Paul Wertheimer
Respektlose Geschichten
Paul Wertheimer

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König und Dichter

»Man soll lachen, solange man kann.«
Voltaire an den Abbé von Bernis 1761.

Gottfried Richter, ein schlichter Doktorand der Philosophie, befand sich auf seiner gemütlichen Berliner Stube, dem Gendarmenmarkte gegenüber, in den übelsten Umständen. Durch ein gewisses, ihm durch die Bosheit des Zufalls oder einen neidischen Nebenbuhler zugemitteltes Zettelchen war es ihm deutlich geworden, daß ihn Friederike betrüge, mit einem schlanken Fähnrich jenes Garderegiments zu Fuß, dessen Taufpatenschaft der große Friedrich selbst zu seiner eisernen Zeit übernommen hatte.

Der Doktorand überlegte: daß gerade ihm dies passieren mußte, gerade ihm! Hatte er nicht Friederike als seine Braut betrachtet, obwohl sie ihm keineswegs ebenbürtigen Geistes dünkte und er sich selbst oft, um sie durch die Kühnheit seiner Gedankensprünge nicht zu erschrecken, dümmer stellen mußte, als er in Wirklichkeit war.

Er zog sich, wie es dem Menschen in Momenten peinlicher Selbsterkenntnis eigentümlich ist, zur näheren Betrachtung des Unfalles meditierend auf das Sofa zurück.

Als Denker mußte er zugeben: dergleichen war 116 in der Welt schon öfter passiert, sogar dem großen Voltaire, dessen Werke in gigantischer Reihe auf dem Boden um sein Lager Posten standen. Er seufzte und ließ seinen Blick die fleischige Wade entlang gleiten, und er mußte bekennen: mit den Reizen eines jungen Gardeoffiziers aus dem Regiment des großen Friedrich konnte er sich nicht messen, obwohl er sich in dem Ahnherrn dieses Teufelsregiments gewiß besser auskannte.

Donnerwetter, das hatte ihm gewiß der große Friedrich selbst angetan, der leidenschaftliche Freund und späterhin Verfolger dieses Philosophen, zur Vergeltung, weil er in den letzten Nächten so oft an ihm irre geworden. Warum war er auch gerade auf dieses Thema für seine Doktordissertation geraten: Voltaire und Friedrich der Große.

François Marie Arouet de Voltaire war für ihn das große enzyklopädische Genie. Friedrich aber, dessen Namen er nur mit zagender Ehrfurcht aussprach, war für ihn Meister in der Staats-, wie in der Kunst des Krieges. Und nach diesen beiden Künsten trug auch Gottfried Richter insgeheim unbändiges Verlangen, obgleich er nicht die geringste Veranlagung hiefür besaß – so wenig wie Voltaire für Diplomatie und Politik und Friedrich für die Poesie geschaffen war, und doch hatte jeder von den beiden so brünstig gerade nach dem begehrt, was ihm versagt bleiben mußte. Kreuzten sich da nicht zwei verirrte Eitelkeiten zweier Genies, wie auf der Wand die Schlägerklingen?

117 Wie sollte Gottfried Richter, solches erkennend, da noch Respekt für seine Arbeit aufbringen? »Respekt . . . Ach was . . . Ruhm und Weisheit und Liebe – wir sind alle nur Figuranten eines Komödienspieles –« und seine Oberlippe, eine sogenannte Hasenscharte, verzog sich spöttisch, als er jetzt sacht in das Sofaeck sank. »Im Schlaf ist Heilung«, dachte er noch, und schon war er sänftiglich hinübergeschlummert. Und wie es nach so heftiger Erregung im Traume zu geschehen pflegt: aus den zweiundfünfzig schweinsledernen Bänden seines Voltaire, die steif und ernst wie friederizianische Grenadiere um sein Lager standen, stiegen lustige Geisterchen, wirbelten um ihn und wickelten Wahrheit und Möglichkeit, Ernst und Narrheit respektlos durcheinander.

Es ward eine ganze Geschichte, und es ward wirklich seine Dissertation »Voltaire und Friedrich«. Er hat sie sogleich aufgezeichnet, aber es ist zu besorgen, daß er damit nicht graduiert wurde. Damit sie einer Welt, die das Lächeln verlernte, nicht ganz verlorengehe, geben wir sie in der Handschrift Gottfrieds wieder, die so kraus ist wie diese Geschichte selbst.

*

»So geh' Er doch, was steht Er noch da, Er Esel! So öffne Er doch dem Gast die Tür! Imbécil, bêta, polisson!« schrie Friedrich dem anmeldenden Lakaien entgegen, der, an die Zornesausbrüche seines 118 Herrn gewöhnt, diesmal dennoch ängstlich zurückwich. Als er im Schreck noch einen Augenblick zögerte, warf Friedrich nach ihm den Krückstock, wie er ihn schon oft nach lässigen Generälen und Offizieren, nach harten Steuereintreibern, parteiischen Richtern geworfen hatte, nach allen, die den Namen des Königs mißbrauchten.

Voltaire betrat den spiegelhell gebohnten Saal. Ein Mann zu Beginn der Fünfzig, nicht groß, nicht klein, mager bis zum Skeletthaften. Er trug trotz der Julihitze eine kleine schwarze Samtmütze auf der mächtigen Perücke, eisengraue Strümpfe, ein goldkäferfarbenes Wams, goldbestickt mit wellenförmigen Borten, und weite Spitzenmanschetten, die bis zu den Fingerspitzen reichten. Diese legte er behutsam in die des Königs, und da geschah, was sich noch nie auf märkischer Erde begeben hatte: Friedrich preßte verzückt die Hand an seinen in Spott und Hochmut hinaufgezogenen Mund, diese schmale Hand, vor der, wenn sie die Feder, getaucht in Galle, führte, um einer Eitelkeit in das Herz zu stechen, Europas Souveräne bebten. Alkmene, das seidenhaarige Windspiel, das immer um den König kreiste, bellte bei dieser Bewegung verwundert auf und rieb seinen grazilen Kopf an dem blauen, verwitterten Uniformmantel seines Herrn.

Arouet hatte mit einem Aufschlag der bald bohrenden, bald leuchtenden Augen die Gestalt umfaßt, die sich ihm jetzt entgegenneigte. Sie war, wie man sie ihm oft geschildert hatte: hager wie 119 er selbst, krumm von der Gicht, ärmlich, schmutzig beinahe gekleidet, mit abgewetzten Reithosen, Stiefeln eines Fourageunteroffiziers, mit dem schiefkrempigen Hut, den er stets auf dem unfrisierten Kopfe trug. Kein Schmuck, nur an dem rechten Zeigefinger blitzte ein grüner Diamant.

»Warum so spät«, murmelte es aus dem fast zahnlosen Mund, »warum erst jetzt?« »Sire, mein König hat mich jetzt erst freigegeben. Ich bin, Sie wissen es wohl, gentilhomme du roi de France.« »Er hat sich aber nicht sehr gentil benommen und die Verse des alten Crébillon denen Voltaires vorgezogen, den »Catilina« der »Zaïre« – wie blamabel dieses Urteil des Versailler Hofes. Die Nachwelt wird lachen, vorausgesetzt, daß sie sich damit noch beschäftigt«, fügte er nicht ohne Malice hinzu.

Wieder kam dieser prüfende Blick Arouets, der jetzt grün hervorstach wie der Diamant des Königs.

»Und doch wäre jetzt die Zeit, Sire, für die Einigung mit diesem Versailler Hof. Karl von Bayern ist ein erledigter Mann. Sire, wenn Sie sich, erschrecken Sie nicht, mit Frankreich verbinden wider Maria Theresia –« Friedrich winkte ab.

»Ein Vertrag, unter Garantien natürlich«, fügte Voltaire beflissen hinzu.

»Nichts von Politik, nichts von Diplomatie, mein teurer Voltaire, das ist – Verzeihung – mein Geschäft, nicht das Ihre.«

120 »Doch, doch, Sire.« Arouet wurde immer hitziger. »Wenn Sie den Vertrag mit Frankreich abschließen, dann sind Sie, ein noch junger Monarch, – dann wäre Ihr Name unsterblich.«

»Er ist es durch diesen Augenblick«, replizierte Friedrich und ergriff wieder die Hand des Gastes, »jetzt, da ich meinem Titel einen neuen habe hinzufügen dürfen. Friedrich, König von Preußen, Markgraf von Brandenburg heiße ich bisher, souveräner Herzog von Schlesien hoffe ich bald zu heißen. Aber mein schönster Titel ist von heute ab: ›Besitzer Voltaires‹!«

»Jenes Voltaire«, flammte sein Gast auf, »der den Vertrag mit Frankreich bei ihm durchsetzte, mit den Garantieklauseln natürlich –«

»Nein, jenes anderen, meines Voltaire, vor dessen Epigrammen ich knie und der« – des Königs Wangen begannen sich zu röten – »meine eigenen bescheidenen Versuche seines Lobes einst nicht unwert erachtete. Jetzt besitze ich ihn hier, meine Hand kann ihn spüren, diesen Voltaire, ich halte ihn fest – für immer – mit diesem Band, meinem Orden ›Pour le mérite‹«, und er nahm aus der Tasche einen Stern an einem silbergrauen Bändchen, das er um den dünnen Hals seines Gastes schlang.

Er zog ein zierlich-goldenes Schlüsselchen hervor. »Mit diesem Kammerherrnschlüssel eröffne ich meinem Voltaire meine Gemächer, ich, der ich ihm längst mein Herz eröffnet habe. Und hier, 121 durch dieses Dokument« – er nahm ein zusammengefaltetes Pergament vom Schreibtisch – »entreiße ich den Stolz, jetzt nicht mehr Frankreichs, nein, Preußens, nein, der ganzen Welt für immer der Sorge. Voltaire, wenn Sie hier immer leben wollen an meinem Hof, erhalten Sie, da ist Brief und Siegel, eine Pension von zehntausend Livres jährlich.«

»Zehntausend!« – die Lippen des sonst so sparsamen Königs erzitterten, als er diese Ziffer aussprach, und das Windspiel Alkmene wedelte ängstlich mit der Rute.

Voltaire entfaltete vorsichtig das Dokument. »Ich lese zwanzigtausend, dies war meine Bedingung.«

»Nun denn, zwanzig«, Friedrich seufzte schwer. »Aber Sie bleiben, Voltaire.« Er zitterte in Erwartung der Antwort.

