirr, klirr, klirr, klirrten die vielen flickbedürftigen Kannen.
Um diese Zeit, als unser getreuer Kesselflicker betrübter Seele Katzschißunterdedischna zuwanderte, tappte ein großer, schwarzer Hund, der einer gehörigen Tracht Prügel wegen, seinem Herrn und Meister, einem jähzornigen Panje, entlaufen war, den gleichen Weg. Dieser Hundeseele war es von der Stunde der Geburt an nicht sonderlich gut ergangen. Solange sie zurückdenken konnte, hatte sie vom Weltbild nichts Angenehmes genossen, sondern, wenn sie die genaue Bilanz zog, durchschnittlich mehr Prügel als Fressen empfangen. Daher war in ihr Wesen eine gewisse Zaghaftigkeit und Unsicherheit gekommen, die bei diesen sonst so selbstbewußten Tieren nur selten getroffen wird. Sie hatte auf ihrem Gang in die Freiheit die Fußstapfen des heimziehenden Kesselflickers gerochen, und da sie einen Mordshunger hatte, folgerte sie mit klarem Hundeverstande: Das ist ein Mensch, wo's Menschen gibt, fällt hie und da auch etwas zum Beißen ab, folglich bleibst du dem Kerl auf den Fersen! Diesen Gedanken sichtbarlich Ausdruck verleihend, folgte sie mit eingezogenem Schwanze dem Kesselflicker auf einige zwanzig Schritt Entfernung, hatte aber das Herz nicht, näher heranzukommen oder sich etwa durch Knurren bemerkbar zu machen.
Unterdessen war Mauschel aus dem Wald herausgetreten und hatte den Fuß eines kleinen Hügels erreicht, auf dessen Gegenseite in der Talmulde das Dorf Katzschißnochemolunterdedischa liegen mußte! Gott sei's getrommelt und gepfiffen! dachte der nächtliche Wanderer, der böse Wald liegt hinter mir; hier ist überall freies Feld, hier kann mir nichts mehr zustoßen. Aber während er so dachte, mit der rechten, freien Hand, die den Stock hielt, sich den Schweiß abwischte, der im munteren Wasserfall unter dem Blumentopffilzhut hervortropfte und im buschigen Walde der Augenbrauen gleich zu einem eisigen Torbogen gefror, und sich nach der glücklich überwundenen Stätte des Grauens umwandte, wie ein Feldherr, der, das Schlachtfeld überblickend, eine gewonnene Schlackt rückwärts schauend noch einmal genießt, fiel sein Blick von ungefähr auf den schwarzen, vierbeinigen Gegenstand, der ihm so treu wie sein Schatten gefolgt war und nun, seinem Beispiele folgend, gleichfalls Halt gemacht hatte und ihn mit erwartungsvoll glitzernden Augen ansah. Gerechter Gott, gegenständlich, lang, schwarz, vierbeinig, mit leibhaftigem Schwanze, mit Glitzeraugen, gerechter Gott, das war das Ding, das die Soldaten meinten das war das Ungetüm, von dem die betrunkenen Bauern erzählten, das war der Wolf, jawohl, mein Mauschel, das war der Wolf, wie er leibte und lebte!
Als Mauschel dies erfaßt hatte, stieß er einen Schrei aus, der auf fünfzehn Kilometer im Umkreise für jeden zu hören war, und konzentrierte sich gefühlsmäßig einige Schritte rückwärts. Dabei kläpperten und tschätterten die Kannen unheimlich. Die gute, nichts Böses ahnende Hundeseele schien dies für eine freundliche Aufforderung zu halten, näherzukommen, denn sie verringerte mit erwartungsvollem Geschnauf die Entfernung zwischen sich und Mauschel. In seiner Todesangst ging der nun Schritt für Schritt rückwärts. Der Hund folgte. Seine großen Augen funkelten mit jedem Schritte gieriger; denn er vermutete in Mauschels rechter Hand, die dieser beschwörend ausgestreckt hielt, ein Stück Brot, einen Knochen oder sonst etwas Eßbares. Das sehend, sträubten sich vor Entsetzen Mauschels Haare; d. h. nur insofern, als er noch welche hatte.
