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Als er nach Hause kam, empfing ihn Busze mit finsterem Gesicht. »Ich glaubte, du wolltest gar nicht mehr wiederkommen«, sagte sie gereizt.
»Warum sollte ich nicht?« fragte er herausfordernd. Er zog sich aus, um ins Bett zu gehen, obgleich es noch ganz hell war.
»Der Förster ist hier gewesen«, warf sie nach einer Weile mürrisch hin.
»Der Förster – ? Was wollte der?«
»Er wollte dich sprechen – glaubte auch nicht, daß du nicht zu Hause wärst, und sah auch überall nach.«
»Was hast du ihm gesagt?«
»Nun – du seist des Morgens aufs Gericht gegangen.«
»Aufs Gericht?«
»Ja, du hattest doch den Termin mit dem Juden.«
Pawils schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. »Zum Teufel –! Das hatt' ich vergessen.« Er ging unruhig durch die Stube. »Jetzt ist's zu spät.«
Nach einer Weile sagte er: »In der Nacht bin ich zu Hause gewesen – verstehst du?«
Sie antwortete nicht.
Ärgerlich warf er sich aufs Bett. »Pah! Der Jude wird um einen anderen Termin gebeten haben. So unverschämt wird er nicht ...« Er rückte den Kopf in den Kissen zurecht und wandte das Gesicht der Wand zu. Nach wenigen Minuten schnarchte er laut.
Aber der Jude war doch »so unverschämt« gewesen, sein Recht zu verfolgen. In zwei Tagen war das Urteil ausgefertigt und zugestellt. Lauronat wollte es »nicht annehmen«. »Ob du deinen Namen schreibst oder nicht, ist ganz gleichgültig,« erklärte der Beamte, »meine Bescheinigung gilt. Ich möchte dir doch raten, Geld zu besorgen. Nathan Hirsch ist ein gefälliger Mann; wenn man ihm aber nicht Wort hält, kennt er keine Nachsicht. Ich habe Exempel.«
Lauronat ging zu seinem Schreiber. Er wolle »appellieren«, sagte er. Wie könne man ihn auf des Juden Geschrei verurteilen? Der Praktikus riet aber ab. »Wechsel ist Wechsel. Da heißt es bloß: hast du geschrieben? Und was du einwenden willst, hält ja auch nicht.«
Das überzeugte seinen Klienten keineswegs. Aber er wollte sich's doch noch eine Weile überlegen.
Die Weile dauerte, so kurz sie an sich war, doch zu lange. Am andern Vormittag kam schon der Exekutor auf den Hof und erklärte, pfänden zu müssen. Busze jammerte, das Unglück sei über sie gekommen; auch Erdenings und seine Frau traten heraus und klagten, daß der Wirt ihnen solche Schande mache. Pawils stand da, die Daumen in den Hosentaschen und lachte höhnisch. »Was hat der Jude dir in die Hand gesteckt,« fragte er den Beamten, »daß du so schnelle Beine hast?«
Das nahm dieser krumm. »Nimm deinen Mund in acht,« antwortete er, »solche unbedachte Worte können dir sonst teuer werden. Hast du das Geld oder nicht?«
»Ich hab's nicht.«
»So bin ich angewiesen, auf das Fuhrwerk Beschlag zu legen.«
»Hoho!«
»Die beiden Braunen mit dem Wagen sind allenfalls so viel wert.«
»Du sollst einmal!« Lauronat stellte sich breitbeinig hin und hob die Hand.
»Da frage ich gar nicht.« Der Exekutor ging nach dem Stalle und wollte die Tür öffnen; der Litauer sprang aber vor und stieß ihn gegen die Brust, daß er taumelte. »Die Braunen lasse ich mir nicht fortnehmen!«
»Der Stoß soll dir noch leid tun«, rief der nun wirklich erzürnte Beamte. Er holte den Schulzen und einen Dorfschöffen zu seinem Beistande herbei. »Der Gewalt wird er weichen müssen.«
Dazu hatte Lauronat anfangs wenig Lust. »Die Braunen lasse ich mir nicht fortnehmen«, wiederholte er immer wieder.