»Ich bleibe.«

»Welch ein Glück, ich werde diesen Moment in einem Sinngedicht festhalten. Vielleicht gelingt mir doch« – seufzte er mit Beziehung – »auch einmal ein unsterblicher Reim«, entfuhr es jetzt zaghaft den Lippen, die in der Molwitzer Schlacht nicht gezuckt hatten.

»Vielleicht ist es mir sogar schon gelungen; hier sind meine Epigramme, das Ergebnis der letzten Wochen« – der Gast wich erschrocken zurück – »hier in diesem Band ›Oeuvres de poésie‹ vereinigt, und hier meine kleinen neuen 122 philosophischen Schriften, drei Bändchen, noch Manuskript.«

»Manuskript – das auch noch«, sprach der Philosoph dumpf zu sich selbst, da man damals noch Monologe hielt. Aber laut sagte er: »Sire, ich bin entzückt.«

»Wenn Voltaire dies lesen und vielleicht, wenn es sich nötig erweisen sollte, zu korrigieren die Güte hätte« – bat jetzt weich und schmeichelnd die Stimme des sonst so hart befehlenden Königs – jene Stimme, vor der die Grenadiere zitterten. »Wann wird Voltaire dies gelesen haben?«

»Wenn Friedrich diese Schrift zur Kenntnis genommen hat« – und der Gast, der jetzt wieder dem König unheimlich wurde, entnahm seinem goldkäferfarbigen Wams ein Manuskript, noch umfänglicher und schwerer wiegend als die königlichen Epigramme.

»Meine Denkschrift, Sire, über den Zustand Europas, achthundert Seiten, und da der Entwurf meines Vertrages, Sire, mit Frankreich, mit allen diplomatischen Fußnoten, zweitausend Seiten.«

»Zweitausend Seiten«, murmelte Friedrich in sich hinein und wich zwei Schritte zurück. Voltaire trippelte ihm nach.

»Wenn Sie ihn studieren und akzeptieren, Sire, steigen Sie hoch zu den Sternen. Sie werden der Alexander, Hannibal, Cäsar dieser Epoche.«

»Ach was! Ihr Pindar, Horaz, Lukrez, Ihnen gesteh' ich es, nur Ihnen, das wär' ich lieber!« Er wies auf das Heft mit den Epigrammen, und ein 123 Zucken lief um seine gefurchten Wangen.

»Und mir, den Sie selbst, Sire, den Apoll dieses Zeitalters genannt haben, soll nie der Ruhm eines Staatsmannes, eines Machiavell, beschieden sein – lesen Sie meinen Staatsvertrag!«

Der König retirierte, aber der Philosoph, der kein Mitleid kannte, stürmte ihm durch das Zimmer nach.

»Lesen Sie ihn, er ist mehr wert als meine Tragödien, meine Satiren, meine Fabeln, meine Romane –« schrie in seiner cholerischen Leidenschaft der Dichter auf, der durchaus für einen Staatsmann gelten wollte.

»Lesen Sie meine Verse!« schrie jetzt nicht minder heftig der große König. »Sie werden länger bestehen als die Erinnerung an meine Siege, an mein preußisches Landrecht, als –«. Seine Stimme überschlug sich. Alkmene wippte ängstlich mit der Rute. Die Abendsonne spiegelte sich in den Fenstern und bespiegelte die Szene, da der große Poet dem großen Staatsmann seinen schlechten Vertrag und der große Staatsmann dem großen Poeten seine schlechten Verse entgegenstreckte, beide rot vor Eifer, und einer innerlich über den andern und die scheidende Sonne über beide lächelte.

*

Als aber dann, einige Stunden später, der Mond über den roten Dächern und Giebeln Potsdams aufschimmerte und neugierig in das schmale 124 Eckgemach blinzelte, wo sich um den großen König unter dem blitzenden venezianischen Luster die Tafelrunde allabendlich scharte, war er wieder nicht wenig erstaunt über das festliche und zugleich friedliche Bild, das sich ihm diesmal darbot. Der alte Freund Mond, der auf seinen Spazierwegen, ein bedächtiger Wanderer, in so viele Zimmer mit ihren Heimlichkeiten und in so viele Schicksale blickt, ist ein spöttischer Menschenkenner. Er weiß Bescheid im törichten Menschenland, in den Narrheiten auch der geistreichen Leute und wundert sich so leicht über nichts mehr. Still wandert er weiter, denkt sich sein Teil, zieht sich seine Wolkenzipfelmütze über die Ohren, wenn es ihm gar zu bunt wird, und schmunzelt in sich hinein.

Jeden Abend tafelten hier – das hatte der Mond seit so vielen Jahren mitangesehen – die Paladine des Königs: verkannte Poeten, wenn sie nur nicht deutsch schrieben, und Philosophen, wenn sie nur Friedrichs eigenen freidenkerischen Lehren nicht in die Quere kamen und selbst nichts Wesentliches bedeuteten – bescheidene Edelmänner des Geistes. Gelegentlich waren auch wirkliche Hofmänner zu Gast, wenn sie, aus ihrer Heimat exiliert, königlichen Schutzes bedürftig waren. Diese Tafelrunde war ja die einzige Erholung des Mannes mit dem dämonischen Willen, der keine Rast, keinen Schlaf kannte, der – unser lieber Mond hat es oft mißbilligend gesehen – im 125 Sommer um 3, im Winter um 4 Uhr aufstand, sogleich seinen vier Kabinettssekretären diktierte, dann, wie ein alter Exerziermeister knurrend, die Parade über die Garden abnahm, argwöhnisch gegen jeden, und darum sein eigener Minister, Stallmeister, Haushofmeister und Kämmerer, selbst in jeden Winkel seines Palastes und seines Reiches spähte. Zuletzt zog er dann – der Mond hat sich jedesmal nicht wenig gewundert – sein Büchlein hervor, jenes Büchlein, das er eben Voltaire anvertraut hatte. Er versuchte, verzweifelt mit den Zähnen knirschend, zu dichten – in dieser verdammt schweren französischen Sprache, die er niemals erlernen würde –, in boshafte Epigramme zu fassen, was der Tag ihm zugeweht hatte.

Welche Wonne aber, dann diese mühsam gefundenen Invektiven dem allabendlichen Auditorium ganz en passant, als wären sie eben entstanden, unter die erbleichenden Nasen zu halten. Wehe dem durch ein solches Epigramm selbst Betroffenen, wenn er etwa die Pasquille der Majestät nicht scharf, sondern schartig fand.

Es war nicht mehr wie im seligen Tabakskollegium seines Vaters, wo der alte Dessauer selbst vor der als Stock verwendeten königlichen Pfeife nicht sicher gewesen. So war es hier nicht mehr, aber doch hing der Stock immer noch unsichtbar über jedem.

Schon in dem gartenumsponnenen Rheinsberg, das der Mond so liebte, als Friedrich, der 126 Kronprinz, daselbst nach seiner verprügelten Jugend residierte, hielt er bei aller Kurzweil, Violin- und Flötenspielen strenges geistiges Regiment. »Welche Abende mit den jungen, in den Gärten schwärmenden Schöngeistern! »Wie hatte sich der Mond da unterhalten. »Wo waren sie hingekommen, der immer aufgeräumte Herr Chevalier von Chazot, der ein wenig säuerliche Baron Knobelsdorff, der Chevalier Fordeau und Herr Dietrich v. Keyserling, Cäsarion genannt, der kurländische Freiherr.

Andere saßen jetzt um Friedrich, seit er König geworden – der Mond kannte sie alle –: Algarotti, der liebenswürdige Italiener, und Battiani, der abgefeimte Abbé, de la Mettrie, Maupertuis der dünkelhafte Gelehrte, der Marquis d'Argens, der so freigeistig tat und vom Aberglauben behext war. Bis über Mitternacht saßen sie da, dieser König brauchte keinen Schlaf – jeden Abend, zum königlichen Amüsement in seinem Palast der Alcina, eine Akademie der Mittelmäßigkeiten, die zu hänseln seinen Mutwillen belustigte.

Nun war unter diese in den Schloßteich eingesperrten Karpfen der Hecht gekommen – der Mond kannte sich aus –, der Mond irrte sich nicht. Dieser Mann mit dem Samtkäppchen auf dem scharfen, wie skelettierten Kopf – dieser Mann, der die Geheimnisse der Natur ergründete und seinen eigenen, des Mondes Kreislauf –, er sitzt neben diesem Pedanten von einem Akademiepräsidenten, dem Herrn Maupertuis, und trinkt 127 ihm den Ungarwein zu – die Gesellschaft schüttelt sich vor Lachen über seine medisanten Bemerkungen. Aus dem goldkäferbestickten Wams des Mannes, der bald wie ein grinsendes Skelett, bald wie ein geistreicher Affe, bald wie ein flammender Dämon aussieht, blinzelt ein Büchlein, jene Poesien, die ihm der König zum Lesen und Korrigieren gegeben hat. Wird er sie lesen, wird er sie korrigieren?

Und aus dem blauen Soldatenmantel Friedrichs, lugt da nicht der famose Staatsvertrag hervor, den der Poet entworfen? Der dichtende Staatsmann, der staatsmännische Dichter, wann werden sie einander in die Perücken geraten? »Ja, verbrüdert Euch nur . . . Der im Goldkäferhabit und der im blauen Mantel . . . Ihr ganz Gescheiten, Ihr Geniebrüder, wenn Ihr einmal ins Rappeln kommt, dann gibt es einen Hauptspaß. Darüber lachen noch die Jahrhunderte. So kommt es auch hier, verlaßt Euch darauf. Ich kenn' mich aus, ich bin der Mond.«

Sprach's und segelte nach Berlin hinüber, wo sie in den Kneipen die Köpfe zusammensteckten über ihren tollen König, der sich diesen noch tolleren Franzosen aus Paris hatte kommen lassen. »Verrückter Kerl.« Aber stolz waren sie doch auf ihn und es überlief sie, wenn er auf seinem Klepper die Linden entlang galoppierte.

*

128 Aber diesmal hat sich der gute Mond, so weitblickend er sonst auch sein mag, einstweilen wenigstens, geirrt. Einstweilen begannen in Potsdam Flitterwochen des Geistes. Friedrich und Arouet, sie waren unzertrennlich; sie schwelgten einer in dem Besitz des andern. Den »Salomon Preußens« nannte Arouet seinen Friedrich, und Friedrich seinen Arouet das »Licht der Welt«. Sie tranken, wenn sie die Nichtigkeit des Daseins eben erkannt hatten, einander zu. »Was ist das Leben?« fragte einmal Friedrich. »Der Augenblick zwischen zwei Ewigkeiten«, erwiderte Voltaire; sie suchten diesen Augenblick heiter zu nützen.

