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Wir kennen die Schilderung, welche Andreas Streicher, der Musiker, von Schiller entworfen hat, als er den Jüngling, dessen Name ihm unbekannt war, bei den Disputationen der akademischen Schlußprüfungen zum ersten Mal gewahrte. Mit einem tiefen Eindruck von seiner Persönlichkeit war er hinweggegangen. Als nun im Frühjahr 1781 »Die Räuber« im Druck erschienen waren, bat Streicher einen musikalischen, in der Militärakademie erzogenen Freund, ihn mit dem Verfasser bekannt zu machen. Wie überrascht aber war er, in dem Dichter jenen Jüngling, dessen Bild sich ihm so lebendig eingeprägt hatte, wiederzufinden! Und wie angenehm berührt fand er sich von Schillers seelenvoller Milde, da er doch erwartete, im Schöpfer der »Räuber« einem heftigen jungen Manne zu begegnen, dessen Gedankenfülle und feurige Empfindung »alle Augenblicke in Ungebundenheit ausschweifen müsse«! Des Besuchers schmeichelhafte Anrede wurde von Schiller »nur ablehnend, mit der einnehmendsten Bescheidenheit erwiedert. Im Gespräche nicht ein Wort, welches das zarteste Gefühl hätte beleidigen können. Die Ansichten über alles, besonders aber Musik und Dichtkunst betreffend, ganz neu, ungewöhnlich, überzeugend, und doch im höchsten Grade natürlich. Die Äußerungen über die Werke Anderer sehr treffend, aber dennoch voll Schwung, und nie ohne Beweise. Den Jahren nach Jüngling, dem Geiste nach reifer Mann, mußte man seinem Maßstabe beistimmen, den er an alles legte, und vor dem Vieles, was bisher so groß schien, ins Kleine zusammenschrumpfte und Manches, was als gewöhnlich beurtheilt war, nun bedeutend wurde. Das anfängliche blasse Aussehen, das im Verfolg des Gespräches in hohe Röthe überging – die kranken Augen – die kunstlos zurückgelegten Haare, der blendend weiße, entblößte Hals, gaben dem Dichter eine Bedeutung, die eben so vortheilhaft gegen die Zierlichkeit der Gesellschaft abstach, als seine Aussprüche über ihre Rede erhaben waren. Eine besondere Kunst lag jedoch in der Art, wie er die verschiedenen Materien an einander zu knüpfen, sie so zu reihen wußte, daß eine aus der andern sich zu entwickeln schien«, und diese Gesprächsführung »trug wohl am meisten dazu bei, daß man den Zeiger der Uhr der Eile beschuldigte, und die Möglichkeit des schnellen Verlaufes der Zeit nicht begreifen konnte«.
Ich entnehme diese Worte der Schrift, welche Andreas Streicher unter dem Titel »Schiller's Flucht von Stuttgart und Aufenthalt in Mannheim von 1782 bis 1785« hinterlassen hat. Denn jetzt in den Tagen der äußersten Not wurde Streicher der hilfreiche Gefährte des Dichters und der Zeuge seines Schicksals. Auch Schiller hatte an dem neuen Bekannten, der ihm wohl durch Zumsteeg zugeführt worden war, Gefallen gefunden; er lud ihn ein, wiederzukommen, so oft er wolle, und binnen kurzem »setzte sich zwischen beiden ein Vertrauen fest, das keinen Rückhalt kannte und von dem die natürliche Folge war, daß die Verhältnisse Schillers, so wie seine wahrhaft unglückliche Lage, der unerschöpfliche Gegenstand ihrer Gespräche wurden«.
Erst »in weit vorgerückten Jahren«, als Schiller schon lange die Augen geschlossen hatte, hat sich Streicher an die Aufgabe gemacht, die mit dem Dichter gemeinsam verlebten Tage zu erzählen, und erst nach seinem Tode haben Streichers Hinterbliebene zu Wien die von ihm verfaßte Schrift veröffentlicht; sie erschien 1836 in Stuttgart und Augsburg bei Cotta. Nicht mehr als 14 Bogen in kleinem Oktav haltend, nicht alles erschöpfend oder nur berührend, was Schiller in jenem Zeitraum Bemerkenswertes erlebt hat, gibt sie uns doch insbesondere über die Ereignisse, die der Flucht zunächst vorausgingen und ihr unmittelbar nachfolgten, einen an bedeutsamen und anschaulichen Schilderungen, an charakteristischem und farbigem Detail reichen Bericht und bildet, da gerade für die von ihr behandelten Lebensjahre des Dichters die sonstigen Quellen sehr mangelhaft fließen, eine geschichtliche Urkunde von unschätzbarem Wert. Streicher stützt sich in einigen Punkten auf Mitteilungen, die er zufolge Ersuchens von Christophine Schiller, auch von Körner erhielt; er selbst aber hat sich die Tage der Jugend in liebevollster Erinnerung bewahrt, und aus diesem Born schöpft er, nur selten einem Irrtum des Gedächtnisses anheimfallend, das Meiste und das Beste seines Buches. In allem, was außerhalb der unmittelbaren Erfahrung des Erzählers lag, sind seine Mitteilungen von einer gewissen Sparsamkeit und Behutsamkeit, und jeglichem leeren Geplauder, jedem Klatsch geht er mit keuscher Zurückhaltung aus dem Wege.
Seine eigene Persönlichkeit hält Streicher, so viel als es irgend angeht, im Hintergrund; er ordnet dem größeren Freunde bescheiden sich unter, er sieht zeitlebens zu ihm hinauf wie zu einem Heiligenbild; aber die Empfänglichkeit seiner Seele und die auch ihm verliehene künstlerische Anlage vermindern diesen Abstand. Erinnert man sich der Schilderung anderer Zeitgenossen, der Schilderungen Scharffensteins oder gar Petersens, so scheint es zuweilen, als sei Schiller bei Streicher fast zu weich, fast mädchenhaft gezeichnet, als stimme sein in der Weise eines Pietro Perugino gehaltenes Gemälde nicht mit den rauheren Linien der Wirklichkeit. Indessen war in Schillers Wesen und Art sich zu geben tatsächlich eine Mischung von Männlich-Hartem und Weichem, und es ist nur natürlich, daß er gegen den Freund diejenigen Seiten seiner Natur hervorkehrte, für welche dieser selbst die größere Empfänglichkeit und Auffassungsfähigkeit besaß. In uns allen spiegeln sich die Dinge mehr oder weniger gemäß der Beschaffenheit des Spiegels, der ihr Bild in sich aufnimmt, und für unseren geselligen Verkehr trifft in der Regel Wolfgang Buchbachs Bemerkung zu: »Kein Mensch ist ganz er selbst. Die Farbe seines Charakters wechselt bei dem einen bewußt, bei dem andern unbewußt unter dem bestimmenden, umbildenden Einfluß, den die Gegenwart eines anderen und der geistige Verkehr mit ihm hervorbringt« Gesammelte kleinere Schriften, Reisegedanken und Zeitideen. Ein Lebensbuch von Wolfgang Kirchbach (München und Leipzig 1886), S. 357 ff. So bleibt denn der reine Klang, der uns aus dem Buche Streichers entgegentönt, überall ungetrübt; wir spüren durch die ganze Schrift den redlichen Willen des Verfassers, aufrichtig zu erzählen, spüren eine edle und zarte Gesinnung, ein tiefes, inniges und lauteres Gemüt. Es ist zweifellos, im Kreise der Jugendfreunde des Dichters ist die Gestalt des schwäbischen Musikers weitaus die liebenswürdigste, und wie das Andenken an ihn, der, mit der aufopferndsten Hingebung und bewegt von schönem Enthusiasmus, dem Bedrängten zum Dienste sich stellte, aus Schillers Jugendgeschichte niemals verschwinden wird, so wird jene Schrift, so herrlich als rührend in ihrer Schlichtheit und inneren Wahrhaftigkeit, für immer das Denkmal einer warmen und treuen Seele und ein Zeugnis vom Goldwert echter Freundschaft sein.
Andreas Streicher, geboren zu Stuttgart am 15. Dezember 1761, also nahezu 2 Jahre jünger als Schiller, sollte im Frühjahr 1783 eine Reise nach Hamburg antreten, um dort unter Leitung des Komponisten und Klaviertechnikers Philipp Emanuel Bach die Musik zu studieren; in Hamburg lebende Verwandte hatten ihm dazu ihre Unterstützung versprochen. Mit Rücksicht auf Schiller wußte es Streicher nun dahin zu bringen, diese Reise jetzt schon machen zu dürfen, obgleich ihm vorerst nur die spärlichsten Mittel zur Verfügung standen und das Auge der Mutter mit Sorge an der Zukunft des einzigen Sohnes hing. Seine Begleitung konnte dem Dichter bei der Flucht manche Erleichterung bringen, und Schiller drängte um so ungeduldiger zur Abreise, als gerade jetzt ein Zeitpunkt herannahte, an welchem sein Entweichen aus Stuttgart am wenigsten bemerkt werden mußte. Für die zweite Hälfte des September erwartete man am württembergischen Hofe den Besuch des Großfürsten Paul, des nachmaligen Kaisers Paul I. von Rußland, und seiner Gemahlin Dorothea oder, wie sie bei der Umtaufung genannt wurde, Maria Feodorowna, einer Tochter des Herzogs Friedrich Eugen zu Mömpelgard, einer Nichte Herzog Karls. Für ihren Empfang sollten in Stuttgart, Hohenheim, Ludwigsburg und auf der Solitude die glänzendsten Festlichkeiten veranstaltet werden, und das Zuströmen einer großen Menge von Fremden stand in Aussicht. Eine günstigere Gelegenheit als diese geräuschvollen Tage, in denen der Herzog von den Sorgen um eine außerordentliche Prachtentfaltung und um Beobachtung der Etikette gänzlich in Anspruch genommen war, konnte sich Schiller für die Ausführung seines Planes nicht wünschen.
Die Gewißheit, daß eine entscheidende Wendung seines Schicksals nahe bevorstehe und daß der Weg, der ihn aus dem »Labyrinth« seiner Umstände befreien müsse, gefunden sei, machte Schillers Stimmung wieder gefaßt und heiter [Streiter,] Schillers Flucht von Stuttgart und Aufenthalt in Mannheim von 1782 bis 1785. Stuttgart und Augsburg 1836, S. 70 ff. (Neudruck in der Cotta'schen Handbibliothek Nr. 143.); seine Schaffenslust kehrte zurück, und er arbeitete während der noch übrigen Zeit auf das angespannteste an seinem Fiesko. Noch war, vom Plane abgesehen, kaum die Hälfte des Stückes niedergeschrieben, und Schiller wünschte doch sehnlichst, es vollendet nach Mannheim mitzubringen oder zum mindesten die Ausarbeitung so weit zu fördern, daß ihm in ruhigeren Tagen die Vollendung und die Anpassung an die Bühne keine Schwierigkeiten mehr machen würde. So zog er sich ganz in sich selbst zurück, nahm an allem, was als Vorbereitung zu den Festlichkeiten Stadt und Land bereits in Atem setzte, nicht den geringsten Anteil; sein größtes Vergnügen war, in Gegenwart Streichers eine neu ausgearbeitete Szene vorlesen zu können, und seine von Schlaflosigkeit erhitzten Augen erheiterten sich, wenn er ihm aufzählen konnte, um wie vieles das Stück bereits weiter gerückt sei. Seine Schwester Christophine und seine Mutter setzte er von seinem Vorhaben in Kenntnis; auch Scharffenstein und Petersen und wohl noch den einen oder andern vertrauten Freund machte er zu Mitwissern. Daß er von Stuttgart sich entfernen wolle, hatte er Frau Henriette von Wolzogen schon nach dem Arrest anvertraut, und schon damals hatte diese ihm die Zusage gegeben, ihn auf ihrem bei Meiningen gelegenen Gute Bauerbach so lange aufnehmen zu wollen, als er von Seite des Herzogs eine Verfolgung zu befürchten habe Streicher, S. 130. Im übrigen war er darauf bedacht, sein Geheimnis zu wahren, und betrieb, damit das Unternehmen nicht scheitere, die Anstalten zu seiner Abreise »mit einer an Angst gränzenden Vorsicht« Petersen handschriftlich. [Jul. Hartmann, Schillers Jugendfreunde. Stuttgart und Berlin 1904, S. 207.
Unter den Fremden, die gegen die Mitte des Monats September die Stadt zu füllen begannen, befanden sich auch Freiherr von Dalberg und die Gattin des Theaterregisseurs Meyer aus Mannheim. »Schiller machte dem Baron Dalberg seinen Besuch, ohne von seinem Vorhaben das Geringste zu erwähnen« Streicher, S. 73 ff. Der Gedanke, etwa durch Zweifel, durch Abmahnungen belästigt zu werden, war ihm peinlich, und auf irgend eine Verwendung oder Fürsprache von seiten Dalbergs glaubte er, so lange er noch in herzoglichen Diensten stehe, nicht mehr rechnen zu dürfen. Auch gegen Frau Meyer blieb er verschlossen, obwohl er sie öfters sah und von ihr, die eine Landsmännin, eine geborene Stuttgarterin war, ein Mangel an Aufrichtigkeit nicht zu befürchten gewesen wäre. Aber die Spannung der Seele, die Hingabe an seine Träume und Hoffnungen hatte bei ihm einen so hohen Grad erreicht, daß er eine Störung, eine Erschütterung nicht mehr ertragen hätte.
Und nun wanderte der Dichter zum letzten Male hinauf zur Solitude. Wie froh war sonst dort das Wiedersehen gewesen! Nie, meint Scharffenstein, habe er ein besseres Mutterherz, ein trefflicheres, häuslicheres, weiblicheres Weib gekannt als Schillers Mutter; »wie oft sind wir zu ihr gewallfahrtet! Was wurde dort für das liebe Wunderthier von Sohn und seine mitgebrachten Kameraden gebacken und gebraten Morgenblatt 1837, Nr. 58.!« Jetzt war die Stunde sorgenschwersten Abschieds gekommen.
Schiller machte den Gang in Begleitung Streichers und der Madame Meyer; er hoffte dabei mancherlei über die innere Beschaffenheit des Theaters und seine Aussichten in Mannheim zu erfahren. Da er aber, aus Besorgnis, er möge sich verraten, diese Gegenstände in seinen Fragen nur streifte, so blieb auch die Auskunft, die er erhielt, nur eine dürftige. »Beim Eintritt in die Wohnung von Schillers Eltern« – erzählt Streicher – »befand sich nur die Mutter und die älteste Schwester gegenwärtig. So freundlich auch die Hausfrau die Fremden empfing, so war es ihr doch nicht möglich sich so zu bemeistern, daß S. [Streicher] die Unruhe nicht aufgefallen wäre. Glücklicher Weise aber trat bald der Vater Schillers ein, der durch Aufzählung der Festlichkeiten, welche auf der Solitude gehalten werden sollten, die Aufmerksamkeit so ganz an sich zog, daß sich der Sohn unvermerkt mit der Mutter entfernen und seine Freunde der Unterhaltung mit dem Vater überlassen konnte ... Nach einer Stunde kehrte Schiller zur Gesellschaft zurück, aber – ohne seine Mutter. ... Wie schmerzhaft das Lebewohl von beiden ausgesprochen worden seyn mußte, ersah man an den Gesichtszügen des Sohnes, so wie an seinen feuchten, gerötheten Augen. Er suchte diese einem gewöhnlichen, ihn oft befallenden Übel zuzuschreiben, und konnte erst auf dem Wege nach Stuttgart durch die zerstreuenden Gespräche der Gesellschaft wieder zu einiger Munterkeit gelangen.«
Auf der Solitude hatte man erfahren, an welchen Tagen dortselbst die zu Ehren der russischen Gäste geplante Beleuchtung und Hirschjagd stattfinden solle, Festlichkeiten, zu denen voraussichtlich der größte Teil der Bewohner Stuttgarts herbeiströmen werde. Sobald nun auch Gewißheit vorhanden war, an welchem Tag Schillers Regiment die Wachen nicht zu beziehen hatte, unter den Stadttoren also Soldaten zu treffen waren, denen der Regimentsmedikus nicht so genau bekannt war wie seinen Grenadieren, wurde der Zeitpunkt der Flucht festgesetzt; und zwar auf Sonntag den 22. September, oder genauer auf die Nacht vom 22. auf den 23. September Zur Datierung der Flucht vgl. den Anhang zu Weltrich, Friedrich Schiller, Band 1, Stuttgart 1899, S. 857 f. [Das Werk wird weiterhin als »Schillerbiographie« zitiert.]
Am 17. September Vgl. zu den Beschreibungen der Festlichkeiten E. Vely (Herzog Karl v. Württemberg u. s. w., Stuttg. 1876), J. Klaiber (»Die Chronologie von Schillers Flucht aus Stuttgart« in Nr. 25 der literarischen Beilage des »Staatsanzeigers für Württemberg« v. J. 1876) und v. Schloßberger (Beilage des »Staatsanzeigers für Württemberg«, Nr. 26 vom 8. Nov. 1876, wiederabgedruckt in v. Schloßbergers »Neuaufgefundenen Urkunden über Schiller und seine Familie«, Stuttg. 1884, bei Cotta). E. Velys Bericht gibt die Aufzeichnungen aus dem Tagebuch Franziskas wieder, Klaiber die Mitteilungen der »Stuttgardtischen Privilegirten Zeitung«, Jahrg. 1782, Nr. 113, 116, 118, 119, v. Schloßberger die Aufzeichnungen des Befehlbuchs der Karlsakademie. Daß die Feste zu Ehren der Anwesenheit des russischen Großfürsten 345 000 Gulden kosteten, erzählt Karl Pfaff, Geschichte des Fürstenhauses und Landes Wirtemberg, S. 374. [Vgl. auch das Prachtwerk »Herzog Karl Eugen v. W. u. seine Zeit«, Hrsg. v. Württ. Geschichts- und Altertums-Verein Bd. I (Eßlingen 1907), S. 116 f. trafen die russischen Herrschaften in Stuttgart ein, im Gefolge von etwa 100 Personen und begleitet vom Herzog Friedrich Eugen, von dessen Gemahlin, der Herzogin Dorothea, der Prinzessin Elisabeth und sieben anderen Prinzen aus Mömpelgard; Herzog Karl war ihnen Tags zuvor an die württembergische Grenze entgegengereist. Am Empfangsabend wurde in Stuttgart die Oper » Les fêtes Thessaliennes« gegeben, eine Art Neuinszenirung der allegorischen Fratze »Minerva« Vgl. Schillerbiographie, Band 1, S. 687 und Sittard, Zur Geschichte der Musik und des Theaters am Württ. Hofe. Stuttgart 1890/91. II, S. 159., mit Musik von Poli, französischem Tert von Uriot, Ballets von Regnaud und Dekorationen von Guibal; am 18. Sept, gab man die Oper » Calliroe«. Inzwischen waren auch von andern deutschen Höfen Gäste in Stuttgart angelangt, unter ihnen der Herzog und die Herzogin von Pfalz-Zweibrücken, Prinz Max von Zweibrücken (der nachmalige König Maximilian I. Joseph von Baiern), mehrere Prinzen und Prinzessinnen von Hessen-Darmstadt, Hessen-Kassel und Hessen-Rothenburg; im Ganzen 32 Fürsten und Fürstinnen, dazu 59 gräfliche und 351 dem Freiherrn- und Ritteradel angehörige Personen Nach E. Vely, S. 131. [Tagebuch der Gräfin Franziska v. Hohenheim, Hrsg. v. A. Osterberg, Stuttgart, 1913, S. 178 ff.] Am 19. September war » Fête« in Hohenheim, Abends » Bal en famille« in Stuttgart; am 20. September wurde die Besichtigung von Hohenheim wiederholt, Abends war wieder Hofball in Stuttgart. Am 21. September wurde die Akademie besucht, nach der Mittagstafel erfolgte Besuch in Ludwigsburg, wohin »ein Theil der Akademie in 27 Kutschen und Chaisen« abging; am Abend war große Redoute im Ludwigsburger Opernhaus. Am 22. September besuchte Herzog Karl mit dem russischen Großfürsten den Hohenasperg, die Porzellanfabrik und das Militär-Waisenhaus in Stuttgart; »des Abends geruhten die Höchsten Herrschaften mit dem ganzen Hof sich auf das Herzogl. Lustschloß Solitude zu verfügen, woselbst der ganze dahin führende Berg nebst den darauf befindlichen Bassins sowie auch das ganze Corps de Logis nebst den inneren Flügelgebäuden und dem Lorbeersaal nach der Architektur mit mehr als 90 000 Lampen erleuchtet waren. Nach der Ankunft wurde in dem Solituder Comödienhaus eine allegorische Fête unter dem Titel › Les Delices champêtres ou Hippolyt et Aricie‹ aufgeführt und sodann in dem Lorbeersaal zu 240 Couverts zu Nacht gespeist.« Die gesamte Akademie hatte den Befehl erhalten, des Nachmittags 4 Uhr auf die Solitude zu marschieren, sich am Fuß des Berges aufzustellen und nach Eintreffen des Großfürsten den Berg hinauf in den Lorbeersaal zu folgen.
