Georg Weerth
Englische Reisen
Georg Weerth

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Ein Reise-Affenteuer

(See-Charivari)

(1847)

»Nimm mich auf, uralter Ozean!«, und da bezahlte ich dreißig Schilling Sterling und verfügte mich an Bord des »Glen Albyn«, eines Dampfboots von vielen Pferdekräften. – Es war in der heiligen Frühe, und die Sonne ging eben auf über England.

Lebe wohl, England! Ich kehre zurück in die billigen Gasthöfe des Kontinents, wo ich hinfort Schnepfen und Ulmer Spargel essen werde zu meinem stillen, speziellen Vergnügen! Lebe wohl!

Und da trocknete ich keine einzige Träne aus meinen schönen Augen, sondern setzte mich sehr vergnügt auf das Hinterteil des »Glen Albyn«, hinüberschauend, bis die Küste verschwunden, die liebliche Küste, auf der ich zwar viel des stärkenden Portweins, aber noch mehr der zerschmetternden Trübsal gekostet – jawohl, in drei langen Jahren, in dreimal dreihundertfünfundsechzig Tagen.

Und weiter fuhren wir über das Wasser,
Nur Wasser sahen wir ganz und gar.
Die See ward immer nasser und nasser,
Bis rings nur unendliche Nässe war.

Und ich wurde sehr ernst, und eine Stimme in meinem Innern hub plötzlich an zu sprechen und fragte mich: Nun, mein lieber Freund, was haben Sie denn eigentlich angefangen in diesen dreimal dreihundertfünfundsechzig Tagen?

Ich muß gestehen, diese Frage kam mir etwas unbescheiden und zudringlich vor, da ich aber aus Instinkt gegen jedermann verbindlich und höflich bin, so zögerte ich mit einer Antwort gar nicht lange und erwiderte mit der größten Freundlichkeit:

Süßes Gewissen, beruhige dich! Angefangen habe ich vieles, doch vollendet nur wenig, außerdem las ich im Shakespeare und im Tristram Shandy, und die Mädchen in Chester wissen das andere.

Mein Gewissen war ruhig, und wir verfügten uns zum Frühstück! Ein treffliches Frühstück! Tee und Kaffee, Beefsteak und Fische und was sonst das Meer gebärt an kleinen wohlschmeckenden Bestien, an Krebsen und Austern – ich fand es aufgetragen in reichlicher Menge, prangend in symmetrischer Ordnung und lächelnd zu süßer Verlockung. Doch, o Wunder, an den Seiten des Tisches, wo gewiß ein Dutzend Menschen Platz gehabt hätten, standen nur zwei Sessel, und in dem einen Sessel saß bereits mein roter Kapitän, und den andern schob mir der Kellner hin, ärgerlich brummend, und ach, es war kein Zweifel mehr, der Kapitän und ich, das war die ganze Gesellschaft, und ich war der einzige Passagier auf dem ganzen ungeheuren Steamer.

Traurig, o traurig! Ich hatte gehofft, wenigstens fünf oder sechs von euch zu treffen, wie ich euch oft getroffen, ihr blauäugigen Töchter und Tanten Britanniens, wenn ihr Porter und Sherry trinkt wie die Männer und wenig sprecht und euch still verklärt einander anseht, lieblich langweilig, daß man hätte einschlafen mögen in eurer Nähe und schlummern ein halbes Jahrtausend in Frieden und süßer Verzückung! – Wen soll ich jetzt unterhalten, wenn ich in der Kajüte sitze, die lange, schaukelnde Seenacht, ein einsamer Mann? Wem soll ich nun auf den kleinen Fuß treten? Wem soll ich jetzt die zarte, lilienweiße Hand fassen? Zu wem soll ich mich, ach, traulich hinüberwiegen, wenn mir das Herz voll wird, wenn meine Seele anfängt zu blühen und meine Lippen sich sehnen nach leisem Geschwätz und verrücktem Gemurmel?

Ach, ich sehe es kommen, dies wird eine traurige Nacht – in der Heimat blieben sie zurück, die mich trösten könnten –, und keine Rettung gibt es, denn nicht mehr in unsern Tagen entsteigen der Flut die erquicklichen Nymphen von ehemals, und ein dummes Gespräch werd ich führen mit dem tobenden Meergott nur, wenn ich wandeln werde im Mondschein heut nacht auf dem glatten Verdeck, keusch und unverkümmert.

