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Erster Akt

Boudoir in Lord Windermeres Haus in der Carlton House Terrasse. Eine Tür in der Mitte, eine rechts. Schreibtisch mit Büchern und Papieren rechts. Sofa mit kleinem Tisch links, desgleichen ein Fenster auf die Terrasse hinaus. Ein zweiter Tisch rechts.

Erste Szene

Lady Windermere. Parker. Lord Darlington.

Lady Windermere ( am Tisch rechts; ordnet Rosen in einer Blumenschale).

Parker ( eintretend): Sind Mylady heute nachmittag zu Hause?

Lady Windermere: Ja – wer ist denn da?

Parker: Lord Darlington, Mylady.

Lady Windermere ( nach einigem Zögern): Führen Sie den Herrn herein – und außerdem, ich bin für jeden Besuch zu Hause – hören Sie – für jeden.

Parker: Sehr wohl, Mylady.

Lady Windermere: Besser für mich, ich sehe ihn noch einmal vor heute abend. Ich bin froh, daß er gekommen ist.

Parker ( meldet): Lord Darlington!

Lord Darlington ( eintretend): Guten Tag, Lady Windermere. ( Parker ab.)

Lady Windermere: Wie geht es Ihnen, Lord Darlington? Nein – die Hand kann ich Ihnen nicht geben, meine Hände sind von den Rosen ganz naß. Herrliche Blumen, nicht wahr? Sie sind heute morgen aus Selby gekommen.

Lord Darlington: Wirklich vollendet schön. ( Bemerkt einen Fächer auf dem Tisch.) Und was für ein wunderbarer Fächer! Darf ich mir ihn ansehen?

Lady Windermere: Ich bitte sehr. Hübsch, nicht wahr? Mein Name steht drauf und auch sonst manches. Ich habe ihn selbst jetzt gerade erst zu sehen bekommen. Meines Mannes Geburtstagsgeschenk. Heute ist nämlich mein Geburtstag.

Lord Darlington: Nein! Nicht möglich!

Lady Windermere: Jawohl, heute werde ich majorenn. Ein überaus wichtiger Tag in meinem Leben, nicht wahr? Deswegen gebe ich auch heute abend eine Gesellschaft. Wollen Sie nicht Platz nehmen? ( Ordnet noch immer die Blumen.)

Lord Darlington ( sich setzend): Hätte ich doch nur eine Ahnung von Ihrem Geburtstag gehabt, Lady Windermere! Die ganze Straße vor Ihrem Hause hätte ich mit Blumen bestreut, damit Sie darauf wandeln könnten. Blumen sind ja für Sie geschaffen. ( Pause.)

Lady Windermere: Lord Darlington, Sie haben mich erst gestern abend beim Minister des Äußeren geärgert. ( Parker von hinten mit dem Teeservice auf einem Tablett.) Ich fürchte fast, Sie wollen mich wieder ärgern.

Lord Darlington: Ich, Lady Windermere?

Lady Windermere: Dorthin, Parker. So – schon gut. ( Trocknet ihre Hände mit dem Taschentuch, geht zum Teetisch, setzt sich.) Kommen Sie doch zu mir herüber, Lord Darlington. ( Parker ab.)

Lord Darlington ( nimmt einen Stuhl hinüber): Ich bin ganz untröstlich, Lady Windermere. Sie müssen mir sagen, was ich verbrochen habe. ( Setzt sich.)

Lady Windermere: Hören Sie also. Sie haben mir den ganzen Abend lang einen Tribut an wunderschönen, einstudierten Komplimenten gezahlt.

Lord Darlington ( lächelnd): Du lieber Gott, heutzutage sind wir eben alle so schlecht bei Kasse, daß Komplimente für uns die einzige angenehme Zahlungsweise bilden. Sie sind überhaupt das einzige, was wir noch zahlen können.

Lady Windermere ( kopfschüttelnd): Nein – ich sage das in vollem Ernst. Lachen dürfen Sie nicht – ich meine es wirklich ganz ernsthaft. Ich mag keine Komplimente. Und ich seh' auch nicht ein, warum sich ein Mann einbilden sollte, daß er einer Frau einen so riesigen Gefallen tut, wenn er ihr einen Haufen Dinge erzählt, die er gar nicht meint.

Lord Darlington: Oh, ich bitte – bei mir waren sie so gemeint. ( Nimmt den von ihr gereichten Tee.)

Lady Windermere ( nachdrücklich): Das will ich nicht hoffen. Es täte mir leid, wenn ich mit Ihnen bös werden müßte, Lord Darlington. Ich habe Sie sehr gern – das wissen Sie. Aber ich könnte Sie gar nicht gern haben, wenn ich mir denken müßte, Sie wären ebenso wie die meisten Männer. Glauben Sie mir, Sie sind viel besser als die meisten Männer, und manchmal kommt es mir vor, als ob Sie suchten, viel schlimmer zu scheinen.

Lord Darlington: Wir haben eben alle unsere kleinen Eitelkeiten, Lady Windermere.

Lady Windermere: Und warum machen Sie gerade diese zu Ihrer Spezialität?

Lord Darlington: Ach, heutzutage laufen so viele eingebildete Menschen, die sich für gut ausgeben, in der Gesellschaft umher, daß es eigentlich auf ein freundliches und bescheidenes Wesen schließen läßt, wenn man sich als Bösewicht hinstellt. Und dann noch eins – wenn man gut zu sein vorgibt, nimmt die Welt einen fürchterlich ernst; trägt man aber Schlechtigkeit zur Schau, dann tut sie es nicht. So ist nun einmal der Optimismus in seiner staunenswerten Beschränktheit.

