Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Schurimuri

Das Knechtlein *

Der Abend brachte Gäste ins Gutshaus. Im großen Saale brannten die Lichter festlichen Flackerschein; Bläser und Geiger sandten die Sehnsuchtsweise eines Walzers hinaus, und die Umrisse der tanzenden Paare standen für Augenblicke wie Schattenbilder vor den Fenstern. Herren und Damen, gut gekleidet, tranken die Lust des Lebens ein, als ob sie von Kriegslast nichts wüßten. Draußen aber rauschten die Stimmen der Nacht.

Im Hofe unter der Linde stand das Gesinde beisammen und streckte die Hälse. Die erste Musik seit langer Zeit. Das war doch etwas anderes als das dumpfe Murren der Kanonen, das Stunde für Stunde, Jahr und Tag schon, aus der mit Wäldern verhängten fernen Front drang. Ein Fest sollte sein. Und was für eins! Morgen hielt des Hauses Fräulein Hochzeit.

Hochzeit!

Bei diesem Worte stieg mehr als einer der jungen Mägde das Rot in die Wangen, und mehr als eine gedachte ihrer ersparten Leinwand, des Schatzes, des sorglich versteckten, und mehr als eine gedachte ihres Burschen, der jetzt irgendwo in einem schmutzigen Graben lag, in Sturm, in Nacht, in Regennaß. Oder war er gar schon tot? Fern der Heimat, ohne Grab, ohne Kreuz?

Und die Gedanken der Mädchen wanderten und zerteilten die Zeit. Und dunkler, einförmiger rauschten die Stimmen der Nacht.

Das Knechtlein hatte sich fortgeschlichen vom Troß, zum Garten der Herrschaft hinein. Da setzte es sich nieder in Blumen und Gras. Selber im Schatten, vom Dunkel gut zugedeckt, genoß es die Prunkseite des Lebens.

Es saß und sann, und langsam, in süßen, schweren Tropfen fiel die Erinnerung in sein Dasein.

Das junge Fräulein! Jeden Gang, jeden Schritt kennt er von ihr. Jede Bewegung, jede Drehung der Hüften. So zieht sie die Augsbrauen, wenn sie spricht. Aus ihren Augen glänzt es her wie das Leuchten, das am frühen Morgen über den Wellen des Sees von Daugi liegt, wenn sie lacht, ist's, als ob eine Herde kleiner Engel vorüber läuft, vorm Ohr Halt macht und lustige Glocken läutet. Wenn sie weint, ist das ganze Haus still. Selbst des Windes Geblase im Garten hört auf, und kein Vogel will weiter singen. Sogar die Jungen im Nest schreien dann nicht mehr. Wie oft hat sie ihn gegrüßt, die Junge, die Liebe, wenn sie am sonnigen Morgen lachend durchs Gefild ritt. Die Ohren so zierlich, so klein, von der Sonne wie roter Korallenstem durchglutet. Ihr Blondhaar, ihr weißer Strohhut, das alles glänzte noch weit her. Sah sie nicht aus wie eine lebendig gewordene Margaretenblume, die da, vom Stengel losgelöst, durchs Feld schritt?

Das alles soll nun aus sein? Soll erlöschen, kaum aufgeblitzt und schon hinabgesunken, wie das Feuerwerk festlicher Nacht?

Morgen, ist das wahr?, kommt ein fremder Mann, den er noch nie gesehen, und nimmt sein Liebstes hinweg?

O, wenn ich doch größer wäre, denkt das Knechtlein.

O, wenn ich doch Fäuste hätte, alle die niederzuschlagen, die mir sie nehmen wollen!

O wenn ich doch reich und vornehm wäre, dann könnt' ich sie selber heimführen und ich könnte sie sehen, so viel ich wollte!

Und das Knechtlein sitzt nicht mehr; es hat sich wild hineingeworfen in das grüne Gras, mitten in die vom alten Gärtner so sorgsam gehüteten, kostbaren, fremdländischen Blumen. Zwei schwielige Hände wühlen sich tief, o so tief hinein in die Erde; durch den jungen Körper zuckt es wie ein Krampf, O ihr Stimmen der Nacht!