»Doch essen Sie Ihr Beefsteak, mein Freund, es wird Ihnen kalt, und trinken Sie Tee, oder wollen Sie Kaffee? Und nehmen Sie Eier?«

Der Kapitän hatte recht, und ich trank Kaffee und Tee und aß Beefsteak und Eier, und meine Seele ward ruhig...

Da sprang der Kapitän auf; unser Frühstück war beendigt. Bald standen wir auf dem Verdeck. Rechts und links gingen die Schiffe an uns vorüber, und mein Freund setzte natürlich jedesmal sein Fernrohr an den Kopf, um die Fremdlinge von oben bis unten zu beschauen. »Dreihundert Tonnen!« rief er, wenn ein etwas größeres Fahrzeug dahinglitt. »Sitzt gut in den Planken... nur etwas alte Segel... aber nicht übel gebaut« und ähnliche Bemerkungen entfuhren dem alten Gesellen. – Ich dachte unwillkürlich an die Zwischenakte des Theaters am Strand. Da setzen die Heroen des Abends auch ihre Teleskope an die holden Gesichter und blicken hinauf zu den Logen. »Dreihundert Pfund Rente!« flüstert der eine dem andern zu. »Sitzt gut in den Hüften... nur schade, etwas ältlich... doch nicht übel gebaut!«,und wie der Kapitän vor einer alten Fregatte verneigen sich die Söhne Merkurs vor der blondlockigen Tochter des Brotherrn.

Es war indessen Mittag geworden, und die Sonne schien steif hinab aufs Verdeck. Es wurde mir so träumerisch, schläfrig zumute, ich legte mich auf eine Bank, und die Wellen, mit tollem Gemurmel, sangen mich bald ein in seliges Vergessen.

Das Meer, das ich wachend vor mir gehabt hatte, blieb indes auch im Traume vor meinen Blicken: ich sah fortwährend die große grüne Flut vor mir, und jede Welle, die schäumend zusammenrollte, schien mich freundlich anzunicken und mich zu grüßen. Freundliche, liebenswürdige Wellen! Allmählich wurde die Geschichte aber doch etwas langweilig, und ich freute mich gar nicht wenig, als plötzlich ein sehr hübscher und wohlgewachsener Delphin mit dem Kopf aus dem Wasser sah und mich mit seinen grünen Augen zu fragen schien, ob er vielleicht zu meiner Unterhaltung etwas beitragen könne. Ich ließ diese Gelegenheit natürlich nicht vorübergehen und winkte ihm, näher heranzukommen, was der holde Delphin auch sogleich tat und bald so nahe an der Seite des Dampfers dahinglitt, daß wir ohne große Schwierigkeit unsere Konversation beginnen konnten:

Guten Tag, Delphin! 's freut mich, daß ich dich sehe! Wie geht's? Wie sieht es im Meere aus, unten auf dem perlengestickten Grunde, was hast du Neues?

Der Delphin ließ mich nicht lange auf Antwort warten. Die Wellen hörten auf zu rauschen, und mit silberner Stimme klang es und sang es:

Des Neuen hab ich dir viel zu erzählen,
Viel Golfe und Buchten ich jüngst durchschwamm,
Du kannst nur die Länder und Völker dir wählen,
Vom grünenden Kap ja bis Amsterdam!

Der Delphin schwieg, und ich erwiderte ihm eiligst:

Lieber Delphin, du hast mich nicht verstanden; von den langweiligen Völkern und Ländern will ich nichts wissen, weder etwas vom Kap noch von Amsterdam, namentlich nichts von letzterem, was ich ja eben selbst besuchen und in Augenschein nehmen will. Vom Meere erführe ich gerne etwas, das interessiert mich! Gar zu gerne wüßt ich, ob es denn wirklich wahr ist, daß es da unten kein einziges von jenen göttlichen Wesen mehr gibt, die ich bei meinen klassischen Studien in Quarta und Tertia auf dem Gymnasium meiner Heimat einst so unbeschreiblich liebgewann. Sprich, was fangen die Tritonen an und die lieblich nackten Nereiden? Das erzähle mir!

Da ließ der Delphin mich nicht lange auf Antwort warten, die Wellen hörten auf zu rauschen, und mit silberner Stimme klang es und sang es:

O Freund, im Meer ist's nicht wie vor Zeiten;
Der antike Wasserpöbel verschwand!
Wir Fische sind's, die die Wellen durchgleiten
Mit dem offenen Maul, im schuppigen Gewand.

