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Sixt und Clärchen
oder
der Mönch und die Nonne auf dem Mädelstein.

Ein Gedicht in zwei Gesängen.

1775.

 

 

Vorbericht.

Neben der berühmten Wartburg bei Eisenach stand vor Zeiten eine Burg, die (nach einigen Chroniken) schon in der Mitte des fünften Jahrhunderts von einem von Frankenstein erbaut, siebenhundert Jahre darauf von der Herzogin Sophia von Brabant, während ihrer Händel mit dem Markgrafen von Meißen, Heinrich dem Erlauchten, wieder aus den Ruinen gezogen worden, nun aber nur noch wenige Spuren ihres ehemaligen Daseyns aufzuweisen hat. Diese Burg hieß der Mittelstein, woraus der Name Mädelstein entstanden, den der Berg noch heutiges Tages in der Gegend führt. Auf diesem Mädelstein ragen zwei Felsenspitzen hervor, die von ferne, und wenn die Einbildungskraft das Ihrige beiträgt, wie zwei sich umarmende menschliche Figuren aussehen. Das gemeine Volk glaubte vor Zeiten (und glaubt vielleicht noch), diese zwei Steine seyen ein Mönch und eine Nonne gewesen, die aus wechselseitiger Liebe dem Kloster entsprungen und sich auf diesen Berg geflüchtet, daselbst aber, zur Strafe ihres Verbrechens und Andern ihres Gleichen zum abscheulichen Exempel, in dem Augenblicke, da sie sich umarmen wollen, in Stein verwandelt worden seyen. Diese alte Sage konnte vielleicht zu nichts Besserm dienen, als daß sie die Entstehung des gegenwärtigen Gedichts veranlaßte. Die damit vorgenommenen Veränderungen bedürfen keiner Rechtfertigung. Von der Fabel selbst aber kann, wer Lust hat, in Limperts lebendem und schwebendem Eisenach das Mehrere lesen.


Erster Gesang.

              Der Klosterstand, wovon Pythagoras
Den blinden Heiden schon ein Müsterlein gegeben Wovon Pythagoras – Müsterlein gegeben Dieser eben so tiefsinnige als ehrwürdige griechische Philosoph scheint zur Einrichtung seiner Schule oder seines Ordens die ägyptischen Priesterinstitute zum Muster genommen zu haben, die allerdings auch auf die Mönchsorden nicht ohne Einfluß geblieben sind. Vielleicht nur darum, weil eigentliches Klosterleben bei Pythagoras nicht nachzuweisen seyn möchte, spricht Wieland von einem bloßen Müsterlein desselben. »Die Namen Cönobit und Cönobium, sagt er bei der ersten Ausgabe, schreiben sich von diesem pythagorischen Orden her. Es wäre zu wünschen, die Klöster hätten noch etwas mehr als diese Namen mit demselben gemein.«,
Hat seinen Werth, so gut (zum mindsten) als ein Leben
In Diogens berühmtem Lagerfaß.
Wenn gleich nicht Alle propagiren,
Seyd unbesorgt, das menschliche Geschlecht
Stirbt drum nicht aus. Doch fordert man mit Recht,
Des inneren Berufs sich erst zu überführen,
Bevor ein Menschensohn das kühne Wagstück wagt
Und Allem, was in Kopf und Herz und Nieren
Uns zweigebeinten federlosen Thieren
Diesseits des Monds am meisten wohl behagt,
Durch einen derben Schwur entsagt,
Um all sein Leben lang, bei wohl verschloss'nen Thüren,
Zu fasten und zu psalmodiren.

Beruf, Beruf! darauf kommt Alles an!
Der fehlte nun sagt uns ein altes Mährchen
Zum Unglück just dem lieben frommen Pärchen,
Wovon ich euch, so gut ich weiß und kann,
Erzählen will, was sich in jenen Tagen
Der Einfalt und der Wunder zugetragen.
Ergetzt es euch, so hat der Dichter halb erreicht,
Was er dem Leser gerne gönnte;
Denn, glaubet mir, kein Mährchen ist so seicht,
Aus dem ein Mann nicht weiser werden könnte.