Die Weiber lamentierten, der Altsitzer schimpfte.
»Sei nicht verrückt,« sagte Wasputtis, der Schulze, zum Wirt, »es hilft dir doch nichts.«
Er mußte an den Armen gefaßt und von der Türe fortgezogen werden.
»Gut, gut!« rief er. »Drei gegen einen! Ihr habt's zu verantworten.«
Nun wurden die Pferde herausgebracht und nebst dem Wagen zu Nachbar Liebert gebracht, der dem Exekutor der Zuverlässigste im Orte schien. Er übergab ihm das Pfand in Aufbewahrung. »Übermorgen komm ich zur Auktion«, sagte er. Dann fuhr er ab.
Lauronat lärmte auf seinem Hofe weiter und stieß Drohreden aus. Vielleicht erschien ihm das als das beste Mittel, Busze und ihre Eltern zum Schweigen zu bringen. Ihn konnten sie doch nicht überbieten. Es blieb aber nicht dabei. »Ich will dem Hunde doch mal meine Meinung sagen«, erklärte er, zog sich zum Ausgehen an, nahm die Herrenpeitsche in die Hand und begab sich zu Liebert. »Laß mein Fuhrwerk anspannen«, befahl er.
»Deine Pferde sind im Pfandstalle,« entgegnete der Deutsche, »ich kann sie nicht herausgeben.«
»Was heißt das?« fragte Lauronat mit hochmütigem Achselzucken. »Ich werde doch wohl mit meinen eigenen Pferden noch ausfahren können?«
»Ich darf's nicht erlauben«, sagte Liebert und ging in sein Haus, um einen Streit zu vermeiden. – Der Stall war verschlossen. Lauronat geriet darüber vollends in Wut, holte eine Axt herbei und sprengte die Tür. Die Schläge machten Liebert aufmerksam; er kam mit seinen Leuten heraus und rief: »Ihr seid Zeugen, wie er's treibt.« Er schrieb dann sogleich an das Gericht die Meldung.
Lauronat aber spannte nun ganz befriedigt die Braunen vor seinen Wagen, setzte sich auf und fuhr wie das Donnerwetter durchs Dorf, bei dem Schulzen vorbei, daß ihm die Lehmkluten an die Fenster flogen.
Er hielt erst in Szibullen vor des Juden Hause an und trat ohne anzuklopfen in die Stube, in der eben der Mittagstisch abgeräumt wurde. Die Familie war noch zusammen. »Das ist eine Frechheit«, platzte er heraus, »mich verurteilen zu lassen, wenn ich den Termin vergessen habe, und mir dann noch den Exekutor zu schicken!«
»Was willst du?« sagte der alte Nathan gelassen. »Ich fordere mein Geld zur bestimmten Zeit, und du gibst es mir nicht. Ich klage bei Gericht, und du erscheinst nicht. Soll ich da nicht handeln, wie das Gesetz gestattet, mich vor Schaden zu bewahren?«
»Aber das Fuhrwerk –«
»Du hast mich selbst verwiesen an das Fuhrwerk. Es hat damals auf dem Platze gestanden wie jetzt, und du hast hinausgezeigt mit der Hand und gesagt, die Braunen sind allein tausend Mark wert. Nun nehm' ich die Braunen. Und es wundert mich, daß du heut' mit ihnen aufgefahren kommst. Sind sie nicht wegen der Schuld gepfändet?«
»Das mag sein.«
»Du machst dir Unannehmlichkeiten, mein lieber Lauronat, du wirst in Strafe genommen. Es tut mir leid.«
»Die Braunen gebe ich nicht, da kannst du dich auf den Kopf stellen.«
»Warum soll ich mich auf den Kopf stellen, wenn ich stehe auf sicheren Füßen und werde geschützt vom Gesetz? Gib mir mein Geld, und ich will die Braunen vor meiner Tür nicht gesehen haben.«
»Laß eintragen!«
Nathan Hirsch klopfte mit dem Finger seinen weißen Bart über der Brust und schloß das linke Auge. »Eintragen! Was tu' ich mit der Hypothek? Ich bin ein Handelsmann, braucht das Geld blank oder in sauberm Papier für mein Geschäft. Du bist nicht der einzige, der Hilfe haben will. Und was für eine Hypothek! Hinter dem großen Altenteil, das dich ruiniert. Wer nimmt mir die Hypothek ab? Und wie kann ich sie herausbieten, wenn es zum Äußersten kommt?«
Lauronat preßte die Lippen zusammen und sah mürrisch vor sich hin. Eigentlich hatte der Jude recht. »Verflucht, daß ich mich mit dir eingelassen habe«, murmelte er.
