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XIII.
Die größere Frage hinter der Konferenz

Washington, den 23. November

Nach dem großartigen Anfang scheint die Konferenz jetzt in trägen Gewässern zu treiben. Sie hat ihre drei großen Tage gehabt, in denen Hughes, Balfour und Briand nacheinander die Hauptrolle spielten. Die Grundzüge einer möglichen teilweisen Abrüstung zur See und einer möglichen Regelung der chinesischen und der Stillen-Ozean-Frage fangen an, in der Vorstellung der Menschen Gestalt zu gewinnen.

Briand hat gesprochen und ist jetzt im Begriff abzureisen. Frankreich wird nicht abrüsten, bevor es nicht im Besitz eines bindenden Vertrages ist, welchen ihm seine ehemaligen Bundesgenossen vorderhand nicht zu geben gewillt sind. Es ignoriert die Versicherungen seiner erprobten Bundesgenossen und die Erfahrungen des Weltkrieges. Es gibt vor, das verödete Rußland und das bankrotte Deutschland zu fürchten, und es ist »auf drei Küsten Angriffen ausgesetzt«. Also behält es seine großen Armeen weiter, vor allem die Kolonialtruppen. Briands Abreise macht gewissermaßen den Eindruck, als ob Frankreich den Staub von seinen Füßen schüttle und die Konferenz im Stich ließe.

Frankreich kann aber nicht ganz einfach seinen Anteil an der Friedensarbeit in dieser Weise von sich abwälzen. Frankreich ist noch nicht zu Ende mit der Konferenz. Es wird jetzt sogar mit einer, allerdings weniger romantisch eindrucksvollen, aber sehr zweckentsprechenden Stimme in Washington mitreden. Es hat die Schrecken seiner Lage erklärt und die versammelten Abgesandten haben so höflich und beruhigend wie nur möglich »Nun, Nun« zu ihm gesagt. Niemand glaubt aber ernstlich an die Schrecken dieser Lage. Hughes ist ein Mann von großer Konsequenz in der Verfolgung seiner Zwecke, und seine wesentlichste Antwort auf die Rede Briands ist, daß er die militärische Abrüstung weiter auf der Tagesordnung erhält. Eine dritte Kommission von fünf Mächten ist außer den beiden schon bestehenden gebildet worden, um die Frage der Abrüstung auf dem Festlande zu beraten. Es ist aber zweifelhaft, ob sie viel vorwärts bringen wird, wenn es ihr nicht gelingt, deutsche und russische Vertreter hinzuzuziehen, welche die unheilkündenden Vorwürfe Briands entkräften könnten.

Mit der Bildung dieser dritten Kommission scheint die Washingtoner Konferenz gerade soviel auf sich genommen zu haben, wie sie allem Anscheine nach wird erledigen können. Der Anstoß, den Hughes gegeben, hat seine Wirkung getan, und zwar in sehr zweckentsprechender Weise: die Konferenz hat seine strenge Weisung fast zu streng befolgt. Sie hat einen gut zu bewältigenden Teil des großen Weltfriedensproblems abgetrennt und scheint auf dem Wege zu sein, diesen zu bewältigen. Das ist mustergültig – wenn auch etwas beschränkt. Einen Abschnitt zu bewältigen heißt, in überzeugender Weise dartun, daß das Ganze zu bewältigen wäre. Ein Krieg im Stillen-Ozean-Gebiet ist, wie mir scheint, mindestens auf einige Jahre hinaus vermieden worden. Aber das allgemeine Problem des Weltfriedens als eines Ganzen, das Problem der endgültigen Verhinderung des Krieges bleibt noch unberührt, und es darf nicht vergessen werden, daß dem so ist.

Es ist unmöglich, diese Etappe im Leben der Washingtoner Konferenz nicht mit den großen Vorsätzen der Eröffnungstage zu vergleichen, als Präsident Harding in Arlington und in dem Continental-Gebäude davon sprach, dem Angriffskrieg – und damit auch dem Verteidigungskrieg – für immer ein Ende zu bereiten. Es ist unmöglich, diese Verkleinerung des Zweckes zu ignorieren und sich zu enthalten, die ungeheuren Auslassungen zu ermessen. Dieses Vorspiel war, das ist klar, das Vorspiel zu etwas Größerem, als es diese gegenwärtige Konferenz ist und mehr als diese Konferenz muß daraus erwachsen. Ich will nicht den Versuch machen, das Feilschen und Handeln zu verfolgen, das jetzt in der Kommission der fünf Mächte über die Beschränkungen zur See und in der Kommission der neun Mächte über die Regelung der Stillen-Ozean-Frage vor sich geht. Das ist etwas für Sachverständige und Diplomaten, das Publikum geht die Methode des Feilschens nichts an, wohl aber seine allgemeine Tendenz und der praktische Erfolg.

