Christoph Martin Wieland
Pervonte oder die Wünsche
Christoph Martin Wieland

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Gedichte an Olympia.

Unter dem Namen Olympia besang Wieland, wie er sich in der Zuschrift dieser Gelegenheits-Gedichte vom Jahr 1795 ausdrückt, die Schutzgöttin seines Musenspiels, die Herzogin Mutter von Sachsen-Weimar, Anna Amalia, Prinzessin von Braunschweig, geb. den 24. October 1739. Durch sie, welche die Künste der Musen liebte und selbst übte – sie zeichnete und malte und hat auch in der Musik Verschiedenes componirt – wurde der Grund gelegt zu dem nachmaligen literarischen Ruhme von Weimar. Die Lustschlösser Ettersburg, Belvedere und Tiefurt, sämmtlich in der Nähe von Weimar, wurden der Vereinigungspunkt der vorzüglichsten Geister Deutschlands, die sich gern um die allgeliebte Fürstin versammelten. Die Schilderung des dortigen Lebens liefern diese kleinen Gedichte selbst, welche gewiß zu den Gelegenheits-Gedichten gehören, wie sie seyn sollen.

 


 

Nimm aus der Hand der Dankbarkeit und Treue,
        Schutzgöttin meines Musenspiels,
Die Blumen huldreich an, die Kinder des Gefühls,
        Die ich in diesem Strauß zum zweiten Mal dir weihe.

 


 

I.
Zweierlei Götterglück.

Am 24. October 1777.

1.
        Der Götterstand – sprach einst von seinem Wolkenthron
Der Sultan im Olymp zu Majens schönem Sohn –
Der Götterstand, Herr Sohn, um ihm sein Recht zu geben,
Ist (unter uns) beim Styx! ein schales Leben.
Ja, wer nur nicht dazu geboren wär',
Und allenfalls auf acht bis vierzehn Tage,
Da ließ' ich's gelten! Aber mehr
Wird Unsrer Deität am Ende sehr zur Plage.
Man kriegt zuletzt des Weihrauchs so genug!
Und für und für zum Dudeldum der Sphären
Die Grazien tanzen sehn, die Musen singen hören,
Und immer Ganymed mit seinem Nektarkrug,
Ich sage dir, man kriegt's genug!
Dann noch dazu den ew'gen Litaneien
Des Erdenvolks die Ohren herzuleihen! 130
»Zeus, gib mir dieß! Zeus, gib mir das!«
Ein tolles Galimathias
Von Bitten ohne Sinn und Maß
Um nichts und wider nichts, oft um Unmöglichkeiten!
»Es sind ja (sagen sie) dir lauter Kleinigkeiten!
Ein wenig Sonnenschein zu meiner Wäsche nur!«
»Zwei Regentage bloß für meine trockne Flur!«
Ruft Mann und Frau aus hellem Munde
In einem Haus', in einer Stunde.
Der Dedschial hör' alle das Gebrüll!
Thät' ich ein einzig Mal, was Jeder haben will,
Es richtete die Welt und mich zu Grunde.
Kurz, trauter Sohn, die Stiefeln angeschnürt!
Steig', eh' ich hier des Gähnens müde werde,
Ein wenig nieder auf die Erde,
Zu sehen, ob man dort sich besser amusirt!«

Mercur gehorcht, und, ohne anzufragen,
Ob Juno nach dem Erdenplan
Was zu bestellen hat, und ohne Donnerwagen
Schleicht Jupiter sich weg und wird bei Leda – Schwan.