»Warum willst du fluchen,« wendete der Alte ein, »wo es doch klüger ist, zu überlegen, wie du mir gerecht werden kannst? Setze dich zu mir Pawils, setze dich zu mir, und laß uns zusammen überlegen.« Er winkte seinem Sohn, einen Stuhl heranzuschieben. »Ich will bedenken, daß du Unglück gehabt hast mit der Stute, und deine Verlegenheit nicht für mich ausbeuten. Kann ich gesichert sein, so will ich nicht bestehen auf meinen Schein. Aber ich höre von allen Seiten, deine Wirtschaft geht zurück. Du hast verkauft, was du zum Winter behalten solltest, du hast Flickschulden überall, und die Prozeßkosten zehren dich auf. So kann's nicht weiter gehen. Da ist's vielleicht doch am besten, du machst das stolze Fuhrwerk zu Gelde, befriedigst mich und kaufst dir ein paar Pferde, wie sie ausreichend sind, für ein Geringes.«
»Nie und nimmer«, rief der Litauer hinein.
»Aber wie willst du denn wirtschaften mit drückenden Schulden? Ich möchte dich gern erhalten – sage mir, wie das geschehen kann.«
Lauronat warf den Kopf auf. Pah! Wenn ich noch tausend Mark hätte ...«
»Tausend Mark! Noch tausend Mark!«
»Eingetragen natürlich.«
»Und damit könntest du deine Wirtschaft wieder ganz in Ordnung bringen, mein guter Pawils?«
»Ganz und gar. Aber was fragst du?«
»Ich kann doch fragen. Noch tausend Mark – hm! Vor dem Altenteil, ja! Da ließe sich das Geld beschaffen. Und ich könnte allenfalls meine tausend Mark dazulegen und brauchte dich nicht zu drücken. Zweitausend Mark vor dem Altenteil – ja, davon wäre zu reden. Wenn du hinterher fleißig sein und vernünftig wirtschaften und die Zinsen pünktlich bezahlen wolltest ...«
Lauronat zuckte die Schultern. »Erdenings wird doch nicht zurücktreten«, sagte er.
»Du mußt ihn bitten.«
»Bitten! Den! Ich stehe so nicht mit ihm.«
»Das kann ich nicht löblich nennen. Es ist doch der Vater deiner Frau. Ihr Litauer müßt immer Streit in der Familie haben – das ist euer Verderb. Warum soll ich nicht bitten einen nahen Verwandten? Und wenn der Mann sich's überlegt, ist's doch sein Vorteil mit, daß du bei Kräften bleibst. Aber wie du willst. Ich sage nur, wie weit ich dir entgegenkommen könnte ohne eigenen Verlust. Die zweitausend Mark vor dem Altenteil ließen sich beschaffen.«
»Sprich du mit Erdenings«, sagte Lauronat nach einigem Bedenken verdrießlich.
