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Der launenvolle Gott, (wenn anders nicht der Titel
Für ihn zu vornehm ist) der, ohne Zweck und Mittel,
Von Vorbedacht und Regeln ungezwängt,
Sich unterm Mond so gern' in Alles mengt;
Der den Montgolfiers erfinden,
Dem Zeuxis malen half und Cäsarn überwinden;
Ein Kobold, der zu eurer Weisheit lacht
Und, eh' ihr seine Hand im Spiel' erblicket,
Euch bald den feinsten Plan verrücket,
Bald einen dummen Streich zum Wurf der Venus macht:
Mit einem Wort, der Zufall, liebe Leser,
(Uns Reimern oft Apollo's Amtsverweser)
Hat unverhofft euch einen Dienst gethan,
Wofür ihr euch bei ihm bedanken werdet.
Denn, daß ihr gähnt und übel euch geberdet,
Ist billig, ich gesteh's. Es fing so artig an,
Da habt ihr Recht; allein es nimmt kein Ende!
»Von einer albernen Legende
Schon sieben Bücher, ohne daß der Plan
Um einen Daumen rückt!« – Gott gnad's dem Sacristan
Zu Sanct Kathrinen in Palermo, dessen Hände
Ein spannendickes Buch in rothem Corduan
Damit gefüllt! Wofern' er's nicht als Buße
Und im Gehorsam that, so war er wohl bei Muße
Und rechnete auf Leser von Geduld:
Denn, kurz, wenn dieses Werk sich nicht in eine Länge
Von vier Centurien Bojardischer Gesänge
Vor euren Augen dehnt so ist's nicht seine Schuld.
Zu eurem Troste, liebe Leute,
Ward unser Manuscript, in einem magern Jahr,
Wo andre Nahrung selten war,
Bedrängter Klosterratten Beute.
Zwei volle Drittel sind davon
Verzehrt, und selbst der Rest (den wir mit anderm alten
Verschimmelten Papier' aus einer Auction
Um wenig Paoli's erhalten)
Ist größten Theils von Motten so benagt,
Daß nur ein Oedipus sich an die Räthsel wagt,
Die ihre Zähne übrig ließen.
Ein Glück, daß, nebst dem Theil, womit das Werk beginnt,
Vier ganze Blätter, die es schließen,
Von seinem Genius uns noch erhalten sind;
So daß, mit einem Sprung von sechs bis sieben Jahren,
(Dem Leser zweifelsfrei ein sehr willkommner Sprung!)
Wir gleichwohl die Entknotigung
Des frommen Mönchsromans erfahren.
Wir Alle sind vermuthlich im Besitz
Von so viel Dichtungskraft und Witz,
Als nöthig ist, die Lücke auszufüllen:
Indeß, um unsern guten Willen
Dem Leser (der sich gern die Müh' erleichtern läßt)
Zu zeigen, wollen wir, was aus dem Ueberrest
Des Mottengastmahls noch sich wird enträthseln lassen,
Zu seinem Dienst' hier kurz zusammenfassen.
Wie Clelia, in einer düstern Nacht,
Aus ihres Vormunds Haus, mit Guido, ihrem Helden,
Sich nach Salern zu Schiffe fortgemacht,
Ließ unser Autor euch im vierten Buche melden.
Erst da der Tag in die Kajütte fiel,
Entdeckte sich sein Glück (des Zufalls Spiel)
Dem jungen Herrn in seiner ganzen Schöne;
Und da er sich in seinem Leben nie
Für Tisch und Bett in seiner Phantasie
Was Reizenders geträumt, als diese Sulcimene,
Die Amor unverhofft ihm in die Arme spielt,
Wer zweifelt noch, ob er sich glücklich hielt?
Er war's; und sie, wofern' ich richtig wähne,
Sie war es wenigstens so sehr,
Vielleicht auch noch weit mehr, als er.
Zwar sie muß wohl an dem, was andre Herzensdiebe
Ihr übrig ließen, sich begnügen, wenn sie kann;
Hingegen er war ihre erste Liebe:
Wer nun dabei im Grunde mehr gewann,
Das mag ein Liebeshof entscheiden!
Genug, es fehlt zum letzten Wunsche beiden
Nichts als ein heil'ger Mann, der bei geweihtem Licht
Die treuen Hände fügt und benedicat spricht:
Und dieser wird, bei stets gewognen Winden,
Noch bald genug sich zu Salerno finden.
Doch eitel ist der Menschen bestes Glück!
Ein Nordwind kam auf schnell empörten Wogen
Dem Wind von Süd zum Gegner angeflogen:
Sie faßten grimmig sich einander beim Genick';
Und hätte man nicht stracks die Segel eingezogen,
So war's mit einem Paar von unsern Helden aus,
So sank das Schiff mit Mann und Maus.
