Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Haus der Verfluchung
Sei Wächter, du erstes Wort,
Mit hohem Stabe vor schwarzem Tor!
Sei Türmer, du erstes Wort,
Mit beschwörendem Horn hinab und empor!
Zurück! Das ist ein böses Haus,
Seid auf der Hut vor Fluch!
Flieht den Flur!
Hier pocht verführtes Blut, hier pendelt Irrtum-Uhr.
Die Gänge sind voll Rauch,
Die Feuer gingen aus.
Von huschendem Besuch
Ist Pfeifen da und Schatten, Flattern und Gefauch.
Die Treppe spöttelt, Decke bröckelt, pfiffig tröpfelt was.
Vielleicht blieb wo ein Sarg stehn, und man spürt es fast.
In Modersälen schlecht verklebte Spiegel sind
Vom starren Lächeln eines Eitlen blind.
Aus Bodenkammern pfeifen Peitschen Nacht und Tag.
Ein Lügner fehlt sich selbst. Ist es gespielter Schlag?
Ich weiß nicht.
Nichts weiß ich, auch mein Geheimnis nicht,
Das eures ist.
Es wandert durch die Gänge kleingewürgtes Licht.
Ein Mütterchen-Licht, das kein Wort spricht,
Nur mahnt und weist und kreist wie um Mord ...
Weh, zwischen uns steht Wort,
Masse und Mauer aus dichtem Ort!
Ich kann nicht zu Gott durch Wort.
Fort aus dem Wort,
Fort aus dem hallenden Haus!
Wer eintritt, kann nicht mehr hinaus!
Es späht kein Spalt, es schallt kein Schein –
Zurück! Betet!
Wann wird es Leben sein!?!
Das Erwachen des abschüssigen Trinkers auf der Pritsche der Polizei-Wachtstube!
Das Erwachen des Zuhälters, nicht auf den gepriesenen Fliesen der Zelle, nein, im zerkeuchten Hurenbett!
Das Erwachen des jungen Defraudanten nach der letzten seligen Nacht des Reichtums!
Das Erwachen des Verseuchten im Spital, wenn er die aussätzigen Augen nicht öffnen kann!
Das Erwachen des Gläubigen nach einer Todsünde!
Das Erwachen des glänzenden reichen Kindes unter den Tüchern des Artistenwagens!
Das Erwachen der Ehebrecherin!
Das Erwachen des Mörders!
Das Erwachen des Gehässigen, wenn er sich übel schmeckt im Munde und sein Haß sich selber haßt!
Das Erwachen in aller Sünde!
Das Erwachen in allem Ekel!
Alles Erwachens bin ich erwacht in dieser Stunde!
Ich fühle mich an. – Was habe ich mit mir begonnen?
Erwacht bin ich wie ein Liebender, den die Liebe verläßt, und er liegt da, ausgestreckt, und grinst!
Ich ging schlafen in diese Welt, beide Hände voll Besitzes, den ich zu Bette nahm, wie ein Kind, und an die Brust drückte.
Nun bin ich erwacht, und an meinen Fingern klebt harter, leimiger Sirup und Kandiszucker.
Aller Farben sind sieben. Aber was soll es, wenn das Herz sie nicht erschafft?!
Alle Zaubereien sind dahin! – Aber im Vorhaus scharren die Gläubiger mit kotigen Stiefeln,
Und mich wirft öde, tränenlose, gottlose Reue hin und bannt mich!
Ich gehe ganz zerfallen über die Straße,
Wie ein Korb voll Äpfel bin ich, den ein Bube umstieß.
Nun rolle ich nach allen Seiten in Staub und Kot.
Schon wohnen in meinen guten Früchten die langwortigen Würmer,
Was eins war und rund, das fressen sie bräunlich entzwei.
Überall in meiner Seele höre ich das Rascheln der Entzweiung.
Wirst du mich zur Sammlung blasen in der Wüste,
Daß ich aufspringe aus diesem Schleppen und Schwanken und schreie: Ich glaube!!
Und daß die Seele meiner Seele wie ein Sopran über den Chören schwebt?!
Oder werde ich ewig durch die Zimmer mich scheinen und spiegeln?
Immer schamloser die Verwesung weisend unter dem Hemde ...
Bis ich ein mattes Grinsen der Verdammnis verlösche!
Aus meinen Tiefen rief ich dich an.
Denn siehe, plötzlich war der metallische Geschmack des ganzen Irrtums auf meiner Zunge
Ich schmeckte über alles Denken Erkenntnis.
Ich fühlte gleiten das böse Öl, womit ich geheizt bin.
Süßliche Müdigkeit spielte in meinen Knochen,
Ich war zur Geige worden des ganzen Irrtums.
Ich fühlte meine Schwingungen auf einem fernsten Traumkap,
Und wollte auf, mich wehren, mich gewinnen, wahren ...
Doch sank ich hin gespenstisch
Gelähmt in träge pochende Verzweiflung.
Aus meinen Tiefen rief ich dich an.
Ich rief wie aus versunkenen Fiebern tretend: Wo bin ich?
Tieftaumelnd stand ich in schwankender Landschaft, im Schwindel geheimer Erdbeben, und rief: Wo bin ich?
Ich erkannte die Welt. Sie hing an einem letzten zuckenden Nerv.
Ich sah den Todesschweiß der Dinge. Sie schlugen um sich in eckiger Agonie.
Aber wie edle Kinder, die das Weinen bekämpfen, lächelten sie demütig von unten empor.
Da fuhr ich aus meiner Einsamkeit,
Da fuhr ich aus Krampf und Kammer,
Da drang ich ein in die Säle. Sie rauschten wie der Grund städteteilender Ströme.
Über mich schlug das Scheppern der Teller, Getümmel der Stimmen, der Schritte Trommel-Verrat und Schreibmaschinen-Geläut.
Ich rief dich an aus meinen Tiefen.
Aber mein Antlitz trug sein Grinsen umher.
Mit der rechten Hand strich ich den Kitt meines Lächelns zurecht.
Und alle taten also.
Wir saßen zueinander, doch jeder gerichtet in anderen Winkel.
Mit beiden Händen bedeckten wir eine Stelle unserer Anwesenheit, der wir nicht trauten.
Wir redeten lange Streifen von Worten ...
Die aber waren geboren am Gaumen,
Und nicht gelangen uns Frohsinn und Schmerz,
Wie unsere Gurgel log.
Aus meinen Tiefen rief ich: »Wo bin ich, wo sind wir?«
Umstellt von Unabänderlichkeit, verstoßen in erbarmungslose Gelächter, verschlagen aufs Eiland schiffbrüchiger Kartenspieler!
Unsere Ruhe ist Tod,
Unsere Erregung Fäulnis!
Wir sind gebeizt, gesalzen, geräuchert von böser Entwöhnung!
Verlernt ist der Ursprung,
Verlernt der ruhende Blick,
Verlernt das Daliegen in den Himmel!
Aus meiner Tiefe rief ich dich an,
Denn hier rettet kein Wille mehr, hier rettet nur Wunder.
Tu Wunder!
Ich habe meine Lampe ausgelöscht und mich zu Bette gelegt in mein fremdes Bette
Da wallte mir durchs Fenster die bleiche Welt der Nacht, und der aufgebaute Berg beugte sich über meine Brust und wankte.
Die reißenden Hunde bellten in den schattenlosen Höfen des Mond-Dorfs und ich
Verwarf mich und stand auf und zündete die unwillige Lampe wieder an.
Ich will nichts von den Früchten und Speisen genießen, die noch auf meinem Tische stehn, obgleich es mich gelüstet.
Ach, die Befriedigung vertritt uns deinen Weg, und wer weich kniet, betet heiser.
Mit dem Apfel lockt der Arzt das kranke Kind von seinem Weinen ab, um Fieber zu messen.