Bläser und Geiger, schrumm, haben aufgehört. Das Gesinde hat sich näher zum Hause gestellt, singt der Herrschaft das Glückwunschlied. Schwermütig klingen die Klänge dahin, schwermütig wie das Land, wie das litauische Herz, das dieses breite Brausen der Wehmut geboren.

Das Fräulein, des Glückes zu übervoll, ist in den Garten gegangen, das heiße Gesicht in der Nachtluft zu kühlen. Der Mond, der blaue Schatten zeichnet, weist ihr den Weg. Fern, fern irrlichtert es her: der Feuerrachen unersättlicher Kanonen. Und wie sie so weiter geht, sieht sie den Körper des Knaben im Beet, sieht seinen Kampf. Geht hin und richtet ihn auf. Mit vollem Strahl fällt der Mond in die fließenden Tränen des Jungen hinein.

»Knechtlein, Du weinst?«

Die Rose *

Vorm Fenster im Garten steht ein Rosenbaum. Ein alter, verknorrter, unansehnlicher Gesell, mit daumendickem Stamm und arg mitgenommenem Gezweig. Das helle Harz, das letzte Rettungsblut, quillt aus der rissigen Rinde. Man sieht's dem alten Herrn an, daß seine Tage gezählt sind. Aber er gibt das Leben nicht auf! Den jungen Burschen zum Trotz, die rund um ihn ein aufleuchtendes, verschwenderisch duftendes Sommerkleid angelegt haben, hat er sich in diesem Jahre mit einer einzigen Rose begnügt. Aber wie hat er diese ausgestattet! Wie ein alter Mann, der bald sterben muß, sein einziges Töchterlein, das zur Freite geht. Einen Stengel so zart, wie der Fuß einer Märchenfürstin. Einen Kelch, gegen dessen edle Form auch die beste Goldschmiedearbeit nicht aufkommen kann. Die Härchen daran, feinstes Filigran, sonnebeglitzert. Die vollerschlossene Blüte in einer Farbe schwelgend, vor der der beste Seidenfärber sich als Stümper bekennen muß. Ein Bild, so schön, daß man hundert Augen haben möchte! Alter Bursche, denke ich, für wen hast du dich so schön gemacht. Er schweigt. Die Rose wiegt sich in der Abendluft. Ich denke an eine liebe Frau, der ich dieses liebliche Dinglein schenken möchte. Aber die liebe Frau ist weit. Eh ich sie wiederseh, ist dieses duftige Leben verblüht.

Die kleine Marie *

Ich erhielt einen Brief aus der Heimat, da stand zum Schluß in kleinen Schnörkelbuchstaben von Vaters Hand: »Dein alter Schatz, die kleine Marie, ist gestorben.« Da kriegte ich ein merkwürdiges Montagsgefühl ins Herz, als ich das las; die Buchstaben legten sich auf die Seite, das Zimmer fing sich zu drehen an, und ich mußte mich schnell auf die Bettkante setzen, sonst wär' ich gefallen.

»Dein alter Schatz, die kleine Marie, ist gestorben.« Die verschnörkelten Buchstaben richteten sich wieder auf, sprangen aus dem Briefpapier weg und traten ins Zimmer, wo sie sich zeigten, sich neigten und vor meinen Augen einen rasendschnellen Wirbeltanz aufführten, der so quallig wie ein grauer Nebel aussah. Aber aus diesem grauen Nebel lösten sich Bilder und Gestalten; er wurde buntfarbig wie ein guter Teppich, und auf einmal standen die stillen Gefilde meiner Jugend vor mir: die Straßen, durch die ich gegangen, die Höfe, durch die ich gesprungen, die Rheinstrecken, an deren kühlem Strande ich geschlafen, die guten, grauen Augen der kleinen Marie, die mich so sehr geliebt.

Sie wohnte zwei Gassen weiter als ich, schon im Unterdorf, und ich hatte nicht viel Gelegenheit, sie zu sehen. Wenn ich in die Schule ging, wenn ich aus der Schule kam, das war alles. Ein blonder Zopf, blinkende Backen, ein Lachen wie das einer Turteltaube und eine Gewalt in den Augen, die mich nachzog, als sei ich ein Gefangener.

Es sprangen die Jahre der Arbeit.