―――
Ein frommes klösterliches Pärchen,
Er, Bruder Sixt, sie, Schwester Clärchen,
Noch beide jung und schön und zart
Und fromm und gut nach deutscher Art,
Kurz, recht geschaffen für einander,
Wie ehmals Hero und Leander,
Und (was ich nicht verschweigen muß)
Der Künste, die Ovidius
De Arte Ovidius de arte Ovids Gedicht von der Kunst zu lieben. lehrt, so unerfahren,
Als nie ein Paar von achtzehn Jahren:
Dieß gute Paar erschrecket nicht!
Sie glaubten nicht daran zu fehlen,
Die armen argwohnlosen Seelen!
Sie liebten sich und nannten's Pflicht.
Sixt sah die junge Schwester gerne,
Die Schwester sah den Bruder gern,
Und ihre schönen Augensterne
Gestanden's frei, doch nur von fern.
Sie fühlten, sich so anzusehen,
Ihr könnt nicht glauben welche Lust:
Sixt blieb wie eingewurzelt stehen,
Und Clärchens Herz hüpft' in der Brust.

Bei dieser Lust sich vorzusehen,
Fiel, bloß aus Unschuld, keinem ein.
Wie kann darin was Böses seyn?
Denkt junges Volk. So pflegt's zu gehen!
Das süße Gift der Liebe schleicht,
Wie eitel Nektar, glatt und leicht,
Ins Herz hinab; allein die Wehen,
Die Wehen, Kinder, folgen nach.
Da geht's euch wie Dionens Knaben Dionens Knaben Amor; Anspielung auf Anakreons 40stes Lied. Eine Biene hatte den Amor gestochen, und die Mutter, der er seinen Schmerz klagt, antwortet ihm: Wenn schon der Stachel einer Biene solche Schmerzen macht, wie mögen die erst leiden, die du, mein Sohn, verwundest!,
Als ihn, versteckt im Honigwaben,
Ein Bienchen in den Finger stach.
Des Busens wollustreiches Dehnen,
Dieß dunkle namenlose Sehnen,
Wird unvermerkt zum stumpfen Schmerz.
Euch preßt, ihr wißt nicht was, das Herz,
Im trüben Auge schwimmen Thränen;
Von eurem Lager flieht die Ruh',
Ihr ruft zur Stillung eures Kummers
Umsonst den holden Gott des Schlummers
Und schließt die Augen schlaflos zu.
Ein innerlich verzehrend Feuer
Leckt euer jugendliches Blut;
An eurer Leber nagt der Geier
Des Tityus Der Geier des Tityus Wegen Frevels, den er an Latonen begangen, hacken in der Unterwelt Geier an seiner Leber, die immer von neuem wächst. Vielleicht war dieß Strafe für seine Liebeswuth, denn nach der Meinung der Griechen war die Leber der Sitz der Liebe., der niemals ruht;
Wie Rosen in der Mittagsglut,
Welkt ihr dahin, wie auf den Matten
Gemähtes Gras; und, kurz und gut,
Wenn Amor nicht ein Wunder thut,
Bleibt nichts von euch als euer Schatten.

Dieß war der jammervolle Stand,
Worin sich unser Paar befand.
Denn, ach! sich lieben und nicht sehen
Und, sieht man sich, durch Blicke nur
Einander, was man fühlt, gestehen,
Ist mehr, als menschliche Natur
Ertragen kann! Nur ein Mal, nur
Auf ihre Hand, den Mund zu drücken
(Seufzt Bruder Sixt), o welch Entzücken!
Nur ihre Hand an meine Brust:
Mein Leben gäb' ich drum mit Lust!

