Louis Weinert-Wilton
Der schwarze Meilenstein
Louis Weinert-Wilton

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18

Mrs. Hingley hatte wieder einen schrecklich anstrengenden Tag. Ihr volles Gesicht glühte, ihr Busen wogte, und die drei Verewigten an ihrem Halse schwebten in einem milden Dampfbade.

Es war auch keine Kleinigkeit, mit dem eilig zusammengetrommelten Hilfspersonal die Hunderte von Gästen zufrieden zu stellen, die sich an den Tischen des »Reitenden Postillon« und des Golfhauses drängten. Die Leute hatten sich bei dem Unglücksstein und auf dem Trümmerfelde gehörig gegrault und wollten nun durch einen ordentlichen Imbiß raschestens wieder in eine behaglichere Stimmung kommen.

Dabei stellte sich William, der Geschäftsführer, ungeschickter und schlafmütziger denn je an, und der energischen Wirtin riß endlich die Geduld. Zuerst hatte ihr der schlanke Mann mit dem dichten schwarzen Haar und den verträumten, dunklen Augen ja ganz gut gefallen, und sie hatte im stillen sogar schon an verschiedenes gedacht. Aber dann war sie zu ihrer Enttäuschung darauf gekommen, daß er auch verträumte Hände und Füße hatte, und so etwas konnte keinen Herrn für den »Reitenden Postillon« abgeben. Nicht einmal den Geschäftsführer, falls, so Gott wollte, noch einige solche Tage kommen sollten.

Als Mrs. Hingley wieder einmal von vorn nach rückwärts dampfte und William gemächlich von rückwärts nach vorn geschlendert kam, erfolgte die Explosion.

»Wenn Sie spazierengehen wollen«, grollte die Wirtin in ihrem tiefsten Baß, »so packen Sie Ihre Sachen, und gehen Sie zur Station. Vielleicht erwischen Sie noch den Zug, der morgen früh abgeht. – Ob man so etwas schon gesehen hat. Die ganze Wirtschaft ist voller Gäste, und Sie schleichen herum, als ob die Langeweile zwei Beine gekriegt hätte. – Überhaupt – wo haben Sie das Geschäft gelernt? Man kann sich keinen Augenblick und in nichts auf Sie verlassen. Auch Mr. Gwynne hat sich heute wieder beschwert.«

»Mr. Gwynne kann man es nie recht machen«, erklärte William mit gekränkter Miene, aber Mrs. Hingley ließ keine Entschuldigung gelten.

»Erzählen Sie mir nichts, mein Lieber. Was ich sehe, das sehe ich. Den ganzen Tag stehen Sie im Wege herum; wenn man Sie aber braucht, dann sind Sie nicht zu finden. Sie wissen, wie oft das schon geschehen ist. Aber nun ist mit dieser Gemütlichkeit Schluß. Wenn Sie sich nicht ordentlich dazuhalten, sind Sie am längsten hier gewesen.«

Die resolute Frau nickte bekräftigend mit dem melierten Kopf, und die drei Bisherigen an ihrem Halse klimperten beifällig dazu.

Rückwärts auf der Terrasse erschien aber Mrs. Hingley bereits wieder mit einem strahlenden Lächeln, und dieses ergoß sich zunächst und fast ausschließlich über Mr. Duncan.

