Georg Weerth
Englische Reisen
Georg Weerth

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Weihnachtsfest in den Yorkshire-Bergen

Einige Tage lang hatte ein dichter Nebel auf den Bergen gelegen, beständig tropfte es von den Bäumen herunter, und die Leute an der einen Seite des Tales hatten die Häuser ihrer Nachbarn an der andern gewiß seit acht Tagen nicht gesehen. Da änderte sich am Abend vor Weihnachten plötzlich der Wind; in einer halben Stunde war die ganze Gegend klar, die Sterne stiegen nach und nach am tiefblauen Himmel herauf; der eben noch ganz feuchte Boden wurde hart und fest, so daß die Arbeiter, welche aus der Stadt in das Dorf zurückkehrten, rascher als gewöhnlich darüber weg eilten. Die guten Hausfrauen hatten aber alles wohl besorgt. Kessel und Kannen waren schon vor mehreren Tagen der Reihe nach gescheuert und geputzt. Es blieb nichts mehr zu tun übrig, und still und froh konnten sie der Feierzeit entgegensehen. Die Nacht über blieb es kalt, und am andern Morgen verkündeten die zarten Rosenlichter, welche dem Aufgang der Sonne vorherschwebten, schon früh einen schönen Tag. In all seinem Glanze brach er endlich heran, und erstaunt blickten die Landleute, welche durch das Tönen der Glocken von nah und fern eben vor die Türen gelockt waren, über das Tal hinweg nach den Tannenwäldern, die in weiß und grünem Schmuck in den ersten Strahlen der Sonne zu leuchten begannen. Die Gegend war herrlich. Unten im Tale der kleine Fluß, von dem in England fast das ganze Jahr hindurch grünen Rasen umgeben. Höher hinauf Häuser mit Gärten, hinter denen sich mächtige Erlen erhoben, schlanke Stämme mit einer Krone weit auseinandergreifender Äste; über diesen die Tannen auf dem Rücken der Berge, die sich weit hinauszogen und nur in der Entfernung einer halben Meile mehr nach beiden Seiten liefen, als wollten sie die Aussicht nach einem weißen, zierlichen Schloß besser frei halten, das sich mit zwei schlanken Türmen lustig aus den bereiften, schimmernden Zweigen der dunkelgrünen Tannen erhob. Dort sah man auch durch ein gewaltiges Tor in einen Park hinein, in welchem sich eine Herde Damhirsche herumtummelte. Über dem Ganzen der Glanz der Morgensonne und das Blitzen von tausend bereiften Baumwipfeln.