 
2.
Von feinerem Gefühl getrieben
Vertauschte mit dem Hirtenstand'
Apollo den Olymp. Er stieg herab und fand
Die Menschen, die man ihm bald gar zu gut beschrieben,
Bald gar zu schlimm, wie's immer pflegt zu gehn,
Erträglich erst und endlich gar zum Lieben. 131
Die Leutchen, mußt' er sich gestehn,
Gewännen näher angesehn;
Und setzte man sich nur auf gleichen Fuß mit ihnen,
So wären sie doch ganz was Andres, als sie schienen,
Da er aus seinen Wolkenhöhn
Wer weiß wie schief auf sie herunter schielte,
Mit einem Wort': Apoll, sobald er Mensch sich fühlte,
Entdeckte – was er nie als Göttersohn gewußt –
Es schlage was in seiner linken Brust;
Und unvermerkt, mit lauter Scherz und Spielen,
Lernt seine Gottheit auch für arme Menschlein fühlen,
Nimmt fröhlich Theil an ihrer Lust,
Entdeckt sogar, auch das sey wahre Lust,
Und von der besten Art, mit Andern sich betrüben,
Kurz, schmeckt die Wollust, da zu seyn,
Zum ersten Male ganz und rein
Und merkt zuletzt – (was ihm bisher geheim geblieben)
Die Kunst von Allem dem sey – Lieben.

Was von Thessaliens Volk Apoll
Nicht Alles lernte! Tausend Sachen,
Wovon euch Göttern nie ein Wörtchen träumen soll:
Den losen Scherz, das wohlgemuthe Lachen,
Gedrückt von keinem Zwanggesetz',
Und ohne Absicht, ohne Schraube,
Das trauliche, gutlaunige Geschwätz
Beim Abendstern' in einer Sommerlaube,
Und, o! den großen Talisman,
Mehr freie Herzen zu gewinnen, 132
Als Mahmud oder Dschingiskhan
Sich Sklaven durch sein Schwert gewann,
Den Zauber, den die Charitinnen
Cytherens Gürtel eingewebt,
Was jeden Mangel deckt und jeden Reiz erhebt,
Gefälligkeit. – Sey einer von uns Allen,
Verlange nichts voraus, – wir werden dir gefallen,
So wie du uns gefällst! – Die erste Schäferin,
Die, ohne daß sie auf ihn zielte,
In frohem Muth' und dumpfem Sinn
Das Herz ihm aus dem Busen spielte,
Ward seine Sittenlehrerin.
»Ein bloßer Hirt – ist's möglich? – vorgezogen
Dem schönsten Gott?« – Das schrie um Rache! – Schon
Ergriff sein Zorn den mächt'gen Pythonsbogen;
Zu gutem Glück' entfloh der Sehn' ein sanfter Ton.
Er stutzt, und plötzlich kommt ein Einfall angeflogen,
Der seinen Eifer kühlt und bald zum Mittel wird,
Das Ziel, wornach er lüstet, zu erreichen.
Halt! denkt er, bist du hier was Andres als ein Hirt?
Was forderst du voraus vor deines Gleichen?
Dem Hirten, der gefällt, muß Gott und Halbgott weichen,
Der nicht gefällt! Versuch's, gewinne sie!
Das Herz ist frei, und Lieb' erzwingt sich nie.

Stracks geht er hin und macht aus seinem Bogen
Ein Werkzeug des Gefühls; der Dolmetsch süßer Pein,
Die neue Leier, liegt, mit Saiten straff bezogen,
In seinem Arm' und schwirret durch den Hain. 133
Herbeigelockt von ihren süßen Tönen
Versammeln sich um ihn die Hirten und die Schönen,
Ein Jedes will des Wunders Zeuge seyn.
Bald wirkt der Zauber, Arme schlingen
In Arme sich, den Füßen wachsen Schwingen,
Der ungelehrte Tanz dreht rasch sich um ihn her,
Und wer war glücklicher, als er!
Wie lieben Alle nun den Schöpfer ihrer Freuden!
Er ist, wiewohl in Schäfertracht,
Ein Gott für sie! Er hat sie glücklicher gemacht.
Wie freundlich nun ihm jede Hirtin lacht!
Wie drängt man sich, um nah' an ihm zu weiden!
Und wenn am warmen Abendglanz'
Im Rosenbusch, zu Chloens Füßen –
Indeß die Holde manchen süßen
Verstohlnen Blick am halbgeflochtnen Kranz'
Herunterschlüpfen läßt – wenn dann die sanfte Leier
Der Liebe Schmerzen mit gedämpftem Klang
So zärtlich klagt, stets näher sein Gesang
Ans Herz sich schmiegt, das durch den leichten Schleier
Stets höher schlägt, und nun, wenn sich in vollem Feuer
Der Harmonieenstrom ergießt,
In süßem Mitgefühl zerfließt:
O, welche Wonne ist's – in diesem Augenblicke
Ein Mensch und nur ein Mensch zu seyn!
Wie wenig ist Genuß in ungetheiltem Glücke!
In ihren Freuden selbst sind Götter stets – allein.