Weh uns, verheert von Lockung und Genuß, allzubereit, die Stätte des ewigen Schmerzes zu verlassen!!
Oh mein Richter! Meine Feinde haben mich enträtselt, durchschaut und geschlagen.
Sie verwarfen mich, und ich mußte mich mit ihnen verbünden.
Sie schalten mich: Scheinmensch, charakterlos, eitel, träge, gleichgültig, zu klein zur Sünde, zu gering zur Wohltat, schwach im Frevel und wertlos in der Reue, –
Und ich hörte sie, und fuhr gegen mich, und gab ihnen recht, – mein Richter, – und muß mich hassen!
Ich bekenne – und wenn auch dies Eitelkeit ist, weh, vermag ich nichts dagegen, bekenne dennoch:
Ich war an diesem einzigen Tage so klein und niedrig, mittelmäßig und schwach, wie nicht einer an meinem Tisch, –
Höflich war ich aus Angst, lobsprecherisch aus Feigheit, aus Trägheit zweizüngig und ohne Halt. Liebe vergalt ich mit böser Hoffnung, Sorge mit sorglosem Schwachsinn.
Es ist nicht die Lust der Zerknirschung, wenn ich mich dem weidenden Vieh vergleiche.
Wie köstlich ist der kommende Tag, mein Richter, wie träumt man sich wandeln im Gebirg, wie hoffend auf Größe!
Aber der abgestorbene Tag ist schrecklich, man sieht sich ungern nach ihm um, wie nach einem Kübel voll Kehricht.
Wird es immer so sein? Mein Tag immer so sein, bis zum letzten Tage?
Und wird sich im schmutzigen Kranken noch die alte Sturmglocke der Schuld empören?!
Mein Richter, ich weiß nichts vom kommenden Tag, von jenem Tag, nicht, ob du wirst zu Gerichte sitzen, mein Richter.
Aber deinen Gerichtstag fürchte ich nicht, deine Erhabenheit nicht, dich nicht, mein Richter, mich fürchte ich, ich fürchte mich, Mich!
Meine lahme Seele fürchte ich, mein stummes Herz, den unverzweifelten Blick, den Leichtsinn, das So und So, das Achselzucken!
Ich weiß nicht, ob du bist, mein Richter, aber ich wünsche, daß du bist, mein Richter, und will deine gute Rute besprechen.
Ich sitze in diesem kalten Zimmer vor meiner Lampe. Horchst du an meinem Fenster? Ich kann die Sterne sehn.
Ich wende meinen Kopf scheu zum Fenster, und rufe dir diesen Gesang zu, und mache diesen Gesang den Schlafenden kund.
Meine Lampe erfriert. In das Grab des schrecklichsten Todes sehe ich, ich sehe den geistigen Tod,
Ich fühle das fieberlose Übel, Trägheit des Herzens:
Mit kalten Fingern sitze ich da, ohne Hilfe und völlig ratlos.
Bald werde ich mich unter die Decke legen, meinen Leib dehnen und ruhig atmen.
Laß es nicht zu, mein Gott, dieses Stunde um Stunde, dies Heute und Gestern, dies Immer und Ewig!
Aber vielleicht hast du keine Macht über mich, wie ich keine Macht über diesen Gesang habe, der in seiner Wahrheit noch gleisnerisch ist.
Und nicht einmal den Wahnsinn darfst du mir mit seinen Sperberschwärmen und großen Steppen schenken!
Nun wieder, mein Vater, ist kommen die Nacht, die alte, immergleiche.
Sie durchschreitet uns all die Wunderblinden mitten im Wunder.
Und die Stunde ist da, wo die Menschen, unwissend des tiefen Zeichens,
Vor ihr Wasser treten, den Kopf eintauchen und die beschmutzten Hände spülen.
Oh heilig Wasser der Erde, doppelt bestimmt, zu tränken und zu reinigen!
Oh mein Gott, oh mein Vater, heilig Wasser der Geisterwelt!
Ist nicht meine Sehnsucht nach deiner Kühle Gewähr, daß du springst und spülst,
Ist nicht mein Zweifel noch das Hinlauschen nach deinem süßen Gefälle?
Ich senke meinen Kopf und tauche ihn in die Feuchte des Lampenkreises.
Ich halte dir meine beschmutzten Hände hin, wie ein Kind, das am Abend der Waschung wartet.
Nach einem lügnerischen Tage will ich mich sammeln, um in dieser Spanne wahr zu sein.
Ich will mich in meiner Hürde zusammendrängen, bis das Geheul meiner Eitelkeit verstummt.
Dein Psalmist, mein Vater, hat wider seine Feinde gesungen,
Und ich, mein Vater, folge ihm, und singe einen Psalm hier wider meinen Feind!
Ach, ich habe keine Feinde, denn wir Menschen lieben einander nicht einmal so sehr, um uns Feinde zu sein.
Aber ich habe einen Feind, einen gewaltigen Feind, der mich berennt und an alle meine Tore pocht.
Ich habe einen Feind, mein Vater, der an meinem Tisch sitzt und Völlerei treibt,
Während ich meine verdorrten Hände falte und darbe, und sich am Fenster die Hungrigen drängen.
Ich habe einen Feind, der aufstoßend nach der Mahlzeit seine Zigarre raucht und fett wird,
Während ich immer geringer werde, und zusehn muß, wie er das Gut meiner Seele verpraßt.
Ich habe einen Feind, mein Vater, der meine edle Rede in Geschwätz verkehrt und in Selbstbetrug.
Ich habe einen Feind, der mein Gewissen liebedienerisch macht, und meine Liebe mit Trägheit erstickt,
Ich habe einen Feind, der mich zu jeder Niedrigkeit verleitet, zur Wollust des Sieges an den Spieltischen,
Der ich doch ein Meister der göttlichen Genüsse bin.
Warum hast du mich mit diesem Feind erschaffen, mein Vater, warum mich zu dieser Zwieheit gemacht?
Warum nicht gabst du mir Einheit und Reinheit? Reinige, einige mich, oh du Gewässer!
Siehe, es wehklagen all deine wissenden Kinder seit eh und je über die Zahl Zwei.
Ich tauche meinen Kopf ins Licht und halte dir meine Hände hin zur Waschung.
Befreie mich, reinige mich, mein Vater, töte diesen Feind, töte mich, ertränke diesen Mich!
Wie selig sind die Einfachen, die Unwissenden, selig die einfach Guten, selig die einfach Bösen!
Aber unselig, unselig die Entzweiten, die Zwiefachen, die zu- und abnehmenden Gegenspieler.
Oh heilig Gewässer, um dein und meiner Größe willen, hilf mir!
Ich flehe dich an in dieser Stunde um deine schneidendste Peitsche.
Durch die Zelle streue ich meine Schritte, immer bereit, dir entwendet zu werden.
Ein falscher Krampf in mir. Ich raffe meine Zerflüchtigung heran.
Um dich zu beschwören, um dich zu durchbohren, flüstere ich: Wahrheit, Wahrheit, Wahrheit!
Aber mein Geflüster ist Lästerung. Ich rolle nach anderem Gesetz.
Wohl weiß ich: Wahrheit ist nur des Wahrhaftigen Wahl auf Erden.
Wir sind erwählt oder verworfen durch unsre Geburt.
So grauenvoll, grausam, hoffnungslos ist diese Welt. Wer versteht mich?
Es muß gesegnet sein und ausgesandt, wer da kommt den Wurm zu bestehn.
Sie saßen zu Gericht über uns, eh wir geboren wurden.
Wir sind zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, Brüder! Wir haben wo Blumen gepflückt.
Nun stößt sich unsere redliche Zunge an ihren Lügen wund.
Selig sind, denen gegeben ist reiner Grund.
