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Als die Tulkaleute ihre Brüder am See in der schönsten Jahreszeit antrafen, wie sie mit leichter Mühe Boote voll köstlicher Fische heimbrachten, an langen Seilen in der Sonne trockneten und ihre Vorratshäuser damit füllten, da könnte wohl dem einen oder anderen etwas Neid gekommen sein, besonders denen, die den langen, kalten Winter am See nicht kannten. Aber sicher hätte keiner der Tulkas mit ihnen getauscht. Denn immer durften sich die Berg-Aimats als den kühneren, mutigeren und stärkeren Stamm betrachten. Zwar der Hunger, der bei ihnen oft hart anklopfte, war bei dem Fischervolk fast unbekannt. Aber anderseits waren sie durch den leichteren Nahrungserwerb und durch die weniger kräftige Nahrung ein trägeres, schwerfälligeres, freilich auch friedlicheres Geschlecht geworden. Der Höhlenlöwe, der nur im Gebirge lebte, machte ihnen nicht zu schaffen; nur der Bär, der selbst Fische liebt und zu fangen versteht, stattete ihnen im Winter hin und wieder Besuche ab, und auch Renntiere und Pferde wurden dann und wann von ihnen gejagt. Für Rul und seine an Strapazen gewöhnten Brüder waren es leichte, friedliche Monate. In ihren Einbäumen ruderten die Männer am frühen Morgen in den See hinaus, und gewöhnlich kamen sie mit reich beladenen Booten heim.
Netze aus gedrehten Fäden besaßen sie nicht. Hanf und Flachs und die Verarbeitung ihrer Fasern brachten erst später die Kalats von Osten. Dagegen hatten sie grobe Netze aus Bastfasern, Angeln, Harpunen und vor allem Fischreusen. Die Fischreuse oder der Fischkorb wird ja auch heute noch in den verschiedensten Formen und Größen bei allen Fischervölkern gebraucht, bei den Indianern Amerikas an beiden Ozeanen und an den großen Seen und Flüssen, bei den westindischen Negern am Meer und überall in Europa.
In Westindien ist es ein großer, viereckiger Korb aus Bambusrohrgeflecht, an dessen vier Seiten sich Öffnungen zum Hineinschlüpfen der Fische befinden. Diese Eingänge sind innen durch spitzige Pfählchen so verwahrt, daß jeder größere Fisch wohl hinein, aber, ohne sich an die Pfählchen zu stoßen, nicht wieder herausschlüpfen kann. Auf diese Körbe werden oben übers Kreuz zwei Stangen festgebunden, an den vier Ecken der Stangen Lianen befestigt, die oben in eine einzige zusammengehen. Diese ist außerordentlich lang, denn man legt den Korb bis zu dreißig Meter in die Meerestiefe. Das Auslegen geschieht sehr einfach. Als Lockspeise wird Fleisch in die Reuse gelegt. Man fährt mit einem Boot ins Meer hinaus, beschwert den Korb oben mit Steinen und läßt ihn langsam sinken. Am anderen Ende der Liane wird ein schwimmendes Holzstück befestigt, das man am andern Tag leicht wiederfindet. Ich war selbst öfters Augenzeuge, wie diese Körbe mit vielen, schönen Fischen fast gefüllt herausgezogen wurden.
Ganz ähnlich waren die Reusen der Aimats, wie man denn heute noch am Bodensee Fischkörbe an über zwanzig Meter langen, aus der deutschen Liane, der Waldrebe, verfertigten Seilen auf den Seegrund hinabläßt.
Die Angeln und Harpunen der Aimats waren natürlich nicht aus Metall, sondern aus Stücken von Renntiergeweih, sehr hübsch und zweckmäßig mit eingesägten Widerhaken hergestellt.
In den Reusen fingen sie den fetten Aal und die schön schwarz und gelb gefleckten Quappen. Für andere Fische benützten sie Legangeln, die sie an langen, starken, aus Tierdärmen gedrehten Schnüren in den See versenkten: für den köstlichen Rheinlanken, eine Art Lachs, bis achtzehn Kilogramm schwer, für die Lachsforelle, die Rotforelle, den Schnäpel mit seinem lang hervorstehenden Oberkiefer, die trefflichen Blaufelchen, lauter herrliche Fische, die in der Tiefe leben.
Den Hecht fingen sie auf eine andere, viel einfachere Weise. Sie banden an die Schnur einer Angelrute statt der Angel eine weite Schleife aus Roßhaaren, die durch einige kleine, unten angebundene Steinchen sich senkrecht im Wasser hielt. Diese Schlinge wurde dem Hecht, wenn er ruhig träumend in der Nähe des Ufers am Grund lag, behutsam von vorn über den Kopf gezogen und, sobald sie hinter den Brustflossen angekommen, der Fisch mit einem kräftigen Ruck aus dem Wasser heraus ans Land geschleudert.
Als der beste Fang galt den Aimats der mächtige Som, nach dem sie auch den See benannten. Es ist der Wels, der Haifisch unserer schwäbischen Seen. Er war an den sumpfigen Ufern zu jener Zeit ziemlich häufig, aber nicht leicht zu fangen, weil er bei Tag im Sumpf begraben lag. Die Aimats harpunierten ihn, wenn er in mondhellen Nächten ans flache Ufer kam. Es galt immer für ein besonderes Glück, ihn zu erlegen, und wenn eines dieser oft mannslangen Ungetüme gefangen wurde, so gab es einen Schmaus, wie wenn man in den Bergen einen Bären erlegt hatte.