Lady Windermere: Liegt Ihnen denn nicht daran, von der Welt ernst genommen zu werden, Lord Darlington?

Lord Darlington: Nein – von der Welt nicht. Was für Leute sind denn das, die die Welt ernst nimmt? Alle albernen Menschen, auf die man sich besinnen kann, von den großen Tieren in Amt und Würden bis hinunter zu den langweiligsten Schwätzern. Mir wär' es lieb, wenn Sie mich ernst nehmen wollten, Lady Windermere – Sie mehr als irgend jemand sonst auf der Welt.

Lady Windermere: Wieso – warum gerade ich?

Lord Darlington ( nach einigem Zögern): Weil ich glaube, wir könnten sehr gute Freunde werden. Lassen Sie uns aufrichtige Freunde sein – eines schönen Tags werden Sie einen Freund brauchen.

Lady Windermere: Warum sagen Sie mir das?

Lord Darlington: Oh – ich meine – wir alle brauchen zu Zeiten Freunde.

Lady Windermere: Ich glaube, wir sind schon gute Freunde, Lord Darlington. Das können wir auch immer bleiben, solange Sie nicht – –

Lord Darlington: Was nicht?

Lady Windermere: Solange Sie mir nicht dumme, überspannte Sachen sagen und damit alles verderben. Sie halten mich wohl für eine Puritanerin? Na, etwas von einer Puritanerin hab' ich ja auch wirklich an mir. Ich bin so erzogen worden. Ich bin froh darüber. Meine Mutter starb, als ich noch ein kleines Kind war. Ich habe immer bei Lady Julia gelebt, wissen Sie, bei Papas ältester Schwester. Sie war recht streng mit mir, aber sie hat mir wenigstens das beigebracht, was die Welt immer vergißt – den Unterschied zwischen Recht und Unrecht. Für Kompromisse war sie nicht zu haben. Und ich – ich gestehe auch keine zu.

Lord Darlington: Aber meine beste Lady Windermere – –

Lady Windermere ( sich auf dem Sofa zurücklehnend): Ich komme Ihnen recht veraltet vor – meinetwegen, ich bin es sogar. Es sollte mir leid tun, mit einem Zeitalter wie dem unsern auf einem Niveau zu stehen.

Lord Darlington: Sie halten unser Zeitalter also für sehr schlecht?

Lady Windermere: Ja. Heutzutage scheinen die Menschen das Leben als eine Spekulation aufzufassen. Es ist keine Spekulation. Es ist ein Sakrament. Des Lebens Ideal heißt Liebe. Seine Läuterung heißt Aufopferungsfähigkeit.

Lord Darlington ( lächelnd): Oh, alles lieber als aufgeopfert werden!

Lady Windermere ( sich vorneigend): Sagen Sie das nicht.

Lord Darlington: Ich sage es doch. Ich fühle es ich weiß es.

Parker ( durch die Mitteltür eintretend): Die Leute wollen wissen, ob sie die Teppiche für heute abend auf die Terrasse legen sollen, Mylady.

Lady Windermere: Es wird doch wohl nicht regnen, Lord Darlington, was meinen Sie?

Lord Darlington: An Ihrem Geburtstag will ich von Regen nichts wissen!

Lady Windermere: Sie sollen die Teppiche nur gleich hinlegen, Parker. ( Parker ab.)

Lord Darlington ( noch sitzend): Sie glauben also – ich denke mir einen solchen Fall nur als Beispiel aus – sind Sie also der Meinung, daß bei einem jungverheirateten Paar, sagen wir nach zweijähriger Ehe – wenn der Gatte sich plötzlich mit einer Frau intim befreundet – mit einer Frau von – von – also von mehr als zweifelhaftem Ruf – wenn er sie andauernd besucht, mit ihr in Restaurants gesehen wird, wahrscheinlich auch ihre Rechnungen bezahlt – sind Sie der Ansicht, die Frau sollte sich dann nicht zu trösten suchen?

Lady Windermere ( stirnrunzelnd): Trösten?

Lord Darlington: Ja. Ich meine, sie sollte es tun – ich finde, daß sie das Recht dazu besitzt.

Lady Windermere: Weil der Mann gemein ist, deshalb sollte die Frau auch gemein sein?

Lord Darlington: Gemeinheit ist ein entsetzliches Wort, Lady Windermere.

Lady Windermere: Die Sache selbst ist auch entsetzlich, Lord Darlington.

Lord Darlington: Wissen Sie – ich hege so meine Befürchtungen, daß gute Menschen doch sehr viel Unheil auf dieser Welt anrichten. Ihre gefährlichste Schädlichkeit besteht sicherlich darin, daß sie dem Schlechten eine gar so ungeheuerliche Bedeutung unterschieben. Es ist einfach absurd, die Menschen in gute und schlechte einzuteilen. Die Leute sind entweder nett oder unangenehm. Ich halte mich an die netten. Und Sie, Lady Windermere, Sie können es nicht ändern, daß Sie auch dazu gehören.

Lady Windermere: So, Lord Darlington, das genügt für den Augenblick. ( Erhebt sich, geht nach rechts, bleibt vor ihm stehen.) Behalten Sie ruhig Platz. Ich will nur noch die letzte Hand an meine Blumen legen. ( Zum Tisch hinten rechts.)

