Georg Weerth
Humoristische Skizzen aus dem deutschen Handelsleben
Georg Weerth

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II
Der Stadtrat

Der Stadtrat Klüngel ist ein Vierundvierziger; also ein Mann in den besten Jahren. Er steht gerade in dem Alter, wo er schon viel Böses getan haben und wo er noch viel Gutes unterlassen kann. Schon seit längerer Zeit mit einem guten Embonpoint und mit einem noch hübscheren Vermögen aus dem eigentlichen Handel ausgeschieden, lebt er seinem bessern Selbst, d. h. seinen Renten, indem er nur bisweilen, mehr aus Langerweile als aus Bedürfnis, einen guten Freund im Pferdehandel betrügt, einem armen Bekannten gegen 25 Prozent Zinsen aus einer kleinen Verlegenheit hilft oder ein stilles Geschäftchen in Aktien macht, von dem wenig an die große Glocke, aber viel in die Tasche des Herrn Stadtrat kommt.

Der Umstand, daß der Herr Klüngel Stadtrat ist, beweist zur Genüge, daß Herr Klüngel ein höchst achtungswerter Mann ist. Ja, es ist kein Zweifel, daß der Herr Klüngel einst den alten Bürgermeister ersetzen wird, den guten, ehrlichen Mann, dessen rechte Hand er schon jetzt ist. Denn der Herr Klüngel weiß alles, kann alles und tut alles. Vor allem kennt er seine Feinde und seinen Vorteil. Hat er dies nicht auf eine eklatante Weise vor seiner Stadtratswahl bewiesen? »Der Herr Klüngel wird nimmer Stadtrat!« raunte man sich einander in die Ohren, als der große Tag der Wahl heranrückte. »Er hat gar zu viele Feinde!« Herr Klüngel lächelte. Und sieh, als die Urne sich mit Zetteln füllte, verschwunden waren die bösen Geister, die einen eingeschüchtert, die andern durch süße Schmeicheleien beruhigt und die übrigen abgefunden mit blanken Talern, und der frisch gebackene Herr Stadtrat thronte so sicher auf dem roten Sammetsessel des Rathauses, als ob er ihn eingenommen seit der Gründung der Stadt.

So ging es mit den Feinden des Herrn Klüngel – aber sein Vorteil? Wie steht es mit seinem Vorteil? Was kann ein Mensch dabei profitieren, wenn er Stadtrat ist? Viele Schreiberei, die nicht bezahlt wird; tagelange Lauferei, für die ihm niemand einen Pfennig vergütet; stundenlange Debatten auf dem Rathause, die nicht einmal den Lohn der Veröffentlichung bieten; tausenderlei Mühe und Arbeit bei Besichtigungen, bei Arrangements zu Festlichkeiten, bei dem Empfang hoher Gäste, bei Reisen nach der Residenz usw. Alles dies sind doch gewiß keine Vorteile, und allem unterzieht sich doch Herr Klüngel mit einer wahrhaft staunenswerten Gefälligkeit, mit einer wirklich unverwüstlichen Ausdauer. Die einen sagen: er tut es aus Langerweile; die andern: aus Ambition; die dritten: weil er ein Narr ist; die vierten – sagen nichts, denn der Herr Stadtrat ist ein – achtungswerter Mann.

Unter der Zahl der letztern befindet sich auch unser Freund, der Herr Preiss. Angetan in schwarzem Frack, in weißer Wäsche, den glattgebürsteten Hut vorn auf der Stirn, und die Hände – um mit einem Irländer zu sprechen – von gelbem Leder überspannt, sehen wir ihn morgens zwischen zehn und elf Uhr in das Hotel des Stadtrats treten, der natürlich bereit ist, seinen Freund sofort zu empfangen und mit jenem bland smile willkommen heißt, welches wohlbehäbigen Leuten eigentümlich ist.