Wir schreiten, das Tal entlang, dem Schlosse zu, steigen den Hügel hinan bis zu dem Eingang des Parks, wenden uns dann aber rechts. Der Weg geht noch etwas durch die Waldung, bald aber haben wir den letzten der alten, knorrigen Eichbäume erreicht, und vor uns liegt auf ebenem Rasenfelde, von kleinen Gebäuden umgeben, ein ziemlich großes, von Steinen aufgeführtes zweistöckiges Haus, dessen Dach nach allen Seiten etwas hinüberhängt und vier gewaltige Schornsteine führt, welche sämtlich ihren hellblauen Rauch schnurgerade in die Luft emporsteigen lassen. Das Schloß mit dem Parke gehört dem reichen Briten, dem Lord, das Haus auf grünem Rasenfelde dem Squire, der auf dem Grund und Boden seiner Väter frei das Haupt erhebt und, nicht weniger begütert als der vornehme Nachbar, von diesem noch zu seinen eigenen Feldern eine Anzahl Wälder und Wiesen übernahm, so daß er in den Tälern eine bunte Herde »schwerwandelnden Hornviehes« unterhält und seine Pferde hinuntertreiben kann bis ans Meer. Lassen wir den Lord, der sich vielleicht auf dem Rhein, auf dem Ganges, auf dem Mittelmeer wiegt, samt seinem Damhirsch-Park in Ruhe und Frieden! Wir wollen zu dem alten Squire gehen, der in seinem eigenen Reiche zurückblieb und, treu den Sitten und Gebräuchen seiner Vorfahren, eben am Kamin sitzt und darüber nachdenkt, wie er seinen Kindern, seinen Leuten eine fröhliche Weihnachstsfeier bereiten soll. Er ist ein Mann von etwa fünfzig Jahren, groß, mit breiten Schultern, seine Wangen sind etwas von der Luft gerötet und gebräunt;schlicht hängen die schon grauen Haare an den Schläfen herunter; seine Augen sind blau und sehr gutmütig. In grünem Rock mit stählernen Knöpfen, mit Gamaschen von hellbrauner Farbe, die von den großen, plumpen Schuhen bis über die Knie hinaufgehen, und den Filzhut mit sehr kleinem Rande hinten auf dem Kopf, sitzt er in dem ungeheuren Lehnstuhl an der Feuerseite und hat die Hände vor dem rechten Bein ineinandergeschlungen. Vor ihm steht ein schlanker Junge von ungefähr zwanzig Jahren, in blauen Kleidern, die überall knapp anliegen und nur vor der Brust auseinanderfallen, um einen glänzendweißen Hemdkragen sehen zu lassen. Um den Hals ist etwas nachlässig ein schwarz und rot kariertes Tuch gewunden. Die Hände stecken halb in den Taschen. Der Junge hat ein keckes, unternehmendes Profil! Ehe wir weitergehen, werfen wir einen Blick in das große, altmodische Gemach, in dem sich der Squire mit seinem Sohne aufhält. Der Fußboden ist fast ganz mit einem dunkelgrünen Teppich bedeckt, vor den Türen und um den Kamin herum liegen Dachsfelle mit roter Einfassung. Die Wände sind mit braunen Eichenbohlen ausgelegt, und einander gegenüberstehend gewahrt man an beiden Seiten zwei riesige Schränke von geschnitzter Arbeit, wohl zweihundert Jahre alt. In den Fensternischen stehen kleine Sofas, in der Mitte des Zimmers aber ein ungemein großer Tisch, der mit Büchern und Papierrollen bedeckt ist. An der Hauptwand hängt ein dunkles Ölgemälde, von der Decke herunter ein Armleuchter. Das merkwürdigste im ganzen Gemache ist aber sicher der gewaltige Kamin, so groß, daß man fast einen ganzen Eichbaum mit einem Male darin verbrennen könnte. Er ist von einem marmornen Gesims umgeben, auf dem Krüge, Gläser und allerlei sonderbare Figuren stehen. Die Strahlen der Morgensonne wetteifern mit den Flammen des Kaminfeuers. – Und nun wieder zu dem Squire! Er nickt einige Male mit dem Kopfe, lacht dann laut auf und sagt zu seinem Sohne: »Bim, lieber Bim, sechs Flaschen Portwein, von dem alten Wein, Junge, wir müssen sie haben! Die gute Mary sagt, sie wären nur für Kranke, aber wer ist krank um Weihnachten? Ganz England ist munter und lustig, und«, fügte er in ernstem Tone hinzu, »sollte etwas vorfallen, da wissen wir doch Rat zu schaffen! Das gute Kind hat nun einmal das Regiment über Küche und Keller, sie will die Flaschen nicht herausgeben; aber wir müssen den alten Portwein haben, was soll sonst aus unserer Bowle werden! Du bist in Manchester auf der Schule gewesen und hast allerlei gelernt, sieh, wie du es fertigbringst!« Da schwieg der alte Squire, und man sollte denken, daß Bim, als ein Jüngling von zwanzig Jahren, seine größte Freude über diesen Auftrag an den Tag gelegt hätte; aber Bim verzog keine Miene, die Hände blieben in den Taschen, keine Silbe kam über die roten Lippen, und das einzige Zeichen, daß er den alten, fröhlichen Vater verstanden hatte, war das Zudrücken des einen Auges und die Bewegung seiner Nase, wie junge Windhunde wohl tun, wenn sie zum erstenmal mit aufs Feld genommen werden. Dann drehte sich Bim um und verließ das Zimmer. »Very well!« hörte man ihn in der Tür sagen. Der Squire erhob sich aus dem Lehnstuhl und schritt ans Fenster. Er sah zwei seiner Leute auf dem Hofe stehen. Er winkte ihnen, und bald traten die beiden herein. Sie mußten Bericht über ihre Sendung vom verflossenen Abend abstatten und taten es mit der größten Kürze. Um nach alter Sitte den Armen rings in der Gegend ein fröhliches Fest zu bereiten, hatte der Squire schon einige Tage vorher eine Masse Weißbrot backen und samt vielen Stücken des besten Ochsenfleisches und einigen Fässern Ale verteilen lassen. Heute sollte auch der Durstigste Kummer und Not vergessen und nach einem ganzen Jahre ununterbrochener Arbeiten und Entbehrungen sich mit dem süßen Komfort umgeben können, in dem sich die Bewohner Alt-Englands so glücklich fühlen. Als die beiden Leute des Squire mit ihrem Bericht fertig waren, eilte der eine in die Ställe und zog bald einen blankgeputzten Schimmel am Zaume heraus. Flink saß er ihm auf dem Rücken und trabte dann in das Tal hinunter, um ein paar Meilen weit in der Runde alle Bekannten und Verwandten des Squire daran zu erinnern, daß um vier Uhr die Festlichkeiten begännen.