Der Delphin schwieg, und ich seufzte tief auf: Ach, wie sind die Zeiten so schlecht geworden. Also alles tot?

Da hub der Delphin aufs neue zu singen an, und mit silberner Stimme klang es und sang es:

Neptun nur thront an früherer Stätte;
Das ist der ganze göttliche Rest!
Traurig sitzt er auf blauem Bette,
Ewig bis auf die Haut durchnäßt!

O lieber Gott! Der arme Mann, was muß der sich ennuyieren! Allein mit seinem Schmerz! Nur von kalten Fischen umringt... Verzeih, verehrter Delphin, ich will dich nicht beleidigen, du bist auch ein Fisch – ich dachte nicht daran, daß ich mit dir sprach –, aber du weißt, es gibt Ausnahmen, und es versteht sich von selbst, daß du die edle Ausnahme bist; ich weiß: Götter und Poeten, was eigentlich dasselbe ist, die haben dich von jeher geliebt und verehrt. Drum lasse dich in deiner Erzählung auch nicht stören und fahre fort.

Und der Delphin fuhr fort, die Wellen hörten auf zu rauschen, und von Neptun klang es und sang es mit silberner Stimme:

Er weiß, daß die Menschen ihn nicht mehr ehren;
Die bösen Christen,die brachten ihn schon
Vor Jahren, ach, er konnt es nicht wehren,
Um alle Ehre und Reputation.

Ach ja, das ist leider wahr. Ich habe eigentlich auch nie daran gezweifelt, daß es so sei, denn ich erinnere mich noch sehr wohl jenes Augenblicks, als ich einst in der goldenen Frühe zu meinem alten Rektor trat und ihn im Zimmer auf und ab gehen sah, weinend und wehklagend um das untergegangene Heidentum. Er sagte mir, es sei eine wahre Schande, daß man nicht mehr an den Olympos glaube, aber den Christen solle es auch noch eimal schlimm ergehen, und dies sei sein einziger Trost. Er ging dann auf den Bleichplatz hinter das Schulhaus, zog seinen Schafpelz aus und wälzte sich einigemal, nackt wie er war, in dem grünen betauten Grase herum, kam dann wieder zu mir,versicherte, daß jetzt sein brennender Schmerz etwas gelindert sei, und ließ mich dann deklinieren... Aber lieber Delphin, verzeihe, daß ich dich unterbrach! Fahre fort!

Und vom alten Neptun begann er zu singen, und sang, daß es klang wie von silberner Stimme:

Manchmal,wenn ihn Gedanken foltern,
Den herabgekommnen, bankrotten Mann,
Da fängt er noch heftig an zu poltern
Und braust wie ein junger Sausewind dann.

Also doch? Ach, das freut mich! Ich habe es immer gesagt, die Götter konservieren sich lange, und namentlich der Neptun! Er war gewiß ein ein Mann von gutem Schrot und Korn.

Voll Ärger umtobt er die Felsenriffe
Und hüllt in Wolken der Sonne Schein;
Zerbricht ein halb Dutzend Linienschiffe
Und schläft wieder mürrisch und brummend ein.

Nun, damit schadet er den Menschen auch nicht gar zu viel; diese Reise hat nie großen Erfolg – ein paar Linienschiffe mehr oder weniger, darauf kommt es nicht an, und es ist ja alles versichert, verassekuriert bei Lloyd's in London –, schadet wenig. Aber macht er sich sonst nicht noch zuweilen ein stilles Vergnügen?

Da hob der Delphin zum letzten Male sein weißes Haupt aus dem Schaum der Fluten, die Wellen hörten auf zu rauschen, und mit silberner Stimme klang es und sang es:

Sein höchster Spaß ist, wenn am Abend
Die Fische kommen aus aller Welt
Und sich im Mondenscheine labend
Betend um seinen Thron gestellt.
Da schäkert er wohl mit den jungen Forellen
Und kneift den Karpfen in den Schwanz
Und denkt an das schöne Junggesellen-
Leben, an Liebe, Gesang und Tanz.

So sang der Delphin und tauchte hinab. Ich aber fuhr entrüstet von meiner Bank empor. Also mit den Karpfen gibst du dich ab, Neptun, o gesunkener Gott? Fahre hin – es ist aus!

