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13

Auf dem See herrscht wildes Getümmel. Die Knaben lachen, bespritzen sich gegenseitig mit Wasser, und doch schützen sie gleichzeitig ihre kurzgeschorenen, unter dem fast nächtlichen Gewitterhimmel stark glänzenden Köpfe hinter den Hälsen der Pferde vor dem Wasser, während sie sich mit vornübergebeugtem Oberkörper an den Hälsen der Pferde festhalten. Die Dorne der Rückgrate der Jungen zeichnen sich, als wären sie dicke Perlenschnüre, unter dem Trikotstoffe ab, der nur langsam sich mit Wasser festsaugt. Ab und zu hebt der Wasserdruck einen Jungen von dem glatten Pferderücken fort, und mühsam nur gewinnt er seinen Sitz wieder, sieht sich, noch den Mund voll Wasser, verlegen lachend um und ist bald allen anderen voraus. Titurel hält sich neben mir auf seinem jetzt, wie es scheint, friedlich gewordenen Rapphengst. Er hat gute Farben, sein Blick ist ruhig und frei. Er ist so, wie ich ihn die ganzen Jahre hindurch kenne. In den Augen des Pferdes haben sich Algen mit Wassertropfen verfangen, grün schimmert es zwischen den sehr dichten, rutenartig vorstehenden Wimpern hervor. Das Tier schüttelt mit dem Kopf. Mit einer zerstreuten Bewegung, ohne recht hinzusehen, wischt Titurel das grüne Gerinnsel von den glasklaren schwarzen Pferdeaugen fort.

In diesem Augenblick bricht plötzlich mit einem kurzen, scharfen Knall das Gewitter los. Blitz und Donner gleichzeitig. Der Wetterherd ist gerade über uns. Ein gelbes Funkengewirr mitten aus einer fahlen, vom Wind geblähten Wolke, hinter der aber, noch höher im Räume, schwärzere Wolken warten. Von weit her kräuselt sich im Sturm die bis dahin bleifarbene Wasserfläche, als ziehe man ein hellgraues Netz mit der größten Geschwindigkeit durch das Wasser. Es hat sich im selben Augenblick schon bis in die Tiefe getrübt. Es zischt auf, und aufsteigend beginnt es sich wie kochend in gewaltigen, abgerundeten Wellen zu heben. Das Schreien und Lachen der Knaben ist mit einem Male wie abgehackt.

Ich kann es nicht verstehen, daß ein Gewitter sie erschreckt. Ich liebe Gewitter über alles. Aber die andern sind stumm geworden. Mit blanken, bleichen Gesichtern, die Augen tief in den Höhlen, die Hände mit den verschlungenen Zügeln meist über der Brust verkrampft, die Beine eng um die Leiber der Pferde gepreßt, so hängen sie über den hohen, nassen, wie aus Email geschnittenen Pferdehälsen. Die Tiere sind, da sie sich schon durch ihre große Anzahl sicher fühlen, ziemlich ruhig, und das ist gut. Aber Titurel ist zu Tode erschrocken. Sein Gesicht ist grünlichblaß, fast wie der grünliche Unrat, den er aus den Augen seines schwarzen Pferdes wischen wollte. Aber was das Ärgste ist, ich sehe, wie er, ohne es zu wissen, seine Finger mitten in das rechte Auge des armen Pferdes gräbt, das sofort mit einem ungeheuren Satz von dem flacheren Ufergelände absetzt und nun, halb schwimmend, halb springend, weißen Schaum um seine riesigen Gliedmaßen aufpeitscht. So stürzt es sich gegen den tieferen Teil des Sees. Jetzt hat es den Grund unter den Füßen verloren, es schwimmt dahin, ist tiefer getaucht, den Kopf hält es schräg gegen das Wasser hin, und an seinem spitz zulaufenden Halse bricht sich das gewitterschwarze Wasser hell wie am Kiel eines fahrenden Schiffes. Aber noch fühlt es unwillig die Last auf seinem Rücken, es schüttelt sich, schlägt ungebärdig aus. Mit seinem Schweife wirbelt es Schaum. Es hebt, während es laut wiehert, sein Hinterteil, so wehrt es sich gegen den Reiter, der jetzt an dem Pferd mehr wie ein totes Kleiderbündel herabhängt, statt daß er es durch seinen Sitz beherrscht. Ich kann ihn, da mein Pferd unter solchen Umständen schwer pariert, nur aus einiger Entfernung sehen. Seine Augen hat er völlig geschlossen, jetzt legt er, offenbar in einem Zustand von fast völliger Ohnmacht, seinen langen Oberkörper zurück, der Kopf sinkt ihm zur Seite. Den Mund will er zu einem Schrei öffnen, aber man hört unter den wiederholten, wie eine Kanonade prasselnden Donnerschlägen aus seiner Richtung nur etwas Dünnes, Kraftloses. Sein Ohr blinkt ganz an der Seite über den Knöpfen, die sein Badetrikot an der linken Schulter zusammenhalten, es ist so, als lausche er an sich selbst herum.

