Louis Weinert-Wilton
Der schwarze Meilenstein
Louis Weinert-Wilton

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16

Auf Anordnung eines umsichtigen Polizeiorgans hatte man die Chaussee noch im Lauf der Nacht zu beiden Seiten des Schwarzen Meilensteins abgeriegelt, und der Schauplatz der Katastrophe war daher diesmal völlig unberührt geblieben.

Aber so deutlich sich auch aus den vorhandenen Spuren erkennen ließ, wie der Vorgang sich abgespielt hatte, über seine Ursache konnte man sich auch diesmal wieder nicht klar werden. Die Vorderräder des Wagens hatten ganz plötzlich eine Drehung vollführt, und dann war der Wagen schief über die Straße gerast. Der Schnitt war genau zehn Schritte lang und wie mit einem Lineal gezogen. Der Fahrer hatte nicht den geringsten Versuch gemacht, das Unheil abzuwenden.

Die etwas verstörten Herren vom Automobilklub, die mit einem großen Stab von Sachverständigen erschienen waren, schüttelten ratlos die Köpfe. Der neue Fall war doppelt peinlich, weil er sich in der ersten Nacht nach der Auflassung des Sicherheitspostens ereignet hatte. Das mochte gewiß nur ein fataler Zufall sein, war aber geeignet, über den Schwarzen Meilenstein noch wildere Gerüchte aufleben zu lassen. Nur eine bestimmte sachliche Erklärung für den Unfall vermochte diesmal eine Panik zu verhindern.

Einer der Herren glaubte sie endlich gefunden zu haben, als er jedoch seine Ansicht äußerte, wurde sie sehr kühl aufgenommen. Sie konnte ja zutreffen, aber man versprach sich von ihr keinen Eindruck auf die Öffentlichkeit.

»Entweder hat der Mann geschlafen«, sagte er nämlich, »oder er war betrunken. Wach und nüchtern bringt kein Mensch dieses Kunststück zustande.«

Seine Worte waren vor allem für den Chefinspektor Perkins von Scotland Yard bestimmt, der breitbeinig und schweigsam in der lebhaft diskutierenden Gruppe stand. Damit hätte man sich abfinden können, aber der Mann schien sich über die allgemeine Ratlosigkeit lustig zu machen. Auf seinem knochigen, ledernen Gesicht lag ein Grinsen, das geradezu beleidigend wirkte.

Perkins feixte noch mehr und schob seine kalte Shagpfeife von einem Mundwinkel in den anderen, was ein weiter Weg war.

»Ja«, meinte er, »das kann stimmen. Dan Kaye war nie ganz nüchtern, und als das Fahren sein Geschäft war, hat er noch ganz andere Dinge als Bäume mitgenommen.«

Dann versank er wieder in sein Schweigen, um sich weiter das durch den Kopf gehen zu lassen, was ihn vor allem interessierte.

Der neuerliche Unfall bei dem berüchtigten Schwarzen Meilenstein hätte Scotland Yard nicht in Bewegung gesetzt, wenn es diesmal nicht Dan Kaye gewesen wäre, der daran hatte glauben müssen. Daß so ein alter Kunde nächtlicherweile mit einem Auto spazieren fuhr, gab der Sache einen kriminellen Anstrich, und man mußte sich wohl etwas darum kümmern.

Noch immer wäre jedoch Chefinspektor Perkins kaum selbst gekommen, wenn ihm nicht beim Eingang der ersten Meldung blitzartig eingefallen wäre, daß er gerade eine Nacht vorher einem gewissen Jemand vor einem Hotel am Strand eine kurze Erklärung über diese verrufene Gegend gegeben hatte.

Zum Teufel, was lag da in der Luft?

Noch vor Tagesanbruch war er mit seinem kleinen Wagen nach Blackfield hinausgeflitzt, als fürchtete er, zu spät zu kommen, und nun freute er sich über seine Eile. Der Fall sah wirklich nach etwas aus, obwohl es nicht gerade besonders viel war, was er bisher darüber wußte. Nur einen abgegriffenen Zettel hatte er aus dem überraschend ansehnlichen Nachlaß Dan Kayes an sich genommen, und dann stand fest, daß der Mann mit der Bahn gekommen und auch wieder in der Richtung zur Station abmarschiert war. – »In stark angeheitertem Zustande«, wie der übernächtige Geschäftsführer des Golfhotels angegeben hatte.

Das waren erwiesene Tatsachen. Die nächste Tatsache aber war, daß derselbe Mann sich eine halbe Stunde später und etwa eine Meile weiter mit einem Auto den Hals gebrochen hatte. Es ging also darum, wie er in dieser kurzen Zeit zu dem Wagen gekommen war. Die Trümmer, die zwischen den Bäumen lagen, ließen darüber keinen Schluß zu. Perkins hatte sie sich bereits sehr gründlich angesehen, aber da die ergebnislose Debatte auf der Chaussee allmählich langweilig wurde, schlenderte er nun nochmals zu der Stelle.

Das Auto war mit voller Geschwindigkeit zwischen die Stämme hineingefahren, und weder von dem Gestell noch von der Karosserie war ein ganzes Stück übrig geblieben. Der Chefinspektor nahm einen Ast auf und stocherte damit eine Weile in dem wirren Haufen von angekohltem Holz und verbogenem Eisen herum, dann winkte er dem Sergeanten des Bezirks, der auf der Straße Ordnung hielt. Es war ein noch ziemlich junger Mann mit einem sommersprossigen Gesicht und einem Heidenrespekt vor Scotland Yard. Er kam mit Riesensätzen angesprungen, und Perkins deutete auf die Überreste.

»Was geschieht damit?«

»Das werden wir abschleppen lassen, wenn sich niemand meldet«, erklärte der Sergeant eifrig. »Im Spritzenhaus von Blackfield ist von den früheren Unfällen bereits eine ganze Menge, obwohl sehr viel davon schon gestohlen wurde. Und einige Male sind die Wagen überhaupt vollständig verbrannt. Man sieht dort an den Bäumen noch die Spuren.«

Der Mann deutete auf einen etwas seitlich liegenden Fleck, aber Perkins interessierte sich nicht dafür, sondern nickte entlassend und wandte sich tiefer in das Holz. Der Waldstreifen war hier nicht sehr breit, und der Bestand ziemlich dünn. Schon etwa dreißig Schritte weiter schimmerte es bereits wieder grün herein, und davor war der Fahrweg zu sehen, der vorne am Waldrand von der Chaussee abbog.

Der Chefinspektor schritt planlos darauf zu, und während seine Gedanken unausgesetzt arbeiteten, wurde das hämische Spiel um seinen harten Mund immer lebhafter. Die Sache gefiel ihm, denn es schien daraus etwas Besonderes werden zu wollen . . .

Aber als er aus den Bäumen trat und den ersten Blick auf den Feldrain warf, schwand das zufriedene Grinsen mit einem Schlag aus seinem Gesicht.

»Dacht' ich mir's doch . . .«, stieß er zwischen den Zähnen hervor, und obwohl diese Worte eine ganz harmlose Redensart waren, hörten sie sich fast wie ein grimmiger Fluch an.


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