Weiß-Ferdl
O mei!
Weiß-Ferdl

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Operation.

»Operation«: ein scheußliches Wort. Mit dem Schmerzenslaut »O« geht es an. Dann wird gleich gar eine »Oper« – auch etwas, wo viel geschrien wird – draus. Zum Schluß klingt es noch in ein wenig erfreuendes Wort »Ration« aus. Mit einem Wort, ein fürchterliches Wort. Es ist bezeichnend, daß unsere schöne, wortreiche deutsche Sprache dafür keine Bezeichnung hat.

Schon die Vorbereitungen dazu. Ach! Ganz deutlich will ich nicht werden, lasse nur das Wort 90 »Rizinus« fallen. Nachdem du an der betreffenden Stelle rasiert worden bist, was äußerst unkleidsam ist, die Natur weiß, warum sie da Haare wachsen läßt, legt dich der Träger, ohne auch nur ein bißchen Rührung zu zeigen, auf den Wagen. Die barmherzige Schwester wünscht dir mit leiser Stimme »Alles Gute«. Dann hinein in den Aufzug, hinunter, durch lange kahle Gänge in die sehr modern eingerichtete Station. Obwohl alles sehr schön und sauber war, zu dumm, immer mußte ich an ein Schlachthaus denken.

Da liegst du nun, in weiße Tücher gehüllt, ein wehrloses Häuferl Elend. Der Assistenzarzt wäscht dich mit irgendeiner Flüssigkeit und sagt, um dich zu beruhigen: »Eine ganz harmlose Sache, da spüren Sie gar nichts dabei!« Ich hab es ihm nicht geglaubt.

Der Wagen rollt in den Operationssaal. Alles weiß, blitzsauber – aber kalt, mitleidlos. Da steht der Herr Professor mit der Gummischürze. Die Instrumente funkeln blutgierig. Daneben die Operationsschwestern mit Schüsseln zum Blutauffangen, Berge von Watte. Brr! Du, das Opfer, liegst oben, nackt, wehrlos, rasiert und vollkommen nüchtern. Es gibt nichts Nüchterneres als dich! Noch eine peinliche Frage: »Haben Sie falsche Zähne?« Nichts bleibt einem erspart. Bevor ich antworten konnte, die Stimme des Herrn Professors: »Nicht notwendig, nur örtliche Betäubung.« Der Herr Professor nähert sich, er hat etwas in der Hand verborgen, sagt beruhigend: »Jetzt spüren Sie einen kleinen Stich!« Bevor das »Stichwort« fiel, spürte ich schon den Stich. Argwöhnisch beobachtete ich jede Bewegung des Aufschneide-Leiters. So ähnlich 91 wird der zum Tode Verurteilte, wenn er angeschnallt daliegt, die Hand des Scharfrichters beobachten, wenn diese den Drücker für das Fallbeil sucht. »So jetzt warten wir ein bißchen, bis die Einspritzung wirkt!« Ich fürchtete schon, daß ich inzwischen einen Witz erzählen soll. Doch es wurde mir nicht zugemutet. »So, jetzt fangen wir an!« Es fiel mir auf, daß der Herr Professor nicht im geringsten aufgeregt war. Es war doch der Bauch eines ziemlich bekannten Volksgenossen, den er aufzuschlitzen sich anschickte. Allein seine Hand zitterte nicht, er sagte sich: »Bauch ist Bauch!« »Es tut gar nicht weh«, flüsterte er noch freundlich und gab den zu meinen Häupten stehenden Wärter einen Wink. Der schränkte meine Arme in Augenhöhe, breitete ein weißes Tuch darüber und hielt mich fest. Aha, ich sollte das blutige Gemetzel nicht sehen.

Da – das Messer durchschnitt meinen warmen Leib. Ich spürte deutlich den kalten Stahl, wie er durch meine zarten Gewebe eine Furche schnitt. Wehe tat es nicht – aber es ist ein unangenehmes Gefühl. Man liebt es schon nicht, wenn man einem mit kalten Fingern an den Bauch greift und nun erst, wenn ein dir bisher fremder Mensch in deinem Bauch, in den du selbst noch nicht hineinschauen konntest, rumbastelt und rumfuhrwerkt. Was sie da alles gemacht, wie frivol sie in mein Innerstes geblickt, herumgewühlt haben – ich weiß es nicht. Nur das Scheppern der Instrumente hörte ich und fühlte unangenehme Eingriffe in mein bisher sorgsam gehütetes Innenleben. Der Herr Professor machte mich aufmerksam: »Jetzt werden Sie ein leichtes Ziehen spüren!« Es wäre nicht notwendig gewesen, mich darauf aufmerksam zu machen, ich 92 spürte es selbst. Möglich, daß meine Nerven etwas überreizt waren, mir war es, als ob sie mit meinen Därmen ein kleines Tauziehen zur Werkpause veranstalten würden. Dagegen wagte ich zu protestieren, ich verkürzte krampfartig meine Gedärme. Doch das paßte ihnen nicht. Die Schwester flüsterte freundlich: »Nicht pressen!« Ich gab nach, was wollte ich machen? Sie waren zu fünft! Gehorsam überließ ich ihnen meine Gedärme zu fröhlichem Spiel. »Wir müssen das Fett vom Bauchfell lösen«, erklärte der Professor. Schon wollte ich sagen: »Redns bitte nichts vom Fett, sonst entziehen Sie mir die Fettmarken!« Aber, schließlich hatte sich der Professor gedacht: »Aha, der ist schon wieder ganz gut beisammen« und hätt noch mehr angezogen. Drum ließ ich es bleiben und verzichtete auf den Lacher. Längere Zeit manipulierten sie noch an meiner 93 offenen Wunde herum. Es mußte noch einiges Fett entfernt werden. Jedesmal biß ich die Zähne übereinander, wie gut, daß ich sie drinlassen durfte. Endlich flüsterte die freundliche Schwester: »Jetzt ist's vorbei, jetzt werden Sie zugenäht, da spürn Sie gar nichts mehr!« Vom Nähen hab ich wirklich gar nichts gespürt. Die Operation ist beendet. Ahhh! Runter vom Operationstisch, hinauf auf den Wagen und nichts wie hinaus!

Die ersten Tage sind noch ein bißchen unangenehm, der Sandsack drückt, du kriegst auch nichts zu essen, auch wenn du erster Klasse liegst. Denn der erstklassige Darm braucht dieselbe Diät wie der drittklassige. Ein Darm hat kein Klassenbewußtsein. Wenn dies überstanden ist, beginnt ein Wohlleben. Du wirst gehegt und gepflegt wie ein Schwerkranker, bist es aber nicht. Krank ist nur das kleine Fleckerl, das sorgsam verpappt ist. In meinem Leben hab ich noch nie so herrlich gefaulenzt, wie die zwei Wochen nach der Operation.



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