Drei Tage, die sechs langen Nächten glichen,
Trieb, trotz der angestrengten Müh
Des Rudervolks, der Sturm in ungewissen Strichen
Sie hin und her und warf am vierten früh,
Von Nässe, Frost und Angst schon halb verblichen,
Sie an den Strand von Tripoli.
Sie scheiterten; allein man fischte sie
Noch glücklich auf und brachte sie zum Leben.
Was weiter drauf mit ihnen sich begeben,
Ist aus der Handschrift, weil sie hier
Fast ganz zerfressen ist, nicht möglich zu erheben;
Und unsers Thuns ist nicht, euch Lügenwerk dafür,
Nach andrer Dichter Art, zu geben.
Doch so viel lässet sich aus manchem einzeln Wort,
Dergleichen hier und da, wie Inseln, einsam stehen,
Errathen: daß, getrennt an vorbesagtem Ort,
Die armen Liebenden hinfort
Mit keinem Auge sich sechs Jahre lang gesehen.
Sie mußten, scheint's, bald da, bald dort
In dieser Zwischenzeit, mit schweren Herzenswehen,
Manch Abenteuer untergehen
Und gaben endlich ganz die süße Hoffnung auf,
Das schönste noch dereinst zusammen zu bestehen.
Inzwischen trug ein ungehemmter Lauf
Den schönen Sinibald, die Buße zu vollenden,
Die seines Liebchens Traum und frommer Eigensinn
Ihm auferlegt, nach Horebs Gipfeln hin.
Die Heilige, die ihn mit unsichtbaren Händen
Zu leiten würdigt, ließ, nach einer langen Fahrt,
Frisch und gesund ihn zu Kairo länden.
Hier ruht er aus, kauft sich nach Landesart
Ein höckrig Thier und gürtet nun die Lenden,
Um nach der Wüste Sin von Suez sich zu wenden.
Er zog mit großem Ungemach
Wohl neunzehn Tage lang, gelangt' erschöpft und schwach
Am zwanzigsten an Ort und Stelle,
Ruht bei den Mönchen aus, ersteigt die Rebhuhnsquelle,
Klimmt immer höher auf, von scharfer Luft gezwickt,
Und rutscht auf seinen Knien noch vollends zur Capelle;
Umarmt mit einem Strom von Thränen, an der Schwelle,
Des heil'gen Leibes Bild, in harten Stein gedrückt:
Verharret, wie ihm von Rosinen
Geboten war, neun Tag' und Nächte hier
In Fasten und Gebet und geißelt, Sanct Kathrinen
Zu Ehren, ordentlich sich alle Tage zwier:
Je mehr er peitscht, je heißer vor Begier,
Den vollen Ablaß bald – an Röschen zu verdienen.
Vollendet war das strenge Bußwerk nun:
Doch Sinibald hat Lust, ein Uebriges zu thun,
Und macht sich auf, Rosinen zu Gefallen
Noch nach Jerusalem zum heil'gen Grab zu wallen.
Das Ungemach der strengen Seelencur,
Gehäuft mit aller Noth der neuen Pilgrimsreise,
Wird seiner zärtlichen Natur
Zuletzt zu stark; und, kaum zu Salem angekommen,
Wirft ihn ein Fieber hin. Er wird ins Hospital
Von Sanct Johann als Pilger aufgenommen
Und bringt daselbst, bei schlechter Pfleg' und Ruh',
Ein halbes Jahr bis zur Genesung zu.
Nachdem er wieder aufgestanden,
Treibt ihn ins Kreuz und in die Quer
Sein Schicksal in den Morgenlanden,
Gleich einem Luftball', hin und her.
Drei Jahre schmachtet er in Banden
Als eines Emirs Sklav, der ihn gefangen nahm.
Ein Tempelherr ward sein Befreier.
Mit diesem ritt er nun, zum Dank, auf Abenteuer,
Bis im Gefecht sein Freund ums Leben kam.
Es war im fünften Jahr, seit Sanct Kathrinens Rache
Ihn von Palermo weggebannt;
Und, daß ich's kurz mit seinen Thaten mache,
Das Uebrige – ist unbekannt.
Wie aber ging's indeß Rosinen, unsrer Lieben?
Der frommen Unschuld kann's nie gar zu übel gehn:
Sie pflegt im Glück sich nie zu sehr zu blähn,
Sich über nichts unmäßig zu betrüben.
Doch blieb des Jünglings Bild ihr tief ins Herz geschrieben,
Und kaum – sie konnt's aus ihrem Fenster sehn –
Sah sie von seinem Schiff die bunten Wimpel wehn,
So pocht ihr kleines Herz: Ach, wär' er da geblieben!
