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»Da wir gerade bei Preisen für Vögel sind – ich hab' einmal einen Strauß gesehen, der dreihundert Pfund einbrachte,« – erzählte der Konservator aus den Reiseerinnerungen seiner Jugendjahre, »Dreihundert Pfund!«
Er sah mich über die Brille weg an. »Und einen zweiten habe ich gesehen, für den vierhundert geboten wurden.«
»Nein,« fuhr er fort, »es handelte sich gar nicht einmal um Liebhaberpreise, es waren ganz gewöhnliche Strauße. Sogar ein bischen abgefallen – ruppig – infolge der Ernährung. Es waren auch gar keine besonderen Bedingungen bei dem Angebot. Fünf Strauße auf einem Ostindienfahrer müßten ja keinen besonders hohen Preis einbringen, sollte man denken. Aber die Sache war die: einer von ihnen hatte einen Diamanten verschluckt.
Der Kerl, von dem er ihn hatte, war Sir Mohini Padischah, ein kolossaler Protz – so ein rechter Piccadilly-Protz – bis zum Hals; darüber freilich saß ein widerlicher schwarzer Kopf und ein schwankender Turban, mit dem Diamanten daran. Der verdammte Vogel pickt auf einmal zu und hat ihn auch schon; und wie der Kerl ein Gezeter erhebt, merkt das Biest augenscheinlich, daß es was angestellt hat, und mischt sich einfach unter die andern, um sein Inkognito zu wahren. Die ganze Geschichte dauerte höchstens eine Minute. Ich war einer von den ersten, die dazu kamen: der Heidenkerl stand da und rief alle seine Götter an, und zwei Matrosen und der Wärter der Vögel standen daneben und lachten sich halb krank. Es war ja auch, wenn man's so bedenkt, eine komische Art, einen Diamanten zu verlieren. Der Wärter war im Augenblick just nicht bei der Hand gewesen und wußte nicht, welcher von den Vögeln es war. Also glatt verloren, was? Mir tat's, ehrlich gestanden, nicht einmal leid. Die ganze Reise schon hatte der Lump mit seinem elenden Diamanten geprotzt.
Natürlich geht so was wie ein Lauffeuer von Stern bis Achter auf einem Schiff. Jedermann sprach davon. Der Bengale ging in seine Kajüte, um sich auszutoben. Beim Diner – er leistete sich zusammen mit zwei anderen Hindus einen besonderen Tisch – zog ihn der Kapitän ein bißchen mit der Geschichte auf, und er regte sich mächtig auf darüber. Er wandte sich zu mir und redete allerhand auf mich ein: die Tiere kaufen, das wolle er nicht, seinen Diamanten wolle er. Das sei sein gutes Recht – als englischer Untertan. Der Diamant müsse einfach gefunden werden. Er würde ans Parlament appellieren. Der Straußenwärter war einer von den Strohköpfen, denen man überhaupt keinen Gedanken beibringen kann. Er weigerte sich rundweg, den Vögeln durch irgendein Mittel beizukommen. Er habe seine Instruktionen: so und so habe er die Vögel zu füttern, so und so habe er sie zu behandeln, und wenn er dies nicht tue, so könne ihn das sein Amt kosten. Padischah wünschte, daß eine Magenpumpe angewendet werden sollte. Aber bei Vögeln geht das doch nicht – was? Überhaupt war er gepfropft voll von allerlei blödsinnigen Gesetzesparagraphen, wie fast alle von diesen Bengalenkerlen – redete von Beschlagnahmung der Tiere und so weiter und so weiter. Aber ein alter Herr, dessen Sohn Rechtsanwalt in London war, behauptete, was ein Vogel verschlänge, sei nachher ipso facto ein Teil des Vogels, und der einzige Weg, der dem Bengalen offenstehe, sei eine Klage auf Schadenersatz; und auch dann noch könne man vielleicht selbstverschuldete Fahrlässigkeit nachweisen. Er habe ja keinerlei Recht, sich in der Nähe eines Straußes herumzutreiben, der ihm nicht gehöre. Den Bengalen brachte das gewaltig auf, weil wir fast alle dem alten Herrn recht gaben. Ein Jurist war zufällig nicht an Bord, so ließ eben jeder seiner Ansicht freien Lauf. Schließlich, hinter Aden, schien der Bengale selbst sich zu der allgemeinen Ansicht bekehrt zu haben; er unterhandelte insgeheim mit dem Wärter und bot ihm eine Summe für alle fünf Strauße.