Das Fest verlief nicht ganz in bester Ordnung und Sitte: man fuhr von Ludwigsburg her »in einer großen Confusion auf die Solidude, die Solidit war Gantz manifig Elominirt, u. muste jedermann gefallen, es wahren aber grausam ville fremde da u. feng bald an zu regnen, die Prenßes Elisabet war einen augenplick verlohren, u. alles war wieder ser confus ... der Groß fürst retirirde sich bald nach der Ankunft u. geng weder in das spektagel noch sa die schene Eluminacion am lorber sal; nach die 2 uhr war die Dafel aus, es regnede sehr starg, alles reterirde sich nach gehens.« Also lautet der Eintrag im Tagebuch der Gräfin Franziska von Hohenheim; eine zweite Zeugin aber ergänzt uns ihren Bericht, und diese Zuschauerin von bürgerlichem Namen, auf deren Worte wir noch viel gespannter lauschen, ist Christophine Schiller. Sie erzählt uns zuerst, daß die Beleuchtung des drei Stunden langen Ludwigsburger Weges und des Schlosses einen um so prächtigeren Anblick gewährt habe, als »gerade auch der Himmel helle« gewesen sei, daß »für 300 Personen Logis bestellt« gewesen sei und wegen Mangels an Platz auch ihre Familie Gäste bekommen habe; alsdann fährt sie in ihrem freilich überaus unbehilflichen Deutsch fort: »Als sie [die fürstlichen Herrschaften] endlich gegen 8 Uhr des Abends ankamen so führte sie der Herzog zuerst in die Comödie und es wurde erst gegen 1 Uhr die Tafel besezt, unsere Gäste wollten sie auch sehen und ich ging, sie zu begleiten auch dahin, weil ich die Fürstinn gerne sehen wollte. Die Großfürstin war eine grose schöne Frau, und ihre beiden Schwestern ebenfalls schöne, freundliche Damen, der H. Großfürst aber war nicht schön, und ganz eigen; er schlief nicht in dem Bette sondern lief des Nachts überall in den Anlagen herum ... Aber nun in dieser Nacht wo alles so ... und froh war – in dieser Nacht also wählte mein Bruder das Vaterland zu verlaßen um nicht sobald vermißt zu werden« Aus Christophinens »Notizen über meine Familie« (in Schillers Briefwechsel mit seiner Schwester Christophine und seinem Schwager Reinwald, herausgegeben von W. von Maltzahn Leipzig 1875, S. 343 f.)
Am folgenden Tag sollte die große Hirschjagd auf der Solitude stattfinden: da jedoch die Witterung sehr regnerisch war, so wurde sie verschoben. Die fürstlichen Gäste besahen die Merkwürdigkeiten der Solitude und besuchten, nach Stuttgart zurückgekehrt, die Oper »Der Irrwisch« von Umlauf, um sich schließlich an einem Ball zu vergnügen. Am 24. fand die Hirschjagd statt. Herzog Karl und Franziska waren ihren Gästen auf die Solitude vorausgeeilt; die gesamte Akademie hatte den Befehl erhalten, sich auf besonders errichtetem Amphitheater aufzustellen und Zeuge des Schauspiels zu sein. Sobald die fremden Fürstlichkeiten nachgekommen waren, schiffte man über den Bärensee hinüber, und die Jagd nahm ihren Anfang. Seit Wochen waren für diese »Erlustigung« die außerordentlichsten Anstalten getroffen worden. Man hatte die Hirsche aus allen Jagdgebieten des Landes in einen Wald der Solitude zusammengetrieben, so daß man ihrer 5 bis 6000 Stück zählte, hatte eine Menge von Bauern aufgeboten, um das Wild am Durchbrechen zu verhindern, und zu diesem Zwecke den ganzen Saum des Waldes entlang während der Nächte Wachtfeuer in Brand gehalten. Damit aber das »Vergnügen erhöht« werde, hatte der Herzog angeordnet, daß man die edlen Tiere eine steile Anhöhe hinaufjage und sie alsdann zwinge, sich in den See zu stürzen, »in welchem sie, aus einem eigens dazu erbauten Lusthause, nach Bequemlichkeit erlegt werden konnten« Streicher, S. 72-73. So wurden denn die völlig wehrlosen Hirsche von bestgesicherter Stelle her, aus einer Entfernung von wenigen Schritten, niedergeknallt, so lange es die sinkende Sonne noch erlaubte. Auch die Gräfin von Hohenheim scheint keine Spur von Mitleid mit den Todesqualen der gehetzten Tiere, keine Spur von Widerwillen gegen dieses raffinierte Prahlstück von Jagd, gegen diese bestialische Grausamkeit angewandelt zu haben; es war » magnifique« anzusehen, erzählt sie in ihrem Tagebuch, und nur dafür, daß man »ein wenig lang warten mußte, bis das Wild heraus kam,« empfindet Dame Franziska Bedauern.
Der Dichter aber, um dessen allein willen die Geschichte noch heute von der Pracht und vom Frevel jener Festtage meldet, weilte, als der Tag der Hirschjagd anbrach, bereits nicht mehr in Württemberg. Schiller hatte die letzte Nacht, die er in Stuttgart verlebte, die Nacht vom 21. auf den 22. September, bei dem Lieutenant von Scharffenstein auf der Wache zugebracht, Stunden, die, wie dieser in späteren Jahren niederschrieb, »dem Gefühl ganz ausschließlich geweiht« waren. Er vermachte dem Zurückbleibenden einen Teil seiner Bücher und verwies ihn an seinen Freund Lempp, der damals noch auf der Akademie studierte Vgl. v. Scharffenstein, Morgenblatt für gebildete Stände, 1837, Nr. 58. Den nächsten Morgen galt es die letzten Reisevorbereitungen zu treffen. Schiller hatte sich eine bürgerliche Kleidung machen lassen, und nach Bestreitung der unentbehrlichsten Reisebedürfnisse waren noch 23 Gulden in seinem, 28 Gulden in Streichers Besitz verblieben. Was zum Weiterkommen erforderlich war, sollte Streichern nach Mannheim nachgeschickt werden. Albrecht von Hallers und einiger Anderer dichterische Werke, auch die Wäsche und die Kleidung Schillers hatte unser Musikus nach und nach in seine Wohnung verbracht, um sie dort einzupacken; der Verabredung gemäß sollte am Vormittag des 22. September alles bereit gelegt sein, was von Schillers Habseligkeiten noch hinwegzubringen war, und Streicher stellte sich mit der Minute ein. »Allein er fand nicht das Mindeste hergerichtet. Denn nachdem Schiller um acht Uhr in der Frühe von seinem letzten Besuch in dem Lazareth zu Hause gekehrt war, fielen ihm bei dem Zusammensuchen seiner Bücher die Oden von Klopstock in die Hände, unter denen Eine ihn schon oft besonders angezogen, und aufs neue so aufregte, daß er sogleich ... ein Gegenstück dichtete. Ungeachtet alles Drängens, alles Antreibens zur Eile, mußte S. dennoch zuerst die Ode und dann das Gegenstück anhören ... Eine geraume Zeit verging, ehe der Dichter, von seinem Gegenstand abgelenkt, wieder auf unsere Welt, auf den heutigen Tag, zu der fliehenden Minute zurückgebracht werden konnte. ... Erst am Nachmittag aber konnte alles in Ordnung gebracht werden, und Abends 9 Uhr kam Schiller in die Wohnung von S. mit einem Paar alter Pistolen unter seinem Kleide« Vgl. zu den hier und im Nächstfolgenden angeführten Stellen Streicher S. 78-84. Man legte diejenige, welche noch einen ganzen Hahn, aber keinen Feuerstein hatte, in den Koffer, die andere, deren Schloß zerbrochen war, in den Wagen; geladen waren beide lediglich »mit frommen Wünschen für Sicherheit und glückliches Fortkommen«. Auch ein kleines Klavier wurde zu den Koffern mitaufgepackt.
Von den Segnungen und Tränen der alten Frau Streicher begleitet, fuhr der Wagen Nachts zehn Uhr dem Eßlinger Tore zu. Dieses lag an der Ostseite von Stuttgart, also in der dem Wege der Reisenden gerade entgegengesetzten Richtung; aber es war das dunkelste der Stadttore, und »einer der bewährtesten Freunde Schillers« – vermutlich kein anderer als Scharffenstein – hatte an ihm den Dienst. Der Anruf der Schildwache: »Halt! – Wer da? – Unteroffizier heraus!« machte zwei Herzen erbangen; indessen wurde das Tor geöffnet, als Streicher auf die Fragen: »Wer sind die Herren? Wo wollen sie hin?« für Schiller den Namen Doktor Ritter, für sich selbst den Namen Doktor Wolff und als Reiseziel beider Eßlingen angab. Die Flüchtlinge warfen einen forschenden Blick in die Wachtstube des Offiziers, »in der sie zwar kein Licht, aber beide Fenster weit offen sahen«, und fuhren vorwärts. »Als sie außer dem Thore waren, glaubten sie einer großen Gefahr entronnen zu seyn, und gleichsam als ob diese wiederkehren könnte, wurden, so lange als sie die Stadt umfahren mußten, um die Straße nach Ludwigsburg zu gewinnen, nur wenige Worte unter ihnen gewechselt. Wie aber einmal die erste Anhöhe hinter ihnen lag, kehrten Ruhe und Unbefangenheit zurück, das Gespräch wurde lebhafter, und bezog sich nicht allein auf die jüngste Vergangenheit, sondern auch auf die bevorstehenden Erlebnisse. Gegen Mitternacht sah man links von Ludwigsburg eine außerordentliche Röte am Himmel, und als der Wagen in die Linie der Solitude kam, zeigte das daselbst auf einer bedeutenden Erhöhung gelegene Schloß mit allen weitläufigen Nebengebäuden sich in einem Feuerglanze, der sich in der Entfernung von anderthalb Stunden auf das überraschendste ausnahm. Die reine, heitere Luft ließ alles so deutlich wahrnehmen, daß Schiller seinem Gefährten den Punkt zeigen konnte, wo seine Eltern wohnten, aber alsbald, wie von einem sympathetischen Strahl berührt, mit einem unterdrückten Seufzer ausrief: ›Meine Mutter!‹«
Am Fenster des Mansardendaches wird sie weinend und ringend gelegen sein und mit dem sehnenden Auge die Spur des Sohnes gesucht haben. Aber der Glaube an seine Zukunft gab Trost in ihr Herz, und der Sturmruf des befreiten Genius lenkte dem, der ihres Blutes war, den Weg. An dem nämlichen Abend, da er in Geheimnis und Not von der Heimaterde sich losriß, nannten Tausende seines Volkes mit Hoffnung und Bewegung den Namen Friedrich Schiller: denn in Leipzig, wie des Tags zuvor bei »brechend vollem Hause« in Hamburg, gingen »Die Räuber« über die Bühne. Rührende Fügung des Schicksals! In deine Arme wirft sich der Flüchtling, du deutsches Volk; noch ist er dir ein fast Fremder, sich selber noch ein Werdender, aber der Zuruf deines Herzens, die Klänge des ersten Ruhmes hallen durch die Lüfte, und die Geister des Himmels, die immer geschäftigen, sammeln sie und tragen sie hin durch Nacht und Ferne, und leiser und leiser werdend kommen sie zu ihm wie aus dem Traum.
Seine Gedanken waren wieder ganz bei seinem Berufe, und während der kurzen Rast, welche Nachts zwei Uhr in Enzweihingen gemacht wurde, las er seinem Begleiter aus einem Hefte geschriebener, von Schubart ihm eingehändigter Gedichte außer anderem »Die Fürstengruft« vor. Morgens nach acht Uhr war die durch eine kleine Pyramide bezeichnete kurpfälzische Grenze erreicht; als ob alle Last des Lebens von ihnen genommen sei, atmeten die Reisenden auf. »Sehen Sie,« rief Schiller dem Freunde zu, »sehen Sie, wie freundlich die Pfähle und Schranken mit Blau und Weiß angestrichen sind! Ebenso freundlich ist auch der Geist der Regierung!« Unter frohen und lebhaften Gesprächen verflogen die nächsten Stunden. Um zehn Uhr war man in Bretten. »Dort wurde bei dem Postmeister Pallavicini abgestiegen, etwas gegessen, der von Stuttgart mitgenommene Wagen und Kutscher zurückgeschickt, Nachmittags die Post genommen, und über Waghäusel nach Schwetzingen gefahren, allwo die Ankunft nach 9 Uhr Abends erfolgte. Da in Mannheim, als einer Hauptfestung, die Thore mit Eintritt der Dunkelheit geschlossen wurden, so mußte in Schwetzingen übernachtet werden, welches auf zwei unruhige Tage und eine schlaflose Nacht um so erwünschter war.«
Der Morgen des 24. September fand die Reisenden frühe geschäftig, das Beste, was die Koffer enthielten, anzulegen, und nach zwei Stunden fuhren sie in die Straßen von Mannheim ein, ohne daß man ihnen am Tore irgend eine Frage gestellt oder eine Belästigung bereitet hätte.
Am Hause Meyers, des Theaterregisseurs, stiegen Schiller und Streicher ab. Meyer war nicht wenig überrascht, den Dichter als Flüchtling bei sich zu sehen, wenn er auch durch die Erzählungen, die ihm Schiller gelegentlich seiner früheren Anwesenheit in Mannheim gemacht hatte, von dessen mißlichen Stuttgarter Verhältnissen bereits wußte; er enthielt sich einer Einsprache, verriet aber seine Bedenklichkeit doch durch den Eifer, mit dem er Schillers Vorhaben, unverzüglich an den Herzog von Württemberg eine zur Aussöhnung dienliche oder doch die Gefahr der Verfolgung abwendende Bittschrift zu richten, bestärkte. An gastfreundlichen Gefälligkeiten ließ er es nicht fehlen: er lud die Reisenden zum Mittagessen ein und besorgte für sie eine in der Nähe gelegene Wohnung, in die sogleich das Reisegepäck geschafft wurde. Nach der (nicht eben sicheren) Überlieferung war es eine Dachstube des Eckhauses O 2.1, des Sohlerschen, damals »zum Karlsberg« genannten Hauses am Paradeplatz.
Die ersten Stunden nach Tisch gehörten der Abfassung des Schreibens an den Herzog, das Schiller, sobald er fertig war, den im anstoßenden Zimmer wartenden Freunden vorlas. Es trägt das Datum des Tages der Ankunft in Mannheim, »den 24. Sept. 1782«, und lautet im Eingang: »Das Unglük eines Unterthanen und eines Sohns kann dem gnädigsten Fürsten und Vater niemals gleichgültig seyn. Ich habe einen schröklichen Weeg gefunden, das Herz meines gnädigsten Herrn zu rühren, da mir die natürlichen bei schwerer Ahndung untersagt worden sind. Höchstdieselbe haben mir auf das strengste verboten litterarische Schriften herauszugeben, noch weniger mich mit Ausländern einzulassen. Ich habe gehoft Eurer Herzoglichen Durchlaucht Gründe von Gewicht unterthänigst dagegen vorstellen zu können, und mir daher die gnädigste Erlaubniß ausgebeten, Höchst denenselben meine unterthänigste Bitte in einem Schreiben vortragen zu dörfen; da mir diese Bitte mit Androhung des Arrests verweigert ward, meine Lage aber eine gnädigste Milderung dieses Verbots höchst nothwendig machte, so habe ich, von Verzweiflung gedrungen, den einzigen Weeg ergriffen, Eure Herzogliche Durchlaucht mit der Stimme eines Unglüklichen um gnädigstes Gehör für meine Vorstellungen anzuflehen, die meinem Fürsten und Vater gewiß nicht gleichgültig sind.« Im Folgenden wiederholt Schiller, zeilenweise fast mit den nämlichen Worten, was er zu Gunsten der Aufhebung des herzoglichen Verbotes schon in seiner Eingabe vom 1. Sept, vorgebracht hatte Siehe Schillerbiographie, Band I, S. 706-708.: daß ihm seine Schriften bisher – er übertreibt auch hier deren Ertrag – einen Jahres-Zuschuß von 500 Gulden verschafft hätten und er bei dem Wegfall dieses Hilfsmittels in seinen »oeconomischen Umständen« äußerst geschädigt und außer Stand gesetzt würde, sich die Bedürfnisse eines Studierenden zu verschaffen; sodann, daß er es seinen Talenten und dem Fürsten, der sie erweckt und gebildet, schuldig zu sein geglaubt habe, die von ihm eingeschlagene Laufbahn fortzusetzen und dadurch die Mühe seines »gnädigsten Erziehers in etwas zu belohnen«; daß er sich bisher als den ersten und einzigen Zögling des Herzogs gekannt habe, dem die Achtung der großen Welt zu teil geworden sei, und er denn auch allen Stolz und alle Kraft darauf gerichtet habe, sich hervorzutun und dasjenige Werk zu werden, das seinen fürstlichen Meister lobe. »Ich habe keine Aussichten mehr,« schreibt Schiller im Schlußstück des Briefes, »wenn Eure Herzogl. Durchlaucht mir die Gnade verwaigern solten, mit der Erlaubniß Schriftsteller seyn zu dörfen, einige mahl mit dem Zuschuß den mir das Schreiben verschaft Reisen zu thun, die mich grose Gelehrte und Welt kennen lernen, und mich civil zu tragen, welches mir die Ausübung meiner Medicin mehr erleichtert, zurükzukommen. Diese einzige Hoffnung hält mich noch in meiner schröklichen Lage. Solte sie mir fehlschlagen so wäre ich der ärmste Mensch, der verwiesen vom Herzen seines Fürsten, verbannt von den Seinigen wie ein Flüchtling umherirren muß. Aber die erhabene Großmuth meines Fürsten läßt mich das Gegentheil hoffen. Würde sich Karls Gnade herablassen mir jene Punkte zu bewilligen, welcher Unterthan wäre glüklicher als ich, wie brennend solte mein Eifer seyn Karls Erziehung vor der ganzen Welt Ehre zu machen. Ich erwarte die gnädigste Antwort mit zitternder Hoffnung, ungedultig aus einem fremden Lande zu meinem Fürsten zu meinem Vaterland zu eilen, der ich in tiefster Submission und aller Empfindung eines Sohns gegen den zürnenden Vater ersterbe – Eurer Herzoglichen Durchlaucht unterthänigsttreugehorsamster Schiller.«
Vernehmen wir in diesen brieflichen Äußerungen die unterwürfige, schmeichlerische und mit dem Begriff Vater ein eitles Spiel treibende Sprache, zu der Herzog Karl die ihm anvertraute Jugend »erzogen hatte, noch einmal, so entbehrten sie als ein letzter Nachklang dankbaren Erinnerns doch nicht gänzlich der Wahrheit. Gewiß war es zunächst ein Akt der Klugheit, daß Schiller an den Herzog begütigend schrieb; aber es war auch ein Gebot der Ehre und der Schicklichkeit, daß er sich vor seinem Fürsten und Erzieher zur Entweichung offen bekannte. Zum mindesten erfahren, erfahren können sollte der Herzog, unter welchen Umständen ein Verbleiben Schillers in Stuttgart möglich gewesen wäre. So untertänig und demütig aber der Form nach das Schreiben ist, in der Sache ist es freimütig und entschieden. Indem es den Herzog an die mit der Nichtannahme der Bittschrift vom 1. Sept, verknüpfte Drohung erinnert, macht es diesen selbst für das Rettungsmittel, das der Dichter ergriffen hat, verantwortlich. Und bestimmt genug nennt Schiller die Bedingungen, unter denen allein seine Rückkehr nach Stuttgart gedacht werden könne; er beharrt auf den beiden Hauptforderungen, denen seine Eingabe vom 1. Sept, gegolten hatte, und fügt, indem er wünscht, Zivilkleider tragen zu dürfen, noch ein Ersuchen bei, das der Herzog schon dem für den Sohn bittenden Vater abgeschlagen hatte Vgl. Schillerbiographie, Band I, S. 330. Bei diesem Sachverhalt wäre die Annahme, Schiller habe den Brief in einer Anwandlung von Reue geschrieben, sehr irrig; ja, wie sich noch deutlicher zeigen wird, nicht einmal die Auffassung, er habe sich mit ihm eine Brücke für die Rückkehr bauen wollen, wäre zutreffend.
