Frank Wedekind
Der Marquis von Keith
Frank Wedekind

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v. Keith kommt in hellem Paletot, einen Pack Zeitungen in der Hand, vom Vorplatz herein.

v. Keith seinen Paletot ablegend Das ist eine Fügung des Himmels, daß ich dich hier treffe! Zu Simba Was tun Sie denn noch hier?

Simba Die gnädige Frau haben mich als Hausmädchen in den Dienst genommen.

v. Keith Sehen Sie, ich habe Ihr Glück gemacht. – Melden Sie uns!

Simba Sehr wohl, Herr Baron.

Ins Spielzimmer ab.

v. Keith Die Morgenblätter bringen schon die begeistertsten Besprechungen über unser gestriges Konzert! Er setzt sich an das Tischchen links vorn und durchblättert die Zeitungen.

Scholz Hast du denn jetzt endlich Nachricht, wo sich deine Frau aufhält?

v. Keith Sie ist bei ihren Eltern in Bückeburg. Du warst während des Banketts gestern abend ja plötzlich verschwunden?

Scholz Ich hatte das lebhafteste Bedürfnis, allein zu sein. Wie geht es denn deiner Frau?

v. Keith Danke; ihr Vater steht vor dem Bankrott.

Scholz So viel wirst du doch noch übrig haben, um ihre Familie vor dem Äußersten zu schützen!

v. Keith Weißt du, was mich das Konzert gestern gekostet hat?

Scholz Ich finde, du nimmst diese Dinge zu leicht!

v. Keith Du wünschest wohl, daß ich dir dabei helfe, die Eier der Ewigkeit auszubrüten?

Scholz Ich würde mich glücklich schätzen, wenn ich dir von meinem Überschuß an Pflichtgefühl etwas abtreten könnte.

v. Keith Gott bewahre mich davor! Ich habe jetzt die erdenklichste Elastizität nötig, um die Erfolge in ihrer ganzen Tragweite auszubeuten.

Scholz selbstbewußt Ich danke es dir, daß ich dem Leben heute mit ruhigem, sicherem Blick gegenüberstehe. Ich halte es daher für meine Pflicht, ebenso offen zu dir zu sprechen, wie du vor vierzehn Tagen zu mir gesprochen hast.

v. Keith Der Unterschied ist nur der, daß ich dich nicht um deinen Rat gebeten habe.

Scholz Das ist für mich nur ein Grund mehr zu rückhaltloser Aufrichtigkeit. Ich habe durch meinen übertriebenen Pflichteifer den Tod von zwanzig Menschen verschuldet; aber du benimmst dich, als habe man seinen Mitmenschen gegenüber überhaupt keine Pflichten. Du gefällst dir geradezu darin, mit dem Leben anderer zu spielen!

v. Keith Bei mir ist noch jeder mit einem blauen Auge davongekommen.

Scholz mit wachsendem Selbstbewußtsein Das ist dein persönliches Glück! Dir fehlt aber das Bewußtsein, daß andere ganz die nämlichen Ansprüche auf den Genuß ihres Lebens haben wie du. Das, worin die Menschheit ihre höchsten Errungenschaften erblickt, was man mit Fug und Recht als Sittlichkeit bezeichnet, dafür hast du nicht das geringste Verständnis.

v. Keith Du bleibst dir treu. – Du kommst nach München mit dem ausgesprochenen Vorsatz, dich zum Genußmenschen auszubilden, und bildest dich aus Versehen zum Sittenprediger aus.

Scholz Ich bin durch das buntscheckige Treiben Münchens zu einer bescheidenen, aber jedenfalls um so zuverlässigeren Selbstabschätzung gelangt. Ich habe in diesen vierzehn Tagen so gewaltige innere Wandlungen durchgemacht, daß ich, wenn du mich anhören willst, allerdings auch als Sittenprediger reden kann.

v. Keith gereizt Dir treibt mein Glück die Galle ins Blut!