»Ich sehe, mein bester Herr Stadtrat, daß Sie wieder ganz in Ihren Berufsgeschäften vertieft sind. Welch ein uneigennütziger Mann! Bei Gott, unsre gute Stadt kann sich gratulieren, daß Sie ihr Vertreter sind!«

»Keine Komplimente, liebster Herr Preiss! Einer muß die Arbeit tun, und ich tue sie gern, da mir die Anerkennung meiner Mitbürger die beste, die höchste Belohnung ist.«

»Nun, das Schicksal hat Sie aber auch günstig genug gestellt. Ein reicher Mann wie Sie, Herr Klüngel, kann schon ein übriges tun. Da sehen Sie mich an! Bin ich nicht ein armer Schlucker, daß ich mich noch immer um mein tägliches Brot plagen muß? Ja, so ist es! Man kommt nicht vorwärts; die Zeiten werden immer schlechter für einen Geschäftsmann; ich versichere Ihnen auf Ehre, daß im Warenhandel kein Pfennig mehr verdient wird.«

»Da wagen Sie mal eine andre Unternehmung!«

»Das ist, was ich vorhabe, und der Zweck meines Besuches ist grade, Sie deswegen zu konsultieren, denn auf Ihre Ansichten und auf Ihren guten Rat lege ich das größte Gewicht.«

»Sie sind sehr artig. Ich stehe ganz zu Ihren Diensten. Ganz der Ihrige.«

»Sehn Sie mal, bester Herr Stadtrat, ich bin vielleicht gerade kein Lumpazius; d. h., ich habe vielleicht so viel Vermögen, daß ich anständig davon leben kann; vielleicht auch etwas mehr – das ist einerlei! Genug, ich bin zuweilen in dem Falle, daß ich an überflüssigen Geldern leide, daß ich hier und da ein Kapital besitze, welches mir nur die erbärmlichsten Zinsen einbringt und das ich gern anderweitig mit besserm Nutzen verwenden möchte. Da bin ich denn auf die närrische Idee geraten, Land anzukaufen –«

»Eine vortreffliche Idee! Es ist das Beste, was Sie tun können.«

»Davon bin ich eben noch nicht ganz überzeugt. Es würde mir freilich Vergnügen machen, nach des Tages Last und Hitze auf irgendeinem kleinen romantischen Landgute unter wehenden Bäumen und duftenden Blumen ausruhen zu können, auf der andern Seite ärgert es mich aber wieder, wenn ich bedenke, daß ich mir schon in meinen besten Jahren einen Klotz Land ans Bein binden soll, an dem ich dann vielleicht mein ganzes Leben lang zu schleppen habe. Ein kulanter Kaufmann, der sein Geld in den unbeweglichen Boden steckt, gleicht in der Tat einem flotten Junggesellen, der im einundzwanzigsten Jahre ein altes Weib heiratet.«

»Wenn das alte Weib eine halbe Million mitbringt, so wird sich der Junggesell immerhin trösten können, und wenn Sie bei Ihrem Ländereikauf ein gutes Geschäft machen, so werden Sie gewiß keine Reue darüber empfinden.«

»Aber ich glaube nicht mehr an gute Geschäfte. Die Welt hat sich zu sehr verschlechtert. Namentlich zweifle ich daran, daß der jetzige Wert des Grundeigentums auch in Zukunft noch derselbe bleiben wird. Ein langer Frieden hat die Preise unnatürlich gesteigert. Der erste allgemeine Konflikt, der erste Krieg wird unfehlbar ein Sinken derselben zur Folge haben.«

»Verzeihen Sie, ein Krieg würde den Wert des Landes nur steigern, denn alle Kapitalisten würden sich beeilen, ihre Fonds in dem sichersten Besitze, in dem Landbesitz anzulegen. Land würde der gesuchteste Artikel sein.«

»Möglich, möglich! Vor allen Dingen glaube ich, daß die Renten nicht mehr dieselben bleiben werden. Denn das Ausland wird infolge der verbesserten Kommunikationsmittel in kurzer Zeit so stark mit seinen billiger produzierten Artikeln in den Markt treten, daß unsre Bauern der Konkurrenz erliegen müssen.«

