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Zweites Buch
Stimme
Gegenstimme

Die Leidenschaftlichen

Mein Gott, es werden sein zu deiner Rechten
Nicht die Wahrhaftigen allein und die Gerechten!
Nein alle, die in dreizehn Dezembernächten
Vor einem Fenster standen. Und Frauen, die sich rächten
Mit Vitriol und dann im Gerichtssaal ergrauten,
Die Eifersüchtigen all, die ihr Blut stauten,
In Droschken weinten, in Sälen sich erfrechten!
Die durchgefallnen tiefen Atmer,
Sänger, die mit bezechten
Gliedern dem Tod sich in die Grube schmissen,
Sie werden sein zu dir emporgerissen,
Und werden sitzen, Gott, zu deiner Rechten!

Es werden wandeln in deinen Gärten
Nicht nur die Demütigen und Beschwerten,
Nein alle, die leuchteten und verehrten!
Mädchen, die in Konzerten erkrankten,
Weil ihre Wangen zu bleich sich verklärten,
Blicke aus Augen, die dankten, –
Wahre Augen-Blicke zu nimmer verzehrten
Dauern aus Zeit in deine Zeiten gehoben,
Werden sie lodern weiter und loben:
Leichte Feuer wandelnd in deinen Gärten!

Es werden ruhen, Gott, in deinen Tiefen
Nicht die allein, die deinen Namen riefen,
Nein alle, die in den Nächten nicht schliefen!
Die am Morgen ihr Herz mit beiden Händen häuften
Wie Flamme, und liefen
Tiefatmend, blind, in unbekannten Läuften.
Ein Küsten-Wind zuckt in Selbstmörderbriefen.
Die Knaben haben Meere nicht verstanden,
So brannten sie sich ab in Hieroglyphen.
Nun knarrt ein Rost-Schild an den schiefen
Rostigen Kreuzen der Konfirmanden.
Wie sehr wir hier sind, sind wir dort vorhanden: –
Die hier unruheten aus deinen Tiefen,
Sie werden ruhen dort in deinen Tiefen.

Engel

Oh Engel, wie aus alter Kindheit kühn
Schwebt heilig noch dein Knie, doch deine Füße mühn
Mit kleinen wunden Härten sich durch unsere Pflaster-Welt.
Dein hoher Schritt erstickt in Schuhn,
Doch deine Schultern, freie Geister ruhn
Mit höheren Scheinen unserm Gang gesellt.
Wie hast du den Vater einst geliebt
– Der nicht mehr am Fenster steht und Antwort gibt –,
Als du durch Reifen sprangst in tiefer Garten-Zier.
Wir aber tun dir weh und beugen uns vor dir.

Oh Engel, du weißt nichts von deiner Hand,
Darein die Botschaft ist getan und ausgesandt!
Wo deine Hand hinlangt ist Tat.
Sie ist unsre hohe Schaffnerin und edle Magd.
Sie hebt den Eimer, häuft das Holz und legt
Des Kranken Leib zurecht. Der Armut Stube trägt
Ein tiefes Glimmen, wenn die Hand den Boden kehrt.
Sie rührt ihn an, es brodelt Wohlgeruch auf totem Herd.
Schwindsüchtige lächeln um den Tisch. – Doch wir,
Wir tun dir weh und beugen uns vor dir.

Oh Engel, sprich, von welcher alten Sünde wund,
Von welchem Abfall blüht dein breiter Frauenmund,
Daß ganz vergeßnes Sehnen deine Lippen füllt,
Wenn deine Hand in Asche taucht und Müll?
Oh welchem Kuß beugt er sich zu, der dich verstieß
In Jodgeruch und Chloroform -Verlies?
Wenn deiner Augen Dreiklangs-Licht uns tränkt,
Die Hand nicht unsre Tierheit scheut und Schlaftrunk mengt,
Dein Mund in hoher Fremdheit schmachtet, – Engel, wir,
Wir tun dir weh und beugen uns vor dir.

Antlitz vorüberwehend

Oh Antlitz, das aus vielen Sonntagen schon kam, die auf die Erde sinken,
Und da sind für kleine Musik und für lahme Mädchen, die vorüberhinken.