Apoll behielt in seinem Hirtenstande 134
Vom Gott' allein des Wohlthuns edle Macht.
Mit jedem Tag' erwacht
Das Volk am Peneusstrande
Zu neugeborner Lust.
Ein feineres Gefühl entfaltet sich ganz leise
In jeder Brust,
Man sieht und hört nicht mehr nach alter Weise,
Der Nebel fällt vom Antlitz der Natur,
Und, o! wie schön, wie neu ist Wald und Flur!
Man fühlt sich selbst in allen Wesen leben,
Vom Blümchen, das der Erd' entspringt,
Zum Vogel, der in hohen Wipfeln singt,
Scheint Alles uns vom Seinen was zu geben,
Verwebt uns Alles mit ins allgemeine Weben.
Der holde Geist der Eintracht schlingt
Sein goldnes Band um Alle, stimmt die Herzen
Zu sanften Freuden, süßen Schmerzen;
Die lange Weile flieht, und nur zu leicht beschwingt
Entfliehen jetzt, man weiß nicht wie, die Stunden,
Die man vordem so drückend lang gefunden.

 
3.
Der Ruhm, dieß Wunder zu erneun,
Olympia, der seltne Ruhm, sey Dein!
Der schönste aller Deiner Preise!
Wohl Dir, die in dem Weihrauchkreise
Der Erdengötter nicht den hohen Sinn verlor
Für Freiheit und Natur, nach alter deutscher Sitte 135
Sich einen Wald zum Ruhesitz' erkor
Und in der moosbedeckten Hütte,
Wenn tief im nächtlich stummen Hain'
Auf offnem Herd die heil'ge Flamme lodert,
Sich glücklich fühlt und nichts vom Schicksal fodert.
Des Waldes Geister sehn den ungewohnten Schein
Ringsum die hohen Buchen weißen
Und nähern freundlich sich und heißen
Willkommen Dich in ihrem stillen Reich.
Wir spüren sie bald leichten Nebeln gleich
Um halbbestrahlte Erlen lauschen,
Bald über uns durch hohe Wipfel rauschen.
Ein leises Grauen schleicht um unsre Brust,
Doch stört es nicht, erhöht nur unsre Lust.
Wir singen – um Dich her im Kreise
Gelagert – nach der schönen Weise,
Die dir, Olympia, die Musen eingehaucht,
»Zaydens Schmerz bei ihres Mohren Klagen,«
Und fühlen unser Herz im Busen höher schlagen:
Bis jetzt der Herd mit trüberm Feuer raucht,
Und späte Sterne, die durch schwarze Wipfel blinken,
Uns in die Burg zurück zu unsern Zellen winken.

Was ist's, das uns Olympiens hehren Wald
Zum Zaubergarten macht, zum Tempel schöner Freuden,
Zu dem man eilt, um zögernd draus zu scheiden?
Sie selbst! – O! würde sie zu ihrem Aufenthalt
Der rauhsten Alpe Gipfel wählen,
Der rauhsten Alpe würde bald 136
Kein Reiz der schönsten Berge fehlen.
Ja, zöge sie bis an den AnadirAnadir – Fluß in Siberien, der sich in das Meer zwischen Asien und America ergießt.,
Wohin sie gehen mag, die Musen folgen ihr,
Ihr einen Pindus zu bereiten.
Sie, von Olympien stets geliebt, gepflegt, geschützt,
Belohnen sie durch ihre Gaben itzt.
Sie schweben ihr in ihren Einsamkeiten,
Wenn sie im Morgenthau die Pfade der Natur
Besuchet, ungesehn zur Seiten
Und leiten sie auf ihre schönste Spur.
Und wenn sie, in begeisterndem Entzücken,
An einen Stamm gelehnt, mit liebender Begier,
Was sie erblickt und fühlt, sich sehnet auszudrücken,
So reichen sie den Bleistift ihr.
Sie sind's, die am harmonischen Clavier
Der leichten Finger Flug beleben;
Und wer als sie vermöchte ihr
Die Melodieen einzugeben,
Von denen das Gefühl der lautre Urquell ist,
Die tief im Herzen widerklingen,
Die man beim ersten Mal' erhascht und nie vergißt
Und niemals müde wird zu hören und zu singen?