In allem, was den Fischfang betraf, taten es natürlich die See-Aimats den Tulkaleuten weit zuvor; ja, vom Netzflechten aus waren sie auf das Flechten von Körben und Matten gekommen. Von ihnen erhielten die Berg-Aimats allerlei Gerätschaften für die Fischerei durch Tausch gegen Steinmesser und Steinäxte aus dem Feuerstein der Alb, auch gegen Bären und Renntierfelle und Geweihe. So entstand bereits damals, mit der durch die Verschiedenheit des Wohnorts bedingten Teilung der Arbeit, der Handel.
Schon die Knaben der See-Aimats waren ausgezeichnete Ruderer und Schwimmer, und Rulaman, der im Wald und auf den Felsen und Bäumen, mit Bogen und Pfeilen und mit dem Wurfspeer überall der erste gewesen war, sah nicht ohne Eifersucht auf die dortigen Jungen, die wie Enten schwammen und tauchten. Wettspiele zu Wasser und zu Lande, und hie und da auch ernstliche Kämpfe zwischen der Berg- und Seejugend waren nicht selten und endeten meist zum Ruhme der einen Partei, wenn sie auf dem Land, zum Ruhme der anderen, wenn sie auf oder im Wasser ausgefochten wurden.
Besonders glänzte Rulaman im Bogenschießen. Dazu boten die prächtigen, grau und weiß glänzenden Möwen, die in Schwärmen die Seeufer belebten, und die Schwäne, die damals noch in großer Anzahl auf kleinen Schilfinseln im See nisteten, herrliche Gelegenheit. Der Junge war stolz genug, nie auf einen Vogel anders als im Fluge zu schießen, und verspottete die Fischbuben, wie er sie nannte, wenn sie die Vögel hinterlistigerweise wie Fische mit Angeln köderten.
Einmal hatte er einen heißen Kampf mit den Möwen zu bestehen. Der Tulkarabe hatte sich am See an den weggeworfenen Fischköpfen gütlich getan und wagte jetzt einen kühnen Flug über das Wasser, als eine kleine Schar der spitzflügeligen Silbermöwen, vielleicht um ihn zu reizen, hart an ihm vorbeistreifte. Sei es nun, daß der einsame Schwarze sich der munteren Gesellschaft anschließen oder sie strafen wollte, im Nu war er in einen Kampf mit ihnen verwickelt. Die gewandten Flieger hackten nach ihm von oben, von der Seite, von unten und zerzausten ihn so, daß die schwarzen Federn weithin durch die Luft flogen.
Der arme Vogel schrie jammervoll und flog, so gut er konnte, dem Ufer zu, wo glücklicherweise Rulaman mit seinem Bogen stand, neben ihm eine Schar Fischerjungen, die sich über den Sieg der Möwen sehr freuten.
Rulaman zitterte vor Zorn, erspähte den Augenblick, wo eine der Möwen weiter von dem Raben entfernt war, und schoß sie herunter, dann eine zweite und dritte. Jetzt erst schien es den Seevögeln geraten, das Weite zu suchen.
Auch den Angekko dürfen wir nicht vergessen. Bald nach den Tulkas hatte er sich mit seinem ganzen Stamm eingefunden. Ihm war der Aufenthalt am See stets die Zeit der reichsten Ernte. Hier, weit mehr als in seiner eigenen Heimat, war der Glaube an ihn und seine Wundermacht ein unbedingter. Von allen Seiten über den See her, dessen Ufer in den Sommermonaten überall mit Hütten und Menschen bedeckt waren, brachte man ihm Kranke vor seine Zauberhütte, die auf einer kleinen Anhöhe errichtet, mit rot und schwarz bemalten Renntierhäuten behangen und weithin sichtbar war. Vor dem Eingang saß auf einer Stange der Uhu.
Scharen von Menschen sah man oft lange vor seiner Hütte harren, während von innen in feierlichen Schlägen die Zaubertrommel und der Gesang des Angekko ertönten. Endlich erschien er in seinem üblichen Aufzug und nahm die Heilung je nach der Anzahl der Leidenden rascher oder langsamer vor, meist geheimnisvoll innerhalb der Hütte. Die Bezahlung erhielt er in getrockneten Fischen, mit denen dann seine Leute einen mächtigen Pfahlbau unten am See mühelos füllten.
»Ein einförmiges Kapitel«, werden manche der jungen Leser denken, aber es war zum Verständnis des Lebens unserer Aimats durchaus nötig. Denn ihr müßt wissen, daß Tage, reich an gefahrvollen Ereignissen, wie ihr Jungen sie am liebsten hört, Gott sei Dank im Leben aller Menschen die selteneren sind; denn alle Völker und alle Menschen meiden die Gefahr, soweit sie können.
Freilich, wenn man in unsere Geschichtsbücher hineinblickt, so könnte man denken, die Griechen, die Römer und die alten Germanen, sowie auch unsere neueren europäischen Völker hätten weiter nichts zu tun gehabt, als blutige Kriege zu führen. Und doch lebten und leben alle Nationen durchschnittlich ein friedliches Dasein.
Der alte Römer, der die Welt eroberte, tat dies nur im Laufe langer Jahrhunderte. Er war nicht in erster Linie Krieger, sondern Ackerbauer, Handwerker, Beamter, Bürger und Familienvater, ganz wie wir. Ähnlich verhielt es sich auch bei den Aimats, nur daß ihnen, den Jägern, die Ernährung der Ihrigen mehr Gefahr brachte als einem zivilisierten Volk.