Lord Darlington ( erhebt sich und rückt den Stuhl zurecht): Das muß ich sagen, Lady Windermere: auf unser modernes Leben sind Sie nicht gut zu sprechen. Gewiß, es läßt sich ja viel dagegen sagen – das gebe ich zu. Die meisten Frauen zum Beispiel sind heutzutage ein bißchen sehr gewinnsüchtig.

Lady Windermere: Reden Sie doch lieber gar nicht von solchen Menschen.

Lord Darlington: Schön! Lassen wir also die käuflichen Menschen beiseite – sie sind ja auch wirklich scheußlich. Ist es denn Ihre feste Überzeugung, daß man solchen Frauen, die das begangen haben, was die Welt gemeiniglich einen Fehltritt nennt, niemals wieder verzeihen solle?

Lady Windermere ( beim Tisch): Nein, niemals!

Lord Darlington: Und den Männern? Sollen für die Männer dieselben Gesetze gelten wie für die Frauen?

Lady Windermere: Sicherlich!

Lord Darlington: Ich halte das Leben für ein viel zu kompliziertes Ding, als daß man alles mit solchen starren Regeln abtun könnte.

Lady Windermere: Wenn wir diese starren Regeln in Wirklichkeit besäßen, so würde sich das Leben für uns viel einfacher gestalten.

Lord Darlington: Sie gestehen keine Ausnahme zu?

Lady Windermere: Keine.

Lord Darlington: Was für eine entzückende Puritanerin Sie doch sind, Lady Windermere!

Lady Windermere: Sie vergessen Ihr Versprechen. Das Eigenschaftswort war überflüssig.

Lord Darlington: Es ist mir so entwischt. Ich kann allem widerstehen – nur der Versuchung nicht.

Lady Windermere: Aah, ich sehe – Sie besitzen die moderne Affektiertheit der Schwäche.

Lord Darlington ( mit einem vielsagenden Blick): Es ist wirklich auch nur Affektiertheit, Lady Windermere.

Zweite Szene

Die Vorigen. Herzogin von Berwick. Lady Agatha Carlisle.

Parker ( von hinten links): Die Herzogin von Berwick und Lady Agatha Carlisle.

Herzogin ( mit Agatha nach vorn; Lady Windermere die Hand reichend): Liebe Margaret, wirklich sehr erfreut. Sie erinnern sich doch noch an Agatha, nicht wahr? ( Nach links vorn.) Wie geht es Ihnen, Lord Darlington? Mit meiner Tochter will ich Sie lieber gar nicht bekannt machen. Sie sind ein viel zu großer Bösewicht!

Lord Darlington: Wie können Sie so etwas sagen, verehrte Herzogin! Als Bösewicht bin ich ein vollständiges Fiasko. Mein Gott, es gibt sogar eine Menge Leute, die behaupten, ich hätte während meiner ganzen Lebenslaufbahn niemals etwas Böses getan. Allerdings sagen sie das nur hinter meinem Rücken.

Herzogin: Ist er nicht ein ganz schrecklicher Mensch? Agatha – Lord Darlington. ( Darlington nach vorn rechts.) Daß du mir nur von allem, was er sagt, kein einziges Wort glaubst! ( Herzogin, zum Sofa hinüber, setzt sich.) Nein, keinen Tee, ich danke bestens. Wir haben gerade bei Lady Markby Tee getrunken – und schlechten dazu. Einfach nicht zu genießen. Ich habe mich auch weiter gar nicht darüber gewundert – er wird ihr von ihrem eigenen Schwiegersohn geliefert. Agatha freut sich so sehr auf Ihren Ball heute abend, liebe Margaret.

Lady Windermere: Oh, auf einen Ball dürfen Sie sich nicht gefaßt machen. ( Sich links vorn niederlassend.) Nur eine kleine Tänzerei zur Feier meines Geburtstags – klein und früh zu Ende.

Lord Darlington ( vorn links stehend): Sehr klein, sehr früh zu Ende, sehr auserlesen, Frau Herzogin.

Herzogin ( auf dem Diwan): Natürlich sehr auserlesen. Darüber sind wir, wenn's bei Ihnen etwas gibt, schon längst einig, liebe Margaret. Ihr Haus ist wirklich eins der wenigen, in das ich Agatha mitnehmen kann und wo ich mir auch um meinen lieben Gatten keine Sorgen zu machen brauche. Ich weiß wirklich nicht, wohin es mit unserer Gesellschaft schließlich noch kommen soll! Heutzutage scheinen die greulichsten Menschen überall zugelassen zu werden. Jedenfalls kommen sie zu meinen Gesellschaften – die Männer sind ja ganz aus dem Häuschen, wenn man sie nicht einladet. Irgendeiner sollte wirklich einmal dagegen Front machen.

Lady Windermere: Ich werde es tun, liebe Herzogin. Ich will niemand in meinem Hause sehen, über den irgendwelcher Skandal im Umlauf ist.

Lord Darlington ( vorn rechts): Um Gottes willen, sagen Sie das nicht, Lady Windermere, sonst könnte ich ja niemals zugelassen werden! ( Setzt sich.)

Herzogin: Ach, bei Männern kommt es nicht so genau darauf an. Bei Frauen steht die Sache ganz anders. Uns kann man nichts nachsagen – wenigstens einigen von uns. Aber wir werden tatsächlich beiseite gedrängt. Unsere Männer würden unser Vorhandensein total vergessen, wenn wir ihnen nicht von Zeit zu Zeit ein wenig zusetzten, – nur um sie daran zu erinnern, daß wir gesetzlich völlig dazu berechtigt sind.