Wie gern erhörte Schwester Clärchen,
Du lieber armer Bruder Sixt,
Den Wunsch, den du zum Himmel schickst!
Sieh, zum Beweis, das helle Zährchen,
Das aus den Augen stets nach dir
Mit reiner herzlicher Begier
Gerichtet auf die Leinwand bebt,
Die sich von ihren Seufzern hebt.
Wie gerne hätt' er diese Zähre
Vom weißen Kragen weggeküßt!
In meinen Augen, daß ihr's wißt,
Macht Sixten diese Schwachheit Ehre.
Ein Mensch, der doch kein Engel ist,
Kann, traun! um kleinern Sold nicht minnen.
Ach! um dieß Thränchen zu gewinnen,
Wär' er auf Erbsen, barfuß, bis
Nach Rom gereist, dieß ist gewiß!
Allein dem Prior mit dem langen
Eisgrauen Barte sein Verlangen,
So unschuldsvoll es immer war,
Zu beichten, nein, dieß war nicht möglich!
Er hätt' es noch so herzbeweglich
Vorbringen mögen, offenbar
Lief er Gefahr o Gott! ihm stehen
Vor dem Gedanken schon die Haar'
Zu Berge lief er nicht Gefahr,
Sein Clärchen gar nicht mehr zu sehen?

Wie wird's den armen Seelen gehn!
Verhaltne Liebe, sagt Galen
(Sagt's oder hätt' es sagen sollen),
Je mehr wir sie verbergen wollen,
Je tiefer frißt sie sich ins Herz.
Ihr Schmerz ist ein zu süßer Schmerz,
Als daß man gleich an Heilung dächte;
Und wenn man dann geheilt seyn möchte,
So ist's zu spät. Dieß sehen wir
An Bruder Sixt und Schwester Clare.
Schon drei äonenlange Jahre,
Unglückliche, bekämpfet ihr
Natur und Herz, Casteien, Beten,
Die Geißel und das härne Kleid
Habt ihr versucht, den Feind zu tödten:
Umsonst, je hitziger ihr kämpft,
Je minder wird sein Zorn gedämpft.

Zum Unglück' ist, zumal bei Claren,
Der Sitz des Uebels nicht im Fleisch.
Sie ist so neu, so unerfahren
Und liebt so schön, so engelkeusch!
Für sie nur schlimmer! Denn, je reiner
Des Nönnchens Seele ist, je feiner
Sie denkt und fühlt, je minder läßt
Durch Geißeln, Wachen, Fasten, Beten,
Solch eine Neigung sich ertödten.
Im Tempel selbst, am höchsten Fest,
Schwebt Sixtens liebes Bild ihr immer
Vor ihrer Stirn! Im Speisezimmer,
In jedem Kreuzgang, jedem Saal,
An jeder Wand hängt's überall
Gemalt, geschnitzt, mit einem Schimmer
Von Gold ums Haupt. Ihn muß sie sehn,
Wohin sich ihre Blicke lenken,
Muß mit ihm auf und nieder gehn,
Muß von ihm träumen, an ihn denken,
Und träumte sie vom Himmelreich.
Kurz, was in Clärchen leibt und lebet,
Ist durch und durch mit ihm verwebet,
Und ihm sehn alle Heil'gen gleich.

Eh könnte sie sich selbst verlieren,
Als dem geliebten Bild entfliehn.
Vertieft sie sich im Meditiren,
Unwissend meditirt sie ihn;
Wenn Todesbilder ihr erscheinen,
So ist's, um Sixtens Tod zu weinen;
Wenn zu des Paradieses Glanz
Sich ihre Phantasie erhöhet,
Entzückt der schöne Sternenkranz,
Der sich um ihre Scheitel drehet,
Sie nur, weil Sixt ihn pflückt' und gab;
Und selbst des Fegfeu'rs Flammen wehet
Sein Athem kühlend von ihr ab.

O sagt, die ihr die Liebe kennet,
Ist euch um Clärchens Herz nicht bang?
Ein Herz, das so wie ihres brennet,
Wenn Schicksal, Mauern, Klosterzwang
Und Schwur den Liebling von ihr trennet,
Laßt seine Liebe noch so rein,
Laßt seine Seufzer Engel seyn,
Zu bald wird die Natur es rächen!
Die schwärmerische Seelenglut
Entflammet bald sein junges Blut,
Und reinste Liebe wird zu Wuth,
Wenn Trost und Hoffnung ihr gebrechen.