Sie wachsen empor, geradeaus. Ihre Blüte ist selbstverständlich.
Der Himmlischen Blick ist Ruhe, und ihre Hand ist unbedingt.
Wir aber reißen an Stricken. Unsere Arme sind seilzerschnitten. Wie bald, ach, werden wir müde!
Du aber schlägst deine Lügner mit bösem Gedächtnis.
Es schrumpft der Arien Huld dahin, der Frauen Eintritt, Nacht, Garten und wirrer Traum.
Du hast die Welt entweltet, du hast sie verwortet.
Dahin! Und unsere Lüge lugt uns aus Worten an.
Mein Gott, erhoben sind die Seher zu deiner Blindheit.
Weithin dunkelt der Meister über den Marktplatz.
Wenn noch Gnade waltet über den Kerkern, laß sausen die letzte Peitsche!
Verschließe, blende, verstumme mich! Mach mich wachsen zu
deinem Wort!
Die Eichen sind die alten noch,
Des Stammes Vater-Macht die gleiche,
Und über meinem Haupt, es ist der alte Strom.
In mir das Pochen ist das gleiche noch.
So war's, so war's,
Als mein Kinderblick in ferne Nacht aufschrak,
Als Liebe, Liebe mächtig in mir klopfte,
Streichelnde Hand erzitternd
Ihr treuen Verlorenen euch nicht ließ, nicht ließ.
Wohin bin ich, wohin ist er,
Den Gott einst zur Schule brachte,
Ans Tor geleitend die kleinen Schritte,
Die er sandte über lächelnden Klosterhof,
Noch einmal mahnend, daß er rein bleibe,
Hold wachse und nicht sein Antlitz verwandle?!
Wohin sind wir, ihr Lieben?
Wer stand in uns auf?
Welch schwarzer Bruder, schlechter Bettgenoß?
Daß wir uns nicht erkennen,
Erschrecken vor unsern Gliedern,
Wegwenden vor unserer Lippen-Verderbnis!
Bist du es noch, schwerer Mann unter der Eiche,
Der einst Abschied nahm,
Ein reines Schmerzenslicht verbergend?!
Wir trugen einen Feind in uns.
Nun trägt er uns, trägt unseres Namens Hauch,
Blickt unsern Blick.
Da ward der Scheideblick zum Seitenblick,
Und unser Ruhemund verriet die Ruh,
Wort log den Himmel fort,
Die Welt fiel zu.
Oh seht, oh seht,
An Kalk und Kreide klammert sich liebender Wuchs,
Der gelben Stengelsterne Ruhe,
Steinnelke und Strauch
Uneitel still ...
Der Mensch allein ist Wüste.
Welcher Stab hat
Unsere Stirn berührt,
Daß wir pfiffig keuchen,
Drähte über die Wiesen werfen,
Mit falschen Wolken höhnen den Himmel?
Daß wir nicht mehr glauben an Baum und Gras,
Verflucht zum Irre-Sehn
Die Leere belauern, die Höhle behorchen,
In Feuer-Blendwerk blasen,
Toben und schlagen in Schaum und Nichts!
Ach, wir verrieten des Vaters Geheimnis!
So blieb uns nur
Des Jahrmarkts Spiegellabyrinth.
Nun hängen wir geschäftig
An einem Lügenzunder Worts.
Verlaß uns nicht,
Der an der Hand mich zur Schule führte,
Und lächelte im Torgang ...
Verlaß uns nicht, der diese Räume
Mit Pfingst-Windstille überwältigt,
Verlaß uns nicht in unserer Eitelkeit!
Tritt ein und offenbar
Dich ausgebrannten Herzruinen!
Daß wir erwachen in das vergangene Antlitz,
Mit einem Schrei
Uns wiederfinden und in großen
Tränen entlächeln:
Dies alles, ach, dies alles war nicht wahr!
Dein Blick, mein Bruder, hat mich erschreckt.
Ich habe um deinen Mund und über deinen Brauen einen fremden Mangel entdeckt.
Meine Sphäre war traurig,
Ihr mißfiel deine Art,
An der Spitze des Tisches zu sitzen, zierlich geduckt,
Mit gekreuzten Armen, freundlich, listig, kätzchenhaft.
Tu dieses Ducken aus deinen Augen, mein Freund!
Laß ab von der Bereitschaft des Anklägers und Angreifers!
Wie deute ich mir,
Wie verstünd ich's,
Daß du den feurigen Talar des Richters unverbrannt durch die gleichgültigen Räume trägst,
Daß dein Wort dir gelingt, dein Schlaf dir gelingt, du Schläfer, an dir vorbei, du nicht Erwachter?!
Wie soll ich dein Gebrechen nennen, Schläfer?
Ich will dein Gebrechen Selbstgerechtigkeit nennen, Schläfer!
Denn wer zu Gericht sitzt
Über die Sünder,
Sitzt hinterm Kreuz, ist im Recht, braucht seiner Schuld nicht zu gedenken, darf seine Sünde vergessen,
Und der Henker erspart die Pflicht, sich selbst den Kopf abzuhaun.
Ich bitte dich mit der Hand auf dem Herzen, ich beschwöre dich, laß ab davon!
Es ist mir sehr wohl bekannt, was uns alle zur Anklage treibt, zu Urteil, Bannstrahl, Ächtung und zu der Seligkeit des Hohns.
Du aber bist wie ein Knabe
Und scheinst nicht zu wissen,
Daß du nur angreifst, um dich vor dir zu verteidigen, daß du mit deinem Schilde die eigene Blöße bedeckst ...
Aber vergiß nicht, daß Aussatz und Räude dereinst unsern erhabensten Triumphschrei zum Gespött machen.
Ich will dir ein Wort sagen, das du nicht begreifen wirst.
Ich sage dir: Die Selbstbehauptung im Geiste ist Selbstvernichtung, die Selbstvernichtung im Geiste aber ist Selbstbehauptung.
Kennst du die starke Waffe
Der wirklichen Sieger?
Sie verachten das Wort, sie ziehn die Niederlage dem Sieg vor, sie ergeben sich, sie lassen sich gefangennehmen ...
Denn furchtbar ist der Demütige, furchtbarer der Reine, der sich erkennt, und ein Tamerlan, wer sich aufgibt!
Ich tadle deine Philosophie, mein Bruder, weil sie die Philosophie der Gerichtshöfe ist,
Sie ist dialektisch, forensisch, sie betet das Wort an und die Unterscheidung der Worte.
Aber die Worte sind bedingter noch als die Dinge.
Die Dinge verstellen den Geist, die Worte verstellen die Dinge, und der Geist der Worte
Ist wundersam und angenehm zu fassen in seinen Gefügen und Reimen, aber eitel und trostlos für die Leidenden.
Sprich, oh sprich mir nicht von all dem Frevel, der dir widerfährt und dich vereinsamt.
Glaube mir, die Unvollkommenheit, die uns trennt, ist lange nicht so groß wie die Unvollkommenheit, die uns vereint.
In dir ist aber noch
Der alte Adam allzusehr!
So hängst du dich an Ehre, Mut und Mannheit, an die Tugenden der Bestie und ihre Vollkommenheit,
Vergissest, daß die Vollkommenheit die Lilie der göttlichen Vernichtung ist.
Du bist zu schnell an den Betten vorübergegangen, auf denen die gelben Sterbenden rasten,
Du warst, mein Bruder, mit Gerichtsakten beschäftigt, als die Sträflinge ihren einstündigen Marsch im Hof anhuben.
Du kennst jene Weisheit nicht,
Höher als alles Mitleid!
Du kennst nicht jenes Hindurcherkennen, plötzlichen Aufgang anderen Lichts, die Demokratie der Ungleichheit, und das Bewußtsein, daß wir alle Hände haben,
Du kennst noch nicht jene kostbaren Tränen, deren man wenig in einem Leben vergießt.