Nächsten Morgen, beim Frühstück, war der schönste Spektakel. Der Mann war nicht ermächtigt, mit den Vögeln zu handeln, und ließ sich durch nichts auf der Welt bewegen, sie zu verkaufen; aber wie es scheint, erzählte er dem Bengalen, ein Eurasier namens Potter hätte ihm schon ein Angebot gemacht. Daraufhin klagte Padischah Potter öffentlich vor uns allen an. Ich glaube freilich, die meisten von uns fanden es ganz schlau von Potter, wenigstens ich weiß, als Potter sagte, er hätte in Aden wegen Ankaufs der Vögel nach London depeschiert und erwarte in Suez die Antwort, verwünschte ich von ganzem Herzen, daß ich mir die Gelegenheit hatte entschlüpfen lassen ...
In Suez, wo die Vögel wirklich in den Besitz Potters übergingen, fing Padischah an zu heulen – ganze wirkliche nasse Tränen –! und bot ihm ohne Besinnen zweihundertfünfzig Pfund für die fünf Vögel – also mehr als zweihundert Prozent von dem, was Potter gegeben hatte. Potter behauptete, hängen ließe er sich, wenn er auch nur eine Feder von ihnen hergäbe – er würde sie nacheinander abschlachten, um den Diamanten zu finden; später, bei näherer Überlegung, wurde er aber doch ein bißchen zugänglicher. Er war eine Spielratte, dieser Potter, und nicht ganz sauber, wo sich's um Karten handelte, und ich glaube, just die Art von Lotteriehandel muß ihm ausnehmend behagt haben. Na, jedenfalls erbot er sich – um des Ulks willen –, die Vögel einzeln an einzelne zu versteigern, und zwar mit einem Mindestgebot von achtzig Pfund das Stück. Einen davon würde er auf gut Glück hin selber behalten.
Sie müssen wissen, der Diamant war ein wertvolles Stück; ein kleiner jüdischer Diamantenhändler, der auch an Bord war, hatte ihn auf drei- bis viertausend Pfund eingeschätzt, als der Bengale ihn gezeigt hatte. Darum schlug die Idee mit der Straußenlotterie auch so ein. Nun hatte ich ganz zufällig mit dem Mann, der die Strauße versorgte, über dies und das gesprochen, und da hatte er gelegentlich erwähnt, einer von den Vögeln sei nicht recht munter, er vermute, es seien Verdauungsbeschwerden. Das Tier hatte eine fast weiße Feder in seinem Schwanz; daran kannte ich es; und als es bei der Auktion am nächsten Tag als erstes an die Reihe kam, überbot ich Padischahs fünfundachtzig Pfund mit neunzig. Ich glaube, mein Angebot klang fast ein bißchen zu eifrig und sicher; jedenfalls kamen ein paar von den andern auf den Gedanken, ich müsse Bescheid wissen, und der Bengale trieb den Vogel in die Höhe – einfach verrückt – wie ein Unzurechnungsfähiger! Schließlich wurde er dem jüdischen Diamantenhändler für 175 Pfund zugeschlagen; Padischah sagte gerade noch 180, just nachdem der Hammer gefallen war. So wenigstens behauptete Potter. Na, jedenfalls hatte ihn der jüdische Händler und holte auch auf der Stelle eine Flinte und schoß ihn tot. Potter schlug darüber einen Heidenlärm, weil er behauptete, es würde den Verkauf der drei anderen Tiere beeinträchtigen, und der Bengale führte sich natürlich auf, wie ein Blödsinniger. Alle waren wir furchtbar aufgeregt. Ich kann Ihnen sagen, ich war mehr als froh, als die Sektion vorüber und kein Diamant gefunden war. Mehr als froh! Ich hatte mich selber bis zu hundertvierzig Pfund verstiegen bei dem Tier!
Der kleine Jude war wie fast alle Juden: – er machte weiter kein großes Geschrei von seinem Pech; aber Potter weigerte sich, weiterzumachen mit der Auktion, bis festgesetzt war, daß die Ware nicht vor Schluß des Verkaufs ausgeliefert werden sollte. Der kleine Jude versuchte geltend zu machen, daß der Fall hier denn doch ein ganz besonderer wäre; und da die Stimmen ziemlich geteilt waren, wurde die Geschichte bis nächsten Morgen vertagt. Na, ich kann Ihnen sagen, es ging recht lebhaft zu, abends bei Tisch; aber schließlich setzte Potter seinen Willen durch. Denn das war klar: er ging auf jeden Fall sicherer, wenn er alle Vögel behielt, und ein bißchen Rücksicht waren wir ihm schon schuldig für sein sportsmannsmäßiges Benehmen. Der alte Herr, dessen Sohn Jurist war, sagte, er hätte sich die Sache über Nacht überdacht, und es sei sehr zweifelhaft, ob der Diamant, wenn er wirklich in einem der aufgeschnittenen Tiere gefunden würde, nicht dem ursprünglichen Besitzer zurückerstattet werden müsse. Ich weiß noch, daß ich behauptete, das fiele vermutlich unter die Paragraphen des Fundgesetzes – was tatsächlich auch das einzig Richtige war. Nach langem, hitzigem Streit einigten wir uns schließlich dahin, daß es auf jeden Fall eine Dummheit sei, den Vogel an Bord des Schiffes zu schlachten. Daraufhin wurde der alte Herr immer langstieliger in seinen juristischen Auseinandersetzungen und versuchte zu beweisen, die ganze Auktion sei eine Lotterie und also ungesetzlich; er wandte sich sogar an den Kapitän. Aber Potter erklärte, er verkaufe die Tiere einfach als Strauße. Er behaupte ja gar nicht, er wolle Diamanten verkaufen – er habe das nie als Köder ausgehängt. Die drei Vögel, die er versteigere, enthielten seines Wissens und Gewissens keinen Diamanten. Der stecke hoffentlich in dem, den er selber behalte ...