Mein Kapitän empfing mich aber mit offenen Armen und zog mich hinunter in die große Kajüte, wo bereits ein treffliches Diner unserer wartete. Der unglückliche Schiffskoch schien auf eine Gesellschaft von wenigstens dreißig Personen gerechnet zu haben, denn er hatte ein so immenses Stück Beef gekostet und jetzt zwischen mich und den Kapitän auf den Tisch gesetzt, daß es mir, etwas lügenhaft zu erzählen, beinahe nicht möglich war, meinen Tischgenossen an der andern Seite zu bemerken.

»Tun wir unser möglichstes!« rief mir der Kapitän zu und goß eine Flasche Portwein und eine dito Sherry in die großen, geschliffenen Dekanten. Das Tischgebet wurde gesprochen.

Und wir erhoben die Hände zum lecker bereiteten Mahle.

Jetzo war die Begierde des Tranks und der Speise gestillet.

Und es erhob sich vom Sessel mein göttlicher Freund Kapitän und sprach die geflügelten Worte:

»Werter Freund, entschuldigen Sie meine Frage, welcher Nation gehören Sie eigentlich an?«

Ich besann mich einen Augenblick und erwiderte dann mit dem höchstmöglichen Pathos:

»Teurer Freund, ich bin ein Yankee.«

»Wie, ein Yankee? Ein Nordamerikaner?« Der Kapitän erblaßte und goß ein halbes Glas Portwein über das Tischtuch.

»Jawohl, ein Nordamerikaner, der stolz ist auf seine große Nation und auf sein großes Vaterland!«

Der Kapitän erwiderte keine Silbe, ergriff ein großes Tischmesser, rannte wie wütend in einen Chester-Käse, grüßte mich dann höflich kalt und stieg hinauf aufs Verdeck.

Unglücklicher, was hatte ich getan! Mich für einen Amerikaner auszugeben, auf einem englischen Schiff – der einzige Passagier –, in einem Augenblick, wo der Krieg zwischen beiden Nationen vor der Tür war.Unser Abenteuer passierte vor Beilegung der Oregon-Differenzen. An eine Aussöhnung mit dem alten Kapitän war nicht zu denken; von der Minute an, wo die verhängnisvollen Worte meinen Lippen entflohen, waren wir die bittersten Feinde. Es tat mir leid, meinen Schiffsgenossen so aufgebracht und verstimmt zu haben; in seinen Augen war ich jetzt ein Lump, ein Vagabund – ich war ja ein Nordamerikaner, ich gehörte einem Volke an, das sich einst trotzig vom Mutterlande trennte und das jetzt wiederum dem stolzen Albion drohend zu begegnen wagte. Ich ergab mich in mein Schicksal, ich verzieh aber dem alten Kapitän, den die Sitten und der Charakter seiner Heimat nicht anders gelehrt hatten als den Amerikaner mit Wut und Argwohn zu betrachten.

Ein kurioses Volk! Sprich dem Engländer von einem Schotten, da ist es ihm nicht anders, als würde er um eine Summe Geldes betrogen. Sprich von einem Irländer, da zuckt er höhnisch und verächtlich mit den Lippen. Sprich von einem Franzosen, da lacht er und trinkt auf die Gesundheit des Herzogs von Wellington. Sprich von einem Holländer, da fordert er vom Wirt eine irdene Pfeife. Sprich von einem Deutschen, da sagt er kein Wort, und sage ihm, du seist ein Amerikaner – da wird er wütend und rennt mit dem Messer in den Chester-Käse. Und der eine ist wie der andere, und unter tausend Mann denken und tun neunhundertneunundneunzig ganz dasselbe.

Nach und nach wurde es Abend. Blutrot ging die Sonne unter, und unheimlicher rollten die Wogen am Schiffe vorüber. Lange und unverwandt blickte ich hinaus...

Ich mußte lange geschlafen haben, denn als ich erwachte, war ich durch und durch kalt von der Nachtluft, und mein Kopf war wüst, und halb im Traum kroch ich hinab in die Kajüte. Da standen dreißig bis vierzig Betten rechts und links, ich hatte also die Wahl und zögerte nicht lange, meine Kleider abzuwerfen und das erste beste zu besteigen. Es war dunkel in der Kajüte, nur eine alte Laterne baumelte im Hintergrunde des Raumes vom Balken herunter, das Licht fast erloschen. In der Gegend der Bettreihen war es völlig Nacht. Da ich aber die Lokalitäten des Schiffes ziemlich gut kannte, so fand ich mich schnell zurecht, setzte den linken Fuß auf das untere Bett und schwang mich mit dem rechten Beine flott in dasjenige der oberen Schichte.

