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Achtes Kapitel

In Dunkelheit erwachte Olga im Kerker. Schwarz wie ein Stein von innen die Zelle. Mit Gewalt donnerte Olga an die Türe, flehte, bettelte um das Licht von früher. Alles starrte Nacht. Sie riß an den Augen und plötzliches Licht zuckte, süß wonnevoll vibrierte eine kleinwinzige Flamme, weiß, rosenrot, verblassend in der Sekunde ins Nichts. Noch einmal flehte, bettelte sie, noch einmal versuchte sie es, sie peitschte sich die Augen, bereit zur Vernichtung, aber alles versagte, sie heulte, sie weinte, es dröhnte der kleine Raum, eine einzige Glocke.

Es war kalt, die Zelle eisig, die Luft erfroren. Olga suchte den Kaffee der Profossin, fand ihn nicht in der völligen Finsternis, sie trank Wasser, leerte den Krug, sie hielt den Atem an, Hitze stieg auf in ihr, sie dachte an heiße Gewölbe unter dem Boden, Öfen der Hölle, sie fühlte mit zitternden Fingern hin an den Estrich. Sie zog sich aus, machte sich nackt, schmiegte sich an den Boden, lagerte sich wie in warmes Fleisch, die Fersen aufgestützt an ihre Lenden.

Stimmen aus den Gewölben der Hölle flüsterten.

Erde und Hölle im Kampfe.

Von der Decke herab floß die erste Stimme. Die Decke war durchbrochen, schwarz, unsichtbar noch, saß ein Mann an der Decke, sprach über sie herab: der gute Mann, die obenher küssende Liebe, das ewige Ja.

Vom Estrich her quoll die andere Stimme, die furchtbare Feindin: das ewige Nein.

»Ja! Das arme Kind! Sie sperren es ein ohne Wasser, ohne Brot, ohne Leben, ohne Tod, ist denn keine Gnade?«

»Nein, es ist besser, sie hängt sich selbst! Nur zu! Beide Hände um den Hals und jetzt zusammen!«

»Ja! Aber an den Händen hat sie Wunden! Laß sie! Wie ist sie mager, nur die Augen groß in dem häßlichen Gesicht, eine Mumie in Flanell, halb gestorben, halb verdorben, alles verdorrt.«

Olga, in Scham und in Zittern, wollte sich ankleiden, ihre Blöße dem Mann oben verbergen, aber die Kleider trieften vor Nässe, zum Trocknen hing sie den Rock an den Gashahn, schlüpfte unter ihm weg in drehender Flucht, die Schnüre des Rockes streichelten ihr nach, kitzelten den Hals, reizten zum Lachen.

»Nein! Wie du lachen kannst! Was du für Glück hast! Ist das die Schnur vom Rock? Nein, das ist der Schleier, der weiße. Ist Olga im Zuchthaus? Nein, in der Hochzeitskirche zur Nacht. In der Nacht hat sie geliebt, in der Nacht wird sie getraut. Traurige Olga, nimm den Schleier um den Hals, und fest zugezogen, wie wird dir dann wohl!«

Langsam erhellte sich das Zimmer, wie von Spitzenschleiern, wehend vor offenen Türen. Überallher strömte kalte Luft. Olga lag am Boden.

Franz erschien, die Decke durchbrechend, dröhnte er nieder. Gewaltig wuchtete er. Ungeheure Kirchenfigur aus Kupfermetall. Der Erdenherr, dem Himmelsfürsten verwandt. Der Fuß, erstarrend in dunkelstem Erz, erhob sich langsam über Olgas Kopf.

