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1775.
Neben der berühmten Wartburg bei Eisenach stand vor Zeiten eine Burg, die (nach einigen Chroniken) schon in der Mitte des fünften Jahrhunderts von einem von Frankenstein erbaut, siebenhundert Jahre darauf von der Herzogin Sophia von Brabant, während ihrer Händel mit dem Markgrafen von Meißen, Heinrich dem Erlauchten, wieder aus den Ruinen gezogen worden, nun aber nur noch wenige Spuren ihres ehemaligen Daseyns aufzuweisen hat. Diese Burg hieß der Mittelstein, woraus der Name Mädelstein entstanden, den der Berg noch heutiges Tages in der Gegend führt. Auf diesem Mädelstein ragen zwei Felsenspitzen hervor, die von ferne, und wenn die Einbildungskraft das Ihrige beiträgt, wie zwei sich umarmende menschliche Figuren aussehen. Das gemeine Volk glaubte vor Zeiten (und glaubt vielleicht noch), diese zwei Steine seyen ein Mönch und eine Nonne gewesen, die aus wechselseitiger Liebe dem Kloster entsprungen und sich auf diesen Berg geflüchtet, daselbst aber, zur Strafe ihres Verbrechens und Andern ihres Gleichen zum abscheulichen Exempel, in dem Augenblicke, da sie sich umarmen wollen, in Stein verwandelt worden seyen. Diese alte Sage konnte vielleicht zu nichts Besserm dienen, als daß sie die Entstehung des gegenwärtigen Gedichts veranlaßte. Die damit vorgenommenen Veränderungen bedürfen keiner Rechtfertigung. Von der Fabel selbst aber kann, wer Lust hat, in Limperts lebendem und schwebendem Eisenach das Mehrere lesen.
Der Klosterstand, wovon Pythagoras
Den blinden Heiden schon ein Müsterlein gegeben Wovon Pythagoras – Müsterlein gegeben Dieser eben so tiefsinnige als ehrwürdige griechische Philosoph scheint zur Einrichtung seiner Schule oder seines Ordens die ägyptischen Priesterinstitute zum Muster genommen zu haben, die allerdings auch auf die Mönchsorden nicht ohne Einfluß geblieben sind. Vielleicht nur darum, weil eigentliches Klosterleben bei Pythagoras nicht nachzuweisen seyn möchte, spricht Wieland von einem bloßen Müsterlein desselben. »Die Namen Cönobit und Cönobium, sagt er bei der ersten Ausgabe, schreiben sich von diesem pythagorischen Orden her. Es wäre zu wünschen, die Klöster hätten noch etwas mehr als diese Namen mit demselben gemein.«, Hat seinen Werth, so gut (zum mindsten) als ein Leben In Diogens berühmtem Lagerfaß. Wenn gleich nicht Alle propagiren, Seyd unbesorgt, das menschliche Geschlecht Stirbt drum nicht aus. Doch fordert man mit Recht, Des inneren Berufs sich erst zu überführen, Bevor ein Menschensohn das kühne Wagstück wagt Und Allem, was in Kopf und Herz und Nieren Uns zweigebeinten federlosen Thieren Diesseits des Monds am meisten wohl behagt, Durch einen derben Schwur entsagt, Um all sein Leben lang, bei wohl verschloss'nen Thüren, Zu fasten und zu psalmodiren. Beruf, Beruf! darauf kommt Alles an!
