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Unter die gelehrten Weidsprüche, die auf das Wort irgend eines großen Mannes, der sie zuerst gesagt hat, und um des blendenden Scheins willen, den sie beim ersten Anblick von sich werfen, ohne weitere Untersuchung für gut angenommen werden, gehört auch das bekannte: Felix Respublica ubi aut Philosophi imperant aut Imperantes philosophantur; das ist, »glücklich sind die Staaten, wo entweder die Philosophen regieren, oder die Regenten philosophiren.«
Friede sey mit der Asche des Weisen, aus dessen Munde oder Feder dieser Spruch zum Ersten hervorgegangen! Ich bin gewiß, er hätte mit gutem Gewissen schwören können, daß er eine große Wahrheit zu sagen glaubte; und ich selbst wollte darauf schwören, daß er ein Philosoph war, und daß sein gnädiger Herr oder seine gnädige Herren – nicht philosophirten.
Ich denke nicht, daß hier erst zu fragen sey, was er unter einem Philosophen verstanden habe. Hätte er nichts weiter mit seinem Spruche sagen wollen, als: ein Volk sey glücklich, das von einem weisen Manne weislich regiert werde: so hätte er eben so wohl gethan, nichts zu sagen. Denn wer wird mit einer Miene, als ob er eine gar wichtige neue Wahrheit zu Tage gefördert habe, sagen: Weisheit ist besser als Unweisheit. Aber ganz gewiß war das auch seine Meinung nicht. 308 Er verstand unter einem Philosophen keinen Weisen, sondern was man von jeher unter einem Philosophen verstanden hat, einen Mann, der sich auf Philosophie gelegt hat und Philosophie treibt: sowie man unter einem Arzt nicht einen Mann meint, der selbst gesund ist und alle Kranken gesund macht, sondern einen, der die Arzneikunst gelernt hat und treibt, so gut er kann und weiß; oder wie man nicht denjenigen einen Schiffer nennt, der sein Schiff glücklich und wohlbehalten an Ort und Stelle führt, sondern den, der die Kunst versteht, ein Schiff zu führen. Vorausgesetzt also, daß in vorbesagtem Weidspruch das Wort Philosoph weder mehr noch weniger bezeichnet, als einen Mann, der, nach Cicero's Erklärung, die Wissenschaft aller göttlichen und menschlichen Dinge, oder nach Wolfens, die Wissenschaft aller möglichen Dinge, insofern sie möglich sind, zu seiner Profession gemacht hat: so sehe ich eben nicht ein, warum ein Staat unter dem Scepter eines Philosophen glücklicher seyn sollte als unter irgend einem andern Ehrenmann, der so viel Verstand hat, seine rechte Hand von seiner linken zu unterscheiden. Daß die Philosophen andrer Meinung sind, und daß es ihnen, weil sie andrer Meinung sind, an Gründen, ihre Meinung aufzustutzen, nicht fehlen könne, laß ich gerne gelten. Aristoxenus, der Tonkünstler, behauptete: die Seele sey ein Accord und das Universum eine große Harfe, auf der die Natur Solo spiele! Einem Manne, der so parteiisch für seine Kunst dachte, war es gewiß nicht zu viel, auch zu behaupten oder doch wenigstens zu glauben, die Staaten würden am glücklichsten seyn, wenn sie von lauter Tonkünstlern regiert würden. Und der französische Tanzmeister, der unmöglich begreifen konnte, was die Königin Anna an Herrn Robert Harley gesehen haben könnte, daß sie ihn zu ihrem ersten Minister gemacht, da er doch der größte Schöps 309 auf seinem Tanzboden gewesen – ich bin versichert, daß in den Augen dieses ehrlichen Mannes ein guter Tanzmeister geschickter war, die Welt im Gang zu erhalten, als die sämmtlichen Mitglieder aller Akademien der Wissenschaften in Europa. Es ist nun einmal nicht anders: Jedermann ist öffentlich oder heimlich für die Profession, die er treibt, und für die Classe, zu welcher er gezählt wird, eingenommen: warum sollten's die Philosophen, die doch unstreitig so viel vor uns Andern voraus haben, weniger seyn?
Der kürzeste und sicherste Weg, über diesen Punkt hinter die Wahrheit zu kommen, ist wohl dieser, daß man sich umsehe, wie glücklich die Staaten gewesen sind, denen es so gut worden ist, von Philosophen regiert zu werden. So viel ich weiß, ist der Fall noch nicht oft vorgekommen. Aber desto auffallender und vorstechender wird ohne Zweifel auch das Glück solcher Staaten gewesen seyn. Mir ist davon ein Beispiel bekannt, das zwar etwas alt, aber vielleicht das merkwürdigste in seiner Art ist, das die Geschichte aufzuweisen hat. Da zu vermuthen ist, daß der Philosoph, den ich meine, wenigstens neunundneunzig von hundert meiner Leser gänzlich unbekannt sey: so will ich Ihnen seine Geschichte umständlich genug erzählen, um Sie eben so bekannt mit ihm zu machen, als ob Sie das Glück gehabt hätten, selbst unter seiner Regierung zu leben; mit der vorläufigen Versicherung, daß Sie sich auf die historische Wahrheit aller Umstände, so außerordentlich und mährchenhaft sie auch zum Theil klingen mögen, so gut als bei irgend einem andern Stück alter Geschichte verlassen können. 310