O Fürstin, fahre fort, aus Deinem schönen Hain
Dir ein Elysium zu schaffen!
Was hold den Musen ist, soll da willkommen seyn!
Doch Allen, die in Deine Wildniß gaffen
Und nichts darin als – Bäume sehn,
Dem ganzen Midasstamm der frost'gen langen Weile 137
Mit ihrem Troß, dem Uhu und der Eule,
Und ihrer Schwesterschaft von Gänschen und von Krähn,
Sey Deine Luft zu rein! Das traur'ge Völkchen weile
Stets an des Berges Fuß; und führt das böse Glück
Es ja hinauf, so kehr' es bald zurück
Und banne selber sich aus Deiner Republik!

Und so, Natur, und ihr, geliebte Pieriden,
Pflegt eurer großen Priesterin!
Ihr sey das schönste Los des Erdenglücks beschieden,
Zur Lust an euch ein immer offner Sinn,
Ein immer fühlend Herz und eine Quelle drin,
Die nie versiegt, von süßem innern Frieden!
Was sonst die Sterblichen zu wünschen sich ermüden,
Ist gleich der Flut im Faß der Danaiden:
Und schöpften sie äonenlang hinein,
Es würde niemals voller seyn.


II.
Wettstreit der Malerei und Musik.Dieses Gedicht verdankt seinen Ursprung einer Aufgabe, dergleichen in den Cirkeln der Herzogin Amalia mehrere gemacht und von Verschiedenen zu lösen versucht wurden. Auch ein Aufsatz von Herder über diesen Gegenstand, der zuerst in den zerstreuten Blättern stand, entstand durch jene Aufgabe.

Im Jahre 1781.

    Zwei Musen, deren Zwist zu steuern
Drei weise Männer unsrer Zeit
Viel Aufwand von Beredsamkeit
Und Witz gemacht, begannen ihren Streit 138
Am vierundzwanzigsten des Weinmonds zu erneuern.
Den andern Musen ward die Weile lang dabei;
Es schien, als ob der Zwist zu mehr nicht nütze sey,
Als beider Galle zu versäuern.

Ihr Kinder, sprach zuletzt der schöne Gott des Lichts,
Laßt eure Zungen einmal feiern!
In diesem Streit', ich kann's beim Styx betheuern,
Hilft Lock' und Wolf und Plato selber nichts,
Als eure Eifersucht vergeblich anzufeuern;
Denn so viel zeigt sich angesichts,
Du kannst nicht malen, sie nicht leiern.
Was jede kann, ist gut in seiner Art,
Ihr wirket einzeln viel und drei Mal mehr gepaart;
Doch, welche mehr? soll jetzt die That entscheiden.
Laßt sehn und hören, was ihr könnt,
Um einer Fürstin, die euch beiden
Gleich hold ist – (Ihren Namen nennt
Euch euer Herz) – und die von ihrem schönen Leben
Euch immer wechselsweis den schönsten Theil gegönnt,
Was sie um euch verdient, Unsterblichkeit, zu geben.

Ich bin bereit, rief Polyhymnia.
Und Alles schwieg und lag in stiller Feier;
Und jedes Herz schlug höher, jedes Auge sah
Entzückt empor, da ihrer goldnen Leier
Die Harmonie bald zaubrisch süß entfloß,
Bald majestätisch sich wie Meereswogen wälzte,
Bald Feuerströmen gleich aus Donnerwolken schoß;
Die Seelen bald in Liebeswehmuth schmelzte, 139
Bald kühn und stolz, mit immer höherm Flug,
Dem Adler gleich, zum Sitz der Götter trug.