»Ich? Was wird er auf mich geben?«
»Mehr als auf mich. Und wenn er's abschlägt, kränkt er mich nicht – und dich auch nicht.«
Nathan Hirsch beriet sich mit seinen Söhnen; der Litauer verstand nicht, was sie sprachen. Endlich sagte Nathan: »Gut – ich will mit dir kommen, wenn du versprichst, mich vor Nacht wieder nach Hause zu bringen. Es kann mir ja auch nur lieb sein, wenn ich mein Geld bekomme in Frieden und eine kleine Provision für meine Gefälligkeit. Es ist vielleicht Torheit, daß ich mir für einen fremden Menschen Mühe gebe, den ich doch habe in meiner Gewalt. Der Moses hat recht. Aber ich will ehrlich an dir gehandelt haben und ruhig schlafen können. Komm!«
Nun beschäftigten sich Frau und Kinder um ihn, ihm einen langen Pelz anzuziehen, eine Pelzmütze aufzusetzen und warme Filzschuhe auf die Füße zu schieben und ihn auf den Wagen zu heben. Dann wurde zärtlicher Abschied genommen, die freundlichsten Worte begleiteten ihn. Lauronat hätte es lieber gesehen, wenn der Jude am anderen Tage mit eigenem Fuhrwerk gekommen wäre. Jetzt so neben ihm ... Aber er bezwang sich und sagte nichts.
Erdenings war eine ganze Weile halsstarrig, und Urte bestärkte ihn darin. Zum Bitten konnte Pawils sich auch schwer entschließen. Er gab den Alten zwar ein paar gute Worte, aber als sie ihm nicht gleich den Willen taten, fuhr er ärgerlich auf: »Eh' ich mir die Braunen verkaufen lasse, brech' ich euch das Dach über dem Kopfe ab«, und verließ das Zimmer. Busze hielt sich still, redete nicht zu und nicht ab. Endlich gelang es dem »weisen Nathan« doch, mit seinen guten Gründen durchzudringen. Es wurde nur noch über die Summe verhandelt, die Erdenings auf seine Forderungen von tausend Mark abbekommen sollte. Hirsch ging zu Pawils hinunter und brachte ihn wieder in die Stube zurück. Sie wurden auf zweihundertundfünfzig Mark einig. Das Geschäft sollte morgen auf dem Gericht glattgemacht werden. Bis das geschehen sei, versprach Lauronat, nicht ohne heftiges Widerstreben, das gepfändete Fuhrwerk wieder bei Liebert abzugeben. Hirsch bestand darauf. Dafür wollte er wegen der eigenmächtigen Fortnahme ein Auge zudrücken.
Die Angelegenheit wurde wirklich erledigt, wie verabredet. Lauronat war aber weit entfernt, dem Juden dafür besonderen Dank zu wissen. »Er hat ja nun doch seine tausend Mark«, dachte er, »und kann lachen.« Auch der Altsitzer hatte nach seiner Meinung ein gutes Geschäft gemacht, da er das bare Geld bekam. Die Absicht, seine anderen Schulden zu berichtigen, führte er nur zum Teil aus. Dreihundert Mark in Goldstücken und Silber brachte er eines Abende zu Lenke Kalbis und gab sie ihr in Verwahrung. »Bei ihr vermutet keiner so etwas«, sagte er »und man muß für alle Fälle sorgen.« Der Beutel wurde unter dem Herde eingescharrt und mit einem Stein bedeckt. Zugleich nahm er sein Gewehr wieder mit.
Jakubs Kalbis war ohne Weiterungen begraben worden.
Der Herbst brachte mancherlei recht unerfreuliche Ereignisse.