Schiller schloß sein Schreiben einem Briefe an seinen Vorgesetzten, an den General von Augé bei. Damit hielt sich der Regimentsmedikus an den regelmäßigen Dienstweg, und vielleicht berechnete er auch, daß sich die Gläubiger, die er in Stuttgart zurückgelassen hatte, zunächst an seinen Regimentschef wenden würden und ihrem Drängen am ehesten Einhalt geschehe, wenn dieser, der ihm wohlgesinnt war, ein beruhigendes Wort sage. Der Geleitbrief ersuchte den General, sich für die im Schreiben an den Herzog vorgetragenen Bitten mit seinem ganzen Einfluß verwenden zu wollen und unter Meyers Adresse Antwort nach Mannheim gelangen zu lassen. Gleichzeitig aber schrieb Schiller auch an den Obristen v. Seeger, den er von der Militärakademie her als einen väterlichen Freund und Beschützer zu betrachten gewohnt war; ausführlich und mit ähnlichen Wendungen, wenn auch ungezwungener, als es im Brief an den Herzog geschehen war, schilderte er ihm die Ursachen seiner Flucht und seine unglückliche Lage und fügte gegen den Schluß hin die Bitte bei, der »verehrungswürdigste Herr« möge um seiner Großmut und edlen Denkungsart willen seine Hand von ihm, dem Hilflosen, nicht wenden. Ein bestimmtes Ersuchen enthielt der Brief an den Obrist v. Seeger nicht; aber bei dem lebhaften Verkehr, in welchem Seeger als Intendant der Karlsschule mit dem Herzog stand, war die Annahme, daß Serenissimus durch ihn unverzüglich ein Bild von der Situation Schillers erhalten werde, gewiß berechtigt, und in den Kreisen der Karlsschule sollte der Brief an Seeger wohl auch Aufklärung über die Flucht geben Siehe die Nachweise im Anhang Nr. 1.
Am folgenden Tag, am 25. Sept., schrieb Schiller an seine Eltern. Jetzt kam auch die Gattin Meyers, des Regisseurs, aus Stuttgart zurück; sie erzählte, daß sie schon am Vormittag des 23. Sept. von Schillers Verschwinden erfahren habe, daß in Stuttgart jedermann davon spreche und die allgemeine Vermutung sei, der Herzog werde Schiller nachsetzen lassen oder seine Auslieferung verlangen. Schiller suchte seinen Freunden und sich selbst diese Befürchtungen auszureden; aber für ratsam hielt man es doch, daß er fürs erste sich nicht öffentlich zeige, sondern auf seine Wohnung und das Meyersche Haus beschränke. Redelustiger und redemutiger als die zurückhaltenden Männer besprach mit den Jünglingen deren jetziges und zukünftiges Schicksal Frau Meyer, die auch für ihre kleinen Tagesbedürfnisse mütterlich besorgt war. Wie das Stuttgarter Publikum die Flucht Schillers beurteilte, hat Scharffenstein vermerkt: »Die Meisten«, sagt er, »sahen hierin ein Pendant zu den Räubern« »Jugenderinnerungen eines Zöglings der hohen Karlsschule in Beziehung auf Schiller«, Stuttgarter Morgenblatt 1837, Nr. 56 ff. Nach der Urschrift jetzt vollständig mitgeteilt in Julius Hartmanns Buch »Schillers Jugendfreunde«, 1904 bei Cotta. Man nahm sie als den Streich eines verwilderten Gesellen und ahnte nichts von der Selbstbefreiung des Genius.
Mit Spannung sah Schiller der Antwort des Generals von Augé entgegen; aber zwei volle Tage mußten noch vorübergehen, bis er sie (am 27. Sept.) in Händen hatte. Sie enthielt die Mitteilung, der General habe das Schreiben Schillers dem Herzog vorgelegt, habe es befürwortet und sei beauftragt, ihn wissen zu lassen: da Se. herzogliche Durchlaucht bei Anwesenheit der hohen Verwandten jetzt sehr gnädig seien, er nur zurückkommen solle. Von den Bitten und Vorstellungen, welche der Dichter dem Herzog unterbreitet hatte, sagte der Brief nicht das geringste; Schiller schrieb also unverzüglich zurück, daß er die ihm bekannt gegebene Äußerung Sr. Durchlaucht unmöglich als eine Gewährung seines Gesuches betrachten könne, daß er auf diesem Gesuche beharre und der General neue Anstrengungen machen möge, um den Herzog zur Erfüllung der Bitten zu bewegen. Im gesteigerten Gefühl der Ungewißheit seiner Lage schrieb Schiller gleichzeitig an mehrere Stuttgarter Freunde – an Jacobi, wie es scheint, und den Leutnant Miller – daß sie ihm augenblicklich Nachricht geben möchten, wenn sie von einer ihm schädlichen Veranstaltung erführen.
Schon am ersten Abend nach der Ankunft in Mannheim hatte Streicher zu Meyer von Schillers neuem, beinahe fertigem Trauerspiel »Fiesko« rühmend gesprochen; so ergab es sich von selbst, daß der Dichter um Mitteilung des Manuskriptes angegangen wurde, und Schiller, der ja auf das Mannheimer Theater seine Rechnung gestellt hatte, erklärte sich unter der Bedingung, daß die bedeutendsten Schauspieler dazu eingeladen würden, bereit, das Stück vorzulesen. Am Nachmittag des nämlichen Tages, der die Antwort des Generals v. Augé gebracht hatte, gegen vier Uhr, fanden sich der Abrede gemäß Iffland, Beil, Beck und noch andere Schauspieler in Meyers Haus ein, um fürs erste den Dichter, von dem sie eine neue außerordentliche Geistesschöpfung erwarteten, mit Ausdrücken der höchsten Verehrung zu begrüßen. Man setzte sich um einen großen runden Tisch, und Schiller begann, nachdem er eine geschichtliche Einleitung vorausgeschickt und die Personen des Stückes angeführt hatte, zu lesen. »Aber der erste Akt wurde, zwar bei größter Stille, jedoch ohne das geringste Zeichen des Beifalls abgelesen, und er war kaum zu Ende, als Herr Beil sich entfernte und die Übrigen sich von ... Tagesneuigkeiten unterhielten. Der zweite Akt wurde von Schiller weiter gelesen, ebenso aufmerksam wie der erste, aber ohne das geringste Zeichen von Lob oder Beifall angehört. Alles stand jetzt auf, weil Erfrischungen von Obst, Trauben u. s. w. herumgegeben wurden. Einer der Schauspieler, Namens Frank, schlug ein Bolzschießen vor, zu dem man auch Anstalt zu machen schien. Allein nach einer Viertelstunde hatte sich alles verlaufen, und außer den zum Haus Gehörigen war nur Iffland geblieben, der sich erst um acht Uhr Nachts entfernte« Streicher, Schillers Flucht, S. 90–91.
Erstaunt und entrüstet über die Gleichgültigkeit, ja Geringschätzung, die man dem Werke und der Person Schillers hatte widerfahren lassen, wollte sich Streicher bei Meyer eben beklagen, als ihn dieser in das Nebenzimmer zog und die seltsame Frage an ihn richtete, ob er gewiß wisse, daß es Schiller sei, der »Die Räuber« geschrieben habe. Auf Streichers Entgegnung: »Zuverlässig! wie können Sie daran zweifeln!« faßte Meyer seine Frage dahin, ob ein anderer »Die Räuber« geschrieben und Schiller dieses Stück nur unter seinem Namen herausgegeben oder ob etwa ein anderer ihm dabei geholfen habe; der Fiesko sei das Schlechteste, was er je gehört habe, und es sei unmöglich, daß derselbe Schiller, der »Die Räuber« geschrieben, der Verfasser eines so elenden, schwülstigen, unsinnigen Stückes sei. Vergebens versuchte der von diesen Äußerungen wie betäubte Streicher den Wert der Dichtung seines Freundes zu erweisen; Meyer erklärte, als ein erfahrener Schauspieler wisse er das Ganze eines Stückes schon aus einigen Szenen zu beurteilen und er beharre darauf, daß Schiller, wenn er wirklich »Die Räuber« und den »Fiesko« geschrieben, an den »Räubern« seine ganze Kraft erschöpft habe.
Man versteht es, daß die Abendstunden von den Anwesenden in der »größten Verlegenheit« hingebracht wurden. Von »Fiesko« »erwähnte niemand mehr eine Sylbe. Schiller selbst war äußerst verstimmt und nahm mit seinem Gefährten zeitlich Abschied. Bei dem Weggehen ersuchte ihn Meyer, ihm für die Nacht das Manuskript da zu lassen, indem er nur die zwei ersten Akte gehört, und doch gern wissen möchte, welchen Ausgang das Stück nehme. Schiller bewilligte diese Bitte sehr gern« Die mit Anführungszeichen versehene Stelle aus Streicher, Schillers Flucht, mit einigen kleinen Änderungen der Schreibung. Einen Satz oder Ausdruck der Streicherschen Schrift hier wörtlich zu wiederholen, ist zuweilen unvermeidlich, da sie für den laufenden Abschnitt nicht nur die wichtigste Quelle ist, sondern auch in der Regel am schlichtesten erzählt und dabei das Kolorit der Zeit hat.
Als die Freunde zu Hause ankamen, wurde lange kein Wort gesprochen. Aber endlich mußte sich Schillers Empörung Luft machen: er brach in Klagen über den Neid, die Kabalen, den Unverstand der Schauspieler aus und nahm sich vor, selbst als Schauspieler aufzutreten, wenn er in Mannheim nicht als Theaterdichter angestellt oder sein Trauerspiel abgelehnt werde; denn – so fügte er hinzu – eigentlich könne doch niemand so deklamieren wie er. Das letztere war nun freilich ein Irrtum. Aber sich gegen den Stachel der Mißachtung zu wehren und von bitterer Enttäuschung zu sprechen, dazu hatte Schiller ein gutes Recht. Denn hätte es sich auch um das Stück eines Autors gehandelt, der noch ganz ohne Namen und Verdienst war, Takt und Höflichkeit schon hätten den Schauspielern ein weniger rücksichtsloses, weniger brutales Verhalten geboten, als es dem Dichter der »Räuber« gezeigt wurde. Ihm über sein Werk gar nichts zu sagen, das war ja viel schlimmer als der lauteste Tadel. Wie gepreßt mußte seine Seele sein! Das war also der Willkomm der Leute, denen er sich in die Arme geworfen, das der Empfang in den Kreisen des Theaters, an das sich alle seine Hoffnungen geklammert hatten! Dunkelste Schatten senkten sich jetzt über seine Zukunft: fand, wie es nunmehr den Anschein hatte, sein »Fiesko« an der Mannheimer Bühne keine Stätte, so war ihm die Aussicht auf einen nahen Erwerb der allernötigsten Existenzmittel abgeschnitten, so schien die Flucht ein schon beinahe verunglücktes Unternehmen zu sein.
Indessen, so wenig vertrauenerweckend die Anfänge des Mannheimer Aufenthaltes gewesen waren, das voreilige Urteil Meyers erfuhr doch sehr rasch eine Korrektur. Denn als Streicher am andern Morgen bangen Herzens zu Meyer eilte, um zu hören, welchen Eindruck Schillers Stück beim Lesen auf ihn gemacht habe, rief ihm dieser (der nun aber von einem Extrem in das andere fiel) entgegen: »Sie haben Recht! Sie haben Recht! Fiesko ist ein Meisterstück und weit besser bearbeitet als die Räuber. Aber wissen Sie auch, was schuld daran ist, daß ich und alle Zuhörer es für das elendeste Machwerk hielten? Schillers schwäbische Aussprache und die verwünschte Art, wie er alles deklamiert. Er sagt alles in dem nämlichen, hochtrabenden Ton her, ob es heißt: er macht die Thüre zu, oder ob es eine Hauptstelle seines Helden ist. Aber jetzt muß das Stück in den Ausschuß kommen, da wollen wir es uns vorlesen und alles in Bewegung setzen, um es bald auf das Theater zu bringen.« Eiliger noch, als er gekommen war, und freudestrahlend kehrte Streicher mit seiner Botschaft zu Schiller, der eben aufgestanden war, zurück. Daß der Aussprache und der Vortragsweise des Dichters die Schuld am Mißerfolge des vorigen Abends gegeben wurde, glaubte er ihm verschweigen zu sollen, »um sein ohnehin krankes Gemüt nicht zu reizen« Streicher, S. 96. [Eine persönliche Erinnerung an Streichers mündlichen Bericht über diese Begebenheit hat H. Rollet, Neue Freie Presse 13. Febr. 1877 (30. Jahrg. Nr. 42) festgehalten]. Vielleicht aber hätte er ihm durch größere Mitteilsamkeit die Vorgänge begreiflicher gemacht und sogar einen kleinen Nutzen erwiesen; denn es blieb nicht das einzige Mal, daß der Dichter durch die Art seines Vorlesens eine ihn peinlich befremdende Wirkung hervorrief.
Auch die Antwort des Generals von Augé auf Schillers zweites Schreiben ließ nicht lange auf sich warten. Aber ihr Inhalt wiederholte lediglich, was schon die erste gesagt hatte: Schiller solle nur zurückkommen, da Se. Herzogliche Durchlaucht jetzt sehr gnädig seien. Daß die Briefe Augés von einer Erfüllung der Bitten Schillers schwiegen, wird uns mittelbar durch Reinwald, den nachmaligen Schwager des Dichters, bestätigt: der Herzog »ließ ihm«, erzählt dieser ohne weiteren Zusatz, »durch einen Dritten antworten, daß, wenn er wiederkommen würde, seine Entweichung ungerügt bleiben solle« Aus dem »Neuen Literarischen Anzeiger« v. J. 1807 abgedruckt in v. Maltzahns Ausgabe des Briefwechsels Schillers mit Christophine und Reinwald, S. 331. Wir wissen heute aber auch, daß der Herzog Schillers Schreiben vom 24. Sept. gar nicht in Empfang genommen hat. Denn Jahrzehnte nachher fand sich im Nachlaß des Obristen v. Seeger zugleich mit Schillers Brief an diesen auch das Schreiben des Dichters an den Herzog, und zwar letzteres »uneröffnet« Siehe Anhang Nr. 2. Wie das Schreiben an den Herzog, das doch nach Streichers nicht unverbürgtem Bericht einem Briefe an den General v. Augé beigeschlossen war, in den Besitz v. Seegers gelangt ist, muß dahingestellt bleiben; wenn aber Augés erste Antwort dem Dichter versicherte, daß er dessen Schreiben dem Herzog nicht nur vorgelegt, sondern auch die in ihm enthaltenen Bitten befürwortet habe, so läßt sich ja annehmen, daß der Herzog zwar (wie schon bei der Eingabe vom 1. Sept.) die Annahme des Schreibens verweigert, der General ihm aber mündlich von den Wünschen des entflohenen Regimentsmedikus, sei es nach dem Inhalt des Briefes an ihn selbst oder dem des Briefes an Seeger, einiges gesagt hatte. Die ersten Tage nach Schillers Flucht waren in Stuttgart von den Festlichkeiten noch in Anspruch genommen: am 23. Sept, war Abends Komödie, am 24. war große Jagd, wobei die ganze Akademie auf besonders errichtetem Amphitheater zusehen durfte, am 25. wurde die Oper Didone abbandonata gegeben und von den russischen Hoheiten auch die Karlsschule besucht; am 26. Sept. war Konzert, wobei wieder die ganze Akademie zugegen war. An Gelegenheit, den Herzog zu sprechen, wird es also gerade dem Intendanten der Akademie nicht gefehlt haben, und vielleicht übernahm Seeger von Augé die Aufgabe, mit dem Herzog über den entwichenen »Sohn« zu reden.