Mein Manöver gelang so vortrefflich, daß ich unwillkürlich einige Selbstzufriedenheit über meine Geschicklichkeit empfand und mich höchst behaglich und mit einer gewissen Dreistigkeit in die Kissen niederfallen ließ. Ein herzzerreißender Schrei, der in allen Ecken des Schiffes widertönte, folgte wie Blitz und Schlag meinem Niedersinken. Statt in weiche Decken und sanfte Kissen zu fallen, fiel ich auf etwas Hartes, Zweibeiniges, Zuckendes und Zappelndes – es war kein Zweifel mehr, ich war auf einen Menschen gefallen. Obgleich ein solches Rencontre nun zuweilen gar nicht unerfreulich sein kann, so belehrte mich doch bald ein fürchterlicher Faustschlag, der meine Brust traf, daß ich nichts des Süßen zu erwarten hatte, daß diese Nacht mir nimmer selig sein würde. Ein zweiter Faustschlag folgte dem ersten in der größten Geschwindigkeit, und schon ahnte ich das Herannahen eines dritten, da zögerte ich keinen Augenblick, zog meine Beine zusammen und versuchte mit einem kühnen Satz dem unheimlichen Orte zu entspringen. Aber ach, das Schicksal wollte es, daß mein feiges Entrinnen nicht gelang. Meine Füße verwickelten sich in dem Bettuche, mein Kopf stieß unter die Decke des Schiffsraums, und nieder sank ich aufs neue, an das Schlachtfeld gefesselt, wie zum Kampfe gezwungen. – Ihr kennt aus den Romanen des Cooper den Streit des Renard subtil und des alten Mohikaners, wie sie, die Messer in den Fäusten, wild übereinander herstürzten und bald in der schrecklichsten Hitze des Kampfes gleich einem blutigen Knäuel durch den Wald rollten, daß Staub und Blätter in düstern Wolken ihren Spuren folgten und nicht mehr zu erkennen war, wer oben und wer unten lag – nun, jener Streit, jenes Gefecht war freilich etwas großartiger und gefährlicher als die lustige Boxerei, welche sich jetzt in der Kajüte des »Glen Albyn« entwickelte, aber soviel ist gewiß, wir lagen uns schwer in den Haaren. Schon bei dem ersten Stoß hatte ich gefühlt, daß mein Gegner in der Kunst des Boxens nicht unerfahren war, ich suchte also, ihm mit denselben Waffen zu begegnen, und gebrauchte meine Fäuste in so trefflicher Weise, daß ich ihn schon nach den ersten vier oder fünf Gängen hors de combat setzte. Während des Gefechtes hatten wir unsere Lage etwas verändert; zuerst nebeneinander liegend, hatten wir uns allmählich in eine aufrechte Stellung gebracht, so daß mein Gegner am Kopfende des Bettes und ich am Fußende kniete. Wie gesagt, unser Kampf stockte für einen Augenblick, da mein Feind erschöpft zu sein schien. Als großmütiger Sieger wollte ich also diesen Moment nicht unbenutzt vorübergehen lassen und umfing meinen Gegner mit beiden Armen, nicht um ihm etwa den Kuß der Versöhnung aufzudrücken, nein, sondern um ihm überhaupt alle weiteren Feindseligkeiten unmöglich zu machen und damit die Sache zu beendigen.

Meine gute Absicht schien aber ganz verkannt zu werden. In der plötzlichen Umarmung erblickte mein Gegner nur ein neues, höchst frevelhaftes Attentat und gebrauchte seine keineswegs schwachen Schenkel mit einem Male in so entschiedener Gewalt, daß ich im Nu das Gleichgewicht verlor und ohne weiteres zum Bett hinausgeworfen wurde. Da ich indes den Oberkörper meines Antagonisten fest umschlossen hielt, so konnte es nicht fehlen, daß ich ihn mit in meinen Sturz hinunterzog, und wie ich früher auf ihn gefallen war, so donnerte er jetzt auf mich hinunter, und die Kajüte zitterte von unserem Falle.

Unwillkürlich ließ ich hier die Schultern meines Gegners fahren, und rasch emporspringend, retirierte ich mich in die Mitte des Schiffsraumes, wo die alte Laterne wenigstens etwas Licht verbreitete und ein weiteres Boxen weniger gefährlich werden konnte.