Er ward bei der Königin und den Damen des Hofes eingeführt – das sollte sein Leben, wie man alsbald erfahren wird, in besondere Verwirrung bringen. Das Pagenkorps grüßte mit Ehrfurcht, wenn er, den Orden Pour le mérite um den dürren Hals, die Stufen hinaufklomm. Friedrich vergaß das Kriegsungewitter, das über Schlesien heraufzog. Arouet vergaß seine Madame du Châtelet, und wie sie ihn betrog. Er vergaß seine Händel mit dem Papst und den Jesuiten, und selbst der liebe Gott dort oben hatte seine Ruhe vor dem Witz Voltaires, weil dieser dort unten bei Friedrich residierte, den teuersten Ungarwein trank, die appetitlichsten Austern schnabulierte und die leckersten Gespräche führte.

Nur eines verdunkelte dieses strahlende Glück – jenes Buch, die »Oeuvres de poésie«, 129 einundeinhalb Kilo schwer, mit den dreihundertvierundsechzig Epigrammen, das Friedrich dem Arouet rücklings in das Wams geschoben hatte. Arouet, der, beweglichen Charakters wie er nun einmal war, solang er sein Ziel, in die Nähe des wein-, witz- und austernreichen Königs zu gelangen, erst in der Ferne sah, diesen als Dichter wie ein Berserker gelobt hatte, schwieg sich, seitdem er bei ihm tafelte und seine Pension bezog, über dieses Thema beharrlich aus. Und Friedrich war auch nicht ein Quentchen Lob über die Denkschrift zur Rettung Europas und den Staatskontrakt zu entlocken, durch den sein Gast an ihm meuchlings Revanche genommen hatte. Wenn Friedrich auf Epigramme und Orden hinzielte, voltigierte Arouet kühn zu den Staatsverträgen hinüber, mit Garantien natürlich, bis Friedrich einmal wild wurde und rief: »Garantien sind wie Filigranarbeiten, allerliebst anzusehen, aber sehr zerbrechlich, kein Diplomat spricht mehr davon, nur«, knurrte er in sich hinein, »ein –«

Voltaire nur hatte das Wort verstanden und erwiderte nichts. Aber das Zucken um den gekniffenen Mund besagte: »Warte, mein Lieber, das merk' ich mir, das zahl' ich dir heim!«

Der König aber fing sogleich von seiner neuen Ode an die Pompadour an: »Quoi! Votre faible monarque.« Arouet nahm sie gefaßt, aber schweigsam entgegen.

In diesem heikelsten Punkt wichen sie einander 130 aus, aber sonst waren es, wie gesagt, Honigmonde des ungleichen Paares. »Mein Salomo«, schalmeite es hier, »Mein Pindar«, echote es dort.

Dann aber brachen die Eitelkeitsgeschwüre hüben und drüben auf, und es kamen diese vertrackten Geld- und Wechselgeschichten dazu und die gelehrten Balgereien – bis alles ein Ende mit Schrecken nahm. Und das alles nur, weil jener seine Verse und dieser seinen Vertrag nicht, wie jeder Autor es erwartet, gelobt hatte.

»Gott sei Dank«, räsonierte der schlafende Gottfried, »daß ich noch kein Autor bin.« – »Das sag' ich auch«, replizierte boshaft der Traum. »Und dann kam noch die dumme Geschichte mit der Friederike.« »Friederike, wieso?« Der Schläfer auf dem Sofa wurde sehr unruhig; er schnurrte und rasselte. »Hat er denn auch mit einer Friederike . . .?«

»Das wirst du schon alles erfahren«, gab der Traum Antwort. Bis also dieser wütende Arouet, der Denker der »Idées républicaines«, der dabei das Geld sehr zu schätzen wußte und kräftig mit Valuten, Francs und Pfunden spekulierte, seine Pension hinwarf –«

»Nanu«, machte sich jetzt wieder der Mann auf dem Diwan vernehmbar, »nanu, überhaupt«, und er begann mit den gutmütigen, wie abgestutzten Fingern zu wippen. »Nach der Geschichte hat doch Voltaire zweimal bei Friedrich geweilt –«

»Sage um Gotteswillen nicht ›geweilt‹, sonst lasse ich mich von dir scheiden!«

133 »Nun, zwischen diesen beiden Besuchen war doch ein Intervall von einigen Jahren, und du schüttelst sie durcheinander.«

»Wenn du mich schulmeistern willst«, ärgerte sich beleidigt der Traum, »werde ich mir ein anderes Gehirnkästchen suchen, um darin meine Geschichte zu Ende zu spinnen. Es werden sich Liebhaber finden.«

»Nichts für ungut«, begütigte der schon wieder schlicht schnarchende Doktorand und faltete wieder ergeben die Hände.

Nun sah er plötzlich, wie auf einer Wand durch eine Laterna magica, Bilder vorüberschwirren. Er sah in dem imperatorischen Auge Friedrichs diesen drohenden Ausdruck, vor dem Generäle zitterten, weil aus dem so teuer gekauften, berühmten Gast, der gelassen seine Austern und seine Pension verzehrte, noch immer nicht ein Körnchen Anerkennung zu pressen war. Er sah – o Torheit der Weisen –, wie der Sieger von Leuthen und von Roßbach, der Schöpfer des preußischen Landrechtes, dem schweigsam schmausenden Gast die Schokolade- und Zuckerrationen eigenhändig beschnipfelte. Vielleicht war auch diese Festung, wie manche andere im Verlauf seiner grimmigen Kriege, durch Hunger zu Fall zu bringen.

Und er sah – o welthistorische Ironie –, wie zu seiner Erheiterung der Ersinner der »Discours sur l'homme« die Kerzen aus dem Vorsaal eskamotierte, um den sparsamen, auch im Lob seines 134 Staatsverträges, ach, so sparsamen König zu ärgern. Und er hörte den Helden von Hohenfriedberg in seinem Appartement, in den blauen Mantel eingewickelt, in sich hineinseufzen, wie er vor dem Lagerfeuer nach einer verlorenen Schlacht kaum jemals geseufzt hatte, weil dieser einzige Mann, dessen Beifall er erobern wollte, noch immer nicht kapituliert hatte. Zu gleicher Stunde raste der Begründer der Enzyklopädie, der Verkündiger Newtons, bei dem flackernden Licht der Wachskerzen durch sein Zimmer im Palast zu Potsdam, weil ihm die Anerkennung, der Machiavell seiner Zeit zu heißen, aus dem Mund des einzigen, dem er gefallen wollte, vorenthalten blieb.

Und er hörte noch, wie Friedrich hüben gelobte, er werde die Maria Theresia – ein halbes Jahr wenigstens – in Ruhe lassen, wenn dieser Teufelskerl von einem Voltaire endlich seine metrischen Künste preisen würde, und wie Voltaire drüben gelobte, er werde – ein halbes Jahr zumindest – kein Epigramm gegen den lieben Gott fertigen, ja sogar eine Wallfahrt unternehmen, wenn ihn dieser Friedrich endlich nicht als Hofpoeten, sondern als Diplomaten gelten ließe, und der schlafende Gottfried sah noch, wie sie zuletzt wie rasend gegeneinander losfuhren, zum Gaudium Europas. Da gewann er die Erkenntnis, daß auch auf die Häupter der Genies, sonst wären sie gar zu erhaben, ein Tropfen Narrentum fällt.

*

135 Aber nun wurden vor dem Träumenden die Farben, die Leidenschaften glühender, weil jetzt neben der Eitelkeit noch die andere Torheit, die mit ihr zugleich die Welt, selbst der Genies, regiert, auf den Plan dieser Geschichte tritt: die Liebe.

Da Arouet, wie wir wissen, auch bei Hof, bei den Damen der stocksteifen Königin Zutritt gefunden, mußt' es passieren, daß dieses unruhige Herz alsbald in einem neuen Liebesgarn zappelte, noch dazu, da sein Besitzer soeben, wie man jetzt von ihm gesagt hätte, in das kritische Alter getreten war, das auch beim Mann vorhanden, und, zumal wenn er ein Dichter, besonders gefährlich ist.

»Da muß ich aber doch sagen«, fuhr der Schläfer, historisch-germanistisch gekränkt, auf, »der Geschichte nach hat er doch schon vor seinem fünfzigsten Jahr der Liebe entsagt.«

»Das glaub' ich«, grinste es voltairisch boshaft zurück, »daß man da entsagt. Du wirst, mein Dickling, vielleicht noch früher entsagen müssen . . .«

»Freiwillig entsagt, bitte, weil er ein Weiser war. Als die schöne Marquise du Châtelet, seine Emilie, ihn betrogen und er sie auf dem Diwan mit dem Herrn Saint-Lambert erwischt hatte, sagte er sich: »Qui n'a pas l'esprit de son âge, de son âge a tout le malheur.« Übrigens hat er es in diesem Punkt gar nicht so toll getrieben, wie man vermuten sollte. »Nach der Historie«, spottete der Traum. »Jawohl«, rekapitulierte Gottfried. »Da war in seiner Jugend die Demoiselle Olympe Dunoyer, als 136 er erst siebzehn Jahre alt war, dann die kleine Susanne, und die Adrienne Lecouvreur, die große Schauspielerin, ist auch seine Geliebte gewesen. Aber am Hof bei Friedrich hatte er nach der Forschung doch nie eine Liaison.«

»Ich weiß das besser. So pudelnärrisch hat er sich damals vergaloppiert, wie sich nur ein Genie verlieben kann, noch dazu, wenn es schon fünfzig und noch immer so hager ist. In die Katschin hat er sich verliebt. Friederike von Katsch, die Tochter der weiland Hofdame ihrer ebenso dürren Majestät.«

»Friederike« – den Schläfer durchfuhr es in der Erinnerung an diesen Namen.

»Jawohl Friedrike – und die hat ihn zum Narren gehalten, wie nur ein Genie von einem kleinen siebzehnjährigen Fräulein zum Narren gehalten wird.« – Hier seufzte der Schläfer auf dem Sofa verständnisvoll.

»Mit einem hübschen Fähnrich des Garderegiments zu Fuß, das der große Friedrich begründet hatte.«

»Mit einem Gardefähnrich«, und die Seele des Gottfried Richter krümmte sich wie eine Blindschleiche, bevor sie in die Botanisierbüchse spazieren soll.