Oh Antlitz, das vorüberweht,
Noch unverwandelt und doch schon spät!
Mit Blicken nicken deine Freunde nur und sagen:
Oh Antlitz noch das alte und doch alt vom Vielertragen!
Sie sagen Worte: Eifersucht, Enttäuschung, Einsamkeit. –
Doch Wort ist Wort. Man sagt auch: Jahreszeit!
Und Jahreszeit ist mehr als Blätterfallen, Wind und totes Sonnenrollen.

Wer kennt die Wolken, die uns übelwollen,
Wer die Gestalten, Antlitz, wandelnden geheimnisvollen,
Und wer das unsichtbare Ding, das kalt und scharf
Um Auge dir und Mund so fremde Schatten werfen darf?
Mit welchem Fluch, der dich verflucht, bin ich verflucht, daß ich es sehe,
Und sage: – »Abends werden Schatten lang« – und das verstehe?
Oh Antlitz, Kranz von Frühen, Nachtgeflecht, geheimes Ringelspiel!
Jetzt, wenn du lächelst, werden schon die Tage kühl.

Die Schwestern von Bozen

Zwei Schwestern sah ich heut auf morgendlicher Au.
Sie schwebten lerchenfrüh und schwärmten in das Blau,
Und waren angetan kühl in Gewande weiß.
Doch auf ihren Schürzen war
Von trockenem Blut ein Rost und dumpfer Kreis.
Sie aber tief umschlungen schritten wunderbar.
Ich trat sie an die Schwebenden und fragte leis:

Schwestern, von welchem Schein sind eurer Augen Scheine froh?
Kommt ihr nicht aus den Sälen, wo
Die eingetränkte Maske auf das arme Antlitz sinkt,
Und in die weißen Stoffe Blut und Eiter dringt?
Geht ihr nicht durch die Fäulnis schwerer Zimmer ein und aus?
Tragt ihr nicht Schüsseln Unrats mild mit euch hinaus?
Und habt in eurem Opfer keinen Tag und keine Stunde Lust,
Dürft nicht in das Theater gehn und nicht im Grünen sitzen unbewußt!

Die beiden Schwestern aber sahn mich an mit einem Schaun,
Mit einem Blick voll tiefstem Jenseits sahn mich an die beiden Frau'n.
Mit einem Blick, den ich, ein niedrer Laie, noch nicht ganz verstand,
Und doch geschah es, daß mich Weinen überwand.
Ich sah ein Licht steigen, das sich dem Wiesen-Kuß entreißt.
Es ahnte eine tiefste Wollust mein entzückter Geist.
Mir war von unbetretner Freude offenbar ein letztes Ziel ...
Von ferne fühlt ich lachen leicht
Das Schwesternpaar, wie's nun entweicht,
Und schwindet tiefumschlungen in ein zärtlich frühes Glocken-Spiel.

Frauen

Waren es Frauen nicht,
Die uns an ihr großes Antlitz hoben ...
Die uns in weißen Wagen schoben
Durch die unschuldigen Auen nicht?
In das Abendübermaß der Städte,
Kirchenbrand und Kuppelgoldenwerden
Führten sie uns immer an der Hand,
Wenn wir am Nachmittag im Sand
Gespielt oder auf grüner Erden
Vor des kleinen Friedhofs eingestürztem Rand.

Oh Frau'n, oh Doppelspiel,
Oh fernste, fernste Herzen,
So nah, wie nur das Fernste nahe ist!
Nun tragt ihr eure unbekannten Schmerzen
An uns vorbei durch diese Zimmerfrist.
Wir kennen nicht
Euer Gesicht,
Das wir doch kennen aus den hallenden Tagen,
Da wir in seiner tiefen Nähe Augen aufgeschlagen.