»Ich hoffe, daß Sie zufrieden sind«, tuschelte sie, als sie sich endlich bis zu seinem Tisch durchgezwängt hatte. »Wenn aber die Bedienung vielleicht nicht ganz geklappt haben sollte, so werden Sie wohl entschuldigen. Sie sehen ja, wie es hier zugeht. Es sind heute noch viel mehr Leute da als beim letzten Unglück. Nun ist es ja auch schon das siebente, und man weiß wirklich nicht mehr, was man dazu sagen soll. Dabei ist der arme Mensch noch eine halbe Stunde vorher vor dem Gasthof gesessen und hat gesungen. Und die anderen Herren, die bei dem schrecklichen Stein umgekommen sind, waren bis auf den ersten auch alle hier eingekehrt. Das kann mir noch das ganze Geschäft ruinieren. Die Leute werden sich ja bald fürchten, herzukommen. Mr. Gwynne hat bereits gesagt, daß es ihm hier geradezu unheimlich wird und daß seine Nerven diese ewigen Aufregungen nicht aushalten. Es würde mir aufrichtig leid tun, denn er ist ein sehr treuer Gast, aber ich könnte es verstehen. Es hat sich nämlich wirklich so unglücklich getroffen, daß er jedesmal dabei war. Und dann gibt es natürlich immer eine Menge Unruhe, und man kann die Gäste nicht so zufriedenstellen, wie man es gern möchte. Besonders wenn das Personal nicht geschult ist. Eben habe ich William gehörig den Kopf zurechtsetzen müssen . . .«

Mrs. Hingley schöpfte frischen Atem, denn sie hatte sich ihre Sorgen etwas eilig vom Herzen gesprochen.

»Haben Sie den Mann schon lange?« erkundigte sich inzwischen Mr. Duncan, der so artig zuzuhören verstand.

Die Wirtin schüttelte mißmutig den Kopf.

»Nein. Und ich glaube, es wird am längsten gewesen sein. Man kann eben selbst auf die schönsten Zeugnisse nichts geben. Als er sich vor ein paar Monaten meldete, dachte ich, daß ich einen besonders guten Fang mit ihm gemacht hätte, aber ich bin bald darauf gekommen, daß er nicht viel taugt. Nicht einmal vorn für die Schenke. Anstatt für eine ordentliche Bedienung zu sorgen, steht er herum und hört zu, was die Leute sich zu erzählen haben. Heute vormittag, als doch hier alles vorbereitet werden sollte, war er drüber nicht wegzubringen, weil ein Chauffeur von einem Unglück erzählte, das vor ein paar Tagen auf der anderen Seite bei Thame geschehen ist. Dort hat ein Auto auf der offenen Landstraße einen Wagen mit einem kleinen Kind überfahren . . .«

»Oh . . .«

Alf Duncan ließ Messer und Gabel geräuschvoll auf den Teller klappen.

»Ja«, nickte Mrs. Hingley, »es muß schrecklich gewesen sein. Der Mann ist noch heute ganz aufgeregt, obwohl er die Sache nur aus der Ferne beobachtet hat. Er ist nämlich knapp hinter Thame einem großen Wagen begegnet, der etwas so besonders Feines war, daß er sich nach ihm umdrehte und ihm eine ganze Weile nachsah. Auf einmal bemerkte er, wie aus einem Seitenwege ein Mann und eine Frau mit einem Kinderwagen herauskamen, und im nächsten Augenblick war es auch schon geschehen. Das Auto ist mitten darüber. Es soll ein so furchtbarer Anblick gewesen sein, daß der Chauffeur, der selbst Kinder hat, laut aufschreien mußte und um ein Haar auch verunglückt wäre. Die Frau soll es auf der Straße wie eine Wahrsinnige getrieben haben, während ihr Begleiter ein zerfetztes Bündel zusammenklaubte. Das kann man sich ja denken. Sogar den Chauffeur hatte es so mitgenommen, daß er sich lieber rasch davonmachte. Aber es tut ihm leid, daß er sich die Nummer des Autos nicht gemerkt hat, denn die Leute sind ausgerissen, ohne sich darum zu kümmern, was sie angerichtet hatten. – Das sollte man nicht für möglich halten. Hoffentlich erwischt sie aber die Polizei.«

»Hoffentlich«, wiederholte Mr. Duncan mit ehrlicher Wärme, und Mrs. Hingley fand, daß er nicht nur ein sehr liebenswürdiger, sondern auch ein sehr gemütvoller Mann sei.


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