»Nein, ich darf es nicht, du darfst es tun. Drück ihr den Kopf ein. Jetzt ist sie drin, im eisernen Kabinett!«

»Ja, willst du es auch wirklich, Olga?«

Olga: »Hilfe! Hilfe! Rette mich!«

»Nein Franz, hörst du sie schreien: Will ja, will ja, rette mich!«

»Ja, kann man das tun? Und wenn sie unschuldig ist?«

»Nein, es muß sein.«

Olga: »Ach und weh, heilige Barmherzigkeit! Warmherziger! Herziger! Ich habe immer nur einen geliebt!«

»Nein, ach und weh, lach' und geh, tu ihr die Barmherzigkeit, mach' ihr die enge Kehle weit.«

Der Fuß, dunkel starrend in Erz, glühend in Hitze, bitterlich von Geschmack, mit ungeheurer Gewalt drang er in Olgas Kehle. Würgen empfand sie. Bitteres Wasser erbrach sie im Strom.

»Nein! War das gut, Franz? Dich habe ich beten gelehrt, jetzt lernt deine Olga auch beten. Knietief steht sie in Tränen.«

»Ja! Zurück! Ja, laß sie heim! Ja, sie darf zurück! Ja, sie hat genug geblutet!«

»Nein! An den Füßen packe ich sie, ich an der Brust. Mittendurch zerreiß ich sie.«

Olga: »Liebe mich! Küsse mich, Franz!«

Aber leer blieb ihr Mund, nur Lachen, strömend wie ein entketteter Strom, durchdröhnte die Zelle. Olga raffte sich auf zum letzten Flehen, aber das ewige Nein zischte aus allen Ecken des vergitterten Raumes:

Erbarmen!

Nein! Zermalmen!

Erbeten!

Nein! Zertreten!

Gott!

Nein! Kröte und Kot!

Liebe!

Nein! Diebin!

Rosenkranz!

Nein, Totentanz!

Pferdegrube! Erde verfluchte! Sterben und Ruhe!

Es häufte sich ihr auf der Brust zu gewaltigem Erzberg, zum kupfernen Dom.

Michalek stand vor Olga. Metallisch klirrte sein Lachen, alles bebte an ihm, kupferfarben schillerte sein Schädel, seine blauen Säuferhände klatschten zusammen im Takte zu Olgas nackten, fliehenden Sohlen auf den nassen Steinen des Gefängnisses. Nirgends hin zu entweichen, die Arme in die Bänder verkettet, und wie ein Wasserstrom von allen Seiten das höllische Gelächter!

»Lache nicht! Lache nicht! Ich bitte, ich flehe, ich knie, ich bete. Ich muß weinen, du kannst lachen, ich liege zertreten am Boden wie eine Kröte, eine arme elendige, ich kann mich nicht rühren, ein Tier, in Ketten gebunden.

Lache nicht, lache nicht! Ich will weinen, ich will büßen, den Fuß dir küssen, warum ist er so heiß? Bist du krank, ich will dich gesund weinen. Bist du in der Hölle, in der glühenden, heißen, ich bin da mit dir, da ist es gut. Lache nicht, lache nur nicht? Franz, was wird aus mir? Lache nicht mehr! Barmherziger Heiland, lache nicht!«

Einen Augenblick lang verstummte alles, dann krachte brüllendes Lachen von neuem los, Michalek zitterte, Tränen lockte ihm das Lachen aus den weißen Augen, sein Hals, fett schwabbernd, zuckte im blauen Höllenglänzen in den Stößen des Lachens. Aus seinem blauen Banknotenhemde raschelte es, der glitzernde Strick des Bosniaken wand sich in Ringeln vor Lachen. Hoch trillerte Mizzis Gelachter, in perlendem Kichern, der furchtbaren Wunde entfloß es, entsprudelte der tödlichen Grube, die gekräuselten Haare wehte es vor sich hin, das unzerstörbare Grinsen, der ewige Hohn.

Olga, nackt, schwarz hockend in der Ecke der Zelle, horchte auf: Ihre Augen, grün glühende Sicheln, nach innen gekrümmt, ihre Hände, spitzige Pranken, mit tierischen Nägeln, aufgebäumt ihr Nacken, angehalten die Glieder, nach oben gereckt das kahlgeschorene Haupt.

Das Tier, gespannt zum Sprung.


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