In Einfalt fromm, verdoppelt sie nunmehr
Die Andacht zu Kathrin' und unsrer lieben Frauen
Und lebt in gänzlichem Vertrauen,
Für des Geliebten Wiederkehr
In Jahres Frist der Heiligen zu danken.
Sie bringt indeß die lange Zwischenzeit
In stiller Abgeschiedenheit
Mit ihrer Nadel zu; pflegt liebreich ihrer kranken
Betagten Base Tag und Nacht,
Hilft Claren für die Wirthschaft sorgen,
Und, außer daß sie alle Morgen
Zur Messe geht, lebt kaum im tiefsten Schacht'
Ein Bergmann mehr der Welt verborgen.
Ihr süßestes Geschäft ist eine Stickerei,
Ein reicher, buntbeblümter Schleier,
Der Heil'gen angelobt, wofern sie ihren Freier
Gesund, entsündigt und getreu
Ihr wiederbringt. Die schönsten Morgenstunden
Sind diesem guten Werk geweiht.
Kein Vogel wird des Schlafs so früh entbunden
Und wacht mit größrer Munterkeit
Zu Liebesspielen auf, als sie zu ihrem Rahmen;
Sie schonet ihrer besten Perlen nicht,
Und selbst ein goldnes Herz, mit ihrer Mutter Namen
In Schmelz, (so lieb ihr's war) muß, weil's an Gold gebricht,
Zum Juden gehn, mit andern Siebensachen,
Um das Versprochne nur recht schön und reich zu machen.
Ein langes Jahr war nun vorbei,
Der schöne goldne Schleier fertig,
Rosinchen jeden Tag in stiller Träumerei
Des Wiederkommenden gewärtig,
Und, ach! kein Guido kam! – (Denn, daß es Guido sey,
Dem sich ihr Herz verlobt, war ihr noch unbenommen.)
Jetzt wankt ihr Muth, und ihrer Nächte Ruh
Stört mancher bange Traum; doch spricht sie Trost sich zu.
»Er muß nun ganz gewiß im nächsten Monat kommen!
Ihn hielt ein Gegenwind vielleicht im Hafen auf;
Er fand nicht gleich ein Schiff, das in geradem Lauf
Palermo sucht'; auf einer solchen Reise
Hemmt einen dieß und das im vorgesetzten Gleise.«
So hält sie sich mit ziemlich festem Sinn,
Sich selber ihrer Zagheit wegen
Bescheltend, immer noch mit leisem Hoffen hin;
Und jedem Segel klopft ihr Herzchen laut entgegen.
Zum dritten Mal, seit sie ihn fliehen sah,
Ist nun Kathrinens Festtag nah',
Ist schon vorbei, und noch kein Guido da!
Dieß ist zu lang! Noch länger Muth zu hegen,
Wird ihr zu schwer, geht über ihr Vermögen.
Bei Tage drückt sie zwar, sofern' ihr trüber Blick
Sie nicht verräth, den Gram in ihre Brust zurück,
Die nur durch Seufzer sich der schweren Last entladet:
Allein bei Nacht, – wenn Alles um sie ruht,
Nur sie allein, wie zwischen Schnee und Glut,
Sich schlaflos wälzt, – auf ihrem Lager, badet
Ein unverhaltner Thränenguß
Die kummervolle Brust, die abgebleichten Wangen.
Zwar ohne Murren beugt das fromme Lamm dem Schluß
Des Himmels seinen Hals: doch gräbt der Schmerz im bangen,
Gepreßten Busen nur sich desto tiefer ein;
Und, scheint dem harrenden Verlangen
Auf einen Augenblick der Schlummer hold zu seyn,
So wird der Schlummer selbst die Quelle größrer Pein.
In grauenvollen Wüstenein
Sieht sie den Jüngling, bald gejagt von feur'gen Schlangen,
Bald in den heißen Sand verschmachtend hingestreckt,
Bald eines Tigers Raub, von Räubern bald gefangen,
Bald im empörten Meer' an Wogenspitzen hangen.
Mit kaltem Angstschweiß' überdeckt
Fährt sie empor aus ihrem Traum' und weckt
Durch ängstlichs Schrein die Amm' im Cabinete.
Was ist's? was fehlt dir, liebes Kind?
Ruft Clar' und springt erschrocken aus dem Bette;
Doch jene, (wie die jungen Mädchen sind)
Beschämt, ihr zu gestehn, was sie ihr (aus Besorgen
Vor ihrem Tadel) nun drei Jahre schon verborgen,
Glitscht, wie ein Aal aus nasser Hand entschlüpft,
Den Fragen aus, womit die schlaue Amme
Ihr Herz wie mit der Fingerspitze tüpft.
Indessen leckt die eingeschloss'ne Flamme
Ihr zartes Mark; der Jugend Rosenglanz
Erlischt; mit Wolken ist ihr Auge stets umhangen,
Und ihre Lippen, ihre Wangen
Sind wie ein abgewelkter Kranz.