Während dieses an der einen Seite des Hauses und des Hofes vorging, war die junge Mary in den übrigen Räumen nicht weniger tätig gewesen. Die Tochter des Squire lief schon früh in die Küche hinunter und musterte das Heer der Kessel und Schüsseln, welches rings die Gesimse der Kamine bedeckte, und wählte aus, was am heutigen Tage gebraucht werden sollte. Dann erteilte sie den Mägden die übrigen Befehle oder wünschte eigentlich nur, was sie wollte, denn nie vergaß das gute Kind, ein wohltönendes »If you please« an die Aufträge zu hängen, welche sie gab. Als alles in gehöriger Ordnung war, huschte sie wieder die Treppen hinauf, und wer unten stand, hätte sich über zwei allerliebste kleine Füße freuen müssen, die in schneeweißen Strümpfen und grünen Morgenschuhen nur im Fluge die einzelnen Stufen berührten. In ihrem stillen Schlafgemach trat die jugendliche Schöne vor den kleinen Spiegel und ließ den braunen Schildpattkamm durch die blonden Haare streichen, so daß bald an den Wangen die aufgelösten Locken in reicher Fülle hinunterfielen. Die helle Schürze mit tiefem Einschnitt, welche in Falten über das dunklere Kleid rauschte, ließ die schlanke Taille noch vorteilhafter erscheinen; und als nun endlich der einfache Anzug fertig und nett die liebe Gestalt umgab, da hätte mancher Junggeselle recht viel darum gegeben, ihr zu guter Letzt noch das samtne Tuch um den weißen Hals werfen zu dürfen, um dann erwartungsvoll in das blasse und nur von der winterlichen Luft etwas gerötete Antlitz zu blicken, ob und mit welch lieblichem Lächeln sie ihm für den kleinen Dienst danke. Wenige Augenblicke nachher versammelten sich die Familie und die ersten Untergebenen des Squire in dem großen Zimmer zum Frühstück. Es wurde totenstill im ganzen Hause, und bald hörte man den Hausvater einen altenglischen Episkopal-Gesang erheben, feierlich und ernst, wie er ihn seit dreißig Jahren gesungen, und mit helltönenden Stimmen sangen Kinder und Hausgenossen das »Amen«.