Gott, großer Gott des Himmels und der Erde, jetzt betrug die Entfernung von dem Schreckenstier nur noch fünf Meter! Mauschel hörte deutlich den stoßenden Atem des Ungeheuers. Da, im Augenblicke der höchsten Not, kam dem Kesselflicker eine glückliche Eingebung. Er fing an, in einem fort das Zeichen des Kreuzes über sich zu machen, wie er es den Bauern vor den Kirchen, Kreuzen und Heiligenbildern abgesehen hatte. Ja, der alte Mauschel schlug kunstgerecht ein Kreuz nach dem andern, als sei er's von Kindsbeinen an nicht anders gewohnt gewesen. Gleichzeitig murmelte er irgend einen sagenhaften Beschwörungsspruch.
Es war ein Schauspiel zum Bersten. Mauschel, ringsum von klappernden Blechgeschirren umgeben, dabei in steifem Krampf wie eine Maschine Schritt für Schritt über das Feld zurückgehend, so hastig Kreuz auf Kreuz schlagend, daß ihn der magere Arm in allen Gelenken zu schmerzen begann, und hinterdrein der Gespensterhund, der kein Auge von ihm wandte.
Jetzt kommt das Ende, dachte Mauschel, denn der Arm schmerzte ihn bereits so, daß er gar kein richtiges Kreuz mehr zu schlagen vermochte. Doch noch ehe es zu einem vollständigen Versager kam, griff das barmherzige Schicksal dem rollenden Schicksalsrad in die Speichen. Es ließ in seinem unerforschlichen Ratschluß den Kesselflicker Mauschel einige Meter tief in eine Sand- und Kiesgrube fallen.
Meiner Treu, gab das ein Gerollter und Gepolter, als des Kesselflickers sterbliche Hülle auf dem Boden der Grube aufschlug. Es schien, als wolle sich jede der Pfannen, jeder Topf, jeder Kessel selbständig machen und ein Symphoniekonzert in Straußschem Stile beginnen. Die reinste futuristische Übermusik. Für Trommelfelle, die nicht gänzlich mit Taubheit geschlagen waren, hörte es sich an, als wenn ein Einsturz des Weltgebäudes stattfände.
Der vermeintliche Wolf, der oben am Rande der Grube Halt gemacht hatte, zog bei dieser Blechmusik, die so unversehens auf ihn einstürmte, den Schwanz ein und wandte sich mit Grausen. Solch weite Sprünge hat, wie der Geschichtenschreiber bezeugen kann, seit Adam in den Apfel biß, noch niemals ein Hund gemacht.
Mauschel aber, nachdem er sich aus dem ihn umgebenden verbeulten Blechkranz herausgearbeitet hatte, und den fürchterlichen Wolf, als der ihm der Hund erschienen war, von der Bildfläche verschwunden sah, prägte, als er seine geschundenen Knochen wieder glücklich beisammen hatte, das treffliche Wort: »Ein Rumpelgetös ist besser als tausend heilige Kreuze!«
Und wir Soldaten, die in Katzschißzumletschtemalunterdedischna in Quartier liegen und denen der Gefahrentronnene bei einem gestrichen vollen Glase Feuerwasser den Vorfall erzählte, wußten nichts Besseres, als ein neues Sprichwort daraus zu machen.
Es war eine riesenhafte Schlacht gewesen. Noch hingen die Rauchschwaden über einzelnen Geschoßlöchern, aber der Draht hatte so schnell gearbeitet, daß in sämtlichen Kirchtürmen des Landes die Glocken aufjauchzten zu Gott, der den herrlichen Sieg geschenkt hatte, und als der Abend sank, machte sich der Kaiser mit seinem Gefolge auf zu einem Ritt über die Blutfelder.
Er war noch nicht lange geritten, als er an einem Sumpfgraben einen Kavallerieoffizier traf, der gegen den abgeschossenen Stumpf einer Weide gelehnt, dasaß und auf die Sanitäter wartete, die ihn abtransportieren sollten.
