Christoph Martin Wieland
Athenion
Christoph Martin Wieland

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5.

Wir haben die Athener und den Philosophen Aristion einen Augenblick aus dem Gesicht lassen müssen, weil es, da doch der Angelegenheiten des Mithridates Erwähnung geschehen mußte, anständiger war, dem Leser die Erinnerung an die Geschichte dieses berühmten Römerfeindes durch etliche Federstriche zu erleichtern, als ihn an Bücher zu verweisen, die er jetzt vielleicht weder Lust noch Gelegenheit hat nachzuschlagen. Wir kehren nach diesem kleinen Absprung erst zu den Athenern, dann zu unserem Sophisten zurück.

Es war ungefähr zweihundert und vierzig Jahre, seit die Griechen durch die berühmte Schlacht bei Chäronea ihre Freiheit verloren – und über hundert, seit sie etwas der Freiheit Aehnliches durch den römischen Consul Flaminius wieder erhalten hatten. Athen hatte während aller dieser Zeit mancherlei abwechselnde, zum Theil sehr widrige Schicksale erfahren. Sie war noch immer eine der größten, volkreichsten und herrlichsten Städte in der Welt; noch immer, wenigstens dem Namen und Andenken nach, die Stadt der Minerva, die Mutter und Pflegerin der Künste und der Wissenschaften; aber der Geist, den ihr, etliche Jahrhunderte zuvor, einige große Männer eingehaucht hatten, war schon lange verflogen, und Athen hatte aufgehört, große Männer hervorzubringen. Der edle schöne Charakter, welchen Perikles und Isokrates dem athenischen Volke beilegen, war zuerst durch die Demokratie, hernach unter der Oberherrschaft der macedonischen Fürsten stufenweise so ausgeartet, daß jene alten Athener, die mit Themistokles, Aristides und Cimon den größten König von Asien gedemüthigt hatten – die Athener, die dem Antigonus und Demetrius bei lebendigem 318 Leibe einen eigenen Priester bestellten und sie, als Schutzgötter ihrer Stadt, der Minerva und den eleusinischen Göttinnen an die Seite setzten, gewiß nicht für ihre Nachkommen erkannt haben würden. Das Herz empört sich, wenn man beim Plutarch bald die übermüthigen Bübereien, bald die knechtischen Niederträchtigkeiten liest, welche sie sich nicht schämten zu begehen, um dem Demetrius Poliorketes heute die unbesonnenste Verachtung, morgen die ausschweifendste Verehrung und Unterwürfigkeit zu bezeugen. Indessen blieb doch die Idee der Freiheit immer die Dulcinea dieses leichtsinnigen Volkes, ungeachtet sie mit Händen greifen konnten, daß die Zeit, schimmernde Entwürfe zu machen, für sie vorüber sey.

So schwärmerisch ihre erste Dankbarkeit gewesen war, als Flaminius sie von dem Joche des Königs Philippus befreite, so konnten sie sich doch bei kälterem Blute des Gefühls nicht erwehren, daß die Freiheit, die man ihnen geschenkt hatteDie griechischen Republiken wurden von den Nachfolgern Alexanders von Zeit zu Zeit so beschenkt. Aber meistens hatte man ihnen vorher Alles genommen, was dem Geschenk einen Werth hätte geben können. Stilpon, sagte Demetrius zu dem bekannten Philosophen dieses Namens in Megara, ich lasse auch eure Stadt frei. Das ist wahr, versetzte Stilpon, denn du hast uns nicht einen einzigen Knecht übrig gelassen. W., nicht viel besser als eine Kinderpuppe sey; und alle hellenisirende Politesse, königliche Freigebigkeit und herablassende Gefälligkeit, wodurch der Sieger des Perseus, Paulus Aemilius, die römische Majestät zu mildern und ihr das Verhaßte zu benehmen suchte, alle Wohlthaten, welche sie vor andern griechischen Städten von ihm empfangen hatten, erzeugten eben darum, weil es Wohlthaten waren, bei einem so flüchtigen, veränderlichen und auf seine ehemalige Größe so eitelstolzen Volke nur eine vorüberrauschende Erkenntlichkeit, welche alle Augenblicke, bei dem geringsten Anschein, sich wieder unabhängig machen zu können, in Haß und Empörung umschlug. Das Widersinnigste bei diesem Allem war, daß sie durch so viele Erfahrung, wie sie sich bei jedem ihrer vielen Befreier so wenig besser, als vorher, befunden und im 319 Grunde nur einen neuen Beherrscher um den alten eingetauscht, nicht klüger geworden, sondern immer bereit waren, auf eigene Kosten einen neuen eben so vergeblichen Versuch zu machen; wiewohl es nur von ihnen abhing, zu sehen, daß in ihren Umständen und bei der damaligen Lage der Sachen gar nichts mehr zu versuchen war.



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