Die Aganippe vor Vergnügen
Hielt ihren Strom zurück, es schien der Lorberhain
Zum himmlischen Getön die Wipfel hinzubiegen,
Und in den Lüften hielt im Fliegen
Der Vögel Schaar auf einmal lauschend ein.

Die Musen sahn einander an und schwiegen,
Apollo lächelte, und Polyhymnia,
Die, was man ihr verschwieg, in jeder Miene sah,
Verbirgt in Kalliopens Busen
Ihr glühendes Gesicht. Ein ander Mal, mein Kind,
Vergiß nicht, spricht der Gott der Musen,
Daß selbst der Götter Ohren – blind,
Und alle deine Zaubereien
Nur lieblicher Tumult und dunkle Räthsel sind,
Wenn andre Musen dir nicht ihre Sprache leihen.

Jetzt warf er einen Blick dahin,
Wo, mit Palett' und Pinsel in den Händen,
Apellens schöne Lehrerin
Beschäftigt stand ein Bildniß zu vollenden,
Das mit dem letzten Pinselstrich'
Ins Leben sprang und ganz in allen Zügen
Der Fürstin, die er liebte, glich.
Zu ihren Füßen sah man liegen,
Was größern Glanz ihr schuldig war, als gab,
Den Fürstenhut, den goldnen Hirtenstab;
Ihr huldigten, mit einer Blumenkette 140
Umschlungen von den Grazien,
Die Musenkünste in die Wette
Und alle milde Tugenden;
Und über ihr, aus eines Volkes Mitten,
Von ihr als Mutter einst beglückt,
Sah man die Töchter Zeus, die demuthsvollen Bitten,
Vom frommen Dank' emporgeschickt,
Mit heißen Wünschen für ihr Leben
Hinauf zum Thron des Göttervaters schweben.

Die Musen hatten kaum das Bild erblickt,
So flogen sie, die Schwester zu umarmen,
Es ist Olympia! rief jeder Mund entzückt:
Und Klio trug das Bild in ihren Armen
Die Stirn des Musenbergs hinauf
Und hing es am Altar des ew'gen Ruhmes auf.


III.

Am ersten Tage des Jahres 1782.

    Wenn es wahr ist, was die frommen Alten
Sangen, und was Alle, die in Dir,
Beste Fürstin, glücklich sind, was wir
Alle aus Gefühl so gern für Wahrheit halten,
Wenn die guten Fürsten Geniusse sind,
Die in menschlichen Gestalten
Unter uns das Götteramt verwalten;
Die der Tafel, wo der Nektar rinnt, 141
Sich begaben, bloß uns irdischem Gesind'
Auch, damit wir unsers Leids vergessen,
Dann und wann ein Tröpfchen zuzumessen:
Wenn dieß Wahrheit ist, Olympia,
O! so bleib' uns lange hold und nah!
So ermüde nicht, bei uns zu weilen!
Denn, verließest Du uns, alle edleren
Schönern Freuden, die mit Dir wir theilen,
Musen, Künste, Scherze, Grazien,
Spannten flugs, Dir nachzueilen,
Ihre Flügel aus und ließen uns allein.

Also laß die Lust in Deine Sphären,
Holde Göttin, wieder heim zu kehren,
Uns zu Lieb' noch weit verschoben seyn!
Lang' umtanze noch der schönen Horen
Bunter Cirkel Dich und gieße, neu geboren,
Frische Blumen stets in Deinen Tritt:
Und wenn endlich doch das Heimweh nach dem Himmel
Dich besiegt, so nimm aus diesem Weltgetümmel,
Nimm uns, wenn Du auffliegst, alle mit!


IV.

Am 24. October 1784.

              Der Wonnetag, der Dich geboren,
Erhabne Fürstin, kam heran, 142
Und, Dir mit leerer Hand zu nahn
Mich billig schämend, rief ich Floren,
Die freundlichste der milden Horen,
Um eine Handvoll Blumen an.