Wie kann sie von Entbehrung leben?
Sie will genießen, was sie liebt,
Und Küsse, die sie träumend gibt,
Will sie zuletzt auch wachend geben.

Ihr sprecht: in stillen Liebesthränen
Ist Wollust; wahr! doch sagt, was ist
Natürlicher, als sich zu sehnen:
»O! würden sie mir aufgeküßt!«

Allein, wenn jeder Wunsch des Herzens,
Auf ewig unbefriedigt bleibt;
Wenn jede Nacht den Grad des Schmerzens,
Die Pein der Sehnsucht höher treibt;
Wenn sich in brünstigem Verlangen
Die Arme aufthun, liebevoll,
Und einen Schatten stets umfangen:
Sagt, wie ein Herz nicht brechen soll?
Wer wünschte nicht, ein Marterleben,
Das nur verlängert wird zur Pein,
Dem, der es gab, zurück zu geben?

Bald ausgespannt, bald frei zu seyn,
Ist nun auch Clärchens Trost allein!
Da sitzt bei mattem Lampenschein
Das arme Kind in seiner Zelle,
Blaß, wie bei düstrer Mondeshelle
Ein Geist auf einem Leichenstein.
Vertrocknet ist der Thränen Quelle;
Auf einen Todtenkopf den Blick
Geheftet, bebt sie nicht zurück
Vor dem Gedanken, bald zu sinken
Ins kühle Grab, die Ruhestatt
Des Müden, der vollendet hat,
Der Leiden bittern Kelch zu trinken.
Sie sieht, mit Palmen in der Hand,
Ihr aus den Wolken Engel winken,
Sieht schon die Siegeskrone blinken
Und seufzt: »O! diese Scheidewand,
O! möchte sie noch heut zerstieben!
Was ist's, das mich an diese Welt,
Mein Trauter, noch gefesselt hält?
Werd' ich dich dort nicht reiner lieben?«

So schwärmt die kranke Phantasei
In Clärchens sanfter schöner Seele,
Stets sanft und zärtlich, wie im Mai
Die stille Nacht durch Philomele
Um den geraubten Gatten weint.

Ganz anders wirkt die Fieberhitze
In ihrem unglücksel'gen Freund.
Wild springt er auf vom harten Sitze,
Umarmt in glüh'nder Raserei
Ein Crucifix (er wähnt, es sey
Der Abgott seiner Seele) drückt
Mit tausend liebestrunknen Küssen
Es an sein schlagend Herz, erblickt
Mit kaltem Schau'r, was er gethan,
Und stürzt betäubt dem Gott zu Füßen
Und sieht um einen Blitz ihn an!

Die ihr, von frommem Wahn geblendet,
Den Arm zu Molochs-Opfern Moloch-Opfer, die denkbar schrecklichsten, denn lebend wurden Menschen in seine glühenden Arme gelegt. hebt,
O Väter, eh' ihr sie vollendet,
Betrachtet dieses Bild und bebt!

 


 

Zweiter Gesang.

