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Die Menschen, womit Deukalion und Pyrrha das alte Gräcien bevölkerten, waren anfänglich ein sehr rohes Völkchen; so, wie man es von Leuten erwarten mag, die aus Steinen Menschen geworden waren.
Sie irrten, mit Fellen bedeckt, in dunkeln Eichenhainen, Der Mann mit der Keule bewehrt, das Weib mit ihren Kleinen Nach Affenweise behangen; und sank die Sonne, so blieb Ein jedes liegen, wohin der Zufall es trieb. |
Der Baum, der ihnen Schatten gab, Warf ihre Mahlzeit auch in ihren Schoß herab; Und war er hohl, so wurde bei Nacht Aus seinem Laub ihr Bett' in seine Höhle gemacht. |
Ich weiß nicht, Danae, wie geneigt Sie sich fühlen, es dem Verfasser der Neuen Heloise zu glauben, daß dieses der selige Stand sei, den uns die Natur zugedacht habe. Aber, wenn wir alle die Übel zusammen rechnen, wovon diese Kinder der rohen Natur keinen Begriff hatten, so ist es unmöglich, ihnen wenigstens eine Art von negativer Glückseligkeit abzusprechen.
Und ein Dichter – was können wir Dichter nicht, wenn wir uns in den Kopf gesetzt haben, einen Gegenstand zu verschönern?
Auch, hätte nicht der Maler und Poet Das Recht, ins Schönere zu malen, Wo bliebe die Magie des schönen Idealen, Das Übermenschliche, wovon die Werke strahlen, Vor denen still entzückt der ernste Kenner steht; Der Reiz, wozu die rohe Majestät Und Einfalt der Natur das Urbild nie gegeben, Die Danaen, die Galatheen und Heben? |
Das heißt ein wenig ausgeschweift, schöne Freundin; denn ich wollte Ihnen nur sagen, das Original zum goldnen Alter der Poeten sei vielleicht nichts besseres gewesen, als der Stand solcher Wilden,
Die, ohne zu pflanzen, zu ackern, zu säen, Mit Müßiggang sich, auf Kosten der Götter, begehen; |
wie Homer von den alten Bewohnern des schönen Siciliens sagt.
Soll ich Ihnen eine Probe geben, wie ein Dichter diesen Stand verschönern würde?
Wo ist der Mann, der sich in seinem Stande Zu wohl gefällt, Um, wenigstens im Nachtgewande, Sich nicht ganz leise zurück in eine Welt Zu sehnen, wo Mutter Natur, wohltätig wie Urgande, Die Beste der Feen, es auf sich selbst noch nahm, Das Glück von ihren Kindern zu machen, Und frei von Gesetzen, Bedürfnis und Gram, Den Glücklichen, unter geselligem Lachen, Beim ewigen Fest, in Lauben von wildem Schasmin, Der Stunden zirkelnder Tanz Ein seliger Augenblick schien? Die Götter selbst, gelockt von sanfterm Glücke, stiegen Dem Gott der Dichter kam sogar |
Was sagen Sie, Danae? wie manch liebliches Gemälde würd uns nicht ein poetischer Watteau aus diesen ohne Ordnung hingeworfnen Bildern zusammen setzen? – Was für glückliche Leute die Menschen des goldnen Alters waren!
Ihr ganzes Leben ist Genießen! Sie wissen nicht (beglückt, es nicht zu wissen!), Daß außer ihrem Stand ein glücklich Leben sei; Und träumen, scherzen, singen, küssen Ihr Dasein unvermerkt vorbei. |
Wer sollte denken, daß jene Autochthonen (erschrecken Sie nicht vor dem gefährlichen Worte!), jene rohen Kinder der Mutter Erde, die wir, mit zottigen Fellen bedeckt, unter Eichen und Nußbäumen herum liegen sahen, – Geschöpfe, die in diesem Zustande den großen Affen in Ostindien und Afrika nicht so gar ungleich sehen mochten, – und diese glücklichen Kinder des goldnen Alters, eben dieselben sein sollten?
Aber wie hätten sie auch etwas besseres sein können, eh sich die Grazien mit den Musen vereinten, um Geschöpfe, welche die Natur nur angefangen hatte, zu Menschen auszubilden; sie die Künste zu lehren, die das Leben erleichtern, verschönern, veredeln; ihren Witz zugleich mit ihrem Gefühl zu verfeinern, und tausend neue Sinne dem edlern Vergnügen in ihrem Busen zu eröffnen?
Die Grazien waren in diesen Zeiten noch unbekannt.