Lord Darlington: Es ist ein eigen Ding um das Mariagespiel, verehrte Herzogin – übrigens ein Spiel, das immer mehr aus der Mode kommt – die verheirateten Frauen haben die Honneurs in den Händen und verlieren doch unweigerlich den letzten Trick.

Herzogin: Der letzte Trick? Soll das der Gatte sein, Lord Darlington?

Lord Darlington: Eigentlich gar kein so übler Name für den modernen Ehemann.

Herzogin: Mein lieber Lord Darlington, Sie sind doch wirklich durch und durch verdorben.

Lady Windermere: Lord Darlington ist nur oberflächlich.

Lord Darlington: Nein, Lady Windermere, das dürfen Sie nicht sagen.

Lady Windermere: Warum reden Sie dann so oberflächlich übers Leben?

Lord Darlington: Weil ich das Leben für eine viel zu wichtige Sache halte, als daß man je ernst darüber sprechen sollte. ( Nach hinten gehend.)

Herzogin: Was soll das heißen? Als ein Zugeständnis an mein mangelhaftes Auffassungsvermögen, Lord Darlington, ich bitte, erklären Sie mir doch, was Sie eigentlich damit meinen.

Lord Darlington ( zum Tische kommend): Lieber nicht, Frau Herzogin. Leicht verständlich sein, heißt heutzutage, sich in die Karten gucken zu lassen. Auf Wiedersehen ( reicht der Herzogin und Agatha die Hand; nach rückwärts.) Also, Lady Windermere – auf Wiedersehen! Ich darf doch heute abend kommen, nicht wahr? Ich bitte, erlauben Sie es mir.

Lady Windermere ( mit Darlington rückwärts): Natürlich. Aber Sie dürfen nicht überspannte und unaufrichtige Dinge sagen, an die Sie selbst nicht glauben.

Lord Darlington ( lächelnd): Aha, ich verstehe – Sie fangen an, mich bessern zu wollen. Jede Besserung bringt Gefahren mit sich, Lady Windermere! ( Verbeugung und ab.)

Dritte Szene

Lady Windermere. Herzogin von Berwick. Lady Agatha Carlisle.

Herzogin ( sich erhebend): Was für ein entzückender böser Mensch! Ich mag ihn sehr gern. Ich bin über alle Maßen froh, daß er fort ist. Wie reizend Sie aussehen. Woher bekommen Sie nur Ihre Kleider? Nun muß ich Ihnen aber auch sagen, wie furchtbar leid Sie mir tun, liebe Margaret. ( Sich zu ihr aufs Sofa setzend.) Agatha –

Lady Agatha: Ja, Mama. ( Erhebt sich.)

Herzogin: Willst du dir nicht einmal das Photographiealbum dort drüben ansehen?

Lady Agatha: Ja, Mama. ( Zum Tische links.)

Herzogin ( sich auf Agathas Stuhl setzend): Das gute Kind – sie schwärmt so für Ansichten aus der Schweiz. Unglaublich unverdorbener Geschmack, nicht wahr? Also meine liebe Margaret, Sie tun mir wirklich riesig leid!

Lady Windermere ( lächelnd): Warum denn?

Herzogin: Wegen dieser entsetzlichen Frau. Bei alledem versteht sie sich auch noch so gut anzuziehen – das macht die Sache noch viel schlimmer – und ein schlechtes Beispiel gibt es. Augustus – wissen Sie, mein verrufener Bruder, der Stein des Anstoßes für die ganze Familie – Augustus also ist rein versessen auf sie. Einfach skandalös, denn sie ist in der Gesellschaft ganz unmöglich. Es gibt ja genug Frauen mit einer Vergangenheit; sie soll aber mindestens ein Dutzend haben. Und stimmen tun sie auch alle.

Lady Windermere: Von wem reden Sie denn eigentlich?

Herzogin: Von Mrs. Erlynne.

Lady Windermere: Mrs. Erlynne? Von der habe ich nie etwas gehört. Was hat sie denn mit mir zu tun?

Herzogin: Sie gutes Kind! Agathchen –

Lady Agatha: Ja, Mama?

Herzogin: Geh' doch auf die Terrasse hinaus und sieh dir den Sonnenuntergang an.

Lady Agatha: Ja, Mama. ( Geht hinaus.)

Herzogin ( geht ans Fenster Und sieht ihr nach): Süßes Geschöpf! Sie schwärmt für Sonnenuntergänge – zeugt von solcher Verfeinerung des Gemüts, finde ich. ( Nach vorn.) Das bleibt ewig wahr, über die Natur geht doch nichts, was meinen Sie?

Lady Windermere: Worum handelt es sich denn eigentlich, verehrte Herzogin? Weshalb erzählen Sie mir von dieser Person?

Herzogin: Wissen Sie denn wirklich nichts? Uns geht die Sache allen furchtbar nahe. Erst gestern abend bei Lady Jansen meinte jedermann, wie unglaublich es eigentlich wäre, daß von allen Männern in London gerade Windermere sich derartig benimmt.

Lady Windermere: Mein Mann? Was hat denn er mit irgendeiner Frau dieser Art zu schaffen?