Der Tag schritt voran. Bald war es vier Uhr nachmittags; da knarrten die beiden Flügel des großen Hoftores und öffneten sich weit zum Empfang der Gäste, die in mehreren Wagen den Hügel herankamen. Landlords und Landladies im besten Schmuck, bedächtige, dicke Pächter, junge Burschen und schüchterne Mädchen stiegen vor der Haustür ab. Dort stand schon der Squire mit seiner Tochter, um einem jeden seiner Freunde mit einem herzlichen »How do you do?« die Hand zu schütteln. Mary küßte die frischen Gesichter der freundlichen Nachbarinnen, und Bim, mit den Händen in der Tasche, blinzelte mit den Augen. Alle stiegen die Treppe hinauf und waren bald im Innern der Wohnung, wo in drei Zimmern gewaltig breite Tische mit etwa dreißig Gedecken aufgepflanzt standen. Den ältern Leuten war ungehinderter Eingang gestattet; alles junge Volk wurde aber nicht so schnell damit fertig, und namentlich zauderten die jungen Mädchen ungemein mit dem Eintreten; mit Kichern und Lachen verbargen sie die kleinen Köpfe in den Händen, eine suchte sich hinter der andern zu verstecken, und die niedlichen Füße wollten gar nicht von der Stelle. Über der Stubentür erblickten sie nämlich zu ihrem süßen Schrecken den verhängnisvollen grünen Weihnachtsstrauß, und auf der Schwelle vier bis fünf recht englische Jungen, die mit der Zunge schnalzten, ihnen verwegene Blicke zuwarfen und von Zeit zu Zeit mit den Händen über die roten Lippen fuhren, als machten sie sich zu einem lieblichen Geschäfte bereit. Nach altem Herkommen war es ihnen nämlich gestattet, jedes weibliche Wesen, das sie unter dem grünen Busch ertappten, mit einem nachdrücklichen Kuß zu bewillkommnen. Sie hätten aber heute ein ganzes Jahr warten können, ehe die geschmückten Schönen eingetreten wären. Erst als Bim dem bevorstehenden Glück freiwillig entsagte, die Schwelle verließ und den verschämten Mädchen in den Rücken fiel, um sie sanft vorwärts zu stoßen, da mußte endlich wohl die vorderste ihrem Schicksal entgegengehen, und mit einem leichten Schrei des Entsetzens sprangen ihr die andern nach. Die Burschen schlossen aber jetzt schnell die Passage, und im Nu hatte ein jeder eine schlanke Taille gefaßt, und piff, paff! brannte die süße Kanonade los, daß die alten Pächter und Squires sich vor Lachen die Seiten hielten. Endlich hatten alle die Schwelle überschritten, nur der schlaue Bim drückte sich in eine Ecke und blickte sehnsüchtig nach der Tür, aus der seine Schwester Mary heraustreten mußte, um die Tücher ihrer Freundinnen in Sicherheit zu bringen. Sie erschien, beide Hände voll, und eilte einem andern Zimmer zu. Fast wäre sie vorbeigesprungen, aber zur rechten Zeit noch umschlang sie der zärtliche Bruder, und während der eine Arm den Kopf der schönen Schwester nach dem seinigen bog, ließ er den andern an ihre Seiten hinabgleiten, und wie ein Blitz fuhr die lange Hand in die Tasche der seidenen Schürze und zog ein Bund Schlüssel daraus hervor. Die arme Mary, bei ihren rosigen Lippen so stürmisch angegriffen, hatte es gar nicht bemerkt, und ehe sie sich von ihrem Schrecken erholen konnte, war der Bruder Bim schon verschwunden, und »Very well!« hörte man ihn über den Hausgang rufen: »Ich habe die Kellerschlüssel! Sechs Flaschen Portwein, vom alten, die sind sicher! Very well!«