Oh du letzter Hort,
Oh du benedei mein Wort,
Da Zunge Lügen schlagen muß und Schall!
Oh tu meinen Betrug
In deinen Niagarafall!
Tu meinen Fluch in deinen Flug
Und meinen Schein in dein Ein,
Oh du Gewässer, bade rein
Meines Lügens Lügenwiderhall!!
Was falsch und fehl aus meinem Munde bricht,
Es werde wahr, weil du es führst,
Und lächelnd es verkehrst und kürst ...
Wenn mein Mund Lüge spricht,
Oh wende, wandle sie, du Hort
In deinem Hauch und Licht!
Oh benedei mein Wort,
Oh du Hoffnung, Ost und Osterort!
Er tritt uns an, er tritt uns an,
Der stattliche beredte Mann. –
Wir ruhten kindlich unterm Baum ins Blau.
Er teilt den Busch und hält Umschau.
Mild lädt er ein, nimmt unsern Arm,
Es faßt uns Lust und Wirbel warm.
Er führt und hat uns schon verführt,
In den Schenken sind die Feuer geschürt.
Wir lassen uns fallen in Lärm-Bad,
Fad wird unser Atem und Verrat.
Wir hören Gott nicht aus den Uhren schlagen,
Und rülpsen grinsend Wohlbehagen.
Er aber sitzt mit uns zu Tisch und zecht,
Er hockt in der Musik und macht sie schlecht.
Er ist der Oberste in unserm Amt,
Geht auf und ab, diktiert, was uns verdammt.
Doch läßt er gute Ruh und spricht uns zu:
Was bist du für ein Mensch, wie edel bist du!
Du bist ganz und eigen und kein Schein. –
Dies du, du, du, du frißt sich ein
Wie eine Milbe in unser Ohr.
Um unsre tiefe Wunde tut er einen Flor.
Und sein Wort ist flüsternd: Heute nicht!
Und sein Wort ist lüstern: Wozu der Verzicht?
Und sein Wort ist wispernd: Ist das deine Pflicht?
Und er lächelt, wenn er spricht:
Du fürchte nichts, fern, fern ist das Gericht.
Ächzt unser Engel und sind wir krank,
Hebt er uns auf die Opium-Bank,
Füllt unsern Mund mit vielem Rauch. –
Wir gröhlen, er gröhlt mit und schlägt uns auf den Bauch.
Wehe, wenn er unsre Süße ausgesogen hat,
Und ist er unsres heiligen Seimes satt,
Wirft er uns wie einen Stengel hinter seine Statt.
Wie rafft er seinen Mantel da, der alte Feind,
Wenn unsre schwarze Brandstatt nicht mehr weint,
Wenn uns das Antlitz im Rücken steht,
Wenn unser Mund wie ein zerquetschter Hund fleht,
Und blutig unser Auge rollt, –
Da stampft er und hebt sich auf, der große Bold!
Drückt sich die Nacht aufs Haupt mit Stern-Geweih,
Bricht aus, der Hirsch, in einen stolzen Schrei,
Senkt dreimal seinen Stab, streift uns hinab, –
Wir sinken wie ein leichter Staub ins Bett-Grab.
Auf keinem Ost-Wind rettet uns ein: Sei!
Wir sind aus Gott gefallen und vorbei.
Wir werden in kein Reich eingehn,
Nie kann, was wir vertaten, auferstehn!
Nacht, ein Manteltanz in meiner Zelle!
Eisig mißt den Rücken eine Eisen-Elle,
Aller Atem meutert, böser Knecht.
Füße sind am Pol erfroren,
Widrig bäumt sich das Geschlecht.
Finsternis gießt böse Milch in meine Ohren,
Pumpwerk stampft durch stumpfe Poren,
Bin ein schwerer Berg und zugepecht.
Ach, ich wollte so gut schlafen,
Und nun schreiten um mich meine fernen Strafen,
Leiberkreis wie Pauken-Schritt, Schritt, Schritt.
Ich bin nur Gewicht und Masse von Unschlitt.
Weiß durch meine Knochen Schuld-Sirenen pfeifen,
Und in meiner Kehle piept ein kleines Säuglings-Keifen,
Meine Enkel klagen an. Ich piepse mit.
Ach, es ist nicht Qual von dieser Erde,
Und kein Schmerz von hier diese Beschwerde,
Und kein Leid von unserm Leid, was ich jetzt litt.
Ticken wächst zum Takt, in fremde Uhrenschläge,
Und geheimes Werkzeug schallt: Beil, Hobel, Säge.
Greisend fühl ich, daß ich Grinsen bin.
Und ein Schwindel schwingt mein Grinsen hin.
Und ich möchte fallen, fallen, fallen
Durch das Schallen dieser Nacht in Nacht, aus allen
Nächten, durch die Uhren, Ahnenuhren und Urahnenuhr.
Und mich wieder rollen und mich wieder ballen,
Mich zerschellen an das Chaos-Schallen,
Krallen an die letzte Mutterschnur.
Wann fiel ich ab? Nun irr ich fremden Weg.
Bin selbst mir fremde unbetretne Zone.
Wo bin ich hin, der ich noch in mir wohne?
Und was mich einst gehütet und gehegt,
Wo ist es hin, daß meine Nacht nicht trägt
Der Lieben Bild? Daß ich von bösem Mohne
Auf toten Füßen hin und her bewegt,
Mich kranken Schlafes durch den Frühling frone?
Wohin ich fliehe springt Kommando-Schrei
Auf meinen Nacken, und ein Scharten-Messer
Zerreißt den Rücken und macht doch nicht frei.
Das Aas gedeiht für Grab und Abzugswässer.
Ich lass mich los. Und mit geschwächtem Brennen
Durchwank ich die ergrünenden Gehennen.
In Nächten bin ich feucht verdorrt,
Wie Rauch erwürgt mich ausgesprochnes Wort.
Als Götze grinst verlogen, was ich sage,
In fremden Ekel kehrt sich meine Klage.
Oh meine Freunde, was war dies vorige Scheinen,
Da ich euch tanzte und wohlgefiel?
Gelogene Nacht und Rausch von falschen Weinen.
Hinab ist all das Spiel.
Nun sitze ich im alten Stank und Moor.
Eine Ratte hopst über meinen Fuß,
Ein Schnecken-Ekel steckt in meiner Kehle.
Ich lebe nicht, – ich schwele
Mit ranzigem Öl und Ruß.
Oh die ich euch mit falschem Strahl,
Ihr Lieben, und mit geschminkter Stimme freute, –
Heute mit einem Mal
Hock ich in meinem Spinnennest in meinem Wurmverschlag, –
Orest, gehetzt von meinen alten Lügen.
Mein Herz im Dreck stößt sich nicht ab zu Flügen,
Und schon verfault der Leichentag.
Die gänzlich sündig ausgeworfene Natur,
Aus ihr kann nichts mehr Freude, Größe, Reinheit zücken ...
Vor mir seh ich auf Eisenbahnbrücken
Den Abend brandig niedertropfen und geborstne Flur.
Von meiner schlaffen Maske bis zu jenen fernsten, ausgebrannten Streifen
Seh ich nur Wellenfelder der Verwesung schweifen.
Wenn ich ersticke in den Meeresengen
Schlafloser Nacht im Bett, das mit mir fliegt,
Fühl ich die Kraft sich in mein Schweben zwängen,
Die alle Welt zu ewigem Kreise biegt.
Ich weiß: Was vogelfroh emporgeflogen,
Was in der Fläche hinflieht übersonnt,
Es stürzt hier ab in vorbestimmten Bogen
Und schließt sich dort geheim zum Horizont.
