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Sechstes Kapitel

Olga schlief im Mädchengelaß. Lange hörte sie, halb eingeträumt, die andern Mädchen flüstern, lachen, mit den Gabeln klirren. Schon wollte sie in Schlaf versinken, da knirschte jemand in Wut mit den Zähnen: erschreckt blickte sie auf, aber nicht Mizzi war es, sondern die alte Kathinka, die zwischen ihren eisernen Zähnen Kümmelkörner des Schweinebratens zermalmte und gutmütig lächelnd mit ihrem großen, blatternarbigen Gesicht herabsah auf Olga.

Olga, gesättigt und ruhend am Fuß des Traumberges, träumte sich ein in die seidne Steppdecke des grünen Kabinetts, knirschend in wollüstiger Wärme, von roter Laterne ferneher besonnt.

Jemand rüttelte sie auf: Michalek war es, frisch, verjüngt, wiederbelebt durch den guten Schnaps. Seine Augen waren jetzt erst die guten alten wilden Augen des Michalek aus der Soldatenzeit, des Franz von einst.

»Ausgeschlafen, kleine Katz? Kommst du zu mir? Wir müssen noch trinken. Das Lumpenzeug lasse da liegen. Was soll das bei der Liebe... so bist du am schönsten, Olga, voller Pracht wie am ersten Tag!«

Im Hemd, mit bloßen, milchweißen Füßen, trat Olga auf die Treppe. Die Mädchen schliefen, stets schliefen die Mädchen bei Regen wie tot, Kathinka, die blatternarbige, ruhte eingehüllt in die rote Bettdecke, begraben im Schlummer, umwölkt von schwerem Dunst. Draußen prasselte der Regen, der machte die Mädchen so starr, streichelte sie ein in Schlaf.

Von der Küche kam der warme Dunst des Abendessens, er blähte, von der Tiefe emporhauchend, die feine Kräuselspitze des Hemdes, umknisterte Olgas Knie sehr süß.

Franz ging voran, er schwankte leicht, sie stützte ihn, sie hielt seinen eisernen Rücken, der in gewaltigen Muskeln schwellte, wie aus Erz geschmiedet war, aber auch heiß hauchte wie Erz; seines Körpers Wärme legte sich ihr wie fressendes Feuer ins Mut. Sie konnte nicht mehr. Sie ließ ihn los.

»Warum stößt du mich denn?« knurrte er böse.

Olga blieb stehen, allzusehr gepeinigt vom fressenden Feuer, vom fressenden Ton in Michaleks heiserer Kehle.

Er ging hinab: sie stand, sie starrte ihm nach, sie atmete ihn ein: bis in die letzten Adern strotzend, schwer strömte ihr Blut. Aufzitternd in der geahnten Berührung, atmete sie auf vom Grunde ihres Lebens: die vollen Lippen im Beben; ihr Herz in stärksten Schlagen gegen die erkaltete Brust, gegen die niedersinkenden Blüten, still im ruhenden Hause. Da löste sich alles stumm in zauberhafter Süßigkeit von innenher.

Sie betrat den grünen, verzauberten Raum. In den Händen schleppte sie das gute Getränk, die zwei Flaschen Aranka.

»Zwei nur?« murrte er böse.

»Du!« Lang atmete sie das Wort hin, der warme Hauch floß ihr über die nackte Brust.

Sie glitzerte mit ihren weißen Zähnen, blinkte licht im Smaragdglanz des Zimmers.

»Du«, sagte Olga dumpf. Kaum mehr öffnete sich ihr Mund, von innenher zusammengepreßt, von innenher mit süßem Speichel gefüllt, gestreichelt mit zauberhaft wallender Liebkosung.

Sie stieß ihn, dumpf noch ihr Du brüllend, von sich, nicht mehr Mensch, noch nicht der tierverwunschene, tierverwandelte Dämon. Aber ungebändigt, mit der muskelstärksten Kraft der ungebändigten Bestie, warf sie sich gegen ihn, sie zitterte nicht in einer Faser des Körpers, des gluterfüllten.

Er aber wankte, von trügerischer Kraft getragen, tückisch und traurig, mitleiderweckend war sein Menschenblick, der verstümmelte Offizier, dem der Oberst mit der Schere die vier goldenen Sterne von der Uniform geschnitten. Weinend war er, zum Weibe verwundet, zurückgekehrt zu ihr, beide Hände voll Scham um den Uniformkragen geklammert, um ohne Feuer, ohne Flamme, ohne Glut, ohne Liebe sie zu lieben, nur um Mitleid zu bitten, ihre Tränen zu locken mit den seinen.