        Nun, da ihr die verliebten Seelen
So unaussprechlich elend seht,
Daß Satan selbst, sie baß zu quälen,
(So gut er auch die Kunst versteht)
Nicht möglich fände; sagt, was können
Wir eilends für sie thun? Sie brennen;
Ihr letzter Augenblick ist nah'.
O! ist denn zwischen Erd' und Himmel
Kein Engel, sie zu retten, da?
Und käm' er auf Sanct Görgens Schimmel
Geritten Ach! der Fall ist da,
Wo nur ein Gott ex machina Ein Gott ex machina Statt aller der Zufälligkeiten, auf die im natürlichen Laufe einer Begebenheit von dem Dichter nicht gerechnet werden dürfte, und zu denen unsere mittelmäßigen Romanschreiber und Schauspieldichter doch immer ihre Zuflucht nehmen, hatten die mittelmäßigen Dichter der Alten immer eine Gottheit zur Hand, die ihnen bei der Entwickelung aus der Noth helfen mußte; sie lösten also, nur auf eine andere Weise, ebenfalls durch ein Wunder auf, wo es ihnen an Geschick mangelte, es natürlich zu bewirken. Diese Gottheit, welche für verlegne Dichter den Nothhelfer machen mußte, ist zum Sprichwort geworden: denn, wo plötzlich und völlig unerwartet, ohne daß man möglicher Weise darauf hätte rechnen können, Jemand dem Andern zu Hülfe und Rettung erscheint, da sagt man, er sey gekommen wie deus ex machina (der Gott aus der Maschine). Dieß ist die alte Theatergottheit, welche, wenn sie erscheinen sollte, an Seilen in einer Maschine, einer Art von Gondel, herabgelassen wurde.
Uns helfen kann. Sey's um ein Wunder!
Noth geht an Mann; wir sinken unter!

So höret also, was geschah:
Ein Schutzgeist nicht ex machina,
(Denn jeder Mensch hat seinen eignen,
Sagt Hermas, der es wissen muß,
Und Dichter werden's ihm nicht leugnen)
Ihr guter weißer Genius
Demnach doch, richtiger zu sagen,
Sind's ihrer zwei, die dieses Mal,
Zwei arme Seelen aus der Qual
Zu retten, sich ins Mittel schlagen.

Ein Genius kann, wie ihr wißt,
Viel thun, das uns unmöglich ist,
Kann Wetter machen, donnern, blitzen,
In einem Wink' ein Weltchen baun
Und Träume, lieblich anzuschaun,
Aus bunten Morgenwolken schnitzen.

Ein Traum – spricht Clärchens Genius
Zu Sixtens denkst du nicht, dieß brächte
Die Sach' am ehesten zum Schluß?
Versuchen wir's die nächsten Nächte!

Sie senden also, mit Bedacht,
Stracks in der ersten Osternacht,
Früh, eh die Glock' aus ihren Nestern
Die Brüder aufweckt und die Schwestern,
Zwei Träume, die so gleich sich sahn,
Wie neugeborne Zwillingsbrüder.
Mit schlummertriefendem Gefieder
Läßt einer sich auf Sixten nieder;
Der andere schmiegt, wie Leda's Schwan,
Sich sanft an Clärchens Busen an.

Auf einmal stellt der Traum sich ihnen
Gleich einem jungen Cherub dar,
Schön, wie die Liebe, hell und klar:
Von Amaranthen und Jasminen
Durchwebt ein Kranz sein goldnes Haar;
Zwei Sterne seine Aeuglein schienen,
Und seine Wängelein Rubinen;
Doch deckt ein dreifach Flügelpaar
Mit tausend Regenbogenfarben
Sein zartes Leiblein ganz und gar.

Die beiden armen Seelen starben
Vor Freuden fast ob dem Gesicht'.
Es tritt zu ihnen hin und spricht:
»Ich bin der Schutzgeist frommer Liebe;
Und euer Leiden rühret mich;
Es wäre Jammer, sicherlich,
Wofern es unvergolten bliebe.
Hört an! Dort hinter jenem Hain
Erhebt sich zwischen öden Bergen
Der kahle schroffe Mittelstein;
Scheint recht dazu gemacht zu seyn,
Zwei fromme Täubchen zu verbergen.
Ein festes Schloß war's hiebevor;
Noch ragen stattliche Ruinen
Aus wilden Büschen hoch empor,
Die sollen euch zur Zuflucht dienen!
Dort fliehet hin, dort sollt ihr ruhn:
Das Weitre wird die Liebe thun.«

Drei Nächte nach einander träumen
Die Liebenden den gleichen Traum.
Er heißt sie eilen und nicht säumen;
Und, ihren Zweifeln keinen Raum
Zu lassen, reicht der Cherub ihnen
Sein weißes Händchen, unersucht,
Zum Unterpfand', auf ihrer Flucht
Mit sicherem Geleit zu dienen.