Herzogin: Ja, das frage ich mich eben auch. Das ist es ja gerade. Er besucht sie fortwährend und bleibt gleich auf einmal stundenlang bei ihr. Und wenn er bei ihr ist, empfängt sie niemand sonst. Nicht, daß sie viel Damenbesuch bekäme – aber sie hat eine große Anzahl männlicher Bekanntschaften von zweifelhaftem Ruf – in erster Linie meinen eigenen Bruder, wie ich Ihnen ja schon sagte, – und deshalb sieht die Sache für Windermere doppelt unangenehm aus. Bisher war er in unsern Augen immer ein vorbildlicher Ehemann – an dieser Geschichte aber, fürchte ich, ist kaum mehr zu zweifeln. Meine kleinen Nichten – Sie kennen die Savilleschen Mädchen doch, nicht wahr – nette, häusliche Geschöpfe – häßlich, fürchterlich häßlich, aber so gut, so gut – also die Mädchen sitzen immer am Fenster mit ihren Handarbeiten und machen so allerlei häßliches Zeug für die Armen – ich finde das sehr lobenswert und nützlich von ihnen, heutzutage in unsrer sozialistisch angehauchten Zeit – diese schreckliche Person hat ein Haus in Curzon Street gemietet, gerade gegenüber von Savilles – und dazu in einer so anständigen Straße. Ich weiß wirklich nicht, wo das alles hinaus soll! Die Mädchen also erzählen mir, daß Windermere vier- oder fünfmal die Woche zu ihr kommt – sie sehen es doch mit ihren eigenen Augen. Sie können ja nichts dafür, und wenn sie auch niemals Klatsch und Skandal herumbringen, so – na, so machen sie doch ihre Bemerkungen darüber. Das schlimmste bei der Sache ist – ich habe gehört, diese Person soll eine Menge Geld von irgend jemand bekommen haben. Was sie vor sechs Monaten besaß, als sie nach London kam, das scheint so gut wie nicht der Rede wert gewesen zu sein, und jetzt hat sie das entzückende Haus in Mayfair, fährt jeden Nachmittag mit ihren Ponys im Park – und alles – na, und das alles eben – seitdem sie mit unserm guten Windermere bekannt ist.

Lady Windermere: Nein, das kann ich nicht glauben!

Herzogin: Und es ist doch wahr, liebstes Kind. Ganz London weiß es. Deshalb hatte ich auch die Empfindung, als ob ich besser daran täte, Ihnen die Augen zu öffnen. Ich rate Ihnen, Windermere schleunigst von hier fortzuschaffen – nach Homburg oder nach Aix – irgendwohin, wo ein bißchen was los ist und er Ablenkung findet und Sie ihn den ganzen Tag unter Augen haben. Ich versichere Ihnen, liebe Freundin, in den ersten Jahren meiner Ehe mußte ich mich bei verschiedenen Gelegenheiten krank stellen und die ekelhaftesten Mineralwässer heruntertrinken – nur um meinen Mann aus London wegzubekommen. Er war so ungeheuer leicht empfänglich – allerdings muß ich sagen, er hat niemals irgendwo größere Summen ausgegeben. Dazu hat er denn doch zu strenge Grundsätze – –

Lady Windermere ( unterbrechend): Nein, das ist ganz unmöglich Das ist ganz unmöglich! ( Erhebt sich.) Wir sind ja erst zwei Jahre verheiratet – unser Kind ist erst sechs Monate alt. ( Setzt sich.)

Herzogin: Ach ja, das süße Baby. Was macht er denn, der kleine Liebling? Ist es ein Junge oder ein Mädchen? Hoffentlich doch ein Mädchen – ach richtig, jetzt habe ich's – ein Junge. Das tut mir leid. Jungen sind so ungezogen. Mein Junge ist über alle Maßen bummlig. Sie würden es nicht für möglich halten, wie spät er nach Hause kommt. Und er ist erst ein paar Monate von Oxford zurück – ich weiß wirklich nicht, was ihnen da eigentlich beigebracht wird.

Lady Windermere: Sind denn alle Männer schlecht?

Herzogin: Ja – alle, liebe Freundin, alle durch die Bank, ohne jegliche Ausnahme. Und sie werden auch niemals besser. Männer werden älter, aber nie vernünftig.

Lady Windermere: Wir haben einander aber aus Liebe geheiratet.

Herzogin: Jawohl, so fangen wir an. Bei meinem Mann waren es nur seine unaufhörlichen brutalen Selbstmorddrohungen, die mich dazu gebracht haben, ihn zu nehmen – und ehe das Jahr herum war, lief er schon hinter jedem Weiberrock her – ganz gleich, welche Farbe, welcher Schnitt, welcher Stoff. Soll ich Ihnen die Wahrheit sagen – die Flitterwochen waren noch nicht vorüber, und ich faßte ihn dabei ab, wie er meiner Kammerjungfer Augen machte – einem sehr hübschen, aber riesig anständigen Mädchen. Ich habe sie sofort entlassen, ohne Zeugnis – ach richtig, jetzt habe ich's –, meine Schwester hat sie bekommen. Ihr Mann, Sir George, ist nämlich so kurzsichtig, und da dachte ich mir, es könnte nichts schaden. Aber es hat doch geschadet – eine höchst fatale Geschichte. ( Erhebt sich.) Und jetzt, liebe Freundin, jetzt muß ich aber wirklich gehen. Wir sind zum Diner eingeladen. Und was ich noch sagen wollte – Sie müssen sich Windermeres kleine Irrung nicht so sehr zu Herzen nehmen. Gehen Sie nur ein bißchen mit ihm auf Reisen, dann wird er schon reumütig zu Ihnen zurückkehren.

Lady Windermere: Zu mir zurückkehren?

Herzogin: Jawohl, mein Kind. Diese greulichen Weiber machen uns unsre Männer abspenstig, aber sie kehren dann immer wieder zu uns zurück – allerdings etwas beschädigt. Machen Sie nur ja keine Szenen, – das kann kein Mann vertragen.