Du weißt, daß unter andern Gaben
Wir Dichter auch das Vorrecht haben,
Daß alle Geister, braun und weiß,
Aus Luft und Wellen, Thal und Hainen,
Uns auf den ersten Wink erscheinen.
Es braucht da keinen Zauberkreis,
Noch Zauberrauch, noch Zauberworte,
Noch Fallbrett, noch geheime Pforte;
Es braucht, um aus der andern Welt
Sie stracks herunter zu citiren,
Vor keinem Ball, von Dunst geschwellt,
Erst Stroh und Wolle anzuschüren;
Noch läßt man, sie zu attrahiren,
Sich um sein bares, blankes Geld
Von Mesmern erst magnetisiren:
Kurz, ohne Schwarzkunst und Magie,
Theosophie und Panurgie
Und andre Kunstmaschinerie
Muß über, unter und auf der Erden
Gott, Göttin, Halbgott und Genie
Uns, wenn wir rufen, sichtbar werden.

Kaum also, daß der Ruf geschah,
So stand, auf ihrem lüft'gen Wagen
Von Schmetterlingen hergetragen, 143
Die Göttin leibhaft vor mir da:
Doch nicht in jenem Blumenkleide,
Worin sie uns im Mai entzückt,
Wenn, trotz dem funkelndsten Geschmeide,
Ein bloßer Strauß die Augenweide
Der losen Liebesgötter schmückt.
Anstatt der leichten Seide drückt
Ein Zobelpelz die zarten Glieder;
Er hängt in Falten steif und schwer
Um jeden ihrer Reize her
Und zieht sie schier zur Erde nieder;
Und wie ein frisches Rosenpaar
Im Lenz' ihr ganzer Hauptschmuck war,
So wackelt jetzt von Straußgefieder
Ein bunter Busch auf ihrem Haar
Bei jedem Schritte hin und wieder.

Zwar prangt ihr reiches Unterkleid
Mit tausend niedlichen Bouqueten,
Die mit Geschmack und Leichtigkeit
Sich zierlich in einander ketten;
Auch breitet sich ein großer Strauß
Von Anemonen, Veilchen, Nelken
Und Rosen, welche nie verwelken,
Gar stolz an ihrem Busen aus;
Man schwüre drauf, er sey natürlich
Und blüh' und dufte: aber, ach!
Die Blumen blühen nur figürlich!
Sie wurden unter B**s DachUnter B**s Dach – Die kunstreiche Gattin des um Literatur und Kunst sehr verdienten Legationsrathes Bertuch gab einer Menge junger Mädchen Anweisung zur Verfertigung künstlicher Blumen. 144
Von jungen, züchtigen Brigitten
(Gleich rein an Fingern und an Sitten)
An einem langen Arbeitstisch'
Aus Leinewand und altem Plüsch
Und dünnem Taffent ausgeschnitten.

Ich sehe, sprach die Göttin, Freund,
Daß dir zu einem solchen Feste,
Wie alle Götter heut vereint,
Mein Aufzug etwas seltsam scheint.
Du siehst das Werk der frühen Fröste:
So hausen die Octoberweste!
Fürwahr, es ist bejammernswerth,
Wie sie in meinem Eigenthume
Geschaltet, Alles umgekehrt,
Entfärbt, zerknickt, versengt, zerstört;
So daß ich gegen mein Costume
Sogar mich selber, mit Verdruß,
In Contrebande kleiden muß.
Denn, leider! auch nicht eine Blume
Blieb mir anstatt der Händevoll,
Womit ich dich bedienen soll.
Ein einzig Röschen, spät geboren,
Wärmt' ich an meinem Busen auf;
Wie viele Sorge wandt' ich drauf!
Das letzte Lieblingskind von Floren
War für Olympiens Fest erkoren;
Du hättest ihr's in voller Pracht 145
In meinem Namen dargebracht;
Und auch dieß Röschen – ist erfroren!

Soviel ich mich erinnern kann,
Sah Flora hier mich lächelnd an,
Indem ich mit gesenkten Ohren
Kopfschüttelnd ihr vorüber stand
Und Antwort suchte und nicht fand.