»Na, was hast du denn wieder?« fragte ihn der Traum, scheinheilig teilnehmend. »Ist dir das vielleicht auch einmal passiert?«

»Ja, Friederike hieß sie also, ich zeige sie dir – da ist sie!« Ein Reifrockdämchen säuselte vorüber.

137 Und der Unglückliche erkannte das neugierig schnuppernde Näschen, die Augen kornblumenblau. – »Das ist ja meine Friederike!«, schrie er auf, »wie hat sich der Voltaire in die –«

»Wahrscheinlich ist die Katschin die Großmutter gewesen von deiner Friederike«, hänselte ihn noch der Traum.

»Wahrscheinlich –«, der Gottfried war jetzt schon ganz resigniert.

»Was ist also zwischen den beiden vorgefallen? Ist überhaupt etwas vorgefallen?« fragte er lüstern-wissenschaftlich.

»Du weißt«, dozierte jetzt der Traum dem Dozenten vor: »Voltaire hat in seiner »Pucelle« behauptet: die Jungfrau von Orleans ist wirklich eine Jungfrau gewesen und bis zuletzt geblieben. Nun, das nämliche gilt auch von Friederike – was dich – ich meine, was den Voltaire betrifft.«

»Er sah sie – und schon war er angeschossen. Und von diesem Augenblick an war er hinter ihr her, der große Philosoph hinter dem kleinen Mädchen, das noch dazu ein Gänschen war.«

»Jawohl, ein Gänschen«, bekräftigte Gottfried mit einem überzeugten Schnarchen, aus der Tiefe nach oben schnappend.

»Er lief ihr nach, wie der große König einem spröden Reim oder wie Voltaire dem Ruhm des Staatsmannes. Daran dachte er nämlich trotz dieser Leidenschaft nach wie vor, ja, noch immer heftiger. Die Verse des Königs zu lesen und zu loben, daran 138 dachte er freilich jetzt noch weniger. Lieber dichtete er eigene, viele hundert, die allerschönsten, die ihr freilich, ihr gelehrten Leute, nicht kennt, weil sie nur existieren –«

»Wo?« fragte der Forscher gierig und reckte den Hals.

»In seinem Herzen!« erwiderte der Traum so artig und schnippisch, wie es eben nur ein Rokoko-Traum vermag.

»Er hat sie ihr in ihrem Boudoir rezitiert und, da er nun schon einmal im Schwunge war, auch die »Pucelle« und seine boshaft galantesten Epigramme. So mußte er sie endlich doch gewinnen, der große Denker das kleine Mädchen. Meinst du nicht auch?« – »Natürlich«, stimmte der Gelehrte bei und vergaß, daß seine Friederike ihm doch gerade darum davongerannt war, weil er ihr zu gescheit gewesen.

Da schnitt der Traum eine Grimasse. »Aus dem Zimmer ist sie gelaufen, die Gans, weil sie sich vor seinem Geist gefürchtet hat. Da hat der Voltaire, was er leider so oft in seinem Leben hat tun müssen, wieder getan – er hat gelogen und ihr erklärt: »diese Verse sind gar nicht von mir.« Nun beruhigte sich die ganz Verschüchterte langsam. Um sie wieder zu gewinnen, sagte er sich, gibt es nur ein Mittel: »ich muß mich dumm stellen.« –

»Also auch er, mein Lehrer, mein Meister.« –

»Aber ihm dürfte es schwerer gefallen sein.« – »Keine Bosheit mehr«, hat er sich gesagt, »kein Epigramm, kein geschliffenes Wort, sonst erschrickt 139 mir das arme Kind gleich wieder und rennt davon.« Und diese Abtötung des Geistes fiel ihm schwerer als jemals die fleischliche Entsagung. Aber so sehr er sich verstellte, um der Liebe willen – er war noch lange nicht so dumm durch Verstellung, wie es der hübsche Fähnrich von Natur aus war, Eberhart von der Leuen, der ihr bei der gleichen Hoftafel zugleich mit dem berühmten Philosophen präsentiert worden war. Weil er jung, hübsch und ihr im Geiste nicht überlegen war, fühlte sich das Friederikchen sogleich zu ihm hingezogen, ganz anders als zu dem durch tausend Fältchen, Runzeln und Runen gezeichneten Denker, den sie doch nicht aufgab, weil ihr an der berühmten Bekanntschaft gelegen war. Und nicht nur dümmer, sondern auch dicker zu werden, bemühte sich der weise, törichte Liebhaber, weil Riekchen, wie sie ihm sagte, auch vor seiner Hagerkeit erschrak.

Aber an Umfang des Leibes zuzunehmen, gelang ihm noch weniger, als an Gewicht des Geistes zu verlieren. Denn der König, immer erboster über das beharrliche Stillschweigen seines Gastes, hatte ihn auf immer schmälere Ration gesetzt.

Gereizt im Magen und im Gemüt, aufgestachelt noch dazu durch die wenig glückliche Liebesaventüre, entlud dieser seinen Groll in Pasquillen gegen Friedrichs erklärten Liebling, seinen Tischnachbar, jenen Maupertuis, den Akademiepräsidenten, der ein Loch bis zum Mittelpunkt der Erde bohren wollte. Friedrich schrieb wieder giftig über 140 das, was Voltaire geschrieben – und er ließ die Schrift durch den Henker verbrennen, worüber sich der Autor diabolisch zu amüsieren schien. Dabei saßen die aufgeregten Schöngeister, als wäre nichts geschehen, allabendlich in der Tafelrunde. »Salomo« schalmeite es hier, »Pindar« echote es dort, weil Salomo noch immer hoffte, als Pindar und der Pindar als Salomo anerkannt zu werden. Nur wurde unser Pindar vom Warten und Sich-Ärgern immer hagerer und gefiel dem Riekchen immer weniger. Da er also, dieser johannestriebhafte Liebhaber, sich seiner geringeren Reize bewußt geworden, suchte er – und darin hat er sich endlich wieder als Philosoph erwiesen – durch Geschenke an Friederike nachzuhelfen. Und als er im Park von Sanssouci mit ihr spazierte, statt die Verse des Königs zu lesen und zu korrigieren, und um ihre kühlen, grazilen Schultern ein Fichu nesteln durfte, dachte er, wie hübsch ein Perlenkollier dieses Hälschen umschließen müßte. Weil das aber gar viele Talerchen kostete, ging er zu dem Hirschel, dem Juden und Geldmakler, in die Dresdner Straße und kaufte – ein königlich preußischer Kammerherr – durch ihn die in Preußen verbotenen sächsischen Steuerscheine, worüber sich Friedrich, als die Sache ruchbar wurde, sehr erboste. Aber die Talerchen gewann er, das Kollier blitzte in dem goldkäferfarbigen Wams.«

»Ah, das ist mir ja ganz neu«, ächzte der Gottfried. »Dazu hat er also so viel Geld gebraucht, hat seinen weltberühmten Namen befleckt, der 141 Weise, der Denker, hat Provisionen genommen«, klagte er, »hat spekuliert, hin und her geschachert, Häuser, Grundstücke, Getreide, bis er ein reicher Mann wurde. Dem Papst hätte er am liebsten den Heiligen Stuhl unter den Beinen weggezogen, um ihn als Kuriosität zu verauktionieren. Und dies alles also nur wegen seiner Amourschaften«, stöhnte der Gottfried, »mein Ideal!«

»O nein«, scholl es ihm fast pathetisch entgegen. »Weil er als ein Grandseigneur nicht bloß dichten, sondern auch leben, weil er nicht, wie der alte Corneille, in verbogenen Schuhen einhergehen, nicht wie Lafontaine um Almosen und Freitische betteln wollte. Und weil er viel Geld brauchte, um die Greuel der Justiz zu mindern, um diesen Calas, diesen Sirven von ihren Ketten zu befreien – denn er war nicht bloß ein großer, sondern auch ein guter Mensch, wie übrigens dein Friedrich auch, der das Wort seines Testaments: ›Bis zu meinem letzten Atemzuge gelten meine Wünsche dem Glücke meines Staates‹, gleichfalls nicht bloß geschrieben, sondern auch gelebt hat.«

»Nanu«, beschwichtigte Gottfried, »du sprichst ja wie ein Buch.«

»Weil ich nicht will, daß du von deinen Helden geringer denkst, auch wenn sie ihre menschlichen Schwächen hatten.«

»Entschuldige, bitte, und erzähle mir lieber, was mit dem Kollier und dem süßen Riekchen geschehen ist. Ich bin schon sehr gespannt.«

142 »Das ist eine ganze Geschichte, eine sehr lustige, aber auch eine ernste, weil dadurch Friedrich den Voltaire und Voltaire den Friedrich verloren hat.«

»So ist das also geschehen . . .«

»Allerdings, wenn auch deine Historie nichts davon erzählt.«

»Also man los!«

»Das Kollier blitzte in seinem berühmten Wams, und also bewaffnet betrat er den Kampfplatz, Friederikens kleines Boudoir, in dem auch der Gardefähnrich, der inzwischen Leutnant geworden war, höchst erregt auf und ab promenierte und dem Eintretenden mit einer Geste der Verzweiflung entgegenstürzte.«

»Ja, haben denn die zwei voneinander gewußt?«

»Ja, natürlich, du kennst aber die Frauen! Sie hat selbstverständlich ihre Bewerber gegeneinander ausgespielt.

Wenn sie zu dritt beisammen waren, nannte sie den Philosophen Onkelchen und den Fähnrich großartig »mon petit« und streichelte mit dem linken Händchen die hagere Wange des Dichters der »Henriade« und mit dem rechten die pfirsichfarben-blühende des Leutnants, welch letztere Betätigung ihr aber bedeutend lieber war. Mit dem Leutnant allein, himmelte sie von ihrem »großen, großen Dichter«; diesem aber wäre sie einmal fast an die Brust gesunken vor lauter Schwärmen für das »liebe, liebe Leutnantchen«, so daß sie beide, wie man zu sagen pflegt, am Bändel hielt.

143 »Soll ich euch beide verlieren, mein süßes Onkelchen und den petit da, den schlechten Kerl«, schluchzte sie jetzt und sie streichelte und weinte von links nach rechts und wieder von rechts nach links. »Ja, was ist denn da passiert«, fuhr der Philosoph erschreckt auf, der noch nie vor Königen seine Fassung verloren hatte, sie aber beinahe vor diesem kleinen Mädchen verlor.

