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Nach dem Ausspruch des berühmten David Hume (History of England, Vol. II. chap. IX.) ist das Zuverlässigste, was die alten Geschichtschreiber von der schönen Rosemunde berichten: »daß sie eine Tochter des Lord Clifford und König Heinrichs des Zweiten Beischläferin gewesen und ihm zwei natürliche Söhne geboren habe, den Richard, Longespée oder Londsword zugenannt, der in der Folge mit Ela, der einzigen Tochter und Erbin des Grafen von Salisbury, vermählt wurde, und Gottfried, ersten Bischof von Lincoln und nachmaligen Erzbischof von York.« Alle übrigen Umstände, sagt Hume, welche gewöhnlich von dieser Dame erzählt werden, scheinen fabelhaft zu seyn. In der That hat man hinlängliche Ursache, anzunehmen, daß das Vorgeben, sie sey als ein Schlachtopfer der Eifersucht der Königin Eleanor in der Blüthe ihres Lebens gefallen, und die besondern Umstände ihres Todes, wie sie in einem bekannten alten englischen Volksliede erzählt werden, keine bessere Würdigung verdienen. Die gleichzeitigen Chronikenschreiber sagen nichts von einer gewaltsamen Todesart; und wenn gleich einige, als Stow, Hollingshed und Speed, darin übereinstimmen, daß sie ihren Tod für eine Folge der harten Begegnungen, welche Rosemunde von der Königin erlitten, ausgeben, so sind sie doch in ihren Ausdrücken darüber so verschieden, daß man (wie der Herausgeber der Relicks of Anc. Engl. Poetry bemerkt) eben so wohl vermuthen kann, daß diese harte Begegnung in 412 wörtlichen Beleidigungen und Drohungen, als in wirklichen Thätlichkeiten bestanden haben könne. Im Mund einer so stolzen Königin, wie Eleanor von Guyenne war, kann ein Wort so gut als ein Dolch seyn: und wiewohl ihre Geschichte einen Charakter zeigt, dem man, wo es auf Befriedigung ihrer Leidenschaften ankam, Alles zutrauen darf, und wiewohl sie in einem Zeitalter lebte, wo, sich seine Feinde durch Gift und Dolch vom Halse zu schaffen, eben nichts Ungewöhnliches war; so ist doch nicht zu glauben, daß sie, ohne einen Nothfall, der hier nicht wohl denkbar ist, sich einer Gewaltthat schuldig gemacht haben sollte, wodurch sie einen Fürsten von so stürmischen Leidenschaften, wie Heinrich der Zweite, dem sie ohnehin verhaßt genug war, zur äußersten Wuth und Rache getrieben haben würde.
Der Umstand, daß man auf Rosemundens Grabstein in dem Frauenkloster zu Godstow, bei Secularisirung des letztern, die Figur eines Pokals eingehauen fand, scheint mir nichts gegen diese Meinung zu beweisen: denn, aller Wahrscheinlichkeit nach, wurde dieser Grabstein erst lange nach Rosemundens Tode und also zu einer Zeit, da die Sage von ihrer Vergiftung schon Wurzeln gefaßt hatte, gelegt. Folgende Umstände scheinen mir diese Vermuthung sehr glaubwürdig zu machen.