Da wurde Pawils Lauronat zunächst vor Gericht geladen, um sich wegen seines Verhaltens bei der Pfändung zu verantworten. Er hatte gemeint, davon dürfe nicht weiter die Rede sein, da Nathan Hirsch doch befriedigt wäre. Nun wurde er bedeutet, das habe miteinander nichts zu tun. Er habe Widerstand geleistet bei der Pfändung, den Exekutor tätlich angegriffen und mißhandelt, endlich den Pfandstall erbrochen und das Pfand entfernt. Lauronat konnte die Tatsachen nicht bestreiten, außer daß er meinte, er habe den Exekutor nicht gestoßen, sondern nur fortgeschoben. »Aber das ist alles des Juden Schuld«, sagte er. »Er hat mich verurteilen lassen, ohne daß ich ein Wort habe sprechen können, und dann hat er den Exekutor angestiftet, mir das Fuhrwerk fortzunehmen, gerade das Fuhrwerk, da doch Haus und Hof voll Sachen waren, die auch beim Verkauf etwas eingebracht hätten. Damit bewies er seine Bosheit. Und weshalb sonst hab' ich denn das Fuhrwerk fortgenommen, als zu ihm zu fahren und seine Schlechtigkeit aufzudecken? Er hat denn auch sein Unrecht eingesehen und mir noch mehr Geld angeboten und selbst mit Erdenings alles in Ordnung gebracht. Als er nun die schöne Hypothek hatte, ist er nun doch nicht still gewesen, sondern hat mich beim Gerichte verschrien; und dafür soll ich nun unschuldig in Strafe kommen.«
Der Richter sagte ihm, er sei im Irrtum; nicht Nathan Hirsch, der Exekutor habe ihn seiner Pflicht gemäß angezeigt. Aber Lauronat blieb dabei, dies alles hätte nicht geschehen können, wenn ihm der Jude nicht die Braunen hätte fortnehmen wollen. »Dem ist's doch ein leichtes gewesen, so einem den Mund zu stopfen,« sagte er, »aber das hat ihm nicht gepaßt.« Der Richter fuhr ihn an, er beleidige überdies noch den Beamten. Nun schwieg er wohl, aber er wußte doch, was er wußte.
Er wurde zu einigen Monaten Gefängnis verurteilt.
Zugleich schwebte gegen ihn die Untersuchung wegen des Jagdfrevels. Der Förster behauptete steif und fest, er habe ihn erkannt; wer der zweite Mann gewesen, wisse er nicht. Lauronat bestritt. »Wie will der einen erkannt haben?« rief er. »Es ist in jener Nacht finster gewesen, und der Nebel hat dicht auf der Erde gelegen. Er verschwört seine Seele.«
Dem Richter selbst kam dieser Umstand verdächtig vor. »Wie nahe sind Sie den Wilddieben gekommen?« fragte er.
»Mindestens auf dreißig Schritt«, antwortete der Förster. Sein Gehilfe hatte von vierzig bis fünfzig gesprochen.
»Und da wollen Sie in der nebeligen Nacht ein Gesicht erkannt haben?«
»Ich sage nicht, das Gesicht. Aber an der ganzen Statur erkannt' ich den Pawils Lauronat und hab's gleich gesagt. Es kann auch gar kein anderer gewesen sein.«
»Also bloße Vermutung –«
»Ich nehm's auf meinen Eid.«
»Haben Sie denn den einen von den Wilddieben wirklich getroffen?«
»Das muß ich annehmen. Nach dem Schuß war nur noch einer an der Stange.«
»Sie meinten anfangs, Lauronat wäre umgefallen.«
»Das konnt' ich so genau nicht wissen.«
Der Richter schüttelte bedenklich den Kopf. Er vernahm auch Busze, auf die der Angeschuldigte sich mit der Behauptung berufen hatte, er sei die Nacht über in seinem Bette gewesen. Sie bestätigte das auch aus Furcht vor ihrem Manne, wurde aber vorerst nicht vereidigt. Sie habe geglaubt, sagte sie, daß Pawils am Morgen zum Termine gegangen sei. »Aber du hast den Termin nicht wahrgenommen«, wandte der Richter sich an Lauronat.
»Nein«, gab er zu.
»Weshalb nicht? Es handelte sich doch um eine große Summe.«
Lauronat verzog spöttisch den Mund. »Ich wußte ja doch, daß ein Litauer gegen den Juden nicht Recht bekommt.«
»Das ist dummes Gerede. Wie kannst du Recht bekommen, wenn du im Unrecht bist?«
Darauf schwieg der Angeschuldigte wieder trotzig.
Man hätte ihm nichts anhaben können, wenn sich nicht eine wichtige Zeugin gefunden hätte, durch deren Aussage die Untersuchung eine ganz unerwartete Wendung nahm. Lauronat hatte seine Magd geschlagen und aus dem Dienst gejagt. Eine große Unvorsichtigkeit. Denn sie war von ihm als Zeugin dafür benannt worden, daß er in der Nacht nicht fortgegangen sei. Nun beschwor sie zwar, daß sie ihn nicht fortgehen gesehen und gehört habe, sagte aber auch: »Es ist am Nachmittag jemand bei ihm gewesen.«
»Wer?« fragte der Richter.