»Ja, wissen Sie denn nicht, Monsieur Voltaire, der König will Sie – ausweisen will er Sie lassen wegen des Skandals, des Prozesses mit dem Hirschel – ich weiß es von Mama, und die weiß es von der Baronin von Knobelsdorff, und die hat es jetzt von dem Fräulein von Schick. Und den petit da, den will man mit geheimen Briefen zu den Höfen schicken, weil er so hübsch ist, und das ist das Wichtigste bei einem solchen Auftrag, soll der König gesagt haben«, schluchzte sie wieder. »Nach Polen, zu dem Stanislaw und zur schönen Stanislawska«, heulte sie, »mit den Verträgen, da sind sie; und sie wies auf ein vielfältig versiegeltes und verschnürtes Paket. – »Und ich soll fort von hier«, sagte traurig der Leutnant.

»Verträge« – und der Blick Arouets, der jetzt wieder ganz Diplomat und Staatsmann war, funkelte noch glühender als die Perlen des Kolliers in seiner Hand –, »jetzt könnte ich ihm erweisen, ob ich ein Diplomat bin oder –« er zischte ein Wort in sich hinein. »Mir kommt ein Einfall. Ich habe nie eine Komödie geschrieben. Aber dies wäre 144 eine gelebte. Geben Sie mir Ihre Uniform und die Briefe und die Verträge«, wandte er sich an den Leutnant, »ich reise an Ihrer Stelle, ich will die Höfe schon in Verwirrung bringen, er soll einmal sehen, der Luc«, so nannte er vertraulich seinen Freund, den er hassend liebte und liebend haßte, »ob er mir dieses Geschäft nicht auch hätte anvertrauen können. Ich will Europa schon durcheinander bringen! Ja, Herr von der Deuen«, rief er lebhaft, »bleiben Sie hier verborgen bei Fräulein Friederike, bis ich zurückkomme – als Sieger – mit den Verträgen –«, seine Augen glühten im Triumph, während die des Fräuleins sich schämig senkten. »Wenn Sie drei Wochen«, sagte er leise zu ihr, »oder noch länger hier allein mit ihm bleiben und ausgiebig mit ihm Konversation machen, dann werden Sie bald erkennen, wer Ihnen mehr bedeutet – der petit da – oder –«

»Ganz allein mit ihm –«

»Jawohl, bis ich zurückkomme. Sie werden sich gehörig langweilen.«

Da wurde sie plötzlich rot. Es lächerte sie und dann lachte sie hellauf – wohl über die Torheit des alten, großen, weisen Kindes hier, des Philosophen, der in diesem Augenblick erwies, ein wie unmöglicher Diplomat er selbst in Dingen des Herzens war. Und schon war er besessen von seiner Leidenschaft, nicht mehr für die kleine Friederike, sondern für die große Politik, in das Nebengemach geschlüpft. Der hübsche Offizier, der munter 145 geworden war wie noch nie und übermütig genug, zunächst auf den Scherz einzugehen, ihm nach. Sie wechselten das Habit. Arouet nahm die weißen Pantalons des Gardisten, der Leutnant das goldkäferbestickte Wams.

»Eine solche Maskerade, – der Verfasser der ›Discours sur l'homme‹ –« und der Schläfer auf dem Diwan fuhr sich entsetzt in die Haare.

»Menschliches, Allzumenschliches« – replizierte, weise verstehend, der Traum und erzählte weiter:

»Als sie nun aus dem Antichambre traten, der Hofmann als Offizier, der Offizier als Hofmann, stand Friederike zunächst verblüfft. Aber dann lachte sie, wie sie noch nie gelacht hatte, das Lachen kollerte nur so aus ihr heraus.

Da wußte er: nun war es aus – wenn eine Frau über ihren Anbeter gelacht hat – vor dem Rivalen.

Arouet als Leutnant, es war wirklich zu komisch . . . zu komisch . . . Die Uniform schlotterte nur so, der Küraß saß ihm schief – nie hatte sie noch einen solchen Offizier gesehen. Ihr petit aber war auch im goldkäferfarbigen Wams ein süßes Kerlchen – man sieht, es ist leichter, aus einem Krieger einen Philosophen als aus einem Philosophen einen Krieger zu machen.

So zuckersüß sah er aus, daß Friederikchen, die längst in ihn verliebt war, sich nicht mehr zu helfen wußte, sondern ihm um den Hals fiel. Da ward Arouet, cholerisch, wie er von Natur aus immer gewesen, ganz wütend. »Machen wir Toilette!« 146 herrschte er den Leutnant an und schreckte die beiden aus einer Umarmung auf, die offenbar dauern sollte, bis der Siebenjährige Krieg zu Ende war.

»Jetzt hab' ich genug von euch allen, von diesem Land, dieser Sandbüchse, und besonders von ihm«, und er blickte drohend in der Richtung gegen die Gemächer des Königs.

»Denn nur er ist schuld, weil er meine wahren Talente ungenützt läßt und ich so auf diese Possen gekommen bin. Wenn ich also schon kein Diplomat sein soll, Friedrich wird jetzt erfahren, was für ein Dichter er ist.« Nun funkelten seine Augen boshaft aus dem Grün ins Gelbliche. Sprach's, warf das Buch »Oeuvres de poésie« in die Ecke und wendete sich gegen die Tür. Aber dann wandte er sich um und neigte sich zu Friederike, ihr kindliches Kinn streichelnd, und gerührt, wie er leicht ward, mit ganz weicher Stimme, eine Träne verschluckend, sprach er: »Vergessen Sie nicht ganz, mein liebes Kind, Ihr – Onkelchen.« Und er hängte ihr, abschiednehmend, das Perlenkollier um, weil er, so rach- und ränkesüchtig er auch gegen seine Widersacher sein mochte, gegen Frauen immer großmütigen Herzens war.

»Nun aber«, stampfte er wieder zornig auf – »zum König . . . zum König – –«

*

Über Akten gebeugt, saß Friedrich da, frierend nach einer am Schreibtisch durchwachten Nacht, 147 in den blauen Uniformmantel gewickelt, höhnisch die Brauen hinaufgezogen, die Lippen hingen ihm schlaff herab.

Vier Körbe mit Eingaben, Bittschriften, Urteilen waren von ihm und den zuletzt zusammenbrechenden Sekretären in der rasenden Arbeit dieser Nacht erledigt worden.

Nun lag vor ihm diese Bittschrift des Müllers Arnold, der aus seiner Pachtung gejagt worden war durch ein Urteil im Namen Königlich Preußischer Majestät. Der Abgeurteilte hatte jetzt den König selbst angerufen – und der König ist entschlossen, trotz des Krieges, der von allen Richtungen her neuerdings die Häupter wider ihn erhebt, für das Recht in diesem Lande zu stehen, wie Voltaire, der jetzt das Gemach betritt, für das Andenken des gemordeten Vaters Calas, für die Freiheit des eingekerkerten Sohnes bald darauf – trotz Vers und Prosa – wie ein Besessener kämpfen wird.

Friedrich kritzelte eben, wie er es bei allen wichtigeren Erledigungen in der Gewohnheit hatte, an den Rand des Aktes ein Epigramm, als Voltaire ihm in das furchige Gesicht blickte.

Über ihn, den Gegner, so empfand ihn jetzt Friedrich deutlicher als je zuvor, einen Gegner, in den er sich mit zerfleischender Liebe verbissen hatte – über Voltaire war der Dämon gekommen, der ihm Besinnung und Mäßigung nahm und nun aus seinem Blick drohte.

Und die Falte über den Brauen Friedrichs war 148 tiefer geworden; tiefer zogen sich die Mundwinkel herab.

Die Gewitterluft vor einer letzten, großen Entscheidung lag über dem stickigen Raum.

»Sie sind gekommen – –.« Friedrich stand auf, hüllte sich gleichsam in sich selbst, wie er den zitternden Körper jetzt, weil ihn wirklich fror, in seinen blauen Uniformmantel hüllte. Er war jetzt ganz abweisend, ganz König.

»Sie sind hier, Monsieur Voltaire«, akzentuierte er scharf, »wohl um sich zu exkusieren von wegen dieses skandalösen Prozesses« – seine Stimme knarrte, wurde brüchig – »mit diesem Hirschel. Man schachert mit diesen Papieren aus Sachsen, die ich verboten habe in Preußen, als wäre man selbst ein Jude – Voltaire, Apollo, den ich –« die Stimme senkte sich, wurde dunkel.

»Und verdient damit eine Menge – durch den Kurs – und vergleicht auch noch den Prozeß . . . sehr günstig.«

»Ein königlicher Kammerherr«, schnaubte jetzt Friedrich wieder, »spekuliert, macht solche Geschäfte – mein Untertan.«

»Ich glaube, Sire, Ihnen nie untertänig gewesen zu sein«, ripostierte Arouet scharf, und Friedrich, der nicht zuckte, wenn die Kugeln seinen Hut durchlöcherten, den alten, dreikantigen Soldatenhut, mit dem er sich jetzt unwillkürlich bedeckte, wie immer, wenn es eine große Entscheidung galt, der Sieger von Leuthen hätte fast 149 aufgeschrien, weil er fühlte, daß er über diesen Mann – über diesen allein – keine Gewalt besaß. »Sire«, unterbrach Voltaire die Meditation, und er zog den goldenen Kammerherrnschlüssel aus der Tasche und spielte scheinbar achtlos mit ihm, »es könnte geschehen, daß ich heute, Sire, hier zum letztenmal – daß ich Lust bekomme, niemandes Untertan mehr –«

Da erschrak Friedrich; denn er hatte in die Tasche seines Gegenübers gespäht und sein Buch »Poesie« darin nicht mehr, wie sonst noch immer, gesehen.

»Wenn er mir«, überlegte er, »wirklich echappiert, ohne meine Epigramme korrigiert zu haben und die Sprüche und die Oden, wie soll ich sie dann drucken und der Pariser Akademie vorlegen lassen?«

So seltsam ist der Mensch manchmal, auch wenn er ein Genie ist: an dem Lob für diese Verse war ihm in diesem Augenblick mehr gelegen als an dem Beifall Europas, wenn er die Armeen dieser nämlichen Franzosen so spielend leicht schlug.

»Wenn mir dieser Voltaire jetzt abhanden kommt, ist es aus mit der Akademie«, und er wäre bleich geworden, wenn er sich nicht erinnert hätte, daß dies nur in Komödien den Schauspielern von ungeschickten Autoren vorgeschrieben wird. Ach, er ahnte nicht, der Große und Weise, daß er jetzt nur selbst Akteur einer Komödie war, die der liebe Gott, um sich beim Weltregieren nicht die Laune 150 trüben zu lassen, manchmal von seinen Lieblingen aufführen läßt.