Als ich als junger Bursche aus der Fremde wiederkam, ging Marie zur Fabrik. Der blonde Zopf war aufgebunden, die Backen hatten ihre blinkende Farbe weiß Gott wo versteckt, das Lachen ließ sich nur kaiserselten hören, aber die Gewalt in den Augen war noch immer da, eher stärker als früher. Es liefen ihr viele Burschen nach, der Melcher Anton, dem Metzger Karl seiner, der lange Turtill, Blechner, das Schwäble und sonst eine Schar. Sie ließ sie ruhig laufen und nachts vor den Fenstern stehen und geigeln und verliebte Lieder singen, und wenn sie einen am Tage sah, schenkte sie ihm ein lieb, freundlich Wort. Das war aber auch alles; zum Tanzen brachte sie keiner, obwohl sie ein paar herzige Schühlein im Kasten stehen hatte. Die älteren Männer strichen sich die Schnauzbärte, wenn sie sie sahen, und sagten, die ist eigentlich zu schade für den Altjungfernverein; aber die Weibsbilder machten die Lippen krumm und zähnten in ihrer absprecherischen Art, paßt auf, die fällt noch früh genug mit der Nase in den Dreck. Ich sagte gar nichts, ich ließ die Augen reden, wartete jeden Abend, bis die Fabrik Schluß pfiff und ging dann an des Mädchens Seite hinunter zur Hardt.

Den Weg dahin kenn ich heute noch. Die breiten Rapsfelder am Burgfeldener Buckel, die Kleeäcker von Niederschönenbuch, die schönen Roggenfelder am Hagentalschlag, die roten Pfaffenkäppchen am Neuhäuselerweg. An den Schlehenbüschen am Rande blieben wir stehen; da waren Vogelnester darin, und Abend für Abend schauten wir nach, wie weit die Singer schon wären. Was soll ich vom Walde erzählen? Da waren wir glücklich, da waren wir froh. Es gibt kein liebes Wort, das wir uns nicht gesagt hätten; es gibt keinen lieben Kuß, den wir uns nicht geküßt hätten. Die Stimmen unseres Blutes klangen wie Lieder daher.

Wie hat es geendet? Wie der Traum einer Nacht, wie ein strahlendes Feuerwerk, das in Funken zerfällt und nur wehe Erinnerungen hinter sich läßt.

Ich mußte fort zu den Soldaten. Eine fremde Welt brach über mich herein. Das Bild der kleinen Marie versank im Gewoge brodelnder, nervenbrauchender Gegenwart. Manchmal, an einsamen Abenden, so am Feuer in litauischen Höfen, wenn die Kartoffeln schwellten und das Flackerfeuer des Kamins über den Boden strich, dachte ich ihrer, aber wunschlos beinahe, wie man an Bilder heiliger Frauen denkt, die in kühlen Kirchen und Münstern wohnen.

»Dein alter Schatz, die kleine Marie ist tot.« Zwei blaugebänderte Kerzen leuchteten ihr zur Totenwacht, zwei helle Glocken läuteten ihr in ihr junges Grab hinein. Manche Hand warf Schollen auf Sarg und Gekränze. Die Schollen, die auf ihr Herz fielen, werden schwerer gewesen sein. Und diese warf ich.

Das Leben brennt weiter, wie ein Licht in der Nacht. Jeder hält sein munziges Stümplein in zittriger Hand. Und hinter dem Berge wartet ein finstrer Gesell, und keiner weiß, wann der's ihm auslöscht.

Carmen *

Ein Soldat, dem das Herz gleichermaßen zerrissen war von den Umtrieben der Welt und von den Geschehnissen einer Liebe, stand an einem Abend im Frühling in den Straßen einer großen Stadt, in die der Himmel eben seinen ersten Stern hineinhing. Unschlüssig stand der Soldat da und ließ das laute Leben an sich vorüberströmen. Er wußte nicht, was er beginnen sollte; denn für den heutigen Tag waren alle Pflichten von seinen Schultern genommen. Die Kaserne, das graue Haus, rief ihn nicht; er hatte ja Urlaub. Kameraden von ihm, die ihm die Zeit vertreiben helfen konnten, lebten nicht in dieser Stadt; die weilten weit, dort, hart an der Grenze des Niemandlandes, wo der Tod im Geschrei der Explosionen umgeht. Was hielt ihn eigentlich noch hier, wo ihm alles so fremd schien? War doch das Heim, das ihm Liebe bot, dreifach verschlossen. Und er zog die Schultern ein; denn es fror ihn trotz der abendlichen Wärme, die zwischen den Häusern lag.