Der Tante Tod, der jetzt erfolgt, befeuert
Den ältern Schmerz, indem er ihn umschleiert;
Wiewohl es Claren nicht so ganz natürlich scheint,
Daß man um eine alte, blinde,
Gichtbrüch'ge Frau so lang' untröstbar weint.
Die Wunden dieser Art verheilen sonst geschwinde.
Indeß arbeitet (wie sie meint)
In ihres Fräuleins Brust ein mächtiges Geheimniß
Und drückt und preßt sie sichtbarlich.
»Es zu verheimlichen, ist bloße Zeitversäumniß,
Denkt Clare bei sich selbst! denn mich
Wird sie dabei doch nicht entbehren können.
Wir wollen uns die Lippen nicht verbrennen.
Sie kommt, es sey nun was es sey,
Noch wohl von selbst und öffnet mir die Pforte
Und gibt um Rath und That mir noch die besten Worte.«
Die Amme war ganz nah dabei;
Denn wirklich brütete die fromme Schwärmerei,
Von Liebesglut erhitzt, das wunderbarste Ei
In Röschens Busen aus, das Schwärmerei und Liebe
Je ausgeheckt; wiewohl ums erste Jubeljahr
Ein Mondkalb dieser Art nicht unnatürlich war.
Kurz, sie erlag, nach langem Kampf, dem Triebe,
Sich in Person nach dem geliebten Mann'
Auf Sinai bei Sanct Kathrinen zu erfragen.
Was ihr Frau Clar' dagegen sagen kann,
Ist just so viel, als es dem Winde vorzusagen.
Sobald ihr Herz, aufs Aeußerste gebracht,
Vom Kopfe Meister sich gemacht,
Stand ihr Entschluß unwankbar wie ein Pfeiler.
Und wär' es sieben Mal so weit
Bis zum Kathrinenberg', und stieg er zehnmal steiler
Bis in die Wolken auf, sie fühlet Tapferkeit
In ihrer Brust, das Aergste zu bestehen:
Ja, müßte sie auf Erbsen barfuß gehen,
Beschlossen ist's, sie muß den Jüngling, dessen Bild
Ihr ganzes Herz, ihr ganzes Wesen füllt,
Noch einmal, eh sie stirbt, todt oder lebend sehen.
Von Stund' an kehrt mit diesem Schluß
Der Augen schöner Glanz, der Lippen Purpur wieder.
Frau Clare, die sich endlich geben muß,
Schwört ihr, so lang' als etwas auf und nieder
In ihrem Mieder geht, ihr hold und treu zu seyn
Und überall durch alle Fährlichkeiten
Bis an den Rand der Welt sie herzhaft zu begleiten.
Sie packen nun eilfertig Alles ein,
Was man auf einer solchen weiten
Jahrlangen Fahrt zu Wasser und zu Land
Vonnöthen haben kann, an Kleidung, Bettgewand
Und tausend andern kleinen Waaren,
Wovon wir euch die Note hier ersparen.
Die Erbschaft geht beinahe ganz darauf.
Für jeden Tag, solang' ihr Reiselauf
Berechnet ist, sind eben so viel Messen
Voraus bezahlt; auch wird (wie viel man sonst vergißt)
Der Schleier für die Heil'ge nicht vergessen.
Ein Schiff, das nach Alepp' verdungen ist,
Nimmt unsre beiden Pilgerinnen
An Bord; ein Wind vom Lande her
Schwellt ihre Segel auf, und sie gewinnen
In kurzer Zeit beglückt das hohe Meer.
Allein den Sanct Kathrinenberg zu sehen,
Der Trost, du holdes Kind, war dir nicht zugedacht!
Umsonst ließ eine günst'ge Macht
Auf deiner langen Fahrt erwünschte Winde wehen:
In einer schwarzen Unglücksnacht
Bemächtigt sich ein Raubschiff ihrer Pinke,
Nach einem Widerstand, wie wenn ein armer Finke
Mit Klau' und Schnabel, angstbetäubt,
Sich in des Habichts Griffen sträubt.
Vergebens schreien um Erbarmen
Und Beistand mit gerungnen Armen
Die Pilgerinnen himmelwärts
Und bieten in der Angst den rauhen Wasserschlangen
Mehr, als sie haben, an, um Freiheit zu erlangen:
Die Räuber sind von Stein, der Himmel ist von Erz.
Im ganzen Schiffe wird, was christlich heißt, gefangen,
Und Röschen nebst Frau Clar' (die lieber jeden Tod
Sich anzuthun, als sie zu lassen, droht)
Vertauschen zu Damask im Saracenenlande
Die Freiheit mit dem Sklavenstande. |