»Als Rosemunde gestorben war, wurde ihr Leichnam nach dem Kloster Godstow gebracht und daselbst mitten im Chor begraben, vermuthlich ihrem letzten Willen zufolge und aus Vorliebe zu diesem Kloster, worin sie erzogen worden war. Lord Clifford, ihr Vater, war ein großer Wohlthäter desselben gewesen, und auch König Heinrich hatte den Nonnen zu Godstow, um Rosemundens willen, viel Gutes gethan. Im Jahre 1191, welches das dritte der Regierung König 413 Richard des Ersten (Coeur de Lion) war, kam Hugo, Bischof von Lincoln, in die Kirche zu Godstow, um sein Gebet zu verrichten; und wie er in den Chor trat, erblickte er ein Grab, das mit einem seidenen Leichentuch bedeckt und ringsum mit Wachslichtern besetzt war. Er fragt, wessen Grab das sey? und man antwortet ihm, Rosemundens, einer ehemaligen Beischläferin des letztverstorbenen Königs, der um ihretwillen dem Kloster viel Gutes gethan habe. Wenn das ist, versetzte der strenge Prälat, so schafft diese H**e weg von diesem Platze und begrabt sie außerhalb der Kirche, damit die christliche Religion nicht um ihretwillen Vorwürfe leiden müsse, und auf daß andere Weibsbilder sich an ihrem Beispiele spiegeln und vor unerlaubtem Umgang mit Mannsleuten sich hüten lernen!«
Diese Erzählung hat den Hoveden, einen ansehnlichen gleichzeitigen Geschichtschreiber, zum Gewährsmann und scheint daher Glauben zu verdienen; wiewohl es sonderbar genug ist, daß Hugo von Lincoln nicht gewußt haben sollte, daß sein Vorgänger auf diesem bischöflichen Sitze und damaliger Erzbischof von York ein leiblicher Sohn dieser Rosemunde war, und, wenn er's gewußt, daß er den Gebeinen der Mutter eines Primaten von England und Sohnes seines vor Kurzem verstorbenen Königs so unanständig hätte begegnen sollen. Nicht zu gedenken, daß er bei dieser Gelegenheit sich billig der heiligen Maria Magdalena und der heiligen Maria der Aegypterin hätte erinnern sollen, welche beide der schönen Rosemunde über den Punkt, der dem Bischof so ärgerlich war, wenig vorzuwerfen hatten.
Ob nun gleich zu vermuthen ist, daß der Befehl des Bischofs sogleich vollzogen werden mußte, so fanden doch die gutherzigen und dankbaren Schwestern zu Godstow in der 414 Folge Gelegenheit, dem Andenken der liebenswürdigen Wohlthäterin ihres Hauses wieder die gebührende Ehre zu erweisen. Vermuthlich geschah dieß, als König Johann (ein Fürst, der sonst bekannter Maßen geneigter war, die Kirchen zu plündern, als zu beschenken) nach dem Zeugnisse des Dr. Barcham, eines andern Geschichtsschreibers dieser Zeit, das in Verfall gerathene Kloster repariren ließ und mit jährlichen Einkünften begabte, »damit diese heiligen Jungfrauen den Seelen seines Vaters Heinrich und der bei ihnen begrabenen Rosemunde durch ihr Gebet die ewige Ruhe verschaffen möchten.« Wahrscheinlich war es bei dieser Gelegenheit, daß Rosemundens Grab den Grabstein erhielt, der sich im sechzehnten Jahrhundert bei Aufhebung des Klosters noch vorfand und mit demselben zerstört wurde. »Er war ringsum mit einer Einfassung von Rosen und Laubwerk geziert, und in der Mitte war der Becher eingehauen, aus welchem sie das von der Königin ihr gereichte Gift trank,« sagt Thomas Allen, der wie ein Augenzeuge von der Sache spricht. Die Vermuthung des Herausgebers der Relicks of Anc. Engl. Poetry – »daß eben dieser Becher, der vielleicht nur eine zufällige Zierrath gewesen, in der Folge zu dem Wahn, daß Rosemunde vergiftet worden, Anlaß gegeben haben könnte,« – steht auf einem sehr schwachen oder vielmehr auf gar keinem Fuße. Diese populäre Sage hat sich, wie viel eher zu vermuthen ist, bald nach dem Tode dieser Dame zu einer Zeit entsponnen, da Heinrichs große Liebe zu ihr und die Eifersucht der Königin und die Umstände, welche der Meinung, daß sie ein Opfer der letztern geworden, einen Anstrich von Wahrscheinlichkeit gaben, noch in frischem Andenken waren. Wie ein Becher blos zufälliger Weise zu der Ehre hätte kommen sollen, eine Verzierung auf Rosemundens Grabstein 415 zu werden, ist nicht wohl begreiflich. Hingegen konnte sich binnen vierzig bis fünfzig Jahren jene Volkssage gar wohl fest genug gesetzt haben, um begreiflich zu machen, warum man den Becher als Symbol ihrer nun allgemein geglaubten Todesart auf ihren Grabstein hauen ließ. Denn so viel Zeit war wenigstens zwischen Errichtung des letztern und Rosemundens Tod verflossen, wenn man auch mit dem neuern Geschichtschreiber Karte annimmt, daß Rosemunde erst kurz vor dem Aufstand der Söhne Heinrichs gegen ihren Vater, der im Jahre 1173 ausbrach, gestorben, und die von König Johann dem Kloster zu Godstow gemachte Schenkung bald nach seiner Wiederaussöhnung mit der Kirche im Jahre 1213 erfolgt sey.