Er wandte sich zum Schreiten. Da fiel sein Blick auf einen großen, roten Zettel, der an der Hauswand hing. »Carmen« stand in schwarzen, werbenden Buchstaben auf dem roten Papier. »Gut!« sagte der Soldat, »das soll mir ein Zeichen sein. Kette sich zum Theater, wen das Leben betrog!« Und in langen Schritten ging er davon.

Als er eintrat, hatte das Spiel bereits begonnen.

»Die Liebe hat bunte Flügel,
solch einen Vogel zähmt man schwer,«

klang's mit heißem Atem aus dem funkelnden Strom der Musik. Das Spiel der Leidenschaft begann.

Der Soldat hatte ganz vergessen, wo er war, so hielt ihn der bunte Abglanz des Lebens auf der Bühne gefangen. Das Lied, das den gleichen stürmischen Rhythmus seines Herzens ging, trug ihn, wie es ihm schien, fort in eine unendliche Einsamkeit und formte ihm alles, was er hörte, was er sah, zu Sinnbildern des Weltgeschehens um. Das waren keine Schauspieler mehr, das waren von eignem Sein getriebene vollblütige Menschen. Dem Sergeanten, dem Unglücklichen, um den das Schicksal immer grauenhafter seine stählernen Fäden zog, folgte er in den Himmel seines Glücks, in das Fegfeuer seiner Zweifel, in das fressende Höllenfeuer seiner Eifersucht. Mit Micaëla, dem Bauernmädchen, diesem Engel des Guten, mühte er sich um die irrlaufende Seele, die dem Verderben zustrebt. Und, o Wunder, selbst das Herz der Carmen, dieses rätselvolle, dieser Behälter des Widerspruchs, lag klar vor ihm da. Und er wußte, daß sie nur so handeln konnte, und daß sie so tat, weil sie durch die Stimme ihres Blutes gezwungen wurde. Schauernd ahnte er die Gewalt der Mächte, die in der Tiefe des Menschen leben. Gewalten, die vielleicht ein halbes Leben lang schlummern, die sich aber später umso ungestümer lohend zum Himmel heben, im Fall und Niedersturz sich selbst begrabend. Und er, der fremde Soldat, begriff, daß in jedem Menschen etwas von diesen Gewalten ist, die da, von den Empfindungswellen der Töne getragen, über die Bühne schweben. Wenn die Stunde kommt, hat eines jeden Menschen Herz seinen Tropfen Aufruhr, seinen Sturm der Seele, der Maß, Gesetz und Lebenszucht zu sprengen droht ... Wer weiß ihn zu bändigen?

Als der Soldat zum Theater hinaustrat, schlug um ihn ihren Mantel die Nacht. Am Strome ging er entlang, der schweigsam durch das Dunkel floß. Ein Nachtvogel schoß auf. Und eine innere Stimme sagte dem nächtlichen Wanderer, daß der Mensch dem Menschen nichts sein kann; daß die heißen Herzen die allerärmsten sind, weil sie die Kälte der Umwelt am stärksten spüren; daß sie die einsamsten sind, weil sie auf Inseln stehen, zu denen kein Schiff fährt; daß das, was die Menschen Glück nennen, dunkel ist wie dieses Wasser da; daß alles, was blüht, vergehen und sterben muß, und daß hinter allem, was ist und was sein wird, unentrinnbar aufwächst ein Schicksal, zu dem jeder Atemzug hinführt, so sicher wie dieser Strom da zum Meere.

Der niegeknallte Schuß *

Es war die Stunde des Mords.