Lady Windermere: Wirklich sehr freundlich von Ihnen, mir all das zu hinterbringen. Aber ich kann doch nicht daran glauben, daß mir mein Mann untreu ist!

Herzogin: Liebes, gutes Kind, so war ich früher auch. Jetzt weiß ich, daß alle Männer Scheusale sind. ( Lady Windermere läutet.) Das einzige, was wir machen können, ist, die Kerle gut zu füttern. Ein guter Koch tut Wunder. Und den haben Sie ja, soviel ich weiß. Beste Margaret, Sie werden doch nicht weinen wollen?

Lady Windermere: Sie brauchen keine Angst zu haben –, ich weine nicht.

Herzogin: Daran tun Sie sehr recht, liebe Freundin. Tränen sind die Zuflucht häßlicher Frauen und das Verderben der hübschen. Agatha, mein Herzchen – –

Lady Agatha ( eintretend): Ja, Mama? ( Am Tisch links.)

Herzogin: Komm, verabschiede dich von Lady Windermere und dank' ihr schön für den reizenden Besuch. ( Nach vorn.) Was ich sagen wollte, ich muß Ihnen auch noch für die Einladung an Mr. Hopper danken – das ist der reiche junge Australier, um den man sich jetzt so reißt. Sein Vater hat sich mit irgendeinem Nahrungsmittel in runden Blechbüchsen ein großes Vermögen erworben – sehr schmackhaft, glaube ich – so ein Zeug von der Sorte, denke ich mir, wie es die Dienstboten nie essen wollen. Aber der Sohn ist ein sehr interessanter Mensch. Mir will's scheinen, als ob er an Agathas anregender Unterhaltung viel Gefallen fände. Es würde uns natürlich sehr leid tun, wenn wir uns von ihr trennen müßten, aber ich finde, eine Mutter, die sich nicht in jeder Saison wenigstens von einer Tochter trennt, die hat entweder kein Herz oder keinen Verstand – was noch viel schlimmer ist. ( Lady Windermere läutet.) Abends sind wir ja bei Ihnen. Und denken Sie an meinen Rat, – schaffen Sie den armen Kerl schleunigst aus London fort. Das ist das einzige, was Sie tun können. Nochmals auf Wiedersehen. Komm, Agatha. ( Mit Agatha durch die von Parker offengehaltene Tür ab. Parker ab.)

Vierte Szene

Lady Windermere, dann Lord Windermere, dann Parker.

Lady Windermere: Entsetzlich! Jetzt weiß ich, was Lord Darlington damit meinte – mit seinem Beispiel und dem jungverheirateten Paar nach zweijähriger Ehe. Nein, es kann nicht wahr sein. Sie hat von enormen Geldsummen gesprochen, die er dieser Frau gegeben haben soll. Ich weiß, wo Artur sein Bankbuch aufbewahrt – in einem der Schreibtischfächer. Damit könnte ich es leicht herausfinden. Und ich werde es herausfinden. ( Öffnet eine Schublade.) Nein, es ist nur ein abscheuliches Mißverständnis, irgendeine alberne Skandalgeschichte. ( Zur Mitte zurück.) Er liebt nur mich – nur mich liebt er. Warum sollte ich aber nicht nachsehen? Ich bin seine Gattin; ich habe das Recht dazu. ( Zum Schreibtisch zurück; nimmt und prüft das Bankbuch Seite für Seite; lächelt; Seufzer der Erleichterung.) Ich wußte es ja. Kein Wort ist an der ganzen dummen Geschichte wahr. ( Legt das Bankbuch in die Schublade zurück; erschrickt, nimmt ein zweites Buch heraus.) Noch ein Buch – privat – verschlossen! ( Versucht vergeblich, es zu öffnen; erblickt ein Papiermesser, zerschneidet den Deckel des Buchs, liest auf der ersten Seite): Mrs. Erlynne – sechshundert Pfund, Mrs. Erlynne – siebenhundert Pfund, Mrs. Erlynne – vierhundert Pfund. O mein Gott, also doch wahr – wahr – wahr! Entsetzlich! ( Wirft das Buch zu Boden.)

Lord Windermere ( von rechts eintretend): Ist der Fächer schon geschickt worden, Margaret? ( Erblickt das Buch.) Margaret, du hast mein Bankbuch aufgeschnitten. Dazu hast du kein Recht!

Lady Windermere: Du hältst es für ein Unrecht, daß man dir auf die Spur gekommen ist, nicht wahr?

Lord Windermere: Ich halte es für unrecht, wenn eine Frau ihrem Mann nachspioniert.

Lady Windermere: Ich habe dir nicht nachspioniert. Bis vor einer halben Stunde hatte ich von der Existenz dieser Frau keine Ahnung. Jemand, der Mitleid mit mir hatte, war freundlich genug, mir das zu erzählen, was alle Welt in London schon weiß – von deinen täglichen Besuchen in Curzon Street, von deiner sinnlosen Verliebtheit – von den ungeheuren Geldsummen, die du an dies elende Weib verschwendest. ( Nach vorn.)

Lord Windermere: Margaret! So darfst du von Mrs. Erlynne nicht sprechen – du weißt nicht, wie ungerecht du bist.

Lady Windermere ( sich ihm zuwendend): Du bist ja um Mrs. Erlynnes Ehre ausnehmend ängstlich besorgt. Ich wollte, du wärst um meine ebenso besorgt gewesen.