So retirierte er denn und fragte gemessen: »Warum sind Sie also eigentlich gekommen?«

Voltaire aber hatte auf dem Schreibtisch unter dem Akt des Müllers ein Zipfelchen seiner Denkschrift über den Zustand Europas entdeckt. Und sein Dämon, durch dieses Wort »Untertan« – »Subjekt« übersetzte es sich Voltaire – noch mehr aufgestachelt, zwang ihn jetzt, sich dem König gegenüberzustellen wie zu einem Zweikampf. Er mußte . . . nun endlich . . . die Meinung kennen des einzigen Mannes, dessen Urteil er in diesen Dingen anerkannte, über sein eigentliches, das diplomatische Genie.

»Ich wollte«, und er war jetzt dicht bei Friedrich, »Ihre Meinung erfahren, Sire, über meine politische Schrift hier, ich warte« – er zischte das Wort hervor, und in diesem gezischten Worte war Wut, Hochmut und Angst zugleich.

Da spürte Friedrich, daß er von diesem Mann ein Wort nicht des Lobes, nein, der Duldung nur, vielleicht erhaschen könnte, wenn auch er die gleiche Huldigung dessen lächerlichem Ehrgeiz erweisen wollte. Und Friedrich spürte zugleich: lügen wird er nicht, auch nicht um diesen Preis. Dieser war doch nur Voltaire, ein Literat, ein homme à lettres, der beste freilich, und er war der König, Preußens König, Friedrich!

»Sire, ich erwarte Ihre Antwort!« – Er wurde 151 theaterhaft wie im »Ödipe« oder in seinen anderen Stücken.

»Da ist sie« – in diesem Augenblick war Voltaire für ihn wirklich nur der Untertan, das »Subjekt«, und er war – der König, der, wie von einer unsichtbaren Hand gelenkt, eine Rolle spielt – und er warf die Denkschrift hin, an deren Rand Verse gekritzelt waren, ein Pasquill gegen den Schöngeist, der durchaus der Machiavell seiner Zeit heißen wollte, ebenso boshaft wie schlecht gereimt.

Voltaire hatte mit einem Blick die Schwäche dieser Reime erfaßt und Friedrich, berauscht wie sonst nie von seinem eigenen Werk, fragte unbesonnen:

»Wie gefällt Ihnen das, Herr Voltaire?«

»Wie alle Ihre Poesien mir gefallen.«

»Sie haben sie also doch gelesen?«

»Allerdings.«

»Und was sagen Sie?«

»Ich sage nur . . .«

»Nun –?«

Da fühlte Voltaire, wie sein Bewußtsein sich verdunkelte, nur eine rote Flamme flackerte auf, und – ganz nahe – warf er ihm drei Silben, zu einem Schrei zusammengeballt, in das Gesicht:

»Dilettant!«

Dann kam er wieder zur Besinnung, stand starr, und der Kammerherrenschlüssel fiel klirrend auf das Parkett.

Den hob Friedrich auf und sagte: »Ich danke!«

152 Da wußte Voltaire, daß es zu Ende war, er ging gegen die Tür, wandte sich um und sagte nur noch:

»Wann darf ich reisen, Sire?«

»Wann es Ihnen beliebt.«

»Dann bitte ich – sogleich.«

»Ich hindere Sie nicht«, klang es wie aus der Ferne – der König stand wieder an seinem Schreibtisch, und die Finger, die zuckten, fuhren über den Akt des Müllers hin.

Da wandte sich der Scheidende noch einmal zurück und seine Hand streckte sich zag dem König entgegen, diese Hand, die jener einmal geküßt hatte. Aber Friedrich hatte sich gegen das Fenster zurückgezogen. Unten zog im Stechschritt die Wachparade vorbei, die Gardegrenadiere des Königs, und der Dessauer-Marsch klirrte zum Fenster hinauf.

Von unten widerhallte es: »Vivat – Fridericus – rex – unser König.«

Schmerzlich dunkelte es in seinem Blick und er schien zu sagen:

»Denen bin ich doch, was ich dir in deinem Umkreis nie sein werde – der König.«

Voltaire aber, als gäbe er diesem Blick Antwort, sagte:

»Ich ziehe es vor, künftighin mein eigener König zu sein.«

Und er trat aus der Tür, und Tränen stürzten über dieses hart und herrisch gescholtene Gesicht.

*

153 »Packen, Longchamp, packen, sofort, wir reisen«, rief er seinem Sekretär entgegen, der seinen sonst so weitläufig ironischen, nur manchmal aufbegehrenden und dann wieder sogleich tausendfach um Entschuldigung bittenden Herrn so noch nie gesehen hatte: ganz Flamme und Erregung.

»Nach Paris!« jubelte Longchamp.

»Ich habe kein Verlangen nach der Bastille«, fuhr ihn unwirsch Arouet an.

»Wohin denn, cher maître?«

»Nach Frankfurt zunächst. Das ist doch eine freie Stadt – irgendwo wird man doch frei sein dürfen«, knirschte er.

»Das ist doch auf dem Weg wenigstens . . . nach Paris!« schrie Longchamp in Ekstase, und in den Koffer flogen die Krausen, die Spitzenhemden, die Wäsche, die Bücher.

Da waren sie nun alle, die gefährlichen Kinder, die der vorsichtige Vater vor der Welt sonst zu verleugnen pflegte: der »Mahomet« schmiegte sich an die »Pucelle« und die »Henriade« purzelte auf den »Tancrède«. Und Voltaire warf ihm seinen Kammerherrendegen nach – er wollte durch nichts mehr an diesen Hof erinnert werden. Und er schlüpfte in sein Reisehabit aus hautfarbener Seide, immer die schwarze Samtmütze auf dem Kopf.

Der Koffer klappte zu. Aber da mußte ihn Longchamp noch einmal öffnen.

»Das nehm' ich mit, das Einzige«, und Voltaire warf auf den Bücherhaufen den Stumpf der 154 Wachskerze, den er aus dem königlichen Vorzimmer mitgenommen hatte, weil ihm seine Zucker- und Schokoladeration verkürzt worden war. »Zur Erinnerung«, rief er, »wie dieser König, der ein Dichter sein will, den behandelt hat, der unter den Dichtern der König ist.«

In diesem Augenblick öffnete sich weit die Tür, und herein trat, ganz Feierlichkeit und Würde, jener Lakai, dem beim Einzuge Voltaires in Potsdam Friedrich »Esel« zugerufen hatte, weil er den stürmisch erwarteten Gast zu lange draußen hatte warten lassen.

»Im Auftrage des Königs!« sagte der Lakai und streckte seinen Zeigefinger befehlerisch vor.

»Bevor Er Potsdam verläßt, hat Er das Buch mit den Poesien – den königlich-preußischen Poesien«, – fügte der Lakai streng hinzu, »zurückzustellen.«

»Er«, das wagt er mir . . .«

»Er soll es zurückstellen nach vorgenommener Durchsicht –«

Da schnellte Voltaire auf, daß seine schwarze Samtmütze nur so zitterte:

»Sag' er seinem Friedrich, Er soll die Verse – seine schmutzige Wäsche soll Er selbst in Ordnung bringen.«

»Das soll ich? . . .«

»Hinaus!« – und so dünn die Waden des Dichters der »Pucelle« in den eisengrauen Strümpfen erschienen, sie waren zu einem Fußtritt gegen den Domestiken noch immer kräftig genug.

155 »Extrapferde und einen Postillon. Man soll es hören in der Mark, wenn Voltaire durch sie kutschiert« – und schon war er die Galatreppe hinab.

Das bestellte Fuhrwerk näherte sich dem Tor.

»Vorwärts!« rief er dem Kutscher zu.

»Nach Frankfurt!«

Der Kutscher hieb auf die beiden Eisenschimmel ein.

»Schont sie doch«, hemmte Voltaires Zuruf seinen Arm – »keine Peitsche gegen die Tiere und – gegen die Menschen«, sagte er gegen Longchamp gewendet, der ihn verstand.

Er warf noch einen Blick auf die Fenster zurück, von denen auch er so oft neben seinem Friedrich der Parade zugeschaut hatte – er, der den Krieg verabscheute, liebte die Farbigkeit des Soldatenwesens.

Da klirrte von dem anderen Flügel des Schlosses, wo Friederike jetzt ihren Leutnant in zärtlicher Gefangenschaft hielt, ein Fenster auf. Ein blondes Köpfchen schob sich vor. Ein frischer, vom Geküßtwerden ganz roter Männerkopf mit zerstruwelter Perücke ward sichtbar, und beide winkten – Friederikchen, die Wange an ihren Leutnant geschmiegt, mit einem seidenen Fichu – dem Scheidenden nach.

Da entfiel ihm wieder, wie er ja leichter gerührt ward, als es einem Philosophen geziemen mochte, eine Träne. Er schneuzte sich verlegen und winkte mit seinem spitzenbesetzten Taschentuch zurück, 156 bis die Pferde sich kräftiger in Trab setzten.

Der Lakai aber, der Voltaires Botschaft zu bestellen hatte, irrte wie ein klagender Geist durch die Gänge des an diesem heißen Sonntagnachmittag doppelt verödeten Schlosses.

Wie sollte er das dem gefürchteten Friedrich ausrichten?

»Er soll seine schmutzige Wäsche selbst – ich werde beim Fenster hinausfliegen«, stöhnte er.

Zum Glück war sein Herr einstweilen anderwärts okkupiert. Trotz des Sonntags nahm er die Parade ab, heute zehnfach unnachsichtig, wehe, wenn ein Gamaschenknopf nicht geputzt war oder wenn einer links schaute, während rechts kommandiert wurde. Dann ging er, den alten Soldatenfilz mit der verbogenen Krempe auf dem Kopf, in das Arbeitskabinett, wo die Sekretäre schon warteten, einsam auch an diesem Sonntag, heute noch einsamer.

Er setzte sich an den Schreibtisch und schlug den Akt des verurteilten Müllers auf. »Dem Mann muß sein Recht werden, und wenn alle meine Räte und Richter in die Luft fliegen«, rief er jetzt pathetisch im Stil seiner Epoche. »Wie ich dem Voltaire den Fall erzählt habe, hat er mir die Hand geküßt. Nun hab' ich ihn auch nicht mehr. Nun bin ich erst ganz allein.« Und ein Schmerz wie um eine verlorene Geliebte fiel ihn an. Er blätterte in dem Akt. Er dachte: »Für mein Streben da, für meine Kunst, über die die Nachwelt richten wird« – 157 Friedrichs Augen funkelten – »hat er nur Hohn.«

Er blätterte jetzt im Akt des Müllers und war an die Stelle mit seinem Pasquill gekommen, das seinen Gast so zornig gemacht hatte.