Ein feiner, unendlich feiner Regen entzögerte sich dem grauverhangenen Himmel, ohne Eile, langsam, mit Gewißheit, den Teil der Erde zu treffen, der Wilna hieß. Auf die Dächer patschte er nieder, auf den Pflastersteinen klatschte er auf; aufspringend auf die träge Fläche der Wilia tatschte er mit zitterndem Eintupf, und in den tausend Gassen sammelte sich die trübe Brühe und schwemmte den Unrat fort, die Millionen Sünden der Stadt. In feinen, unendlich feinen Wassernadeln fiel er. Die Kleider der Menschen machte er naß, die roten Gesichter feuchtete er, den Rücken der kleinen keuchenden Pferde strich er als Spiegel glatt. In ein Grautuch zwang er die Paläste des Zentrums; in den Pappeln der Kälberkoppel hing er sich als Wolkenbank fest, die Kuppe des Schloßbergs bezwang er. Selbst das Blut der Herzen befahl er in seinen tröpfelnden Takt. Dieser entsetzliche Regen, dieses Abbild der Unendlichkeit, des schaurig fließenden, naßkältenden Nichts. Dieses rieselnde Wassermeer mit dem Geräusche atmenden Tods.

Es war die Stunde des Mords.

Ein Soldat ging die Georgstraße hinauf: breit im Regenwirbel gebadet, hängend den Kopf wie von Last schwer. Die Entgegenkommenden beachtete er nicht. Nicht einmal das Mantelrot des Feldmarschalls riß ihn aus seiner Verstarrung. Vorwärts schritt er. Im müden Geklopf der fallenden Tropfen ging der Trott seiner Gedanken: daß sie – sie sie sie – heute sterben müßte. Unweigerlich. Ohne Entrinnen. Das Tor des Tods. Keinen Auswegs gab's. Sie mußte sterben. Und härter klammerte sich die Faust im Mantel um Stahl und Todesgeschoß. Tapp tapp tapp tapp. Generalversammlung dummer Gedanken. Eingespannt war er in den fürchterlichen Kreis, in den ihn ein unbekanntes Geschick gezogen hatte. Regenflut, Regenflut, abwaschend Schmutz und Gestank, Schlamm und Geschilfer bildend.

Seine Seele sah weit. Da lag die Stube der Vergangenheit. Lichter glänzten über den Tisch hin. Gelächter der Geladenen scholl. Würdige Pfarrherrngesichter. Ein Spätling kam: sie. Da war alles verändert im Raum, alles satt von Glanz und von Glut. Die alten Pfarrherrn waren zu jungen Knaben geworden, die das Rauchfaß des Geistes zu Soschas Ehren schwangen. Jeder Mannesblick war das Manifest ihrer Schönheit, die Verkündigung eines Außerordentlichen. Er, der Soldat am Tisch, war gänzlich zusammengesunken in seine Grauheit; sein Herz, sein ungestümes, machte Fliegens Versuch und fiel in den Staub hin. Ihr herrlicher blonder Scheitel bückte sich – sie hatte den köstlichsten Nacken der Welt – sie hob des plumpen deutschen Soldaten zuckendes, sich wehrendes Leben auf.

O Fanfarenstoß der ersten Liebe! Wie tönt dein Ton hin über die Felder der Seele! Wie schmeichelt er hin an den sanften Hängen zarten Gefühls, wie brandet er auf am trotzigen Turm des einsamen Bezirks! O Signal du des göttlichsten Kampfes! Du Preislied der Siegeskraft, und des blendenden, atmenden Leibes Umhüllung du! O du Aufdecker der Freuden! O du Vermehrer der Wahrnehmung! Du Ausschütter des Daseins! Du Zerschmelzer und Ausglüher aller Selbstsucht, du Beschirmer und Schützer! Du Zusammenbringer! Du Förderer! Liebe, Liebe, du bester Teil Gottes!

Heiligere Stunden gibt es nicht, als die der Liebe; süßeres Atmen gibt es nicht, als das aus den Nüstern der Geliebten. Ich liebe dich! Ich liebe dich! Soscha, Soscha, dein kleiner Knabe liebet dich!

Auch sie liebte ihn. Jeder Tag, jede Nacht bewies es. Aber sie war nicht geschaffen, eines Menschen alleinzig zu sein.

Da hielt der Soldat ein Gericht.

Er selber war der Ankläger, der Fürsprecher und der Richter. Stundenlang währte der innere Kampf, und schließlich sprach der Richter das rote Wort Tod.

Wahrhaftig, es war die Stunde des Mords.