Lord Windermere: Deine Ehre steht rein und unangetastet da. Du kannst doch keinen Augenblick glauben, daß – – ( Legt das Bankbuch in den Schreibtisch.)

Lady Windermere: Ich glaube, du hast dein Geld auf recht sonderbare Weise verausgabt. Das ist alles. Oh, du brauchst dir nicht einzubilden, daß mir an dem Gelde etwas liegt. Soweit ich in Betracht komme, kannst du alles vergeuden, was wir besitzen. Mir liegt an etwas ganz anderm – daß du, der mich geliebt hat, du, der mich gelehrt hat, dich zu lieben, von der freiwillig gegebenen Liebe zur käuflichen übergehst. Oh, es ist unerhört! ( Aufs Sofa.) Und ich fühle mich erniedrigt – du fühlst nichts dergleichen. Ich fühle mich beschmutzt, besudelt! Du kannst dir keinen Begriff davon machen, wie widerwärtig mir die letzten sechs Monate jetzt vorkommen – jeder deiner Küsse scheint mir in der Erinnerung geschändet.

Lord Windermere ( sich ihr nähernd): Das darfst du nicht sagen, Margaret. Ich habe außer dir auf der ganzen Welt nie jemand geliebt!

Lady Windermere ( sich erhebend): Was ist diese Frau dann also? Warum mietest du ihr ein Haus?

Lord Windermere: Ich habe ihr kein Haus gemietet.

Lady Windermere: Du hast ihr das Geld dazu gegeben – das kommt aufs selbe heraus.

Lord Windermere: Margaret – soweit ich Mrs. Erlynne kenne –

Lady Windermere: Gibt es auch einen Mr. Erlynne – oder gehört er ins Reich der Fabel?

Lord Windermere: Ihr Mann ist vor vielen Jahren gestorben. Sie steht ganz allein in der Welt.

Lady Windermere: Keine Verwandten? ( Pause.)

Lord Windermere: Keine.

Lady Windermere: Etwas eigentümlich, nicht wahr?

Lord Windermere: Margaret, ich wollte dir gerade sagen – und ich bitte dich, mich anzuhören – soweit ich Mrs. Erlynne: kenne, hat sie vollkommen einwandfrei gelebt. Wenn allenfalls vor Jahren – –

Lady Windermere: Oh – ich wünsche keine nähern Einzelheiten aus ihrer Lebensgeschichte.

Lord Windermere: Ich denke gar nicht daran, dich mit Einzelheiten über ihr Leben zu behelligen. Nur das eine will ich dir sagen – Mrs. Erlynne war früher einmal hochgeehrt, geliebt und geachtet. Sie stammt aus gutem Hause. Sie hat in der Gesellschaft eine Stellung eingenommen – sie hat sie verloren – von sich geworfen, wenn es dir so lieber ist. Um so bitterer. Unglück kann man ertragen – das kommt von außen, das ist ein Werk des Zufalls. Für seine eigenen Fehler aber büßen zu müssen, – ja – das nagt am Leben. Es ist übrigens auch schon zwanzig Jahre her. Sie war selbst damals noch ein halbes Kind – nicht einmal so lang verheiratet wie du.

Lady Windermere: Sie interessiert mich nicht im geringsten. Und du – du solltest dies Weib niemals mit mir in einem Atem nennen. Das ist eine Geschmacklosigkeit. ( Setzt sich.)

Lord Windermere: Margaret, du könntest diese Frau retten – sie will wieder in die Gesellschaft zurück, und sie hofft dabei auf deine Hilfe. ( Nähert sich ihr.)

Lady Windermere: Auf meine?

Lord Windermere: Ja, auf deine.

Lady Windermere: Unglaubliche Frechheit! ( Pause.)

Lord Windermere: Margaret, ich wollte dich um einen großen Gefallen bitten, und ich bitte dich auch jetzt noch darum, wenn du auch etwas entdeckt hast, was ich dir für immer zu verbergen beabsichtigte, – daß ich Mrs. Erlynne eine größere Summe habe zukommen lassen. Es wäre mir sehr lieb, wenn du ihr eine Einladung für heute abend schicktest. ( An ihrer Seite.)

Lady Windermere: Du bist wahnsinnig! ( Erhebt sich.)

Lord Windermere: Ich bitte dich dringend darum. Die Leute mögen ja über sie reden – sie tun es sogar, selbstverständlich – aber mit Bestimmtheit kann keiner etwas Nachteiliges gegen sie vorbringen. Sie ist schon in verschiedenen Häusern empfangen worden – nicht gerade die Leute, zu denen du gehen würdest, das gebe ich ja zu – aber immerhin solche Familien, bei denen Damen aus der sogenannten guten Gesellschaft heutzutage verkehren. Das genügt ihr aber nicht. Sie will auch von dir einmal empfangen werden.

Lady Windermere: Das soll wohl eine Art Triumph für sie sein?

Lord Windermere: Keineswegs. Nur kennt sie dich als eine gute Frau, und sie weiß daher, daß sie Aussicht auf ein glücklicheres und gesichertes Leben hat als früher, wenn sie einmal von uns empfangen worden ist. Weitere Bemühungen, in engern Verkehr mit dir zu treten, wird sie nicht machen. Willst du einer Frau, die wieder in die Höhe kommen möchte, nicht behilflich sein?

Lady Windermere: Nein! Eine Frau, die wirklich bereut, will niemals wieder in die Gesellschaft zurück, die ihren Ruin heraufbeschworen oder mit angesehen hat.

Lord Windermere: Ich bitte dich darum.