»O lieber süßer Wonnetraum!
Ruft Sixt und springt von seinem Schragen
Lusttaumelnd auf: du goldner Traum,
Du sollst es mir nicht zwei Mal sagen!«
Und gleichwohl, da er nach und nach
Sich kühler mit sich selbst besprach,
Erhoben sich Bedenklichkeiten;
Er wankte noch sogar beim zweiten:
Doch auch den dritten zu bestreiten
Bewahre Gott! Und müßt' er sich
Durch zwanzig Ritter-Görgens-Drachen
Den Weg zu seinem Nönnchen machen,
Er ist entschlossen festiglich!

Mit Clärchen, von Gewissen zärter
Und schüchterner, wie billig, als
Ein junger feur'ger Wagehals,
Mit Clärchen ging es ungleich härter;
Wiewohl den Traum, so schön er war,
Mit seinem krausen gelben Haar
Und seinen Regenbogen-Schwingen
Sich wieder aus dem Sinn zu bringen
Ihr schlechterdings unmöglich war.
»Allein, solch einen Schritt zu wagen!
Ich, eine Gottgeweihte, fliehn
Aus seinen Mauern? Und wohin!
Dir, heil'ge Scham, o, dir entsagen,
Um einem Jüngling nachzuziehn?
Entsetzlich! Nein! Ich kann's nicht wagen!«

Und doch – wie könnt' es Sünde seyn,
So, wie sie liebt, zu lieben? Nein,
Es kann nicht! Lieben nicht die Engel
Im Himmel auch? Ihr Herz ist rein,
Rein, wie am unberührten Stengel
Die Lilie, zum ersten Mal'
Halb aufgethan dem Sonnenstrahl.
Entfernt vom eiteln Weltgetümmel
Für ihren Sixt und für den Himmel
In frommer Abgeschiedenheit
Die wenig Tage hinzuleben,
Die ihr der nahe Tod noch leiht!
»Aus seinen Armen hinzuschweben
Ins Reich der Unvergänglichkeit!
O Sixt, an deiner Brust zu sterben,
Von deinen Thränen noch erquickt,
Von dir mein Auge zugedrückt
Wie? machte dieß mich ungeschickt,
Des Paradieses Kranz zu erben?
Und doch! o Gott, was ist denn dieß,
Das mich beklemmt? Warum dieß Schauern?
Was ruft mir? Welche Hand ist dieß,
Die mich ergreift, in diesen Mauern
Zurück mich hält? Ach! zu gewiß,
Sie warnt mich! Unglücksel'ge, fliehe!
Die Hölle öffnet gegen dich
Den düstern Flammenschlund Ich glühe!
O alle Engel! rettet mich!«

So ungestüm schlug Well' auf Welle
In Clärchens Brust; sie treibt umher
In einem wilden Zweifelmeer:
Entfliehn ist Tod, und bleiben Hölle!
Sie kämpft, das gute Seelchen! ach,
Sie kämpft aus allen ihren Kräften:
Doch ihre Kräfte waren schwach;
Sixt zog mit dreimal stärkern Kräften
Ihr liebend Herz dem seinen nach.
Und hieß sie nicht ihr Engel wandern?
Ihr Engel? Und sie glaubt so dreist,
Daß es der weiße war! Ein Geist
Vertauscht sich leicht mit einem andern;
Zumal der schwarze (wie bekannt)
Gern unsern bösen Lüsten schmeichelt
Und oft im schönsten Lichtgewand
Den reinen heil'gen Engel heuchelt.

Doch, wie ihm sey, dieß ist gewiß,
Die guten Klosterkinder zogen,
(Nachdem sie, was ihr Herz sie hieß,
Mit ihrer Pflicht leicht abgewogen)
Wohin der schöne Traum sie wies.
Und wurden sie von ihm belogen,
So werfe Jedes, das sich nie
In Fällen dieser Art betrogen,
Getrost den ersten Stein auf sie.

