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Drittes Kapitel

Bis ins Innerste umwittert von ihrem Wahnsinn, Wahnsinn atmete Olga ein, Wahnsinn atmete sie aus. Erstickung fühlte sie nicht mehr, licht war der Moment.

Sie ging in Michaleks Stadt vom Bahnhof in die Kirche, stellte den Handkoffer neben sich, beugte den Kopf, weich niederkniend. Aber die Flaschen Aranka klirrten böse, dumpf dunstete der Schnaps aus dem modrigen Leder, Kerzenflammen brannten gelb auf dem Altar.

Gebete wollten nicht kommen, mit bösem Herzklopfen, unter rebellischem Dröhnen der innersten Adern suchte sie nach den Gebeten, haschte nach frommen Worten, »Gottesvater, jungfräuliche Gottesmutter« ...

Hohn war es, daß sie heute die ganze Litanei verlegt hatte, sich nicht auf den lieben Herrn Herrgott besinnen konnte!

Hohn war es, daß sie gestern, den Sonntagsgott suchend, alle Gebete offen vor sich im klaren Kopf, alle Gebete wie auf der flachen Hand, sich ins Pferdebegräbnis verirrt hatte.

Gott verleugnete sie!

Gott ließ sie nicht vor! duckte ihr den Kopf nieder auf den alten Judenkoffer!

Gott ließ den verruchten Schnaps in der Kirche stinken.

Schwarz war die Kirche, und doch brannte draußen hellichter Tag.

Blau war der Bart des Gottvaters, verschwunden die hellgeflügelte Taube, dunkel im Grün war des Heilands segensreiche Brust.

Eisig kalt das große Gewölbe, ein lebendes Grab, schwarz umflort. Von Totengeruch erfüllt, mit gelben Totenkerzen beleuchtet.

Da war kein Zurück, da war kein Zuhause, es flüsterte tückisch hinter ihr her, es jagte nach ihr in zischendem Laut.

An Gott dachte sie, aber von Franz sprach es herab aus der Höhe.

Eine Stimme sagte ganz deutlich im Litaneienton:

»Die Olga, die Olga! Dieses schwersündige Mensch! ...
Wie eine kalte Kröte wird er sie austreten! ...
Er hat sie hingetreten!
In den Lehm hat er sie hingetreten,
Auf allen vieren
Zu marschieren in die Pferdegrube und zum Hochaltar
Und noch oft hat er sie hingetreten,
Alle viere von sich gestreckt,
Auf dem Rücken zu liegen wie das tote Vieh!
Hingetreten hat er sie im Bett,
Im kaiserlich-königlichen Kavalett,
Auf dem Gras am Exerzierplatz,
Auf dem Samtsofa, beim Regimentsarzt:
Schon damals warst du schmutzig und schmierig, Olga,
Speckig und dreckig, Olga,
Schleimig und schlecht, Olga,
Ein Handtuch unter dir, Olga,
In den Ofen wirft er es nachher, der Doktor.
Dann hat er dich getreten,
Oft und oft und immerdar bist du dagelegen,
Mit dir haben sie alle gespielt,
Gepfiffen haben sie über dir,
Am Zigarettenspitzel gesogen, ausgespuckt, gerade über dir.
Angespuckt bist du von oben bis unten,
Armes Mensch, ganz kalt vor Schleim,
Schwersündige Olga, du darfst nicht mehr in die Kirche!
Du Fluch Gottes,
So komme denn auch dein Lohn,
In Ewigkeit, Ewigkeit,
Lieber Gott, sei lieb, Amen!
Olga, du bist verflucht, Amen!
Lieber Gott, sei lieb, Amen!
Olga, du bist verflucht,
Amen.
Lieber Gott!«

Hinlauschend nach der Litanei, die hinter ihr herzischte, betäubt vom Duft des Aranka, zitterte sie, stumm zog sie das Geld aus der Brust, es war da: warm, trocken, raschelte, zu kleinen Röllchen geformt. Es knisterte zum Trost, wie die Zigaretten im Traum. Das Geld war süßer Trost, die Scheine waren rein, scharf an den Ecken, unberührt, eingewickelt in den Bosniakenstrick, duftend nach den Rosen, nach den Himbeeren, Erstickung und Süßigkeit zugleich. Es waren viele Scheine, viele Blätter, ein ganzes Gebetbuch von Geld.

Sie ging hinaus aus der Kirche, in der einen Hand den Koffer, in dem die Aranka klirrte, in der anderen die Banknoten, die knirschten in der geballten Hand.

Sie stieß mit der Schulter am Weihwasserkessel an; aber sie hatte sich nicht besprengt! Neu war eine schwere Sünde! Schwer war die neue Sünde! Sie konnte nicht wieder gutmachen, nicht mehr zurück, die versäumte neue Weihwassertaufe nie mehr nachholen. Nicht gebadet hatte sie das schmutzige, sündig erworbene Geld, es nicht geheiligt, nicht der Kirche verehrt.

So mußte sie in das andere Haus. Das Böse lag in der Luft, sie wußte, überall war es da; nur nicht anstreifen wollte sie; wenn das Böse schon vorausbestellt war, wenn es lagerte in Michaleks Haus, aufgespeichert in Mizzi, dann wollte sie es nicht übernehmen ... dreimal strich sie scheu, auf den Fußspitzen, schwankend, mühsam den Koffer auf der Erde schleppend, rings um das Haus 37; stumm lag es da im Morgenlicht, duftend nach feuchtem Moos, herbem Morgengeruch.

Noch wich sie aus, ging zur Ölfabrik; hinter den eng vergitterten Fenstern sah sie die Leinsamenpresse, weiß verschimmelt waren schmale Furchen in schwerem, flachem, breit verschmiertem Öl, starke Kolben, im Begriff, mitten hineinzufahren, aber noch wartend, starrend in Drohung, hoch emporgehoben eine Sekunde vor dem Einsausen, machten sie taumeln.

Jetzt, jetzt hatte der Traum in ihr eingeschlagen, nun war alles vorbei, zu Michalek mußte sie hin, ausweichen mußte ihr das andere, sie selbst konnte sich nicht mehr zurückhalten, sie stieß dumpf schreiend die Tür auf, tief atmete sie (lächelnd, verstummend, beseligt) den Geruch des Salons, alter heimatlicher Sultanzigaretten, süßbitterlicher Pomade, Rauch von Knasterpfeifen, Staub nie geklopfter Teppiche, alles, alles lebte noch in Herrlichkeit: Da war das Zurück, da war das Zuhause, da war die ruhige, sanfte, gewärmte, benedeite, gesegnete Kirche!

Sie wußte es, sie fühlte es, es warf sich empor in ihr, aber nicht mit Schmerzen, nicht mit Beben, nicht mit Schrecken, nicht in bösen Träumen, nein, in Wirklichkeit, in Lust, mit Freuden, in tausend Herrlichkeit: Franz war da!


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