Verwundeter Storch

War jemals eine Trauer so wie die?
Schwieg Trauer-Totenstarre jemals so? Nie, nie
Hockt Hiob, Aussatz bergend unterm Schurz,
Mit solchem Schweigen neben Schutt und Sturz.
Nur dieser Storch ist Trauer. Wie er steht
Auf dem gefärbten Fadenbein! Er dreht
Den Hals hinab. Und wagrecht leidend spürt
Des Schnabels Adel Erde, die er nicht berührt.
So starrt der Storch da schief und weggewandt
Von Brot und Wurm, die hinhält eine Hand.
Und nur die lahme Flügel-Schulter zuckt,
Wie am Schafott sich armer Sünder duckt.
Doch ist dies kaum ein Blinzeln, das sich regt,
Reglos steht er ins Ewige bewegt.

Kann so ein Auge trauern? Ungetrost
Ein glimmend schwarzer Stein und tränenlos?
Dem nie ein Lid mehr den Verlust verschließt,
Den es nicht oben und nicht unten liest,
Ins Fremde schauend, wo kein Aug mehr sieht,
Doch schauender erkennt: «Kein Flug geschieht
Mit langem Schlagen mehr. Kein Flug, kein Flug,
Da ausgespannte Kraft gebogene Grazie trug
Der Beine unterm Schwung. Und auch das Reich
Durchstelzt, durchnickt mein Bild nicht mehr am Teich ...»
War jemals dieser eine Trauer gleich?
Und starrte je ein Wesen so wie dieser Sohn
Ägyptens, Fürst am Pharaonen-Thron?
Wie dieser Storch, der abwärtshalsend starrt
Unregsam in die fremde Gegenwart,
In rosa Fiebernebel, wo er sah
Der Isis Feuer und den Rauch des Ptah!

Gesang des Traumbergs

Aus einer Festkantate

Ihr kennt mich alle wohl,
Ihr wißt mich alle schon ...
Durch meinen Atem seid ihr gelaufen,
In meinem Blick habt ihr gespielt.
Ihr pflücktet meine wilden Stiefmütterchen und den runden Klee.
Ihr blieset meinen Löwenzahn in den Tag.
Unter meinen Wolken wart ihr da,
Gespielen meiner feurigen Schlafwiesen.
In Mitternächten eh und je
Empfing ich euren ruhenden Schritt.
Ihr hörtet schon das Lauten meiner Gewässer,
Ihr fühltet schon das treue Beugen meiner Bäume,
Aus späten Nächten tragt ihr,
Ihr tragt aus früher Frühe
Das Läuten meines Gipfels,
Das Geheimnis meines Hauptes mit euch.

Gesang von Gefangenen

Aus einer Festkantate

Strophe der Männer

So ist es wahr, und wir sind aufgestiegen.
Noch hängt sich der schwere Hof an unseren Fuß.
Wir fliegen ...
Unsere Finger sind noch knöchern vom Klopfen,
Wenn wir uns grüßten in höhnischer Mitternacht.
Unter unseren Nägeln lauern die scharfen Tropfen.
Das Werg war zäh,
Der Hanf war fest,
Noch sind unsere Augen rot und verwacht.
Wir waren stumpf nach unserer Hofstunde,
Und schlugen Karten auf die zerschnittene Bank, –
Der alte blöde Jakob sang,
Jim fluchte, dann kam die Runde.
Sie stießen uns in unseren Schacht,
Das Licht verröchelte und ging zugrunde.
Nun sind wir aufgewacht
Und möchten schöne Kleider haben,
Gestreifte Hosen, um zu diesen wunderbaren Wegen zu passen,
Zu diesem tiefen Beugen, Stehn und Wehn,
Das uns verraten hat und verlassen.
Nicht so, wie mit nach Fieber müden Beinen gehn,
Nicht wegsehn müssen, sondern sehn
In dieses Wallen, diese Sonne, die trunkene Luft!
Dies Donnern, dies Schwirren hören ...
Auf steigenden, fallenden Chören
Hören das alte Dröhnen der Welt, das uns ruft.