Die Gäste erwarteten indes den Weihnachtsbaum; nicht einen Baum mit Lichtern wie in Deutschland, sondern den Stamm einer Eiche von mehreren Fuß Länge. Bald hörte man von dem Walde herüber den Klang von mehreren Instrumenten und viele Stimmen, die lustig ineinander jubelten. Jetzt zogen sie in das Gehöfte ein, und aus den Fenstern antworteten schon die jungem Leute mit jenem eigentümlichen Ruf, in dem das Wort »Jule« (Weihnachten) zu verschiedenen Malen widertönte. – Der Zug trat jetzt ins Zimmer ein. Voran ein phantastisch gekleideter Bursch, der das Ganze leitete. Ihm folgten vier Musikanten: einer spielte Klarinette, der andere das Waldhorn, der dritte die Flöte, und ein letzter suchte aus einer alten Bratsche dumpfe Töne zu locken. Dann kamen junge Mädchen mit grünen Taxus- und Tannenzweigen in den Händen und hierauf einige Leute des Squire, welche auf zwei dicken Stöcken einen gewaltigen Eichenklotz, das untere Ende des Stammes, trugen. Dies war der »Jule cloq« (der Weihnachtsbaum). Den Schluß bildeten fünf bis sechs Jungen mit Tannenzweigen an den Hüten, die bald in die Melodie der Musikanten einstimmten, bald ihrer Freude in beliebigem Jubeln Luft machten. Der Weihnachtsklotz wurde nun in den Kamin geschoben, und die ganze Gesellschaft jauchzte laut auf, als die Flammen bald das alte Holz erfaßten und prasselnd darüber emporschlugen.

Die Sonne war indes untergegangen. Auf den gedeckten Tischen begannen Krüge und Gläser zu schimmern: merkwürdige hochgehenkelte Gefäße, mit allerlei fratzenhaften Gesichtern geschmückt; weite, große Schüsseln, mit Lorberblättern umlegt; verschiedene Brote und Kuchen, in phantastische Formen gebacken, über denen sich freilich kein Wildschweinskopf, wie es eigentlich die Sitte will, sondern in schönster Abwechslung Beef, Gänsebraten und Pudding erhoben. Vor allem strahlten aber drei riesige Bowlen und verbreiteten rings einen süßen Duft. Auf jedem Tisch stand eine. Die zu den beiden Seiten enthielten altes, feines Ale, mit Zimt, Ingwer, Zucker und Rosinen gewürzt, die dritte, auf dem mittleren Tische, war unerschöpflich an altem Wein. Um die beiden ersten sammelten sich die Leute des Squire und einige Pächter, welche die Ale-Mischung allem andern vorzogen; die Weinbowle war für den Hausherrn und die genauern Freunde bestimmt. Die Tafelrunde selbst nahm sich lustig genug aus. Bunt durcheinander sah man wohlbeleibte Pächter mit ihren gesunden, kräftigen Gattinnen, kecke, unternehmende Gesichter der Jüngern Leute, verständige Squires-Köpfe und die schlauen Augen der im Roßhandel bewanderten Landlords; den eigentlichen Reiz verliehen aber dem Ganzen jene eigentümlichen Schönheiten, die den nebelhaften Charakter des Inselreiches in ihren Gesichtern widerschimmern lassen und daher nicht rot und frisch wie etwa deutsche Mädchen erscheinen, sondern mehr eine melancholische Färbung auf den Wangen tragen. Während man die Hände zum Mahle erhob, taten die vier Musikanten ihr möglichstes, um das Ohr durch lustige Melodien zu ergötzen. Jetzt schwiegen sie, als wollten sie sich zu einem Hauptstück rüsten, und nicht lange währte es, da brauste das »Rule Britannia« durch die drei Gemächer, und begeistert stimmte jeder Mund in den Gesang ein. Die Pächter an den gewürzten Ale-Bowlen schienen namentlich ganz im rechten Zuge zu sein. Einer glühte schon seit einiger Zeit wie ein Nordlicht, und deutlich konnte man ihm ansehen, daß er etwas ganz Besonderes auf dem Herzen hatte. Bald faßte er das schwere Glas, räusperte sich mit unbändigen Grimassen und suchte vom Stuhle aufzuspringen. Aber gleich darauf war ihm schon alles wieder leid, und schwermütig sank das Haupt auf die Brust hinab. Erst als ihn der Squire mit deutlichem Winken ermunterte, nur alles zu sagen, was er für recht und am Orte hielte, konnte er es nicht länger in der Seele verschließen, und mit würdigem Tone begann er: »Here's health to inside of a loaf! Outside of a dale: a good beefsteak and a quart of ale!« Was in deutscher Sprache ungefähr so heißen würde, als wenn man jemandem nebst guter Gesundheit wünschte, er möge stets das Innere eines Brotes und stets das Äußere eines Gefängnisses sehen, auf dem Tisch aber ein gutes Beefsteak und ein Quart Ale.