Daß der Beherrscher Württembergs Bereitwilligkeit zeige, mit einem Untergebenen, der sich ungehorsam gezeigt hatte und dienstflüchtig geworden war, über die Bedingungen der Rückkehr zu verhandeln, hatte Schiller im Ernste nicht erwarten können. Wie er im Innersten über die Lage, in der er sich nunmehr befand, dachte, hat er weder seinen Mannheimer Freunden gänzlich enthüllt, noch sprechen es die ersten Briefe aus, die er nach der Ankunft in Mannheim in die Heimat richtete. Wohl aber wirft auf alles, was in eben diesen Tagen aus seiner Feder floß, ein helles Licht der Brief, den er einige Wochen später, am 6. Nov. 1782, an seinen Stuttgarter Freund Friedrich Jacobi richtete. Diesen scheint ein früherer Brief des Dichters (den wir nicht besitzen) an Schillers Gesinnungen irre gemacht zu haben, wie denn in der schwäbischen Heimat mancher aus den ersten brieflichen Äußerungen des Flüchtlings gefolgert haben mag, daß Schiller in seinem Entschlüsse schwankend geworden oder gar zu einem » pater, peccavi« bereit sei. Solchen Deutungen seines Verhaltens tritt der Brief an Jacobi auf das rückhaltloseste und beinahe schroff entgegen. Er lautet im Eingang: »Theurer Freund, daß Deine überflüssige Zweifel in meine Gesinnungen glüklich gehoben sind, ist mir ein wahrer Gefallen. Wenn jeder, an dem mir das gelegen ist, was an Dir, ein Gleiches thut, so bin ich zufrieden, die andren mögen sie behalten. Ich dächte, Du hättest mich nicht aus meinen Briefen, sondern aus meinen Bewegungen beurtheilen sollen, die gerade das Widerspiel von den ersteren machten. Jene hatten den sehr wichtigen Zwek meine Familie zu sichern, und meinen gewaltsamen Schritt in den möglichstrechtmässigen hinüber zu drehen. Dieses Ziel scheine ich wirklich erreicht zu haben, und hiermit bleibt auch die ganze Maschinerie auf sich beruhen. Wenn ich die Einwilligung des Herzogs in meine Foderungen ohne alle Zweideutigkeit erhalten hätte, so hätte ich natürlich nicht nur zurückgehen müssen, sondern auch mit Ehre und Vortheil können, und mein ganzer Plan hätte ein neues Ansehen gewonnen.« Nebenher läßt Schiller merken, daß er besondere Ursache hatte, in seinen Mitteilungen vorsichtig zu sein; er fährt fort: »Deine Vorwürfe über mein Mistrauen in Freunde sind nicht ganz gerecht. Eine verdrüssliche Erfahrung hat mich wahre Theilnehmung von derjenigen, woran mehr Neugierde und Maul Theil haben, unterscheiden gelehrt. Überdies ist es kein grosses Wagstück sich für jemand zu interessiren, der dieses Interesse niemals auf die Probe zu stellen gesonnen ist.« Wie wenig aber Schiller mit der Möglichkeit einer Einwilligung des Herzogs gerechnet hat, läßt sein am gleichen Tage geschriebener Brief an seine Schwester Christophine erkennen; er enthält die Stelle: »Daß meine Völlige Trennung von Vaterland und Familie nunmehr entschieden ist, würde mir sehr schmerzhaft seyn, wenn ich sie nicht erwartet, und selbst befördert hätte, wenn ich sie nicht als die nothwendigste Führung des Himmels betrachten müßte, welche mich in meinem Vaterland nicht glücklich machen wollte.« Und ungefähr ein Jahr später, als Christophine, wie es zuvor der alte Schiller getan hatte, in ihn dringt, beim Herzog von Württemberg um freie Wiederkehr einzukommen, weist er ihr Ansinnen sehr entschieden zurück und findet innerhalb dieser Auseinandersetzung die Worte: »Die offene, edle Kühnheit, die ich bei meiner gewaltsamen Entfernung gezeigt habe, würde den Namen einer kindischen Übereilung, einer dummen Brutalität bekommen, wenn ich sie nicht behaupte.«
Mit der Straflosigkeit, die auch der zweite Brief v. Augés (unverbindlich genug!) in Aussicht gestellt hatte, war dem Dichter nicht geholfen, und da von einer Gewährung freier schriftstellerischer Tätigkeit, dem Hauptpunkt seiner Forderungen, auch in ihm keine Rede war, so verschmähte es Schiller, ein weiteres Schreiben an den General zu richten. Wie er die Flucht geplant hatte, weil die höhere Pflicht von ihm verlangte, die geringere zu verletzen, so nahm er jetzt auch die Folgen seines Handelns entschlossen auf sich: die Tat war getan, der Bruch war vollzogen. An die Sicherung seiner Person aber galt es nun angelegentlicher zu denken. War ein Haftbefehl bis jetzt unterblieben, vielleicht durch Schillers Briefe an seine württembergischen Vorgesetzen verzögert, so konnte sein nunmehriges Verharren in Schweigen ihn herbeiführen; wogegen man, wenn erst einige Wochen verstrichen waren, eher annehmen durste, daß seine Entweichung vergessen werde oder ungeahndet bleiben solle. So entschloß sich Schiller, dem Rate seiner Mannheimer Freunde zu folgen und eine Reise nach Frankfurt anzutreten, um dort weitere Nachrichten aus Stuttgart oder Mannheim abzuwarten; war doch der Aufenthalt in der pfälzischen Hauptstadt jetzt um so zweckloser, als der Zeitpunkt der Rückkehr Dalbergs aus Stuttgart noch immer ungewiß war. Am Theater fanden wegen Erkrankung von Schauspielern vom 18. bis 28. September keine Vorstellungen statt, und auch Ausschußsitzungen wurden längere Zeit nicht gehalten Vgl. Friedrich Walter, Archiv und Bibliothek des Hof- und Nationaltheaters in Mannheim, Band II, S. 280 und Martersteig, Die Protokolle des Mannheimer Nationaltheaters, S. 62.
Der Beginn dieser Reise wird – entgegen der herkömmlichen Annahme – auf den 30. September oder den 1. Oktober zu setzen fern Siehe Anhang Nr. 3. Schiller machte sie mit Streicher zu Fuß; denn ihre kleine von Stuttgart mitgebrachte Barschaft war bereits so zusammengeschmolzen, daß sie bei der größten Sparsamkeit kaum zwölf Tage mehr mit ihr ausreichen konnten. Zur Vorsorge schrieb Streicher noch vor der Abreise an seine Mutter, sie möge ihm eiligst dreißig Gulden auf dem Postwagen nach Frankfurt schicken, da Schiller in Mannheim nichts eingenommen habe und er »den Freund in diesen Umständen unmöglich verlassen könne«. Nur mit dem Unentbehrlichsten bepackt, verabschiedeten sich beide herzlich von Meyers. Der erste Tag brachte die Wanderer nicht weit; sie waren erst nach Tisch aufgebrochen, hatten, die Neckarbrücke überschreitend, den Weg nach Sandhofen eingeschlagen und fanden Nachtquartier in einem Dorf; vielleicht war es Lampertheim, da sie vor einbrechender Dunkelheit kaum weiter gekommen sein können. Am zweiten Tag betraten sie, in der Gegend von Bensheim, die altberühmte Bergstraße, die am Fuße des Odenwalds, am Melibokus vorüber, nach Zwingenberg und Darmstadt zieht. Im Grün ihrer tausend Kirschen- und Nußbäume, ihrer Rebenpflanzungen prangend, dörferreich und zur rechten Seite mit Burgruinen geschmückt, entzückte sie das Auge Streichers, während Schiller, der heute ganz nach innen gekehrt, in eine Traumwelt versunken war, erst durch den Freund auf jede Schönheit der Landschaft aufmerksam gemacht werden mußte. Gegen sechs Uhr Abend, nach »zwölfstündigem« Marsche, wie Streicher, wohl von Mannheim aus rechnend, angibt, wurde Darmstadt erreicht, wo ein Gasthof den Ermüdeten gutes Essen und reinliche Betten bot. Aus erquickend tiefem Schlafe aber schreckte sie zu Mitternacht Trommellärm auf: die Reveille, welche, wie sie am andern Morgen zu ihrem Erstaunen erfuhren, in Darmstadt üblich war. An diesem dritten Tag fühlte sich Schiller etwas unpäßlich; doch bestand er, schon ungeduldig auf die Briefe, die er von Mannheim aus erhalten werde, darauf, den noch sechs Stunden betragenden Weg nach Frankfurt fortzusetzen. Es war einer jener milden, sonnig-klaren Herbsttage, welche das oberrheinische Land und seine Berghänge mit einem feinen Goldglanz durchtränken. Aber die Füße spürten noch Müdigkeit, und schon nach einer Stunde machte das Bedürfnis, zu rasten, sich geltend; so erfrischten sich die Reisenden in einem Dorfe, vielleicht in Arheilgen, mit etwas Kirschwasser. Mittags wurde wieder eingekehrt, in Langen, wie es scheint, wenn man die Angaben Streichers mit einer Karte Hessens vergleicht. Hier hoffte Schiller etwas ausruhen zu können; aber das Gebaren der Leute im Wirtshaus war zu roh, der Lärm zu groß, als daß ein Verbleiben über eine halbe Stunde hinaus möglich gewesen wäre. Man setzte den Marsch, der jetzt durch einförmigere, sandige, mit Nadelholz bestandene Gegenden führte, also fort. Schillers Mattigkeit nimmt zu, sein Gesicht wird immer blässer, in einem Wäldchen angelangt, erklärt er, daß er außer Stande sei, noch weiter zu gehen; unter einem schattigen Gebüsch ins Gras gelagert, versucht er durch längeres Ausruhen Erholung zu gewinnen, während Streicher die Wache hält. Wir sehen ein ergreifendes Bild: der von ungewohnten körperlichen Anstrengungen und mehr noch durch die Aufregungen und Leiden der vorausgegangenen Wochen erschöpfte Dichterjüngling hingesunken in Schlaf, auf seinem vom Adel der Seele geformten Antlitz spielend der Kampf von Stolz und Kummer; und neben ihm, auf einem abgehauenen Baumstamm sitzend, die Züge seines Gefährten bänglich beobachtend, der treue Freund. So vergingen zwei Stunden. Plötzlich zeigte sich auf dem Fußsteig zur Linken ein Herr in blaßblauer Uniform, ein Offizier, der mit dem höflichen Anruf: »Ah! Hier ruht man sich aus!« herzutrat. Auf seine Frage: »Wer sind die Herren?« antwortete Streicher so barsch, als es dem Sanftmütigen möglich war: »Reisende.« Darüber erwachte Schiller; er »richtete sich schnell auf und maß den Fremden mit scharfem, verwunderten Blick«, worauf sich dieser, dem Anschein nach ein Frankfurter Werber, ohne ein weiteres Gespräch zu versuchen, entfernte. Schiller fühlte sich jetzt etwas besser; wenn auch anfangs langsamen Schrittes, konnte er die Reise doch fortsetzen, und als man außerhalb des Wäldchens die Auskunft erhielt, daß die Stadt nur noch eine kleine Stunde entfernt sei, belebte sich der Mut. Bald zeigte sich das altertümliche Frankfurt, und noch vor einbrechender Dämmerung betraten es die Freunde; um aber sparsam und in größerer Verborgenheit zu leben, nahmen sie ihre Wohnung in der Vorstadt Sachsenhausen, wo sie »der Mainbrücke gegenüber« mit dem Wirte des (heute niedergerissenen) alten Gasthofs »Zum Storchen« den Preis für Zimmer und tägliche Verköstigung sogleich verabredeten. Ihre seit dem Entweichen aus Stuttgart angenommenen Namen Doktor Ritter und Doktor Wolff behielten sie bei. Der Name des Wirtes war Tausent; sein damals vielbesuchtes Haus bot eine »billige, gut bürgerliche Unterkunft« Siehe Anhang Nr. 4.
Am nächsten Morgen, am 3. oder 4. Oktober also, rang Schiller seinem Stolz einen schweren Entschluß ab: er schrieb an den Baron Dalberg und bat ihn um Vorstreckung einer Geldsumme. Die Hilflosigkeit, die verzweifelte Lage, in der er sich befand, forderte eine solche Selbstdemütigung, die ja nicht fruchtlos zu sein schien, da Dalberg sehr reich war und als ein Beschützer der Wissenschaften und Künste gelten wollte; »nicht mit trockenen Augen« aber – Streicher vermerkt es nachdrücklich – führte Schiller diesmal die Feder. Wie es im Gemüt des Flüchtlings jetzt aussah, empfinden wir ganz erst nach, wenn wir uns den vollen Wortlaut des Briefes, der ein Schicksalsdokument ist, vergegenwärtigen; Schiller schrieb an den Intendanten: »Euer Excellenz werden von meinen Freunden zu Mannheim meine Lage bis zu Ihrer Ankunft, die ich leider nicht mehr abwarten konnte, erfahren haben. Sobald ich Ihnen sage, ich bin auf der Flucht, sobald habe ich mein ganzes Schiksal geschildert. Aber noch kommt das schlimste hinzu. Ich habe die nöthigen Hilfsmittel nicht, die mich in den Stand sezten, meinem Mißgeschik Troz zu bieten. Ich habe mich von Stuttgardt, meiner Sicherheit wegen, schnell, und zur Zeit des Grosfürsten losreißen müssen. Dadurch habe ich meine bisherigen ökonomischen Verhältnisse plözlich durchrissen, und nicht alle Schulden berichtigen können. Meine Hoffnung war auf meinen Aufenthalt zu Mannheim gesezt; Dort hoffte ich von Ew Exzellenz unterstüzt, durch mein Schauspiel, mich nicht nur schuldenfrei als auch überhaupt in bessere Umstände zu sezen. Diß ward durch meinen nothwendigen plözlichen Aufbruch hintertrüben. Ich ging leer hinweg, leer in Börse und Hofnung. Es könnte mich schaamroth machen, daß ich Ihnen solche Geständnisse thun muss, aber, ich weiss, es erniedrigt mich nicht. Traurig genug, daß ich auch an mir die gehässige Wahrheit bestätigt sehen muss, die jedem freien Schwaben Wachsthum und Vollendung abspricht An den mit * bezeichneten Stellen beginnt in der Urschrift des Briefes ein neuer Absatz. * Wenn meine bisherige Handlungsart, wenn alles das woraus Ewr Exzellenz meinen Karakter erkennen, Ihnen ein Zutrauen gegen meine Ehrliebe einflössen kann, so erlauben Sie mir, Sie freimütig um Unterstüzung zu bitten. So höchst nothwendig ich izt des Ertrages bedarf, den ich von meinem Fiesko erwartete, so wenig kann ich ihn vor 3 Wochen theaterfertig liefern, weil mein Herz so lange beklemmt war, weil das Gefühl meines Zustandes mich gänzlich von dichterischen Träumen zurückriss. Wenn ich ihn aber biss auf besagte Zeit nicht nur fertig, sondern, wie ich auch hoffen darf, würdig verspreche, so nehme ich mir daraus den Muth, Ewr Exzellenz um gütigsten Vorschuss des mir dadurch zufallenden Preises gehorsamst zu bitten, weil ich izt, vielleicht mehr als sonst durch mein ganzes Leben, dessen benöthigt bin. Ich hätte ohngefähr noch 200 fl. nach Stuttgardt zu bezahlen. Ich darf es Ihnen gestehen, daß mir das mehr Sorgen macht, als wie ich mich selbst durch die Welt schleppen soll. Ich habe so lange keine Ruhe, biss ich mich von der Seite gereinigt habe. Dann wird mein Reisemagazin in 8 Tagen erschöpft seyn. Noch ist es mir gänzlich unmöglich mit dem Geiste zu arbeiten. Ich habe also gegenwärtig auch in meinem Kopf keine Ressourcen. Wenn Ewr Exzellenz (da ich doch einmal alles gesagt habe) mir auch hiezu 100 fl. vorstreken würden, so wäre mir gänzlich geholfen. Entweder würden Sie dann die Gnade haben, mir den Gewinnst der ersten Vorstellung meines Fiesko mit aufgehobenem Abonnement zuzusprechen, oder mit mir über einen Preiss übereinkommen, den der Werth meines Schauspiels bestimmen würde. In beiden Fällen würde es mir ein leichtes seyn (wenn meine izige Bitte die alsdann erwachsende Summe überstiege) beim nächsten Stük das ich schreibe die ganze Rechnung zu applanieren. Ich lege diese Meinung, die nichts als inständige Bitte seyn darf, dem Gutbefinden Euer Exzellenz also vor, wie ich es meinen Kräften zutrauen kann sie zu erfüllen. Da mein gegenwärtiger Zustand aus dem bisherigen hell genug wird, so finde ich es für überflüssig, Euer Exzellenz mit einer drängenden Vormahlung meiner Noth zu quälen. Schnelle Hilfe ist alles was ich izt noch denken und wünschen kann, H. Meyer ist von mir gebeten mir den Entschluss Euer Exzellenz unter allen Umständen mitzutheilen, und Sie selbst des Geschäfts mir zu schreiben zu überheben. * Mit entschiedener Achtung nenne ich mich Eurer Exzellenz wahrsten Verehrer Frid. Schiller Siehe Anhang Nr. 5.«
Ein Brief Schillers an Meyer, dem das Schreiben an Dalberg beigelegt wurde, unterrichtete den Mannheimer Regisseur vom Schritte des Dichters und ersuchte ihn, die Antwort Dalbergs nach Frankfurt zu berichten, wo sie auf der Post abgeholt werden solle. Mit der Abfassung dieser Briefe fühlte Schiller eine Last von seinem Herzen gewälzt; er gewann einige Heiterkeit wieder, sein Gespräch wurde lebhafter, und offenen Auges sah er jetzt bei dem Gange zu der auf der Zeil gelegenen Post, wohin die Briefe zu bringen waren, das kaufmännische Gewühl der alten Handelsstadt und auf dem Heimweg, als sich der Abendhimmel in den Fluten des fränkischen Stromes spiegelte, von der Mainbrücke aus das Getriebe der ankommenden und abfahrenden, ein- und ausladenden Schiffe. Kaum aber hatte er das kurze Nachtessen eingenommen, als sich aus seinem Schweigen und seinem aufwärts gerichteten Blicke erkennen ließ, daß er sich wieder ganz seiner Einbildungskraft überlasse und in einen Zustand des Träumens versunken sei, wie ihn Streicher schon auf dem Wege von Mannheim nach Darmstadt beobachtet hatte; wie »durch einen Krampf« war er ganz und gar in sich zurückgezogen, und um so ungestörter verharrte er in dieser Stimmung, als es sein Zimmergenosse aus einer Art von »heiliger Scheu« vermied, ihn abzulenken. Am folgenden Morgen machten die Freunde abermals einen Gang durch die Stadt, diesmal in der Absicht, geschichtliche Merkwürdigkeiten zu besichtigen und auch einige Buchhandlungen zu besuchen. In einer derselben »erkundigte sich Schiller, ob das berüchtigte Schauspiel die Räuber guten Absatz finde und was das Publikum darüber urteile« Streicher, S. 109. Die Antwort des Buchhändlers lautete so günstig, daß Schiller in freudiger Erregung auf den Doktor Ritter, als den er sich vorgestellt hatte, vergaß und sich als den Verfasser der »Räuber« bekannte. Mit erstaunten Blicken maß der Sohn Merkurs den ihm für ein so wildes Genie allzusanft und freundlich aussehenden Jüngling; Schillers bekümmertem Gemüt aber war dieser Auftritt ein Labsal, wie er es nötig genug hatte. Und noch öfter wurde ihm solche Ermutigung zu teil: daß er in Frankfurt in sechs Buchhandlungen seine »Räuber« gefordert, aber überall die Antwort bekommen habe, Exemplare seien nicht mehr vorrätig, aber schon mehrmals nachbestellt worden, erzählt er selbst im bereits genannten Briefe an seinen Freund Jacobi.
Auch am dritten Tage seines Frankfurter Aufenthalts überließ sich Schiller zu Hause dichterischen Eingebungen und brachte den Nachmittag und Abend damit zu, im Zimmer auf- und niederzugehen und hin und wieder einige Zeilen aufzuschreiben; was dies alles aber zu bedeuten habe und welche Arbeit seinen Geist beschäftige und entrücke, darüber sprach er sich seinem Gefährten gegenüber nach dem Abendessen zum ersten Mal aus. Seit der Abreise von Mannheim, erklärte er ihm, gehe er mit dem Gedanken um, ein bürgerliches Trauerspiel zu dichten, da er in dieser Gattung einen Versuch machen wolle, und er sei im Plane des neuen Stückes schon soweit vorgerückt, daß die Hauptzüge hell und bestimmt vor ihm stünden. Es war das Trauerspiel » Louise Millerin« oder » Kabale und Liebe«, das in diesen Tagen die ersten Umrisse gewinnen wollte.
Der nächste Morgen trieb die Freunde zur Post, wo sie, jedoch vergeblich, nach eingelaufenen Briefen fragten, und das nämliche wiederholte sich am Nachmittag; doch bemühten sie sich das längere Ausbleiben einer Nachricht als ein gutes Zeichen zu deuten, da eine Geld- oder Wechselsendung mehr Zeit beanspruchen werde als ein einfacher Brief. So gab sich denn Schiller am Abend wieder seinen dichterischen Phantasien hin.