»Die Lenke Kalbis aus Iblauken.«
»Was hat sie von ihm gewollt?«
»Das kann ich nicht wissen. Sie hat ihn heimlich sprechen wollen.«
»Und hat ihn auch gesprochen?«
»Sie ist zu ihm in den Stall gegangen.«
»Und, nun – ?«
»Weiter weiß ich nichts, als daß Jakubs Kalbis, ihr Bruder, am anderen Morgen tot gewesen sein soll.«
Der Richter verstand nicht sogleich den Zusammenhang. Er war aber an solche Querrednereien bei den Litauern gewöhnt, deren Bedeutung erraten werden mußte. »Was wollte denn die Lenke Kalbis von dir?« fragte der Richter den Angeschuldigten.
Lauronat hatte sich die Antwort schon zurechtgelegt. »Sie erzählte, ihr Bruder sei sehr krank geworden«, antwortete er, »und sie wolle den Arzt holen. Als sie durch Gilguhnen kam, war das Wetter sehr schlecht geworden, und sie trat deshalb bei mir ein und bat mich um Fuhrwerk. Meinen Braunen war das Wetter aber auch zu schlecht, und ich schlug's ihr rund ab. Darauf ist sie ärgerlich fortgegangen.«
Das ließ sich wohl hören. Nun verfolgte aber der Förster die Spur. »Der Kalbis wohnt am Moor«, sagte er, »und gar nicht weit von der Stelle, wo der Elch in den Graben geworfen ist. Wenn er nun am Morgen darauf tot war, und Lauronat etwa mit ihm zusammen ...«
Der Richter gab ihm einen Wink zu schweigen. Er wollte den Angeschuldigten in der Meinung lassen, daß er auf diesen Verdacht nichts gebe. Dann aber wurde die Leiche ausgegraben. Die Schußwunden im Rücken konnten noch festgestellt werden, und der Physikus fand auch die Rehposten in der Lunge. Sie hatten genau die Größe, wie die im Besitze des Försters befindlichen. Nun konnte es für gewiß gelten, daß Kalbis ein Wilddieb gewesen war.
Und der andere? Lauronat, der die Gefahr erkannte, hatte Lenke heimlich in der Nacht aufgesucht und unterrichtet, was sie sagen und verschweigen solle. »Das Geld unter dem Herde gehört dir und mir«, ließ er einfließen. Nun versicherte sie standhaft, sie wisse nicht, mit wem Jakubs gewildert habe. Er sei mit dem Schuß im Rücken nach Hause gekommen und bald darauf gestorben. Gesagt habe er nichts. Lauronat habe sie gar nicht gesehen.
Dann erschien es freilich sehr auffällig, daß Lenke am Nachmittag vorher bei ihm gewesen war und ihn um eine Arztfuhre für den Kranken gebeten hatte. »Jakubs war auch krank«, sagte sie auf diese Vorhaltung. »Ich hab' ihn mit vielen guten Worten gebeten, er möchte in der Nacht nicht fortgehen. Aber inzwischen war jemand bei ihm gewesen, und dem hatte er's versprochen. Ich glaube auch nicht, daß er von den paar Schrotkörnern gestorben ist, sondern weil er seine Krankheit nicht beachtet hat.«
Sie leistete den Eid, ohne mit der Wimper zu zucken. Lauronat warf ihr einen dankbaren Blick zu.