»Wie hat er mir gesagt?« sein Mund zog sich zusammen – »Dilettant«. Wie eine Peitsche traf ihn das Wort. Er riß an dem grünseidenen Glockenzug. Der Lakai erschien, vor Angst in sich verkrochen.

»Hat Er es bestellt?« herrschte er ihn an. »Wo ist das Buch?«

»Er hat es mir noch nicht zurückgeschickt, der Herr Voltaire.«

»Was hat er denn gesagt?« tobte er den Lakaien an.

»Der König soll mir –« hat er gesagt. Der Lakai retirierte, und er sagte, ganz nahe der Tür, sein Sprüchlein von der Wäsche auf und fiel dann beinahe um vor Schrecken.

Wie versteinert stand Friedrich. Dann aber schnellte er auf. Es gellte aus ihm: »Das Buch! Er hat das Buch mitgenommen, meine Poesien!«

»Kuriere! Man setze ihm nach! Man halte ihn fest! In die Festung mit ihm, bis er das Buch . . . Man arretiere ihn, wenn er ankommt in Frankfurt!« Und er warf mit fliegender Feder die Order hin, an Herrn Freytag, den königlichen Residenten in Frankfurt.

»Wenn dieser Herr Voltaire Eure Stadt passiert, sind ihm Skripturen, ein Band »Oeuvres de poésie«, 158 abzunehmen. Hat er sie nicht, dann soll er arretiert werden . . .«

Der Kurier nahm die Order an sich und raste, ohne zu wissen, wer darin saß, an der Kutsche vorbei, in der François Marie Arouet nach den Aufregungen dieses Tages sänftiglich eingeschlummert war.«

»Aha«, meldete sich der Schläfer auf dem Sofa, »er ist eingeschlafen, wie ich jetzt schlafe. Philosophen brauchen Ruhe nach einem tiefen Seelenschmerz . . .«

»Wenn man schnarcht, wie du jetzt, ist man darum noch lange kein Philosoph, mein Lieber. Er hat auch an diesem Tag ganz anderes durchgemacht als du. Er hat den geliebtesten Freund verloren, das war ihm Friedrich, wenn man ihn auch einen Tyrannen und Despoten gescholten.«

»Er war also«, fuhr der Traum fort, »eingenickt und erwachte erst mit einem bitteren Gefühl im Magen oder im Herzen – das ist solchenfalls nicht so genau zu unterscheiden –, als die Kutsche sich Berlin und der sogenannten Hasenheide näherte, die sich vor der Stadt hinstreckt in ihrer Ödigkeit.

*

Heide, Sand, Kiefern dazwischen. »Doch eine rechte Sandbüchse, diese Mark«, krittelte der Sekretär.

»Aber sehen Sie doch nur, Longchamp, was Er daraus zu machen sucht!« und er wies auf die Maulbeersträucher an den Zäunen.

159 »Seidenplantagen, ein Lyon in der Mark . . .«

Er seufzte schwer. Denn in diesem Augenblick erkannte er wieder Friedrichs großen und guten Sinn, wenn er nicht menschlich verdunkelt war. Er fühlte, was er heute hier an diesem einen Tag verloren hatte. Eine neue Heimat, an die er, der alternde Mann, sich hätte klammern können, eine Geliebte, die Mutter seiner Kinder vielleicht – gerade während der letzten Tage war ihm, dem alternden Bohème, manchmal der Gedanke an Heim und Familie vorgeschwebt – einen Freund, ihm der teuerste, trotz alledem.

Nun war auch er durch seinen Dämon hinausgetrieben, wie es ihm immer zuletzt erging, verkannt, ein kalter Spötter gescholten, mißbraucht von jedem in seiner wehrlosen Güte, weggeworfen zuletzt, ganz wie dieser von ihm geliebt-gehaßte König.

Schon wollte er trüben Sinnes werden. Aber zum Glück schaute er jetzt auf und ward immer ergötzter über das unerwartete Bild, das sich ihm plötzlich auf der bewegten Heide darbot. In den Wirtschaftsgärten auf dieser Heide saßen auf den Bänken reihenweise königlich preußische Wachtmeister und Grenadiere mit ihren Frauen, soweit ihnen die Kopulierung durch königliche Gnade gestattet war. Da saßen sie stramm zwischen den Bürgern mit ihren steif gewichsten Zöpfen, die lustig geringelt waren wie Mausschwänzchen. Und die Bürger sahen streng drein wie die Grenadiere, 160 und die Grenadiere solid wie die Bürger. Fast jeder hatte auf dem Schoß ein Kind, lauter Buben, wie es einem königlich preußischen Grenadier geziemt, der dem Staate auch darin zu dienen hat, lauter künftige Grenadiere mit kleinen, gewichsten und gewickelten Zöpfchen wie Mausschwänzchen. Vor den Kriegern aber standen Kaffeekannen, breit ausgebuchtet, wie die rückwärtigen Partien ihrer Gattinnen, und wieder alle in strammer Reihe. Und während der rechte Arm der Helden den Sprößling umspannte, griff entschlossen der linke nach der gebuchteten Kaffeekanne. »Kerls, wollt Ihr denn ewig leben?« hatte ihnen einmal Friedrich zugerufen, den sie dennoch anbeteten. Sie wollten offenbar ewig leben; jedenfalls wollten sie ewig Kaffee trinken.

Dieser Anblick gab dem vertriebenen Philosophen sogleich die Laune wieder. Denn wie sehr er auch die Menschheit im ganzen bezweifelte, die Menschlichkeiten liebte er sehr, weil sie ihn ergötzten.

»Warum trinken sie denn alle das nämliche Getränk?« forschte Arouet, in dem schon eine kleine Heiterkeit aufstieg.

»Weil einer damit begonnen hat.«

»Und warum hat denn der eine damit begonnen?« Er war gründlich, denn er war ein Philosoph.

Da wies Longchamp stumm auf die Tafel über dem friedlichen Heereslager, und darauf stand riesengroß: »Hier können Familien Kaffee kochen!«

161 Da geschah dem Philosophen, wie es großen und darum kindlich gebliebenen Gemütern oft begegnet: es lächert sie über ein Nichts. Der Klang einer Silbe, eine Vorstellung heitert ihre Düsterkeit auf. »Hier können Familien ›Káffee‹ kochen!« wiederholte er, wobei er den Akzent auf das a legte. »Glückliches Land!« lachte er, »du hast zwar keine Schneeberge, keine Reben, keine Orangen, wie wir. Du hast nur Sand, aber du bist dennoch beneidenswert, denn Familien dürfen darin ›Káffee‹ kochen.«

Und Jean François Arouet, genannt Voltaire, der Begründer der modernen Geschichtsschreibung, der modernen Physik und Chemie, strampelte vor Vergnügen, weil in der Hasenheide Familien ›Káffee‹ kochen durften. Und dann wieder ernster geworden, sagte er zu seinem Begleiter:

»Es ist doch Schicksalsplan, daß ich nicht hier geblieben, in diesem Land. Ich hätte hier vielleicht, wer weiß, dieses hübsche, kleine Mädchen . . . zur Frau genommen. Ich hätte eine Familie gegründet, und ich hätte – Káffee gekocht. Wenn einer eine Familie gründet, kocht er irgendeinmal immer Káffee.«

Und vergnügt winkte er dem Kutscher, weiterzufahren über den im Abend rötlich schimmernden Sand, auf den die Kiefern ernsthaft blickten.

*

»Nanu«, räusperte sich der schlichte, schlafende Doktorand.

»Wenn ich nun das Riekchen gekriegt hätte, 162 glaubst du, ich hätte auch einmal Káffee gekocht auf der Hasenheide mit der Familie?«

»Du janz jewiß, wie du jebaut bist, Männeken«, erwiderte jetzt, auf einmal berlinerisch, der Traum.

Da kreuzte der Gottfried wieder die Hände friedlich über den Bauch, und als er später erwachte, war er mit seinem Schicksal, das ihn vor dem Kaffeeausschank auf der Hasenheide und der Familienbegründung bewahrt hatte, wieder ausgesöhnt.

Auch Voltaire war mit Gott, an den er nach dem ernsten Erlebnis von heute noch weniger glaubte, und mit der Menschheit, die er jetzt noch mehr bezweifelte, dennoch zufrieden, als er in seiner Kalesche durch das beglänzte Land dahinratterte.

Aber kaum hatte die Kalesche zu Frankfurt das Eschenheimer Tor passiert, da erfuhr er alsogleich den »Wandel der Dinge. Drei Grenadiere standen vor ihm, Säbel aus der Scheide, Schnauzbarte, wie aus einem Mandelbogen, und der längste der Kerle fragte ihn, ob er der »Moschieu Voltai-re« sei?

»Der bin ich.«

»Dann müßt Ihr mit auf die Hauptwache.«

Der Angehaltene gab dem Kutscher ein Zeichen, daß er fahren solle, wohin es ihm der Grenadier bedeuten werde. Aber dieser sagte nur kurz:

»Davon steht nichts in meiner Order. Mal raus, Männeken, mal fix mit dem Pedal.«

So mußte denn der Philosoph wie ein Arrestant durch die gaffende Gassenjungenschaft 163 einherschreiten, hinter ihm lustig der Sekretär mit dem Köfferchen.

Auf der Hauptwache stand Herr Freytag, der Kriegsrat und Präsident, Orden auf der breitgewölbten Brust, um durch diese Gloria dem Arretierten zu imponieren. »Monsieur Voltaire«, begrüßte er den Verbrecher höflich, »Ihr sollt ein Paket vom König mit Euch führen, Skripturen.«

»Ihr meint wohl die schmutzige Wäsche des Königs« – höhnte der Arrestant.

»Die Skripturen meine ich, die ›Po-e-schien‹,« donnerte jetzt der Kriegsrat.

»C'est un drôle«, amüsierte sich der Sekretär.

»C'est un imbécile«, schnaubte sein Meister.

»Wo ist also das Buch?«

»Wo ich jetzt lieber wäre, im Zimmer der Demoiselle Friederike, der Katschin, hinten im Schloß.«

»So lange die ›Po-e-schien‹ nicht da sind, seid Ihr –«

»Arretiert, wie es scheint!« fuhr Voltaire auf.