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Ein frommes klösterliches Pärchen,
Er, Bruder Sixt, sie, Schwester Clärchen, Noch beide jung und schön und zart Und fromm und gut nach deutscher Art, Kurz, recht geschaffen für einander, Wie ehmals Hero und Leander, Und (was ich nicht verschweigen muß) Der Künste, die Ovidius De Arte Ovidius de arte Ovids Gedicht von der Kunst zu lieben. lehrt, so unerfahren, Als nie ein Paar von achtzehn Jahren: Dieß gute Paar erschrecket nicht! Sie glaubten nicht daran zu fehlen, Die armen argwohnlosen Seelen! Sie liebten sich und nannten's Pflicht. Sixt sah die junge Schwester gerne, Die Schwester sah den Bruder gern, Und ihre schönen Augensterne Gestanden's frei, doch nur von fern. Sie fühlten, sich so anzusehen, Ihr könnt nicht glauben welche Lust: Sixt blieb wie eingewurzelt stehen, Und Clärchens Herz hüpft' in der Brust. Bei dieser Lust sich vorzusehen,
Dieß war der jammervolle Stand,
Wie gern erhörte Schwester Clärchen,
Wie wird's den armen Seelen gehn!
Zum Unglück' ist, zumal bei Claren,
Eh könnte sie sich selbst verlieren,
O sagt, die ihr die Liebe kennet,
Wie kann sie von Entbehrung leben?
Ihr sprecht: in stillen Liebesthränen
Allein, wenn jeder Wunsch des Herzens,
Bald ausgespannt, bald frei zu seyn,
So schwärmt die kranke Phantasei
Ganz anders wirkt die Fieberhitze
Die ihr, von frommem Wahn geblendet,
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Nun, da ihr die verliebten Seelen
So unaussprechlich elend seht, Daß Satan selbst, sie baß zu quälen, (So gut er auch die Kunst versteht) Nicht möglich fände; sagt, was können Wir eilends für sie thun? Sie brennen; Ihr letzter Augenblick ist nah'. O! ist denn zwischen Erd' und Himmel Kein Engel, sie zu retten, da? Und käm' er auf Sanct Görgens Schimmel Geritten Ach! der Fall ist da, Wo nur ein Gott ex machina Ein Gott ex machina Statt aller der Zufälligkeiten, auf die im natürlichen Laufe einer Begebenheit von dem Dichter nicht gerechnet werden dürfte, und zu denen unsere mittelmäßigen Romanschreiber und Schauspieldichter doch immer ihre Zuflucht nehmen, hatten die mittelmäßigen Dichter der Alten immer eine Gottheit zur Hand, die ihnen bei der Entwickelung aus der Noth helfen mußte; sie lösten also, nur auf eine andere Weise, ebenfalls durch ein Wunder auf, wo es ihnen an Geschick mangelte, es natürlich zu bewirken. Diese Gottheit, welche für verlegne Dichter den Nothhelfer machen mußte, ist zum Sprichwort geworden: denn, wo plötzlich und völlig unerwartet, ohne daß man möglicher Weise darauf hätte rechnen können, Jemand dem Andern zu Hülfe und Rettung erscheint, da sagt man, er sey gekommen wie deus ex machina (der Gott aus der Maschine). Dieß ist die alte Theatergottheit, welche, wenn sie erscheinen sollte, an Seilen in einer Maschine, einer Art von Gondel, herabgelassen wurde. Uns helfen kann. Sey's um ein Wunder! Noth geht an Mann; wir sinken unter! So höret also, was geschah:
Ein Genius kann, wie ihr wißt,
Ein Traum – spricht Clärchens Genius
Sie senden also, mit Bedacht,
Auf einmal stellt der Traum sich ihnen
Die beiden armen Seelen starben
Drei Nächte nach einander träumen
»O lieber süßer Wonnetraum!
Mit Clärchen, von Gewissen zärter
Und doch – wie könnt' es Sünde seyn,
So ungestüm schlug Well' auf Welle
Doch, wie ihm sey, dieß ist gewiß,
Zu großem Labsal unsrer Frommen
Wie sie aus ihrer Klaus' entkommen,
Viel Glücks! Die Vögel sind dem Bauer
Auf ungebahnten Pfaden keuchen
Sie wallen führerlos daher,
Indem, noch fern von seinen Armen,
O Clärchen, ruft er, diese Wonne
Nun färbt der erste Strahl der Sonne
Schon will ihm Sinn und Muth vergehen:
Verlangt nicht, daß ich ihr Entzücken
Versteinert bleibt ihr Leib zurück
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