»Was fehlt Ihnen?« fragte der Kaiser.
»Majestät,« sagte der Verwundete, »mein rechter Arm ist mir im Handgemenge von einem Kosaken abgehauen worden.«
»Armer Teufel,« fragte der Kaiser weiter, »so etwas ist wohl recht schmerzhaft?«
»Sehr schmerzhaft, Majestät,« antwortete der Offizier, »aber das macht nichts. Für Eure Majestät ist mir nichts zu viel. Für Eure Majestät würde ich dieselben Schmerzen gern noch einmal aushalten!«
»Was?« fragte der Kaiser zweifelnd, »Sie würden es auf sich nehmen und sich meinetwegen noch einmal den Arm absäbeln lassen?«
»Gewiß, Majestät,« antwortete der Kavallerist, »für die Ehre und Herrlichkeit Eurer Majestät werde ich gern auch den restlichen Arm hergeben!« sprach's, rischrasch zog er seinen Säbel, und eh noch einer von dem bestürzt zuschauenden Gefolge es hindern konnte, schwang er die blitzende Schneide hoch in der Luft und hieb sich auch noch den linken Arm ab.
Und von Deutschland her läuteten die Glocken ... und die Nebelschwaden stiegen ... und der Kaiser galoppierte davon, so ein klein wenig Erlkönig-Ersatz.
Da gab's ein Gespräch in einem Ostunterstand im Winter, und es drehte sich darum, wo unter den Soldaten am meisten Mut zu finden sei, oben oder unten? Eine starke Meinung war dafür, die Courage nehme mit dem Dienstgrade ab, das heißt, je höher hinauf in der militärischen Stufenleiter, desto weniger sei die Courage zu finden, was schon darin zum Ausdruck käme, daß die allerhöchsten Herren am allerweitesten vom Schusse säßen.
Dem widersprach aber einer, der sagte, er kenne hohe Herren, die sehr viel Mut und Todesverachtung besäßen und auch dargetan hätten. Unser Ludendorff zum Beispiel, bei Oberost, der habe in seiner Jugend einmal ein Stück bewiesen, von dem noch heute an der Wasserkante alle Seeleute redeten.
»Erzählen, erzählen!« riefen alle.
Der Aufgeforderte strich sich den gelben Schnauzer und fing an:
»Der Ludendorff fuhr einmal, als er jung war und noch lang kein General, sondern ein Kadett, auf einem Segelschiff hinüber nach Schweden. Es war eine echte, rechte Vergnügungsfahrt und viel Volk auf den Planken. Unterwegs hörte aber die lustige Musik auf einmal auf, da kam ein toller Sturm, so toll, daß auf dem Schiffe alles drunter und drüber ging. Zu allem Unglück wurde der Kasten auch noch leck, und schließlich wußte es selbst der dümmste Schiffsjunge: Hier gibt es keine Rettung mehr, der schöne Kahn versackt. Panik entstand, greuliches Entsetzen. Das Verdeck war der Tummelplatz höllischer Gewalten, ein entfesseltes, bloßgelegtes Irrenhaus. Um die Rettungsboote schlug man sich die Schädel blutig. Auf der Kommandobrücke stand stumm wie eine Statue der Kapitän und schaute in das Chaos. Da sah er unter dem Mastbaume den jungen Herrn Ludendorff sitzen, wie der seelenruhig auf einem zusammengerollten Schiffstau saß und ebenso seelenruhig seine Butterstulle aß und in das aufgeregte Getriebe schaute, als ginge ihn das alles gar nichts an. Die Bombenruhe dieses jungen Menschen konnte der alte Kapitän nicht aushalten. Da rissen ihm auf einen Schlag zweihundert Nervenfäden; mit drei Sätzen, denen eines Panters vergleichbar, war er die eiserne Treppe drunten, hatte sich vor den Kadetten hingepflanzt, hielt ihm die dicke rote Seemannsfaust vor die Nase und schrie, wie sonst nur Gott in seinen stärksten Stürmen schrie: › Wie können Sie nur so ruhig Ihre Butterstulle fressen, Sie junger Herr, sehen Sie denn nicht, daß das Schiff untergeht?‹ Worauf Ludendorff, der Kadett, nur leicht die Stirne runzelte, eine neue Stulle mundfertig machte, und, zu dem Kapitän aufblickend, sagte: › Wie heißt, ist's etwa mein Schiff!‹«
Der Infanterist Hugo Biester, wenn der einmal aus diesem Zipfel der Welt heimkehren tut und es fragt ihn einer, wie's ausgesehen habe im russischen Matsch, da zieht er ein halb süßes, ein halb saures Gesicht, steckt sich schleunigst eine neue Zigarre an, und wenn der Rauch so in seinen Streifen gegen die Decke wandert, dann erzählt er von litauischen Wegen und Stegen und vor allem vom tiefen, tiefen Dreck.