In einem Nu erfüllt mein Zimmer
Mit süßem Duft' ein bunter Schimmer,
Dem ähnlich, der im Sonnenlicht'
Aus einem Tulpenfelde bricht.
Behangen sind mit Blumenketten
Die Wänd' umher, ein Baldachin
Von Hyacinthen und Tazetten
Umwölbt die Blumenkönigin,
Und tausend junge Zephyretten,
An Flügeln Amors Psyche gleich,
An Farben gleich den Schmetterlingen,
Umfächeln sie mit seidnen Schwingen
Und bilden mir ihr Zauberreich.

Du Sohn des alten Schwans am BoberSchwan am Bober – Martin Opitz von Boberfeld, der Vater der neuern deutschen Dichterei. W.,
(So hör' ich, wie die Göttin spricht)
Der vierundzwanzigste October
Bedarf entlehnten Schmuckes nicht.
Ihm wird so leicht von andern Tagen
Sich keiner gleich zu stellen wagen;
Ihm, der des Engels stolzen Flug
Bestrahlte, der ins Erdeleben 146
Olympien einst herunter trug!
Verdiensts und Ruhms für ihn genug,
Sein Haupt vor andern zu erheben!

Indeß, wiewohl, an diesem Fest'
Ihr Zeichen meiner Gunst zu geben,
Die Zeit mir freie Hand nicht läßt,
Nichts soll in fünfzig künft'gen Lenzen
Die nie ermüdende Begier,
Olympien zu gefallen, ihr
Getreu zu seyn, in mir begränzen.
Ihr Hain sey künftig mein Revier;
Ihn soll ein ew'ger Frühling kränzen,
Und wo sie hinblickt, wo sie harrt,
Soll Florens stille Gegenwart
Ihr überall entgegen glänzen!
Mein bestes Nachtigallen-Chor
Soll ihr Erwachen laut begrüßen,
Und Blumen immer neu hervor
Aus jedem ihrer Tritte sprießen.
Will sie sich selbst Gesellschaft seyn,
Soll plötzlich sie im stillen Hain
Der schönste Rosenbusch umweben;
In seiner Blätter leisem Beben
Schein' ihr ein Genius zu schweben
Und lade sie zum Denken ein.
Wird ihre Hand den Reißstift halten,
So soll auf immer neuer Spur
In tausend wechselnden Gestalten 147
Die unerschöpfliche Natur
Vor ihren Augen sich entfalten!
Euch übergeb' ich ihre Flur,
Ihr holde Geisterchen! Vertheilet
Euch schwarmweis' überall darin;
Und wo, mit einem Plan' im Sinn',
Olympia im Gehn verweilet,
Da zaubert ein Elysium hin!

Mit diesem Wort verschwand der Baldachin
Von Hyacinthen und Tazetten,
Die schöne Blumenkönigin
Und alle ihre Zephyretten.
Frau Göttin, rief ich ihr, (ihr, die so viel versprach,
So wenig that) indem sie aufflog, nach:
Versprechen zeugt von gutem Willen;
Es kostet nichts und klingt doch fein;
Vergiß nicht, wenigstens die Hälfte zu erfüllen.
Wir wollen dir noch immer dankbar seyn.


V.Zum Verständniß dieses Gedichts muß man wissen, daß die Herzogin Amalia im J. 1788 eine Reise nach Italien gemacht und sich zwei Jahre lang theils zu Rom, theils zu Neapel aufgehalten hatte.

Angelika Kaufmann hatte die Herzogin gemalt. Dieses Gemälde mit geistreich gewählten Emblemen befindet sich in dem sogenannten römischen Hause im Park zu Weimar, dem gewöhnlichsten Sommeraufenthalte des Großherzogs.

Am 24. October 1790.