Aber der folgende Tag – der 6. oder 7. Oktober – machte den Hoffnungen beider ein grausames Ende. Schon die neunte Tagesstunde fand sie an der Post, wo ihnen denn auch wirklich ein an Dr. Ritter adressiertes Paket ausgehändigt wurde. Kaum an ihre Wohnungstüre gelangt, erbrach es Schiller. Es enthielt mehrere Briefe seiner Stuttgarter Freunde und auch einen Brief Meyers. Jene wurden zuerst und gemeinschaftlich gelesen; sie erzählten vom Aufsehen, das Schillers Verschwinden gemacht habe, und rieten, ohne daß sie von einer feindseligen Maßregel Herzog Karls etwas zu melden wußten, zu vorsichtigem Sichverborgenhalten. Den Brief Meyers, der sie aller dieser Sorgen überheben zu können schien, las Schiller »für sich allein und blickte dann gedankenvoll durch das Fenster, das die Aussicht auf die Mainbrücke hatte. Er sprach lange kein Wort, und nur aus seinen verdüsterten Augen, aus seiner veränderten Gesichtsfarbe ließ sich schließen, daß Meyer nichts Erfreuliches gemeldet habe. Nur nach und nach erfuhr Streicher den Inhalt des Briefes: daß Baron Dalberg keinen Vorschuß leiste, weil der Fiesko in seiner dermaligen Gestalt für das Theater nicht brauchbar sei, und daß die Umarbeitung erst geschehen sein müsse, bevor sich der Intendant weiter erklären könne« Nach Streicher, S. 112–113, mit kleinen stilistischen Abänderungen.
Diese Eröffnung war für Schiller ein um so härterer Schlag, als er bei der Teilnahme, die ihm Dalberg zuvor bezeigt hatte, auf eine Erfüllung seiner Bitten hatte hoffen dürfen; nun sah er sich nicht nur schmerzlich enttäuscht, sondern erkannte auch, von Beschämung gepeinigt, daß er sein Unglück und seine Armut unnützer Weise einem Fremden enthüllt habe. Dennoch kam keine Klage, kein Vorwurf über seine Lippen; er erwog nur, was zu Gunsten seines »Fiesko« noch geschehen könne und was fürs erste zu tun sei. In den Druck gegeben, konnte das Stück einige Einnahme abwerfen; es war aber auch die Hoffnung nicht abgeschnitten, daß es zur Aufführung angenommen werde, wenn es nach Dalbergs Sinn abgeändert sei, und so beschloß Schiller zum Zweck der Umarbeitung seines »Fiesko« in die Gegend von Mannheim überzusiedeln, wo es billiger zu leben war als in Frankfurt und für den Fall eintretender äußerster Not die Nähe Schwans und Meyers einige Hilfe zu bieten schien. Ein unverzüglicher Aufbruch war jedoch unmöglich, da die Barschaft der Freunde bereits auf die Neige ging und die von Streichers Mutter erbetene Geldsumme noch nicht angelangt war. Um sich, falls diese noch länger ausbliebe, gegen Mangel zu schützen, versuchte Schiller ein längeres Gedicht, das er mit sich führte, an einen Frankfurter Buchhändler Nach Vermutung der mit Frankfurts Ortsgeschichte bestens vertrauten Elisab. Mentzel (Jahrb. des Fr. D. Hochstifts 1905, S. 177) war es der Buchhändler Joh. Georg Fleischer in der Buchgasse. Zu verkaufen. Es hatte den Titel »Teufel Amor«. Der Handel zerschlug sich indessen, da der Dichter 25 Gulden verlangte, während der Buchhändler nur 18 Gulden geben wollte; mißmutig kehrte Schiller nach Hause zurück. Er war in der Welt noch viel zu wenig umgetrieben, um zu bedenken, daß ein magerer Vogel »Hab' ich« besser ist als ein fetter Vogel »Hätt' ich«; er schätzte aber auch den Wert seines Gedichtes nicht gering und war mit ihm zufriedener als mit den meisten seiner bisherigen Arbeiten. Wiederholt hatte er es seinem musikalischen Freunde vorgelesen, und dieser, der freilich dem Dichter gegenüber mehr Enthusiast als Kenner und Kritiker war, rühmte es hoch. Das Gedicht, aus dem sich Streicher bei Abfassung seines Berichtes nur noch der zwei Zeilen
»Süßer Amor verweile
Im melodischen Flug«
erinnerte, ist verloren, und wir haben nichts als die Vermutung, daß es satirisch oder humoristisch den bestrickenden Liebesgott als bösen Geist, als verderblichen Schalk schildern wollte und daß es im Bestreben nach einem graziösen Ton vielleicht der in der »Anthologie« veröffentlichten Hymne »Der Triumf der Liebe« verwandt war. Möglicherweise Düntzer im Archiv f. Litteraturgeschichte VII, 379 ff. Minor I, 455 erinnert an Wielands »Verklagten Amor«. entlehnte Schiller den Titel dem Cazotte'schen Märchen, ›Le diable amoureux‹, aus dem Reichards »Bibliothek der Romane« unter der Aufschrift »Teufel Amor« ein Stück übersetzt hatte.
So sparsam und eingeschränkt die Lebensweise der Flüchtlinge gewesen war – nur zwölf Gulden habe er während seines ganzen Aufenthaltes in Frankfurt gebraucht, schrieb Schiller bald nachher an Friedrich Jacobi –, ihre Börse barg jetzt nur noch Scheidemünze, und dumpfe Sorge bemächtigte sich ihrer. Schiller selbst hat später erzählt, daß er damals »sehr düstere Augenblicke« auf der Sachsenhäuser Brücke zugebracht habe Karoline v. Wolzogen, Schillers Leben, Stuttgart und Tübingen 1830, S. 58. Dem Unglücklichen, der auf das Rinnen der Wasserwellen hinunterstarrt, werden sie leicht zu einem befangenden, lockenden Bilde: so wälzt sich in gleichgültigem Spiele die Welle, so verrinnt in das Nichts mit dem schwindenden Leben das Leid Siehe die Nachweise des Anhangs Nr. 6. Es war das Gefühl der Verlassenheit und Hilflosigkeit, das der hundertfältige Anblick kaufmännischen Reichtums und in Überfluß lebender, genußfroher, an fremder Not achtlos vorübergehender Menschen in Schillers Seele zu schmerzlichster Schärfe steigerte. Und doch sollte dem Dichter eine Aufrichtung auch jetzt nicht fehlen. Denn »als er traurig durch die Straßen wandelte« Karol. v. Wolzogen, Schs. L., S. 59. Vgl. Charlotte v. Schillers Aufsatz »Schillers Leben bis 1787« und Charlottens Brief an die Prinzessin Karoline Luise von Sachsen-Weimar in »Charlotte v. Schiller und ihre Freunde« I, S. 92-93 und S. 540. Karoline v. Wolzogen benützt die Schilderung ihrer Schwester. und ihn sein Weg in einen Buchladen führte, mit dessen Besitzer er schon einige Beziehungen angeknüpft hatte, hörte er plötzlich eine fremde Stimme nach seinen »Räubern« fragen und vernahm aus dem sich entspinnenden Gespräch, »wie sehr die ersten Klänge seiner Muse die Welt in Bewegung gebracht und wie viel man von seinem Genius erwarte«.
Für die Mittellosigkeit, in die sich Schiller während der Frankfurter Tage versetzt sah, muß neben der Rolle, die Dalberg zu spielen liebte, auch die noch im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts bestehende Mangelhaftigkeit eines rechtlichen Schutzes der geistigen Arbeit verantwortlich gemacht werden: wären den Dichtern von der Aufführung ihrer Werke Tantiemen gesichert gewesen, hätten die Theater zu Leipzig oder zu Hamburg, wo »Die Räuber« am 25. und am 27. Sept. 1782 wiederholt worden waren, nur einen Teil ihrer Einnahme an deren Urheber abgegeben, so hätte Schiller in den ersten Wochen nach der Flucht weit sorgenloser in die Welt blicken können. Aber gerade zum Schaden der dramatischen Schriftsteller war im damaligen Zeitbewußtsein der Begriff des geistigen Eigentums nur aufs dürftigste entwickelt; wenn auch für den Druck eines neuen Stückes Honorar gezahlt wurde und es dem Dichter unbenommen blieb, ein noch ungedrucktes Stück in Abschriften an einzelne Theater zu verkaufen, so war doch der Druck dem Nachdruck preisgegeben, und daß ein im Buchhandel veröffentlichtes Werk von den Theatern ohne jede Entschädigung des Autors aufgeführt werden dürfe, schien selbstverständlich. Dennoch wäre Schillers Lage jetzt schwerlich so verzweifelt geworden, wenn nicht das Theater Dalbergs wie durch einen Zauber sein Sinnen und Hoffen gefangen gehalten hätte. Vom 3. Sept, bis zum 26. Oktober 1782 spielte in Frankfurt im Neuen Komödienhause die Kur-Kölnische Schauspielergesellschaft, deren Direktor Wilhelm Großmann war, ein Mann, der in der Frankfurter Gesellschaft großes Ansehen genoß und auch zur Mutter Goethes in herzlichem Freundschaftsverhältnis stand. Es ist zweifellos, daß Schiller bei ihm mit dem Manuskript des »Fiesko« zehnmal mehr guten Willen und auch mehr Verständnis gefunden hätte als bei Dalberg; beeilte sich doch Großmann, sobald der »Fiesko« im Druck erschienen war, die Aufführung des Stückes am kurfürstlichen Theater zu Bonn zu Stande zu bringen, wo es denn auch am 20. Juli 1783, noch früher als in Mannheim, über die Bretter ging, nachdem »Die Räuber« am 19. März in Bonn gegeben worden waren. Und zwar führte Großmann den »Fiesko« damals in der Fassung des Druckes auf, in eben der Gestalt also, welche Dalberg als unbrauchbar verworfen hatte. Auch für »Kabale und Liebe« zeigte nachmals Großmann soviel Eifer, daß seine Aufführung dieses Trauerspiels in Frankfurt der zu Mannheim noch zuvorkam. Hätte Schiller jetzt, nachdem er in Sachsenhausen den ablehnenden Bescheid Dalbergs erhalten hatte, das Manuskript seines »Fiesko« aus Mannheim zurückgezogen und der Bühne Großmanns angeboten, so hätte sich dieser die Gelegenheit, den Mannheimer Intendanten sofort zu überflügeln, kaum entgehen lassen. Es scheint aber nicht, daß Schiller, während er mit Streicher in Frankfurt weilte, dem dortigen Theater Aufmerksamkeit geschenkt hat. Um eine Vorstellung zu besuchen, war die Kassa der beiden wohl zu dürftig, und persönliche Beziehungen zu den Schauspielern suchte Schiller schon darum nicht, weil er als Flüchtling inkognito zu leben wünschte. Dabei bleibt es immer merkwürdig, wie gerade in Frankfurt das Schicksal seinem dramatischen Ringen dunkle und freundliche Lose mischen wollte, in welcher zeitlichen Nähe es nach Demütigungen Triumphe für ihn bereit hielt. Denn nur fünf Wochen später, am 19. Nov. 1782, eröffnete der Schauspieldirektor Johannes Böhm seine Vorstellungen im Neuen Komödienhaus zu Frankfurt mit den »Räubern«, nachdem er einige Tage zuvor dieses Stück schon in Mainz, der zweiten Stadt Süddeutschlands, die das Erstlingswerk Schillers auf der Bühne sah, in der zum Theater eingerichteten Reitbahn auf der mittleren Bleiche gegeben hatte. Die Ankündigung Böhms im »Frankfurter Staats-Ristretto« bemerkte hiezu, daß das Trauerspiel von dem »berühmten Friedrich Schiller« sei; ein noch reicheres Maß von Ehre aber gönnte dem Dichter das zur Wiederholung der »Räuber« am 30. Januar 1783 in den Frankfurter Zeitungen zwei Tage zuvor gedruckte »Avertissement« Böhms: »Das heutige, im Geschmack des berühmten englischen Dichters Shakespears geschriebene Trauerspiel«, hieß es in dieser die Räuberkritik des Erfurters Timme mitverwertenden Anpreisung, »verdient nach Aussage aller Kenner neben Hamlet, Makbeth, Lear etc. seinen Platz. Die erhabensten Ausdrücke, die grauenvollsten Situationen, die außerordentlich gezeichneten Charaktere zeigen aller Orten das feurige Genie eines jungen Dichters, der einst der deutschen Bühne Meisterstücke liefern, und ihr das seyn wird, was Shakespeare der Englischen war.« Ob Schiller von der in Aussicht stehenden Aufführung seiner »Räuber« in Frankfurt während seines Verweilens dortselbst gar nichts hörte? Böhm spielte mit seiner Gesellschaft zwar damals noch in Mainz und kam erst während des Novembers und Dezembers wöchentlich einmal herüber, um in Frankfurt eine Vorstellung zu geben; aber da er sich bewußt war, daß er mit den »Räubern« dem Frankfurter Theaterpublikum etwas ganz Außerordentliches biete, er auch für seine Theaterunternehmungen die Öffentlichkeit zu interessieren verstand, so möchte man es für wahrscheinlich halten, daß er von der beabsichtigten Aufführung, noch bevor seine Truppe nach Frankfurt kam, einiges verlauten ließ. Wie dem aber auch sei, für Schiller war noch immer Mannheim der Stern, auf den allein seine Blicke gerichtet waren Vgl. zu diesem Absatz die für die Geschichte des deutschen Theaters und die Schicksale der Schillerschen Dichtung reiche Aufschlüsse bietende Studie Elisabeth Mentzels »Schillers Jugenddramen zum ersten Male auf der Frankfurter Bühne« im »Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst«, III. Folge, 3. und 4. Band.
Die Ankunft der dreißig Gulden, welche Streicher von seiner Mutter erbeten hatte, erlöste endlich die Flüchtlinge aus einem Hinwarten in Untätigkeit, Angst und Not. Schiller schrieb noch am nämlichen Abend an den Regisseur Meyer, daß er am nächsten Vormittag nach Mainz abgehen und am folgenden Abend in Worms eintreffen werde, woselbst er auf der Post eine Nachricht von Meyer erwarte, um ihn zu sprechen und von ihm zu erfahren, an welchem Ort er sein Trauerspiel ungestört umarbeiten könne. Streicher, der sich noch vor wenigen Tagen der Hoffnung hingegeben hatte, von Frankfurt nach Hamburg reisen und dort bei Bach seine musikalischen Studien beginnen zu können, opferte jetzt »ohne das geringste Bedenken« diesen Plan: sein treues Herz brachte es nicht über sich, den Freund, dessen nächste Zukunft so unsicher geworden war, allein zu lassen. So bestiegen beide am nächsten Morgen – am 10. Oktober, wie es scheint – das täglich fahrende Marktschiff, das sie Nachmittags nach Mainz brachte. Noch vor Abends besichtigten sie den Dom und die Stadt. Das Vergnügen, von sich reden zu hören, während er seinen wahren Namen verbarg, erlebte Schiller auch hier: im Gasthof sprachen in einem Zimmer, das an das seinige anstieß, weibliche Stimmen vom Verfasser der »Räuber«, und unerkannt trank er mit den Schönen, die »brennend« gewünscht hatten, ihn zu sehen, den Kaffee Siehe Schillers Brief an Jacobi vom 6. Nov. 1782. Die Fortsetzung der Reise geschah zu Fuß. Von der ersten Morgensonne beleuchtet, bot nächst der Favorite der Zusammenfluß von Rhein und Main ein herrliches Schauspiel, wobei die Reisenden die Bemerkung machten, daß gemäß »echt deutschem Eigensinn« beide Gewässer ihre Abneigung zur Vereinigung kundgaben, indem sich die gelbliche Flut des Mains neben der grünlichen des Rheinstroms noch auf eine Strecke hin scharf abgeschnitten erhielt. Der bis Worms zurückzulegende Weg betrug neun Stunden. Noch am Vormittag erreichten die Wanderer Nierstein, wo sie eine Rast zu machen beschlossen, zumal da die Versuchung, den gepriesenen Niersteiner einmal zu kosten, zu mächtig war. Um einen »kleinen Thaler« und nicht ohne daß sie noch Bitten aufwenden mußten, erhielten sie in einem nächst dem Rhein gelegenen Wirtshaus einen Schoppen des besten alten Weines, der im Keller lag. Sie waren beide keine Kenner edler Weine, und anfangs schien es ihnen, daß der teure Tropfen stark überschätzt werde; als sie aber wieder im Freien waren und die anregende, den Mut beflügelnde Wirkung des Weines spürten, rühmten sie ihn als einen Herzenströster. Freilich dauerte dieser angenehme Zustand nur ein paar Stunden. Schiller hatte schon auf dem Wege über Darmstadt nach Frankfurt die gewiß richtige Bemerkung zu machen geglaubt, daß das Gehen seiner Gesundheit »ungemein zuträglich« se Siehe Schillers Brief an Jacobi vom 6. Nov. 1782.; er war aber kein geübter, kein guter Fußgänger, und gerade der in Nierstein gekostete Wein mag bei ihm das Eintreten einer Abspannung herbeigeführt haben. Schon gegen die Mitte des Nachmittags fühlte er sich in solchem Grade ermüdet, daß er das Gehen nicht fortsetzen konnte; man mußte sich, da doch Eile sehr nötig war, entschließen, eine Wegstrecke zu fahren, und nur so wurde es möglich, um neun Uhr Nachts Worms zu erreichen.
Am andern Morgen – es wird der 12. Oktober gewesen sein Siehe die Nachweise, Nr. 7. – fand Schiller auf der Post den erwarteten Brief Meyers, der ihn auf den Nachmittag nach dem von Worms noch drei Gehstunden entfernten Oggersheim und zwar in das Gasthaus »Zum Viehhof« bestellte. Als Schiller und Streicher zur bestimmten Zeit dort eintrafen, fanden sie Meyer und seine Frau schon zugegen. Auch zwei »Verehrer« des Dichters waren mitgekommen, vermutlich der Musiker Cranz und der Baß-Sänger Georg Gern; ersterer, den damals der Herzog von Weimar in Mannheim im Violinspiel und in der Komposition ausbilden ließ, war bei Meyer Kostgänger, Gern verkehrte im Meyerschen Hause als täglicher Gast.
Während sich Meyer Mühe gab, dem Dichter in schonender Weise auseinanderzusetzen, daß Dalberg einen Vorschuß auf den »Fiesko« nicht habe geben können, daß aber das Stück unzweifelhaft angenommen werde, sobald es um einige Szenen gekürzt und der fünfte Akt ganz beendigt sei, bewahrte Schiller die edle Selbstbeherrschung, die er schon zuvor gezeigt hatte; er verriet mit keinem Wort eine Empfindlichkeit wegen getäuschten Vertrauens oder vereitelter Hoffnungen und enthielt sich auch jeder Kritik der Ansichten Dalbergs. Wohl aber lenkte er das Gespräch auf die Frage, an welchem Ort er für einige Wochen Aufenthalt nehmen könne, um ruhig und ungefährdet eine Umarbeitung des »Fiesko« zu Stande zu bringen. Man kam überein, daß sich dafür Oggersheim am besten empfehle, da dieser Ort von Mannheim nur eine Stunde entfernt sei, Schiller, so oft er es für nötig finde, des Abends in die Stadt kommen könne, er auch, wenn ihm etwas Widriges zustoße, an den Mannheimer Freunden und Bekannten einige Stütze habe. Frau Meyer hatte für Schiller Briefe aus Stuttgart mitgebracht, die von einer noch immer bestehenden Gefahr der Auslieferung sprachen; so schien es die Vorsicht zu fordern, den Namen Ritter, unter welchem Schiller bis jetzt gereist war, in Doktor Schmidt zu verwandeln. Der tägliche Betrag für Wohnung und Kost wurde mit dem Wirte des »Viehhofs« sogleich verabredet, und Madame Meyer versprach, die in Mannheim zurückgebliebenen Koffer der Reisenden nebst dem Klavier nach Oggersheim bringen zu lassen. Mit dem Eintritt des Abends brachen die Mannheimer auf, und Schiller und Streicher begaben sich auf das ihnen angewiesene Zimmer. Der Umstand, daß sie nur ein einziges Bett hatten, zeigt in einer das Mitleid erweckenden Weise, wie armselig die Unterkunft war, die sie sich bei der Dürftigkeit ihrer Kasse gefallen lassen mußten.