Noch kann ich alles nicht für Ernst nehmen. Es ist ja nichts geschehen, kein Tropfen Wasser vom Himmel gefallen. Aber jetzt tut er seinen Mund, den blassen, blutentleerten, ganz weit auf, man sieht seine schlechten Zähne, sein Lächeln ist fürchterlich, denn ein krankes kleines Kind in seinen tödlichen Fieberphantasien lächelt ebenso. Damit hat er auch den letzten Halt verloren. Ich sehe noch, während meine Stute mit aller Gewalt, wie die andern Pferde, dem Ufer zustrebt, ich sehe noch, wie er mit seiner sonst so starken, gebräunten Knabenhand seinem näher zu uns hinschwimmenden Pferde über die von Wasser triefenden Stirnhaare streicht. Es ist, als kämme er einer Dame die Ponys aus der Stirn, es ist nicht so, als wolle und müsse er sich an der Mähne des Pferdes halten, bis ich ihm zu Hilfe eile.

Mit aller Gewalt rollt jetzt der Donner über die hoch aufrauschenden Bäume und die hohle Fläche des Sees. Der Regen bricht nieder, mit einem Geknatter, als würde er herabgeschossen. Wo er das Wasser trifft, spritzt es weiß auf. Er fällt in solcher Menge, daß man sich wie unter Wasser fühlt. Keine Luft zum Atmen. Man kann nichts sehen, nichts hören außer dem Gedröhn. Es riecht nach Schwefel. Die Pferde schreien mehr, als sie wiehern. Die Verwirrung ist unbeschreiblich. Die jüngeren Knaben höre ich mitten im Aufruhr der Elemente weinen, der Prinz Piggy ruft laut um Hilfe, aber es ist nur Hohn, denn sofort nachher ertönt vom Ufer her sein bellendes Gelächter.

Beruhigt möchte ich aufatmen. Nichts vom T. Aber unbeschreiblich tief ist mein Erschrecken im gleichen Augenblick, als der blanke Rücken von Titurels Rapphengst leer neben mir auftaucht. Vom Reiter keine Spur. Kein Augenblick ist zu verlieren. Ich habe nicht mehr an mich zu denken, weder an Leben noch an T., nur an die Jungen, für die ich bürge. Ruhe, Mut, Entschluß! Ich löse mich von meinem Pferde los, das wie ein milchweißer Fisch unter mir davonschießt. Das Wasser ist eine schäumende, von unzähligen Spritzern aufgerauhte Masse, warm und in harten Wellen stark bewegt. Nirgends ist Titurel zu sehen. Kann er sich schon gerettet haben? Ist er in dem Getümmel hinter mir auf dem Ufer gelandet? Hat ihn der Prinz mit seinem bellenden Lachen empfangen? Muß er nicht gerettet sein? Lautlos geht ein Mensch nicht unter. In mir selbst ist jetzt das Leben so über alles stark, daß ich trotz aller Schrecken, trotz aller den Himmel aufreißenden Blitze zwischen den Wolkenschichten, trotz der violetten Wetterwolken am liebsten vor Freude schreien möchte, ich möchte mich auf den Rücken herumwerfen, mir alle Sommerkraft und Regenwärme in Güssen in die Augen, auf die Brust stürzen lassen.

Aber alles in mir erstarrt, als ich auf eine halbe Sekunde Titurels Füße mit den dunkelgelben, mir wohlbekannten Zehennägeln treibend erblicke; das Hellere weiter vorn müssen seine rudernden, aber das Wasser nicht erfassenden Hände sein. Aber schon versinkt alles mit hohlem Glucksen vor meinen Augen.