                  Die Dankbarkeit, der Menschen erste Pflicht,
Ist, wie man, ohne sehr zu lästern,
Behaupten mag, der Götter Tugend nicht.
Die Grazien nehm' ich aus und ihre holden Schwestern, 148
Das heil'ge dreimal Drei, das auf dem Pindus thront,
Die freundlichsten der Götter und Göttinnen.
Die bloße Lust, womit man ihnen dient, belohnt
Schon durch sich selbst: uns wird an Herz und Sinnen
So wohl dabei, so leicht, so warm, so frei!
Die liebe Zeit, die insgemein wie Blei
Auf Adams Kindern liegt, scheint mit den Charitinnen
Und Musen immer nur zu schnell uns zu entrinnen,
Und kurz, das Wenigste, was wir durch sie gewinnen,
Ist hier – ein Himmelreich und dort – Unsterblichkeit.
Drum dächt' ich auch, (mit Gunst der werthen Christenheit!)
Wir blieben noch, solang' es uns gedeiht,
In diesem Stück' ein wenig – Heiden
Und schafften unsre Seligkeit,
Anstatt mit Angst und Herzbeklommenheit,
Im Dienst der Grazien – mit Freuden.
―――
Beschworen sey er denn an diesem goldnen Tag,
Der dich, Olympia, der Welt und uns gegeben,
Beim heil'gen Drei und Neun, der festliche Vertrag,
Solang die Parzen noch an unserm Daseyn weben,
Den Musen und den Grazien zu leben!
Sie haben von des Lebens Morgen an
So viel für dich, du hast so viel für sie gethan:
Wie sollte durch dieß wechselseit'ge Geben
Und Nehmen jenes Blumenband,
Das euch umschlingt, nicht unverwelklich dauern? 149
Was sag' ich? Führten sie nicht selbst an ihrer Hand
Dich in ihr zweites Vaterland
Im Jubel ein? – in jene stolzen Mauern,
Wo Göttin Rom, die Herrscherin der Welt,
Noch unter Trümmern sitzt, die Herz und Mark durchschauern,
Und den Kolossen gleich, von ihnen aufgestellt,
Die Heldengeister Roms noch ihren Fall betrauern;
Wo jeder Athemzug, geschwellt
Von dieser Zauberluft, den Funken
Des Hochgefühls, das uns zu Göttern macht,
Selbst in der engsten Brust zur hellen Flamme facht.

Doch, darf wohl ein Profaner sich entblöden,
Olympia, von dem, was du gesehn, zu reden?
Der Arme, dem das Heiligthum der Kunst
Stets unzugangbar blieb! Dem, ach! aus tiefer Ferne
Dieß Alles nur in blauem Dunst,
Traumähnlich oder gar gleich einem Nebelsterne,
Gespenstern gleich, die im Erscheinen fliehn,
Geahnet nur, ach! nicht gesehn, erschien!
Ihm ziemt es, mit religiosem Schweigen
Sich vor der Glücklichen zu beugen,
Die bis ins Heiligste der ew'gen Tempel drang,
Der höchsten Kunst der Neuern und der Alten,
Mit eignen Augen sah die göttlichen Gestalten,
Mit eignem Ohr den himmlischen Gesang
Der Musen hörte, Jahre lang
Mit Nektar und Ambrosia sich nährte
Und, als sie endlich – voll der Götterspeise, nicht 150
Gesättigt – wieder zu uns kehrte,
Beim ersten Wiedersehn, aus ihrem Angesicht
(Den Jüngern gleich, die Tabors Glanz verklärte)
Von Allem, was ihr Aug' in jenem Götterlicht
Gesehn, den Wiederschein in meine Seele strahlte
Und, o! so ganz sie selbst, so ganz Olympia,
Vor meinen Augen stand, wie sie – Angelika,
Der Grazien vierte Schwester, malte!

―――
Ihr holde Drei, nehmt meinen Dank dafür,
Daß ihr Olympien und unser Glück in ihr
Uns wieder gabt! – Und wenn, was ich von euch gesungen,
Und wenn um eueren Altar
Ein Blumenkranz von mir geschlungen
Euch je nicht ungefällig war,
So hört mich jetzt! – Laßt die Erinnerungen
Aus jenem schönen Doppeljahr
Gleich Platons göttlichen Ideen
In einem ew'gen Traum vor ihrer Seele stehen!
Sein Zauber wirke stets auf ihre Phantasie,
Belebe stets ihr Herz, erneue
Mit jedem Morgen sich und streue
Nicht eignen Reiz auf Alles um sie her.
So, holde Grazien, geleitet sie durchs Leben,
Und (meinem kleinen Ich sein Recht nicht zu vergeben)
So laßt, in Belvedere's Hain,
Auch mich von Allem dem noch lange Zeuge seyn!

 


 


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