Zum Amte des Richters hatte der Soldat auch noch das des Henkers übernommen. Soscha sollte sterben, durch seine Hand sterben. Jede Einzelheit des Dramas war im Voraus schon festgelegt. Er wußte, wann sie mittags nach Hause kam. In das Kaffee gegenüber wollte er sich setzen und sie abwarten. Sie kommt. Sie schließt die Tür auf. Er geht hinterher. Wenn sie auf der Treppe ist, ruft er sie an. Sie hört seine Stimme. Sie wendet ihr erschrecktes Gesicht um. Da wird er sie in ihr Herz hinein schießen. O, er trifft gut.

Auffröstelnd spürte er doppelt das Regennaß.

Im Kaffee: die Stimme des gesättigten Lebens umfängt ihn. Wärme hüllt ihn ein und will ihn fröhlich machen. Er verbeißt sich tiefer in seinen Trotz. Ans Fenster setzt er sich hin, von wo aus er die Straße ganz überblickt. Einen Kaffee bestellt er und zahlt gleich, damit er ohne Aufenthalt fort kann, wenn ihn sein Geschick ruft.

Es ist noch Zeit, eine halbe Stunde vielleicht, eher kann sie nicht kommen. Draußen rieselt noch immer der Regen weiter, mit der Beständigkeit eines Dämons. Aber hier hinein dringt die graue Stimmung nicht. Hier im Saal ist alles voll Glanz, die Lampen brechen sich vielfach in den geschliffenen Spiegeln. Frohe Gesichter sieht sein Auge überall in dieser Versammlung des Lebens, Luxus in Fülle.

Er wehrt sich gegen die Eindrücke. Schließlich, um allem Anstürmenden auszuweichen, bleibt sein Aug' auf einem Tisch in seiner Nähe hängen. Eine junge hübsche Frau sitzt daran, ihr gegenüber ihr Mann. Unwillkürlich schlagen des Soldaten Gedanken Brücken von dieser Frau zu Soscha. Er vergleicht sie mit ihr und findet viel an Gestalt und Gesicht, was beiden gemeinsam ist. Seine Phantasie arbeitet weiter; sie ist ein Bildhauer geworden und formt solange an dem Gesicht der fremden Frau, bis wirklich Soscha dasitzt, seine Soscha, die lustig lacht, ißt und plaudert. Plötzlich sieht er, wie der Blick der Polin über ihren Mann, mit dem sie fröhlich plaudert, hinwegstreift, knapp an ihm, dem Soldaten, vorbei. Eine merkwürdige Lockung ist in diesem Blick, ein Einverständnis, immer neu und wiederholt gegeben. Wem mag dies Spiel der Augen nur gelten? Neugierig kehrt sich der Soldat um: da sitzt zwei drei Tische weiter ein junger, ungarischer Oberleutnant, ein Kerl, wie aus einem Mädchenalbum geschnitten. Dem gelten die Blicke. Der fängt sie auf und versteht sie und gibt sie im Gleichtakt zurück.

Da war dem Soldat auf einmal, als hätte ihm einer mit kräftigem Ruck eine schwarze Binde von den Augen gerissen. Unvermittelt begriff er das Leben, sah er die verborgenen Zusammenhänge. Ein schier irrsinniges Lachen brach da aus ihm heraus; so schallend lachte er, daß die Musik mit Spielen aufhörte, daß alles verwundert herschaute, daß sechs Kellner herbeirannten und ihn wie einen schwarzen Kreis umstanden.

Erst da kam er wieder zu sich, nahm seine Mütze und ging hinaus, gefolgt von dem Kopfschütteln der Leute.

Immer noch lachte er, als er schon lange auf der Straße war, und alles wendete sich erstaunt nach ihm um.

Das machte ihm nichts. Seine Seele, die gebunden gewesen war, flog wieder frei und schwang ihre Flügel.

Der Regen hatte aufgehört; die zähe Bank der Wolken zerriß, Sonne stach spielend hervor.

Der Soldat wanderte weit bis zum Rande der Nacht. Alles Gewesene schien ihm zwergenhaft zu sein; vor ihm lag das Leben neu und die Zukunft da, der Riesin schwangerer Leib.


 << zurück weiter >>