Frank Wedekind
Erdgeist
Frank Wedekind

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Vierter Auftritt

Schwarz. Lulu.

Schwarz beugt sich nach links, spuckt aus Pack! – Wäre doch das Leben zu Ende! – Der Brotkorb! – Brotkorb und Maulkorb! Jetzt bäumt sich mein Künstlerstolz. Nach einem Blick auf Lulu Diese Gesellschaft! – Erhebt sich, geht nach rechts hinten, betrachtet Lulu von allen Seiten, setzt sich wieder an die Staffelei Die Wahl würde einem schwer. – – Wenn ich Frau Obermedizinalrat ersuchen darf, die rechte Hand etwas höher.

Lulu nimmt den Schäferstab so hoch sie reichen kann, für sich Wer hätte das für möglich gehalten!

Schwarz Ich bin wohl recht lächerlich?

Lulu Er kommt gleich zurück.

Schwarz Ich kann nicht mehr tun als malen.

Lulu Da ist er.

Schwarz sich erhebend Nun?

Lulu Hören Sie nicht?

Schwarz Es kommt jemand...

Lulu Ich wußte es ja.

Schwarz Es ist der Hausmeister. Er fegt die Treppe.

Lulu Gott sei Dank.

Schwarz Sie begleiten Herrn Obermedizinalrat wohl auf seine Praxis?

Lulu Das fehlte mir noch!

Schwarz Weil Sie es nicht gewohnt sind, allein zu sein.

Lulu Wir haben zu Hause eine Haushälterin.

Schwarz Die Ihnen Gesellschaft leistet?

Lulu Sie hat viel Geschmack.

Schwarz Wofür?

Lulu Sie zieht mich an.

Schwarz Sie gehen wohl viel auf Bälle?

Lulu Nie.

Schwarz Wozu brauchen Sie dann die Toiletten?

Lulu Zum Tanzen.

Schwarz Sie tanzen wirklich?

Lulu Csardas – Samaqueca – Skirtdance...

Schwarz Widert Sie denn das nicht an?

Lulu Sie finden mich häßlich?

Schwarz Sie verstehen mich nicht. – Wer gibt Ihnen denn den Unterricht?

Lulu Er.

Schwarz Wer?

Lulu Er.

Schwarz Er?

Lulu Er spielt Violine. – – –

Schwarz Man lernt jeden Tag ein neues Stück Welt kennen.

Lulu Ich habe in Paris gelernt. Ich nahm Stunden bei Eugenie Fougère. Sie hat mich auch ihre Kostüme kopieren lassen.

Schwarz Wie sind denn die?

Lulu Grünes Spitzenröckchen bis zum Knie, ganz in Volants dekolletiert natürlich, sehr dekolletiert und fürchterlich geschnürt. Hellgrüner Unterrock, dann immer heller. Schneeweiße Dessous mit handbreiten Spitzen...

Schwarz Ich kann nicht mehr...

Lulu Malen Sie doch!

Schwarz mit dem Spachtel schabend Ist Ihnen denn nicht kalt?

Lulu Gott bewahre! Nein. Wie kommen Sie auf die Frage? Ist Ihnen denn so kalt?

Schwarz Heute nicht. Nein.

Lulu Gottlob kann man atmen!

Schwarz Wieso...

Lulu atmet tief ein.

Schwarz Lassen Sie das, bitte! – Springt auf, wirft Pinsel und Palette weg, geht auf und nieder Der Stiefelputzer hat es wenigstens nur mit ihren Füßen zu tun. Seine Farbe frißt ihm auch nicht ins Geld. Wenn mir morgen das Abendbrot fehlt, fragt mich kein Weltdämchen danach, ob ich mich aufs Austernschlecken verstehe.

Lulu Ist das ein Unhold!

Schwarz nimmt die Arbeit wieder auf Was jagt den Kerl auch in diese Probe!

Lulu Mir wäre es auch lieber, er wäre dageblieben.

Schwarz Wir sind wirklich die Märtyrer unseres Berufes!

Lulu Ich wollte Ihnen nicht weh tun.

Schwarz zögernd, zu Lulu Wenn Sie links – das Beinkleid ein wenig höher...

Lulu Hier?

Schwarz tritt zum Podium Erlauben Sie...

Lulu Was wollen Sie?

Schwarz Ich zeige es Ihnen.

Lulu Es geht nicht.

Schwarz Sie sind nervös... Will ihre Hand fassen.

Lulu wirft ihm den Schäferstab ins Gesicht Lassen Sie mich in Ruhe! Eilt zur Entreetür Sie bekommen mich noch lange nicht.

Schwarz Sie verstehen keinen Scherz.

Lulu Doch, ich verstehe alles. Lassen Sie mich nur frei. Mit Gewalt erreichen Sie gar nichts bei mir. Gehen Sie an Ihre Arbeit. Sie haben kein Recht, mich zu belästigen. Flüchtet hinter die Ottomane. Setzen Sie sich hinter Ihre Staffelei.