Mein Gegner war mir auf dem Fuße gefolgt, jetzt standen wir gegeneinander über, gerade unter dem halberloschenen Laternenlichte, und ich erkannte zu meinem nicht geringen Schrecken in meinem Gegner den alten Kapitän.

»Verdammter Amerikaner!«

»Verfluchter Brite!«

Das war das erste, was wir uns mit halb von Wut erstickten Stimmen zurufen konnten, und beide ballten wir aufs neue unsere Fäuste, jetzt sie emporhebend zum Schutz, jetzt sie senkend, um einen gewisseren Stoß zu berechnen, und wie zwei Kater in der Märznacht schlichen wir sacht im Kreise herum, der eine den andern visierend mit feurigen Blicken und jeder des andern ersten Stoß abwartend.

Es würde sicher zu einem abermaligen Gefechte gekommen sein, wenn nicht der Steward und einige jüngere Kellner, welche sich aus Mangel an Beschäftigung früher als gewöhnlich und alle miteinander zu Bett begeben hatten, plötzlich durch unsern Lärm wach geworden und mit einigen Lichtern in der Hand in die Kajüte getreten wären. Sie hüteten sich natürlich sehr wohl, uns an unserem Beginnen abzuhalten; nach englischer Sitte stellten sie sich auch gleich um uns herum, nicht wenig erfreut, zu so ungewohnter Stunde noch einen Zweikampf zu erleben. Als sie aber den Kapitän erblickten, halb nackt, in zerrissenem Hemde, die Haare hinabhängend bis auf die rote Nase, und mich, in nicht weniger fabelhaftem Kostüm, da konnten die armen Jungen nicht anders und brachen in ein unmenschliches Gelächter aus.

Diese unerwartete Heiterkeit unserer Zuschauer verfehlte auch ihren Eindruck auf die beiden Boxer nicht. Wir stutzten, die geballten Fäuste sanken, und ein Augenblick der Ruhe war hinreichend, um uns davon zu überzeugen, daß jeder weitere Streit lächerlich sein würde. »Verfluchter Yankee!« – »Verdammter Brite!« klang es noch einmal von der einen und der andern Seite herüber, und jeder befahl einem Kellner, die Kleider herbeizubringen.

»Aber gibt es denn nicht genug Betten hier, und weshalb gerade in das meine springen?« rief der Kapitän.

»Und weshalb keine Lichter angezündet, daß man sehen kann?« erwiderte ich ihm.

Der Kapitän schwieg. Wahrscheinlich fiel ihm ein, daß er bei der ganzen Sache eigentlich im Unrecht war – er hatte eine Kajüte für sich, ein eigenes Bett, weshalb legte er sich in den großen Raum, welcher für die Passagiere bestimmt ist? Ich hatte Lust, ihn noch hierauf aufmerksam zu machen, hielt aber den Mund, um die Sache ein für allemal schlummern zu lassen.

Eine Karaffe mit Brandy, Wasser, Zucker und Zigarren wurden auf den Tisch gebracht, und beide Parteien ließen sich nieder, um bei einem Glase Grog etwas zu verschnaufen. Zum Schlafen schien keiner mehr große Lust zu haben. Nach einer halben Stunde sehen wir uns zuerst wieder an, dann einige abgebrochene Worte, hierauf eine kleine Konversation, und als der duftige Grog unsere Herzen immer mehr erwärmte und ich meinem alten Freunde zuletzt erklärte und heilig versicherte, daß ich weder von väterlicher noch mütterlicher Seite ein Yankee sei, Amerika nie gesehen und ihn am vorigen Tage nur des Spaßes wegen ein wenig belogen hätte, da reichten wir uns zuletzt die Hände der Versöhnung und sprangen zusammen aufs Verdeck, hinausblickend in das flammende Morgenrot, das schön wie immer den Fluten des Meeres entstieg.

Wir waren dem Lande ziemlich nahe – noch eine Stunde, da sahen wir die Küste in blauer, duftiger Ferne, und jubelnd erhoben sich die Möwen von dem Spiegel der Wellen, und weithin blitzte ihr weißes Gefieder in den ersten Strahlen der Sonne.

Smaragdengrün wälzte sich uns die Schelde entgegen, wir grüßten Vlissingen mit seinem grauen Turm und den kleinen roten Dächern, die lieblich aus dem jungen Grün der Linden zu uns herüberschauten. Bald stehen wir auf belgischem Boden!

Ottocar Bohemund Graf von Hahn-Hahn, weitläuftiger Anverwandter der Gräfin Ida von Huhn-Huhn.


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