»Und das ohne Komplimente!« schrie der Kriegsrat und entfaltete das Pergament.

So wurden die Ausreißer ohne viel Federlesen in den Turm bei vorgeschriebener schmaler Nahrung gesteckt, aber weil der Sekretär als ein witziger Franzose mit der Tochter des Gefängniswärters sogleich charmierte, gelangten die Sünder heimlicherweise zu einem reichlichen Abendessen: Frankfurter Appetitwürstchen, in jungfräulichen Salat gebettet, 164 noch schmorend und deliziös, und ein paar Flaschen des Gelbgesiegelten waren auch zur Stelle. Es war ein munterer Tropfen, der im hellen Rebengelände nahe der guten Stadt gedeiht.

So wär' es ein fideles Gefängnis gewesen, doch Voltaire ward darin immer knurriger.

Aber in wenigen Tagen bereits brachte die Estafette die Nachricht, die verlorene Kostbarkeit sei im Zimmer des hübschen Fräuleins, der Katschin, aufgefunden worden; das ganze Zimmer wäre, hm . . . noch immer merklich derangiert gewesen, hm, ja, diese Pariser Einquartierung im Schloß . . .« und der Bote des Königs sah den also überschätzten Philosophen teils strafend, teils bewundernd an.

»Zum Glück«, fuhr der Bote fort, »hat sich itzt sogleich ein Jüngling gefunden, ein Leutnant von der Garde, der sie . . . hm . . . trotzdem wieder zu Ehren gebracht und gefreit hat . . .«, und er fraß den angeblichen Wüstling vor Neid mit den Augen auf.

»Ja«, schloß der Bote, »teutscher Edelmut!«

»Ich bin also der Liebhaber der Katschin gewesen, der hübschen, siebzehnjährigen Demoiselle?«

»So heißt es im Schloß.«

Da – es war ein wunderbares Naturschauspiel – begann es plötzlich um das bis dahin so verdüsterte Antlitz des gefangenen Philosophen zu wetterleuchten, bis es darin freudig blitzte, weil man ihn für einen Verführer und Liebhaber hielt.

»Ihr seid jetzt frei, Ihr könnt reisen, wohin es 165 Euch beliebt«, sagte der Kriegsrat, der eben in das Turmgemach getreten war.

»Und was soll ich dem König bestellen?« fügte er zögernd hinzu, als erwarte er einen Auftrag auszurichten.

»Bestellt ihm«, rief Voltaire, wieder geärgert durch den Anblick seiner Orden, »wenn Ihr einmal nach Potsdam kommt – jetzt hat er erst recht durch diesen Scherz mit mir erwiesen« – und seine Augen funkelten boshaft grün – »wie trocken seine Phantasie, ein wie schlechter Poet er ist. Das richtet ihm aus, Herr Kriegsrat!«

Aber der Kriegsrat hat es nicht ausgerichtet.

»Und meine Denkschrift, mein Staatsvertrag. Will der König mir mein Eigentum –« fuhr er wieder den Boten an, gereizt auch er, daß man ihm sein Manuskript nicht zurückgab.

»Ist dem königlichen Archiv einverleibt«, beruhigte ihn der Bote, »ein Werk Voltaires«, fügte er bewundernd hinzu.

Da hellte sich sogleich dessen düstere Miene auf.

»Und habt Ihr doch nichts anderes«, fragte ihn heimlich der Bote, »an den König durch mich zu bestellen?«

»Bestellt ihm«, und Voltaires Stimme senkte sich und wurde weicher: »ich weiß, was er da in der Sache des Müllers Gerechtes vorhat, und darum pardonniere ich ihm – seine Farce und ich lasse ihm sagen« – und er blickte jetzt sehr ernst auf die Orden des Kriegsrates –, »wenn er sein 166 Kriegspielen endlich aufgibt, seine Menschenschlächtereien, kann noch ein ganzer Mensch aus ihm werden.«

Da knickte der Bote ein, wie er das bestellen solle.

Aber der Philosoph richtete sich hoch auf: »– ein wahrer Schüler Voltaires! Und nun«, winkte er seinem Sekretär, der hinter dem Rücken des Gefänigniswächters dessen Tochter einen Abschiedskuß applizierte, »nach der Schweiz, wo es keine Könige gibt – und von diesem bin ich frei – für immer –.«

*

Aber auch dort ist er von diesem König nicht frei geworden, so wenig wie Friedrich von ihm – »so wenig wie ich von beiden«, seufzte, noch immer schlafbefangen, Gotthold. Da fuhr ihm der Traum freundlich über die Schläfen und erzählte weiter: »Ja, wie zwei Sterne kreisten sie jeder in seiner Bahn – Sterne, die sich nach einander sehnen und sich doch nicht berühren dürfen.«

Voltaire saß in Ferney, ein Fürst des Geistes, wie ein wirklicher Fürst geehrt, trotz seiner Sonderbarkeiten.

Er pflügte seine Erde, wenn ihm die Laune kam, und sein Wort fuhr wie ein schärferer Pflug durch die Kruste von Aberglauben, Grausamkeit und Vorurteil, die damals Europa bedeckte. Er ward ein Freund, Bruder und Vater der schuldlos Gerichteten. 167 Sie zu befreien, wandte er an allen Höfen Europas diplomatische Künste auf. Aber da höhnte Friedrich nicht mehr, weil er fühlte, daß dies Diplomatie eines glühenden Herzens war.

Friedrich aber schlug seine Schlachten und baute in seinem Lande das Recht auf. Und wenn ein ganzer Mann, General, Arzt oder Rechtsverweser auf der Bahre lag, formte sich ihm aus bewegtem Gemüt ein Epitaph, und dafür ereilte ihn Voltaires Lob von Ferney nach Sanssouci hinüber.

Und als Voltaire, vierundachtzigjährig, in Paris wie ein wirklicher König durch die Straßen zog, während der geächtete Ludwig aus dem verhängten Fenster seines Schlosses den Triumphzug, Schweres ahnend, bespähte – als er bald darauf starb, schrieb Friedrich schmerzlich noch einmal ein Sinngedicht; er wußte, dieses war ihm gelungen. An diesen Reimen, die er nicht lesen würde, hätte der Meister nicht gemäkelt.

Die Jahre strichen dahin. Friederike, die den armen Voltaire so genarrt hatte und ihn zuletzt in einen so schmeichelnden Verdacht gebracht hatte, war schon eine rundliche Großmama und ihr Enkel selbst schon ein stattlicher Gardegrenadier geworden, mit einem Schnauzbart und dem gewichsten Wickelzöpfchen.

Es ging und kam die Zeit.

Auch Friedrich streckte sich, einsam, wie er gelebt, dem Tod entgegen, und als er gestorben war, stieg seine Seele hinauf zu jenen reineren Sphären, 168 die er immer geleugnet hatte. Dort oben erwartete ihn schon die Seele des Freundes, die sich hier mit ihm inniger zu vereinen hoffte, als es hienieden geschehen war. Von dem Gestirn, über dem Voltaire schwebte, ging ein Blinken und Flimmern aus, und durch den ganzen Himmel ein Blitzen und Leuchten, als des großen Friedrichs Seele hinaufrauschte.

Jetzt seh' ich sie!« schrie Gotthold auf – der Traum hatte ihn auf die Hasenheide hinausgeführt, um ihn blitzte eine Sternennacht, licht wie diese Geister gewesen. Da sah er sie deutlich im Flimmern dieser Nacht – Voltaire und Friedrich. Immer höher schwebten sie, mutwillig einer über dem anderen, und immer heller ward das Leuchten und Blinkern im Himmelsraum.

Friedrich trug seinen blauen Uniformwolkenmantel, und in dem Geglitzer über ihm erkannte Gotthold deutlich Voltaires goldkäferbesticktes Wams.

Sie wollten einander, der König und der Poet, die Hände reichen, die ganz kristallen und durchsichtig geworden waren, daß der liebe Mond, der sie freudig wiedererkannte, hindurchscheinen konnte. Aber da fegte sie der Wind auseinander.

»Geistern«, sagte nachdenksam der Traum, »die sich unten befehdet haben, ist es auch oben nicht gewährt, ineinander zu stürzen und sich in eins zu mischen.«

Einsam wie dort unten stiegen sie vor dem Blick des Träumenden hinauf, immer höher, einem 169 Größeren entgegen, den sie beide bezweifelt hatten und dessen Teil doch ein jeder gewesen war.

Über zwei Gestirnen machten sie endlich halt, sehnsüchtig gegeneinander blickend, unerreichbar auch hier einer dem anderen. Nun, da alles Menschliche längst von ihnen gefallen, mußten sie selbst lächeln, als sie einander erkannten, und der Schläfer lächelte mit. Voltaire hatte über dem »Mars« und Friedrich natürlich über der »Leier« seinen Sitz genommen.

Gern hätten sie einander hier oben zugetrunken, wie dort unten im Schloß unter dem schimmernden Luster einst mit dem Ungarwein, wenn sie des Daseins Nichtigkeit erwogen hatten. »Aber es fehlt ihnen hier der Wein und es fehlt der Becher« – rief, halb im Erwachen, der Träumende schmerzlich.

Da sah er, wie von oben, als hätte ein Größerer den Wunsch seiner Lieblinge gefühlt, aus dem silbrigen Glitzern zwei Pokale herbeischwebten, an die Lippen der einsam Kreisenden.

Voltaire und Friedrich, jeder griff danach wie aus alter Erdengewohnheit, wie damals im Schlosse zu Sanssouci, und ihre Blicke tauchten noch einmal lächelnd-verstehend ineinander. Und siehe, da füllten sich die Pokale mit purpurnem Wein, wie sie ihn dort unten nie gekostet, aus der rötlich schäumenden Fülle der Nacht.

Und lächelnd tranken sie, durch die Weiten der Unendlichkeit geschieden, einander noch einmal zu, 170 der große König, der dennoch in seinem tiefsten Traum über Macht und Größe ein Dichter, der große Dichter, der, niemandem im Geiste untertan, wahrlich immer ein König gewesen.

Deutlich erkannte sie Gotthold, dann blickte er, aufgewacht, erstaunt in die Nachmittagsdämmerung.

Ein breiter Sonnenstreifen war in das Zimmer gefallen, und ein Leuchten glitt von der strengen Büste Friedrichs im Winkel zu den vielen Voltaire-Bänden hinüber, die auf dem Boden postiert standen – in ernsthafter Reihe. 171


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