Ich würge an der Ahnung jener Zweiheit,
Die alle Wesenszahl zu Null ergänzt,
Und das betrunken strömt, das Wort der Freiheit,
Umwallt mich öd, ein lorbeernes Gespenst.
Wenn ich mich schnelle von der Seelensehne,
Gelöst mich werfe in den Raum verzückt,
Stürzt schon die Gravitations-Hyäne
Auf meinen Nacken, den sie niederdrückt.
Ach, keuchend durch die alten Meeresengen,
Erstickt im Bett, das durch die Frühe schießt,
Fühl ich mich schrecklich in der Mitte hängen,
Und zwischen einem Nadelpaar gespießt.
Und aus der Tiefe meines Flusses spricht es,
Und muschelhaft ein Wort durchs Ohr mir hallt:
Du bist der Punkt nur dieses Gleichgewichtes,
Und was Balance ist, heißt Gestalt.
Es wandeln oben vielleicht die reinen Dämonen,
Ernste Frauen,
Weilende Augen ohne Ebbe,
Mit abwärts schon wachsendem Mund ...
Aber wir unten,
Wir Knechte,
In diesem Pfuhl von Luft!
Ausatmend, einatmend,
Die Zeit vertreibend,
Gute Vergesser ...
Und dennoch
Von uns befallen,
Von uns befallen.
Im Hals den großen Skorpion,
Der an den Gaumen juckt.
Den gebundenen Teufel
Mit Stachel und Scher',
Den modernden Asmodi,
Der zum Mund ausführt,
Verbindlich, eitel, wohlgestalt,
Der Lügenvater
Über unsere
Edle
Von Wahrheit blutende Lippe.
Wir unten, wir!
Hilflos wir Knechte,
Erstickt vom Betrügen,
Erwürgt vom Verraten,
Gebeugte Auswandrer
Wir aus uns selber,
Verbrecher, verfolgt
Von gemordeten Worten.
Wettläufer ins Aus,
Preisspringer ins Ende,
Von den Türmen der Stunden –
Zerekelt, ewiglich, elend, –
Träge uns schleudernd in Schlaf!
I
Oh hätte ich entsagt, anstatt zu sagen,
Den heiligen Nebel nicht entweiht!
Im Armut-Gold von Feiertagen
Wär mir noch süße Straßenzeit.
Mein Herz dürfte in schwarzen Fluren schlagen,
Mein zart Gespenst durch Säle schleichen,
Anbetend im Verzagen,
Selig im Nie-Erreichen.
Mich trüge, mir geheimnisvoll, ein Gang
Durch Eichenraum, Friedhöfe und Gesang.
II
Nun aber verließ ich die reine Geburt,
Ließ den tiefen Ort.
Böse vertauschte ich hier und dort,
Da fiel ich und bin verhurt.
Ich warf List, Lüge, Macht in die Welt,
Ernte nun Ekel und Aus.
Die süßen Hoheiten sind entstellt,
Entzaubert das heilige Haus.
Ich stehe in Garderoben-Wust,
Meine Herrin ist trübe Lust.
Ach, als ich's nicht hatte, war es Stern,
Als ich's nicht wollte, der Gnade flüssiges Herz!
Nun, da ich's habe Brust an Brust,
Verlor ich Liebe und halte Verlust.
III
Selig, die zweifelten, – sie werden glauben,
Selig, die irrten, – sie werden erkennen.
Selig die Narren, – sie werden rein entbrennen,
Der Sünden-Baum wird sich belauben.
Unselig nur, die ohne Liebe waren,
Die lau-sandigen Scharen,
Ohnsehnsucht heißen die Saharen.
Es werden erhoben gefallene Feuer,
Doch ein Gelächter sind die Unfruchtbaren.
IV
Hinter jedem Wort stockt Scham.
Zwischen Alpha und O ein Huren-Gram.
Was haben wir, da wir sagten, getan?
Geprunkt, gepraßt, geprahlt.
Der Tisch trägt abgeschmolzen Licht,
Unsre Backen sind bemalt –
Die Freunde fort, sie haben uns bezahlt,
In unsrer Gurgel grinst Gericht!
Die Welt ist uns von Wortes Art,
Als Lüge weh auf halbem Weg erstarrt.
V
Was nützt uns denn die gute Lüge, die gelang?
Weib, was frommt der falschen Jugend Krampf und Zwang?
Was wir der Welt verbergen, bleibt gedoppelt in uns stehn.
Es beißt nach innen, was nach außen gleißt,
Denn unser ist ein hoher Geist,
Dem müssen wir uns eingestehn.
Wir haben einen Herren fürchterlich,
Sein Schritt entgegnet unserm Schlich.
Uns ist keine Nacht ohne Gericht,
Daß wir erkennen den Sinn von unserem Mund,
Des Haars Bedeutung, der Stirne tiefen Grund –
So wird uns zum Gesicht unser Gesicht.
Denn wir sind zur Wahrheit gemacht,
Und unseren Herrn verführt nicht Trubel und Pracht.
Und wenn auch Wort dem Wahn erlag,
Weh über deinen Jüngsten Tag,
Tagt er in dir nicht Tag für Tag!
VI
Oh Welt, in der aus Liebe nichts geschieht!
Oh schöner See, auf dem kindliche Dampfschifflichter schweifen!
Oh Abend-See, wenn uns die Lockung zieht,
Schluckst du gleichmütig glucksend unsre Leichen.
Noch ist Zenit-Licht da, das uns nicht kennt.
Ein Stern, der uns nicht sieht und den wir sehn, entbrennt.
Und fremde Möwen fahren um die Molen.
In meinem Rücken knirscht der fremde Kies und fremde Sohlen.
Mein Nächster neben mir versperrt sich böse ...
Und die einst in mir schlug,
Begeistrung, die ich trug,
Fraß sich wie Spinnen selber auf. Getöse
Hör ich aus den Beratungszimmern. Tolle
Wie schartige Messer scharf erfiebern eine große Rolle.
Nun ist es Nacht! Vielleicht in fernem Leibe spinnt
Die ersten Schmerzen schon mein Kind,
Indes ich mein Gesicht mit Mätzchen süß behänge.
Die Einsam-Grenzentrüben trubeln im Gedränge,
Ich Grenzentrüber truble mit.
Oh schwerer Sinn,
Oh Welt, in der aus Liebe nichts geschieht!
Ein lauer Mörder unter Mördern zieh ich hin.
VII
Wir wachten auf in unerschöpflichem Morgen,
Den Stromfahrt füllte. Kies, Geheimnis-Alm.
Wir durften lieben, lieben!
In unserer Lade war das Licht verborgen.
Gott fiel in unsre Tasten, und wir waren Psalm.
Zu Mittag fanden wir uns in getragenen Küssen
Und bauten Bögen unserem Brücken-Stolz.
Das Licht umwimpelt schwieg.
Wir wußten nichts vom Schiffslos auf den Flüssen,
Die wir auf Balken trieben und auf faulem Holz.
Nun kam die Stunde des Sumpfs. Um unsre matte Güte
Schwemmt Schlamm und Schwärze, Ratte, Molch und Flaus.
Das Licht hängt starr am Mast.
Wir hocken naß und leer. Es fährt um die Kajüte
Des Herzens Eitelkeit, die letzte Fledermaus.
VIII
Es werden aufduftende Kränze vorübergetragen.
Ich sehe dahinter grinsen ein Drahtgeflecht.
Ich bin geschlagen.
Denn hinter süßem Huren-Lachen, das sich erfrecht,
Hör ich die arme röchelnde Gurgel klagen.
Ein Schleier weht über schwebenden Mädchen-Schein,
Dahinter aber ziert sich hübsch ein Totenkopf.
Was willst du Tropf?
Nach Blumen riecht jedes Begräbnis-Haus.
Tritt ein!
Die Verwesung rings ist frisch und zauberisch.