Kein Dichter hatte sie noch mit aufgelöstem Gürtel Am stillen Peneus tanzen gesehn; Im schönsten Tale der Welt entzog sie die ländliche Hütte Den Augen der Götter und Sterblichen noch. |
»Und wie so?« fragen Sie –
In der Tat war die Sache ein Geheimnis. Ihre Mutter hatte vermutlich Ursachen. Aber, da diese Ursachen längst aufgehört haben, und da ich Ihnen, schöne Danae, vielleicht noch geheimere Dinge verraten werde, so sollen Sie alles wissen!
Sie müssen von den Dichtern oft gehört haben, daß Venus die Mutter der Grazien sei; aber nicht jedermann kennt ihren Vater. Man hat verschiedentlich von der Sache gesprochen. Hier haben Sie die Anekdote frisch von der Quelle.
Als die neu entstandene Venus, von Himmel und Erde mit verliebtem Entzücken angeschaut, den Wellen entstieg, konnten die Götter nicht einig werden, welchem von ihnen sie zugehören sollte. Das kürzeste wäre gewesen, die junge Göttin der Wahl ihres eigenen Herzens zu überlassen. Aber so schüchtern macht die Liebe, daß keiner von den Göttern sich liebenswürdig genug glaubte, den Vorzug vor seinen Nebenbuhlern zu erhalten. Eben so wenig konnten sie sich entschließen, das Los den Ausspruch tun zu lassen. Die Sache blieb also eine geraume Zeit unentschieden, und würde vielleicht immer so geblieben sein, wenn nicht endlich Momus den Einfall gehabt hätte: um Alle zufrieden zu stellen, könnte man nichts besseres tun, als sie dem Häßlichsten geben.
Der Einfall wurde mit allgemeinem Klatschen aufgenommen. Vulkan war der Glückliche; und die Götter machten sich an seiner Hochzeit so lustig, als ob jeder seine eigene beginge.
Der gute Vulkan! Er schmeichelte sich – Aber was für einen Grund konnt er auch haben, sich zu schmeicheln? – Die Tugend der Liebesgöttin? Welch ein Grund! Doch desto besser für ihn, daß er in diesem Stücke wie viele Sterbliche dachte!
Venus hatte indessen, daß die Götter unschlüssig waren, ihre Zeit nicht verloren. Sie war ganz heimlich – Mutter der Grazien geworden. Hören Sie, wie es zuging!
Noch hatte sie Amathunt nicht zu ihrem Sitz erkiest; Zu jung, sich die Lust des Wechsels zu versagen, Ließ sie, die Welt zu sehn, und, wie natürlich ist, Gesehn zu werden von ihr, auf einem schönen Wagen Bald da bald dorten hin Von ihren Schwanen sich ziehn. Die Zephyrn flattern voran, mit Blumen jedes Gestad, Wohin sie absteigt, dicht zu bedecken, Und jedes einsame Bad, Worin sich die Göttin erfrischt, umweben Rosenhecken. |
Alle diese reizvollen Gegenden, welche noch immer in den Werken der Griechischen und Römischen Dichter blühen, die schönen Ufer des Eurotas und die Thessalische Tempe, das blumichte Enna, durch Proserpinens Entführung berühmt, der aromatische Hybla, das rosenvolle Cythere, und die wollüstigen Haine von Daphne, deren Reiz mächtig genug war, selbst den stoischen Marcus Antoninus eine Zeit lang der Sorgen für die Welt vergessen zu machen, – kurz, die schönsten Örter der Welt hatten ihre Vorzüglichkeit diesen Lustreisen der jungen Venus zu danken. Keiner wurde ohne Merkmale ihrer Gegenwart gelassen. Irdische Paradiese, und Inseln, gleich den Inseln der Seligen, blühten unter ihren Blicken auf. Ein ewiger Frühling nahm davon Besitz. Wildnisse verwandelten sich in Hesperische Gärten, und allenthalben boten Myrtenwäldchen oder Rosenbüsche den Liebenden ihren Schatten an.
Denn, auch die Halbgötter, welche damals noch die Erde bewohnten, und vornehmlich die Menschen, erfuhren die Wirkungen ihrer Gegenwart.
Die Nymphe, sonst zu spröd, um einem männlichen Schatten Nur im Vorübergehn die Freiheit zu gestatten Sich mit dem ihrigen zu gatten, Schmilzt plötzlich in Gefühl, und irrt beim Mondenlicht In eines alten Hains nicht allzu sichern Schatten: Ein Faun mit offnem Arm und glühendem Gesicht Eilt auf sie zu, und sie, sie fliehet – nicht. |
Der Schäfer, der zu Chloens Füßen Von Liebesschmerzen halb entseelt Ihr seine Leiden vorgezählt, Gedroht, er werde sterben müssen, Geseufzt, geweint, und stets ihr Herz verfehlt, Wird plötzlich kühn, fängt an zu küssen; Und sie, anstatt auf Einen Blick Ihn, wie er wähnte, tot zu schießen, Dreht lächelnd sich von seinen Küssen, Und gibt sie endlich gar – zurück. |
Und Tithon, den Aurorens schöne Brust Und seelenvoller Blick vergebens Ins Dasein rief, erwacht zur längst entwöhnten Lust, Und sucht in ihrem Blick, auf ihrer schönen Brust Zum letzten Male die Freuden des Lebens. |
Vor allen andern Gegenden der Welt liebte Venus die anmutsvollen Gefilde, die sich am Fuße des Syrischen Amanus verbreiten; Sie erwählte die junge Göttin, die Szene ihrer schönsten Siege zu sein.
