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9

Meine erste Aufgabe ist, unbeweglich, unerschütterlich und vor allem ungerührt in der Mitte des Platzes stehenzubleiben. Das Pferd windet sich wild. Es hat sich in die Zügel ohne meine Absicht, ohne System wie in Spannstricke eingeschnürt. Die feine Haut tritt in Wülsten hervor, die sich an den Rändern sofort unter der Haut mit umlaufendem Blute füllen, Striemen, die man noch nach Monaten sehen wird. Nicht zu vermeiden. Das Pferd kann sich nicht halten, es wankt, fällt, es öffnet erstaunt sein Maul. Es wiehert aber nicht, schnell will es sich wieder aufraffen. Der Boden des ovalen, hohen Raumes ist erschüttert durch den dumpfen Anprall des fallenden Pferdes. Die weißen Flecke an der Stirn blinken bei der starken Bewegung. Das Pferd beginnt sich zu wälzen, den Kopf unter der Lohe zu vergraben, aber es ist zuwenig davon da, immer wieder werden die Augen des Pferdes sichtbar, und die Augenwimpern, schon mit Schmutz bestreut, sind aus ihrer schön dichtgereihten Ordnung gebracht. Auf der Seite daliegend, wiehert es und klagt. Aber dann explodiert es förmlich, es feuert vom Boden auf, eine Wolke braunen Staubes um sich aufschüttelnd, es schlägt mit dem Kopfe um sich, gedankenlos, wütend, besinnungslos. Aber es macht sich nicht frei. Die gut geordneten und klug ausgedachten Binden spannen sich in ihren stählernen Ringen von neuem, und es ist, als wäre nichts gewesen.

In diesem Augenblicke sieht es so aus, als ob Cyrus sich fügte und nun in regelmäßigem, rechts gerichtetem Trab parieren wollte. Wenn er mich von der Seite ansieht, ist es nur, um mir meinen Willen von den Augen abzulesen. Oder habe ich mich getäuscht? Ist es nur Tücke? Hinterlist? Bei jedem zehnten Schritt erhebt sich Cyrus auf den hohen Hinterbeinen und kommt mir näher, drängt mich an die Höhlung der ovalen Wand, um dort auf mich niederzufallen. Ist es zu spät, habe ich mich schon von dem hämischen Geiste betrügen lassen? Habe ich einen teuer erkauften Augenblick lang geglaubt, ich stünde, strahlend in meinem Lebensübermute, im Mittelpunkt der Welt, herrschend, weil mein Pferd ein paar regelmäßige Touren rings um mich gemacht hat?

Jetzt ist es damit vorbei. Es springt, indem es sich mit allen vieren vom aufschäumenden, braun brodelnden Boden abstößt, in schiefen Sätzen nach links, dabei wirft es den Kopf mit einer solchen tierischen Wut zurück, daß die Stange, die es im Maule hat, gegen seine Zähne klirrt mit eisernem Getöse. Plötzlich, flach mit gebeugten Gelenken dem Erdboden angenähert, zuckt es wie ein Blitz mit scharfen Sprüngen durch die Manege hin. Es spielt mit der Doppellonge, die scheinbar alle Kraft verloren hat, wie ein Kind mit einem Bändchen am Hemd.

Durch die verglaste Öffnung im Dache dringt Licht, ein starker, mannsdicker, silbern gleißender Strahl. Ich bin für das spielende, rasende Tier nicht mehr da. Sowenig wie vor einer Stunde für meinen einzigen Freund. Mit dem Lichtstrahl spielt es, schnuppert nach ihm, taucht seine schweißesfeuchte, flatternde Mähne in den Lichtkegel. Dicht neben den schmalen weißen Vorderfesseln sprüht das versilberte Mähnenhaar, so sonderbar hat sich das Pferd gekrümmt. Aus dieser gekrümmten Haltung löst es sich unter lautem F..., reißt die Glieder an sich, springt auf, steigt aus Leibeskräften und läßt sich dann mit seinem seidenglänzenden, stark riechenden, schweißbedeckten Körper dröhnend in die Lohe niederfallen, als spiele es mit sich selber wie mit einem Ball. Ich stehe ganz still da, komme dem Pferd weder näher, noch entferne ich mich von ihm. Trotz des ohrenbetäubenden Lärmes, den der unaufhörlich wiehernde und stampfende Hengst vollführt, bin ich so ruhig wie vor einer Stunde am Bett meines kranken Freundes Titurel. Das Pferd hat sich jetzt zu einem ganz kurz gehaltenen Galopp entschlossen, wobei es mit seinem Hinterteil, das heißt mit beiden Hinterbeinen zugleich, nach der Holzwand aufsetzt, während es seinen Kopf tief zwischen die aufgestemmten Vorderbeine niedergebogen hat und bei jedem Angriff einen Teil der altersschwachen dunkelgelben Strohkränze fortreißt. Ich halte die Zügel lose. Der hohe Raum widerhallt von donnerndem Gedröhne.