In einem einzigen energischen Schwimmtempo bin ich bei ihm. Zum Glück für ihn und mich haben die Pferde das Wasser geräumt, sie sind alle zurückgeschwommen. Die Wasserfläche breitet sich vor meinen immer noch vom Sturzregen geblendeten Augen leer aus. Jetzt sehe ich nur ein weißlichgrünes Bündel unter den Wellen flottieren. Ich fasse Titurel mit der rechten Hand von vorn um den Hals, den er mir entgegenreckt. Ich erkenne aber sogleich, daß ich dann nicht mehr schwimmen kann. So muß ich ihn wieder loslassen. Es gilt als Vorschrift, und so hat man es uns eingeprägt: von hinten den Ertrinkenden fassen. Mit einem Kampfe im Wasser rechnen. Er klammert sich an meine Oberarme. So sind wir beide verloren. Ich muß ihm Mund und Nase absichtlich zuhalten, mit dem linken Handteller das Kinn von unten nach oben gegen den Oberkiefer drücken, mit dem Daumen und Zeigefinger ihm die Nase zukneifen. Das Gesicht muß ich von mir abdrücken. Es muß sein. Ich muß meine Knie gegen seinen Leib stemmen. Jetzt läßt er endlich los. Welch ein Glück! Ich drücke ihn, während ich mich ganz kalt und klar der Lehren des Meisters erinnere, noch einmal unter Wasser. Ich packe ihn richtig an. Schon ist die Betäubung da. Sein großer, langer, heller Körper, von dem aufgegangenen Badeanzug weit umwogt, ist ohne eigene Bewegung. So lade ich ihn mir auf. Ich senke, um besser schwimmen zu können, meinen Kopf in die Wassermasse hinab. Jetzt handelt es sich um vielleicht hundert korrekte Schwimmstöße unter sorgfältiger Berechnung meiner Atemkraft und meiner Energie.

Ich sehe das Ufer immer näher kommen, wenn auch der Regen blendet und täuscht. Die Last wird immer drückender; mag sie drückend sein, ich habe Kraft genug in meinen das Wasser zerteilenden, das Wasser richtig fassenden und sich dann drehenden Händen. Bald habe ich Grund unter den Füßen. Der Boden drängt sich meinen Zehen gerade entgegen. Jetzt wanke ich noch, die warme, unheimliche Last preßt mir den Nacken nieder, und ich muß, zum ersten Male heute, Wasser schlucken, das dann schmerzhaft aus der Nase wieder herausschießt. Aber jetzt stehe ich aufrecht da, und sorgfältig trage ich, während spitze Kiesel meine Sohlen schneiden, den nicht atmenden, bewußtlosen Titurel durch den prasselnden Regen, mitten durch das fast mannshohe Schilf am Ufer. Von den Pferden und Knaben sind nur wenige da. Wir betten Titurel auf einen von den Pferden zerstörten Heuschober, wobei wir möglichst das trockene Heu nach außen wenden. Wir beginnen unverzüglich mit der künstlichen Atmung, während der Regen dem Jungen auf das Gesicht, in den offenen Mund strömt. Seine Lippen sind genauso farblos wie das übrige Gesicht. Es dauert nicht lange, und die künstliche Atmung hat Erfolg, die Atemzüge beginnen, werden schneller und lauter, und der junge Titurel drückt seinen Kopf nach hinten tiefer ins Heu, als läge er daheim im Bett und wolle nur behaglicher ruhen. Wir lassen es nicht dabei, wir schlagen mit den flachen Händen, aber kräftig genug, ihm in die Seiten, und der Prinz Piggy, der bei alldem mitgeholfen hat, schmettert ihm mit der geballten Faust in die Wangen, bis sie sich ordentlich röten. Da höre ich einen Seufzer, der ganz ähnlich klingt wie der, den das Pferd Cyrus heute morgen an der Doppellonge ausgestoßen hat. Aber dieser Laut, der dem Ziehen einer Säge in frischem Holze gleicht, beschämt mich nicht. Er macht mich nicht stolz. Nur ruhig. So nehmen wir denn zu zweit, der Prinz und ich, den Jungen auf unsere Arme und bringen ihn an das Ende des Sees, wo uns schon der Meister mit seinem Wagen entgegenkommt. Dort wird Titurel gut gebettet.

Der Prinz erzählt auf die Frage des Meisters in kurzen Worten das Ereignis; der Meister antwortet nicht, schweigt erst und macht uns dann von einer großen Inspizierung, die erwartet wird, Mitteilung. Ob es ein General oder der Unterrichtsminister oder der Bischof ist oder einfach der Generalrendant und Vermögensverwalter des Stiftes Onderkuhle, wird nicht verraten, und unserer alten Gewohnheit treu, fragen wir auch nicht weiter. Der Meister zieht seinen Gummimantel aus, der mit Flanell gefüttert ist. Er deckt mit der warmen, trockenen, gelb und rot karierten Futterseide dieses Mantels den hilflos lächelnden Jungen zu.


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