Auch der berühmte Labyrinth oder Bower der Rosemunde (ein anderer Hauptumstand der fabelhaften Sage, die der bekannten Ballade zum Grunde liegt) scheint, eben so wie ihre vorgebliche Vergiftung, aus einem blosen Mißverstande und aus der herrschenden Volksneigung, bei der kleinsten Veranlassung einer ganz natürlichen und gewöhnlichen Sache eine wunderbare Gestalt zu geben, entstanden zu seyn. A bower oder a boure (wie dieß Wort im dreizehnten Jahrhundert geschrieben wurde) bezeichnete damals ungefähr eben das, was die Franzosen ein Apartement nennen. Rosemunde, sagt ein alter prosaischer Paraphrast der versificirten Chronik des Robert von Glocester,Warton, der mir diese Facta und ihre Quellen verschafft, setzt die Zeit, da dieser Mönch seine Chronik geschrieben, um das Jahr 1280. Sie beginnt mit dem fabelhaften Stifter der englischen Monarchie, Brut, und geht bis auf Eduard den Ersten. hatte Zimmer (boures), die ihr König Heinrich erbauen lassen, in den königlichen Schlössern zu Waltham, Winchester, im Park von Freemantel, zu 416 Martelston, zu Woodstock und an vielen andern Orten. Diese Zimmer erhielten noch lange hernach den Namen Rosamonds-Chamber, und Leland erwähnt in seinem Itinerarium eines Thurmes in dem stattlichen alten Schlosse zu Pickering in Yorkshire, der noch zu seiner Zeit (unter König Heinrich dem Achten) Rosamunds Thurm genannt wurde. Zur Bestätigung, daß Bower und Zimmer einerlei war, findet sich in dem lateinisch verfaßten Inventar der königlichen Möbeln oder der sogenannten Pipe-roll aus König Heinrich des Dritten Zeit eine Camera Rosamundae zu Winchester erwähnt. welche nach der natürlichsten Vermuthung, nicht (wie Warton meint) ein Zimmer, wo Rosemundens Bildniß hing, sondern das nämliche Zimmer war, welches Heinrich der Zweite vermöge des vorangeführten Zeugnisses zu Winchester für sie hatte einrichten lassen. Rosemunde hatte also nicht nur ein Bower oder Apartement zu Woodstock, sondern allenthalben, wo sich der König, ihr Liebhaber, aufzuhalten pflegte. Wahrscheinlich hatten diese Zimmer einen geheimen Zusammenhang mit den königlichen, oder waren sonst so angebracht und eingerichtet, daß Niemand als der König selbst, oder wer die Erlaubniß dazu von ihm erhielt, den Zugang zu selbigen finden konnte. Vielleicht war auch das zu Woodstock, weil Rosemunde sich während der Abwesenheit des Königs daselbst aufhielt, noch behutsamer und geheimnißvoller gebaut, und dieß gab in der Folge, als die Geschichte dieser Schönen nach und nach mit allerlei romantischen Zusätzen ausgeschmückt wurde, Gelegenheit zu der Fabel von ihrem labyrinthähnlichen Bower zu Woodstock. Nachdem dann einmal die Idee von Labyrinth damit verbunden war, so begreift sich von selbst, wie man auch darauf verfiel, andere Umstände aus der Geschichte des Theseus (der sich mit Hülfe 417 eines von Ariadnen empfangenen Zwirns in den Labyrinth von Kreta hinein und wieder herausgefunden) hinzu zu thun und der Sache dadurch einen stärkern Anstrich von Romanhaftigkeit zu geben.
Auf diese Weise bekommt nun freilich die Geschichte der schönen Rosemunde eine sehr glaubwürdige, aber auch ziemlich alltägliche Gestalt; dafür thut sie aber auch in derselben die Wirkung nicht, welche sie in der Volkssage thut. Der Verfasser der Ballade, Addison, der Urheber der englischen Oper Rosamond, und der Verfasser des deutschen Singspiels dieses Namens hielten sich, wie billig, an die letztere. Denn was gehen den Dichter die historischen Umstände einer Begebenheit an? Bei ihm ist die Frage nie, wie eine Sache sich wirklich zugetragen, sondern, wie sie sich hätte zutragen müssen, um so angenehm, unterhaltend oder rührend zu seyn, als es sein und des Lesers Interesse ist sie zu machen.