Er wankte, mühsam hielt er sich am Tisch. Die Arankaflaschen klirrten, taumelnd im taumelnden Raum, stürzend in der stürzenden Zeit. Die Flaschen, die kostbaren, zu schützen, blitzten ihre Hände hin, aber ihn schlugen sie, Michaleks Fleisch.

In der Wucht des Augenblicks, mit dem Zucken der Berührung, warf es sich in ihr empor, das wilde Tier.

Im Dunkel des Zimmers, angepocht vom Regen, der die Scheiben prasselnd schlug, erglühten Franz und Olga. Wie zwei erhitzte Eisen schlug die gewaltige Zange sie zusammen, ließ die erste Glut frei aus ihr, der innenher zerloderten, preßte letzte Glut aus ihm, dem alterserstarrten.

Die Haarnadeln riß sie fort aus ihrem Haar, wie ein stürzendes Wasser brach die Welle ihrer Haare nieder auf sie, peitschte ihr die Brust, schlug wie ein schwarzes Segel im Sturm an ihre harten Hüften, von außen wehte es sie an, mit tausend Armen umfing sie der gewaltige Mann, mitten durch die Millionen Haare drangen seine Millionen Finger, sie rissen ihr die Haut auf und herab, das letzte vom Leibe, und jetzt, er zu ihr, zu ungeheurem Schmerz schwoll es ihr, rasend zu ungeheurer Wut entfesselte es sich, sie verging ihm unter den Händen, noch stieß sie ihn von sich, wie eine Ertrinkende gerade noch atmend, gerade noch sehend, gerade noch einen Herzschlag, schluchzend mitten im süßen Gewässer, da warf er sie nieder, unter ihm entatmete sie leise, von Wellen gehoben, in ruhelosem Schweigen, im Röcheln düster flammte es empor, ihres ganzen Lebens eingepreßte Wollust, eingesogen von unzähligen Gästen, keinem vergolten. Es rollte nieder in bewußtlosem Schrei, es hauchte in sein gezogenem Flüstern, betendem Atmen, silbernem Klingen, zartem Verstummen.

Sie warf sich umher, ihm zu entgehen, tiefer nur sanken sie zusammen, sie hob sich fort, sie stieg, wolkengleich getrieben schwebte sie, mit ausgebreiteten Fingern, in weißem Dunst und Dämmer gelöst, mit sternartig verzweigten Gliedern, mit Händen ohne Ende, die über seinen Leib reichten bis ans Ende des Raums, mit ihren bergehoch getürmten Brüsten, welche mit glühenden Spitzen die Fenster durchbrachen, angeprasselt vom strömenden Gewitter rührten sie bis an die Himmelsgewölbe, die eine nach oben, die andere in die Tiefe schwellend, in unermeßlicher Kugelgestalt teilten sie sich in Tag und Nacht, zwischen ihnen aber, kindlich gebettet, schmiegte er sich, der gute, geliebte, in ihren bodenlos tiefen Schoß versank er, sie barg ihn in sich, Olga, ein lebendes, schützendes Dach, hielt ihn an seinem flaumbeschneiten, grauen Haar, wenn er ihr verschwinden wollte vor ihren vergehenden Augen.

Wenn sie die schweren Lider über ihren Augen hob und senkte, Stunde um Stunde, drehendes Brüstegewölbe, Trockenheit, Schwärze, Licht, prasselndes Regengedröhne, Zeit ohne Ende.

Atmen, tief, schluchzen, bitten.

Mit letzter Kraft warf sie den Schrei. Mit ehernem Posaunenschrei krampfte sie sich zusammen vor der Vernichtung.

In wütendem Zittern entrann sie, verrann sie. Mit beiden Fäusten die Haarflut zu fassen, die mild gewellte, in Bündeln gesammelt, hinströmend ihr um die Arme, sie schwarz zu umketten.

Golden schien die Gewittersonne.

 .  .  .  . 

Mit letzter Menschenkraft die Haare zwischen sich und ihn zu pressen, sich zu verkriechen im eigenen Gelock, dem schützenden Mantel, wie ein Tier sich zu kleiden ins eigene Fell.