Nun sollte auch Busze schwören. Es blieb doch immer die Möglichkeit, daß er nicht der Mitschuldige war, und wenn man ihr glauben durfte, daß er die Nacht in seinem Bette zugebracht habe, war er's nicht. Davon hing jetzt viel ab – Lauronat selbst meinte, alles. Als sie vortrat, war sie kreidebleich. Warum hatte Lenke falsch geschworen, als weil sie ihrem Manne heraushelfen wollte? Und warum wollte sie ihrem Manne heraushelfen – ? Es brannte in ihrem Herzen wie höllisches Feuer. Die schlechte Person erwartete doch ihren Lohn! Sie wußte wohl schon, daß sie sich auf Pawils verlassen könnte. Und sie selbst sollte ihre Seele ... Busze war fromm; sie glaubte an die Strafen des Jenseits, mit denen der Richter drohte. Als sie die Hand aufhob, flatterten die Finger. Sie sah zu ihrem Manne hinüber, ganz hilflos. Wenn er sie liebevoll angeblickt hätte –! Aber in seinen Augen blitzte es, die Lippen preßten sich zusammen, und die Faust war geballt. Du mußt! schien er ihr zurufen zu wollen. Und da konnte sie nicht. Sie ließ die Hand sinken und sagte, kaum vernehmlich: »Ich will nicht – schwören, wenn ich nicht verpflichtet bin ... will nicht ...« Sie brach in ein schluchzendes Weinen aus. Der Gerichtsbote führte sie aus dem Zimmer.
Pawils Lauronat wurde verurteilt. –
Seitdem empfand er gegen seine Frau etwas wie Haß oder Verachtung, oder wie beides zugleich. Er wußte, daß er ihr zugemutet hatte, einen falschen Eid zu leisten, aber das entschuldigte sie in seinen Augen nicht. Sie war seine Frau und mußte für ihn einstehen – auch wenn er im Unrecht war, auch wenn sie nun sich selbst in die schwerste Seelennot brachte. Das war seine Empfindung, und sie sprach so deutlich, daß keine andere Stimme vernehmbar wurde. Busze hatte ihm selbst den Schwur gebrochen – feige und allein auf sich bedacht, hatte sie ihn im Stiche gelassen. Ein treuer Gefährte wollte und konnte sie ihm nicht mehr sein. Es war aus zwischen ihnen.
Busze sah das auch ebenso ein. Er brauchte gar kein Wort zu sagen, sie verstand ihn. Sie machte ihm auch keinen Vorwurf – ein anderer hätte nicht anders darüber gedacht. Es war ja auch nicht Gottesfurcht allein gewesen ..., sie konnte sich nicht einmal ehrlich damit verteidigen. Wenn er sie geschlagen, mit den Füßen gestoßen hätte, sie würde den Schmerz verbissen haben. Aber so viel war sie ihm nicht einmal wert, daß er sie züchtigte. Er sah über sie hinweg, als wäre sie für ihn nicht auf der Welt, und nachts schlief er im Stalle bei den Braunen oder nahm das Gewehr und ging fort.
Das blieb so, bis er ins Gefängnis abgeführt wurde, die beiden Strafen zu verbüßen. Kurz vorher hatte er von seinem Königsberger Anwalt einen Brief erhalten, der ihm meldete, daß der Prozeß verloren sei. Er möge sich nun erklären, ob er in die zweite Instanz gehen wolle. Zu raten sei hierzu aber durchaus nicht, da die Beweisaufnahme für ihn ungünstig ausgefallen. Wisse er nichts Neues von Erheblichkeit vorzubringen, so werde das Ergebnis genau dasselbe sein. Eine lange Gebührenrechnung lag bei. »Du kannst warten!« rief Lauronat höhnisch. Er war überzeugt, daß der Anwalt den Prozeß schlecht geführt, der Richter parteiisch geurteilt habe. In seiner jetzigen Stimmung hatte er aber kein besseres Vertrauen zu einem anderen Anwalt und zu einem anderen Richter. Sein Kopf faßte die Tatsache, daß er ohne erkennbare eigene Schuld sein Pferd und sein Geld verloren und obendrein alle die Kosten zu tragen haben sollte, nur unter der Beleuchtung, daß ein Litauer kein Recht bekomme – selbst nicht gegen die Juden. Keleiwis hatte vergeblich vor ihnen gewarnt! »Nun ist schon alles gleichgültig,« beschied er sich, »mag's gehen, wie's geht.« Er antwortete dem Anwalt gar nicht. »Mag's gehen, wie's geht.«