Gegenstrophe der Frauen

So ist es wahr, und wir sind aufgestiegen,
Noch hängt sich der schwere Hof an unseren Fuß.
Wir fliegen ...
Wißt ihr noch, Schwestern, wir haben alle geweint,
Verschlungen gemeinsam und rasend uns in die Stunde gebissen.
Dann wieder haben wir uns an den Haaren gerissen,
Gerauft und geschlagen, frech und versteint!
Bis die Riesin, die rohe, dazwischenfuhr,
Die Frau der Peitsche, die Frau der Uhr.
Wir haben mit unserem Starren den Raum versengt.
Dann wieder lachten wir, küßten wir, tanzten wir.
Haben gestreichelt und süß uns bedrängt.
Aber am Sonntag, wenn die Kirche feurig wird,
Da stießen wir den kleinen Gott in unser Herz.
Da preßten wir uns an das Holz, verloren und verirrt.
Da sprangen wir trübe Brunnen über den Stein,
Da wölkten wir uns ein
In die Wolken der Mönche aufwärts.

Gärtner und Tor

Der Gärtner

Der durch meinen Morgen-Garten gehst,
Vor meinem Ahorn, meinen Linden stehst,
Unter der frühen kühlen Nachtigall,
Was soll dein Wandel überall?
Gilt er meinen Kindern, meinem Haus,
Oder bist du ein Blinder ein und aus?
Ein Narr des Seitenblicks?
Ein Gespenst, ein Nichts,
Das leer nach Schein und Gelten stellt?
Ein glattes Glas, an dem kein Tropfen hält?
Ein Zungen-Schlag, ein Lügner im Licht?
Du Sohn des Gewichts,
Sag, wie tief bist du in der Welt?!

Der Tor

Oh wäre ich dort tief tief, wo's nicht mehr icht,
Im Blütengrund und Urlicht!
So aber bin ich Wort und halbes Sehn,
Ein Schnellvergessen, ein Unbestehn.
Deine Kinder: Stamm, Vogel und Frucht
Sind rasche Bilder in einer hellen Schlucht,
Eine feuchte Flucht ...
Nur ICH bin mir wie ein großer Strom im Ohr.
Ich Tor,
Aus meinem Sinn reißt mich die eitle Sucht.
Ich bin unrein.
Doch weil ich bin, so muß ich sein.

Der Gärtner

Heb dich hinweg, geh mir davon!
Zehn Jahre diene unter Haß und Hieb!
Und bist du keine Fratze, bist du Gottes Sohn,
Dann lerntest du, dann lieb!
Dann hör und sieh und sing
Den Spruch von allem Ding!
Du leer unreiner Tor,
Dann tritt in mein Tor!
Doch sage ich, kehr mir nur ein,
Wenn du Vogelsprachen-kundig bist,
Der Vogelsprache kundig durch Leid!
Zu dieser Frist
Zieh hin mit deinem Schatten! Es ist Zeit!

Gewaltige Mutter

Gewaltige Mutter des Mittag Tods,
Die du wonnig die Menschen mähst!
Süß sterben sie dir entgegen
Auf den Bänken des Parks.
In schön heliotropen Kleidern
Die Mädchen in blonder Umwölkung
Sterben schief lehnend, feucht freudig.
Hinter ihnen aber aus dem Rasen
Reißest du Rhododendren-Gewalt,
Riesige Büschel-Fruchtbarkeit
Und des Baumschattens Heimat.
Töte auch mich, oh Sonne!
Du Schwall über grünem Gezwitscher,
Die du Mädchen mähst
Auf den kinderumspielten Bänken!
Töte mich,
Daß ich unsteter Lüge vergesse
Und des Fäulnis-Lauschens,
Daß ich des Feindes
In mir und vor mir vergesse!

Gedächtnis der Sünde

Stimme

Ich saß bezecht und prahlerisch,
Ihr armen Freunde, mit euch zu Tisch.
Ich sang, verschlang und trank.
Du aber warst traurig und krank,
Stille Fremde. Vom Weinen gereizt
Schien deine Wange. Ich sprach gespreizt.
Verführt vom Sieg heizte ich meinen Schein,
Sah dich nicht hungern und elend sein.
Kann Gott verzeihn?!
und soll mir das vergessen sein?