Scholz Ich glaube nicht an dein Glück! Ich bin so namenlos glücklich, daß ich die ganze Welt umarmen möchte, und wünsche dir aufrichtig und ehrlich dasselbe. Dazu gelangst du aber nie, solang du noch über die höchsten Werte des Lebens in deiner knabenhaften Weise spottest. Ich wußte, bis ich nach München kam, die Beziehungen zwischen Mann und Weib allerdings nur ihrer seelischen Bedeutung nach zu würdigen, während mir der Sinnengenuß noch als etwas Gemeines erschien. Das war verkehrt. Aber du hast in deinem ganzen Leben an einem Weibe nie etwas Höheres als den Sinnengenuß geschätzt. Solange du nicht von deinem Standpunkt aus der sittlichen Weltordnung deine Zugeständnisse machst, wie ich es von meinem Standpunkt aus getan habe, so lang wird all dein Glück ewig auf tönernen Füßen stehn!

v. Keith sachlich Die Dinge liegen ganz anders. Ich verdanke den letzten vierzehn Tagen meine materielle Freiheit und gelange infolgedessen endlich zum Genuß meines Lebens. Und du verdankst den letzten vierzehn Tagen deine geistige Freiheit und bist infolgedessen endlich zum Genuß deines Lebens gelangt.

Scholz Nur mit dem Unterschied, daß es mir bei all den Genüssen darum zu tun ist, ein nützliches Mitglied der menschlichen Gesellschaft zu werden.

v. Keith aufspringend Warum soll man denn durchaus ein nützliches Mitglied der menschlichen Gesellschaft werden?!

Scholz Weil man als etwas anderes keine Existenzberechtigung hat!

v. Keith Ich brauche keine Existenzberechtigung! Ich habe niemanden um meine Existenz gebeten und entnehme daraus die Berechtigung, meine Existenz nach meinem Kopfe zu existieren.

Scholz Dabei gibst du deine Frau, die drei Jahre alle Gefahren und Entbehrungen mit dir getragen hat, mit der größten Seelenruhe dem Elend preis!

v. Keith Was soll ich denn tun! Meine Ausgaben sind so horrend, daß ich für meinen eigenen Gebrauch nicht einen Pfennig übrig habe. Mit der ersten Rate meines Gehaltes habe ich meinen Anteil am Gründungskapital eingezahlt. Ich dachte einen Augenblick daran, das Geld anzugreifen, das mir zur Bestreitung der Vorarbeiten zur Verfügung steht. Aber das kann ich nicht. – Oder wolltest du mir dazu raten?

Scholz Ich kann dir eventuell schon noch zehn- oder zwanzigtausend Mark überlassen, wenn du dir nicht anders helfen kannst. Ich bekam gerade heute zufällig einen Wechsel von meinem Verwalter über zehntausend Mark.

Entnimmt seinem Portefeuille einen Wechsel und reicht ihn v. Keith hin.

v. Keith reißt ihm das Papier aus der Hand Komm mir dann aber bitte nicht gleich morgen wieder damit, du wollest das Geld zurückhaben!

Scholz Ich brauche es jetzt nicht. Die übrigen zehntausend Mark muß ich mir aber erst durch meinen Bankier aus Breslau schicken lassen.

Anna kommt in eleganter Straßentoilette aus dem Spielzimmer.

Anna Entschuldigen Sie, meine Herren, daß ich warten ließ.

Scholz überreicht seine Blumen Ich konnte mir die Freude nicht versagen, gnädige Frau, Sie am ersten Morgen Ihrer vielversprechenden künstlerischen Laufbahn von ganzem Herzen zu beglückwünschen.

Anna stellt die Blumen in eine Vase Ich danke Ihnen. Gestern abend vergaß ich in meiner Aufregung vollkommen, Sie danach zu fragen, wie es Ihnen denn eigentlich mit Ihren Verletzungen ergangen ist.

Scholz Die sind weiß Gott nicht der Rede wert. Mein Arzt sagt, ich könne in acht Tagen, wenn ich Lust dazu habe, auf die Zugspitze klettern. Ein Schmerz war mir gestern abend allerdings das schallende Hohngelächter, das der Herr Kapellmeister Zamrjaki mit seiner Symphonie hervorrief.

v. Keith hat sich an den Schreibtisch gesetzt Ich kann nicht mehr tun als den Menschen Gelegenheit geben, ihr Können zu zeigen. Wer seinen Mann nicht stellt, der bleibt am Wege. Ich finde in München Kapellmeister genug.

Scholz Sagtest du denn nicht selbst von ihm, er sei das größte musikalische Genie, das seit Richard Wagner lebt?

v. Keith Ich werde doch meinen eigenen Gaul nicht Schindmähre nennen! Ich muß in jeder Sekunde für die Richtigkeit meiner Berechnungen einstehen. Sich erhebend Ich war eben mit den Karyatiden auf dem Magistrat. Es handelte sich um die Frage, ob der Bau des Feenpalastes für München ein Bedürfnis ist. Die Frage wurde einstimmig bejaht. Eine Stadt wie München läßt es sich ja gar nicht träumen, was sie für Bedürfnisse hat!