Hier war es, wo sie einst den jungen Bacchus fand, den Sohn Jupiters und der schönen Semele, den die Hyaden in einer Grotte des Berges Nysa erzogen hatten. Sie fand ihn, müde von der Jagd, auf Efeu und Rosen liegen.
O! könnt ich ihn malen, Danae! Ihr eigenes Herz sollte Ihnen dann sagen, was die junge Göttin der Liebe bei seinem Anblick empfand.
»So versuchen Sie es wenigstens!« –
Ich will, wofern Sie mir erlauben, daß ich die Farben zu meinem Gemälde von Winckelmann borge.
So eben betrat er die Grenzen Des wollustatmenden Lenzen Der ewigen Jünglingschaft. Sein Atem glich den Lüften Worin sich Rosen verdüften, Und seine wallenden Hüften Bläht jugendliche Kraft. |
Zärtlichkeit und süße Schalkheit blitzen Aus den schwarzen Augen; und, wie zarte Spitzen Junger Pflanzen, drückt der Keim, der Lust Sanft hervor aus seiner Rosenbrust. |
Kurz – Sie kennen ja das schönste Lied des Gleims der Griechen? – Anakreon hätte seinen Bathyll zu sehen geglaubt.
Er lag in der grünlichen Nacht Vom schönsten Myrtenbaume Halb schlummernd, halb erwacht, In einem entzückenden Traume, Und schien die Bilder, die noch um seine Augen lachen, Zu sammeln und sich wahr zu machen. |
Hätte der Zufall beide junge Götter in einem günstigern Augenblick überraschen können? Und wie hätte die Göttin der Liebe – sagen Sie, Danae! – wie hätte sie einem so lieblichen Knaben nicht gewogen werden sollen?
Cythere war schön und empfindlich, Und Bacchus empfindlich und schön. Wie konnt es anders ergehn? Sie lieben, so bald sie sich sehn. Baumgarten beweist es uns gründlich, Es konnte nicht anders ergehn! |
Die junge Venus war nie so schön gewesen als in diesem Augenblicke. Sie, die den Geist der Liebe über alles ausgoß was ihre Blicke berührten, hatte selbst noch nie geliebt. Ein Seufzer, der erste, der mit wollüstigem Schmerz aus ihrer errötenden Brust empor arbeitete, sagt' ihr, sie liebe.
Der erste Seufzer der Liebesgöttin! – Wie glücklich war der Unsterbliche, dem dieses Erröten, dieser Seufzer ihre Rührungen gestand! Der junge Bacchus fühlte itzt zum ersten Male daß er mehr als ein Sterblicher sei. Und wohl kam es ihm! Kein Sterblicher hätte die Gewalt des Entzückens ertragen können, mit welchem er in ihre Arme flog.
Vergessen Sie nicht, Danae, daß er noch beinah ein Knabe war, und so liebenswürdig, so unschuldig, und doch bei aller seiner Unschuld so verführerisch aussah, daß es nicht möglich war, sich in Verfassung gegen ihn zu setzen.
Diana hätte vielleicht in diesem Augenblicke Sich eben so wenig zu helfen gewußt. Die Göttin meint, sie drück' ihn – sanft zurücke, Und drückt ihn sanft – an ihre Brust. |
Die poetischen Götter sind nicht immer die Gebieter der Natur. Es gibt Fälle, wo sie ihr eben so untertan sind als wir armen Sterblichen. Der junge Bacchus und die junge Cythere überließen sich, in aller Unschuld der Unerfahrenheit, den süßen Empfindungen, deren Gewalt sie zum ersten Male fühlten.
Sei'n Sie ruhig, Danae! – Ich unterdrücke würklich ein halbes Dutzend Verse, wiewohl es vielleicht die schönsten sind, die mir jemals eingegeben wurden. Und doch – wenn ich dächte, Sie glaubten ich unterdrücke sie nur, weil es mir so bequemer sei –
»Nein! Nein! ich glaube nichts zu Ihrem Nachteil; man kennt die Wärme Ihres Pinsels! Lassen Sie immer –«
Ein schönes dicht verwebtes Rosengebüsche um das Gemälde sich herziehn, das ich machen wollte; nicht wahr? –
Ihr Wink soll vollzogen werden, Danae: hier steht es!