Nachdem dies einige Male mit großem Jubel von den übrigen Gästen wiederholt war, entfernten sich die Frauen und Töchter, um beim Schein des hellen Sternhimmels allerlei Tänzen und Spielen zuzuschauen, die auf dem freien Platz vor dem Walde aufgeführt wurden. Leider beschließt man indes das Fest jetzt nicht mehr mit jenen kräftigen Späßen wie vor fünfzig oder hundert Jahren, wo bei solchen Gelegenheiten jedesmal der heilige Georg mit einem Drachen oder Türken zur allgemeinen Belustigung kämpfen mußte; das Ganze beschränkt sich auf einige Tänze und die Abenteuer unter dem grünen Busch vor der Tür. Von der Erlaubnis, die mit diesem zusammenhängt, suchen denn freilich die jungen Burschen in jenen Tagen sehr zu profitieren, und leicht läßt es sich denken, wenn Wein, Gesang und ein schöner Nachthimmel die Seelen in einen süß-romantischen Zauber einwiegen, daß das erste Widerstreben allmählich verschwindet und zuletzt sich eine Lippe der andern gern zu raschem Kusse entgegenbiegt. Die Bekanntschaft, welche auf solche Weise angeknüpft wurde, spinnt sich dann auch wohl über die Feiertage hinaus fort, und nach Jahren sammelt ein lustiger Squire vielleicht seine jungen Freunde zu eben dem Feste, das ihm selbst seinerzeit den ersten Kuß der Geliebten brachte, die nun als Gattin neben ihm am Kamin thront.

Als die Frauen das Zimmer verlassen hatten, rückten die Männer näher mit den Stühlen zusammen, und nicht lange dauerte es, da brachte auch schon der lange Bim die sehnlich erwarteten sechs Flaschen Portwein herbei, und der Squire mußte gestehen, daß er an seinem Sohne doch ein gutes Gewächs habe. Die Gäste wiegten sich jetzt behaglicher in den großen Lehnstühlen, die Gläser wurden aufs neue gefüllt, und hatte man sie halb oder ganz ausgetrunken, da wurden sie auf das Gesims des Kamins gestellt. Manche ernste und heitere Geschichte aus den Yorkshire-Bergen wurde von den alten Squires und Pächtern erzählt.

So endete die Weihnachtsfeier in jenem altertümlichen Gehöfte, das so reizend zwischen Berg und Wald auf grünem Rasenfelde liegt.

Mit herzlichem Händedruck nahmen die Gäste von ihrem Wirte Abschied. Der alte Squire stand wieder vor der Tür seines Hauses und begleitete einen jeden mit helltönendem »Farewell!« Bim nickte den jungen Freundinnen zu und steckte die Hände in die Taschen. Die schöne Mary ließ ihre blonden Locken im Abendwinde wehen und war ausnehmend schön! Fort aber rollten die Wagen mit ihren schlaftrunkenen Gästen. Von Zeit zu Zeit jubelte noch mal einer der heimziehenden Burschen; dann reckten sich die Damhirsche in dem nahen Park erschrocken in die Höhe. Bald wurde alles still. – Leb wohl, du alter Squire in der Grafschaft Yorkshire!


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