Scholz zu Anna Gnädige Frau haben jetzt vermutlich mit Ihrem glücklichen Impresario weltumfassende geschäftliche Pläne zu erörtern.

Anna Nein, bitte, wir haben nichts miteinander zu besprechen. Wollen Sie uns schon verlassen?

Scholz Sie erlauben mir vielleicht, daß ich mir in den nächsten Tagen wieder einmal die Ehre nehme?

Anna Ich bitte Sie darum; Sie sind jederzeit willkommen.

Scholz hat v. Keith die Hand gedrückt. Ab.

v. Keith Die Morgenblätter bringen schon die begeistertsten Kritiken über dein gestriges Auftreten...

Anna Hast du denn jetzt endlich eine Nachricht, wo sich Molly befindet?

v. Keith Sie ist bei ihren Eltern in Bückeburg. Sie schwelgt in einem Ozean kleinbürgerlicher Sentimentalität.

Anna Zum zweitenmal werden wir uns nicht wieder so von ihr in Schrecken jagen lassen! Übrigens hatte sie wirklich nötig, dir zu beweisen, wie völlig entbehrlich sie dir ist!

v. Keith Dir ist die gewaltige Liebesleidenschaft Gott sei Dank ein Buch mit sieben Siegeln. Ist das nicht befähigt, einen zu beglücken, dann will es einem wenigstens das Haus über dem Kopf in Brand stecken!

Anna Du dürftest einem trotzdem etwas mehr Vertrauen zu deinen geschäftlichen Unternehmungen einflößen! Ein Vergnügen ist es gerade nicht, Tag und Nacht wie auf einem Vulkan zu sitzen!

v. Keith Wie komme ich denn gerade heute dazu, mir von allen Seiten moralische Vorlesungen halten lassen zu müssen?!

Anna Weil dein Treiben den Anschein hat, als müßtest du dich ununterbrochen betäuben! Du kennst keine Ruhe. Ich finde, sobald man im Zweifel ist, ob man dieses oder jenes tun soll, dann tut man am besten gar nichts. Dadurch allein, daß man etwas tut, setzt man sich immer schon allen erdenklichen Unannehmlichkeiten aus. Ich tue so wenig als irgendwie möglich und hatte meiner Lebtag Glück damit. Du kannst es niemandem verdenken, daß er dir mißtraut, wenn du Tag und Nacht wie ein ausgehungerter Wolf hinter deinem Glücke herjagst.

v. Keith Ich kann nicht für meine Unersättlichkeit.

Anna Es sitzen aber manchmal Leute mit geladenen Flinten im Schlitten, dann geht es piff-paff.

v. Keith Ich bin kugelfest. Ich habe noch zwei spanische Kugeln von Kuba her in den Gliedern. Außerdem besitze ich die unverbrüchlichste Garantie für mein Glück.

Anna Das ist schon die richtige Höhe!

v. Keith Allerdings zu hoch für den menschlichen Herdenverstand! – Zwanzig Jahre mögen es sein, da standen der junge Trautenau und ich in kurzen Schoßröckchen in der getünchten Dorfkirche am Altar. Mein Vater spielte die Orgel dazu. Da drückte der Dorfpfarrer jedem von uns einen Bilderbogen mit einem Bibelspruch darauf in die Hände. Ich habe seitdem kaum jemals eine Kirche mehr von innen gesehen, aber mein Konfirmationsspruch hat sich an mir bewahrheitet, daß ich oftmals des Staunens keine Grenzen fand. Und stellt sich mir heute je eine Widerwärtigkeit in den Weg, dann kommt mich immer gleich ein verächtliches Lächeln an im Hinblick auf den Spruch: – »Wir wissen, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen.«

Anna Denen, die Gott lieben?! – Dieser Liebe willst du auch noch fähig sein?!

v. Keith Auf die Frage hin, ob ich Gott liebe, habe ich alle bestehenden Religionen geprüft und fand bei keiner Religion einen Unterschied zwischen der Liebe zu Gott und der Liebe zum eigenen Wohlergehen. Die Liebe zu Gott ist überall immer nur eine summarische symbolische Ausdrucksweise für die Liebe zur eigenen Person.

Simba tritt vom Vorplatz ein.

Simba Der Herr Marquis möchten einen Moment herauskommen. Der Sascha ist da.

v. Keith Warum kommt der Junge denn nicht herein?


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