Das Städtchen Oggersheim, heute zur bayrischen Rheinpfalz gehörig, zuvor kurpfälzischer Besitz, liegt in der oberrheinischen Tiefebene an der Kreuzung zweier Straßen, deren eine von Norden, von Worms und Frankenthal, kommend nach Mutterstadt und Speyer zieht, während die andere, westöstlich gerichtete, von Dürkheim kommt und nach Mannheim sich fortsetzt; beide Straßen dienten ehedem einem großen Reiseverkehr. Die Gegend ist weithin flach und einförmig, meist Acker- und Wiesenland, doch sieht man im Westen den langen Zug des pfälzischen Haardtgebirges und in der Ferne den Donnersberg, und im Osten tauchen am Horizont rechtsrheinische Bergzüge auf. Zur Zeit, als Schiller in Oggersheim seinen Aufenthalt nahm, zählte es 900 Einwohner. Reizlos und nüchtern wie die nächste Umgebung des Ortes sind auch mit wenigen Ausnahmen seine Häuser; nur das mit altem Wappen gezierte Stadthaus und die im Jahr 1775 im Zopfstil erbaute, ein großes Portal und zwei gekuppelte Türme zeigende Loretokirche fesseln etwa den Blick. Zu Schillers Zeit war das besser: damals stand noch das Schlößchen, das die Kurfürstin Elisabetha Dorothea, die Gemahlin Karl Theodors, zu ihrer Sommerresidenz erwählt hatte. Heute nimmt seine Stelle eine Fabrik ein, und von der Orangerie, die die Kurfürstin hatte anlegen lassen, sind nur ein paar Mauerreste noch übrig. Auch die nach Mannheim und nach Frankenthal führenden Pappelalleen, von denen Streicher spricht, sind nicht mehr vorhanden. Verfolgt man vom dreieckigen Marktplatz aus die jetzt nach dem Dichter benannte ehemalige Speyerergasse, so stößt man zur Rechten nahe dem alten Stadtgraben am Ende des Ortes auf den »Viehhof«, ein einstöckiges, graugelbes Haus mit rundlichem Torbogen und hohem, schwarzem Schieferdach. Es dient jetzt nicht mehr als Wirtschaft. Die zwei Eckfenster links über dem Torbogen, von denen aus man gegen S.W., gegen die zur Loretokirche führende Kapellengasse blickt, gehören zu dem Zimmer, das Schiller und Streicher bewohnten. Der Wirt, der sie beherbergte, hieß Schick Siehe Anhang Nr. 8.
Daß die kleine Geldsumme, die den Freunden zur Verfügung stand, binnen drei Wochen aufgebraucht sein müsse, ließ sich zum voraus berechnen; ein auf das Praktische gerichteter Sinn hätte also diese Frist für den Erwerb neuer Unterhaltsmittel, wie sie die Umarbeitung des »Fiesko« zu versprechen schien, ausgenützt. Aber Schiller überließ sich während der ersten Woche seines Oggersheimer Aufenthaltes ausschließlich dem Nachsinnen über das neue Trauerspiel, das ihn schon in Frankfurt gefesselt hatte; »die Hauptmomente« desselben »standen« schon »hell und bestimmt vor seinem Geiste«, noch am Abend des Ankunftstages begann er den Plan aufzuzeichnen Streicher, S. 110 und 119 f., und so eifrig war er mit dem Niederschreiben der entworfenen Szenen seiner »Luise Millerin« beschäftigt, daß er acht Tage hindurch nur auf Minuten aus seinem Zimmer kam. Die schöpferische Erregung der Phantasie, in der er sich befand, war zu stark, als daß nüchterner Verstand oder Wille sie zurückzudämmen vermocht hätte. Die Aussicht auf eine baldige Verbesserung der ökonomischen Lage des Dichters schwand dabei freilich; wer aber von dem ungeheuren Eigensinn, mit dem sich, unter Aufopferung schönster äußerer Vorteile, ein solches geistiges Zeugen, gelte es einem Kunstwerk oder einem großen wissenschaftlichen Gedanken, durchsetzt, keinen Begriff hätte, dem wäre geniale Begabung etwas Fremdes. Es kam auch ohne Zweifel der einheitlichen Durchbildung des Werkes und der Erfüllung desselben mit einem Feuerstrom zu statten, daß Schiller ihm jetzt seine ganze Seele hingab und von den Stunden, die ihm die Muse schenkte, keine wegwarf. Ihn in dieser geistigen Erregung zu erhalten oder den Bilderzug, den seine Phantasie schuf, rascher fluten zu machen, diente zeitweise auch das Klavierspiel seines Freundes. Daß Schiller durch das »Anhören trauriger oder lebhafter Musik außer sich selbst versetzt wurde und daß es nichts weniger als viele Kunst erforderte, durch passendes Spiel auf dem Klavier alle Affekte in ihm aufzureizen«, hatte Streicher schon in Stuttgart beobachtet; jetzt geschah es häufig, daß Schiller schon während des Mittagessens die Frage an ihn richtete: »Werden Sie nicht heute Abend wieder Klavier spielen?« Trat dann die Dämmerung ein, so wurde sein Wunsch erfüllt, während er im Zimmer, das oft nur vom Mondlicht beleuchtet war, stundenlang auf und ab ging, hin und wieder in unverständliche Laute der Begeisterung ausbrechend Vgl. Streicher, S. 121. Bei dieser Konzentriertheit des dichterischen Schaffens aber verlor Schiller das Theater, das seine Gesichte verkörpern sollte, doch nicht aus den Augen; vielmehr war es sein Vorsatz, die Charaktere des Stückes auch den Schauspielern der Mannheimer Bühne so anzupassen, daß sie in ihnen ihr gewöhnliches Rollenfach und wirklichkeitsgetreu auch sich selbst zu spielen vermöchten. So ergötzte er sich schon im voraus daran, »wie Herr Beil den Musikus Miller so recht naiv-drollig darstellen werde«. Dieser kleine Zug läßt den Theatersinn, der in Schillers ursprünglicher Begabung lag, erkennen.
In den Oktober und den Anfang des November 1782 fallen mehrere Briefe Schillers, die eine falsche Ortsangabe mit dem Datum verbinden: aus Leipzig statt aus Oggersheim ist unter dem 18. Oktober ein Brief an Christophine datiert, und ein F. als Ortsbezeichnung ist dem Brief vom 6. Nov. an Jacobi, ein E. dem gleichzeitigen an Christophine vorangesetzt. Der Grund dieses Verfahrens liegt auf der Hand: Schiller wollte in Stuttgart nicht bekannt werden lassen, wo er sich aufhalte, wollte über seine Spur irreführen. Er wollte auch das Schicksal seiner Familie, seines Vaters von dem seinigen trennen; wenn dieser von den Plänen des Sohnes nicht in Kenntnis gesetzt war, schien er für seine Person dem Herzog gegenüber entlastet zu sein. Die Briefe sollten, falls man in Stuttgart dem Dichter nachforsche, vorgezeigt werden können; unter diesem Gesichtspunkt waren sie abgefaßt. Am 6. Nov. schreibt Schiller an Jacobi, seine Reise verändere seinen Aufenthalt immer, so daß er keine Adresse angeben könne; gegenwärtig sei er auf dem Wege nach Berlin, wohin er von Schwan ein Empfehlungsschreiben an Nicolai habe, und vielleicht gehe er von Berlin nach Petersburg. Mannheim sei »schlechterdings keine Sphäre« für ihn, es sei zu klein, um ihn als Mediziner zu fördern, und zu unfruchtbar, um ihn als Schriftsteller aufkommen zu lassen. »Beim Theater Dienste zu nehmen ist nicht nur unter meinem Plan, sondern auch wirklich schweer, weil es sehr erschöpft ist, verarmt und sinkt.« So von seinen Mannheimer Aussichten zu reden, entsprach am 6. Nov. noch nicht seiner wahren Meinung. Ungefähr das nämliche aber schreibt er am gleichen Tag an Christophine, setzt auch bei, eine tiefere Bekanntschaft mit seinen Mannheimer Freunden habe ihn für deren Unterstützung zu stolz gemacht. Die Antwort freilich bittet er ihm »wie bisher über Mannheim« zu schicken, wie er auch von Jacobi Briefe unter Mannheimer Adresse wünscht. Im Ernste kann Schiller in jenen Wochen an eine Reise nach Berlin schon wegen des Fehlens der Geldmittel nicht gedacht haben, wenn es auch möglich ist, daß ihm Schwan gelegentlich Empfehlungen zugesagt hatte. Aber Schiller trieb sein Versteckspiel so weit, im Briefe an seinen Freund Jacobi der Nachricht, daß er gegenwärtig auf dem Wege nach Berlin sei, die Worte folgen zu lassen: »Gelegentlich bitte ich dich in diese Nachricht weniger Mistrauen als in die vorige« (in einem früheren Brief gemachte) »Mittheilung zu sezen. Ich gestehe Dir Jene war Politik, weil ich weniger sicher war meinen Aufenthalt anzugeben als vielleicht izt. Die wirkliche« (d. h. die jetzige) »Nachricht ist ächt.« Man muß gestehen, daß diese Mystifikation, wenn auch als Mittel zur Selbsterhaltung entschuldbar, doch fast über die Grenze des Erlaubten ging, und verwunderlich ist es nicht, daß Schiller in jenen Wochen von Freunden Briefe erhielt, die ihm Mißtrauen zum Vorwurf machten. Es scheint aber, daß Schiller gerade um Anfang November verstärkten Anlaß hatte, auf seiner Hut zu sein. Der Brief, den er am 18. Okt. an Christophine schrieb, hat die Nachschrift: »Gestern kam an mich gegenwärtige Ordre des Herzogs.« Jonas Schillers Briefe, Kritische Gesamtausgabe I, S. 469. vermutet, diese Ordre werde die Entsetzung des Deserteurs vom Amte enthalten haben. Sie enthielt aber wohl eine letzte Aufforderung zur Rückkehr, vielleicht unter Androhung von Strafe. Denn erst am 31. Oktober 1782 wurde der Regimentsmedikus Schiller in der Liste des Grenadier-Regiments v. Augé mit der Bezeichnung »ausgewichen« in Abgang gebracht Erwähnt bei v. Stadlinger, Geschichte des Württembergischen Kriegswesens, S. 661, Anm. Auch in Petersens nachgelassenen, dem Cotta'schen Archiv gehörigen Papieren findet sich ein Zettel mit dem Vermerk, » ultimo Octobr 1782« sei Schiller als »ausgewichen« beim Augé'schen Regiment »in Abgang« gekommen. Noch am 19. Oktober hatte der Herzog zu der Bewerbung des Prosektors Morstatt um die Regimentsmedikusstelle den Randerlaß schreiben lassen: »Da Herzogliche Durchlaucht die Stelle des entwichenen Regimentsmedici Schillers noch nicht ersetzen wollen«, woraus Rud. Krauß (Franks. Zeitung Nr. 312, Abendbl. vom 10. Nov. 1909) den Schluß zieht, der Herzog habe damals noch mit der Möglichkeit der Rückkehr gerechnet und für diesen Fall Schillers Stelle offen lassen wollen. Vgl. unten S. 86 f. Eine Mitteilung über diesen Vorgang wird ohne Zweifel an Schiller gelangt sein, und zwar geschah es, wie es scheint durch einen Brief Christophinens, den der Dichter am 5. Nov. erhielt. Schillers Antwort beginnt mit den Zeilen: »Gestern Abend erhalte ich Deinen lieben Brief und eile, Dich aus Deinen und unserer besten Eltern Besorgnissen über mein Schiksal zu reissen. Datz meine völlige Trennung von Vaterland und Familie nunmehr entschieden ist, würde mir sehr schmerzhaft seyn, wenn ich sie nicht erwartet, und selbst befördert hätte.« Dieses »völlige Trennung ... nunmehr entschieden« erklärt sich erst durch das Ausstreichen des Regimentsmedikus aus der Liste der Augé'schen Grenadiere. Mit dieser Verfügung hatte der Herzog das Band des militärischen Dienstverhältnisses, in welchem Schiller zu ihm gestanden war, zerschnitten, hatte ihn aber auch als einen »Ausgewichenen«, einen Deserteur erklärt; daß es mit der »gnädigen« Gesinnung Sr. Durchlaucht, deren noch der General v. Augé den nach Mannheim Geflüchteten versichert hatte, jetzt gründlich zu Ende sei, hatte Schiller nun schwarz auf weiß, und eine gesteigerte Besorgnis, daß der Herzog nach dem »Ausgewichenen« schonungslos fahnden lassen werde, mußte sich seiner bemächtigen.
Die Briefe des Dichters, von denen hier die Rede ist, wollen noch über andere Dinge als über seinen Aufenthaltsort täuschen. Wenn Schiller (am 18. Okt.) an Christophine schreibt: »Ich habe schon einen artigen Strich durch die Welt gemacht, Du sollst mich kaum noch kennen, Schwesterchen. Meine Umstände sind gut. Frei bin ich und gesund wie der Fisch im Wasser ... Auch geht mir nichts ab; meine Schulden bezahl ich sobald sie verfallen sind und sobald meine Affaire mit d. H[erzog] entschieden ist«, oder wenn er ihr im Brief vom 6. Nov. versichert, er habe bis jetzt nicht das Geringste entbehren müssen, was er in Stuttgart gewohnt gewesen sei, er könne auch zur Zukunft Vertrauen haben, da man ihm seine Arbeiten gut bezahle und er fleißig sei, so erhalten wir auch hier ein Bild, das mit der Wahrheit in grellem Widerspruch stand, und manches Wort sieht sich wie eine leichtfertige Äußerung an. Zuweilen scheint sich Renommisterei einzumischen, z. B. wenn Schiller fortfährt: »Sobald ich in Berlin bin, kann ich in der ersten Woche auf festes Einkommen rechnen, weil ich vollgültig Empfehlungen an Nicolai habe, der dort gleichsam der Souverain der Litteratur ist, aber Leute von Kopf sorgfältig anzieht, mich schon im Voraus schäzt und einen ungeheuren Einfluß hat ... Da ich durch Sachsen gehe, so habe ich gute addressen an große Gelehrte, auch an Fürsten, wenn ich die lezteren benuzen will.« Machen aber mit all dem diese Briefe keinen erquicklichen Eindruck, so springt doch in die Augen, daß Schiller durch solche Äußerungen seine schwer bekümmerten Angehörigen trösten und beruhigen wollte. In der nämlichen Absicht läßt er in die beiden Briefe vom 6. Nov. einfließen, daß er als Medikus Dienst zu nehmen suche und »keinen andern Gedanken« habe, als sein Glück allein durch die Medizin zu machen. Auch eine Regung von Galgenhumor mag ihn angewandelt haben, indem er das elende und armselige Leben, das er in Oggersheim zu führen hatte, so rosig malte. Der Ton seiner Briefe erweckte auf der Solitude augenscheinlich manches Mißverständnis; darum beauftragt er seine Schwester, »dem liebsten Papa« zu sagen, daß er den Brief an ihn »mit eben dem Herzen« geschrieben habe, als dieser den Brief an den Sohn, darum häuft er in dem an Christophine gerichteten Briefe vom 6. Nov. die Ausdrücke der Zärtlichkeit für Vater und Mutter und Schwestern und spricht ganz im Sinne des Alten von Gott und von Gottvertrauen. Auf die unwahren Nachrichten aber, die er nach Stuttgart zu geben sich genötigt fand, bezieht sich sicherlich die Äußerung mit, die er unter dem 18. Okt. gegenüber Christophine machte: »Mir ist sehr wohl biß auf die Ungeduld mich ganz meiner Larve und meiner Comödienrolle entledigt zu sehen.«
Mit dem nahenden Ende des Oktober war die Barschaft der Flüchtlinge dermaßen zusammengeschmolzen, daß Streicher noch einmal nach Hause schreiben und seine Mutter bitten mußte, ihm den Rest seines für Hamburg bestimmten Reisegeldes zu schicken; für Schiller aber, wenn er sich nicht auf unabsehbare Zeit von der beispiellosen Opferwilligkeit seines Freundes erhalten lassen wollte, war es nun doch ein Gebot der Ehre» daß er die geforderte Umarbeitung seines »Fiesko« nicht länger hinausschob. Er war über die Hauptpunkte des bürgerlichen Trauerspiels, das den Namen »Louise Millerin« haben sollte, mit sich ins reine gekommen, die Zahl der Personen stand fest, eine Reihe von Szenen war niedergeschrieben; so riß er sich endlich von diesem Gestaltenkreis los und ging an die Abänderung seines »Fiesko«. Widerwillig genug; denn hier handelte es sich um Flickarbeit, während die neue Dichtung den Reiz frischen Schaffens hatte. Dabei kämpfte er wegen der Frage, welcher Ausgang dem Helden zu geben sei, noch jetzt mit anhaltenden und quälenden Zweifeln. Die Folge war, daß die Umarbeitung des Ganzen erst gegen den 8. November hin fertig wurde. Der Erfüllung seiner Aufgabe froh und innerlich ruhiger, als er zuvor gewesen war, trug Schiller das ins reine geschriebene Manuskript in die Stadt und händigte es Meyer ein, der es an Dalberg geben sollte Zur Datierung (gegen den 8. Nov.) vgl. Schillers Brief an Dalberg vom 16. Nov. 1782 wie auch Streicher S. 124 und 127.