Gegenstimme

Meine Langmut heißt Zeit!
Immer ist dir ein neuer Tag bereit,
Bis du mich verstehst.
Es ist nicht zu spät!
Sieh in den Eichen mein Herzens-Licht!
Tu ab den Drang, besiege dein Gewicht!
Sei mein Held Michael, mein Sieg, mein Sinn!
Heute ist hinter Schlaf unendlicher Beginn.
Komm, komm, Sohn, brenne dich rein!
Singt nicht Eiche, Wind, der Vögel silbernes Schrein?:
Es soll, es wird vergessen sein!

Gesang eines verdammten an die seligen Geprüften der Erde

Auf Erden, die ihr über das hartherzige Pflaster wallt,
Du Fräulein, das dem Richter trotzt und kleine Hände ballt,
Du trauriges Mädchen am Klavier, das flüchtige Kinder lehrt,
Du Magd, die zu schwebender Stunde noch schaurigen Vorsaal kehrt,
Du Freund, der lächelnd fremde Sünde sühnt,
Du Strahlender, der das Gesetz zerschmettert und sich hoch erkühnt,
Du Engel, der da eintritt und die Welt mit hohem Tun durchruht,
Du Meister, der sich rückwärts wirft und groß in die Verwesung tut!
Wie schön, wie schön, wie wohlgetan!
Ich klatsche in meine Gespensterhand.
Ich Hadeshahn, ich Fledermaus,
Ich Flughund aus Hekates Haus.
Ich, keine Wut und kein Unmut!
Sehr, sehr schlecht geboren, Knecht in Dunst und Sud!
Nein, ich will euch, ihr Seligen, anheben ein groß' Lobsingen.
Ich falte über meine Mäusebrust die gelbdurchsichtigen Schwingen.
Ich bin ein Geist, so wird mir Lieb gelingen!
Ah, oh, yu, ei – ich taumle freudenvoll verdammt und hoffnungslos bedreckt
Im Riesenkessel, ich, ein ungeheueres Insekt. –

Gesang einer Frau

Warum, warum diese neue Angst?: Die Welt ist schon so oft!
Und Oft ein Wort, das fort und fort ins Ohr tropft unverhofft.
Ein rundes Wort, ein runder Laut, der endet und beschließt.
Mir graut vor meinem Haar,
Es war so oft, meine Hand war oft, mein Mund war oft, war, war!
Meine Zunge war oft, meine Brust und was er genießt.
Mir graut, es graut auch meinem Haar.
Oft – ist unfaßliche Gefahr.

Ich kann die Blumen nicht sehn auf dem Tisch, sie machen mich krank.
Mein Geliebter hat einen verräterischen Gang.
Oft und Gewohnt sein aufgeknöpftes Freundespaar
Wischt sich die Stiefel nicht ab. Sie spucken gar
Und blasen Zigarrenrauch in mein Haar.
Oft ist mein Feind und schon lang.

Oh diese schrecklichen Frühen. Sie tragen Altes auf ihren Glocken her.
Wie bin ich von weitem und lang schon her.
Nun kann ich mich gar nicht erinnern mehr.
Wie man sich lachend auf die Fußspitzen stellt,
Das entfiel dem Gedächtnis meiner Füße, dem viel entfällt.

Trübsinn heißt vierfach meine Jahreszeit,
Im Winter fürcht ich den Frühling, im Frühling die scharfe Zeit,
Und doch möcht' ich alles halten, was mich vermaledeit.

Nein, nein! Ach! Wie ist mir das doch hassenswert!
Wie alles an mir vergeht, möchte auch ich vergehn.
Verzehrt sein, vergehn, eingehn in einen hohen Wert.

Lieben, lieben zum erstenmal,
Wo Liebe nicht verlischt mit dem Wangenmal,
Nicht jeder Kuß, verhauchend, wird Betrug,
Und Ekel durch die Morgenlumpen lugt!
Eingehn in ein reines weißes Weiß!
Weiße Schürzen tragen, weißes Kleid und eine Farbe nur sehr: Weiß!
Mein Gesicht vergessen, keine Zeit haben, immer ein Werk haben, immer tun,
Nur am Abend ins Gebet hinüberruhn!
Oh Leidenschaft!