»Sie vergessen, daß der steigenden Zufuhr durch eine steigende Population begegnet wird.«

»Nun, das ist alles recht schön und gut; vertiefen wir uns nicht zu sehr in diese ökonomische Unterredung; die Hauptsache ist, daß ich trotz alledem eine Idee für das Ländereigeschäft habe –«

»Und daß ich Ihnen vielleicht zu einem sehr billigen Kauf verhelfen kann.«

›Da haben wir's!‹ dachte Freund Preiss. ›Mit Speck fängt man Mäuse.‹ Er gab sich Mühe, ein möglichst gutmütiges Gesicht zu schneiden. Der Stadtrat fuhr fort, möglichst unbefangen zu lächeln.

»Ich zweifle nicht daran, Herr Klüngel, daß Sie mir etwas Vorteilhaftes von Ihren eignen Ländereien anzubieten haben. Aber ich habe mein Auge bereits auf einen Gegenstand geworfen, der mir der Spekulation würdig schien. Seit Sie sich so vertrauensvoll über die Dinge im allgemeinen aussprechen, fühle ich mich nur um so mehr in meiner Neigung befestigt und bedauere es nicht, daß ich schon die umfangreichsten Arrangements getroffen habe, um das betreffende Gut selbst zu dem höchsten Preise an mich zu bringen.«

Hier wurde der Stadtrat sehr aufmerksam und milderte das unbefangene Lächeln allmählich zu einem schlau spürenden Ernste.

»In Betracht meiner hinlänglichen Mittel«, fuhr Herr Preiss fort, »und getrieben von dem Wunsche, meinen Kindern ein solides Erbe zu hinterlassen, habe ich nämlich den Entschluß gefaßt, zu jedem Preise, gehe es, wie es wolle, die in diesen Tagen zur öffentlichen Versteigerung kommende, aus Garten-, Feld- und Wiesenland zusammengesetzte und als eine der prächtigsten Besitzungen weit umher bekannte Altenburgische Herrschaft –«

Hier hörte der Stadtrat gänzlich auf zu lächeln.

»Ja, die Altenburgische Herrschaft anzukaufen.«

Vater Preiss stockte und veränderte die bisher so unendlich gutmütigen Gesichtszüge in den Ausdruck der größten Energie und Entschiedenheit. Der Stadtrat zuckte die Achseln.

»Sie überraschen mich. Ich wußte nicht, daß Ihre Absichten so weit gingen. Wenn ich Ihnen eben riet, Ländereien zu kaufen, so dachte ich nur an mäßige Besitzungen – die Altenburgische Herrschaft ist sehr groß! Ich muß gestehen, daß mir ein solcher Kauf etwas zu riskant wäre.«

»Aber Sie hielten ja meine Idee an und, für sich für eine vortreffliche!«

»Allerdings! Aber alles hat seine Grenzen.«

»Auch die Vortrefflichkeit?«

»Nicht die Vortrefflichkeit; aber die Ausführbarkeit des Vortrefflichen.«

»Meine Mittel sind unbegrenzt. Und Sie geben ja zu, daß ich meine Fonds nicht sichrer plazieren kann, als wenn ich sie in den sichern Grund und Boden stecke?«

»Sehr richtig; aber es können Verhältnisse eintreten, wo ein aktiver Kaufmann bereuen muß, ein zu großes Kapital seinem regulären Geschäfte entzogen zu haben.«

»Aber Sie meinten ja, daß man selbst mit einundzwanzig Jahren ein altes Weib heiraten könne, wenn man ein Geschäft dabei mache?«

»Ohne Zweifel; aber die Zukunft ist verschleiert.«

»Sie meinten vorhin, daß sie im höchsten Grade klar sei und daß trotz Krieg und Konkurrenz der Landbesitzer stets auf einen grünen Zweig kommen werde?«

»Schon recht; aber ich wage die Chancen der Zukunft lieber mit einem mäßigen Kapitale als mit einem sehr großen –«

Statt


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