Zu großem Labsal unsrer Frommen
Ist nun die vierte Nacht gekommen.
In beide haucht ihr Genius
Zugleich den nämlichen Entschluß.

Wie sie aus ihrer Klaus' entkommen,
Darüber mag, wie's ihm gefällt,
Sich Jedes mit sich selbst vertragen.
Was läßt sich nicht mit Amorn wagen,
Dem größten Zaubrer in der Welt!
Zudem war's in den Ostertagen,
Und Schwesterchen und Brüder lagen,
Nach tausend überstandnen Plagen,
Mit Gottes Gaben wohl gefüllt,
In Schlaf und Weindunst eingehüllt.

Viel Glücks! Die Vögel sind dem Bauer
Entwischt! ringsum ist Alles still;
Erstiegen ist die Gartenmauer,
Der Hahn kann krähen, wenn er will.

Auf ungebahnten Pfaden keuchen
Die Pilgrime der Liebe fort:
Hoch schlägt ihr Herz, den sichern Port
Noch vor der Sonne zu erreichen.

Sie wallen führerlos daher,
Von Osten sie, von Westen er,
Nicht ohne Angst und schwere Zweifel,
Ob nicht vielleicht ihr Feind, der Teufel,
Sie durch ein falsches Traumgesicht
Belogen? »Gott, denkt Schwester Cläre,
Wenn ich nun hingekommen wäre
Und fänd' ihn nicht! und fänd' ihn nicht!
O alle Heiligen und Seelen,
Erbarmt euch eurer armen Magd!
Mein Gott! ich glaubte nicht zu fehlen,
Thät' ich, was Engel mir gesagt.
O gute Geister, tragt Erbarmen,
Nie hätt' ich's aus mir selbst gewagt!«

Indem, noch fern von seinen Armen,
So bitterlich sein Clärchen klagt,
Hat Sixt mit herzlichem Vergnügen
Den hohen Berg bereits erstiegen,
Das Ende seiner schweren Pein.
Er steht und zieht mit vollen Zügen
Die Lust der Freiheit wieder ein.
Nachdem er lang' ein Afterwesen,
Das die Natur nicht kennt, gewesen,
Welch eine Wollust, Mensch zu seyn!

O Clärchen, ruft er, diese Wonne
Mit dir getheilt! und schaut umher
Nach seiner herzgeliebten Nonne;
Erblickt sie nirgends weg ist Wonne!
Er steht allein, rings um ihn her
Ist Erd' und Himmel wonneleer!

Nun färbt der erste Strahl der Sonne
Des Berges Stirne. Unruhvoll
Steigt Sixt herab, den Weg zu wallen,
Auf dem sein Nönnchen kommen soll.
Er ruft ihr laut; die Felsen hallen
Den Ruf zurück und Clärchen schallt
Vervielfacht durch den Fichtenwald.
Erwachte Nachtigallen feiern
Des Tages Sieg; doch von der theuern
Geliebten Stimme und Gestalt
Ist nichts zu hören noch zu sehen.

Schon will ihm Sinn und Muth vergehen:
Als ihm, indem er Thal und Höhen
Wie ein verrückter Mensch durchschweift,
Auf einmal hinter dichten Hecken
Mit einem Schrei von süßem Schrecken
Sein Clärchen in die Arme läuft.

Verlangt nicht, daß ich ihr Entzücken
Beschreiben soll. Natur, Natur,
Du bist mir heilig! Wer's erfuhr,
Schwatzt nicht von solchen Augenblicken.
Ich seh, ich seh sie, Brust an Brust,
Entseelt von gränzenloser Lust
Die Augen starr gen Himmel heben;
Er hat sich aufgethan sie schweben
In seinem Wonneglanz daher,
Nichts Sterblichs ist an ihnen mehr,
Sie schweben auf ins ew'ge Leben!

Versteinert bleibt ihr Leib zurück
Und zeigt, noch warm vom heil'gen Triebe,
Des Wandrers sanft gerührtem Blick
Dieß ew'ge Denkmal ihrer Liebe.


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