Johann Joachim Winckelmann
Geschichte der Kunst des Altertums
Johann Joachim Winckelmann

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Das zweite Kapitel

Von der Kunst der Ägypter

Von der Kunst der Ägypter finde ich nichts Besonderes, was die Zeichnung als das Wesen derselben betrifft, hier von neuem zu bemerken . . .

Von der Zeichnung und der Ausarbeitung ägyptischer Figuren habe ich zum ersten einen Mißverstand über die parallel stehenden Füße zu heben. Diese finden sich an einigen sitzenden Figuren, aber nicht an stehenden. Zum zweiten muß ich erinnern, daß nicht alle und jede ägyptische Statuen beide Arme längs den Seiten gerade herunterhängen haben; dieses ist der gewöhnliche Stand männlicher Figuren, und nicht der weiblichen, als an welchen nur der rechte Arm herunterhängt, der linke Arm aber liegt gebogen unter der Brust. Diejenigen weiblichen Figuren hingegen, welche vorwärts an dem Stuhle oder Throne des Memnon stehen, haben wie die von unserem Geschlechte beide Arme hängen . . .

Über die Gestalt der ägyptischen Götter und anderer Figuren sind einige Anmerkungen beizufügen, die teils die Figur selbst, teils deren 354 beigefügte Zeichen betreffen. An der Statue von Basalt in der Villa Albani, deren idealischer Kopf etwas von einem Löwen, von einer Katze und von einem Hunde hat, scheinen in dieser Vermischung der Geschlechter die Eigenschaften und Bilder anderer ägyptischen Gottheiten in einem Anubis, welcher mit einem Hundskopfe gebildet war, vereinigt zu sein, wie die ägyptische Theologie lehrt. Ein wirklicher kleiner Anubis ist in gedachter Villa, wie ich angezeigt habe . . . Die einzige Statue des Osiris, mit einem Sperberkopfe, ist in dem Palaste Barberini. Der Kopf dieses Vogels soll in der ägyptischen Gottheit den griechischen Apollo bilden: denn diesem war nach dem Homerus der Sperber eigen und dessen Bote, weil derselbe mit offenen Augen in die Sonne, deren Bild Apollo ist, zu sehen vermag . . .

In Absicht der den ägyptischen Gottheiten beigelegten Zeichen habe ich gesagt, daß sich keine Isis mit Hörnern auf ägyptischen Denkmalen finde. Nach der Zeit habe ich unter den Zeichnungen des bekannten Ghezzi in der Vatikanischen Bibliothek eine Figur derselben mit zwei Hörnern, in deren Mitte eine runde Scheibe steht, entdeckt. Die Hörner sollen vermutlich die Hörner des halben Monds anzeigen und die Scheibe die Sonne, so wie man eine platte runde Kugel, auf einen halben Mond gesetzt, auf dem Haupte einer Isis von griechischer Arbeit, im Palaste Barberini sieht. Von der Figur mit Hörnern kann ich unterdessen aus der Zeichnung nicht von dem Alter derselben mit Zuverlässigkeit entscheiden. Dasjenige was uns Porphyrius aus dem Numenius lehrt, daß nämlich die ägyptischen Gottheiten nicht auf festem Boden stehen, sondern auf einem Schiffe, und daß nicht allein die Sonne, sondern alle Seelen auf dem feuchten Elemente schwimmen, wodurch angeführter Skribent das Schweben des Geistes Gottes auf dem Wasser, in der Beschreibung der Schöpfung, hat erläutern wollen, so wie Thales behauptete, daß die Erde wie ein Schiff auf dem Wasser fließe; eben diese Lehre kann ich in einigen alten Denkmalen abgebildet anzeigen. In der Villa Ludovisi steht eine kleine Isis von Marmor mit dem linken Fuße auf einem Schiffe, und auf zwei runden Basen in der Villa Mattei, wo der von den Römern angenommene ägyptische Gottesdienst vorgestellt ist, steht eine Figur mit beiden Füßen auf einem Schiffe. Noch näher aber kommt jener Lehre der Ägypter die Sonne, welche nebst 355 dem persönlich gemachten Monde auf einem Wagen, von vier Pferden gezogen, in einem Schiffe fährt. Dieses Bild ist auf einem sogenannten hetrurischen Gefäße gemalt . . .

 


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