Aber doch hob es sie, mit jedem Herzschlag hob es sie höher über sich selbst : Unter den heiligen Sternen, im neuen Mond, in der großen Verzückung.

Ferne sah sie, auf dunklem Speicher, unter regenumprasselten Balken, auf rot samtenen Banken, die Millionen Gäste gelagert, nackt, mit schwer schwellenden dunklen Gesichtern, alle grau den Kopf, weich behaart, mit Flaumfedern beschneit. Alle aus Erz, rückwärts nur eiserne Rücken, wie sie sich wanden, vorne blutige, männlich dürre Brüste, ihren milchweißen Himmelskugeln strebten sie zu, an ihren milchweißen Füßen rissen sie, zwischen ihre langrollenden schwarzen Haare retteten sie sich, von Gewittern durchnäßt, mit regenfeuchten Händen faßten sie ihr an den Nacken, sich da zu wärmen.

Und dort ins Geheimnis drängten sich alle, Millionen und tausend in einem.

Sie aber bäumte sich auf, ein aufgehendes Gewölbe, gegeneinander eng die milchweißen, kleinen Füße gepreßt; ein einziger weißglühender Bogen.

Niedrig die Füße, wie Perlen ohne Spitze gerundet.

Niedrig das Haupt, schwarzgleißend in fließenden Locken.

In der Mitte die Hüften, in lichtes Silber geschmiedet, hoch entronnen ihm und den tausend gierigen Männern, sich selbst nicht mehr sichtbar, in weiter Höhe wandelnd, ein weiß silberner Menschenmond, in die letzte Höhe des heiligen Domes gepreßt.

Wie sie da knieten, das kalte Pflaster des Domes zu bedecken, unter ihr, unerkennbar in zahlloser Menge, da raunte er, außenher vom Regenprasseln durchbrochen, der liebe Name der Liebe, der heilige Ruf: Franz. Das war das Geheimnis, der Abend am unvergeßlichen Tag.

Schon sank sie ihm nieder. Hoch den Kopf, den rot strotzenden Mund. Hoch die Füße, in selige Milch triefend gebadet. Sie fühlte, sie war Olga, gesegnet. Sie erkannte sich selbst.

Eine lebende Hülle, ein Bogen, nach innen gebäumt, tief im Kern kreiste er ihr, im Grabe lebte er ihr, in der Grube erwachte er ihr, mit liebend verkrampften Lippen saugte sie ihn zu sich, sie trank ihn mit ihrer milchweißen Kehle, die sich bäumte über ihm.

Ein weites Paradies durchraste Olga, gesegnet mit rasendem Zauber, Zeiten, endlose, durchlachte sie im verwunschenen Traum.

Sie lachte und schweres glattes Geld entrollte ihren streichelnden Fingerspitzen, sie lachte und Papierscheine knisterten in kaum zu fassender Fülle aus ihrem knisternden Haar, in Gold und Millionenpapieren begrub sie den geliebten Mann, der tief unter ihr rauschte, von oben beschienen von einer kleinen roten Zigarettenflamme, die ihr aus den Lippen dämmernd gleißte. Sie zog, und stärker zuckte das Zigarettenlicht, aber nur um so schwerer ging Franz unter ihr hin, vom Golde beschwert, die liebe gute nackte Haut mit den großen Banknotenscheinen bekleidet. Bläulich er selbst im blauen Schimmer der Scheine.

Noch einmal klang es, aber feindlich, ein böser, schneidender Laut: Franz! Die andere Welt, die teuflische Feindin, der ewige Frost, das ewige Nein.

Ihre Locken schwanden, verblaßten, ihre Haut, die schöne, fiel ab, in Fetzen gekämmt mit eisernen Kämmen.

Aber noch erwachte sie nicht.

Noch weilte sie in tausendfacher Berührung, aber ferne schon verschwand der Mann, schleppend im Banknotenhemde , von einer Fremden gestützt.

Olga aber rettete sich zu sich selbst, in ihre eigene Wärme verkroch sie sich, schlafend in unnennbaren Gesichten.

Sich selbst zugewandt, im grünen Dämmer des geliebten Raumes.

Es schwanden die ungeheuren Formen der unermeßlichen Brüste. Ihre kleine mädchenhafte Hand deckte ihre kleine mädchenhafte Brust.

So ruhte sie, ihre eigene Seele gerollt um sich, bis ins tiefste befriedet.


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