Trotz alledem stiegen die Preise am nächsten Tag noch hoch genug. Die Chancen standen heute immerhin vier zu fünf – gegen gestern –, das gab natürlich eine Hausse. Die verfluchten Viecher erzielten einen Durchschnittspreis von zweihundertsiebenundzwanzig Pfund. Aber komisch: der Bengale kriegte auch nicht einen. Wahrhaftig – nicht einen! Er verführte viel zu viel Spektakel. Wenn's ans Bieten ging, schwatzte er von Gesetzparagraphen – und Potter schikanierte ihn außerdem ein bißchen. Eins von den Tieren fiel einem schweigsamen jungen Schiffsoffizier zu, ein zweites dem kleinen Juden, das dritte ersteigerten die Maschinisten unter sich. Daraufhin war Potter auf einmal sehr reuevoll, daß er die Tiere überhaupt verkauft hätte, behauptete, er hätte glatt tausend Pfund weggeschmissen und jedenfalls eine Niete gezogen, und überhaupt, er sei immer ein Schafskopf gewesen. Aber als ich ihn aufsuchte, um ihm ein bißchen gut zuzureden und ihm plausibel zu machen, er hätte doch immerhin eine Chance, erfuhr ich, daß er seinen Vogel schon einem Diplomaten verkauft hatte – irgend so einem Kerl, der während seines Urlaubs indische Sitten und soziale Fragen studiert hatte. Das – der letzte Strauß – war der zu dreihundert Pfund. Na, schön! Also drei von den Biestern schafften sie in Brindisi an Land – obgleich der alte Herr behauptete, es sei gegen alles Zollreglement. Und auch Potter und der Bengale schifften sich mit ihnen aus. Der letztere gebärdete sich wie ein Verrückter, als er seinen Diamanten sozusagen nach allen Himmelsrichtungen hin verschwinden sah. Er schrie bloß immerzu, er hätte das Eigentumsrecht – wahrhaftig – dies Eigentumsrecht saß ihm ordentlich auf dem Gehirn! – und schrieb den Kerlen, die die Tiere erstanden hatten, seinen Namen und seine Adresse auf, damit sie ihm den Diamanten schicken sollten. Na ja – von denen wollte keiner seinen Namen wissen oder seine Adresse ... Und noch weniger sich selber ausliefern ... Ein schöner Raufhandel war das – das kann ich Ihnen sagen! Mitten auf dem Perron! Jeder fuhr mit einem andern Zug ab. Ich fuhr nach Southampton; und dort sah ich das letzte von den verdammten Biestern. Es war das Tier, das die Maschinisten erstanden hatten. Es stand dicht an der Landungsbrücke in einer Art Korb ... Na, wahrhaftig, dürrer und knochiger konnte kein Diamant gefaßt sein ... wenn ein Diamant drin gefaßt war! Wie die Geschichte ausging? Na ja ... Eben so! Immerhin ... etwas hab' ich doch noch erlebt, was vielleicht eine Art Streiflicht darauf wirft. Ungefähr acht Tage, nachdem wir gelandet waren, machte ich Besorgungen in Regent Street. Und wen sah ich da? Arm in Arm ... in rosigster Laune? Den Bengalen und Potter! Immerhin ... eine nachdenkliche Sache ...
Na ja! Ich hab' mirs ja auch überlegt. Aber wissen Sie – echt war der Diamant ... ganz zweifellos. Und Padischah war wirklich einer der bekanntesten Hindus. Ich habe selber seinen Namen so und so oft in den Zeitungen gelesen. Aber freilich ... ob der Vogel den Diamanten wirklich verschluckt hat ... das ist wieder eine andere Frage ... ja – ja – ganz recht!«