Aber die Zeit des Wartens und Harrens begann nun aufs neue, und das Unwirtliche des Oggersheimer Aufenthaltes machte sich bei der feuchten und trüben Witterung des Spätherbstes doppelt fühlbar. An die landschaftlich reiche Szenerie Stuttgarts gewöhnt, konnten sich Schiller und Streicher von der »flachen, kahlen, sandigen« Oggersheimer Gegend und dem dürftigen Reize ihrer Pappelalleen nicht erbaut fühlen, und die ohnehin magere Fernsicht wurde durch die Novembernebel benommen. Um in völliger Stille und Ungestörtheit dichten zu können, soll sich Schiller des öfteren in ein teilweise in die Stadtmauer hineingebautes Gartenhaus, einen auf Säulchen stehenden Pavillon im Garten des heutigen Gärtnereibesitzers Hornung, zurückgezogen haben; so will es die ortsübliche Tradition, die im Gegensatz zu mancher anderen, im Laufe der Zeiten in Oggersheim gebildeten, aber erwiesenermaßen irrtümlichen, zum mindesten glaubwürdig ist. Nach Mannheim zu gehen, wagte der Dichter nur in der Abenddämmerung, und geschah es, so mußte er in der Stadt übernachten und in erster Morgenfrühe wieder zurückwandern; ein Besuch bei Meyer oder Schwan war für ihn also mit argen Unbequemlichkeiten verknüpft. In Oggersheim selbst wich Schiller anfänglich, um sein Inkognito zu wahren, geselligen Beziehungen aus, und zu einem Gespräch mit dem Wirt, der ein Polterer war und seine sanft gearteten Angehörigen, Frau und Töchter, mit Heftigkeit behandelte, lockte nichts. Nur der Kaufmann des Ortes, Jakob Derain (oder Derhein) mit Namen, Siehe Anhang Nr. 9. war ein Mann, mit dem sich über Literatur und politische Dinge reden ließ. Ein vermöglicher Junggeselle von vierzig Jahren und ein Bücherfreund, suchte er für sein Geschäft so wenig Nutzen, daß er den Landleuten, die bei ihm Gewürze, Zucker, Kaffee u. dgl. kaufen wollten, das Schädliche dieser Genußmittel vorzustellen liebte und sie auf ihre Feld- und Gartenfrüchte verwies; die Aufklärung des Landvolks war ihm eine viel wichtigere Angelegenheit als der Vertrieb seiner Waren, und, statt sich zu freuen, wenn er seine Ladentüre klingeln hörte, fühlte er sich dadurch im Lesen und Nachdenken gestört. Er war also ein Original und ein Idealist; dabei ein Mann, der, wie Streicher ihm nachrühmt, mit edler Gesinnung große Bescheidenheit verband. Begreiflichermaßen war er auf die Fremden, die in seiner Nähe Wohnung genommen hatten, bald aufmerksam geworden, und eine Verkettung von Zufällen verhalf ihm schließlich zu ihrer Bekanntschaft. Schiller pflegte bei der Abänderung des »Fiesko« Manuskriptblätter, die er aus der ursprünglichen, nach Oggersheim mitgebrachten Fassung des Stückes ausschaltete, achtlos liegen zu lassen, und ebenso hatte er es mit vielem bei der Abfassung seines neuen Trauerspiels beschriebenen Papier getan. Die Frau des Wirtes »Zum Viehhof«, die so viel Neugierde als Neigung zum Lesen besah, sammelte insgeheim diese Blätter und brachte sie zu Herrn Derain, bei dem sie für ihre häuslichen Leiden manchmal Trost suchte. Derain wiederum zeigte den Fund einem Verwandten, dem Kaufmann Stein in Mannheim. An eben diesen war Streicher von Stuttgart aus empfohlen, und Steins Tochter, ein für die Dichtkunst lebhaft eingenommenes Mädchen, verstand es, aus dem Munde des Musikus den Namen desjenigen, von dem die beschriebenen Blätter herrührten, herauszuschmeicheln. So erfuhr Herr Derain gegen das Gelöbnis der tiefsten Verschwiegenheit, wer die Herren Schmidt und Wolf eigentlich waren. Auf das angelegentlichste bat er nunmehr, »die Bekanntschaft Schillers, eines so jungen und schon so berühmten Mannes machen zu dürfen« Streicher S. 144. und seine Bitte fand Gehör, da für den Dichter und seinen Freund die Unterhaltung mit ihm an den düsteren Novemberabenden eine Erquickung bot. Wie es scheint, wurde Schiller durch Streicher oder Derain auch im Steinschen Hause eingeführt. Bei Meyer verkehrte er in freundschaftlicher Weise mit Cranz und Gern, in Schwans Haus lernte er dessen Tochter Margaretha kennen. Vgl. Schillers Briefe an Streicher und an Schwan vom 8. Dez. 1782.
Gewann so der Oggersheimer Aufenthalt ein paar Lichtblicke, so sah Schiller doch mit wachsendem Bangen in die Zukunft; denn acht Tage schon hatte Dalberg das Manuskript des »Fiesko« in den Händen, und noch immer war der Dichter ohne jede Nachricht über das Schicksal seiner Arbeit. Seine finanzielle Lage wurde verzweifelt; Streichers Geldmittel waren aufgebraucht, man lebte in Oggersheim bereits auf Borg, und schon hatte Schiller, um nicht allzuviel schuldig zu bleiben, in Mannheim seine Uhr verkauft oder versetzt, Streicher S. 134. Vgl. Schillers Brief an Reinwald vom 12. April 1783. während Streicher, so hart es ihn ankam, sich entschließen mußte, den Aufenthalt im Oggersheimer Gasthof mit einer billigeren Wohnung in der Stadt zu vertauschen. In solcher Bedrängnis gewann es Schiller noch einmal über sich, an den Freiherrn von Dalberg zu schreiben: er richtete unter dem 16. Nov. an ihn die höfliche Bitte um baldige Bekanntgabe seiner Entscheidung oder doch eines kritischen Urteils. Der Brief atmet wenig Zuversicht auf einen glücklichen Ausgang. Um den 18. Nov., wie ich annehme, erfolgte die Antwort: Heribert von Dalberg ließ dem Dichter durch Meyer die schriftliche Erklärung einhändigen, daß das Trauerspiel »Fiesko« auch in der vorliegenden Umarbeitung nicht brauchbar sei, folglich weder angenommen, noch etwas dafür vergütet werden könne. Irgend ein Aufschluß, worin die Unbrauchbarkeit bestehe, wurde von »kurfürstlicher Intendance« nicht gegeben. So niederschmetternd diese Entscheidung für Schiller war, so sehr sie sein Herz »zernagte«, die Größe und der Stolz seiner Seele behaupteten über ihn auch jetzt noch die Herrschaft: »ich habe es sehr zu bedauern, daß ich nicht schon von Frankfurt aus nach Sachsen gereist bin«, war das einzige, was er gegen Meyer erwiderte. Erst ein Jahr später erfuhr Schiller aus den Protokollen der Mannheimer Theaterausschuß-Sitzungen, daß Iffland, dem wie seinen Kollegen »Die Verschwörung des Fiesko« zur Prüfung übergeben worden war, dem Ausschuß ein Gutachten eingereicht hatte, das zwar eine lange Reihe tadelnder Bemerkungen unter Lobsprüche mischte, schließlich aber doch eine pekuniäre Entschädigung des Autors befürwortete. Das Gutachten, das interessant genug ist, um hier wiederholt zu werden, lautet Abdruck nach Martersteig, Die Protokolle des Mannheimer Nationaltheaters unter Dalberg, S. 88 ff. Wo im dortigen Druck ein neuer Absatz beginnt, steht hier das Zeichen.: »Der Verfasser der Räuber hat in seinem Fiesko mehr als jemals Shakespeares Fehler nachgeahmt. Das Stück hat indeß auch Schönheiten, die allerdings des Verfassers würdig sind. Allein das Sujet selbst ist nicht theatralisch und die Charaktere auf zu feine Schrauben gesetzt. Das darinnen angebrachte Spektakel folgt nicht aus der Sache, ist für das Theater sehr beunruhigend, für das Auge nicht unterhaltend genug und zieht gleichwohl des Zuschauers Aufmerksamkeit von der Hauptsache ab. Ohne mich in das Detail einzulassen, will ich sagen, der Dichter läßt seine Personen selbst zu viel von ihrem Charakter reden. Es mißfällt mir, daß Gräfin Julia Imperiali gemein ist, wo sie stolz sein will. Sie prahlt mit ihren Kleidern und Schmuck gegen die Gräfin von Lavagna, deren Reichthum im Stück selbst dem Reichthum der Doria an die Seite gesetzt wird, und geht zuletzt von dieser Scene weg, nachdem sie jene vorher ein armes Thier genannt hat. Auch däucht mich, daß Fiesko, dem die Herzen, das Vermögen und die Waffen aller Republikaner zu Gebote standen, daß dieser den langsamen Weg des schleichenden Betrugs in dem Alter, wo Muth und Stolz so fürchterlich gegen Unterdrückung gähren, nicht gewählt haben würde. Bis in den dritten Akt ist der eifrige Republikaner voll Subtilitäten gegen feste Männer, bald darauf entschließt er sich, Tyrann zu werden. Die Scenen mit dem Mohren sind durchaus zu lang. In einer dieser Scenen geht Fiesko so mit dem Gelde um, wie ein armer Mann, der unvermuthet das beste Loos gewinnt. | Die Plünderung des Leichnams von einem sanften Frauenzimmer ist widrig. Der Senatoren sind so viele, daß es fast jedem Theater unmöglich fallen muß, sie ohne Lächerlichkeiten zu besetzen. Die Sprache ist aus allen Jahrhunderten zusammen genommen. Aber aller dieser Fehler ohngeachtet, wie viel Stücke haben wir, welche solche Scenen enthalten, als diese sind, wo Verrina seine Tochter entehrt findet, wo das Volk zu Fiesko eindringt und dann Fieskos Monolog darauf folgt? Wo Doria mit seinem Neffen spricht, wo der Mohr den Fiesko erstechen will? Der ganze Mohr überhaupt! | Ist es also nicht eine ehrenvolle Verbindlichkeit, durch jede mögliche Unterstützung den billigen Erwartungen eines solchen Mannes zu entsprechen? Der ungeachtet seiner einzigen Verdienste die angegebenen Fehler zu verändern sich willig erboten hat; der wie bei Abänderungen der Räuber vielleicht neue Schönheiten hinzugethan und durch die Unannehmlichkeit solcher Abänderungen das fleißiger studiert hätte, was auf der Bühne Wirkung thut. | Die nicht glücklichen häuslichen Umstände des Verfassers verdienen von jeder Bühne für sein Werk wenigstens den Preis, welchen man mittelmäßigen Originalien oder gewöhnlichen Umarbeitungen alltäglicher Stücke, aus Mangel der Brauchbaren, zuzuerkennen sich oft genöthigt sieht.«
Wie Streicher wissen will, richtete Iffland (vielleicht in mündlicher Ergänzung seines Schriftstücks) an den Intendanten das Ersuchen, dem Dichter »eine Gratifikation von acht Louisd'or« zu bewilligen; vielleicht sollte nach der Meinung der Schauspieler die Härte des Dalbergschen Bescheides auf solche Weise gemildert werden. Denn daß dieser bereits erfolgt war und das Gutachten Ifflands nicht etwa dazu diente, über die Annahme oder Nichtannahme des Dramas einen Beschluß herbeizuführen, scheint aus Ifflands Ausdruck: »der ... vielleicht neue Schönheiten hinzugethan ... hätte« hervorzugehen. Hätte zur Zeit der Abfassung oder Bekanntgabe des Gutachtens noch eine Aussicht bestanden, daß sich Dalberg durch irgend ein Entgegenkommen des Dichters zur Annahme des »Fiesko« bestimmen lassen könne, so würde Iffland an Stelle des angeführten Satzes wohl geschrieben haben: »der ... vielleicht neue Schönheiten hinzuthun würde« (wenn man nämlich sein Erbieten, Änderungen zu machen, annehmen würde). Dergleichen kam aber für Dalberg bereits gar nicht mehr in Frage. Verlesen oder zu den Akten genommen wurde das Gutachten Ifflands in der dritten Ausschußsitzung des 4. Theaterjahres; an welchem Tag diese Sitzung stattfand, wissen wir nicht sicher, da im Protokoll durch ein Versehen des Schreibers bezw. Abschreibers das Datum fehlt, wahrscheinlich aber ist, daß sie erst in das letzte Drittel des November (1782) fiel. Iffland selbst schrieb unter das Gutachten seinen Namen, setzte aber kein Datum bei. Anwesend waren in jener Sitzung außer Dalberg und Iffland noch die Schauspieler Meyer, Rennschüb und Kirchhöfer; von einer Debatte, die sich an Ifflands Gutachten geknüpft hätte, meldet das Protokoll nichts, und was auch zu Gunsten Schillers gesagt worden sein mag, Dalberg beharrte bei seiner Ablehnung des Stückes und verweigerte jede Entschädigung des Dichters Siehe Anhang Nr. 10, auch 15.
Wenn man sich erinnert, daß Schiller im Vertrauen auf die Versprechungen und Aussichten, die ihm von Dalberg gemacht worden waren, die Flucht nach Mannheim unternommen und mit ihr seine bürgerliche Existenz und die Verbindung mit seiner elterlichen Familie geopfert hatte; daß er durch den Bescheid, den ihm Dalberg in Frankfurt hatte zukommen lassen, bestimmt worden war, den »Fiesko« für das Mannheimer Theater umzuarbeiten; daß er zu diesem Zweck in Oggersheim Aufenthalt genommen und sich unwürdiger Dürftigkeit, wachsender Schuldenlast und der beständigen Gefahr einer Auslieferung an den Herzog von Württemberg ausgesetzt hatte – wenn man sich diese ganze, mit dem ersten Briefe des Mannheimer Intendanten an Schiller beginnende Kette von Geschehnissen vergegenwärtigt, so kann man das Verhalten Heribert von Dalbergs gegen den Dichter nicht anders als miserabel nennen. Wer vor der Geschichte seinen Verteidiger, seinen Anwalt zu machen hätte, dürfte zwar sagen, daß Dalberg einige Ursache hatte, den Bühnenerfolg des Trauerspiels »Fiesko« zu bezweifeln, dürfte auch hervorheben, daß dem kurfürstlichen Intendanten nicht zuzumuten war, sich um des jugendlichen Dichters willen aller Weltklugheit zu entäußern. Ohne Zweifel hatte ihn die Flucht Schillers nach Mannheim in Verlegenheit gesetzt. In den nämlichen Tagen, da der Dichter sie ausführte, war Dalberg als einer der Gäste des Herzogs von Württemberg in Stuttgart, und diesem war bekannt, daß der Mannheimer Intendant zu dem Dichter der »Räuber« in Beziehungen getreten war; die Annahme, daß Dalberg von Herzog Karl persönlich wegen Schillers und seiner Reisen nach Mannheim irgend eine Bemerkung zu hören hatte, liegt also nahe. Fesselte er jetzt den dienstflüchtigen Regimentsmedikus an sein Theater, so schien er die Unbotmäßigkeit des Jünglings zu unterstützen und hatte Grund zur Befürchtung, daß Herzog Karl beim pfalz-bayrischen Hof, bei seinem eigenen Landesherrn gegen ihn Beschwerde erheben werde. Mit dem einen wie dem andern dieser Motive rechnend wird man es ihm also nicht sonderlich verargen dürfen, daß er im Herbst 1782 Schillers »Fiesko« oder doch die Person des Dichters von der Mannheimer Bühne fernhielt. Wenn er aber so zu handeln für gut fand, wäre es folgerichtiger gewesen, dem Autor keine Hoffnung zu machen, als könne eine Umarbeitung des Stückes die Annahme oder Aufführung bei der Mannheimer Bühne bewirken. Daß Schiller in Oggersheim Aufenthalt nahm, war durch Dalberg mittelbar veranlaßt, daß er hoffend und harrend den Zustand gründlichsten Elends kostete, war Dalbergs Schuld; von dem Vorwurf, den Dichter, der ihm doch schon von Frankfurt aus seine Mittellosigkeit und Bedrängnis bekannt hatte, hingehalten zu haben, läßt sich der Mannheimer Intendant nicht freisprechen. So war es eine grobe Verletzung der Gebote der Billigkeit, daß Dalberg den ihm bei der endgültigen Ablehnung des »Fiesko« im Theaterausschuß unterbreiteten Antrag einiger pekuniärer Entschädigung des Dichters ablehnte. Doch die Versagung einer Hilfe dieser Art war nicht das Unschönste in Dalbergs Handeln gegen Schiller. »Darf ich mich Ihnen in die Arme werfen, vortreflicher Mann? Ich weiß, wie schnell sich Ihr edelmüthiges Herz entzündet, wenn Mitleid und Menschenliebe es auffordern; ich weiß, wie stark Ihr Muth ist, eine schöne That zu unternehmen, und wie warm Ihr Eifer, sie zu vollenden ... Brauch' ich mehr zu sagen ... um von Dalberg alle Unterstüzung zu erwarten? Euer Excellenz haben mir alle Hoffnung dazu gemacht, und ich werde den Händedruk, der Ihren Verspruch versiegelte, ewig fühlen.« So hatte Schiller noch im Juni an Dalberg geschrieben und schreiben können. Und nun, welche ungeheure Veränderung! Der Kunstfreund, der mit der Aufführung der »Räuber« sein eigenes Ansehen gesteigert, der schwärmerisch verehrte Gönner, in dessen Hände der Dichter sein Schicksal gelegt hatte, war für diesen jetzt nicht mehr zu sprechen: Dalberg wich jeder persönlichen Begegnung mit Schiller aus, gab schriftlichen Bescheid für ihn nur an Dritte, behandelte also den Flüchtling wie einen Geächteten. Das war des Weltmanns Vorsicht bis zur Feigheit getrieben. Ernstliches Wohlwollen hätte fördernde Mittel und Wege gefunden, auch wenn es galt, den unbequem gewordenen Dichter aus Mannheim zu entfernen; was aber Schiller während der Oggersheimer Wochen von Dalberg erfuhr, war ein herzloses und beleidigendes Verhalten. Zu diesem Urteil stimmt es, daß Andreas Streicher im Jahre 1829 an Körner schrieb, Schiller sei »auf treulose Weise von demjenigen (dessen Schmeichelworte ihn doch eigentlich von Stuttgardt weggelockt hatten) hülfelos gelassen« worden, Mitgeteilt in Brahms Schillerbiographie I, 223 aus dem damals in Alexander Meyer Cohns Besitz befindlichen Briefe. oder daß Luise Pistorius, die jüngere Tochter Schwans, gegenüber Emilie von Gleichen die briefliche Äußerung machte: »Dalberg war nie ein aufrichtiger Freund von Schiller.« Gedruckt bei Urlichs, Briefe an Schiller S. 33.
Nachdem das Mannheimer Theater die Annahme des »Fiesko« endgültig verweigert hatte, beeilte sich Schiller, das Stück in Druck zu geben: er überließ es Schwan, der sich gerne bereit zeigte, wenn er auch der »überall lauernden Nachdrucker« wegen nicht mehr als einen Louisd'or für den Bogen bieten zu können erklärte. Die Anzahlung, welche Schiller erhielt, betrug zehn Louisd'or. Siehe Anhang Nr. 11. Einige Änderungen scheint er am Manuskript noch nachträglich vorgenommen zu haben. Dies dürfen wir aus zwei Stellen des Ifflandschen Gutachtens schließen, nämlich aus den tadelnden Bemerkungen, die es an »das« im Stück »angebrachte Spektakel« und an »die Plünderung des Leichnams von einem sanften Frauenzimmer« knüpft. Im Schwanschen Druck lesen wir wohl, daß Fieskos Gäste zum Anhören einer »Komödie«, eines »Schauspiels« in das Schloß geladen sind (Akt III, Sz. 10, Akt IV, Sz. 2, 4, 5, 6, 10), aber eine Vorführung desselben findet nicht statt, während es doch den Anschein hat, daß Iffland mit dem Ausdruck »darinnen angebrachtes Spektakel« ein derartiges Einschiebsel meinte. Auch plündert im gedruckten Text (Akt V, Sz. 5) Leonore nicht den Leichnam Gianettinos; sie nimmt wohl den Scharlachmantel, den Hut und das Schwert des Getöteten von der Straße auf, aber der Leichnam ist schon zuvor (Sz. 4) »hinweggebracht«. Da Iffland seinem Gutachten diejenige Gestalt des Stückes, die es durch die Oggersheimer Überarbeitung erhalten hatte, zu Grund gelegt haben wird, so folgt, daß Schiller noch nachher, d. h. unmittelbar vor der Drucklegung oder während derselben, Änderungen gemacht hat. Es ist wahrscheinlich genug, daß er durch Meyer oder durch Iffland selbst von den Ausstellungen, welchen dieser in seinem Gutachten das Wort lieh, Kenntnis erhalten hatte Siehe Anhang Nr. 12.