Schwarz will um die Ottomane Sobald ich Sie für Ihre Launenhaftigkeit bestraft habe.

Lulu ausweichend Dazu müssen Sie mich aber erst haben. Gehen Sie, Sie erwischen mich doch nicht. – In langen Kleidern wäre ich Ihnen längst in die Hände gefallen. – Aber in dem Pierrot!

Schwarz sich der Länge nach über die Ottomane werfend Habe ich dich!

Lulu schlägt ihm das Tigerfell über den Kopf Gute Nacht! Springt über das Podium, klettert auf die Trittleiter. Ich sehe über alle Städte der Erde weg...

Schwarz sich aus der Decke wickelnd Dieser Balg!

Lulu Ich greife in den Himmel und stecke mir die Sterne ins Haar.

Schwarz ihr nachkletternd Ich schüttle, bis Sie herunterfallen.

Lulu höher steigend Wenn Sie nicht aufhören, werfe ich die Leiter um. Werden Sie meine Beine loslassen! – Gott schütze Polen! Bringt die Leiter zu Fall, springt auf das Podium und wirft Schwarz, wie er sich vom Boden aufrafft, die spanische Wand an den Kopf. Nach vorn eilend, an den Staffeleien Ich habe Ihnen ja gesagt, daß Sie mich nicht bekommen.

Schwarz nach vorn kommend Lassen Sie uns Frieden schließen. Will sie umfassen.

Lulu Bleiben Sie mir vom Leib, oder... Sie wirft ihm die Staffelei mit dem Brustbild entgegen, daß beides krachend zu Boden stürzt.

Schwarz schreit auf Barmherziger Gott!

Lulu links hinten Das Loch haben Sie selber hineingeschlagen.

Schwarz Ich bin ruiniert! Zehn Wochen Arbeit, meine Reise, meine Ausstellung. – jetzt ist nichts mehr zu verlieren. Stürzt ihr nach.

Lulu springt über die Ottomane, über die umgestürzte Trittleiter, kommt über das Podium nach vorn Ein Graben! – Fallen Sie nicht hinein! Stapft durch das Brustbild. Sie hat einen neuen Menschen aus ihm gemacht! Fällt vornüber.

Schwarz über die spanische Wand stolpernd Ich kenne kein Erbarmen mehr.

Lulu im Hintergrund Lassen Sie mich jetzt in Ruhe. – Mir wird schwindlig. – – O Gott, o Gott... Kommt nach vorn und sinkt auf die Ottomane.

Schwarz verriegelt die Tür. Darauf setzt er sich neben sie, ergreift ihre Hand und bedeckt sie mit Küssen, hält inne; man sieht ihm an, daß er einen inneren Kampf kämpft.

Lulu schlägt die Augen auf. Er kann zurückkommen.

Schwarz Wie ist dir?

Lulu Als wäre ich ins Wasser gefallen...

Schwarz Ich liebe dich.

Lulu Ich liebte einmal einen Studenten.

Schwarz Nelli...

Lulu Mit vierundzwanzig Schmissen...

Schwarz Ich liebe dich, Nelli.

Lulu Ich heiße nicht Nelli.

Schwarz küßt sie.

Lulu Ich heiße Lulu.

Schwarz Ich werde dich Eva nennen.

Lulu Wissen Sie, wieviel Uhr es ist?

Schwarz nach der Uhr sehend Halb elf.

Lulu nimmt die Uhr und öffnet das Gehäuse.

Schwarz Du liebst mich nicht.

Lulu Doch... Es ist fünf Minuten nach halb elf.

Schwarz Gib mir einen Kuß, Eva!

Lulu nimmt ihn am Kinn und küßt ihn, wirft die Uhr in die Luft und fängt sie auf Sie riechen nach Tabak.

Schwarz Warum sagst du nicht »du«?

Lulu Es würde unbehaglich.

Schwarz Du verstellst dich!

Lulu Sie verstellen sich selber, wie mir scheint. – Ich mich verstellen? Wie kommen Sie nur darauf? – Das hatte ich niemals nötig.

Schwarz erhebt sich fassungslos, sich mit der Hand über die Stirn fahrend Allmächtiger! Ich kenne die Welt nicht...

Lulu schreit Bringen Sie mich nur nicht um!

Schwarz sich rasch umwendend Du hast noch nie geliebt...

Lulu sich halb aufrichtend Sie haben noch nie geliebt...

Goll von außen Machen Sie auf!

Lulu ist aufgesprungen Verstecken Sie mich! O Gott, verstecken Sie mich!

Goll gegen die Tür polternd Machen Sie auf!

Schwarz will zur Tür.

Lulu hält ihn zurück Er schlägt mich tot.

Goll gegen die Tür polternd Machen Sie auf!

Lulu vor Schwarz niedergesunken, umfaßt seine Knie Erschlägt mich tot. Er schlägt mich tot.

Schwarz Stehen Sie auf... Die Tür fällt krachend ins Atelier.


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