Nun schimpft zum Fenster ein Regen herein.
Auch der Regen ist oft. Ich zähle die Feinde nicht.
Ich fühle nur meine Augen. Wohin ist mein Gesicht?
Früher lebte ich seine Farben und flog unendlich in alles ein,
Von unten, von der Seite, streichelte alles mit meinem Schein.
Jetzt ist in mir solch eine Beschwerlichkeit.
Ich bin leicht, ich bin leicht, aber mein Antlitz neigt,
Neigt sich zu allem nieder, als wär ich sehr groß und sehr weit,
Und alles ist nur bedacht, daß es sich höflich zeigt.

Wo bin ich denn? Oh Himmelsrose, die mich in die Mitte klemmt!
Ich sitze auf meinem Bettrand im Hemd,
Und schaue auf meinen edel ermatteten Fuß,
Der mich entzückt, daß ich fast weinen muß.
Und doch ist in meinen süßen Beinen schon etwas, das man verhängt ...

Anblick der Wahrheit

Oh leise! Kein Ausbruch jetzt! Bebt! Schweigt!
Oh Schwestern, du Volk, es ist wahr, ja es ist wahr!
Weint nicht kurz hin, ihr Lieben!
Haltet fest in euerer Kehle den Gott!
Oh leise! Labt euch an euerem Ersticken!
Ihr Bäuerinnen, flüstert euren Gott, flüstert ihn aus,
Der mit dem Wehe steigt und euch an den Gaumen klopft!
Seht ihr in unserm gleichen Antlitz den gleichen Abend wachsen?
Leise! Jammervoller Abend uns verschüttet gelb.
In Menschheit neigt unsagbar das Haupt,
Das nun gebeugt ist für je, ihr Mädchen!
Das Tuch, die Hand tut vor die Munde, schweigt!
Schwestern, du Volk, es ist wahr!
Nicht Rede mehr, nicht Jammer mehr!
Oh tönt nur weiter diesen erbarmungsvollen Blick,
Die Hand einander, ihr Gedrängten, gebt euch die Hand!
Seht hin, dahin, wo jetzt meine Hand hinzeigt!
Beugt euch tiefer in euch, Schlafwandelnde, Schmerzgeborene,
Oh elendes, oh du jammervolles Geschlecht!

Lied

Ach, es ist nicht gut zu sagen,
Denn wer sagt, versagt.
Könnten wir den Schwall ertragen,
Wär er Baum, der ragt.

Alle Wesen, – Augenabend –,
Kommen wie die Hirschkuh trabend,
Lehnen zart das Innig-Scheue
Ihres Haupts an unsre Atemtreue.

Aber wir, ein schwarzer Samen,
Lügner, die zu Worte kamen,
Tatlos Tauscher, Tuer, Täter,
Weltzernenner, Waldverräter,
Morden Gott und uns mit Namen Namen.

Nun ist in mir ein Tod

Einmal hab ich das Feuerchen verstanden,
Als ich ein Schmied war, halbtraumverraucht.
Auch das Wässerlein hab' ich verstanden,
Als ich ein Flußgott war
In Mittagsmuschel Sonnenschlamm getaucht.

Ich habe die fremde Sängerin verstanden,
Zur Laubzeit das verrückte Bettlerpaar,
Die häßlich schönen englischen Gouvernanten,
Die wie Winter-Gestrüpp in den Winkeln standen,
Ich habe sie verstanden,
Als ich ein Mensch war.

Nun ist in mir
So eine Säule Schmerz,
Ein Starren vorbei, ein Tod!
Ich weiß nichts mehr von dir.
Die Welt ist Salz, Eis, Erz,
Die Welt ist Weib des Lot.
Sie ist Säule, weil sie rückwärts sah
In mein Sodom und Gomorrha.