Den gänzlich zwecklos, ja unheilvoll gewordenen pfälzischen Aufenthalt nunmehr sobald als möglich abzubrechen, geboten die Umstände. Noch in Stuttgart, als der Entschluß zur Flucht in Schiller aufgetaucht war, hatte ihm Frau Henriette von Wolzogen, der er sich anvertraute, die Zusage gegeben, daß er auf ihrem, in der Nähe von Meiningen gelegenen Gute Bauerbach im Falle der Not gastliche Aufnahme finden solle, bis er eine Verfolgung durch den Herzog nicht mehr zu befürchten habe. Davon hatte Schiller fürs erste keinen Gebrauch machen wollen; noch am 18. Oktober hatte er seiner Schwester geschrieben: »Nach Bauerbach gehe ich nicht, um die W. zu schonen, wenigstens nicht, biß der Sturm versaußt ist. Sag ihr das, und küße Sie in meinem Namen millionemal.« Jetzt aber bedurfte der Heimatlose eines Zufluchtsortes, jetzt erinnerte er sich jenes Versprechens und bat seine in Stuttgart verweilende Beschützerin brieflich um Anordnungen für seine Aufnahme in Bauerbach. Doch bevor er von dem Boden, dem er entstammt war, noch weiter und vielleicht für immer sich entfernte, drängte ihn das Herz, seine Eltern noch einmal zu sehen. So schrieb er ihnen unter dem 19. Nov. 1782 aus Mannheim und bat sie um eine Zusammenkunft in Bretten. Am 21. werde sein Brief in ihren Händen sein, und würden sie unverzüglich von Stuttgart abreisen – was freilich notwendig sei, da er »in fünf Tagen auf Immer weggehe« –, so könnten sie ihn am 22. in Bretten, das ungefähr in der Wegmitte zwischen Stuttgart und Mannheim liege, im Posthaus treffen. Mama und die Christophine werde wohl am ehesten die Reise unternehmen können; sie möchten aber auch, fügte er hinzu, die Frau Luise Vischer und Frau von Wolzogen mitbringen. Ohne Zweifel hatte er im Sinne, mit dieser über Bauerbach zu sprechen. »Eine Karolin Reisegeld« verspricht er ihnen in Bretten zu geben – so großmütiger Hilfsbereitschaft war seine Börse sicherlich nur fähig, wenn er von Schwan schon das Druckhonorar erhalten hatte. Mit den Worten: »An der schnellen Befolgung meiner Bitte will ich erkennen, ob Ihnen noch theuer ist Ihr ewig dankbarer Sohn Schiller« schließt der Brief.
Seine Bitte ging in Erfüllung. In Begleitung Christophinens reiste Frau Hauptmann Schiller – »der Vater selbst wagte es nicht« – nach Bretten und traf am verabredeten Tage ein. »Als wir abreißten« – ich erzähle hier mit Christophinens eigenen Worten – »war die Witterung noch sehr schön so daß ich mich ganz leicht anzog die Mutter aber nahm ihren Peltz zum Ersaze mit – als wir Abends in Bretten ankamen und in dem bestimmten Gasthof abstiegen, und uns erkundigten ob ein fremder Herr angekommen wäre war niemand noch da, erst um Mitternacht, da die Mutter und ich, ohne Schlaf und mit vielen Sorgen daß ihm etwas begegnet seyn könnte, immer auf seine Ankunft harrten, hörten wir, daß ein Reiter dem Gasthof zusprengte: Er wirds seyn dachten wir und sobald er ins Hauß trat und den Kellner fragte ob nicht zwey Damen angekommen wären erkannten wir sogleich seine Stimme und stürzten ihm entgegen.« (Am Rande: »Es versteht sich unter Freuden Thränen und inniger Ergisung von beiden Seiten.«) »Diese Scene läßt sich nur fühlen nicht beschreiben – so blieben wir beysammen bis der Morgen kam kein Schlaf kam in unsere Augen! und erzählten uns gegenseitig – Er war äuserst heiter! voll Hofnung für die Zukunft, alle Besorgniße von unserer Seite wurden gehoben und genosen 3 volle Tage das Glück uns auszusprechen, bis die Urlaubszeit ihn zur Rückreise mahnte. Indeßen stieg die Kälte so heftig daß wir Sorge für ihn trugen, da Er auch leicht bekleidet war, aber zu unserer Beruhigung versicherte er uns daß er dieß alles gewohnt wäre, und wir erhielten auch bald hernach Briefe von ihm die die glückliche Ankunft berichteten.«
Von der Nacht des 22. auf den 23. November bis zum 25. Nov. 1782 war Schiller mit den Seinigen in Bretten zusammen gewesen. Weder die Hauptmannswitwe Vischer noch Frau Henriette von Wolzogen hatten an der Reise sich beteiligt. Christophinens brieflicher Bericht läßt uns erkennen, daß der Dichter auch in diesen Tagen, um den Kummer seiner Angehörigen nicht zu steigern, es über sich vermochte, von den herben Enttäuschungen, die ihm Dalberg bereitet hatte, zu schweigen. Ja, erst Jahrzehnte später, als Christophine von Streicher zum Zweck der Abfassung seiner Schrift um mancherlei Auskunft über Schillers Jugend gebeten wurde, erfuhr die Schwester des Dichters den wahren Sachverhalt. Dafür zum Zeugnis dient ihr am 16. Febr. 1828 aus Meiningen an Streicher geschriebener Brief, der die Stelle enthält: »Sie haben mir wegen dem H. v. Dalberg einen Aufschluß gegeben den ich nicht vermuthet habe. Dieser Dalberg reizte meinen Bruder mit Versprechungen sein Vaterland zu verlaßen. und biß jetzt stand ich in dem Wahne daß dieser Mann treu sein Wort hielt, und daß die Entfernung von Manheim mehr eine Folge des kostspieligen Aufenthalts, und dann auch Folgsamkeit für unsres Vaters Wünsche war der es überhaupt nicht gerne sah daß er sich dem Theaterwesen widmete.« Die angeführten Stellen aus zwei zum größten Teil ungedruckten Briefen Christophinens an Streicher, die mir mitgeteilt wurden. Hiezu und über den Zeitpunkt des Zusammentreffens in Bretten vgl. Anhang Nr. 13.
Am 27. Nov., wie es scheint, als Schiller aus Bretten eben zurückgekehrt war, trat ein Vorkommnis ein, das den Dichter veranlaßte, seine bereits beschlossene Abreise nach Bauerbach zu beschleunigen, ja sie über Hals und Kopf auszuführen. Er fand, als er mit Streicher am Abend Meyer besuchte, diesen wie seine Gattin in größter Bestürzung; denn vor kaum einer Stunde, erzählten sie, war ein württembergischer Offizier im Hause gewesen, der sich angelegentlich nach Schiller erkundigte. Befürchtend, der Offizier werde den Auftrag haben, Schiller zu verhaften, habe Meyer ihm beteuert, daß er nicht wisse, wo sich der Gesuchte zur Zeit befinde. Während dieses Berichtes klingelte die Haustüre, worauf man in wiederkehrender Panik Schiller und Streicher eilends hinter einer Tapetentüre verbarg; der Eintretende war jedoch ein Bekannter des Hauses, der freilich gleichfalls voller Bestürzung aussagte, er habe den Offizier im Kaffeehause gesprochen, aber auch seinerseits versichert, daß Schiller schon vor zwei Monaten nach Sachsen abgereist und sein jetziger Aufenthalt unbekannt sei. Aus ihrem Versteck wieder hervorgeholt, rieten die geängstigten Freunde vergeblich hin und her, auf wen die Schilderung der Persönlichkeit und der Uniform des Fremden wohl passen möge; wer sich aber an diesem Abend im Meyerschen Hause noch einfand, war mit den übrigen der Meinung, daß Schiller und Streicher unter den obwaltenden Umständen weder in der Stadt zu übernachten, noch nach Oggersheim zurückzugehen wagen dürften. Die Not war groß; da erbot sich eine Schauspielerin des Mannheimer Theaters, Madame Curioni, den Dichter und seinen Freund im Hause des Freiherrn v. Baaden, das ihrer Obhut anvertraut war, so lange zu verbergen, als eine Verfolgung zu befürchten sei. Nicht im »Palais des Prinzen von Baden«! Siehe Anhang Nr. 14. Freudig ergriffen Schiller und Streicher diesen »mit der anmutigsten Güte« gemachten Vorschlag, der ihnen ein Versteck bot, wo sie niemand vermuten konnte. In das v. Baadensche Haus (das heute die Bezeichnung A 1. 5 führt) so rasch als möglich geleitet, verbrachten sie die Nacht in einem schönen und reich ausgestatteten Zimmer, wobei ihnen die an der Wand hängenden zahlreichen Kupferstiche, insbesondere die zu jener Zeit vielgerühmten Darstellungen der Schlachten Alexanders des Großen von Le Brun eine angenehme Zerstreuung und Unterhaltung gewährten. Doch unterließ Schiller nicht, noch am 27. Nov. an seinen Vater zu schreiben und ihn unter Vermeidung des schreckhaften Erlebnisses zu fragen, ob er betreffs des württembergischen Offiziers etwas wisse. Am andern Vormittag wagte Streicher zu Meyer zu gehen, da dieser versprochen hatte, am Morgen den Ersten Sekretär des kurfürstlichen Ministers v. Oberndorff zu besuchen, um von ihm, als einem Bekannten, zu erfahren, ob der Offizier in Aufträgen an das Gouvernement gekommen sei. Die Auskunft, welche Meyer erhalten hatte, befreite die Flüchtlinge von einem schweren Alp: der Sekretär des Ministers hatte ihn versichert, daß der Offizier keine Aufträge an den Minister gehabt habe, auch laut des Meldezettels des Gastwirts schon gestern abgereist sei. Wer aber der fremde Offizier war und aus welchem Grunde er Schiller hatte aufsuchen wollen, das erfuhren die Mannheimer Freunde erst, als sich der Dichter in Bauerbach befand, und zwar durch ein Schreiben des alten Schiller, das dieser am 8. Dez. 1782 an Schwan richtete. Faksimiliert bei Götz, Geliebte Schatten, gedruckt bei Döring, Sch.s Leben S. 358. Vgl. Jonas I, 471. Er kommt darin auf den Brief zu sprechen, den ihm sein in Angst gesetzter Sohn am 27. Nov. geschrieben habe, und fährt fort: »Es ist aber gottlob an dem was mein Sohn befürchtet, nicht das geringste, und der sich nach ihm erkundigte officier ist Herr Lieut. und adj. Koseritz, ein Freund von ihm gewesen, welcher, auf einige Zeit in Urlaub gegangen, und sich exprée vorgenommen, meinen Sohn in Mannheim aufzusuchen, und zu sprechen. Ich habe hier noch nicht das geringste gemerkt, daß Seine Herzogl. Durchl. Sich entschließen sollten, meinen Sohn aufsuchen und verfolgen zu lassen, und es ist auch dessen Posten schon längst wieder besezt, ein Umstand, der merklich zu erkennen gibt, daß man m. Sohn vermissen kann. Inzwischen ist es gleichwol nöthig daß derselbe sich in der gehörigen Entfernung halte« u. s. w.
Von freundschaftlichen Beziehungen zu dem Leutnant Ludwig Wilhelm Koseriz, mit dem Schiller als Regimentsmedikus in oberflächliche Bekanntschaft gekommen sein mag, erfahren wir lediglich durch diese Briefstelle. Vgl. über Koseriz Julius v. Hartmanns Buch »Schillers Jugendfreunde«, S. 336 f. Daß der Posten, den Schiller in Stuttgart inne hatte, im Herbst 1782 neu besetzt worden war, weisen auch die Stuttgarter Adreßbücher auf: die auf 1781 und 1782 verzeichnen Schiller als Regimentsmedikus beim Grenadierregiment v. Augé, das auf 1783 aber »Mohrstatt« ( Dr. Johann Heinrich Morstatt), der zuvor Prosektor an der Militärakademie gewesen war und 1782 in Tübingen promovirt hatte. Vgl. über ihn Albert Moll, Die medicinische Fakultät der Carlsakademie, Stuttg. 1859. [Dazu oben S. 65 Anm. 2]] Mit der begreiflicherweise nicht länger verschiebbaren Ernennung eines Nachfolgers hatte Herzog Karl den Verzicht auf seinen früheren Zögling öffentlich kundgegeben; er unterließ aber auch, wie sich allmählich bestätigte, eine Verfolgung des flüchtigen Dichters. Durch einen zweiten Fall Schubart in Deutschland neues Aufsehen zu erregen, hielt er vielleicht selbst nicht für wünschenswert, und eine Verhaftung auf pfälzischem Boden wäre ohne mancherlei Umständlichkeiten nicht zu machen gewesen; so scheint es, daß er sich bestimmen ließ, die Familie Schiller zu schonen und Rücksicht auf den Intendanten seiner Solitude, der ihm seit vielen Jahren treu gedient hatte, walten zu lassen.
Von irgend einer Gewißheit über diese Dinge aber war der Flüchtling in jenen Novembertagen noch weit entfernt, und wenn auch die Gefahr einer Verhaftung für den Augenblick beseitigt schien, so erneuerte sie vielleicht schon der nächste Tag. Denn die Person des württembergischen Offiziers war ja noch immer ein Rätsel, und daß dieser nur darum wieder abgereist sei, weil man ihm von mehreren Seiten her den Mannheimer Aufenthalt Schillers verleugnet hatte, war denkbar. Auch im Meyerschen Hause blieb man ängstlich und ließ den Dichter merken, daß eine tätige Anteilnahme an seinem Schicksal für die ihm Wohlgesinnten bedrohlich werden könne. So entschloß sich Schiller, die pfälzischen Gegenden unverzüglich zu verlassen. Und mit solcher Hast, so eilig und »heimlich« setzte er sein Vorhaben ins Werk, daß er aus Mannheim wegging, ohne sich von Schwan und seinem Hause zu verabschieden. Er nahm sich vor, mit dem Postwagen über Frankfurt und Gelnhausen nach Meiningen zu fahren; da er aber »auf der Post in Mannheim sich nicht zeigen wollte«, Streicher, S. 134. wurde mit Meyer verabredet, daß ihn dieser in Oggersheim abholen, nach Worms geleiten und Schiller erst in Worms den Postwagen besteigen solle. So blieb die Spur seines Weges verwischt, und er brauchte die Stadt nicht mehr zu betreten, in der jetzt Verräter zu lauern schienen. Das Honorar, das er von Schwan für den »Fiesko« erhalten hatte, reichte gerade hin, um einige für den Winter notwendige Anschaffungen zu machen, die Kreidestriche an der Wirtstafel in Oggersheim, die seit vierzehn Tagen seine Zehrung verzeichneten, zu löschen und die Kosten der Reise nach Bauerbach zu bestreiten. Siehe Anhang Nr. 15.
Am 30. November 1782, als an dem für die Abreise bestimmten Tag, fuhren Meyer und Streicher nebst ein paar Freunden nach Oggersheim. Sie fanden den Dichter gerade beschäftigt, »seine wenige Wäsche, seine Kleidungsstücke und einige Bücher und Schriften in einen großen Mantelsack zu verpacken«. Die vier Preispatente, die er in der Militärakademie erhalten hatte, nahm er nicht mit, sondern gab sie Herrn Derain in Verwahrung. Er hat sich nie wieder nach ihnen erkundigt Siehe Anhang Nr. 16. Während die Flasche Wein, die er zum Abschied bringen ließ, geleert wurde, suchte man ihm seine Zukunft in freundlichen, ermunternden Farben zu malen. Aber Schiller bedurfte einer solchen Aufrichtung weniger, als man erwartet hatte; denn der Pfalz den Rücken kehren zu dürfen, war für ihn jetzt gleichbedeutend mit der Sicherung seiner Freiheit, und er empfand schon die Wohltat, die in jedem aus dem Zustand der Ungewißheit und Unentschiedenheit erlösenden Handeln liegt. Sieben Wochen hatte Schiller in Oggersheim zugebracht, in Umständen, in denen »jeden Andern die Kraft verlassen hätte«; es war, wie man hinzusetzen dürfen wird, die unglücklichste Zeit seines Lebens. Aber sein Mut blieb ungebeugt, und dem in seiner Seele lesenden Streicher erschien er jetzt wie einer, der den Vorsatz Karl Moors: »Die Qual erlahme an meinem Stolze!« befolgen wolle. Wieviel Bitterkeit freilich und auch wieviel Menschenverachtung in das Herz des Jünglings sich gesenkt hatten, das blieb auch dem gefühlvoll teilnehmenden Freunde verborgen; das machte sich erst Luft, als Schiller in Bauerbach angelangt war und (8. Dezember) an Streicher schrieb: »Was Sie thun, lieber Freund, behalten Sie diese praktische Weisheit vor Augen, die Ihren unerfahrnen Freund nur zu viel gekostet hat: Wenn man die Menschen braucht, so muß man ein H...t werden, oder sich ihnen unentbehrlich machen. Eines von beiden, oder man sinkt unter.«
So eilig, daß Schiller seine letzte Zeche zu zahlen vergaß, erfolgte nun der Aufbruch von Oggersheim. Bei starker Kälte und tiefem Schnee gelangte die kleine Reisegesellschaft nach Worms, wo man im Posthaus gerade noch rechtzeitig ankam, um der Aufführung des Brandes-Benda'schen Melodrams »Ariadne auf Naxos« beiwohnen zu können. Nach Streichers Erzählung gab es eine »wandernde Truppe«, deren szenische Ausstattungsmittel von solcher Ärmlichkeit waren, daß Meyer und seine Mannheimer Freunde des Lachens und Spottens nicht satt werden konnten. Siehe Anhang Nr. 17. Schiller aber sah mit ernstem Blicke zu, in die Vorgänge auf der Bühne ganz verloren, als ob ihm dergleichen zum letztenmal vor Augen komme, und auch nach Beendigung des Spieles konnten ihm die Bemerkungen der andern kaum ein Lächeln entlocken. Erst beim Nachtessen und der in Worms nicht fehlenden Liebfrauenmilch wurde er etwas heiterer. Endlich war für die Mannheimer die Stunde zur Rückkehr gekommen. Redselig und wohlgemut nahmen sie vom Dichter Abschied. Nur einer war darunter, dem sich das Herz jetzt krampfte: Andreas Streicher. Aber kein Wort brachte er oder Schiller über die Lippen, keine Umarmung wurde zwischen ihnen gewechselt: ein starker, lang dauernder Händedruck war alles, was sie sich sagen konnten.
Schiller blieb im Posthaus zu Worms, dem heutigen Gusdorfschen Hause in der Kammererstraße, über Nacht, um am andern Morgen seine Reise über Frankfurt nach Meiningen fortzusetzen. Als während der ersten Dezembertage strengste Winterkälte anhielt, wollte den Mannheimer Freunden das Gewissen schlagen; denn nun erst, da es zu spät war, dachte man daran, daß der Dichter, nur mit einem leichten Überrock versehen, mehrere Tage und Nächte im Postwagen zu fahren habe und ihm mit manchem, was seinem Besitzer jetzt leicht entbehrlich sei, Schutz gegen die rauhe Witterung hätte geboten werden können. Wie aber die Menschen in der Regel den Vorwurf, den sie sich gegenüber einem andern zu machen haben, dadurch abschütteln, daß sie diesen andern selbst eines Fehlers zeihen, so geschah es auch hier: die nämlichen, die dem Dichter die bestimmtesten Hoffnungen auf Mannheim erweckt hatten, wußten jetzt seine Flucht aus Stuttgart nebst dem Verzicht auf seinen ärztlichen Posten als Handlungen, durch die er sein Unglück verschuldet habe, nicht scharf genug zu tadeln. In diesem Punkte war es nur Iffland, der, seiner eigenen Geschicke gedenkend, den zur Befreiung eines gewalttätig unterdrückten Talentes unternommenen Schritt verteidigte und lobte.