Wein her,
Und trinke dein wissendes Herz unter den Tisch!
IX
Wieder werden Gelächter die nächtlichen Städte durchwehn,
Lichterschnüre sich über die Brücken winden.
Nicht wird vor dem Vorhang das Lächeln der Diven schwinden.
Wir aber müssen in den Spiegeln untergehn,
Die uns verwerfen und vor uns erblinden!
Wir haben die Nacht mit gefährlichem Zauber verführt.
Ein süßes Gespenst entstieg unsern gleißenden Schwaden.
Leise rief Gott. Sein Ruf hat uns nicht gerührt,
Der uns lud in Wüste und Not, zu den wahren Gestaden.
Nun hat das Gespenst seinen faulenden Schein entfacht
In unserem Haar, wenn wir die Tische verblenden.
Wie wir auch blenden, wir fühlen uns überall enden.
Der scheinende Alb lacht, lacht.
Ein klebriger Nebel hängt von unseren Händen,
Wenn wir verschwenden die elend erklirrende Nacht.
X
Eine Linde blüht weiß.
Um Kraut taucht ein Falter-Kreis.
Oh wie leer ist der Ort,
Leicht wie ein Tropfen Wort.
Böser Pfeil fährt durch meinen zarten Flaum.
Roher Menschenhahn kräht ...
Um mich der Traum, in mir der Traum
Tut nun weh.
XI
Oh hätt ich niemals, niemals mich süß geschmückt
Und das gewollt, was euch entzückt!
Nein, meinen kleinen Schatz ganz hingegeben,
Nicht eitel ihn zerlogen zu Geweben,
Mich nicht gerüstet und gerückt!
Wie leicht war da die starre Hand zu heben,
Wie weit war ich zu euch entrückt,
Wie tief im Leben!
XII
Ich kann nicht schlafen in diesem Kampf.
Die Heere kenne ich nicht, wenn eitler Dampf
Mich umwölkt, und jeder Reim
Mich näßt wie Lüge mit süßlichem Schleim.
Ist das noch immer Spiegel-Schlacht,
Hab ich meinen Menschen umgebracht,
Um blutig zu glänzen? Nein, nein!
Ein Öl ist in mir noch unversehrt,
Ein Flämmchen sich immer noch aufwärts kehrt: – Ich weiß Wert –
Noch immer schlägt etwas nach oben.
Der hohe Geheimnis-Wind facht es an –
Meine Lippe verlernt nicht das Loben,
Daß ich in schlaflosen Schwere-Beschwerden, In Neige und Rest
Noch hoffen kann, dies hoffen kann:
Der Mühlstein, der meine Schulter preßt,
Wird Flügel werden, muß Flügel werden!
XIII
Gott, du gabst mir einen argen Stein zu schleppen,
Der zäh in meiner Seele nicht schmilzt. –
Er ist von trägem Moos schon ganz umfilzt.
Manchmal auf meinen Jakobstreppen
Fall ich zusammen atemlos:
Denn dieser Stein ist groß.
Oft aber ist er ganz umschlagen
Von Flammen der riesigen Musik,
Die du mir auch erlaubst zu tragen. –
Dann bricht mein Blick,
In Tränen-Sternen, die du heilig hältst.
Musik in uns! Oh Taumel ungeheuer!
Sie ist das auf der Zeit schiffbrüchige Feuer
Deiner Erinnerung an dich selbst!
Ich rotte dich aus meinem Himmel aus!
Sei das Erbrechen meiner Engel, sei
Das Eiterkorn in meinen Harmonien!
Wie die Diener ein ausgestorbenes Haus
Versiegeln, und die Geräte überziehn,
Bedeck ich meinen Sammet mit Tücher-Wüstenei
Und impfe Sitz und Sippen mit Ruin.
Sei, was du warst, sei Stern nicht mehr! Und preis
Geb ich dich dem Getier mit gelbem Gebiß!
Blüh wie ein Bahnhofsgarten, grau verraucht!
Und klein im Kreischen des Maschinen-Schreis
Erstick dein Schrei, der an mein Ohr nicht haucht!
Geschminkt mit deines Lichtes frecher Finsternis
Sei Hure meines Raums, verfilzt verbraucht!
Aas sei dein Zeichen, deine Lust sei Aas,
Dein Lächeln sei getränkt von Aases Gift!
Aas sei die Zehrung, die dein Liebling kaut!
Es teilen deine Fürsten Leichenfraß,
Verwesung preise deiner Weisen Schrift.
Ich lehr sie rechnen, daß den Kerker baut
Der Sklav und seine eigne Peitsche flicht!
Und will mir gründen ein Geschlecht auf dir
Mit einem Rest von Himmel, der verbrennt
An meines Fluches Ordnung und Zwingherrn!
Ein Aug kür ich mit einem Schein von mir
Aus jedem Alter, daß es mich erkennt,
Und daß wir beide über deinem Lärm
Uns weinend finden, du verfluchter Stern!!
Ich bin der Herr, dein Gott,
In meiner Hand versammelnd deine Stunden.
Ich habe dich erkannt und dich befunden.
Daß sie dich treiben in verdammtem Trott,
Sind meine Rotten, meine Flotten flott.
Der braune Samael,
In dieser Nacht schon kracht sein Knie zum Sprunge,
Daß er sich werfe in erwünschtem Schwunge,
Dein Haupt bestreue mit dem schwarzen Mehl
Und dich umlaste mit viel Befehl!
So schlag ich dich im Schein
Der Nacht. Jäh wachst du auf wie unterm Kohlenwagen.
Schwarz stöhnend mußt du Kaukasus ertragen.
Gelähmt willst du empor, auf Straßen sein,
Und bis ans Nordlicht aller Zeit Pein schrein und schrein.
Ich schlage dich mit Fluch!
Vergiß, wie dich Lebendigkeit verwirrte,
Ins Blau erwachen und wie Winter klirrte,
Ruhm, Gruß und Buch und meinen großen Besuch!
Vor dir sei Sumpf und hinter dir Steinbruch!
Ich schlage dich von nun
Mit Wissen! Du erkenn mit Seel und Leibe
Das gute Meine, bäum dich auf, doch bleibe
Zerschwitzt im Bett zurück! Aus deiner Hände Ruhn
Dorr jedes Opfer, Hilfe, Mut und Tun!
Ich schlag dich! Sei umsonst!
Des Reichs Geheimnis teile mit den Weisen!
Nur du sieh mich durch einen Raum von Eisen
Als Feuerkern, in dem du dich nicht sonnst.
Fern meinem Stern, sei deinem Stern umsonst!
Ich schlage dich mit Lieb!
Sei du geliebt von vielen, liebe keinen!
Wenn Freunde bleich sind, Frauen dich umweinen,
Zerknittre dich mit abgewandtem Hieb,
Weil dein Arm leer, wie deine Liebe blieb.
Ich schlag dich mit Einsicht!
Schau um dich! Welche Anmut weht die Wesen!
Du sollst nur Adel aller Augen lesen,
Und zehnfach fühlen Wanst, Gestank und Gicht,
Und was an reinem Schreiten dir gebricht.
Ich schlag dich mit Verlust!
Verlier die Form, die Gnade der Gestalten!
Durch deine Finger rinn, nicht aufzuhalten!
Gespenst sei dir am Abend, trüber Wust,
Mit einem Flämmchen Schmerz, das du erst suchen mußt!
Mit Wüste schlag ich dich!
Dein Tag sei Schlaffheit und dein Zeichen Gähnen!
Nur manchmal Haß klopft ziehend dir in Zähnen,
Dann plane Gift und Spitze, pfiffigen Stich,
Bis Gähnen dich erstickt mit deinem Schlich!
Ich schlage dich! Dörr aus!
Versieg! Von den bestaubten Wimpern falle
Nie mehr der Tropfen, Sinnbild allem Balle!
