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Zugleich mit dem Herzog Ondermark, der dem Kuratorium unserer Anstalt angehört, wird sein Sekretär erwartet, der eine der Revisionen in bezug auf unsere Geldverwaltung vornehmen soll. Infolgedessen ist der Rendant, der »unverwüstliche Beamte«, unaufhörlich auf den Füßen. Er tut uns leid, und Prinz Piggy, der sein Motorrad (das er übrigens fast nie benutzt) sonst niemand leiht, hat es dem Rendanten auf einige Tage überlassen, wenn er es zu Fahrten nach V., wo sich die meisten Lieferanten des Stiftes Onderkuhle befinden, brauchen sollte. Es ist uns bekannt, daß der Rendant eine achtköpfige Familie zu versorgen hat. Er kennt also Entbehrungen nicht nur an sich selbst, sondern auch an seinen Kindern, den unmündigen besonders, denen er sie nicht einmal durch seine Gegenwart lindern kann. Denn er hat hier während des ganzen Jahres Dienst, ebenso wie der Meister und ich, wogegen die andern, der Direktor, Abbé, Professoren und Präfekten, selbst die kleinen Beamten und Handwerker bis zu den Dienern, ebenso wie die Schüler ein Anrecht auf Urlaub haben. Aber ich und der Rendant sind nicht das gleiche. Wenn ich mich im Licht des Meisters sonnen konnte, bleibt der Rendant immer in seinem Schatten. Er ist nicht so sehr des Meisters rechte Hand als dessen Schuhsohle, auf die der Meister tritt, als wäre dies das Natürlichste auf der Welt. Obwohl der vertrocknete dürre Rendant zu uns Zöglingen in keinem Kameradschafts- oder Vorgesetztenverhältnis steht, grüßen wir ihn doch, und manche der freigebigen Knaben tragen ihm Kleinigkeiten für seine Kinder zu. Nun sehen wir ihn trotz der Hitze in sein langschößiges, speckig glänzendes Gewand gepreßt; vom frühen Morgen bis zum späten Abend läuft er zwischen seiner Kanzlei, den Lagerräumen und Vorratshäusern hin und her, rattert auf dem Motorrade los nach der Stadt, kommt in grauem Staubgewande zurück, sattelt seine schmutzbedeckten Aktentaschen ab und steckt sich sofort, während seine Äuglein den Meister suchen, eine der in der Mitte durchgebrochenen Zweicentimeszigaretten aus algerischem schwarzem Tabak zwischen die Lippen. Diese sind trotz der Anstrengung blaß und können selbst jetzt beim Rauchen nicht die mechanische Bewegung des Zählens und Rechnens unterbrechen, so daß des öfteren ein Stummel zur Erde fällt, wo er von den immer gierig umhergackernden Hühnern aufgenommen und wütend zerrupft wird. Piggy kann sich natürlich seines bellenden Lachens nicht enthalten, wir andern werfen aber dem Rendanten neue Zigaretten zu, die er »zur Sicherheit« zwischen die Blätter des großen Rechnungsbuches klemmt, um dann, mit den schweren Aktentaschen unter den dünnen Kanzlistenarmen, den blanken Kopf voran in der dunklen Tür seines Büros wie eine Eidechse zu verschwinden.
Ich überrasche ihn dann zu Zeiten, in denen der Hof von den Schülern verlassen ist, hier in aufgeregtem Gespräch mit dem Meister; sie bewerfen einander mit Zahlen und mit unverständlichen Geschäftsausdrücken, aber beide verstummen, als sie mich erblicken. Ich gehe fort und überlege mir, nicht ohne Bitterkeit, daß hier ein Familienvater der gutmütigsten, anspruchslosesten Art dauernd von seiner Familie ferngehalten wird, ohne diese doch von den dringendsten Sorgen befreien zu können. Alle Geschäfte betreibt er, Prolongierungen und Diskontierungen, nur die eigenen Geschäfte nicht. Wir aber, die Söhne ohne Väter? Kann mir der Meister trotz seiner vielleicht echten Neigung den Vater ersetzen? Jetzt hat er den Rendanten, so ungern dieser ihn losläßt, allein gelassen und kommt mir eilig nach. Ich gehe nur um so schneller.
Ich habe es bis jetzt nicht erklärt, aber gesagt muß es werden, daß ich körperliche Berührung von einer fremden Hand hasse. Es ist eine Erbeigentümlichkeit meiner Familie mütterlicherseits. Meine Mutter habe ich geschildert, wie sie ist, als die kindlichste, verspielteste, reizendste Frau, die es gibt. Aber habe ich gesagt, daß meine Mutter sich stets vor mir gescheut hat? Sie spielte mit allem. Sie griff einem inzwischen längst verstorbenen, immer kränklichen Hündchen ohne Scheu in das Maul, aber mich berührte sie nur mit dem äußersten Widerstreben. Dies war der einzige Grund der Zwistigkeiten zwischen meinem Vater und ihr. Sie faßte mich nie an, weder aus Zärtlichkeit noch zur Strafe. Und ich erbe dies von ihr, nähere mich kaum je ihrem Mund, ihrer Hand oder ihrem Halse, den sie gern mit Perlen geschmückt trägt, außer zu einem mehr gehauchten als wirklich mit warmen Lippen gegebenen Kusse. Es ist mir unbegreiflich, grauenvoll und beruhigend zugleich, wenn mein alter Herr mich rücksichtslos an seine schlecht rasierten Wangen drückt und wenn er mit seiner herabhängenden, müden, trübrot beschlagenen Unterlippe meinen Mund küssen will, was ich aber so geschickt abzuwehren weiß, daß er mein Widerstreben nicht merkt. Oder ist er nur zu vornehm, um es mir zu zeigen?
Jetzt kommt mir auf dem Hofe vor dem Lazarett der Meister nach und faßt nach meiner Hand, in der ich noch die zerrissenen Abschnitzel eines unvollendeten Briefes an meine Eltern trage. Meinem Vater, dem edelsten Menschen, ließ ich meine Hand nicht so lange wie jetzt dem Leibeigenen, ohne ein qualvolles Gefühl der Beklemmung zu haben. Aber dem Meister füge ich mich in alles. Es ist grauenvoll und beruhigend zugleich, wie jetzt mit dieser Berührung das Vorgefühl des T., das mich den ganzen Tag umhergehetzt und mir nicht einmal die Ruhe zu dem Briefe an meinen Vater gelassen hat, wie dieses T. sofort verschwindet, wenn der Meister meine Hand mit der seinen umfaßt. Ist es Gefangenschaft? Zärtlichkeit? Ist er der Herr? Ich der Knecht?
Schließlich muß ihm der Zug meiner Hand sagen, daß ich von ihm fortwill. Ohne mich anzusehen, gibt er mich frei. Warum ist meine Hand so schwach geworden, daß sie die Papierschnitzel, die unnützen Trümmer eines nie geschriebenen Bekenntnisses, fallen läßt, die nun von dem heißen, sandigen, in seiner Glut rauhen Winde aufgehoben werden und nun einen Flug beginnen, der sie, an den geschlossenen Fenstern der Anstalt vorbei, fast bis an das Dach des in der Hitze starrenden roten Schulhauses führt?