»Ja,« sagt er und pafft so schornsteinmäßig, daß man gar nichts mehr von seinem Schelmengesicht sieht, »das kann ich beschwören, an einem Abend, Frühjahr war's, als wir zur Ablösung wieder nach dem Graben marschieren, fällt mir bei einem Wegrank der Helm vom Kopf, rin in den Dreck. Schleunigst nehme ich meinen Landsturmstock und stochere damit in der braunen Brühe herum, um die edle Dunstkiepe wiederzufinden. Inzwischen steht die ganze Kompagnie still und guckt meinem Suchen zu. Plötzlich entdecke ich da unten im Dreck ein menschliches Gesicht, das sich vorwärts bewegt, und ganz verblüfft frage ich: Nanu, wie kommen denn Sie hierher? Darauf sagt das Gesicht: Sie werden noch mehr erstaunt sein, wenn Sie erfahren, daß ich auf einem Pferde sitze und reite.«
Wenn sich dann das Staunen über diese Geschickte etwas gelegt hat und der Hugo Biester sieht einen unter seinen Zuhörern, der etwa die Nase rümpft oder gar ein ungläubig Gesicht macht, so schlägt er mit der Faust auf den Tisch und fährt weiter:
»Das ist aber noch gar nichts. Ein andermal hab ich mich photographieren lassen und das Bild heim an meine Braut geschickt. Da bekam ich nach einer Woche einen Brief geschickt, darin stand: »Lieber Hugo, du hast mir deine Photographie geschickt. Aber jeden Abend schauen meine Schwestern und ich sie an und raten, was das wohl für ein Fluß ist, an dem du dich hast aufnehmen lassen. Ist es die Weichsel, der Njemen oder die Düna? Ist's die Wolga, der Dniester oder der Dniepper? Ist's der Pripet, die Schara oder der Slutsch?« Da hab ich zurückgeschrieben: »Liebe Hermine, der Fluß, an dem ich mich hab photographieren lassen, das ist nicht die Weichsel, der Njemen oder die Düna. Es ist auch nicht die Wolga, der Dniester oder der Dniepper, noch viel weniger der Pripet, die Schara oder der Slutsch, all dies ist es nicht, überhaupt kein Gewässer, sondern einfach eine schlichte russische Landstraße im Frühjahr!«
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Es ist etwas Großes um eine gutgebaute Straße. Sie führt ins weite Land hinein, über Berg und Tal, scheut Sumpf und Strom nicht, um zum Ziele zu kommen, Wagen fahren, Kaufleute führen ihre Waren dahin, der wandernde Bursche singt ein Wanderlied, und die Müden rasten im Schatten der Bäume.
Es ist etwas Großes um eine gute Straße, weißt du auch, woraus sie gebaut ist? Aus Dreck und Sand und brüchigem Gestein. Es hat viel Mühe und Schweiß gekostet, und die eiserne Dampfwalze mußte oftmals darüber fahren und die Brocken zerschmeißen, bis sie so fest wurde, daß ihr auch der Kühbauer vertrauen und mit seinem Karren hübsch bequem ins Land der blauen Wunder kann.