Sei ohne Brunnen Land, verwelktes Haus,
Präriegras ohne Durst, vergilbt und kraus!
Ich schlage dich mit Wort!
Ich schürze Wort um meine eigenen Hüften
Wie Wolke. Triff mich du aus deinen Grüften!
Geballter Plunder sinkt auf deinen Ort,
Und dich durchsticht dein abgepfeiltes Wort.
Ich schlage dich! Und sei
Lug selbst die Seele! Und wie scharfes Qualmen
Rückweht von nassem Holz, ersticken dich die Psalmen,
Die ich dir eingab, ... denn kein Mund ist frei.
So werde Wahrheit Wahn, und Trug dein Wehgeschrei!
Wie Raum durch Mauern dringt,
So dring ich ein in dich mit meinen Fürsten,
Und sitz auf deiner Brust, dein Herz zu bürsten
Mit leiser Hand, aus der ein Funken springt,
Daß dich verbrennt, was dir Verheißung bringt!
So bist du denn verheert,
Solang die bösen Engel sich mir neigen,
Bis Rot aufspringt, aus Horizonten Reiter steigen
Und der verheißene Sturm in die Gebeine fährt ...
Solang ich bin, sei Tod und Leben dir verwehrt!!
Ich habe mich ausverraten!
Mein entsetzliches Geheimnis und mein gütiges,
Aus den Kasernen der Verstellung ausgebrochen!!
Das gepflegte Antlitz meiner Lüge,
Das blatternarbige Antlitz meiner Wahrheit
Enträtselt sich zur Wahrheit.
Ich schrieb mir unbekannte Chiffernschrift,
Unerbittlich log ich Wahrheit.
Nun beginne ich mich zu bedeuten,
Nun beginne ich hinter meinem Weiß hervorzukommen,
Nun baue ich mich auf mit abgehackten Händen ...
Hilflos
Höhn ich mich Hilflosen von fern an.
Der Ritt
Als mich mein Traum verschlug,
Fand ich mich wandern im schönsten Nachmittag
Den Hügel nieder, der schwebte und mit Flügeln schlug.
Zu meinen Füßen lag
Das Land in goldnem Staat, –
Das Land in Schwaden rauschend der gereiften Saat.
Ich kam wie aus viel Not,
Wie einer, der das Hemd der Krankheit von sich warf,
Und leichter und geschmeidiger sich tragen darf
Als je; – in Por und Ader pocht
Begeisterung das dünne Blut, das ihn nicht unterjocht.
So trat ich heiter ein
Ins Tal der Ernten, das von Korn und Sonne schwoll,
Um Brust und Hüfte schwankten Ähren schwer und voll,
Die fast verwuchsen meinem eiligen Rain.
Doch leicht für meine Sohlen war der Traum,
Die vielen Vogelflüge mir zu Häupten sah ich kaum.
Die Vögel hatten hier wohl einen Sinn ...
Und plötzlich war die Erde meinen Sohlen schwer, so schwer,
Als wirkte mächtiges Metall von unten her;
Mein Knie, mein Puls, sie stockten her und hin.
Ich sprach zu mir: Bannt meinen Schritt magnetisches Metall,
Was fahren diese Vögel schreiend klatschend unterm All? ...
Dies aber sah ich: Überall
Zerknickt, zerdrückt die Ernte niederlag,
Wie von Regenschwall, wie von Hagelfall
Verheert. – Und im golden niederwandelnden Tag
Rings im Getreide sah ich viele tote Männer hingestreckt,
Die hatten Sonntagskleider an, doch ihre Köpfe waren schon schwarzgefleckt.
– Die liegen hier sehr lang –
Dacht ich und schloß das Aug. Doch wie durch einen Riß
Sah ich die vielen schwarzen Köpfe, sah manch blinkendes Gebiß,
An aufgetriebenen Westen manche Silberkette blank:
– Die trugen Diebe nicht und nicht die großen Elstern fort –
So sagte ich – die Elstern, die so schreien über diesem Ort.
Ich schüttelte von Schultern nicht
Den Bann. Wie sehr ich kämpfte auch, ich mußte
schaun ...
Es froren und es stachen mich die Wurzeln meiner Braun.
Die Toten lagen starr im späten Licht.
Ich fühlte meinen Leib wie einen ungefügen Sack.
Doch plötzlich war's, als ritte ich, als trüg' mich einer huckepack.
Es trug mich einer huckepack,
Fest meine Schenkel preßten brüchiges Schulternpaar.
Es flatterte vor mir ein Schopf farbloses Haar.
Nur manchmal mühsam war, schwarz wie von Lack,
Ein Antlitz fragend hergedreht: Ob ich auch ritte recht ...
Der Tote, der mich trug, er grinste schief, wie ein gutmütiger Knecht.
Auf dem ich ritt und ritt.
Er war schnellfüßig, wie nicht leicht
Ein Rennpferd ist, das nicht schnaubt noch keucht.
Doch plötzlich schwankte er und fiel in Schritt.
Er stand und wandte mir sein arm zerfreßnes Antlitz her ...
Mir aber war's, als ob mein eigen Bild verwest im Spiegel wär'.
Er klappte mit dem Mund
Und sprach: »Mein Bruder du, es ist genug,
Genug, daß Gott für dich mich fällte und erschlug.
Ich nahm dein Los auf mich. Du aber bist gesund.
Nun sage mir: Ist so gerichtet denn gerecht,
Daß du mein Reiter bist und Herr – und ich dein Pferd und Knecht?
Steig nur aus deinem Sattel gleich,
Mach' mein Genick von deinen Schenkeln frei!
Ich weiß, dir, guter Bruder, ist es einerlei.
Dein Aug' ist von Erbarmen naß, dein Mut ist weich.
Verwes' ich nicht für dich, von Wurm geschwärzt, vom Wind gebleicht?
Komm! Trag mich du ein Stückchen Wegs!
Ich bin so leicht, so leicht.«
Ich aber lachte voll Gewalt
Und spornte seinen Leib mit meinem Schuh.
»Ich steige nicht von meinem Sitz. Lauf zu, Trab Marsch, lauf zu!
Und spiegelst du mir noch so sehr die eigene Gestalt,
Und bröckelt auch in deinem ab mein eigenes Gesicht,
Ich bin dein Reiter, toter Bruder, und ich laß dich nicht! –
Ich habe tief erkannt,
Ich tauchte auf den Grund der Angst! Die würgt,
Die sich zur Gnade nie verbürgt,
Ich fühl von nun an ewig um den Hals die Hand.
Ich reite, weil's mich reitet! Wild bewußt der lückenlosen Not
Bin ich ihr Herr und Reiter gar auf meinem eigenen Tod!«
Und lachend riß ich ab
Vom Haselbusch die Gerte, und ich schlug
Des Toten Flanken leicht. Er seufzte auf und trug
Erst störrisch meine Last, doch bald im scharfen Trab,
Und folgte endlich willig meiner heiteren Gewalt.
So ritt ich in den Abend ein, und es umfing uns Wald.
Und dieser Wald – er war
Die Harfe meines Lebens übers Abendrot gespannt.
Und ich griff in die Stränge mit meiner großen Hand
Und nannte den Triumph und nannte die Gefahr!
Es flüsterte des Toten Tritt, zart flüsterten die Eichen mit, –
Ich aber ritt auf meinem Tod und sang den Rausch von diesem Ritt.
Geburt des Lichts
Ich lauschte in die Krone des Baums. – Da hieß es im Laub:
Noch – nicht!
Ich legte das Ohr an die Erde. – Da klopft's unter Kraut und Staub:
Noch – nicht!
Ich sah mich im Spiegel. – Mein Spiegelbild grinste:
Du – nicht!
Das war mein Gericht.