Gesang

Einmal einmal –
Wir waren rein.
Saßen klein auf einem Feldstein
Mit vielen lieben alten Fraun.
Wir waren ein Indenhimmelschaun,
Ein kleiner Wind im Wind
Vor einem Friedhof, wo die Toten leicht sind.
Sahen auf ein halbzerstürztes Tor,
Hummel tönte durch Hagedorn,
Ein Grillen-Abend trat groß ins Ohr.
Ein Mädchen flocht einen weißen Kranz,
Da fühlten wir Tod und einen süßen Schmerz,
Unsere Augen wurden ganz blau –
Wir waren auf der Erde und in Gottes Herz.
Unsre Stimme sang da ohne Geschlecht,
Unser Leib war rein und recht.
Schlaf trug uns durch grünen Gang, –
Wir ruhten auf Liebe, heiligem Geflecht,
Die Zeit war wie Jenseits wandelnd und lang.

Lied nach einem Tage

Herr, sehr wenig ist, was ich dir gab,
Deine Flamm ist klein in mir gelungen,
Herr, der du mich aus den Zeugungen
Fallen ließest irr in meinen Trab.

Dennoch Fremdling ich war so verwandt,
Und ich sah sich Augen übermilden,
Und erkannte in deinen Gebilden
Weise Anmut, die ich nicht verstand.

Ach so schwankte ich durch Traum und Kreis,
Durch Spitäler wankend und durch Säle ...
Nur das schwarze Würgen in der Kehle,
Manchmal Träne, war dein Preis –

Benennung

Noch einmal seh und nenn ich
Erhabenes Antlitz der Bäuerinnen,
Heiligen Kinderknix in Kirchen,
Riesigen Blick des Priesters – – –
(Ah, ein Vogel hüpft – hüpft über die Straße.)
Oh Menschenschritt! Noch einmal – – –
(Wie unbenannt die Welt noch
Unbenannt, ihr Brüder) – – –
Noch einmal seh und nenn ich,
Eh ich dahin in Wind bin,
Ich Wolkenzug,
Ich ohne Bindung, Heimat, ich Halbtraum,
Ich Flüchtling aufgebrauchter Städte,
Geborgen aus uralter Feuersbrunst,
Schlaf, Wollust und den Namen Gottes rettend! –
Noch einmal weiß ich mich,
Freundin, in deinem Dahingehn.
Das Schicksal weiß ich, Nächte weiß ich,
Die mich in die Schleuder tun!
Daß ich mit euch bin, der ich bin,
Ich erlöschender Fluß,
Hinstickend schon durch die Höhlen,
Daß ich mit euch noch bin, ich Ödnis,
Daß ich mit euch noch bin, umrollt von Lauf,
Befohlen von Gestirnen,
Kreis und heiliger Zahl!
Daß du Geliebte welkst an mir hinab ...
So faß ich mich nochmals,
Nenne mich:
Ich Heimat-, Höllen-, Himmelloser,
Mein Haus aufbauend auf
Zufälligen und flüchtigen Gesängen.

Auch ich einfach

Wenn ich nicht einfach wäre,
Was wäre ich dann?
Urnebel noch,
Ein totes, vieldurchblitztes Wallen,
Hohn deiner strengen Engel.

Wenn ich auch leide,
So bin ich dennoch innig einiglich dein Kind.

Ich weiß,
Einst rissest du mich aus,
Hart, aus uralter Scherbe meines Lebens.
Doch griff ich ein
Mit meiner Wurzeln Ärmlichkeit
In diese letzte kleinste Krume,
Die noch auf deinem Atem treibt.

Und gönntest du mir nicht
Emporzublühn ...
So blüh ich doch hinab.

Das letzte Wort

Jetzt treiben wir noch Worte,
Einst haben wir nur Wort.
Noch schießt aus eitlem Orte
Schallkraut, das wuchernd dorrt.

Viele Worte sind uns gegeben.
Es schielt unser Leben
Mit Worten, die wir befehden.
Doch wenn uns Gott nicht verstößt,
Werden wir einst aus Ratschen, Reimen und Reden
Zum Wort erlöst.

Das Wort, das Wort wird unser Mund tragen,
Das die Sterbenden verschweigen.
– Sie können die Schatten der Menschen noch sehn,
– Die sich im Zimmer zeigen,
– Doch das Wort, das Wort nicht mehr sagen,
– Das Wort, mit dem sie hingehn.
Wir aber werden es wagen.


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