Um so stiller werde ich. Ich stelle mich fest an einen noch etwas günstigeren Platz, mehr der Schmalseite zu. Ich presse meine Beine streng aneinander, um möglichst sicheren Halt zu gewinnen. Das Pferd beobachtet mich, ahmt es mir nach und hält jetzt aufatmend still. Das ist gefährlich. Steht das Pferd still, muß ich mich ihm nähern. Wenn es so klug ist, wie es scheint, kann es mir dann mit einem Schlage die Hirnschale zertrümmern. Oder es kann sich mit seinem ganzen schweren, von Schweiß triefenden, von innerer Wut und ungeheurer Gewalt erfüllten Körper auf mich werfen und mich erdrücken. Von diesem Tod habe ich einmal geträumt.

Wer sich zuerst rührt, ist verloren. Ich werde es nicht sein. Eine Viertelstunde bleiben wir unbeweglich. Nur leise scharrt das Pferd am Boden, als wolle es etwas hervorholen. Die schönen Wimpern in der oberen Reihe glänzen stark wie Seidenfäden in der Sonne, wie meine Mutter sie aus ihrer Nähschatulle oft verloren hat. – Das Pferd atmet durch die glitzernden vibrierenden Nüstern schnell und laut. Der nasse Körper trocknet rasch.

Da werfe ich plötzlich die Peitsche über den Rücken des Cyrus hin. Mit der Peitsche arbeite ich nicht. Eher mit der Überraschung. In seinem Erschrecken hat sich das Pferd hinreißen lassen, eine Bewegung zu machen. Es hat die Ruhe verloren. Und während ich freudig den Laut des Trabens höre, verkürze ich die Leine, wobei mir die Riemen trotz der guten, starken Handschuhe innen einschneiden. Aus seinem Trab ist das Pferd in seinen alten Hundegalopp linksherum verfallen; aber was hilft es ihm? Ich habe inzwischen alle vier Leinen, die von meinen Händen ausgehen, richtig geordnet. Ich spüre jede Bewegung des Tieres in meinen Händen. Ich weiß nun, daß das Pferd an der Doppellonge festhält. Nun erhebe ich beide Hände bis zur Kopfhöhe und noch höher, so weit ich nur kann.

Ich werfe meinen Körper zurück, durch den der Rhythmus des Tieres mit seiner ganzen Gewalt geht. Ich habe auf diese Art einen Hebel gebildet. Die Leine habe ich noch stärker verkürzt. So bin ich der Gefahr entgangen, mich bei dem immerhin möglichen Mißlingen meines wichtigsten und letzten Versuches in die Leinen wie in selbstgelegte Schlingen zu verwickeln. Das Tier hat mein Manöver genau gespürt. Noch rast es dahin, unter taktförmigem Wiehern und stampfendem Galoppieren den Raum durchmessend. Es zieht stets die verbotene Runde nach links. Es lebt in höchster Erregung. Die Augen funkeln hell, fast wie wolkenloser Mond. Weißer Schaum trieft zwischen seinen Zähnen, im Sonnenstrahl kräftig erglänzend. Cyrus streckt seinen Hals, wirft halb in Wut, halb in Lust seinen Kopf, als hänge dieser an einem Faden, von einer Seite zur andern. Nun mache ich eine rechtwinklige Drehung. Ich habe das Riemenwerk herabgenommen und um meine Taille geschlungen. Die Leine ist um die Hälfte verkürzt. Der Endkampf ist da.

Aber ich halte den Kampf. Ich halte das Pferd. Der innere Zügel ist lose, obwohl wir uns sehr genähert haben. Er wirkt nicht und kann nicht wirken, da das Pferd sich widersetzt. Aber dafür tritt der äußere, und zwar mit jedem Schritt des bereits langsamer galoppierenden, mit kürzeren Sprüngen hinsetzenden Pferdes, um so stärker, unwiderstehlicher in Wirksamkeit.

Es hebt sich in seinen Ketten aus Lederriemen, das kämpfende Tier. Daß es kämpft, macht es wehrlos.

Kann das sein? Doch es ist so.


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