Ich verwarf mein Lied,
Und das lüsterne Herz, das sich nicht beschied.
Ich trat auf die Straße. Sie strömte schon abendlich.
Auf der Stirne der Menschen fand ich das Wort: Wir nicht.
Doch in allem Blicken las ich geheimnisvoll ein Lob,
Und wußte: Auch ich, vom lauen Trug entstellt,
Werde nochmals begonnen, weil neu ein Schoß mich hält
Wie all dies Wesen um mich. Da lobte ich den Tod,
Und weinend pries ich allen Samen in der Welt.
Heut ward ein Kind geboren in die Welt. –
Anders und selig beugen sich die Bäume.
Versunkener das Licht vom Zelte wellt.
Wie Milch rinnt neue Hoffnung durch die ganz verdorrten Räume.
Das Ächzen des Alls löst sich in Atem zart.
Denn Hoffnung ward geboren in die Welt.
Ein Sohn heut in die Welt geboren ward.
Heilig ein weißer Tropfen hängt an allen Wesen,
Und alles Blicken ist von anderer Art.
Es schweigt einander zu: Wir sind erlesen,
Von Gott gesegnet neu in einem ersten Bad,
Weil eine Hoffnung heut geboren ward.
Ein Mensch, ein Mensch in unser Altern trat.
Und dies Geheimnis wissen Stern und fernste Hänge.
Im Blumengrund und im Kristall taut Überwindertat.
Schweigsamer werden die schwarzen Laub-Gesänge.
Aus den Geschöpfen groß ein Innen-Leuchten taucht,
Weil Hoffnung neu in unser Altern trat.
Ein Geist erhob sich heut, der mit uns haucht.
Aus Todesschmerz erschien er unserm Scheinen.
In dieser Stunde waren die Verbrauchten unverbraucht,
Und ein Verheißungswind stieg auf in Krüppelbeinen.
Verzerrtes löste sich, das starr in Brand und Eiter lag,
Weil neue Hoffnung wieder mit uns haucht.
Ein Menschen-Sohn schlägt neuen Herzensschlag.
In Wehen lagen wir. Und alles ward um ihn gelitten.
Nun aber wissen wir: Weihnacht ist aller Tag.
Der Heiland wird aus jedem Muttermund erstritten,
Der uns mit seinem Schrei aus der Vernichtung hebt,
Drum beten wir zu diesem Herzensschlag.
Ein Kind, ein Sohn, ein Mensch, ein Geist, ein Menschen-Sohn verwebt
Sich durch Geburt mit uns. Gott selbst in seinem Traume
In tiefster Ruh regt sich vor Freude und bebt.
Aus dem verkohlt zerschossenen Lebensbaume
Ein Vogelschwarm Verklärung schwirrt hinauf und schwebt.
Gott lächelt und sein Traum der zur Verwesung strebt,
Weil ihnen beiden ein Erlöser lebt,
Weil neu uns allen ein Erlöser lebt.
Zartester Frühling! Nacht starb in frühen Schein.
Da war der Schnee geschmolzen von unseren Gräberreihn.
Unsere Hügel waren braun und rein.
Morgenwind wischte durchs Weidengerippe.
Unsere Lämpchen drückten die Totenbrust entzwei ...
Unsere Lämpchen, sie scheinen durch Nebel, Zwielicht, Geschnei,
Und lasten so schwer auf der Brust. Es sang unsere Sippe,
Sang ins Morgendämmern: Wir haben
Das Öl unserer Lämpchen nicht rein gebrannt.
Wir müssen den Ruß-Geist der Dochte tragen,
Die mit Rauch unsern Schlaf umschlagen.
Wir können nicht steigen und sind gebannt
An das Blaken und Flacken
Unserer qualmenden Schlacken,
An das Scharren und Rascheln und Warten
In diesem knarrenden Garten!
Bis das Licht allen Schlamm verflammt,
Sind wir zu harren in unsern Scharten,
Sind wir unsern Tod zu tragen verdammt!
Und werden wir niemals auferstehn
Und sollen ewig sitzen auf unserm Staub,
So schwand über Nacht doch der Schnee und Märzensonne ging auf,
Und wir sehn:
Unzählig von allen allen Bergen wallt ein Mädchenheer.
In harten Armen tragen die Frischen gelbe Blumenlast schwer.
Und unter ihrem seligen Wandern stürzen unsere Hügel ein,
Und all die trüben Lämpchen werden sanft und klein.
Aber unsere letzte arme Sehnsuchts-Unsterblichkeit
Hebt sich und steigt wie Saft in die Sohlen der Schreitenden auf.
Und von unsres klein-ewigen Gutes Dürftigkeit
Wird der selige Zug zu seligerm Lauf.
Und wie unser Licht in den wandernden Herzen sich ballt,
Aufschallt des Gesanges tausendstimmig tausendstämmiger Birkenwald.
Und werden wir niemals auferstehn,
Und ist unsere Zeit verflucht zu ewigem Tod ...
Wir stöhnen nicht mehr in windige Früh',
Wir sehn:
Von des Gebirges unwegsamem Gipfelrot
Stürzt nieder ein Knaben-Gewimmel und jubelt und droht
Wie wolkige Woge und loht und dampft
Und spritzt herbrandendes Blitzgesprüh,
Und die Jünglinge nahen. Ihr Wandern stampft,
Unsern Staub, der freudig aufwirbelt und schwebt.
Wir hören ein Rufen, Gesang, der sich hebt,
Der sich wälzet und wächst durch die Scharen geschürt:
»Uns hat Gott aus dem Lande Ägypten geführt!« –
Und wir fühlen: Wie Bogen spannt sich jeglicher Fuß,
Und jeglicher Schritt von Aufbruch und Exodus.
Ach, werden wir niemals auferstehn,
Und haben wir unser ewiges Leben verdreckt,
So sind wir dahin! Und dennoch, dennoch, wir wehn
Im letzten Schreiten, das über die Erde schreckt.
Wir Gespenster sagen: Das Leben war gut.
Wir verspielten unseren Zwielicht-Geist. Er entglitt.
Wir wurden zu Erde. Doch Erde ist gut, ist gut.
Erde, die einst der Fuß messianischer Jugend tritt!
Wesen stieg nieder, um aufwärts zu steigen,
Wesen zerteilte sich, um sich zu sammeln.
Vereinigtes Licht und vereinigtes Schweigen
Zerschliß sich in Farben, zerspliß sich in Stammeln.
Sag, welcher Sinn hat dies Wesen getrieben,
Seine schweigsame Einheit zu morden?
Es mußte sich selber zerstückeln, zerstieben,
Daß es zerfallen erlerne zu lieben,
Denn ohne Liebe noch war's nicht geworden.
Und als das Licht seinen Mantel zertrennte,
Aufbrachen da seine farbigen Wunden,
Und als das Mutter-Schweigen entbunden
Die Unzahl klangkämpfender Elemente,
Ward Gott gegeißelt, ward Gott geschunden,
Der sich,
durch Liebe zu werden, verbannte.
Doch aus den Läuften traten Gesandte,
Die den Sinn des zerfallenen Lichtes verstunden.
Und das Geborene neu zu gebären,
Sah man sie wandeln, leiden und lehren,
Das Urlicht und Schweigen in ihnen glomm,
Drum waren sie furchtlos und sagten uns: Komm!
Komm, komm, Mensch! An dir ist es, aus den Getösen
Das Schweigen zu schließen, das Lied zu erlösen!
Komm, komm, Mensch! An dir ist es, aus den Gewalten
Des Farben-Zerfalls das Licht zu gestalten!
Komm, komm, Mensch! Nur du wirst durch heilige Taten
Die werdende Gottheit lassen geraten.
Aus dieser Wirrsal, dem Wahn und aus Scheinen
Wirst du die Vielfalt zur Einfalt vereinen!