Wir, das durchschnittliche Publikum, sind unfähig, den Wert von Panzerschiffen und die mögliche Beschränkung in der Größe der Unterseeboote zu beurteilen. Unsere Sache ist, darauf zu sehen, daß solche Dinge seltener und seltener werden, bis sie ganz verschwinden. Ich bringe daher auch keine Entschuldigung vor, wenn ich den Stoff meiner nächsten Artikel außerhalb des Konferenzsaales suche. Ich werde noch einmal, von Hughes und seinen Anträgen und deren Konsequenzen ausgehend, auf Präsident Harding und die großen Erwartungen zurückkommen, mit denen die Konferenz sich versammelte.

Diese Erwartungen bezogen sich nicht lediglich auf ein Aufhalten des Wettbewerbs im Stillen-Ozean-Gebiet und auf die Gewährung einer Ruhepause für das bedrohte China, während welcher es imstande sein könnte, sich auf das Niveau der modernen Verhältnisse zu erheben; sie bezogen sich geradezu auf die Errichtung des Weltfriedens. Aber was Europa anbelangt, wo, wie Briands Rede uns gemahnte, die Nationen in einem Zustande höchster Gefahr miteinander verkettet sind, hat die Konferenz bis jetzt nichts getan. Es erscheint sehr wahrscheinlich, daß sie gar nichts tun wird. Es ist zweifelhaft, ob die Frage des europäischen Friedens jemals in zweckentsprechender Weise wird in Washington verhandelt werden können. Die Schwierigkeiten des europäischen Kontinents sind eine sehr alte verwickelte Geschichte, und es scheint mir, als wäre das Prinzip Amerikas in dieser Sache: »Laßt Europa seine eigenen internationalen Probleme lösen, ohne uns damit zu belästigen,« durchaus gesund und weise. Amerika hat weder die Zeit noch die Aufmerksamkeit übrig, noch das besondere Verständnis, welches nötig ist, um die verwickelten Schwierigkeiten Europas zu erfassen. Solche Initiativen, wie die des Präsidenten Wilson hinsichtlich Danzigs und Fiumes, regeln gar nichts und haben nur eine dauernde Erbitterung zur Folge. Es ist Europas Pflicht, sich selber in Ordnung zu bringen und seine Angelegenheiten zu klären, ehe es mit Amerika in die Schranken tritt.

Es ist also deshalb durchaus möglich, daß irgendeine europäische Konferenz aus der Washingtoner Versammlung folgen wird. Eine derartige Konferenz wird allmählich zur Notwendigkeit. Die Meinungsverschiedenheit Frankreichs und Englands, die in Washington zutage getreten ist, darf nicht unbeachtet bleiben. Besser, daß sie jetzt emporlodert, als daß sie später weiterglüht. Ich habe getan, was in meinen schwachen Kräften steht, sie zu verschärfen, weil ich glaube, daß tüchtiger Zank jetzt und einige Grobheiten die Luft reinigen können zu besserer gegenseitiger Verständigung. Europa muß ausgelüftet werden. Wenn Frankreich, England, Italien und Deutschland erst einmal zusammenkommen werden, um ihre gemeinsamen Interessen zu besprechen, ihre unmöglichen Verwicklungen zu durchschneiden und sich ihres gegenseitigen Mißtrauens und ihrer Vorsichtsmaßregeln mit der Offenheit dieser Washingtoner Konferenz zu entledigen, in einer ebenso offenen und freien Diskussion und in einer ebensolchen weitgehenden Öffentlichkeit, dann werden die europäischen Angelegenheiten anfangen sich zu bessern.

Aber es gibt eine andere Angelegenheit, der gegenüber Amerika sich nicht so teilnahmlos verhalten kann wie in Sachen der französisch-deutsch-englischen Lage, und in dieser zweiten Angelegenheit erwartet die Welt von Amerika die Übernahme einer gewissen Führerrolle. Bisher hat die Washingtoner Konferenz jedes Eingehen auf die wirtschaftlichen und finanziellen Schwierigkeiten der Welt vermieden. Aber die Betrachtung dieser Angelegenheit kann nicht dauernd verschoben werden. Sie wird sogar immer dringender. Während wir hier über den japanischen Autokratismus und den japanischen Ehrgeiz beraten und über den eigentlichen Sinn der »offenen Tür« verhandeln und die Frage erörtern, ob wir 40 000 oder 90 000 Tonnen Unterseeboote haben werden usw., schreitet die wirtschaftliche Auflösung der Welt ununterbrochen fort.

Die unmittelbare Wirkung einer teilweisen Abrüstung, sowohl in England wie in Japan, mag sogar eine Vermehrung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten dieser Länder nach sich ziehen, indem große Mengen geschulter Arbeiter erwerbslos werden. Ich habe die Absicht, in meinem nächsten Artikel diesen Prozeß der wirtschaftlichen und sozialen Auflösung zu besprechen, der jetzt in der ganzen Welt unter der Oberfläche unserer formellen internationalen Beziehungen vor sich geht. Er ist die eigentliche Wirklichkeit der gegenwärtigen Weltlage, von welcher die erfreulicheren und dramatischen Momente der ersten Sitzungen unsere Aufmerksamkeit für eine Weile abgelenkt haben.


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