Lady Windermere ( zur Tür rechts): Ich muß mich jetzt umkleiden. Ich bitte dich, erwähne diese Angelegenheit heute abend nicht wieder, Artur. ( Zu ihm zurück.) Weil ich keinen Vater und keine Mutter habe, weil ich allein in der Welt stehe, deshalb denkst du dir vielleicht, mit mir umspringen zu können, wie es dir gerade beliebt. Du irrst – ich habe Freunde – viele Freunde.

Lord Windermere: Was du da sprichst, Margaret, ist kindisch und unüberlegt. Ich will mich nicht auf Erörterungen mit dir einlassen. Aber ich muß darauf bestehen, daß du Mrs. Erlynne für heute abend eine Einladung zukommen läßt.

Lady Windermere: Ich denke nicht daran.

Lord Windermere: Du weigerst dich?

Lady Windermere: Aufs entschiedenste!

Lord Windermere: Margaret, tu es um meinetwillen. Es ist ihre letzte Chance.

Lady Windermere: Was geht das mich an?

Lord Windermere: Wie hartherzig gute Frauen doch sind.

Lady Windermere: Wie schwach schlechte Männer doch sind.

Lord Windermere: Margaret, es mag ja wohl sein, daß keiner von uns für die Frau, die wir heiraten, gut genug ist – das ist vollkommen wahr. Aber du kannst unmöglich auf den Gedanken kommen, ich wäre jemals imstande – nein, schon die bloße Voraussetzung ist ungeheuerlich.

Lady Windermere: Warum solltest du anders sein als die übrigen Männer? Mir ist gesagt worden, in ganz London wäre kaum ein einziger Ehemann, der sein Leben nicht in irgendeiner schändlichen Leidenschaft vergeudet.

Lord Windermere: Zu denen gehöre ich nicht.

Lady Windermere: Dessen bin ich nicht so sicher.

Lord Windermere: Im Innersten deines Herzens bist du doch sicher. ( Sich ihr nähernd.) Reiße die Kluft zwischen uns beiden nicht immer mehr auf. Gott weiß, die letzten Minuten haben uns weit genug voneinander getrennt. Setz' dich hin und schreibe die paar Zeilen.

Lady Windermere: Nichts in der Welt könnte mich dazu bringen.

Lord Windermere ( an den Schreibtisch gehend): Dann schreibe ich. ( Läutet; setzt sich nieder, schreibt.)

Lady Windermere: Du ladest diese Frau ein? ( Nähert sich ihm.)

Lord Windermere: Jawohl. ( Zum eintretenden Parker.) Parker –

Parker: Mylord befehlen?

Lord Windermere: Dieser Brief soll sofort an Mrs. Erlynne, Curzon Street 84 a, geschickt werden, ( übergibt dem Diener das Schreiben.) Keine Antwort. ( Parker ab.)

Lady Windermere: Artur, wenn diese Frau hierher kommt, so werde ich sie bloßstellen.

Lord Windermere: Margaret!

Lady Windermere: Mein voller Ernst.

Lord Windermere: Mein großes Kind, wenn du dazu fähig wärst – in ganz London wäre keine Frau, der du nicht recht herzlich leid tätst.

Lady Windermere: In ganz London wäre keine gute Frau, die mir nicht zustimmte. Wir sind ohnedies viel zu duldsam gewesen. Wir müssen ein Exempel statuieren. Ich beabsichtige, gleich heute abend den Anfang damit zu machen. ( Nimmt den Fächer.) Jawohl, diesen Fächer habe ich heute von dir bekommen – dein Geburtstagsgeschenk. Wenn die Frau meine Schwelle überschreitet, so schlage ich ihr mit diesem Fächer ins Gesicht.

Lord Windermere: Margaret, das könntest du nicht über dich bringen.

Lady Windermere: Du kennst mich noch nicht. ( Läutet.)

Parker ( eintretend): Mylady befehlen?

Lady Windermere: Ich esse heute auf meinem Zimmer – das heißt, ich werde überhaupt nicht dinieren. Sorgen Sie dafür, daß um halb elf Uhr alles fertig ist. Noch eins! Parker – bemühen Sie sich, die Namen der Gäste nachher recht deutlich auszusprechen. Sie melden manchmal so schnell, daß mir die Namen entgehen. Mir liegt besonders viel daran, sie ganz deutlich zu hören, damit ich mich dann nicht täusche. Verstehen Sie, Parker?

Parker: Jawohl, Mylady.

Lady Windermere: So – weiter nichts. ( Parker ab. Zu Lord Windermere): Wenn diese Frau hierher kommt – ich warne dich –

Lord Windermere: Du beschwörst selbst unser Unheil herauf.

Lady Windermere: Unser? Von diesem Augenblick an trennen sich unsre Wege. Wenn dir aber daran liegt, einen öffentlichen Skandal zu vermeiden, so schreibe dieser Person sofort, daß ich ihr verbiete, mein Haus zu betreten.

Lord Windermere: Ich werde nicht – ich kann nicht. Sie muß kommen.

Lady Windermere: Dann werde ich das, was ich gesagt habe, auch ausführen. Du läßt mir keine Wahl. ( Ab.)

Lord Windermere ( ihr nachrufend): Margaret, Margaret! ( Pause.) Großer Gott! Was soll ich tun? Ich habe nicht den Mut dazu, ich kann es ihr nicht sagen, wer diese Frau in Wirklichkeit ist. Sie würde vor Scham sterben. ( Läßt sich auf einen Stuhl nieder und verbirgt das Gesicht in den Händen.)

( Vorhang.)


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